Kitabı oku: «Auf getrennten Wegen»
1 Inhaltsverzeichnis
- 1 Ein Bad im Sumpf -
- 2 Fell und Hörner -
- 3 Eine Mahlzeit -
- 4 Leonide am Spieß -
- 5 Traumreise -
- 6 Badefreuden -
- 7 Dornen und Bären -
- 8 Jagdwetter -
- 9 Lagerfeuergeschichten -
- 10 Nicht gestorben -
- 11 Belohnungen -
- 12 Ein ungebetener Gast -
- 13 Nichts -
- 14 Liebesdinge -
- 15 Schilf -
- 16 Der Schöpferstab -
- 17 Flussüberquerung -
- 18 Gedankenkreise -
- 19 Ein hölzernes Puzzle -
- 20 Gespräche am Lagerfeuer -
- 21 Ein Besuch in der Stadt -
- 22 Bergungsarbeiten -
- 23 Visionen -
- 24 Jäger und Gejagte -
- 25 Der Brückenfischer -
- 26 Auf der Flucht -
- 27 Spurensuche -
- 28 Im Schilfmeer -
- 29 Hindernisse -
- 30 Narfahels Einwohner -
- 31 Kriegsrat -
- 32 Ein Tropfen in der Zeit -
- 33 An der Küste -
- 34 Der Stab -
- 35 Geschmacksfragen -
- 36 Das Ritual -
- 37 Schmuggler -
- 38 Seelentrinker -
- 39 Feuer und Bolzen -
- 40 Schwarze Schiffe -
- 41 Die Schlacht -
- 42 In der Zwischenwelt -
- 43 Brennender Turm -
- 44 Strandspaziergang -
- 45 Karneval -
- 46 Ultarrs Unsinn -
- 47 Siegel -
- 48 Signale -
- 49 Sinne -
- 50 Runenkreis -
- 51 Nachtlicht -
- 52 Reiseplanung -
- 53 Frühstück -
- 54 Erzdruiden -
- 55 Verfolgt -
- 56 Ausflug -
- 57 Übungskämpfe -
- 58 Dämonen -
- 59 Durch das Schwert -
- 60 Das Steinschiff -
- 61 Wiedersehen -
- 62 Fragerunde -
- 63 Zusammen -
- 64 Beratungen -
- 65 Daakyr -
- 66 Mariko -
- 67 An Deck -
- 68 Massage-
- 69 Ingrand -
- 70 Nachher -
- 71 Verrat -
- 72 Unterwegs -
- 73 Die Geschichte der Daakyr -
- 74 Liebeszwang -
- 75 Vertretung -
- 76 Weiterreise -
- 77 vor dem Kampf -
- 78 Tagebuch -
- 79 Die Brüder -
- 80 Erweckung -
- 81 nach dem Kampf -
- 82 Beim Klan -
- 83 Schattenschild -
- 84 Nach Hause -
- 85 Klan Fenloth -
- 86 Ritter der Waage -
- 87 Feinde -
- 88 Die falsche Sonne -
- 89 Der Lodon -
- 90 Überraschung -
- 91 Echte Dämonen -
- 92 Dämonenblut -
- 93 Die Bestie -
- Glossar -
1 - 1 Ein Bad im Sumpf -
Im ersten Moment war alles falsch herum.
Außerdem stank es nach totem Fisch. Spontan beschloss er, sehr flach zu atmen. Seine Anstrengungen wurden damit belohnt, dass er nur wenig Wasser schluckte. Hustend hob er den Kopf – oder versuchte es zumindest.
Er hing in einem Seil fest, in das er sich hoffnungslos verheddert hatte.
Bei dem Versuch, den Helm abzunehmen, musste er darüber hinaus feststellen, dass die Schnalle fest gerostet war.
Fluchend riss er daran, bis sie sich mit einem Ruck löste. Der Helm rutschte gehorsam vom Kopf und versank platschend im Wasser.
„Das darf doch nicht wahr sein!“, schimpfte er – worauf hin er von einem neuerlichen Hustenanfall ergriffen wurde.
Nur allmählich gelang es ihm, seine Atmung zu beruhigen. Immerhin konnte er ohne den Helm wenigstens etwas erkennen. Die Sonne unter ihm nach zu urteilen, war es spät am Tage. Es war kalt und windig. Jetzt fiel ihm auch auf, dass er kopfüber in einem Seil gefangen, knapp über der Wasseroberfläche eines Sees mit dem Rücken auf einer Ölplane lag.
Nur: wo war er gerade? Droin, der stets pragmatisch dachte, sah sich gründlich um, soweit er das in seiner misslichen Lage konnte.
Worauf immer er lag, es war uneben, aber stabil. Zudem gab es einen metallischen Klang ab, als er mit den Knöcheln dagegen klopfte.
Wenigstens Etwas.
Er lag nur eine Handbreit über der Wasseroberfläche, des wohl am übelsten stinkenden Sees, den er je zu riechen das Missvergnügen gehabt hatte.
Sein Körper meldete so viele blaue Flecken und Prellungen, dass er sich nicht sicher war, ob es dazwischen überhaupt noch Lücken gab.
Er spürte nichts, das ihm nicht wehtat.
Sehr vorsichtig tastete er sich ab. Zum Glück fand er keine Brüche, dafür aber schmerzte seine Brust bei jedem Atemzug wegen des Wassers, dass er geschluckt hatte.
Mit einiger Anstrengung gelang es ihm schließlich, seinen rechten Arm soweit aus dem Seilgewirr zu befreien, dass er seinen Dolch am Gürtel erreichen konnte.
Nachdem er das Seil an mehreren Stellen zerteilt hatte, konnte er sich endlich aufrichten. Ein Schwindel erfasste ihn, als das Blut langsam aus seinem Kopf zurück in den Körper floss.
Sein Magen meldete Hunger, doch seine Nase wandelte das in Übelkeit, so dass er zunächst die Fische fütterte, obwohl er ernsthaft bezweifelte, dass es in diesem Gewässer welche gab.
Behutsam rutschte er auf seinem unbequemen Sitz herum, um die Umgebung gründlich in Augenschein zu nehmen.
Er befand sich in der wohl trostlosesten Landschaft, die er je gesehen hatte. Ein eintöniges Sumpfgebiet in Grau- und Brauntönen. Nirgends war ein grüner Halm zu entdecken, geschweige denn ein Baum oder Strauch.
Das Wasser war verdorben, kein Vogel zeigte sich am Himmel. Seine Sitzgelegenheit war nicht größer als ein Schritt im Rund und sorgfältig verpackt. Zum Glück ragte sie aus dem Wasser heraus, ohne dass Droin sagen konnte, wie oder warum.
Während er darüber nachgrübelte, wie er wohl ans Ufer kam, stellte er sich erneut die Frage, wo er überhaupt war.
Vorsichtig wandte er sich auf seiner winzigen Insel herum, bemüht, einen Anhaltspunkt dafür zu finden.
Dem Sonnenstand nach verlief der See von Ost nach West. In der Ferne konnte er Berge erkennen, das war nicht seine Heimat, die musste weiter im Norden liegen. Die genaue Richtung ließ sich nur mit einer Sonnenuhr oder einem…
Beinahe wäre er vor Schreck ins Wasser gestürzt.
Er saß auf Attravals Kompass. Dem wertvollsten und seit langem verschollenen Artefakt seines Volkes.
Und dies hier war Narfahel. Die verlorene Provinz, auch Land der Toten genannt. – Einer der gefährlichsten Landstriche der bekannten Welt.
Er war mit Drakkan, Jiang, Kmarr und Anaya, Phyria und Shadarr hierher gekommen, um den Kompass vor dem ausbrechenden Krieg im Bergreich von Kalteon in Sicherheit zu bringen, dessen Bergspitzen sich am Horizont zeigten.
Hier hatten sie eines der sieben Siegel aufgespürt, dass seit Jahrhunderten eine Armee von Dämonen gefangen hielt.
Phyria, die als Hüterin der Flamme einem geheimen Orden angehörte, der die Siegel bewahrte, hatte sie angeführt. Es war ihr mit Drakkan, Jiang und Anaya zusammen gelungen, den Siegelstein mit neuer Kraft zu speisen, so dass er ein weiteres Jahrhundert das Gefängnis verschließen würde. Bis zu diesem Moment hatten sie Erfolg gehabt.
Narfahel wurde jedoch nicht umsonst als „verloren“ bezeichnet.
Einst hatte es zum Imperium gehört, aber die nördlichen Provinzen Orenoc, Denelorn, Morak und Narfahel hatten sich vor Jahrhunderten losgesagt.
Der Krieg um ihre Unabhängigkeit war lang, blutig und letztlich für die Provinzen auch erfolgreich gewesen. – Nur Narfahel war dabei dauerhaft verändert worden. Sein erster Regent, Fern Tarn hatte einen Fluch gewirkt, der das gesamte Land betraf. Alles wurde feindlich, giftig oder verdorrte – manchmal auch alles auf einmal.
Hier gab es kein Wasser, keine essbaren Pflanzen, keine Nahrung. Nur Raubtiere und Geister der einstigen Bewohner.
Daher war Droin nicht unbedingt scharf darauf, einen Schwimmversuch zu machen.
Bleiben konnte er an Ort und Stelle aber auch nicht.
Langsam, um nicht zu früh ein Bad zu nehmen, legte er seine Rüstung ab. Mit dem Rest des Seils band er sie zu einem ordentlichen Bündel zusammen.
Wenn er nun das längste Seilstück um seine Hüfte knotete, sollte er den Kompass hinter sich her ziehen können. Er hoffte inständig, dass das Artefakt nicht beschädigt worden war.
Noch mehr Sorgen machte er sich dabei um seine Gefährten, von denen er nirgends etwas entdecken konnte.
Die riesige Flutwelle, die sie alle hinweg gefegt hatte, hatte sie zugleich auch in alle Winde verstreut. – Zumindest hoffte er, dass sie lediglich einige Meilen voneinander entfernt gelandet waren.
Wäre es nur die Welle gewesen, hätte er sich keine größeren Sorgen gemacht.
Doch er hatte das vor Wut verzerrte Gesicht gesehen, dass sich im Wasser gezeigt hatte, kurz bevor er das Bewusstsein verloren hatte. – Und er hatte die Stimme gehört.
Vermutlich war er der Einzige gewesen, denn die Sprache, in der sie gesprochen hatte, war längst untergegangen.
Droin war über dreihundert Winter alt. In seiner Jugend hatte es sie noch in vielen Teilen der Welt gegeben: Imperyal, die alte Sprache des Imperiums.
„Raus aus meinem Land!“, hatte sie gebrüllt.
Viel half ihm dieses Wissen allerdings nicht. Besonders nicht dabei, seine Gefährten zu finden, denn zunächst blieb das Problem, wie er zum Ufer kam.
Strömung gab es keine, ein Ruder hatte er nicht und auch nichts, aus dem er eines hätte bauen können. Sein Speer wäre eine Hilfe gewesen. Leider war der irgendwo in den schlammigen Fluten versunken. Naurim waren einfach nicht für das Wasser gemacht.
Es blieb also wirklich nur die bei weitem unangenehmste Form, sich aus der Lage zu befreien: Schwimmend. Auch wenn er bereits vor einer Weile schon zu dieser Erkenntnis gekommen war, zögerte er lange, ehe er sich langsam in die eisigen Fluten sinken ließ.
1 - 2 Fell und Hörner -
Ein stechender Schmerz im Nacken war es schließlich, der sie aus ihrem Dämmerzustand riss.
Vorsichtig tastete sie nach der schmerzenden Stelle. Es war nichts gebrochen oder gerissen, sie hatte nur ziemlich lange in einer äußerst unbequemen Pose gelegen. Möglicherweise wären auch ernstere Schäden entstanden, aber Anaya war eine Aliana, eine Tochter der Waldgeister von Galladorn, die ihr eine wandelbare Gestalt verliehen. Sie konnte ihre Gliedmaßen verlängern und verkürzen, ihre Haut mit Rinde überziehen, sich die Sinne von Tieren leihen und auch die Natur um sich herum manipulieren oder um Hilfe bitten.
Daher war die Lage nur unbequem, nicht gefährlich.
Zwischen ihren Füßen hindurch konnte sie die Sterne sehen.
Es war tiefste Nacht, als sie endlich halbwegs wach war. Wie sie feststellte, hatte sich ihr Geweih bei der Landung in einem Dornenbusch verheddert, während ihre Füße in einem Ast festhingen. Daher kam ihre unbequeme Position.
Jeder Alian wählte seine erste Erscheinungsform bei der Initiation in einen Druidenzirkel selbst.
Viele hatten ein Geweih oder Hörner, wenn auch meist kleiner als ihres, oft trugen sie Fell oder Federn, manche hatten sogar Flügel. Hufe und Klauen waren dagegen annähernd zu gleichen Teilen vorhanden.
Es dauerte länger als gewöhnlich, die Konzentration aufzubringen, die sie benötigte, um eine Veränderung herbei zu führen.
Schließlich gelang es ihr. Von ihrem Geweih waren nur noch zwei kurze, glatte Hörner übrig, die aus ihrer Stirn wuchsen.
Langsam erhob sie sich.
Der Schmerz im Nacken war noch da, ebenso wie eine Reihe Prellungen. Insgesamt waren es keine ernsthaften Verletzungen. Sie nahm Kontakt zu der sie umgebenden Natur auf, indem sie ihre Hände im Schlamm versenkte. Erneut wurde sie beinahe von der Lebenskraft überwältigt, die sie umgab. Mochte das Land noch so verdorben und tot wirken, tatsächlich pulsierte es vor verborgenem Leben.
Rasch schwanden ihre Schmerzen, kurz darauf fühlte sie sich wieder frisch und munter. Sie war nicht übermäßig besorgt, ihre Gefährten waren nicht so leicht umzubringen.
Zu Beginn ihrer Bekanntschaft hatte sie begriffen, dass es nicht die waghalsigen Taten geistig Verwirrter waren, sondern wohl überlegte Handlungen. Sie schienen stets genau zu wissen, was möglich war und was nicht.
Bei Droin und Jiang war das nicht weiter verwunderlich. Der Naurim war alt und erfahren genug zu wissen, was er konnte. Die kleine Shâi war zwar verschlossen, aber auch diszipliniert. Sie durchdachte jeden ihrer Schritte dreimal, bevor sie ihn machte.
Drakkan hingegen…
Sie seufzte. Keine Zeit für sentimentale Gedanken. Ziemlich sicher war sie drei oder vier Meilen weit vom Siegel entfernt. Die Welle – oder besser Ferrn Tarn – hatte sie alle von dort herunter gefegt. Die Präsenz des Arkanisten von Narfahel war überdeutlich gewesen.
Er beschützte sein Land noch immer. Der Wahnsinn in seiner Stimme hatte ihre Sinne überflutet und ihr das Bewusstsein geraubt.
Zunächst sah sie sich daher gründlich um. Seine Präsenz mochte noch immer in der Nähe sein.
In ihrer unmittelbaren Umgebung waren nur Büsche und schlammiger Grund. Kein einziger Blutbaum wankte in der Nähe umher. Es war eisig kalt, wie sie jetzt erst bemerkte. Ihre Kleidung war durchnässt und sie zitterte. Wieder versenkte sie die Hände im Schlamm. Sie erinnerte sich an das warme Fell eines Höhlenbären, mit dem sie früher einmal einen Bau geteilt hatte. Sie spürte, wie sich ein zarter Flaum auf ihrer Haut bildete, dann sprossen einzelne Haare. Immer mehr und immer dichter wurden sie, bis Anaya von zottigem Fell bedeckt war.
Fast sofort verschwand das Gefühl von Nässe und Kälte. Zufrieden schritt sie den nächsten, kleineren Hügel in Richtung Stadt hinauf.
1 - 3 Eine Mahlzeit -
Ein scharfer Schmerz bohrt sich in ihren Knöchel. Ein Ruck zerrte an ihr, der sie aus dem Nichts ihrer Ohnmacht befreite.
Mühsam versuchte sie, die Augen zu öffnen. Sie hatte nur bei einem Erfolg. Das andere wurde von irgendwas blockiert.
Schlamm.
Das war alles, was sie zunächst sah. Dann gab es wieder einen plötzlichen Ruck an ihrem Bein.
Die Schmerzen, die durch ihren Körper schossen, weckten sie vollends auf. Sie hing kopfüber in der Luft, in der Krone eines Baumes. Langsam hob sie den Blick vom Boden, gerade rechtzeitig, um das riesige Maul vor sich zu entdecken, das sich soeben im Stamm auftat. Eine zähe Ranke zerrte sie Stück für Stück darauf zu.
Drei Reihen Zähne schnappten gierig nach ihr und eine schleimige Zunge züngelte sabbernd dazwischen nach ihr, wie ein Blutegel, der Witterung aufgenommen hatte.
Andere Ranken griffen bereits nach ihren Armen. In wenigen Augenblicken würde sie vollständig darin gefangen sein.
Sie versuchte, das Feuer in ihrem Inneren zu erwecken, doch wie bei nassem Holz wollte der zündende Funke nicht so recht Halt finden. Da erst bemerkte sie, dass sie vor eiskaltem Wasser nur so triefte. Schlamm verklebte ihre Haare und zog ihre Kleidung nach unten. Blitzschnell wurde ihr klar, dass sie der Blutbaum nur deshalb noch nicht verschlungen hatte, weil er Probleme mit ihrem Gewicht hatte. Sie zappelte so gut sie konnte, um es den Ranken schwerer zu machen, sie zu erreichen. Es funktionierte.
Dabei kam sie nur dem Maul immer näher. Die Zunge konnte sie beinahe berühren. Aufgeregt sabberte das Maul im Angesicht der nahen Beute. Der Atem stank nach verwesendem Fleisch und verdorbenem Blut.
Panisch versuchte sie wieder, sich in Flammen zu hüllen, doch die Kälte der Sachen, die sie trug, verhinderte, dass es ihr gelang.
Wieder zog die Ranke um ihr Fußgelenk sie näher zum Ziel. Die pinkfarbene Zunge leckte ihr einmal durch das ganze Gesicht, als ihre zappelnden Bewegungen sie kurz zu nahe heran brachten. Die übrigen Äste und Ranken bogen sich nach innen, um ihr den Bewegungsspielraum zu nehmen. Ein erregtes Zischen entwich dem Maul der Kreatur. Phyria musste darum kämpfen, sich nicht zu übergeben, während ihr der klebrige Speichel langsam über die Wange rann.
Ihre Gedanken rasten, was war zu tun? Sie musste überleben. Sechs Siegel warteten noch auf sie. Versagen war keine Option. Gefressen werden erst recht nicht. Sie hatte die Dämonen überlebt, die ihre Heimat verwüstet hatten.
Verglichen damit war das hier nichts. Sie erinnerte sich an den Tag des Überfalls auf das Kloster, an die Schafe, an die schwarz gekleideten Soldaten…
„Nein.“
Sie schlug ihre Augen auf und blickte ruhig genau in das Maul des Blutbaumes. Eine blaue, beinahe weiße Flamme schoss aus ihren Händen genau hinein. Die Hitze war so gewaltig, dass die Kreatur praktisch explodierte. Gekocht von den eigenen Säften brach die Borke auseinander. Kleine Flammen züngelten aus den Rissen, die Äste und Ranken verkohlten so schnell, dass sie noch in der Luft hing, als eine riesige Stichflamme oben aus der Krone hervorbrach und die gesamte Kreatur einhüllte.
Phyria wurde fallengelassen, weil die Ranke, die sie festgehalten hatte, vom Rumpf abgerissen wurde. Noch bevor sie auf dem Boden landete, war der schlammige Sumpf zu steinhartem Lehm vertrocknet. Der Aufprall raubte ihr den Atem. Mühsam rappelte sie sich wieder auf.
Gerade rechtzeitig, um den Baum krachend umstürzen zu sehen. Zu ihrer Erleichterung bemerkte sie dabei, dass er nicht mehr dazu gekommen war, um Hilfe zu rufen.
Sie trat näher an die brennenden Reste heran. So wie er brannte, machte er nicht den Eindruck eines intelligenten Wesens. Auch der Brandgeruch sagte eindeutig Holz.
Zufrieden über die Erkenntnis trat sie noch näher, um ihre Kleidung von der Wärme des Feuers trocknen zu lassen. Dabei warf sie einen ersten Blick in die Ferne.
Trostloser Sumpf voller schlammiger Hügel und verdorrter Pflanzen erwartete sie bei hereinbrechender Nacht in jeder Richtung. Nirgends eine Spur ihrer Gefährten. In der Umgebung lag die Insel im Fluss, auf der sich das Siegel befand. Das felsige Plateau ragte mitten in der Stadt empor. Sonst hatte sie keine Anhaltspunkte zur Orientierung. Schlagartig wurde ihr bewusst, wie schlecht sie auf das Leben in der Wildnis vorbereitet war.
Fröstelnd trat sie zwischen die Flammen.
Vollkommen regungslos verharrte er im Schatten eines frisch erlegten Blutbaums. Die vielen, kleinen Wunden überall an seinem muskulösen Körper störten ihn nicht mehr als Mückenstiche. Der Kampf war kurz und brutal gewesen, doch am Ausgang hatte von Anfang an kein Zweifel bestanden. Nur sehr wenige Kreaturen waren einem Kargat im Kampf gewachsen. Schon gar nicht, wenn sie den Angreifer zu spät bemerkten. Nur in einem Punkt hatte Shadarr sich geirrt. Der Leichensammler, wie die verfluchten, fleischfressenden Bäume auch genannt wurden, war alles andere als schmackhaft. Nach ein paar Bissen hatte er den Rest wieder ausgespuckt. Ein Schrank schmeckte auch nicht besser.
Seine kleinen Augen glänzten von wacher Intelligenz, die man bei einer klauenbewehrten Bestie seiner Größe nicht erwarten würde.
Aufmerksam beobachtete er einen kleinen Trupp Blutbäume, der ganz in seiner Nähe ungeschickt durch einen brackigen Bachlauf wankte. Dahinter erhoben sich flache Hügel aus der monotonen Sumpflandschaft. Der Gestank des verdorbenen Wassers mischte sich mit den fauligen Ausdünstungen des toten Baums zu einer kaum erträglichen Geruchskomposition. Trotzdem bewegte Shadarr keinen Muskel. Nur die Nasenflügel bebten hin und wieder kaum merklich.
Er witterte durch die zehn Nasenlöcher dutzende unterschiedliche Noten aus dem Geruch heraus. Dazu konnte er genau sagen, wie weit die einzelnen Geruchsquellen entfernt und wie alt die Spuren waren.
Nichts entging ihm. Er war der beste Jäger des Rudels und der stärkste noch dazu. Dennoch war ein Anderer der Rudelführer. Shadarr erinnerte sich an ihre erste Begegnung. Beinahe hätte er Drakkan als Beute verschlungen. Erst im letzten Augenblick hatte er dessen Herkunft erkannt und so hatten seine Klauen ihn nur gestreift.
Danach war der Kampf sogar beinahe ausgeglichen gewesen. Seit diesem Ereignis reisten sie gemeinsam.
Drakkan glaubte, die telepathische Verbindung zwischen ihnen wäre Shadarrs Werk, doch das war falsch. Er hatte lediglich dafür gesorgt, dass Drakkan sich an sein Erbe erinnerte. – Nicht an das dämonische, an das Andere.
Daher wusste er auch, wo ungefähr Drakkan gerade war und wie weit entfernt. Die Flutwelle hatte sie auseinander gerissen. Fünf Meilen trennten sie bereits und es wurden stetig mehr. Zeit aufzubrechen.
In einer geschmeidigen Bewegung, langsam und zugleich kraftvoll, erhob er sich. Die Blutbäume bemerkten ihn nicht, sie wankten weiter ziellos umher.
Gerade als er sich in Bewegung setzen wollte, drang der schwache Geruch nach Jasminblütenseife in seine Nase. Hier im Sumpf gab es nur eine Erklärung: Jiang konnte nicht weit entfernt sein. Sein Magen knurrte.
Das war ein reizvoller Leckerbissen. Wenn sie nur entfernt so schmeckte, wie sie stets roch, wäre sie eine echte Delikatesse. Lautlos schlich er ihrer Duftspur hinterher. Sie war nicht weit weg, kaum eine halbe Meile.
Bei all dem Gestank stach dieser Geruch so deutlich aus der Umgebung hervor, wie ein Leuchtfeuer in der Nacht. Zweimal musste er unterwegs anhalten, um sich vor einer Gruppe Blutbäume zu verbergen. Solange er sich nicht bewegte, war er praktisch unsichtbar, eine Gabe, die er bislang sorgsam vor seinem Rudel verborgen hatte. Sie hielten ihn immer noch für ein intelligentes Raubtier. Arkane Kräfte wären da nur schwer zu erklären gewesen. Doch Anaya hatte ihre Ansicht geändert, weil er den Fehler gemacht hatte, das Königsrudel zu erwähnen, was eine soziale Rangordnung unter allen Kargat verriet. Jetzt wussten die Alian Bescheid und bald die ganze Welt. Dann würden die Dämonen davon erfahren und sich fragen, was die Kargat noch alles verborgen hielten.
Alles Sorgen für einen anderen Tag. Jetzt galt es zuerst, seinen Hunger zu stillen. Obwohl sein Gewicht dafür sorgen sollte, dass er tief im Morast versank, hinterließ er kaum mehr als flache Mulden, die sich rasch mit schlammigem Wasser füllten. Ein geübter Fährtenleser hätte keine Mühe, ihnen zu folgen, für die meisten Kreaturen, die er hier im Sumpf vermutete, waren sie jedoch praktisch unsichtbar.
Auf dem Weg, den er eingeschlagen hatte, schwenkte er den Kopf gleichmäßig hin und her, weil er sicher gehen wollte, dass es wirklich nur Jiang war, die er witterte.
Besser wenn ihn niemand beobachtete.
Trotz seiner Sorgfalt wurde der Abstand zwischen ihnen rasch geringer. Hinter dem nächsten Hügel musste sie irgendwo sein.
Geduckt schlich er zwischen niedrigem Gestrüpp und den Stümpfen abgestorbener Bäume um den Fuß des Hügels herum.
So dauerte es zwar länger, bis zu seiner Beute, aber oben auf dem Hügel bot seine massige Gestalt ein zu gut sichtbares Ziel.
Immerhin war Jiang mit arkanen Kräften ausgestattet, deren vollen Umfang er noch nicht gänzlich ergründet hatte. Möglich, dass sie ihm schaden oder ihm zumindest entkommen konnte.
Lautlos folgte er einem dünnen Rinnsal, das zwischen verkrüppeltem Buschwerk hindurch ans Ufer eines träge vorbei strömenden Flusses führte. Fauliges Schilf säumte das Ufer an dieser Stelle. Flechten und Algen hatten sich darin verfangen. Zusammen mit abgebrochenen Zweigen zeigten sie an, dass vor Kurzem erst eine Flutwelle hier vorbei gerauscht war und den Unrat hier zurückgelassen hatte.
Es dauerte einen Augenblick, bis er trotz seiner scharfen Augen die zierliche Gestalt von Jiang darunter ausmachen konnte.
Sie lag regungslos halb im Schilf unter einem großen Ast eingeklemmt im Wasser.
Zur Sicherheit witterte Shadarr sorgfältig in alle Richtungen. Außer dem schwachen Geruch von Seife, der von ihr ausging, konnte er keine anderen Lebewesen identifizieren, die in der Nähe verborgen lauerten.
Äußerst vorsichtig schlich er näher heran. Keinen Augenblick ließ er die Umgebung aus den Augen.
Gierig sog er den Geruch von Jiang auf. Das Wasser lief ihm im Maul zusammen, beinahe wie von selbst entblößte er seine gewaltigen Reißzähne. Die zierliche Frau bedeutete nicht mehr als zwei Bissen, allerdings zwei sehr wohlschmeckende.
Gerade als er sie verschlingen wollte, nahm er ihre Witterung neu auf. Ihre Temperatur war erhöht, sie war krank. Das bedeutete, sie würde weniger gut schmecken, als erhofft. Er zögerte.
Missmutig knurrte er einmal, dann schlossen sich seine mächtigen Kiefer um ihren zierlichen Körper.