Kitabı oku: «Der Hersteller im europäischen Produktsicherheitsrecht», sayfa 4
cc) Ansprüche aus dem Produkthaftungsgesetz
Produkthaftungsrechtliche Ansprüche gegen den Hersteller können aufgrund des ProdHaftG59 geltend gemacht werden. Der Hersteller eines Produkts haftet gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 ProdHaftG für Produktfehler, durch die eine Person getötet, ihr Körper oder ihre Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt wurde. Der Hersteller ist in diesem Fall verschuldensunabhängig zum Schadensersatz verpflichtet.60 Ob der Herstellerbegriff des ProdHaftG und des ProdSG gleichzusetzen sind und welche Interdependenzen zwischen den Herstellerbegriffen bestehen, ist Gegenstand der weiteren Untersuchung.61
dd) Gewährleistungsrecht
Gewährleistungsrechte sind Ansprüche, die zwischen zwei Vertragspartnern, insbesondere Käufer und Verkäufer, als Folge eines mangelhaften Produkts ausgelöst werden können. Der Verstoß gegen produktsicherheitsrechtliche Vorschriften kann zu einem Mangel eines Produkts im Sinne des § 434 Abs. 1 BGB führen. Beispielsweise wird in der Zulieferindustrie regelmäßig als Beschaffenheit des Produkts vertraglich vereinbart, dass das gekaufte Produkt rechtmäßig ein CE-Kennzeichen tragen muss. Das Gewährleistungsrecht ist vor allem für Fragen des Regresses in der Lieferkette entscheidend: Sobald ein Kunde Ansprüche geltend macht, stellt sich die Frage danach, wer innerhalb der Lieferkette dafür letztlich die Verantwortung trägt.62 Dies kann auch der Hersteller des Produkts im Sinne des ProdSG sein.
ee) Wettbewerbsrechtliche Folgen
Wettbewerbsrechtliche Folgen treffen den Hersteller, sofern Verstöße gegen produktsicherheitsrechtliche Vorschriften als unlautere geschäftliche Handlung im Sinne des § 3 Abs. 1 UWG angesehen werden. Darunter fällt unter anderem gemäß Nr. 2 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG die Verwendung von Güte- oder Qualitätskennzeichen wie dem GS-Zeichen ohne die erforderliche Genehmigung.63 Außerdem sind gemäß Nr. 9 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG unwahre Angaben oder das Erwecken des unzutreffenden Eindrucks verboten, dass ein Produkt verkehrsfähig sei. Des Weiteren kann derjenige unlauter handeln, der einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die gemäß § 3a UWG auch dazu bestimmt ist, das Marktverhalten im Interesse der Marktteilnehmer zu regeln. Unter dieses Verbot können auch ausgewählte produktsicherheitsrechtliche Vorschriften fallen, beispielsweise § 3 ProdSG64 und § 6 Abs. 1 S. 1 und S. 2 ProdSG.65 Dementsprechend sind Unterlassungsansprüche nach § 3a UWG i.V.m. § 7 ProdSG und § 5a Abs. 2, Abs. 4 UWG möglich, wenn ein Unternehmen Produkte ohne ein erforderliches CE-Kennzeichen auf den Markt bringt.66 Daneben können Beseitigungs- sowie Schadensersatzansprüche oder Gewinnabschöpfungen durch Wettbewerber oder Verbraucherverbände geltend gemacht werden. Jedoch erfolgt in der Praxis regelmäßig zunächst eine Abmahnung, die auf Kostentragung und Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung abzielt.67
Darüber hinaus zeigen Unternehmen nicht selten ihre Wettbewerber bei Marktüberwachungsbehörden an, wenn sie Erkenntnisse über nicht konforme Produkte (zum Beispiel durch Vergleichstests) erhalten.68
d) Ordnungswidrigkeits- und strafrechtliche Folgen
Verstöße gegen produktsicherheitsrechtliche Vorschriften können für den Hersteller außerdem Ordnungswidrigkeits- und strafrechtliche Folgen haben. Nach dem Bußgeldkatalog des § 39 ProdSG sind Bußgelder in Höhe von bis zu 100.000 € bei (jedem) Verstoß gegen produktsicherheitsrechtliche Vorschriften möglich. Zudem kann eine Meldung an das Gewerbezentralregister nach § 149 Abs. 2 Nr. 3 Gewerbeordnung (GewO) erfolgen, wenn ein Bußgeld verhängt wird, das mit der Ausübung eines Gewerbes im Zusammenhang steht und mehr als nur 200 Euro beträgt. Ferner ist eine Gewinnabschöpfung im Rahmen des Bußgeldtatbestands nach § 17 Abs. 4 OWiG oder § 29a OWiG möglich, die im Übrigen steuerliche Abzüge nicht berücksichtigt.
Im Rahmen der Legalitätspflicht der Unternehmensführung können derartige produktsicherheitsrechtliche Verstöße auf das vorsätzliche oder fahrlässige Außerachtlassen von Aufsichtsmaßnahmen seitens der Unternehmensführung zurückzuführen sein. In diesem Fall kann gemäß § 130 Abs. 1 OWiG ein Ermittlungsverfahren persönlich gegen die Mitglieder des Vorstands beziehungsweise der Geschäftsführung eingeleitet werden.
§ 40 ProdSG konstituiert einen Straftatbestand, soweit gegen CE-Kennzeichnungsvorschriften beharrlich wiederholt verstoßen wird oder durch eine solche vorsätzliche Handlung Leben oder Gesundheit eines anderen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet sind.
e) Notwendigkeit zur Klarstellung der Herstellereigenschaft
(1) Gesetzliche Pflicht zur Gesetzestreue („Organisationspflicht“)
Der Hersteller eines Produkts ist folglich dazu verpflichtet, verschiedene Maßnahmen und Vorkehrungen zu treffen, die sich aus den Anforderungen des Produktsicherheitsgesetzes ergeben.69 Der Hersteller ist allerdings nicht nur auf der Grundlage des ProdSG dazu verpflichtet, diese Maßnahmen und Vorkehrungen durchzuführen. Auch aus der unternehmerischen Pflicht, Schaden vom eigenen Unternehmen fernzuhalten (Organisationspflicht), die aus der Nichteinhaltung der Herstellerpflichten folgen,70 ist der Hersteller dazu angehalten, die Herstellerpflichten nach dem ProdSG zu erfüllen.
Dass die Herstellerpflichten eingehalten werden, ist in erster Linie Aufgabe der Unternehmensleitung. Sie muss die erforderlichen Maßnahmen organisieren und einleiten, die sicherstellen, dass ausschließlich verkehrssichere Produkte vertrieben werden.71 Die Unternehmensleitung hat dazu die geltenden Produktanforderungen ihrer Produkte vor dem Marktzutritt zu ermitteln und anschließend sicherzustellen, dass diese eingehalten werden. Die interne Pflicht der Unternehmensleitung, Risiken zu erkennen und zu bewältigen, ergibt sich für die Aktiengesellschaft aus § 76 Abs. 1 AktG i.V.m. § 93 Abs. 1 AktG. Für einen Pflichtenverstoß in Konzernbeziehungen begründet § 93 Abs. 1 AktG eine Haftung der Unternehmensleitung gegenüber der eigenen Gesellschaft.72 Zusätzlich können abhängige Gesellschaften die Unternehmensführung aus §§ 309, 317, 323 Abs. 1 Satz 1 und 2 AktG in Anspruch nehmen. Ein Pflichtverstoß im Sinne des § 93 Abs. 1 AktG73 liegt dann vor, wenn die Vorstandsmitglieder bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters nicht anwenden.74 Dazu muss sich der Vorstand bei seiner Amtsführung rechtstreu verhalten.75 Um dieser Legalitätspflicht nachzukommen, hat er dafür zu sorgen, dass für die Gesellschaft alle für die Unternehmenstätigkeiten relevanten in- und ausländischen gesetzlichen Vorschriften76 beachtet werden.77 Dies betrifft insbesondere die bereits beschriebenen Herstellerpflichten78 nach dem ProdSG.
Für den Geschäftsführer einer GmbH gilt die gleiche Pflicht aus § 43 Abs. 1 GmbhG. Danach ist der Geschäftsführer dazu beauftragt, die Geschäfte seiner GmbH ordnungsgemäß zu führen. Demnach muss er die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns anwenden, wenn er die Verpflichtungen der Gesellschaft bearbeitet. Darin enthalten ist ebenfalls die oben beschriebene Legalitätspflicht zur Rechtstreue.
Die Pflicht zum rechtstreuen Verhalten bei einer OHG und einer GbR ist nicht gesetzlich kodifiziert. Allerdings ergibt sich daraus die Pflicht, dass bei rechtswidrigem Verhalten Schadensersatzansprüche entstehen könnten. Dies widerspräche dem Grundsatz der Treuepflicht der Gesellschafter. Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht ist ein zentraler Rechtssatz des Gesellschaftsrechts.79 Sie bestimmt Inhalt und Grenzen der Rechte, die dem einzelnen Gesellschafter in der Gemeinschaft zustehen. Da sich die Gesellschafter bei Gründung des Gesellschaftsverhältnisses verpflichtet haben, gemeinsam den Gesellschaftszweck zu fördern, müssen sie alles unterlassen, was diesem Zweck abträglich ist und die Interessen der Gesellschaft schädigt.80
(2) Pflicht zur Gesetzestreue durch Compliance-Strukturen
Neben der gesetzlichen Pflicht zum rechtstreuen Verhalten belegen sich die Unternehmen im Rahmen von Compliance-Programmen häufig auch mit Selbstverpflichtungen.81 Neben der Einhaltung geltender Gesetze in allen Unternehmensbereichen werden firmeninterne Verhaltensregeln eingeführt, die dazu beitragen sollen, weiteres Vertrauen gegenüber Kunden und Lieferanten herstellen.82
Um diese Selbstverpflichtungen auszugestalten, ist es für die Vertreter der Unternehmen von zentraler Bedeutung zu wissen, welche Rolle sie im Wirtschaftsleben einnehmen. Nur durch die Kenntnis der Tatsache, wann sie als Hersteller und damit als Anordnungs- oder Haftungsadressat anzusehen sind, können die internen Prozesse zuverlässig darauf abgestimmt und eine entsprechende Compliance-Struktur eingerichtet werden, stets mit dem Ziel, alle gesetzlichen, vertraglichen und selbst auferlegten Verpflichtungen korrekt einzuhalten.
f) Zwischenergebnis
Aus der gesetzlichen Pflicht zur Rechtstreue und den produktsicherheitsrechtlichen Herstellerpflichten ergibt sich: Die Unternehmen benötigen Rechtssicherheit hinsichtlich ihrer Herstellereigenschaft, da eine Reihe von Pflichten daran geknüpft ist. Werden diese Pflichten vom Hersteller verletzt, können verschiedene Rechtsfolgen für den Hersteller daraus resultieren wie strafrechtliche Sanktionen, Bußgelder sowie zivilrechtliche Haftungsansprüche anderer Wirtschaftsteilnehmer. Rechtsunsicherheit dahin gehend, ob und inwieweit ein Unternehmen als verantwortlicher Hersteller gilt, ist in einer modernen Wirtschaftswelt nicht tragbar. Unternehmer verwenden große Anstrengungen darauf, die oftmals erheblichen finanziellen Schadensersatzforderungen zu vermeiden, die im Schadensfall auf sie als Hersteller zukommen können.83 Hinzu kommt die Furcht vor einer negativen Berichterstattung durch die Medien sowie – im Fall einer Verurteilung – vor der Inanspruchnahme auf Schadensersatz. Dieser negativen Wirkung kann nur dann entgegengesteuert werden, wenn die Unternehmen wissen, dass sie in der produktsicherheitsrechtlichen Verantwortung als Hersteller stehen und Maßnahmen einleiten können, die sie vor öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Inanspruchnahme schützen.
2. Klarstellungsinteresse aus staatlicher Sicht
Das Klarstellungsinteresse an der Präzisierung und Konkretisierung des Herstellerbegriffs besteht nicht nur aus Unternehmersicht, sondern auch aus der Perspektive der Marktüberwachungsbehörden. Obwohl das Produktsicherheitsrecht hauptsächlich präventiv wirken soll, sind die Maßnahmen der Marktüberwachungsbehörden nach dem ProdSG bei einem unsichereren Produkt dennoch repressiv und fallen daher unter die öffentlich-rechtlichen polizeirechtlichen Grundsätze. Im Rahmen der nachträglichen Marktüberwachung stellen die Maßnahmen der Marktüberwachungsbehörden84 nach dem ProdSG daher Verwaltungsakte85 im Sinne von § 35 S. 1 VwVfG dar.86
Die Marktüberwachungsbehörden können nur dann wirksame Wirtschaftsüberwachungsverwaltungsakte erlassen, wenn die Störerauswahl rechtmäßig ausgeübt wurde. Daher müssen die Marktüberwachungsbehörden im Sinne einer effektiven öffentlich-rechtlichen Gefahrenabwehr den Hersteller korrekt und eindeutig identifizieren können, um rechtmäßige Verwaltungsakte zu erlassen. Soweit ein Wirtschaftsteilnehmer fehlerhaft als Hersteller angesehen wird, ist der ihm gegenüber erlassene Wirtschaftsverwaltungsakt rechtswidrig, sofern er nicht als ein anderer „Wirtschaftsakteur“ im Sinne des § 2 Nr. 29 ProdSG gilt oder die Ausnahmeregelung des § 27 Abs. 1 S. 2 ProdSG einschlägig ist. Eine effektive Gefahrenabwehr durch Wirtschaftsverwaltungsakte kann allerdings nur dann gewährleistet werden, wenn die zu erlassenen Verwaltungsakte auch rechtmäßig und damit unanfechtbar sind.
a) Auswahlermessen
Die Marktüberwachungsbehörden haben im Rahmen des Auswahlermessens den Adressaten der Maßnahme (Störer) zu ermitteln.87 Dazu werden in § 27 Abs. 1 ProdSG die möglichen Adressaten der Marktüberwachungsmaßnahmen gemäß § 26 Abs. 2, 4 ProdSG festgelegt. Um eine rechtmäßige Störerauswahl durchzuführen, müssen die Marktüberwachungsbehörden unzweifelhaft die infrage kommenden Adressaten – unter anderem den Hersteller – feststellen können.
aa) Adressatenkreis
In § 27 Abs. 1 ProdSG wird der Adressatenkreis möglicher Marktüberwachungsmaßnahmen wie folgt bestimmt:
„Die Maßnahmen der Marktüberwachungsbehörde sind gegen den jeweils betroffenen Wirtschaftsakteur oder Aussteller gerichtet. Maßnahmen gegen jede andere Person sind nur zulässig, solange ein gegenwärtiges ernstes Risiko nicht auf andere Weise abgewehrt werden kann. Entsteht der anderen Person durch die Maßnahme ein Schaden, so ist dieser zu ersetzen, es sei denn, die Person kann auf andere Weise Ersatz erlangen oder ihr Vermögen wird durch die Maßnahme geschützt.“
Die Marktüberwachungsbehörden sind im Rahmen ihres Auswahlermessens bei der Störerauswahl von Gesetzes wegen auf den Kreis der „Wirtschaftsakteure“ im Sinne des § 2 Nr. 29 ProdSG beschränkt. Somit setzt das ProdSG bei den Adressaten nicht an den aus dem Polizei- und Ordnungsrecht der Länder bekannten Verhaltens- und Zustandspflichtigen an, sondern an den Begriffen „Wirtschaftsakteur“ und „Aussteller“88.89 Ob diese Akteure auch in einem polizei- und ordnungsrechtlichen Sinne verhaltens- und/oder zustandspflichtig wären, muss daher nicht im Einzelnen geprüft und bejaht werden. Die Inanspruchnahme der Wirtschaftsakteure im Sinne des § 2 Nr. 29 ProdSG ist verhältnismäßig, da sie mit der Bereitstellung nicht konformer Produkte auf dem Markt derart stark verbunden sind, dass kein Raum für die Inanspruchnahme anderer Akteure besteht.90 Erst wenn kein Wirtschaftsakteur in diesem Sinne in Anspruch genommen werden kann, ist das behördliche Auswahlermessen auf „jede andere Person“ gemäß § 27 Abs. 1 S. 2 ProdSG auszuweiten.91
bb) Auswahl bei mehreren Wirtschaftsakteuren als Adressaten
Das Auswahlermessen der Marktüberwachungsbehörden wird relevant, wenn mehrere Wirtschaftsakteure in Anspruch genommen werden können. In diesem Fall ist eine rechtmäßige Ausübung des Auswahlermessens durchzuführen, da immer nur ein Wirtschaftsteilnehmer Hersteller im Sinne des ProdSG für ein Produkt sein kann, wie noch zu zeigen sein wird.92
cc) Kein spezieller Vorrang eines Wirtschaftsakteurs
Das ProdSG enthält keine Aussage darüber, wer bei mehreren in Betracht kommenden Pflichtigen zur Abwehr heranzuziehen ist. Selbst die polizei- und ordnungsrechtlichen Grundnormen zur Gefahrenabwehr enthalten dazu keine Aussage. Somit sind die betroffenen Wirtschaftsakteure grundsätzlich gleichrangig heranziehbare Adressaten93 behördlicher Marktüberwachungsmaßnahmen nach § 26 Abs. 2, 4 ProdSG.94
Das Geräte- und Produktsicherheitsgesetz GPSG hingegen legte noch eine Reihenfolge fest. Danach sollte die Marktüberwachungsbehörde gemäß § 8 Abs. 5 S. 1 GPSG a.F. „Maßnahmen nach Absatz 4 vorrangig an den Hersteller, seinen Bevollmächtigten oder den Einführer richten“. Dieses sogenannte Werktorprinzip sollte zu einer quellnahen Bekämpfung unsicherer Produkte führen.95 Jedoch habe sich die vorrangige Heranziehung des Herstellers, seines Bevollmächtigten oder des Einführers nach der Gesetzesbegründung zum ProdSG in der Praxis nicht bewährt.96 In der Praxis konnte immer wieder beobachtet werden, dass Marktüberwachungsbehörden mit Untersagungsverfügungen dennoch an Händler herantraten, obwohl der Hersteller ohne Weiteres erreichbar wäre.97 Außerdem kennt auch die VO (EG) Nr. 765/2008 ein entsprechendes Vorrangprinzip nicht.98 Daher wurde die festgelegte Reihenfolge des GPSG im ProdSG bewusst nicht beibehalten und besitzt daher auch keine Ausstrahlungswirkung im Sinne einer historischen Auslegung auf das ProdSG.
dd) Der Effektivitätsgrundsatz
Damit auf der Grundlage des ProdSG allerdings effektiv Gefahren vor Produktrisiken abgewehrt werden können, ist bei der Störerauswahl der Effektivitätsgrundsatz99 vorrangig zu beachten. Das bedeutet, dass die Gefahrenbeseitigungsmaßnahmen zu einem raschen und wirksamen Abwehrerfolg führen müssen.100 Entscheidend ist, schnell einen gefahren- und störungsfreien Zustand zu erreichen.101 Im Produktsicherheitsrecht bedeutet dies eine Ausrichtung des Ermessens am Ziel, den Zustand der Nichtkonformität in Bezug auf das in Rede stehende Produkt wirksam zu beenden.102 Somit muss im Rahmen des Ermessens festgestellt werden, welcher Wirtschaftsakteur den festgestellten Verstoß am effektivsten abstellen kann.103
Im Rahmen der Abwägung innerhalb des Effektivitätsgrundsatzes ist des Weiteren auch das Verursacherprinzip zu beachten: Danach sind Maßnahmen, die an der Quelle, das heißt bei der Herstellung des gefährlichen Produkts, ansetzen, wirksamer als Maßnahmen im Einzelhandel, sodass der Grundsatz der quellnahen Überwachung von hoher Bedeutung ist.104 Indem das Produktrisiko an der Quelle, also beim Hersteller, bekämpft wird, kann das Inverkehrbringen des unsicheren Produkts nur durch einen Verwaltungsakt effektiv unterbunden werden. Folglich muss die Marktüberwachungsbehörde nicht mehrere, möglicherweise regional weit verstreute einzelne Händler identifizieren und zum Unterlassen der Inverkehrgabe der Produkte verpflichten. Das Erlassen eines Verwaltungsakts ist erheblich effektiver und zeitsparender als der Erlass mehrere Verwaltungsakte gegenüber verschiedenen Wirtschaftsakteuren. Gleiches gilt, wenn Produkte aus dem Markt zurückgerufen105 oder zurückgenommen106 werden müssen. Indem das Produktrisiko an der Quelle bekämpft wird, kann durch einen Verwaltungsakt gegenüber dem Hersteller der Rückruf oder die Rücknahme angeordnet werden, anstatt mehrere Händler dazu zu verpflichten.
Obwohl die gesetzliche Vorrangregelung abgeschafft wurde, sieht der Länderausschuss für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik (LASI) dennoch die quellnahe Bekämpfung mit ihrem Verursacherprinzip als Maxime in der effizienten Marktüberwachung, sodass Händler keinesfalls verstärkt in den Fokus der Marktüberwachungsbehörden gerückt werden sollen, sondern die Hersteller weiterhin die zentrale Person von Marktüberwachungsmaßnahmen darstellen sollen.107
ee) „andere Person“
Des Weiteren wird aufgrund der Konzeption des Ausnahmetatbestands für die Adressatenauswahl nach § 27 Abs. 1 S. 2 ProdSG deutlich, dass die Marktüberwachungsbehörden hinreichend bestimmte Kenntnis davon besitzen müssen, welcher Wirtschaftsteilnehmer Hersteller im Sinne des ProdSG ist. Nach § 27 Abs. 1 S. 2 ProdSG können im Ausnahmefall auch Wirtschaftsteilnehmer in Anspruch genommen werden, die keine Wirtschaftsakteure im Sinne des § 2 Nr. 29 ProdSG sind. Die Ausnahmeregelung des § 27 Abs. 1 S. 2 ProdSG stellt folglich eine Ausformulierung der Figur des sogenannten Nichtstörers dar. Diese Person ist für eine vorhandene Störung nicht verantwortlich. Deshalb darf gegen eine solche Person nur ausnahmsweise vorgegangen werden, wenn ein Vorgehen gegen einen Störer, das heißt einen legaldefinierten Wirtschaftsakteur, nicht möglich ist oder es keinen Störer gibt.108 Voraussetzung für die rechtmäßige Inanspruchnahme des Nichtstörers ist die Unmöglichkeit, das im Raum stehende ernste Produktrisiko „auf andere Weise“ abzuwehren. Mit diesem Tatbestandsmerkmal regelt der Gesetzgeber deutlich den – verfassungsrechtlich gebotenen – Vorrang der Inanspruchnahme der Wirtschaftsakteure nach § 2 Nr. 29 ProdSG.109 Folglich kann eine „andere Person“ nur dann rechtmäßig in Anspruch genommen werden, wenn Maßnahmen gegen den betroffenen Wirtschaftsakteur, insbesondere den Hersteller, nicht Erfolg versprechend sind. Um dies zu beurteilen, muss der Hersteller allerdings durch die Marktüberwachungsbehörde zunächst rechtssicher identifiziert werden können.