Kitabı oku: «Wege zum Heiligen», sayfa 2
Angst
Psalm 121
1 Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe?
2 Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.
3 Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen, und der dich behütet, schläft nicht.
4 Siehe, der Hüter Israels schläft und schlummert nicht.
5 Der Herr behütet dich; der Herr ist dein Schatten über deiner rechten Hand,
6 dass dich des Tages die Sonne nicht steche noch der Mond des Nachts.
7 Der Herr behüte dich vor allem Übel, er behüte deine Seele.
8 Der Herr behüte deinen Ausgang und Eingang von nun an bis in Ewigkeit!
(Luther 1984)
Andi Weiss
„Help, I need somebody“ – „Hilfe, ich brauche jemanden“ – heißt es in einem alten Song der Beatles. Ich kenne die Momente, die Stunden und Tage, an denen ich meiner Umwelt, meinem Leben, meinen Mitmenschen, ja auch mir selbst, schonungslos ausgeliefert bin. Ich suche nach Hilfe, nach einem Ort, der schützt, nach „jemandem“, der mir hilft.
Dieser „alte Song“ ist auch ein altes Lied der Menschheit. Ich weiß, es geht nicht nur mir so. Seit Jahrtausenden plagen sich Menschen mit dem Leben. Die Psalmen finden wunderbare Worte für die Höhen und Tiefen des Lebens. Hier der Jubel über Gottes Schöpfung – und dort der verzweifelte Schrei in der Not: „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe?“
Diese Worte sprachen die Wallfahrer, die nach dem Besuch des Tempels in Jerusalem am Stadttor standen, den Blick in die Heimat gerichtet, die Berge um Jerusalem vor Augen. In ihrem Herzen hatten sie die Gewissheit: Mein Lebensalltag, auch mein Glaubensalltag findet nicht im Tempel, nicht in der Kirche statt. Nach der geistlichen Stärkung im Tempel gilt es nun, zurück in den Alltag zu gehen. Dort findet das Leben statt. Das machte sie auf der einen Seite hoffnungsvoll, auf der anderen Seite aber warteten auch einige Bedrohungen auf sie.
Ungewissheit lässt Menschen unsicher werden. Das macht Angst. Auf dem Weg zurück lauern Gefahren! Damals wie heute – auch wenn die wilden Tiere auf dem Weg zwischen Kirche und Zuhause deutlich seltener geworden sind. Es sind auch nicht nur äußerliche Gefahren, die Leib und Leben bedrohen. Es ist die zarte Flamme des Glaubens, die in die Woche hinübergerettet werden will. Es ist das Heilige, das unfassbar Vollkommene, das nun Einzug in unsere unvollkommene Welt halten soll. Die Probleme der Menschen haben sich vielleicht geändert, die Angst der Menschen vor den Problemen allerdings nicht. Da kommt die Frage auf: „Woher kommt mir Hilfe? Wem kann ich mich anbefehlen?“
Und noch eines ist auch klar, die Beatles hatten recht: „Help, I need somebody – but not just anybody“, nicht jeder, nicht irgendjemand kann mir helfen. Nicht jede x-beliebige Person kann mich aus den Wirren des Lebens herausführen. Ich brauche jemanden, der mich versteht, der nachvollziehen kann, warum es mir gerade jetzt so geht, wie es mir geht. Oft merke ich, wenn ich in meinem Umfeld versuche, meine Angst und meine Sorgen mit anderen zu teilen, dann glaubt man mir das nicht. Mir, dem Andi Weiss, der immer fröhlich und locker einen flotten Spruch auf Lager hat. Da frage ich mich selbst oft mit Dietrich Bonhoeffer: „Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen? Oder bin ich nur das, was ich selbst von mir weiß? Unruhig, sehnsüchtig, krank, wie ein Vogel im Käfig ...?“11
Unsere Welt ist verschoben. Unser Wunsch ist es, „gesund“ zu sein. Und so kramen wir Erfolge heraus und polieren unsere Pokale. Wer bekommt denn schon einen Orden in seinem Alltag, im Beruf und auch in seiner Kirchengemeinde, wenn er laut zu seinen Fehlern und Schwächen steht? Da zählen wir doch lieber selbstbewusst unsere Errungenschaften auf: „Mein Haus, mein Auto, mein Garten ...“ Was würde denn passieren, wenn wir, anstatt ausschließlich von unserem Vermögen, unseren Siegen und Glücksmomenten zu reden, das Spiel einmal umdrehen und ehrlich erzählen würden, was uns belastet und bedrückt? Wie würden sich unsere Beziehungen verändern, wie gut könnten wir uns gegenseitig unterstützen, ermutigen und helfen, wenn wir anfangen würden, offen über unsere Berge zu sprechen: „Mein Watzmann, meine Zugspitze, mein Matterhorn ...“?
Und doch, so einfach geht das nicht. Wer Angst hat, für den ist seine Angst realistisch. Da helfen nicht allein gute Worte. Ein jüdisches Sprichwort sagt: „Schwerer, als Israel aus dem Exil zu holen, ist es, das Exil aus Israel zu holen.“ Ich spüre, diese Worte gelten auch mir.
Der österreichische Psychotherapeut Victor Frankl glaubte, dass die größte Angst des Menschen darin bestehe, sich letztendlich selbst überlassen zu sein. Und so fordert er: „Der Patient soll lernen, der Angst ins Gesicht zu sehen, ja ihr ins Gesicht zu lachen.“12
Doch wie geht das? Da haben sich Denkmuster eingeschlichen. Da weiß man – oder eher meint man zu wissen –, was man kann und was nicht. Da kommen schier unüberwindbare Aufgaben auf einen zu, man fühlt sich in die Ecke getrieben, die Hände werden feucht, und das Selbstbewusstsein ist maßlos überfordert.
Die meisten Psalmen, die wir kennen, sind Gebete, also Gespräche zwischen einem Menschen und Gott. Der Psalm 121 ist ein Gespräch zwischen zwei Menschen. Da wünscht der eine dem anderen für seine Reise Gottes Nähe und seinen Segen. Zu Beginn heißt es: „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe?“ Und der andere antwortet erinnernd: „Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat!“
Als Christen befehlen wir Gott unser Leben in der Taufe an. Wir bitten Gott um seinen Schutz und um seine lebenslange Begleitung. Martin Luther schreibt in seinem kleinen Katechismus: „Ich glaube, dass ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann; sondern der Heilige Geist hat mich durch das Evangelium berufen, mit seinen Gaben erleuchtet, im rechten Glauben geheiligt und erhalten; gleichwie er die ganze Christenheit auf Erden beruft, sammelt, erleuchtet, heiligt und bei Jesus Christus erhält im rechten, einigen Glauben; in welcher Christenheit er mir und allen Gläubigen täglich alle Sünden reichlich vergibt ...“
Wir dürfen immer wieder zu Gott kommen, mit allen unseren Stärken und Schwächen, mit unserem Glauben und unseren Zweifeln. Wir dürfen uns Gott immer wieder anbefehlen. Manchmal ist das ein starkes: „Gott, dir befehle ich mich an!“, manchmal ein zögerndes: „Gott, du hilfst doch, oder?“
Ich habe in einer alten Taufliturgie aus Siebenbürgen ein besonderes Ritual gefunden, das in einfachen Worten unseren Glauben beschreibt. Da wird der Säugling dreimal mit folgenden Worten mit einem Kreuz gezeichnet: „Nimm hin das Zeichen des Heiligen Kreuzes an deiner Stirn, damit du Jesus Christus erkennst. Nimm hin das Zeichen des Heiligen Kreuzes an deinem Mund, damit du Jesus Christus bekennst. Nimm hin das Zeichen des Heiligen Kreuzes an deinem Herzen, damit Jesus Christus in deinem Herzen wohnt und du dir den Glauben an ihn bewahrst.“
Diese drei gezeichneten Kreuze symbolisieren in ganz einfacher Weise unseren Glauben: Das Erkennen, das Bekennen und das Bewahren. Ich möchte diese drei Punkte genauer durchdenken.
Erkennen
Kennen Sie Berge in Ihrem Leben? Berge, die uns Sorgen bereiten, sich hoch über uns auftürmen und uns die Lust am Leben nehmen? Vielleicht sind es die Papierberge auf Ihrem Schreibtisch? Eine ganze Woche haben Sie sich engagiert Ihrer To-do-Liste gewidmet, Aufträge abgearbeitet und sogar die Mittagspausen durchgeackert. Aber am Ende der Woche scheinen die Arbeitsberge noch genauso hoch zu sein wie zu Beginn. Oder sind es die Berge des Selbstzweifels? Auf der einen Seite steht die Aufgabe, auf der anderen stehen die Berge der Festlegung durch andere Menschen: „Das kannst du doch sowieso nicht! Dafür bist du viel zu jung ..., fehlt dir die richtige Ausbildung ..., bist du zu dumm ...“ usw. Oder sind es die Berge, die sich zwischen zwei Menschen schieben? Zwischen Ehepartner, zwischen Eltern und Kinder, zwischen Freunde oder Arbeitskollegen? Man hat aufgehört, miteinander zu reden, und irgendwann konnte man nicht mehr miteinander reden.
Wie sehen die Berge in Ihrem Leben aus? Und wie gehen Sie damit um? Wir legen ein Menschenleben bei der Taufe in Gottes Hände, weil wir wissen, dass wir sie brauchen. Woher kommt meine Hilfe? Meine Hilfe kommt vom Herrn. Dem fernen und doch so nahen Gott.
Mich faszinierten als Kind die uns unbekannten Bräuche und Riten, wenn wir als protestantische Kinder in katholische Schulgottesdienste gingen. Das Bekreuzigen mit Weihwasser und der Knicks beim Eintritt in die Kirche bewegten mein Kinderherz. Dieser würdevolle Umgang erzählte mir wortlos von der Heiligkeit dieses Ortes. Als ich dann eines Tages sah, wie auch der Bürgermeister unserer Stadt einen demütigen Knicks vor dem Altar machte, wusste ich: in diesem Haus musste eine ganz wichtige Person wohnen.
Ich kannte das Urvertrauen zu dieser unfassbaren Heiligkeit aus vielen Geschichten und Liedern. Ich fühlte mich tatsächlich geborgen und gut aufgehoben in den großen Armen dessen, der die Welt in seinen Händen hält. Diese mir in Kindertagen geschenkten und tief verwurzelten Bilder habe ich mit durch die Wirren meines Lebens genommen. In Stürmen und vor großen, Angst einflößenden Bergen wusste ich: „Der Wolken, Luft und Winden, gibt Wege, Lauf und Bahn. Der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann.“
Ich teile die Erfahrung der alten und neuen Psalmsänger. Ich fühle mich mit denen verbunden, die dankbar auf die Rettungsaktionen vergangener Tage zurückblicken und so eine tiefe Glaubensgewissheit für das ungewisse Morgen entfalten. Und doch ertappe ich mich dabei, Gott zu instrumentalisieren. Ich würde so gerne über seine Allmacht verfügen und festlegen, wie und wo und wann er zu handeln hat. Dabei rauschen seine Botschaften an mir wie auf einer Datenautobahn vorbei, und ich bleibe blind für seine schöpferische Kraft in meinem Leben. Heiliges bleibt fern und ungreifbar. Nicht wie ein sanft bewahrtes, heiliges Geheimnis, ein gut behüteter Schatz des Glaubens – sondern mehr wie ein unausgepacktes Geschenk, lieblos unterm Tannenbaum vergessen.
Mir geht es wie dem frommen Mann, der in einem Sumpf zu versinken droht. Aus tiefstem Herzen ruft er zu Gott: „Herr, hilf mir! Errette mich! Zieh mich aus dem Sumpf!“ Da kommt ein Feuerwehrwagen vorbeigefahren. Ein Feuerwehrmann bietet ihm seine Hilfe an, doch der Mann winkt dankend ab: „Nein, nein! Gott wird mir da schon heraushelfen!“ Die Feuerwehr fährt weiter, und der Mann beginnt wieder zu beten. Doch statt einer himmlischen Rettungsaktion versinkt er nur immer tiefer in dem Sumpf. Als er schon bis zum Bauch im Matsch steht, kommt erneut die Feuerwehr vorbeigefahren und bietet ihm an, ihn aus dem Schlamm zu ziehen. Wieder bedankt er sich für die angebotene Hilfe, verweist aber auf seinen himmlischen Vater, der ihm wohl schon noch rechtzeitig helfen wird. Wieder fährt die Feuerwehr weiter, wieder sinkt der Mann tiefer, und wieder geschieht nicht das erhoffte Wunder. Das Schauspiel wiederholt sich auch noch ein drittes Mal. Obwohl der fromme Mann nun schon bis zum Kinn im Sumpf versunken ist, nimmt er auch dieses Mal das Rettungsangebot nicht an. Und so ertrinkt der Mann und steht schon kurze Zeit später vor seinem Schöpfer. Wutentbrannt will er nun Gott zur Rechenschaft ziehen: „Wieso hast du mir nicht geholfen? Dreimal kam die Feuerwehr! Dreimal habe ich dich nicht verraten, wie Petrus damals deinen Sohn! Ich habe zu dir gehalten, habe meinen Glauben bekannt! Und du? Du hast mich sterben lassen!“ Da antwortete Gott: „Mein lieber Sohn! Ich kann deinen Ärger nicht verstehen, ich habe dir dreimal die Feuerwehr vorbeigeschickt, und du hast dir nicht helfen lassen!“
Bekennen
Es gibt ganz unterschiedliche Formen, wie Menschen ihren Glauben bekennen. Laut und leise, mehr oder weniger echt, mit viel und wenig Leidenschaft, nachvollziehbar und abgehoben, mit weitem Herzen oder dränglerisch. Ich erinnere mich gerne an das Gespräch zweier Damen, das ich einmal während eines gemeinsamen Essens miterlebte.13
Neben mir saßen zwei Frauen, deren Alter ich nur schätzen kann. Die eine Frau, vielleicht fünfzig – sehr missionarisch, wie man schnell merkte – konfrontierte ihr kauendes Gegenüber, vielleicht achtzig Jahre alt, mit der Frage: „Wann haben Sie sich denn für den Herrn Jesus entschieden?“ Das Kauen der alten Dame wurde plötzlich schneller, die Augen wurden größer, und die Stirn legte sich in Falten. Dann war die Frage wohl nicht richtig gestellt, dachte sich die Jüngere und wiederholte ihre Frage: „Wann haben Sie denn dem Herrn Jesus Ihr Leben übergeben?“ Ich wusste nicht, dass das Kauen noch schneller gehen konnte, die Augen noch größer werden konnten und die Stirn noch eine Falte mehr vertrug. Irgendwann hatte die Frau den Bissen runtergeschluckt und meinte: „Entschieden? Leben übergeben? Ich wusste gar nicht, dass man sich dafür entscheiden muss!“ „Nicht? Dann kommen Sie in die Hölle!“, war die klare Antwort, und als die jüngere Frau sie dann zu diesem „Schritt“ überreden wollte, fing die ältere Frau an zu erzählen. Nein, sie argumentierte nicht, stritt nicht, rechtfertigte oder verteidigte sich nicht. Sie zog keinen dicken dogmatischen Wälzer aus ihrer Handtasche und las daraus das Kapitel: „Warum ich so glaube, wie ich glaube“ vor. Ganz anders. Sie erzählte.
Ihre Geschichte begann vor vielen Jahren, mitten im Leben. Normal und völlig gewöhnlich. Sie erzählte von ihrem Konfirmandenunterricht und von ihrem Pfarrer, der ihr beigebracht hatte, dass „glauben“ nichts anderes als „mit Gottes Versprechen leben“ heißt. Sie zitierte ihren Konfirmationsspruch aus Psalm 121: „... der dich behütet, schläft und schlummert nicht!“ „Dieser Spruch“, erzählte sie weiter, „hat mich ein ganzes Leben lang getragen.“ Und dann erzählte sie vom Krieg und den Bomben und den Sirenen, die nachts anfingen. Alle mussten in den Keller laufen und hatten große Angst. Wird unser Haus getroffen? Überleben wir die Nacht? Trotz dieser großen Angst wusste die Frau: „... der mich behütet, schläft und schlummert nicht“. Dann erzählte sie von dem schrecklichen Autounfall, bei dem ihre Eltern umkamen. Beide an einem Tag. „Meine Eltern hatten mir so viel ermöglicht und gezeigt, wie man mit festen Schritten den Weg ins Leben findet. Und plötzlich waren sie weg – beide. Und ich stand am Grab und weinte. Ich habe mich so allein, so verlassen gefühlt. Aber eines wusste ich: Der mich behütet, schläft und schlummert nicht!“ Sie lernte einen Mann kennen. „Ein toller Kerl! Er konnte Dinge, die ich nicht konnte, und ich konnte Dinge, die er nicht konnte! Es gab eine Zeit, da konnten wir uns gar nicht vorstellen, dass wir uns einmal nicht gekannt haben!“ Doch dann stirbt der Mann an einer schrecklichen Krankheit, und wieder ist die Frau auf sich allein gestellt. Ihr Sohn besucht sie kaum. Vor ein paar Monaten hat er seine Arbeitsstelle verloren. Sein Chef hatte ihn so oft abgemahnt und ihm den Rausschmiss angedroht, wenn er noch einmal betrunken zur Arbeit kommen würde. „Nur wenn er Geld braucht, dann taucht er auf!“ Resigniert schaute sie in die Ferne. „Und heute“, sagte sie tapfer, „heute habe ich einen müden Körper. Ich bin ganz ehrlich, ich merke, ich bin alt und einsam geworden. Manchmal liege ich auf meinem Bett und weine. Aber eines weiß ich mein ganzes Leben lang: Gott hat mir versprochen, mich immer zu begleiten! Denn der mich behütet, schläft nicht! Das steht fest!“
Am Ende dieser Erzählung ist es an unserem Tisch still geworden. Die alte Frau hat mit ihrer Geschichte, mit ihrem Leben, so manchen zum Schweigen, zum Nach-Denken gebracht – auch mich.
Dietrich Bonhoeffer schreibt: „Wenn man völlig darauf verzichtet hat, aus sich selbst etwas zu machen – sei es einen Heiligen oder einen bekehrten Sünder oder einen Kirchenmann, einen Gerechten oder Ungerechten, einen Kranken oder Gesunden – und dies nenne ich Diesseitigkeit, nämlich in der Fülle der Aufgaben, Fragen, Erfolge und Misserfolge, Erfahrungen und Ratlosigkeiten leben –, dann wirft man sich Gott ganz in die Arme, dann nimmt man nicht mehr die eigenen Leiden, sondern das Leiden Gottes in der Welt ernst, dann wacht man mit Christus in Gethsemane, und ich denke, das ist Glaube, das ist ,Umkehr‘; und so wird man ein Mensch, ein Christ!“14
Mich bewegt dieser unerschütterliche Glaube der alten Dame. Das Vertrauen darauf, dass Gott es gut mit mir meint, auch wenn die Erlebnisse meines Lebens scheinbar dagegen sprechen. Gott ist für mich, auch wenn er – aus meiner Sicht –nicht alle meine Gebete erhört. Das ist auch mein Glaube, meine Gewissheit: „Der mich behütet, schläft und schlummert nicht.“ Ich erzähle diese Geschichte sehr gerne bei meinen Konzerten und singe dazu mein Lied „Glauben“15.
Bewahren
In Psalm 121,7 heißt es: „Der Herr behüte dich vor allem Übel, er behüte deine Seele. Der Herr behüte deinen Ausgang und Eingang von nun an bis in Ewigkeit!“ Diese Worte können sehr leicht missverstanden werden und zu Enttäuschungen führen. Was wünscht denn hier der eine Mensch dem anderen? „Der Herr behüte dich vor allem Übel?“ Gerade ältere Menschen werden uns wohl Brief und Siegel darauf geben können, dass auch das Leben als Christ mit Übel und Schwierigkeiten geplagt sein kann. Aber was bedeutet es denn dann, „behütet“ zu sein? Da kommt ein Kind aus einem „behüteten“ Elternhaus, sagen wir und meinen Kinder, die bei verwandtschaftlichen Antrittsbesuchen Männchen machen, Pfote geben und alle Bundesländer und ihre Hauptstädte aufsagen können. Meint das der Psalm mit dem Wunsch „der Herr behüte dich“?
Es heißt weiter: „... er behüte deine Seele!“. Martin Luther sagt in seiner Auslegung zu diesem Psalm: „Ob du ruhst oder tust, so ist der Herr gegenwärtig. Zu keiner Zeit also, an keinem Ort, vor keiner Person und keinem Dienst sollst du erschrecken und sorgen. Das heißt, den Sinn des ganzen Psalms in universaler Kürze zusammengezogen, als wollte er sagen: Ich bin der Schöpfer (des) Himmels und der Erde und darum auch der Hüter deines Leibes und deiner Seele Tag und Nacht und Vertreiber alles Unglücks. Das heißt den Glauben lehren, der nicht als eine kalte Qualität in der Seele liegt ...“16
Der Glaube ist keine „kalte Qualität“ in unserer Seele. Ein schönes Bild, wie ich finde. „Da rührt sich was!“, sagt man, um Lebendigkeit zu beschreiben. Keine starren Gesetze und vorgefertigten Lebensziele, sondern die individuelle Begleitung des Einzelnen. Keine oberflächlichen Beurteilungen, sondern der tiefe Blick ins Eigentliche.
Sorgen Sie sich um Ihre Seele? Ich meine, kümmern Sie sich um Ihr Innenleben? Der Psalm lädt uns ein, das Leben auszukosten, loszuziehen und unsere Umwelt zu entdecken. Wer den Sprung ins Leben wagt, wird feststellen, dass „das Leben zu leben“ auch seinen Preis hat. Da werden sich am Ende unserer Lebensreise viele schöne Stunden, aber auch so manche dunklen Täler angesammelt haben. Erfolge wie Niederlagen. Tränen der Freude und der Trauer. Lach- und Sorgenfalten. Das Leben ist bunt, und derjenige wird es leben und lieben lernen, der sich mit ganzer Leidenschaft hineingibt. Auch auf die Gefahr hin, dass sich manche Entscheidung im Rückblick als falsch herausstellt.
Am Schluss heißt es aber dann: „Der Herr behüte deinen Eingang und Ausgang.“ Menschen sind sich meistens bewusst, dass ihr Leben einen Anfang und ein Ende hat. Aber da ist noch mehr: Christen sind sich bewusst, dass ihr Anfang und ihr Ende behütet und getragen ist. Und so mache ich mich erneut, wie zu Beginn, mit Dietrich Bonhoeffer auf die Suche: „Wer bin ich?“ Ich fühle mich nicht nur durch seine Frage verstanden, auch entlasten mich seine ahnenden Gedanken: „Bin ich denn heute dieser und morgen ein andrer? Bin ich beides zugleich? Vor Menschen ein Heuchler und vor mir selbst ein verächtlich wehleidiger Schwächling?“ Und so findet er eine Antwort, die unter Schmerzen ihre heilsame Kraft entfaltet: „Wer ich auch bin, du kennst mich, dein bin ich, o Gott!“
So bleibt für mich der Glaube ein leises „dem Vogel die Hand hinhalten“, ein Gehörtwerden – dann, wenn ich mich selbst nicht mehr hören kann. Eine Hoffnung über alle Berge meines Lebens hinweg, ein ge-halt-volles Leben mit einem Gott, der sich mir in seiner Heiligkeit, unverfügbar, undefinierbar, unkalkulierbar und trotzdem unvorstellbar liebevoll in den Weg stellt, der „nicht schläft und nicht schlummert“, sondern bei mir bleibt – vom Anfang an bis zu meinem Ende.
Andi Weiss, Diakon der evangelischen Paul-Gerhardt-Gemeinde in Laim, ist unterwegs als Liedermacher, Autor und Moderator.
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