Kitabı oku: «Oh mein Gott!», sayfa 2
Wie der Ochs vor der Tora
Mein erster Besuch in einer Synagoge
»Sie halten das Ganze ja verkehrt. So rum.«
Peinlich berührt drehe ich unter Beobachtung des Oberrabbiners die Tora auf die richtige Seite. Hebräisch wird von rechts nach links geschrieben und gelesen, was ganz schön verwirrend sein kann.
Es ist 7 Uhr früh, ich befinde mich zum ersten Mal in einer Synagoge. Nicht mit einer Führung, nein, ich habe mich zum jüdischen Morgengebet im Wiener Stadttempel eingefunden. Dieser liegt wenige Schritte von der U-Bahn-Station Schwedenplatz entfernt, in der Seitenstettengasse. Hier befinden sich auf der einen Seite einige Fortgehlokale des sogenannten Bermuda-Dreiecks, in dem bis spät in der Nacht das Partyleben tobt. Auf der anderen Seite dieser Gasse steht die Hauptsynagoge Wiens. Für die jüdische Gemeinde ist sie jener Ort, an dem sie mit Gott den inneren Dialog sucht, betet und Ruhe und Stärke in ihrem Glauben findet. Obwohl, ganz ruhig ist es auch hier in der Synagoge nicht.
Die jüdische Gemeinde ist eine lebendige und aktive, das wird mir sehr bald klar. Kurz vor 7 Uhr stehe ich vor dem englischsprechenden Security, dem ich meinen Pass zeige. Der schaut noch etwas skeptisch, dann kommt auch schon der Oberrabbiner. Er spricht ein paar Worte mit dem Security auf Hebräisch, ich bekomme den Pass zurück und werde reingelassen. Es ist tatsächlich genau eine Minute vor 7 Uhr. Das Zeitmanagement von Paul Eisenberg ist beeindruckend. Ich folge dem Oberrabbiner, der flott vorangeht und gleich Anweisungen gibt wie: »So, da hängen Sie schnell Ihren Mantel auf«, und dabei deutet er auf die Garderobenständer, und dann: »Kommen Sie, es geht los.« Ich folge nicht nur dem Oberrabbiner, sondern auch den hebräischen Gebetslauten, die aus dem Inneren der Synagoge dringen. Nach dem Foyer biegen wir links ab und stehen im großen Tempel der Synagoge. Wenn ich in die Rundungen schaue, fühle ich mich fast wie in einem vergoldeten Theater oder kleinen Opernhaus. Die Bänke links und rechts vom Mittelgang sind wie in den katholischen oder evangelischen Kirchen aufgebaut und es gibt auch einen Altar, wo bereits der Vorbeter steht, mit dem Gesicht vor einem Schrein und mit dem Rücken zu den Leuten. Von ihm kommen also die Gebetslaute, die schon von draußen zu hören waren. Beeindruckt vom Ambiente hülle ich mich in ein weiß-blaues Tuch, dem sogenannten Tallit. Meine Kippa, die ich am Eingang der Synagoge bekommen habe, trage ich bereits auf dem Kopf.
Ich versuche, mich so unauffällig wie möglich zu verhalten. Was natürlich nicht gelingt, da die jüdische Gemeinschaft eine sehr kleine ist und heute scheinbar nicht mehr als zwölf Juden zum Morgengebet erschienen sind. Auch wenn die meisten dieser zwölf bereits im Gebet versunken sind, werde ich sofort von ihnen wahrgenommen. Die Mitglieder der jüdischen Gemeinde tragen ebenso dieses weiß-blaue Tuch, die meisten von ihnen haben auch noch ein schwarzes Lederband um den linken Arm gewickelt. Das müssen die Gebetsbänder sein, von denen der Oberrabbiner gestern gesprochen hat. Zusätzlich tragen alle noch etwas auf der Stirn. Was auch immer das ist, es sieht von meinem Platz aus wie eine GoPro-Kamera, aber es handelt sich dabei um einen Kopftefillin, wie ich später in Erfahrung bringe. Das schwarze Lederband gehört zum Handtefillin.
Tefillin bedeutet Gebetsriemen und setzt sich aus zwei kleinen Schachteln zusammen, die Pergamentstücke mit ausgewählten Texten aus der Tora enthalten. In der Tora gibt es vier Stellen, die darauf hinweisen, dass die Juden ein Symbol auf ihrer Hand und zwischen ihren Augen setzen sollen, das sie daran erinnert, dass Gott sie aus der Sklaverei in Ägypten befreit hat. Die Tefilla vor der Stirn bedeutet geistige Loyalität, während die Tefilla in der Hand den Juden daran erinnert, dass er Gott mit aller Macht und Kraft dienen muss. Die kleinen Schachteln sind an ledernen Riemen befestigt, die natürlich von koscheren Tieren stammen. Bei Rechtshändern muss dieser Gebetsriemen siebenmal um den linken Arm gewickelt werden, bei Linkshändern eben um den rechten Arm, da der Psalmvers im Hebräischen aus sieben Wörtern besteht. Damit noch lange nicht genug, muss das Ende der Riemen noch dreimal um die Hand und dreimal um den Mittelfinger gewickelt werden, denn so entsteht die Form des hebräischen Wortes Schadai, was nichts anderes als Gott bedeutet.
Allein an den letzten Zeilen merkt man schon, dass es selbst für einen Juden schwer ist, Jude zu sein, also kann man sich ungefähr vorstellen, wie es mir gerade in der Synagoge geht. Ich fühle mich wie ein Kleinkind, das zum ersten Mal versucht zu stehen und dabei nicht umzufallen.
Ich beobachte die Gläubigen beim Ausführen ihrer Gebete. Mein Versuch, mich einfach still und heimlich in die letzte Reihe zu stellen und nicht aufzufallen, scheitert kläglich, als ein Mann hinter mir, der etwas später gekommen sein muss, sagt: »Da kannst du nicht sein. Dieser Platz ist für mich reserviert.« Ich bitte um Entschuldigung, gehe zwei Reihen weiter vor und etwas weiter nach links, drehe mich um und frage, ob das passt. Er nickt. Durch diese Szene sind alle auf mich aufmerksam geworden und ein Gemurmel hat begonnen. Jetzt bin ich nicht nur verunsichert, sondern auch ängstlich.
Der Mann hinter mir, dem ich seinen Platz weggenommen habe, fühlt sich auch dazu berufen, herauszufinden, was ich wirklich hier tue. Er kommt zu mir vor und fragt:
»Bist du ein Levi?«
Ich kenne Levi bisher nur als finnischen Austragungsort für einen Weltcup-Slalom. Das sage ich aber nicht, ansonsten könnte er noch meinen, ich spreche Shalom, das hebräische Wort für Frieden, falsch aus. In meiner Panik schüttle ich einfach nur den Kopf. Der Mann wendet sich von mir ab und geht wieder zurück an seinen Platz. Zum Glück habe ich in meiner Not nicht Ja gesagt, denn Levi bezieht sich in diesem Fall auf die Leviten, die auch als eigene Gruppe im religiösen Judentum existieren, und die haben beim Lesen der Tora Vortritt vor allen anderen Juden.
Noch nie in meinem Leben habe ich mich so deplatziert, so ahnungslos, so fremd gefühlt. Es ist eine ganz besondere Erfahrung, und die Flucht nach vorne, also sicheres Auftreten bei völliger Ahnungslosigkeit, ist hier fehl am Platz, weil ich sofort durchschaut werden würde, ja, schon längst durchschaut wurde. Der Oberrabbiner scheint meine Unsicherheit nicht nur zu spüren, er sieht sie wohl auch. Er kommt vom Altar herunter und sagt in die Runde: »Er wird heute unserem Morgengebet beiwohnen, und um 8 Uhr werden wir ihn dann beschneiden.«
Das erheitert alle bis auf mich, meine Verkrampfung löst sich nicht wirklich durch diesen Scherz. Zumindest bete ich, dass es ein Scherz war. Immerhin verändert sich durch das Einschreiten des Oberrabbiners etwas unter den Gläubigen, ein paar von ihnen beginnen mir plötzlich zu helfen, ich habe nun eine Tora vor mir, die eine deutsche Übersetzung hat, während auf der rechten Seite die fünf Bücher Mose in hebräischer Schrift abgedruckt sind. Das Ganze nützt mir aber nichts, weil auf Hebräisch gebetet wird. Hinter mir wird mir dauernd zugerufen, Seite 69, Seite 48, Seite 98, es wird sehr viel hin- und hergesprungen zwischen den Seiten, das ist das Einzige, was mir auffällt. Zusätzlich stehe ich einfach immer auf, wenn alle anderen aufstehen und setze mich wieder hin, wenn alle anderen sich auch hinsetzen. Das machen übrigens viele Katholiken in ihrer eigenen Kirche auch nicht anders. Als jemand beginnt, Opfergeld einzusammeln, erinnert mich das ebenfalls an den katholischen Gottesdienst. Das ist meine Chance, mich etwas beliebt zu machen, und ich spende zehn Euro. Den Mann zwei Reihen hinter mir beeindruckt das scheinbar gar nicht, er zückt einen grünen Schein und spendet hundert Euro. Dafür weiß er im Gegensatz zu mir wenigstens, für wen oder was er gespendet hat.
Ich will gerade in der Tora weiterlesen, als von der Seite schon wieder jemand ruft: »Seite 54 sind wir schon.« Der Oberrabbiner schreitet ein, gibt mir ein anderes Buch und sagt: »Nimm das, und lies einfach etwas darin.« Das mache ich, aber wenig später kommt der Mann hinter mir wieder und sagt: »Das ist das falsche Buch.« »Aber der Oberrabbiner hat es mir in die Hand gedrückt und gesagt, ich soll darin lesen«, versuche ich mich zu entschuldigen. Das Argument zählt: »Gut, wenn das der Oberrabbiner sagt, dann passt das. Der Oberrabbiner ist schlauer als alle anderen.« Dann geht er wieder zurück an seinen Platz. Überhaupt ist der jüdische Gottesdienst ein sehr lebendiger. Es wird ein paar Minuten lang innig gebetet, dann geht der eine zum anderen und bespricht etwas. Es geht nicht nur um die Auslegung der Tora, sondern auch um ganz banale Sachen wie darum, wer wo Silvester verbringt. Und dabei zieht man sich oft gegenseitig auf.
Plötzlich betritt ein orthodox aussehender Jude die Synagoge. Er ist ganz in Schwarz gehüllt, trägt einen schwarzen Hut und einen langen Bart, und beginnt, alle zu segnen. Ich kann von verschiedenen Seiten das Wort »meschugge« hören. Jetzt bin ich an der Reihe, ich werde auch gesegnet, aber es passiert nicht umsonst, er will Geld von mir. Ich weiß nicht, ob das ein bestimmtes Ritual ist oder nicht, auf jeden Fall bin ich jetzt meinen zweiten Zehner los.
Der Oberrabbiner kommt erneut vom Altar runter in den Gang. »Der kommt einmal im Monat in die Synagoge und segnet uns, das kostet fünf Euro. Ich sehe, du hast ihm zehn Euro gegeben, auch gut, kann er dich zwei Mal segnen.« Ich bekomme so meinen zweiten Segen und der Oberrabbiner sagt zu mir: »Vielleicht nützt es nichts, aber schaden tut es auch nicht.«
Ernster wird es dann wieder bei der wichtigsten Passage des Morgengebets. Die Tora wird ausgehoben. Sie scheint sehr schwer zu sein, denn beim Rausholen der Tora packen gleich drei Leute mit an.
Danach werden Gläubige eingeladen, die Tora zu berühren. Nachdem die Tora wieder in den Schrein gewandert ist, scheint das Morgengebet langsam sein Ende zu finden. Ich habe viele aufregende Momente hier erlebt und dabei das Gefühl für Zeit und Raum verloren. Es könnte auch schon Nachmittag sein, so viel ist passiert. Der Oberrabbiner packt jedoch seine Sachen zusammen und geht den Mittelgang in Richtung Ausgang, nicht ohne seinen Abgang mit seinem typischen Humor zu verfeinern. Er bleibt neben mir stehen und sagt: »So, du bist jetzt ein frommer Jude, du musst noch bleiben. Ich bin Oberrabbiner, ich darf schon gehen.« Wenig später sind aber auch die anderen am Weg nach draußen. Und dort wartet noch eine kleine Überraschung. Weil Chanukka ist, gibt es für jeden einen Krapfen und, zu meiner Verwunderung, auch einen Wodka. Und das um 8 Uhr früh. Langsam beginnt mir das Judentum richtig zu schmecken. Ob mir auch die Umstellung auf die koschere Ernährung gelingt, wird sich zeigen.
Ich bin ganz koscher
Wenn das Neujahrsschwein Glück hat
Ein paar Frankfurter mit einem Pita-Brot und einem Bier dazu, das ist mein heutiges Abendmenü. Und es ist durch und durch koscher. Die Frankfurter Würste sind nicht aus Schweinefleisch, sondern vom Truthahn und außerdem von einem koscheren Fleischer hergestellt. Das Pita-Brot, wie Brot und Gebäck im Allgemeinen, ist auch koscher. Außer es wird gerade Pessach gefeiert, jenes Fest im Judentum, das an den Auszug aus Ägypten, also die Befreiung der Israeliten aus der ägyptischen Sklaverei erinnert. In dieser Zeit sind Buchweizen, Roggen, Weizen, Gerste und Hafer und logischerweise alle Produkte, die daraus gemacht werden, also zum Beispiel Bier, verboten. Die Israeliten waren beim Auszug aus Ägypten derart in Eile, dass keine Zeit mehr blieb, ungesäuertes Brot herzustellen.
Da ich meine Zeit als Jude nicht zu Pessach verbringe (im Übrigen bedeutet das so viel wie hinwegschreiten oder verschonen) ist dieses Thema für mich sozusagen gegessen. Dafür habe ich aber viele andere Fragen an den Oberrabbiner, die ich ihm bei einem unserer Treffen im Café Hawelka stelle.
»Brauche ich einen zweiten Kühlschrank?«
»Nein, den brauchen Sie nicht.« Nach meinem durchaus überraschten Blick führt Paul Eisenberg fort: »Sehen Sie, haben Sie schon wieder Geld gespart. Es reicht, wenn Sie das Fleisch in einer eigenen geschlossenen Box im Kühlschrank getrennt von den Milchprodukten aufbewahren.«
»Brauche ich ein eigenes Geschirr und ein eigenes Besteck für Milch- und Fleischprodukte?«
Der Oberrabbiner nickt. »Das brauchen Sie. Die Vermischung von Milch- und Fleischprodukten passiert erst so richtig durchs Kochen. Obst und Gemüse hingegen sind neutral, die können Sie immer essen.«
Beim ersten Mal Hören klingt das alles viel komplizierter, als es ist. Vereinfacht merke ich mir, Fleisch und Milch werden ganz getrennt, ob im Kühlschrank, beim Kochen, in den dazugehörigen Kochtöpfen oder auf den Tellern.
Warum aber das Ganze? Nun, die Antwort ist, wie immer im Judentum, in der Tora zu finden. Dreimal schreibt sie vor, ein Böcklein nicht in der Milch seiner Mutter zu kochen (Exodus 23,19; 34,26 sowie Deuteronomium 14,21).
Damit wieder zurück zum Oberrabbiner und meinen Fragen. »Ich habe im Internet eine Liste gefunden, in der unzählige koschere Produkte aufgezählt sind. Was hat es mit der auf sich?«
»In der Bibel gibt es eine ganze Liste. Aber wenn Sie koscher leben wollen, dann gehen Sie ganz einfach in die koschere Bäckerei, in die koschere Fleischerei, oder in Geschäfte, wo andere koschere Produkte sind. So gehen Sie auf Nummer sicher«, so der Oberrabbiner ganz pragmatisch. Damit sind meine Fragen zum koscheren Essen fürs Erste beantwortet. Ich wusste schon vor meiner Einführung durch Rabbi Eisenberg, dass Juden kein Schweinefleisch essen, also habe ich das mit Jahresbeginn sofort weggelassen. So gesehen hat zu Neujahr das Schwein nicht mir, sondern zur Abwechslung ich dem Schwein Glück gebracht. Blöderweise hatte ich ein paar Tage zuvor am Heiligen Abend von meiner Tante jede Menge an Speck und Salami geschenkt bekommen. Mit den Essensvorräten kann ich wenigstens eine gute Tat vollbringen, wie es Brauch ist für Juden am Beginn des Pessachfestes. Sie schenken dann Brot an Nicht-Juden. So erfreut sich in diesem Monat vor allem mein Nachbar daran, dass ich Jude geworden bin. Und das mit der guten Tat ist ebenso erledigt.
Warum darf ein Jude kein Schwein essen? Ich schlage wieder in der Tora nach. Im Kapitel 11 des Buches Leviticus finden sich genaue Anweisungen, welche Tiere gegessen werden dürfen und welche nicht. »Alles, was behuft ist und gespaltene Klauen hat und wiederkäuend ist unter den Vierfüßigen, das dürft ihr essen.« Und im 3. Buch Mose, Kapitel 11, Vers 3 und 4, steht weiter ausgeführt: »Und ein Schwein spaltet wohl die Klauen, aber es wiederkäut nicht, darum soll’s euch unrein sein.«
Als unrein gelten ebenso Pferd und Esel, das Kamel, der Hase und alle fleischfressenden Tiere. Bleibt noch das Geflügel. Hier gibt es auch Verbote in der Tora, erlaubt ist in jedem Fall Huhn, Ente, Gans, Taube und Truthahn. Also Adler, Falken und Uhus muss ich in diesem Monat von der Speisekarte streichen. Zu den Meerestieren finden wir im Buch des Leviticus im Kapitel 11 die Anweisung, dass man alles essen kann, »was Flossen und Schuppen hat«. Hummer, Krabben, Tintenfische, Austern und Muscheln sind auf keinen Fall koscher. Das heißt, die Pizza mit Meeresfrüchten fällt auch flach. Wie gesagt, Schweinefleisch habe ich gleich mal weggelassen und mich zur Sicherheit die ersten Tage im Jahr 2017 komplett vegetarisch ernährt.
Mit diesem Wissen geht es in den 2. Wiener Gemeindebezirk, jenen Bezirk, in dem die meisten Juden in Österreich leben. Daher finden sich dort auch einige koschere Geschäfte. Ich betrete in der Kleinen Sperlgasse das »Koscherland«, einen koscheren Supermarkt. Der Name ließ mich an einen großen Supermarkt denken, doch das »Koscherland« ist nur etwas größer als ein Kiosk. Dennoch bin ich überfordert, weil ich mir keine Einkaufsliste geschrieben habe. Somit bleibt mir nichts anderes übrig, als wahllos ein paar Produkte von den Regalen zu räumen. Ich kaufe einen Wein namens Hermon (koschere Weine können nur unter Aufsicht eines Rabbis hergestellt werden), Pita-Brot, Melanzani-Salat, Bier, die bereits erwähnten Würstchen sowie koschere Zahnpasta und einige Plastikboxen zur Trennung von Milch- und Fleischprodukten. Für den Einkauf zahle ich bei der sympathischen Frau an der Kassa 70,99 Euro, was mir etwas viel vorkommt.
Zu Hause angekommen, räume ich den Einkauf nicht gleich in den Kühlschrank. Zunächst putze ich den Kühlschrank und überlege mir, wie man Fleisch und Milch am besten trennen kann. Die Lösung ist nicht so schwer, das Fleisch kommt ganz rauf, die Milch ganz runter, dazwischen andere Sachen wie Getränke. Sollte doch einmal eine Milch oder ein Joghurt ausrinnen, dann ist das Fleisch nicht davon betroffen. Ich merke, dass ich beginne, wie ein Jude lösungsorientiert, aber auch detailverliebt zu denken.
Eine Lösung für das Kochgeschirr muss auch her. Es muss auf jeden Fall etwas neu gekauft werden. Das heißt, auf die Einkaufsliste kommen zwei Pfannen, zwei Kochtöpfe, neue Teller und neues Besteck. Die Ausgaben steigen. Dabei geistert doch immer die Aussage »als Jude wird man reich« herum. Ich kann das bisher absolut nicht bestätigen.
Daher habe ich für mein nächstes Problem eine unorthodoxe Lösung. Ganz konsequent und im Idealfall müsste ich mir auch noch einen zweiten Herd und einen zweiten Geschirrspüler anschaffen, jeweils einen für das Geschirr, das mit Fleisch, und einen für das Geschirr, das mit Milch in Berührung gekommen ist. Es wäre aber nicht nur eine Geld-, sondern auch eine Zeit- und Platzfrage, denn bis die Küche dementsprechend umgebaut wäre, ist auch mein Monat als Jude vorbei. Daher wird der klassische österreichische Kompromiss gewählt. Es wird weiterhin ein Herd benützt, aber beim Abwaschen wird das Geschirr, das mit Fleisch zu tun hat, in den Geschirrspüler gesteckt, und das Geschirr, das mit Milchprodukten in Berührung kommt, wasche ich mit der Hand ab.
Die koscheren Frankfurter, die ich mir heute zubereite, sind mein erstes Fleisch im neuen Jahr. Fleisch soll eher die Ausnahme als die Regel bleiben.
Das hat wenig bis nichts mit der Schächtung zu tun, also der Art und Weise, wie die rituelle Schlachtung durchgeführt wird. Der koschere Schlachter macht hier einen einzigen großen Schnitt an der Halsunterseite und lässt danach das Tier komplett ausbluten. In der Tora steht geschrieben, dass man darauf achten soll, mit dem Fleisch kein Blut zu essen, weil sich im Blut die Seele des Tieres befindet. Über diese Art der Schlachtung gibt es einen ewigen Streit zwischen Tierschützern, die sagen, dass es sich hier um eine besonders grausame Art des Tiertötens handelt, während die Schlachter und Gläubigen, nicht nur im Judentum, sondern auch im Islam behaupten, diese Art ist eine sehr tierfreundliche Lösung, da es mit einem Schnitt vorbei ist und das Tier danach sofort das Bewusstsein verliert. Kritisiert wird vor allem, dass das Tier vor diesem Schnitt in den Hals nicht betäubt wird. Der jüdische Glaube lehnt dies jedoch insofern ab, da durch die Betäubung das Tier verletzt wird und dadurch das Fleisch nicht mehr zum Verzehr geeignet ist.
Diese Diskussion ums Thema Schächten wurde von mir vermutlich sehr vereinfacht wiedergeben. Die gesetzliche Regelung sieht in Österreich zurzeit jedenfalls so aus, dass alle Schlachttiere unmittelbar nach dem Schächtschnitt sofort wirksam zu betäuben sind. Schächtungen dürfen nur in einem dafür zertifizierten Schlachthof unter Beisein eines Tierarztes stattfinden. Meiner Meinung nach wäre eine Betäubung vor dem Schächtschnitt sinnvoller und viel tierfreundlicher. Dieser Ansicht sind im Übrigen auch viele sogenannte Reformjuden, die eine solche Vorgehensweise bevorzugen.
Ich finde überhaupt, dass jede Form, ein Tier zu schlachten, für das Tier wohl nicht sonderlich angenehm sein kann, aber wie auch immer. Der Plan für mein koscheres Leben in den nächsten Tagen ist gemacht. Zumindest für das Leben zu Hause, wie ich mich auswärts anstelle, wird sich erst zeigen. Vielleicht hilft mir hier wieder einmal der jüdische Witz. Koscher heißt, das wurde noch gar nicht erwähnt, tauglich, geeignet, rein und sauber und umgangssprachlich auch einwandfrei oder unbedenklich. Soweit vielleicht bekannt. Bis vor Kurzem hatte ich aber keine Ahnung, dass es auch ein Gegenteil von koscher gibt. Es ist das Wort »trefe« oder auch »treife«, das dann logischerweise so viel bedeutet wie nicht geeinigt oder unrein.
Aber selbst dieses Nicht-Wissen kann man sich zunutze machen. So waren einmal zwei Juden in Ungarn unterwegs und trafen auf eine Bäuerin, die ihnen eine leckere Salami anbot. »Schade, dass die Würste trefe sind«, meinte einer der Juden. »Unsinn«, sagte der andere, »ich werde Ihnen gleich beweisen, dass die Würste koscher sind.« Er winkte die Bäuerin heran und fragte sie streng: »Haben Sie trefene Würste?« Die Bäuerin, die das Wort noch nie gehört hatte, antwortete: »Nein!« Der Jude drehte sich triumphierend um: »Siehst du! Dann muss die Salami koscher sein!«