Kitabı oku: «Giuseppe Verdi. Leben, Werke, Interpreten», sayfa 3
Ein heute in der Sängerausbildung an führender Stelle tätiger berühmter Sänger hat die aktuelle Situation pointiert zusammengefaßt: „Non mancano le voci, mancano le teste.“ Das heißt, daß es nicht an Stimmen mangelt, wie oft behauptet wird, sondern am Verstand: an der Summe der erwähnten Voraussetzungen und der Bereitschaft, sich diese für die erfolgreiche Berufsausübung zu erarbeiten.
Die schwedische Sopranistin Birgit Nilsson (1918-2005) gründete einige Jahre vor ihrem Tod die Birgit Nilsson Foundation, die – ähnlich dem Nobelpreis oder dem Ernst von Siemens Musikpreis – einen hochdotierten Preis an Künstler verleiht, die auf ihren Gebieten Herausragendes geleistet haben. Der Präsident dieser Stiftung begründet das wie folgt: „Birgit Nilsson was very concerned with the general decline of cultural values, in particular with the decline of performance standards in classical music.“[62]
Dieser von vielen Seiten angesprochene Verfall impliziert, daß den seit Jahrhunderten beschworenen Krisen der Gesangskunst in der Gegenwart eine Krise bei großen Teilen des Publikums und der Kritik gegenübersteht. Immer öfter wird auf diese reale Krise mit drastischen Worten in Fachpublikationen hingewiesen, wobei die zunehmend undifferenzierte Zustimmung des Publikums zu qualitativ stark schwankenden musikalischen und gesanglichen Darbietungen auf gesellschaftspolitische Faktoren zurückgeführt wird. (Angesichts unverständlicher Publikumsreaktionen sagte Jean Cocteau einmal: „Heute war das Publikum wieder untalentiert!“) Der Tenor dieser Aussagen ist, daß die in vielen westlichen Gesellschaften (auch im Musikbetrieb) verbreitete Leistungsfeindlichkeit[63], das schwindende Bildungsniveau und die immer schlechtere Ausbildung der Studenten an Massenuniversitäten, der immer stärker zurückgedrängte Musik- und Kunstunterricht an Schulen sowie die willfährige Anpassung vieler Bereiche an wenig gebildete bis bildungsfeindliche Bevölkerungsschichten (das letzte eklatante Beispiel aus einem anderen Bereich: die deutsche Rechtschreibreform[64]) zur unkritischen Akzeptanz eines objektiv inakzeptablen künstlerischen Niveaus[65] und, parallel dazu, zum Aufkommen rein kommerziell orientierter, dubioser, musikalisch völlig wertloser Erscheinungen wie Crossover führen, eine Art verlogen-verkitschter Schunkel-Klassik-Pop, dargeboten von exzellent gemanagten Instrumentalisten, denen bestenfalls ein Platz an einem hinteren Pult eines Provinzorchesters zustände, oder Sängern, die bei manchem Vorsingen für eine Choristenstelle abgewiesen würden. Das Begriffspaar „Qualität“ und „Erfolg“ sollte, wie man naiverweise anzunehmen geneigt ist, im Idealfall in einer untrennbaren Verbindung leben. In der Praxis ist dies allerdings immer seltener der Fall: Die Partner folgen der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung, denn es kommt immer öfter zu Trennungen und Scheidungen, wonach die beiden als unabhängige Singles auftreten. Während das Single „Qualität“ oft ein Mauernblümchendasein fristet und aggressiv beworben werden muß, um überhaupt wahrgenommen zu werden und überleben zu können, feiert das Single „Erfolg“ fröhliche Urständ, indem es ein luxuriöses Dasein, vielfach ohne jeglichen nachvollziehbaren Anlaß, führt. Die Folgen dieses Phänomens sind jedenfalls geeignet, die Situation nachhaltig zu verschlimmern[66], denn wer wollte es strikt wirtschaftlich agierenden Operndirektoren verübeln, daß sie folgerichtig reagieren und zweitklassige Künstler engagieren (die wesentlich billiger einzukaufen sind als ihre erstklassigen Kollegen), da sie doch die gleiche ungeteilte Zustimmung erhalten?
All das sind Phänomene der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und des 21. Jahrhunderts. Wie zu sehen sein wird, war auch im 19. Jahrhundert – eine der interessantesten Epochen, was Musik in ihren verschiedensten Erscheinungsformen anlangt, und gleichzeitig eine Endzeit – auf diesem Gebiet nicht alles Gold, was da glänzte, doch stand, auch abseits herausragender Erscheinungen wie Verdi, das handwerkliche Können bei produzierenden wie reproduzierenden Künstlern auf hohem Niveau. Aus diesem Grund schien es mir gerechtfertigt, den Protagonisten des vorliegenden Buches, wie auch seine Mitarbeiter und Interpreten, so oft wie möglich in erster Person zu Wort kommen zu lassen.
Wie zu sehen sein wird, war Verdi kein Theoretiker der Musikästhetik, sondern ein genialer Theaterpraktiker („Im Theater ist lang ein Synonym für langweilig, und Langeweile ist das schlimmste aller Übel“[67]), der es vorzog, Musik zu schreiben und sie für sich selbst sprechen zu lassen anstatt sich verbal über sie zu verbreitern. Er gehörte darüber hinaus zu den wenigen Komponisten, die die eigenen Arbeiten nicht für die besten von allen hielten und die imstande waren, ihre Werke zumeist richtig einzuschätzen, und nicht zu jener großen Gruppe, die von Musik nicht mehr verstehen als ein Vogel von der Ornithologie.[68] Die Bühnenwerke dieses populärsten Opernkomponisten der Musikgeschichte sprachen und sprechen das Publikum unvermittelt an, kein Zuhörer befand sich bei Verdi je in dem von Joseph Hellmesberger[69] in Wiener Dialekt formulierten Dilemma: „Was geberten die då drunt jetzt drum, wånn’s wisserten, wia’s ihna gfoi’n håt.“[70]
Um Verdis Größe zu verdeutlichen, wurde darauf hingewiesen, daß der Komponist, wäre er aus irgendeinem Grund nicht Musiker geworden, dem Italien des neunzehnten Jahrhunderts wohl auf einem anderen Gebiet seinen Stempel aufgedrückt hätte: Im Falle eines (von Verdis Vater ursprünglich gewünschten) Jusstudiums möglicherweise als Politiker, vielleicht als fortschrittlicher Agronom oder als Kunstkritiker.[71]
I
Jugend und Studienzeit – Rocester – Sei romanze – Oberto conte di San Bonifacio – Ignazio Marini – Lorenzo Salvi – Mary Shaw – Antonietta Rainieri-Marini – Luigia Abbadia – Un giorno di regno – Bartolomeo Merelli
V
erdis bekannte Reserviertheit zu definieren ist so manchem Biographen besser gelungen als in seine Persönlichkeit vorzudringen:
Wenn wir wissen wollen, was dieser Mensch in seinem Kopf dachte, sieht es schlecht aus. [...] Es ist wesentlich leichter, in die militärischen Geheimnisse des Pentagons oder des Kremls oder in die Klausur eines Trappistenklosters einzudringen als in die Seele Verdis.[72]
Wenngleich es gilt, diese Aussage des eminenten Verdikenners Massimo Mila im Zeitalter gewitzter jugendlicher Computerhacker zu relativieren, trifft sie in ihrem Kern nach wie vor zu, denn es „ist Verdi immer gelungen, sich seinen Biographen zu entziehen. Die bekannten Fakten seiner langen, arbeitsreichen Karriere wurden unzählige Male erzählt, als Mensch aber bleibt er immer auf Distanz, bis heute geschützt durch seine ihm eigene Reserviertheit und sein Mißtrauen.“
Damit hat der Verdi-Biograph Frank Walker[73] das Problem auf den Punkt gebracht, dem man bei dem Versuch begegnet, sich Verdi biographisch zu nähern. Doch auch die vermeintlichen Fakten besitzen einen erst in den letzten Jahrzehnten langsam schwindenden Unsicherheitsfaktor, denn unzählige Legenden und nicht fundierte Interpretationen durchwucherten Verdis Biographie schon zu seinen Lebzeiten, von ihm unerwünscht oder unwidersprochen, zum Teil aber auch bewußt oder unbewußt gefördert. So liebte Verdi in späteren Jahren nicht nur die Legendenbildung um sich selbst als Kind analphabetischer Bauern aus allerärmsten Verhältnissen, das sich gegen widrigste Umstände aus eigener Kraft hochgearbeitet und autodidaktisch zum Komponisten ausgebildet hatte und niemandem etwas schuldete, sondern auch die Darstellung seiner Person als jemand, dem es völlig gleichgültig war, was Dritte über ihn denken mochten. Über seinen ausgeprägten Sinn für soziale Verantwortung, über die von ihm gestifteten Stipendien, Krankenhäuser und Altersheime oder die anonyme Unterstützung von in Not geratenen Mitarbeitern oder deren Familien äußerte er sich nicht oder höchstens widerwillig.[74]
Gewisse Episoden seiner Biographie, wie beispielsweise das Zustandekommen des Nabucco, wurden mit seinem Wissen und Zutun geradezu auf Groschenromanebene trivialisiert und hierauf unüberprüft von einer Biographengeneration zur nächsten übernommen.
Doch auch der Griff zu Dokumenten, die solche Unsicherheiten beseitigen sollten, erweist sich manchmal als tückisch: In einem Autobiographischen Bericht, den er am 19. Oktober 1879 seinem Verleger Giulio Ricordi diktierte und der zur Richtigstellung verschiedener Anwürfe die Uraufführung des Oberto betreffend dienen sollte, der aber eher als subjektivistisches Selbstportrait denn als Chronologie von Fakten und Daten zu werten ist und als Ergänzung einer Biographie[75] gedacht war, komprimiert Verdi beispielsweise den Zeitablauf des Todes seiner ersten Frau und seiner beiden Kinder – „Innerhalb eines Zeitraums von nur zwei Monaten[76] hatte ich drei geliebte Wesen verloren. Meine ganze Familie war dahin!“ – und vertauscht auch die Reihenfolge der Todesfälle, die sich in den Jahren 1838, 1839 und 1840 ereigneten.
Zeitlebens legte der Komponist jeglicher Art von Publicity sowie unqualifizierter Lobhudelei gegenüber eine heftige Abneigung an den Tag und liebäugelte auch nicht wie viele seiner ihm nachfolgenden Komponistenkollegen mit der Veröffentlichung seiner Korrespondenz, wie er seinem Freund Arrivabene[77] schrieb:
Wozu ist es nötig, die Briefe eines Komponisten hervorzuholen? Briefe, die immer in Eile geschrieben wurden, ohne Sorgfalt und ohne ihnen Bedeutung beizumessen, weil der Musiker weiß, daß er keinen literarischen Ruf wahren muß. Reicht es nicht, daß man ihn wegen seiner Musik auspfeift? Nein, mein Herr! Jetzt auch noch die Briefe! Ach! Die Berühmtheit ist eine große Plage! Die armen kleinen großen Männer bezahlen teuer für ihre Popularität! Nie ist ihnen eine Stunde der Ruhe vergönnt, weder im Leben noch im Tod![78]
Bei dieser auf die Veröffentlichung von Briefen Vincenzo Bellinis gemünzten Aussage dachte Verdi wohl auch an seine eigenen, in die Tausende gehenden Briefe, die für den Biographen auch gegen den Willen des Betroffenen die wichtigsten Quellen darstellen. Sie sind nach wie vor über die ganze Welt verstreut und bei weitem nicht zur Gänze erfaßt und wissenschaftlich aufgearbeitet.
Jugend und Studienzeit
H
ier die gesicherten Fakten der Biographie Verdis bis zum Entstehen seiner ersten Oper: Giuseppe Fortunino Francesco Verdi, im Geburtenregister als Joseph Fortunin François und im Taufregister als Joseph Fortuninus Franciscus eingetragen, wird am 9. oder 10.[79] Oktober 1813 nahe Busseto in dem Flecken Le Roncole im damals unter der Herrschaft Napoleons I. stehenden Herzogtum Parma geboren. Er ist das erste Kind des Schankwirtes und Kleinkrämers Carlo Verdi (1785-1867) und dessen Frau Luigia Uttini (1787-1851). Die Vorfahren beider Elternteile waren Landbesitzer und Handelstreibende, jedenfalls nicht die analphabetischen Bauern, als die Verdi sie gerne darstellt. Seine 1816 geborene Schwester Giuseppa Francesca[80] soll geistig behindert gewesen sein und stirbt 1833. 1815 soll Verdi erstes Interesse für musikalische Eindrücke gezeigt haben, und zwar für die Glocken der Kirche seines Geburtsortes und das Geigenspiel eines wandernden Spielmanns namens Bagassèt. Ab 1818 erhält er von Don Pietro Baistrocchi ersten Unterricht in Orgelspiel und Gesang, Don Carlo Arcari, der Pfarrer von Le Roncole, unterweist ihn im Lesen und Schreiben. 1820 vertritt er, als Siebenjähriger, Baistrocchi als Organist in der heimatlichen Dorfkirche und wird nach dessen Tod 1822 dessen Nachfolger in dieser Funktion, was aber weniger etwas über etwaige Wunderkindqualitäten Verdis als über den musikalischen Standard der Kirche aussagt. In diese Zeit fällt die Episode, als Verdi beim Ministrieren in der Kirche von Le Roncole, abgelenkt vom Orgelspiel, dem er fasziniert lauscht, seiner Pflicht des Meßwein-Einschenkens nicht rechtzeitig nachkommt und von dem Priester Don Giacomo Masini daraufhin einen solchen Tritt bekommt, daß er die Altarstufen hinunterstürzt. Der junge Verdi soll dem Priester im Zorn den Tod durch Blitzschlag gewünscht haben. Am 14. September 1828 schlägt während einer religiösen Zeremonie, bei der Verdi singt, ein Blitz in die Kirche der Madonna Prati ein und tötet vier Priester und zwei Laien. Einer der Priester ist Don Giacomo Masini. Verdi ist von dem Erlebnis so geschockt, daß er vier Wochen lang das Bett hüten muß.
Zur Befriedigung seines früh erwachten Interesses für Musik schenkt ihm sein Vater ein (von Verdi bis zu seinem Tode sorgfältig gehütetes, erhalten gebliebenes) gebrauchtes Spinett, das von Stefano Cavaletti unentgeltlich repariert wird, da er das musikalische Talent des kleinen Peppino erkennt. Giovanni Fulcini, ein Priester aus Roncole, erinnert sich an Verdis frühe Musikbegeisterung:
Der kleine Giuseppe wuchs als ein stilles, ganz in sich gekehrtes, in Worten und Taten zurückhaltendes Kind heran. Er ging ungebärdigen Gesellen und lärmenden Kumpanen aus dem Weg. Lieber blieb er bei seiner Mutter oder allein zu Hause. An Spielen beteiligte er sich nie, sondern sah ihnen bloß zu, als wären sie nichts für ihn. [...] Zudem war er brav, gehorsam, hilfsbereit und wurde nie gescholten oder bestraft. Er half seinen Eltern im Laden. Nur eins übte eine seltsame Macht auf ihn aus: die Musik. Wenn irgendwelche Drehorgelspieler oder Fiedler vorbeikamen, dann trat Giuseppe sogleich vor die Ladentür und genoß, ganz Ohr, die Melodien. Seine Aufmerksamkeit war derart, daß sie auf etwas Besonderes schließen ließ. Und als ein fahrender Fiedler das merkte, riet er den Eltern, den Knaben Musik studieren zu lassen.[81]
Ab 1823 wohnt Verdi in Busseto bei dem Schuster Pietro Michiara, genannt Pugnatta, zur Untermiete, im Herbst dieses Jahres tritt er in das von dem Geistlichen Don Pietro Seletti geleitete Gymnasium ein. Die Organistenstelle in Le Roncole behält er. Ab 1824 dürfte Verdi Musikunterricht von dem Organisten Don Pietro Arquati erhalten haben. Im Herbst 1825 beginnt er, Unterricht in Komposition und Kontrapunkt bei dem Musikdirektor von Busseto, Ferdinando Provesi, zu nehmen. Es kommt zu ersten Kompositionsversuchen: 1825 komponiert er eine Symphonie mit dem Titel La Capricciosa, die am 15. August 1868 zur Einweihung des Theaters in Busseto zur Aufführung gelangen wird. 1828 schreibt er eine Ouverture zu Rossinis Il barbiere di Siviglia sowie eine Kantate für Bariton und Orchester, I deliri di Saul, nach einer Dichtung von Vittorio Alfieri. Im Herbst 1829 avanciert er zum Assistenten Provesis und versucht sich an der Komposition von Sakralwerken, Märschen, Ouverturen, Serenaden, Konzerten und verschiedener Vokalmusik.
1830 schließt Verdi seine Schulausbildung ab. In diesem Jahr kommt es zur öffentlichen Aufführung einiger Erstlingswerke, anläßlich derer ihm Provesi eine große Zukunft prophezeit. 1831 zieht Verdi in das Haus von Antonio Barezzi ein. Dieser ist nicht nur ein angesehener, wohlhabender Kolonialwarengroßhändler, der das Geschäft der Eltern Verdis beliefert, sondern auch ein dilettierender Musikenthusiast in Busseto (als solcher ist er Präsident und Mäzen der örtlichen Società filarmonica, der Philharmonischen Gesellschaft, in der er auch als Instrumentalist tätig ist). Dessen ältester Tochter Margherita gibt Verdi seit dem Vorjahr Klavier- und Gesangsunterricht. Barezzi wird rasch zum väterlichen Freund und tatkräftigen Förderer Verdis, der ihm ein Leben lang in Dankbarkeit verbunden bleibt. Da sich Verdis Vater außerstande erklärt, ihm ein Studium an der Universität Parma zu ermöglichen, erhält Verdi 1832 auf Betreiben Barezzis und seines Vaters, der sich zur Erreichung dieses Zieles an die Herzogin Marie Louise wendet, vom Monte di Pietà e d’Abbondanza di Busseto (Leihhaus und Bankinstitut) ein Vierjahresstipendium von monatlich 25 Francs und bewirbt sich um Aufnahme am Mailänder Konservatorium. Die kommissionelle Prüfung aus Komposition besteht Verdi, er wird aber als Ausländer, aus Altersgründen (er hatte das Höchstalter von vierzehn Jahren längst überschritten) und wegen schlechter Handhaltung beim Klavierspiel abgewiesen. (Dasselbe Konservatorium besaß später genug schlechten Geschmack, sich trotz Verdis Weigerung: „Jung wollten Sie mich nicht haben, alt können Sie mich nicht haben“, nach dem berühmten Komponisten zu benennen.) Da die erstmalige Auszahlung des Stipendiums ein Jahr auf sich warten läßt, wird Verdi der Betrag von Barezzi vorgestreckt.
Abb. 1 – Antonio Barezzi (1787-1867), Verdis Förderer und Schwiegervater
Er verläßt Busseto und nimmt, von Barezzi, dem er freilich alles wieder zurückzahlen wird, finanziell unterstützt, in Mailand privat Kompositionsunterricht bei Vincenzo Lavigna, einem ausgezeichneten Kontrapunktisten und Dirigenten am Teatro alla Scala. Neben den Kontrapunktstudien läßt Lavigna seinen Schüler alte und moderne Partituren (darunter Werke von Corelli, Haydn, Mozart usw.) studieren und analysieren und empfiehlt ihm den Besuch von Opernvorstellungen: Im Mai 1833 hört Verdi an der Scala Maria Malibran als Norma und als Desdemona in Rossinis Otello. (1871 wird sich Verdi, nicht ganz gerecht, darüber beklagen, er habe bei Lavigna drei Jahre lang nur Kanons und Fugen zu schreiben gelernt, nicht aber Orchestration oder operndramatische Technik – dies ist einer von Verdis Versuchen, sich den Nimbus eines Autodidakten zu geben.) Während seiner Studienzeit in Mailand lernt Verdi W.A. Mozarts Sohn Karl Thomas kennen, der als Beamter der lombardischen Regierung arbeitet. Er spielt ihm mehrmals auf dem Klavier den Don Giovanni vor.
Im Dezember 1833 bewirbt Verdi sich erfolglos um die Nachfolge des am 26. Juli 1833 verstorbenen Provesi in Busseto. Wegen der Vergabe des Postens kommt es in Busseto zu einem Streit zwischen der Geistlichkeit und dem örtlichen Philharmonischen Orchester. 1834 springt Verdi auf Empfehlung seines Lehrers in Mailand bei zwei Aufführungen von Haydns Schöpfung erfolgreich als Dirigent ein, was ihm einen – allerdings nicht honorierten – Kompositionsauftrag für eine Kantate durch den Grafen Borromeo einträgt. Während eines kurzen Urlaubs in Busseto erhält Verdi die Gelegenheit, mehrmals das Orchester der Società Filarmonica zu dirigieren. Am 12. Oktober findet in Busseto eine Akademie statt, bei der mehrere Kompositionen Verdis zur Aufführung gelangen. Am 14. November 1834 hört er in Parma Niccolò Paganini spielen. Er wird sich noch Jahre später daran erinnern, wie der große Ton von Paganinis Instrument das Orchester übertönte.
Im April 1835 dirigiert Verdi im Mailänder Teatro Filodrammatico Rossinis La cenerentola. Im Juli beendet er seine Kompositionsstudien in Mailand und kehrt nach Busseto zurück. In Erwartung der Entscheidung in Busseto bewirbt er sich vergeblich um den Posten eines Maestro di cappella in Monza. Am 6. Jänner 1836 spielt er unter großem Publikumszulauf zum ersten Mal die Orgel in der Franziskaner-Kirche in Busseto. Am 5. März wird er als Nachfolger Provesis zum Städtischen Musikdirektor ernannt, was auch die Tätigkeit als Organist und Dirigent des Philharmonischen Orchester umfaßt. Seit Jänner des Jahres arbeitet er an seiner ersten Oper, von der später abwechselnd als Lord Hamilton oder Rocester (nach einem Libretto von Antonio Piazza) die Rede sein wird, und von der bis heute nicht restlos geklärt ist, ob es sich dabei um ein und dasselbe Werk handelt und ob oder wie weit es in Oberto verwendet wurde.
Am 4. Mai 1836 heiratet der Dreiundzwanzigjährige seine Schülerin Margherita Barezzi. In diesem Jahr komponiert Verdi eine Ode, Il cinque maggio, auf einen Text von Alessandro Manzoni, sowie ein Tantum ergo für Singstimme und Orchester. Am 26. Mai 1837 wird die Tochter Virginia geboren. In diesem Jahr bietet Verdi seinen Opernerstling erfolglos der Oper in Parma und der Mailänder Scala an. Im Februar 1838 dirigiert Verdi drei Akademien in Busseto, jedes Mal bringt er eigene Kompositionen zur Aufführung. Am 11. Juli 1838 kommt der Sohn Icilio Romano zur Welt, einen Monat später stirbt die Tochter Virginia. Nochmals versucht Verdi ergebnislos, den Rocester an der Scala aufführen zu lassen. Es kommt zur Veröffentlichung seiner ersten überlieferten Komposition. Es ist dies ein Liederzyklus, Sei romanze, für Singstimme und Klavier, der heute zusammen mit weiteren, später entstandenen Romanzen gedruckt und in verschiedenen Einspielungen vorliegt. Die bis zu diesem Zeitpunkt entstandenen Werke sind verschollen. Er beendet im Oktober seine Tätigkeit als Musikdirektor in Busseto und übersiedelt im Februar 1839 mit Margherita und dem kleinen Icilio in die Musikmetropole Mailand, wo dieser im Oktober stirbt. In dieser psychisch belasteten Zeit arbeitet Verdi an Oberto conte di San Bonifacio.