Kitabı oku: «Reiten wir!», sayfa 6
»Es ist eine Beschreibung zu einer bestimmten Stelle in einer Mine.« Ellen legte das Pergament in meine Hände. »Damit könntest du vielleicht dir und deinen Mädchen einen ruhigen Lebensabend kaufen, wenn du willst. Oder du kaufst dir dein Leben damit von diesen Jameston-Brüdern frei.«
»Auf keinen Fall!«, fügte ich viel lauter an, als ich es beabsichtigt hatte: »Diese Geier, die sich auf jeden stürzen, der Schwäche zeigt und selbst den Armen noch ihr Brot stehlen. Nein!«
Es klopfte und ich verstummte; wer auch immer dort stand, hatte sicherlich meinen letzten Ausruf gehört. Morrison trat ein und stellte die Kanne auf den Tisch: »Die Jamestons sind in der Stadt.« Ich wurde bleich, hatten wir doch die Pferde direkt vor dem Saloon angebunden. »Gerade sind sie noch beim Arzt.« Dann schwieg er und ich hätte fast ›Was tun wir jetzt?‹ gefragt, doch dann fiel mir ein, dass ich die Auftraggeberin war und er noch dazu nicht wusste, wohin wir wollten. Himmel, nicht einmal ich hatte eine Ahnung. Ellen stand zügig auf. »Ich ziehe mich rasch um und wir reiten los, wenn die Minenarbeiter zuhauf in die Stadt und den Saloon strömen.« Sie wandte sich zu einem Schrank und öffnete ihn. Morrison drehte sich und verließ den Raum, während Ellen zu meiner Überraschung ihr Kleid über den Kopf streifte und sich ein ledernes Fransenhemd mit dazu passender Hose anzog, wie es die Trapper zu tragen pflegten. Dann schlüpfte sie in zwei bequeme Mokassins, zog einen gepackten Rucksack unter dem Bett hervor und lächelte mich an. Sie war wie ausgewechselt.
Wenn es Morrison irritierte, dass Ellen plötzlich eher wie ein Mann aussah, denn eine Dame, so zeigte er es nicht. Er nahm ihr, wie selbstverständlich, die Tasche ab und wir gingen die Treppe herunter. Kurze Zeit später winkte er und wir folgten ihm, als ein Schwung Minenarbeiter in den Saloon hineinkam. Als die Postkutsche draußen vorfuhr, verließen wir das Etablissement. Ellen holte ein Pferd aus dem Stall, das mir den Atem verschlug. Es war ein prächtiges Appaloosa mit bezaubernden Flecken im Fell und einem edlen Gebaren. Seine Augen waren groß und wach, seine Nasenlinie außergewöhnlich gerade. Ellen schwang sich so gekonnt auf den muskulösen Rücken, dass es meine Schätzung über ihr Alter Lügen strafte. Ich hatte mich von den grauen Strähnen in ihrem Haar in die Irre führen lassen.
»So, Ladys«, wandte sich Morrison an uns, als wir die Stadt hinter uns gelassen hatten. Er zügelte sein Pferd und sah uns auffordernd an. Ich erzählte ihm von unserem Plan. »Wir teilen durch drei«, beendete ich die kleine Rede. Irgendwie fühlte es sich merkwürdig an, mit George so zu verhandeln, als seien wir Fremde. Er brachte sein Pferd näher an meines. Ich konnte seine Mimik nicht deuten. Statt zu antworten, nahm er meine Hand, führte sie an seine Lippen und hauchte einen Kuss darauf. Das Geschäft war besiegelt.
Es ging weiter. Ich kam nicht umhin, die geschmeidigen Bewegungen Ellens zu bewundern. Sie glitt mit ihrem Tier eher über den Boden, wo mich jede Unebenheit auf und ab warf. Ich war Ritte in anderen Positionen gewohnt.
»Die Brüder werden uns dicht auf den Fersen sein«, mutmaßte Ellen. »Mister Morrison, kennen sie die Anhöhe, wo der Tadpole Creek in den Wyig River fließt?« Der Angesprochene nickte und Ellen ergänzte: »Ich werde die Brüder in die Irre führen und wir treffen uns dort morgen Abend, in Ordnung?«
Wir blieben noch eine Weile beisammen, bis wir einen Fluss erreichten. Morrison lenkte unsere Tiere hinein und gegen die Strömung an. Ellen hingegen durchquerte den Fluss, ließ ihr Pferd noch einmal aufsteigen, damit es viel Erde aufwühlte, und galoppierte dann mit großen Sprüngen gen Osten. Ich sah ihr nach, bis sie aus meinem Sichtfeld verschwunden war. Sie konnte mit Sicherheit auf sich aufpassen. Das konnte sie immer.
An einer steinigen Stelle verließen wir das Wasser und wandten uns ebenfalls nach Osten. Wir ritten bis zur Dämmerung und schlugen unser Lager in einer Senke auf. Wir hatten ein paar Scheite Holz auf dem Weg aufgelesen, nun brannte ein kleines Feuer gegen die nächtliche Kälte. Morrison röstete in einer gusseisernen Pfanne etwas Bacon mit Zwiebelringen und gab eine Dose Bohnen dazu. Es roch verführerisch und schmeckte fantastisch.
Das angenehme an meinem Begleiter war, dass er nicht dazu neigte, zu quasseln. Andererseits war es für mich eine unangenehme Stille. War ich doch die Geräuschkulisse des Saloons gewohnt, die Pianomusik, die grölenden Betrunkenen, die melancholischen Träumer an der Theke, die Kartenspieler und Halbstarken. Hier war das Schnauben unserer Pferde die einzige Abwechslung.
Ein leichtes Knirschen von Kieseln und leise gesetzten Sohlen, dann die Bewegung von Lederzeug und das Aufklappen von Satteltaschen weckten mich. Vermutete ich zunächst, dass Morrison sich etwas leise aus seiner Tasche nahm, so wurde ich eines besseren belehrt, als ich seinen typischen Tabakgeruch sehr deutlich riechen konnte. Es musste meine Tasche sein, an der er sich zu schaffen machte. Ich war entsetzt! Ich stellte mich schlafend, deutete aber durch ein paar kürzere Atemzüge und eine Drehung an, dass ich wacher geworden war. Tatsächlich erklangen kurz erneut Geräusche bei meiner Tasche, dann entfernten sich Schritte.
Ein Schuss. Ich hörte den Aufschrei eines Mannes und sprang auf, meine kleine Pistole gezückt. Eine Gestalt taumelte auf mich zu, wurde von einem weiteren Schuss zurückgeschlagen und sank mit einem Krächzen zu Boden. Phillip, der mittlere der Jameston-Brüder lag ausgestreckt auf dem Boden, eine große Wunden in seinem Brustkorb. Er starrte ungläubig auf den Kranich in seinen Händen und dann auf das Blut. »Noch zwei», kommentierte mein Beschützer knapp und wand dem Sterbenden das Räuchergefäß aus der Hand. Er wischte es mit seinem Taschentuch sauber. »Dieser vermaledeite Kranich!», entfuhr es mir. »Langsam glaube ich doch, dass der Fluch auf ihm liegt.« Morrision hob seinen Kopf ein wenig und musterte mich, während er mir den nun sauberen Vogel unbeirrt zurückgab. Ich schluckte. Philip war gar kein so übler Bursche gewesen. Er wusste sich gut zu kleiden, wusch sich regelmäßig und für gewöhnlich benahm er sich respektvoll mir und meinen Mädchen gegenüber.
Ich unterbrach meine Gedanken und betrachtete die Statue in meiner Hand mit einer gewissen Skepsis. Könnte es möglich sein? War sie die Ursache für all das? Ich verpackte sie mit einem mulmigen Gefühl. Es musste ja einen Grund für die Unfälle in der Mine und die ganzen Toten der letzten Tage gegeben haben. »Wenn bereits mit Sicherheit zwei der Brüder tot sind, einer vielleicht verletzt, dann frage ich mich», sinnierte ich laut, »wo die anderen Mitglieder dieser Verbrecherbande wohl sind. Hoffentlich nicht bei Ellen.« Morrison berührte mich vorsichtig an der Schulter, dann zog er mich in eine Umarmung. Erst jetzt bemerkte ich das Zittern meines Körpers. Langsam sickerte durch meine verwirrten Gedankengänge hindurch, was ich gerade erlebt hatte. Wir setzten uns ans Feuer und wie in der ersten Nacht bettete er meinen Kopf auf seine Beine, bis ich einschlief.
Ellen erwartete uns unversehrt am vereinbarten Treffpunkt. Scheinbar waren die Jamestons nicht auf unsere Finte hereingefallen, sondern hatten uns bereits dort verfolgt. Vielleicht waren die zwei verbliebenen nach Hause zurückgekehrt. Ellen zuckte über diese Mutmaßungen nur die Schultern. Als Morrison abends noch eine weite Runde um unser Lager drehte, damit wir nicht noch einmal überrascht wurden, fragte sie mich: »Liebes, woher kennst Du deinen Mister Morrison eigentlich? Er macht einen wirklich anständigen Eindruck.«
»George und ich … Ach, das ist eine lange Geschichte. Er gehört nicht unbedingt zu den Männern, die den Sheriff als guten Freund bezeichnen würden. Der ein oder andere Diebstahl hat ihn wohl schon des Öfteren in das Jail gebracht. Eines Nachts, er war Kunde bei mir, gab es einen Überfall auf die hiesige Bank. Man vermutete Morrison dahinter und drohte ihn aufzuknüpfen. Vielleicht war ich damals ein bisschen in ihn verliebt. Und obwohl ich mir nicht sicher war … Ich war damals in seinem Arm eingeschlafen und ich habe einen tiefen Schlaf … Ich sagte also zu seinen Gunsten aus. Und in so einer kleinen Stadt hat mein Leumund einiges an Gewicht. Er kam unbescholten aus der Sache davon.«
»Du weißt also nicht mit Sicherheit, dass er es nicht war?», fasste Ellen die Tatsachen kühl zusammen. »Das ist wahr, wissen tue ich es nicht. Aber ich habe ein gutes Gefühl für Menschen.« Ellen nickte knapp und damit war die Angelegenheit für sie erledigt. Ich jedoch hatte diesen Kloß im Hals. Ich hatte bisher die Tatsache verdrängt, dass der Mann, in dessen Schutz ich mich begeben hatte, vermutlich nicht minder skrupellos war, als die Jameston-Brüder.
Wir ritten weitere ungestörte Tage ostwärts durch die Prärie, bis wir schließlich die auf der Karte verzeichnete alte Mine erreichten. Sie war schon seit mehreren Jahren verlassen. Nur noch Überreste von provisorischen Gebäuden waren zu erahnen. Es schien, als sei dieser Claim recht rasch wieder aufgegeben worden. Wir banden die Pferde etwas verborgen in der Nähe des Eingangs an. Ellen hatte an alles gedacht. Sie holte eine kleine Laterne aus ihrer Satteltasche und entzündete sie, während Morrison die Bretter vom Eingang entfernte.
Wir hatten uns noch im Tageslicht die Karte von Mister Colten genau eingeprägt. Die Gänge waren tief und krumm. Ich fürchtete jeden Moment, dass die morschen Stützbalken unter dem Gewicht der Erde einstürzen würden. Der Untergrund verschluckte unsere Schritte, doch unsere Stimmen wurden dafür seltsam weit getragen. Ich griff nach meiner Pistole und hielt sie fest umklammert; als ob sie mir etwas nützen konnte, wenn ich hier unten verschüttet wurde. So manches Mal spielte der Wind uns einen Streich, indem er unsere eigenen Geräusche dergestalt umhertrug, dass wir – vornehmlich ich – uns davor fürchteten. Wir irrten wohl gut eine Stunde durch die Gänge, ohne eine Ahnung wo die Karte anfing. Endlich kamen wir an eine Stelle, die dem aufgezeichneten Weg ansatzweise glich. Ellen leuchte die Wand ab und ich schrie, als der Lichtkegel der Laterne auf einen blanken Schädel fiel. Halb unter Geröll zerdrückt, lag dort ein Skelett. Ich kann mich an keinen grausameren Anblick erinnern. Nicht einmal der plötzliche Tod des lieben Mister Colten hatte mich derart erschreckt, wie diese unglückselige Gestalt, die – wenn ich die Position des Skelettes richtig deuten konnte – versucht hatte, der Gewalt des Berges zu entkommen, nachdem sie zur Hälfte darunter zerquetscht worden war. Sollte es tatsächlich einen Fluch geben, diese arme Seele hatte er getroffen.
Morrison war es schließlich, der unsere entsetzte Starre durchbrach und sich zu dem Skelett hinabkniete. Er fasste beherzt unter den Torso und holte ein Bündel hervor. Motten flogen daraus auf uns zu; es staubte. Ellen trat näher heran und beleuchtete den Fund. Es glänzte silbrig.
Im Halbdunkeln der Laterne erkannte ich, dass es sich um eine Art Truhe handelte; drei löwenartige Kreaturen waren darum angeordnet. ›Shishis‹, erläuterte Ellen: »Wächter, in der Mythologie. Mir scheint, dies ist auch ein Räuchergefäß.« Morrison versuchte vorsichtig, es zu öffnen, doch der Rand war mit Wachs verklebt, sodass wir entschieden, es draußen im Tageslicht zu versuchen, um nichts zu zerstören. Wir bedeckten den Toten mit weiteren Steinen und improvisierten aus ein paar Holzstücken ein Kreuz, damit er wenigstens hier seine Ruhe fand. Ich sprach ein Gebet für die arme Seele. Das mindeste und einzige, was wir als Christen für ihn hier tun konnten.
Ich holte tief Luft, als wir endlich wieder ans Tageslicht kamen. Die Sonne wärmte meine Haut, es roch frisch und lebendig. Ich blinzelte erleichtert gen Himmel, als ich das Klicken eines durchladenden Revolvers hörte und erstarrte. Kyle, jüngster Spross der Jamestons, und sein Bruder Luke standen nicht weit von unseren Pferden und grinsten hämisch. »Schön die Hände hoch, Ladys. Auch Du, George, keine falsche Bewegung, sonst blas ich der hübschen Miss ein Loch in den Schädel. Wirf deine Revolver her zu mir.« Mit wenigen Schritten war Luke bei mir und packte mich, während Morrison seine Smith&Wessons zu den beiden Gangstern schob. »Also, was habt ihr gefunden?« Ich sah aus dem Augenwinkel, dass sie unsere Satteltaschen geöffnet und durchwühlt hatten. Sie hatten den Kranich bereits.
»Also?« Um seine Drohung zu verdeutlichen, drückte er mir ein Messer an den Hals. Morrison spuckte aus und holte dann, keinen der Brüder aus den Augen lassend, den Schatz hervor. »Du da, Miss. Bring es her», fuhr Kyle Ellen an. Die runzelte die Stirn, brachte ihm aber, wie geheißen, die Schatulle. Er packte das Rauchgefäß mit seiner Hand und drehte es im Licht: »Silber. Dann hat sich unsere Reise doch gelohnt!« Er versuchte, es mit einer Hand zu öffnen, während er mit der anderen noch immer Morrison in Schach hielt. Ich konnte sehen, wie er mit sich rang, das Kästchen sogleich aufzubrechen. Da dies nicht gelang, fesselten sie uns an einen der Bäume und wir mussten hilflos mit ansehen, wie sie die Kiste grob mit einem Messer bearbeiteten, um das Wachs herauszubrechen. Kyle packte schließlich den Deckel und zog ihn auf. Der Schatz gab ein seltsames Geräusch von sich, wie von einer Sprungfeder, und Kyle Jameston ließ das Gefäß fallen. Er hielt sich schreiend das Gesicht. Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor. Ellen, die die ganze Zeit schon an unserer Fessel herumgeknotet hatte, streifte sie ab. Morrison sprang sogleich auf und stürzte sich mit blanken Fäusten auf Luke. Ellen hechtete zu den abgelegten Waffen. Kyle griff nach seinem Revolver und schoss halb blind in Georges Richtung. Ich schrie und Kyle schrie und Ellen schoss zweimal. Kyle fiel wie ein nasser Sack zu Boden. Dann lief ich los. Morrison lag auf Luke und ich sah Blut auf seinem Rücken. Gemeinsam mit Ellen hob ich ihn vorsichtig herunter und legte ihn auf die Seite. Jetzt sahen wir, dass in Lukes Brust ein Messer steckte, das George ihm wohl im Gerangel aus der Hand hatte wenden können. Ich hielt seinen Kopf in meinen Händen, während Ellen vorsichtig seinen Rücken betastete und sich die Schusswunde näher ansah. Sie schüttelte unmerklich den Kopf und ich schluckte heftig, um nicht in Tränen auszubrechen. »Was … war … denn jetzt drin?«, flüsterte Morrison. Blut sickerte aus seinem Mundwinkel.
Ellen stand hastig auf und holte das Kästchen. Zuoberst fanden wir eine kleine Vorrichtung, aus der eine sicherlich 5 Inch lange Nadel auf Kyle geschleudert worden war und ihn ins Auge getroffen hatte. Darunter lagen alte, vergilbte Fotos einer japanischen Familie mit vier Erwachsenen und drei Kindern. Sie standen auf einem Bild vor einer Art Hausaltar, die beiden Räuchergefäße vereint. Unter den Fotografien befanden sich, in Stoff eingewickelt, acht walnussgroße Goldnuggets. »Sehr gut», flüsterte Morrison unter Mühen. »Dann bist du gut versorgt.« Er nickte zufrieden und schloss erschöpft seine Augen. Ich hielt ihn während seiner letzten Atemzüge im Arm und schimpfte leise: »George-Harker, wirst du wohl hier bleiben? Das war nicht Teil des Geschäfts.« Dieser stille Mann war mir mehr ans Herz gewachsen, als ich es mir je hatte eingestehen wollen. Ich schluchzte hemmungslos.
Wir begruben ihn unter einem schönen Baum, stellten ein ordentliches Kreuz auf und beteten für seine Seele. Die beiden Jameston-Brüder hingegen verscharrten wir notdürftig. Sollten die Geier sie holen. Das Gold würde mir und den Mädchen zur Unabhängigkeit verhelfen. Ellen und ich beschlossen, die beiden Räuchergefäße nicht mehr zu trennen, sondern sie in der Bank verwahren zu lassen. Ich glaubte mittlerweile, dass von ihnen wirklich ein Fluch ausging und hoffte, dass er aufhörte, nun wo sie vereint waren. Auf den Pferden sitzend, blickten wir noch einmal zurück. Ich hoffte, dies war die Art von Tod, den George sich immer gewünscht hatte. Ich zog den Hut vor ihm. Einen Gentleman machte nicht nur gute Kleidung aus. »Komm, Liebes», meinte Ellen: »Reiten wir!«
SILBER UND BLEI
MATTHIAS KREMER
Von allen meinen Geburtstagen werde ich wohl meinen Dreiundvierzigsten am wenigsten jemals vergessen können. Auch wenn dieser Tag selbst wohl kaum ein Freudentag zu nennen war, so war es doch der, der mein Leben am tiefgreifendsten veränderte. Es war der Tag, an dem ich wahrhaftig eine neue Welt kennen lernte, an dem ich wahrhaftig ein neues Leben begann. Es war der Tag, an dem ich zum ersten Male Witwe wurde.
Es war der 27. September des Jahres 1881.
Ich erwachte, seufzend, und gab, wie jeden Morgen um diese Zeit, dem Drängen meines Körpers nach. Ganz gleich, wie viele Felle ich unter und wie viele Decken ich auf meinen Körper packte, der Herbst rückte schnell näher, und wir drangen immer tiefer in die Wildnis der Rocky Mountains vor. Und so weckte mich Morgen für Morgen die Kälte auf, die aus dem Boden zu mir in die Schlafstätte gekrochen kam. Und war ich erst wach, meldete sich als nächstes meine Blase. Kam ich von diesem Gang zurück, fand ich durch die frische Luft, die Kälte und das nervenaufreibende, unregelmäßige Schnarchen meines Gatten nicht zum Schlaf zurück. Und das ging so seit Wochen. Jeden Morgen, lang vor Sonnenaufgang, sodass ich mich durch die strapaziösen Tage und die kurzen Nächte immer öfter dabei ertappte, wie ich am Tage erst Minuten, mittlerweile schon Stunden wie in Trance auf dem Kutschbock saß, mit offenen Augen schlafend.
Ich wühlte mich aus den Decken und kroch zu dem kleinen Zelt hinaus, das ich mir mit meinem Rory teilte, und hielt Ausschau nach einem Gebüsch, das meinen Bedürfnissen genügen würde.
Unsere kleine Feuerstelle glimmte nur noch, und davor stand die hoch aufgerichtete Gestalt von Jaques Pondés.
Monsieur Pondés, wie er sich ansprechen ließ, war der beeindruckendste und furchterregendste Mann in unserer Gesellschaft. Er war ungemein gutaussehend, mit verwegenen, dunklen Haaren, die ihm in die Stirn fielen sowie er den Hut abnahm, einem mächtigen Schnurrbart und tiefblauen Augen. Irgendwie gelang es ihm, während der ganzen Reise stets sauber rasiert zu sein, den Schnurrbart immer gewichst und gezwirbelt, und nicht ein Staubkorn, nicht einen Schlammspritzer auf seiner Kleidung zu haben. Nicht einmal auf den Stiefeln – etwas, das nicht einmal Fred Anters zuwege brachte, und der reiste immerhin mit einem Butler! Und Pondés hatte vollendete Manieren gegenüber jedem anderen Menschen – vorausgesetzt der war kein Mexikaner, Indianer oder Neger. Aber allen anderen, vor allem mir gegenüber, war Jaques ein perfekter Gentleman. Er erinnerte mich so sehr an Rory – an den Rory, in den ich mich vor einem viertel Jahrhundert verliebt hatte.
Aber es waren seine Augen, die mich ihn fürchten ließen. Er hatte diesen Blick in den Augen, den auch Rory aus dem Krieg mitgebracht hatte. Den Blick eines Mannes, der andere Männer getötet hatte. Rory war daran zerbrochen. Jaques war daran gereift. Seine Funktion in unserer Reisegesellschaft war uns nicht erläutert worden, aber das war auch nicht nötig. Er konnte keine Spuren lesen, er kannte die Gegend nicht, und er war, wie er selbst einmal lachend zugegeben hatte, kaum in der Lage, einen Grizzly von einem Opossum zu unterscheiden. Er hatte nicht einmal ein Gewehr dabei, nur die beiden langläufigen Revolver, die, mit den weißen Horngriffen nach vorne gerichtet, tief an seinen Hüften hingen. Als Henry Fawkes zu uns gestoßen war, hatte der sich über das Fehlen eines Gewehrs in Monsieur Pondés‘ Besitz lustig gemacht, und die beiden hatten ein Wettschießen auf ein paar leere Konservendosen veranstaltet, auf fünfzig Yard.
Mister Fawkes traf die ersten beiden Dosen ganz formidabel. Dann schoss Jaques seine drei und die letzte von Fawkes jeweils zweimal ab, und zwar, in dem er seine Waffen zog und ohne zu zielen, ja, scheinbar ohne überhaupt hinzusehen aus der Hüfte feuerte, während der Trapper noch damit beschäftigt war, seine Büchse nachzuladen. Henry Fawkes zahlte ihm kleinlaut die vereinbarten zehn Dollar, und ich war mir sicher, dass Jaques Pondés bei uns war, um jeden Menschen zu töten, der sich Mister Anters´ Unternehmen in den Weg zu stellen wagte.
Er bemerkte mich und tippte sich lächelnd an die Hutkrempe.
»Guten Morgen, Misses O'Kennel«, grüßte er mich in seinem breiten Südstaatenakzent. »Gehen Sie nicht weiter raus als meine Revolver reichen, okay?«
Ich murmelte eine verlegene Antwort und verdrückte mich ins Gebüsch, wohl wissend dass er, wenn ich herauskäme, erstens mit dem Rücken zu der Stelle stehen würde an der ich mich befand und zweitens, dass er eine Tasse heißen Kaffees für mich in der Hand haben würde. Er war der einzige hier, der so höflich und umsichtig war. Nicht einmal Rory war noch so, und die anderen Kerle versuchten sowieso immer nur, mehr oder weniger auffällig einen Blick auf Misses Mary Jane O'Kennels Unterrock zu erhaschen – natürlich ohne sich Gedanken um so kleine Aufmerksamkeiten wie ein heißes Getränk zu machen.
»Der Kaffee wird nicht helfen, wenn Sie noch ein wenig schlafen wollen, Missus O'Kennel!«, ermahnte mich Jaques. Ich schlürfte an dem heißen Gebräu und schämte mich ein wenig, weil ich schon wieder von ihm als »Jaques« gedacht hatte, und nicht als »Monsieur Pondés«, wie es sich für mich gehören würde.
»Ich weiß, Sir. Und ich weiß, dass Ihr wisst, dass ich sowieso nicht mehr schlafen kann. Und ich weiß, dass Ihr mir keinen Kaffee anbieten würdet, wenn Ihr denken würdet dass ich es kann, und … Ach je, verzeiht mir … Ich plappere dummes Zeug.«
»Yeah. Das geht mir auch immer so, bevor ich meinen Kaffee hatte«, sagte er und grinste mich wieder an wie ein Zeitungsjunge aus Whitechappel.
Ich umklammerte meine Tasse und nahm einen weiteren Schluck. »Sich Mund und Finger zu verbrennen gleicht nicht aus, sich die Füße zu erfrieren, ist aber besser als nichts.«
Das brachte mir ein weiteres Lausbubengrinsen von ihm ein. »Bald wird es besser. Die Sonne geht gleich auf, und ich glaube, es wird ein schöner, warmer Herbsttag.« Er nickt Richtung Osten, und ich wandte mich der Ahnung eines Lichtscheins zu, der sich weit, weit hinter der Ebene andeutete.
Osten.
Meine Gedanken wanderten zurück nach Osten, nicht nur über das Land, nein, auch in der Zeit. Osten. Wenn man von hier aus viele hundert Meilen nach Osten gehen würde, käme man an eine Küste. Stiege man dort auf ein Schiff, und segelte man wiederum viele hundert Meilen ostwärts, dann würde man Irland erreichen. Und würde man von dort aus noch weiter etliche hundert Meilen gen Osten reisen, dann würde einen der Weg nach London führen.
London, das ist die Stadt, in der ich geboren wurde. Bis zu einem gewissen Punkt hatte ich dort eine glückliche Kindheit gehabt. Mein Vater war Diener bei Lord Lyndon, einem geschätzten Mitglied des House of Lords, meine Mutter die Zofe der Lady gewesen. Die Herrschaften hatten nicht nur die Rechte, sondern vor allem auch die Pflichten alten Adels aufs gewissenhafteste verinnerlicht, und waren stets darauf bedacht, ihre Dienerschaft in bestem Zustand zu halten. So hatte ich die ersten vierzehn Jahre meines Lebens in für meinen Stand hervorragenden Verhältnissen gelebt. Leider war mein Vater nicht willens gewesen, mit dem, was er von Lord Lyndon bekam zufrieden zu sein. Er wurde bei einem bedeutenden Diebstahl ertappt, und in den darauffolgenden Untersuchungen kam zum Vorschein, dass er über Jahre jede sich bietende Gelegenheit zu stehlen und zu betrügen genutzt hatte. Lord Lyndon verhielt sich über alle Maße gerecht, er ließ alle Umstände aufs Gründlichste prüfen, um sicher zu gehen, dass kein Unschuldiger verurteilt würde. Aber als all seine Anstrengungen immer wieder nur Vaters Schuld bewiesen, handelte er ebenso gründlich. Vater musste ins Zuchthaus, wir wurden des Hauses verwiesen, und obschon wir Kinder mit Sicherheit, und Mutter fast ebenso sicher, nicht in die Gaunereien meines Vaters eingeweiht waren, so war uns doch durch Lord Lyndons Urteil jede weitere Anstellung in einem respektablen Londoner Haushalt verwehrt. Meine Brüder fanden letztendlich Arbeit in den Docks, wo jedes Gesindel noch unterkommt; meine Mutter fand den Gin.
Ich fand, als Tochter des Diebs und der Säuferin, keine Arbeit mehr. Die einzigen Angebote, die mir zu Teil wurden kamen aus Etablissements, auf deren Natur ich nicht weiter eingehen möchte. Ich arbeitete schließlich in einem solchem – als Serviererin, und nur als Serviererin. Das waren die schlimmsten acht Monate meines Lebens. Die Männer schlugen und bespuckten mich, weil ich nicht bereit war, ihnen zu geben was sie erwarteten. Die anderen Frauen im Haus bespuckten und verachteten mich, weil ich mich weigerte, mit den Männern das zu tun, was sie taten.
In diesem Haus in den Docks fand mich Murphy MacManus. Der Mistkerl verliebte sich in mich, und ich mich für eine gewisse Zeit auch in ihn, und da er auf einem Schiff Dienst tat, das zwischen Dublin und London verkehrte, fand ich mich im Sommer 1857 plötzlich als Serviererin in einem Pub in Irland wieder. Nun – es gibt Schlimmeres! MacManus brach mir das Herz, kaum dass ich nach Dublin umgesiedelt war, und ich dachte schon, nie wieder die Liebe zu finden. Das ist ein Vorrecht von Frauen unter zwanzig! Und dann kam der Tag, an dem ich Rory kennen lernte. Rory O'Kennel. Schwarze Haare, prachtvoller Schnurrbart, witzig, charmant und tollkühn. Als er erfuhr, dass Murphy mich aus London »entführt« und dann wegen einer anderen sitzen gelassen hatte, schlug er ihm zwei Zähne aus und die Nase platt, und weil sie Iren waren, entschuldigte sich Murphy danach bei mir und dann tranken die beiden die ganze Nacht.
Rory war ein Herzensbrecher, Sohn aus altem irischen Adel, was er nur leider nie beweisen konnte. Ein Rebell, ein Spieler, dem Fortuna ihre besondere Gunst geschenkt hatte, ein Mann, der sich mit größter Leidenschaft in jedes Abenteuer warf, das er für Wert hielt, erlebt zu werden. Und leider war er auch ein Dieb und Räuber. Er hielt sich für einen Irischen Robin Hood, er brach in Häuser ein und raubte Leute aus, nahm von der Beute was wir zum Leben brauchten und gab, was überblieb, denen, von denen er glaubte dass sie es benötigten und verdient hätten.
Wir heirateten am vierzehnten Februar 1858, und ich war die glücklichste Braut im gesamten Empire.
Ich blieb Serviererin. Rory blieb ein Glücksritter. Und tat, was er glaubte tun zu müssen, um Unrecht wieder gut zu machen. Heute weiß ich, dass Unrecht nicht durch mehr Unrecht auszugleichen ist. Damals musste ich das erst noch lernen, und mein Lehrmeister, das Leben, war hart zu mir.
Am dreizehnten April 1859 schenkte ich einem Sohn das Leben. Und natürlich nannten wir ihn Patrick!
Mein kleiner Junge war zweieinhalb Jahre alt, als Rory sich bei einer seiner Heldentaten aufs Schwerste verrechnete. Ich weiß nicht, was er damals geplant hatte, aber es endete mit einem Butler, der mit eingeschlagenem Schädel auf einem Teppich lag, mit einer Schießerei, und mit einer Polizei, die nicht mehr nach einem dreisten Dieb, sondern nach einem gewissenlosen Mörder suchte. Und mit einer Strafe, die nicht mehr Zuchthaus, sondern den Galgen bedeutet hätte.
Rory hat mir tausendmal geschworen, dass er den Butler nicht hatte töten wollen. Und ich weiß, dass er mich nicht belogen hat. Aber dennoch blieb uns nur die Flucht. Im Januar 1862 brachen wir mit der »Golden Hind«, einem Schiff, das nach dem berühmten Flaggschiff von Sir Francis Drake benannt worden war, nach New York auf. Sollten sie es jemals sehen, oder seinen Kapitän – ein Mann, der sich Pitt Swynn nennt – dann tun sie der Welt den gefallen, zünden sie das Schiff an und ersäufen sie das fette Schwein, das es befehligt! Ich bin sicher, Sir Francis hat sich in seinem Grabe umgedreht, als dieses Schiff seinen Namen erhielt.
Wir zahlten alles, jeden Penny, jedes überzählige Kleidungsstück, jede Waffe und jede Patrone, die Rory besaß, um nach New York zu kommen. Nun, offensichtlich kamen wir wirklich dort an, was nicht für alle Iren zutraf, die mit uns auf diesem vergammelten Seelenverkäufer gelandet waren. Ich weiß von mindestens drei unserer Mitreisenden, die des Nachts eine heimliche Seebestattung erhalten haben, und nur Gott alleine weiß, wie viele es insgesamt waren! Es hätte nicht viel gefehlt, und mein kleiner Patrick hätte dazu gehört.
Das Schiff war vollgestopft mit Menschen; es gab nichts zu essen, was nicht vom Schimmel befallen oder von den Ratten angenagt war, kein sauberes Wasser und keine Luft zum Atmen – dafür Läuse und Fieber im Überfluss. Aber wir schafften es, allen Umständen zum Trotz, Amerika zu erreichen. Das Land der Freiheit. Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Ich habe seither viele Männer getroffen, für die Amerikas unbegrenzte Möglichkeiten bedeuteten, dass sie Handel treiben konnten, sich weit über ihren Stand erheben konnten, unermesslichen Reichtum erlangen konnten, sei es mit Rindern, mit Gold und Silber oder dem Öl, nachdem plötzlich jeder strebte.
Wir dagegen lernten, wie sollte es anders sein, ganz andere unbegrenzte Möglichkeiten kennen. Für uns bedeuteten sie die Möglichkeit, dass ein Mann ein Schiff verlässt, ein Dokument unterschreibt, dass ihn zum Bürger des Landes erklärt, und danach sofort aufgefordert wird, dreihundert Dollar zu bezahlen oder der Armee beizutreten. Es bedeutete die Möglichkeit, dass mein geliebter Rory, kaum dass er wieder festen Boden unter den Füßen hatte, in eine blaue Uniform gesteckt wurde, ein billiges Sharp-Gewehr in die Hände gedrückt bekam und auf das nächste Schiff verfrachtet wurde, um in einem Krieg zu kämpfen, von dem er nichts wusste, für Interessen, die er nicht kannte, in einem Land, das niemals seines werden würde.
Es bedeutete die Möglichkeit, dass ich, mit einem fiebernden Kleinkind und völlig mittel- und obdachlos in einer fremden Stadt stranden konnte.