Kitabı oku: «Götter sind auch nur Männer», sayfa 2
„Tschüß, Kleine.“
Ich versuche die Tränen zu unterdrücken, die schlagartig meine Augen füllen, aber mein Vater hat sich schon wieder einem Kochtopf zugewandt.
20 Minuten später sitze ich mit einer von meiner Mutter spendierten Fahrkarte im Zug Richtung München.
Das Wochenende ist vorbei. Ich wünsche mir ein neues Paradies.
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München. Es ist Montagmorgen. Banktag.
Gegen 10 Uhr bin ich bereit, der finanziellen Wahrheit ins Gesicht zu sehen. In Zeiten der wirtschaftlichen Nullrunde auf die Bank zu gehen, um sich von einem gesichtslosen Kontoauszugsdrucker in eine Krise stürzen zu lassen, nenne ich mutig. Mein Kontoauszug ist mittlerweile zur Ikone meiner Erfolglosigkeit geworden. Meine Kündigung am Stadttheater bedeutete gleichzeitig das Ende meiner Liquidität.
Ich hatte mich damals entschieden, nur noch Stückverträge am Theater anzunehmen und mich intensiv um meinen Einstieg beim Film zu kümmern. Theater und Film. Eine glänzende Mischung. Das Problem war nur, dass ich dies zwar entschieden, aber mich niemand darum gebeten hatte.
Am liebsten wäre mir Job-Sharing mit Angelina Jolie. In diesem Fall würde ich auch freiwillig ihr Privatleben teilen.
Die Realität sah schon lange anders aus. Sie bestand aus einer Kombination von Drehtagen mit Seltenheitswert und ein paar Monatsgagen am Theater. Seitdem kaufe ich Kleider nur im Secondhandshop oder zu sensationellen Tiefpreisen. Wenn es H&M nicht gäbe, stünde ich jetzt halb nackt auf der Straße. Keine Frage, dass ich mich lieber in Kleider von Jil Sander oder Armani XL hüllen würde, aber das Schicksal hat mir bisher das große Tor des Erfolges verschlossen. Das damit verbundene Geld natürlich auch, ganz zu schweigen von Anerkennung.
Ich übe mich in Geduld, obwohl es nicht meiner Natur entspricht. Die Zeit des Wartens auf den wirtschaftlichen Aufstieg vertreibe ich mir mit ständig wechselnden Beschäftigungen.
Nebenher arbeite ich als Testperson für alles Mögliche. Bei meinem letzten Job habe ich Kniebandagen auf einem Laufband getestet. Als der schwach schwitzende Typ habe ich immer gute Karten und werde als Testperson regelmäßig eingesetzt.
Der Gang zur Bank fällt heute sogar mir, dem schwach schwitzenden Menschen, schwer. Nach meinen Berechnungen dürfte sich mittlerweile nur noch eine eher kleine Gruppe von Euros auf meinem Konto befinden. Ich ziehe die sechs Seiten des Auszuges aus dem widerspenstigen Automatenschlitz und habe nach dieser Freitagserfahrung mit der Bahn eigentlich keine große Lust mehr, meine Dienstleistungsverhältnisse nur noch auf Maschinen zu beschränken. Aber da ich Kosten dämpfe, wo ich nur kann, habe ich mich für das anonyme Kontoführungsmodel der Sparkasse entschieden. Die Maschinen sind tapfere 24 Stunden für mich da.
Wie ich erwartet habe, sind meine Mittel fast erschöpft. Ich wollte mir ohnehin nichts kaufen und verlasse das Automatenfoyer mit der stolzen Haltung der letzten russischen Zarin.
Ein Job, am besten eine gut bezahlte Werbung – und jeder Dispokredit möchte meine Kontonummer tragen.
Wie viele Schauspielerinnen sich in meiner Altersgruppe auf dem Markt tummelten, wollte ich nie wissen. Ich weiß nur, dass man mich vor wenigen Jahren noch als jung bezeichnete, und heute legt man mir nahe, „Vollgas“ zu geben oder mein Alter zu fälschen.
Da ich nie ein guter Lügner war, werde ich nicht an meinem Alter herumschrauben. Die meisten meiner Kolleginnen, die Mitte oder Ende dreißig sind, schummeln ihr Alter auf Anfang dreißig herunter, sodass es in meinem natürlichen Altersgefüge zu einem leichten Überhang kommt. Ich habe mir schon ernsthaft überlegt, mein Alter in die Region von „endlich über vierzig“ zu verlegen, um dann ein Kompliment nach dem anderen einzustecken. Ich könnte meine Schönheitsgeheimnisse teuer verkaufen, hätte meine eigene Kolumne bei einer Frauenzeitschrift, und schon bald würde einer der Verkaufssender aus dem Fernsehen auf mich zukommen.
Ich hätte endlich eine Menge Geld und wäre in diesem Zuge interessant für Serien oder TV-Movies und dürfte bestimmt die Titelrolle in „Margot und die Killerbienen“ spielen.
Und was meine mögliche Besetzung fürs Traumschiff angeht: Ich warte nicht mehr darauf, bis mich der Rademann für seine Rentnerschiffsserie besetzt, damit ich endlich mal was von der Welt sehe. Bei so vielen Angeboten hätte ich natürlich kaum Zeit zu reisen und würde in jeder Talkshow ein wenig darüber jammern.
Mein Buch „Wie Sie mit 40 wie Anfang 30 aussehen können“ wäre der reinste Kassenschlager, und wenn ich fünf Jahre später mein erstes Kind zur Welt bringe, liegt mir jeder Verlag zu Füßen.
Die Welt braucht Wunder, und ich könnte eines sein! In meinem real existierenden Leben ist bis heute noch kein Wunder geschehen, aber ich bereite mich darauf vor. Ich investiere mein Geld regelmäßig in sündhaft teure Kosmetikprodukte und habe damit bestimmt schon eine erdbebensichere Wand der Shiseido-Firmenzentrale finanziert. Und das in Japan!
Zurzeit beschäftige ich mich mit einem Nahrungsergänzungsmittel, das direkt aus den Tiefen eines amerikanischen Urwalds kommt. Diese „Ur-Essenz“ soll zu neuen und noch größeren Lebensgeistern führen. Ganz nebenbei wird der ganze Körper durchgestrafft, der Fettstoffwechsel angeregt, und „Müdigkeit“ wird zum Fremdwort.
Selbst das Wort „Krebs“ kann nach regelmäßiger Einnahme des Präparates nur noch mit einem Tier in Verbindung gebracht werden.
Alles in allem mache ich alles, um mein eigenes Verfallsdatum ein wenig nach hinten zu schieben, damit ich meinem eigenen Erfolg noch in Würde begegnen kann.
Längere Zeit bin ich wegen meiner spärlichen Beschäftigungssituation nicht einmal mehr auf Partys gegangen. Die lästige Fragerei nach meinem Beruf belastete meine Nerven zu stark.
Es lief eigentlich immer gleich ab: Ein Mann spricht mich an, so der aparte Durchstarter-Typ, bei dem nach dem Studium haarscharf die große Karriere begann. Nach drei bis fünf Sätzen kommt der „König der Small-Talk-Sätze“: „Und, was machst du so beruflich?“
Ich überlege, ob es nicht diesmal die Tierpflegerin oder Anwaltskanzleigehilfin, vielleicht auch irgendetwas dazwischen sein kann, und habe schon die graue Wahrheit meiner Existenz ausgesprochen: „Schauspielerin.“
Alles nimmt seinen gewohnten Lauf: „Mensch, stark, eine echte Schauspielerin, muss man dich kennen?“
Nein, muss man nicht. Es sei denn, er ist Nebenrollenfetischist bei den Rosenheim-Cops.
Heute Abend werde ich mich wieder nach langer Zeit auf eine Party wagen. Mein niedriger Kontostand spricht sowieso für einen bezahlten Aufenthalt mit Verpflegung.
Es fehlt nur noch ein Geschenk. Ich hatte doch letzte Woche noch in meinem Küchenschrank eine Flasche Sekt gesehen. Ein Geschenk meiner Nachbarin.
Ich habe vor ungefähr drei Jahren auf ihre neurotische Katze aufgepasst. Das Tier lebt seit letztem Jahr nicht mehr, aber die Trophäe meines Dienstes ist schnell entstaubt, und die blaue Schleife wird einfach wieder in Form gebogen. Es ist sogar Champagner. Bei drei Jahren Lagerzeit kann man doch schon von einer Rarität sprechen – genau das richtige Geschenk für Rüdiger.
Rüdiger ist erfolgloser Regisseur und wird 40. Ich weiß zwar nicht, was es da zu feiern gibt, aber seine Kochkünste sind einfach besser als alles, was er jemals in einem Film inszenierte. Seine Buffets sind ein Fest wert.
Durch meinen Vater sind meine Geschmacksnerven bestens trainiert. Zwar bin ich vor meiner Familientradition geflüchtet, aber gutes Essen gehört zu den wichtigsten Dingen in meinem Leben.
Ich halte mich an diesem Abend, als einer der ersten Gäste, in der Nähe seines reichhaltigen Buffets auf und baue es kontinuierlich ab.
Kein Drehtag weit und breit, kein Figur-alarmierendes Werbecasting. Auf Castings für Schokolade gehe ich sowieso nicht mehr, denn meine Figur würde den Verdacht erregen, das Produkt mache dick.
Ich lade mir noch ein paar getrocknete Tomaten auf den Teller.
Langsam finden sich immer mehr Partygäste ein. Sie sind alle auf Knopfdruck gut gelaunt, und man könnte meinen, diese Sonnenscheinmenschen hätten nie Probleme.
Einige nähern sich dem Buffet, an dem ich wie festgeklebt stehe. Sie lächeln mich an, stellen sich vor. Reizend.
Nach höchstens 10 Sekunden habe ich ihren Namen wieder vergessen. Das Buffet ist mein Gesprächspartner.
Die Pflaumen im Speckmantel blicken mich unverschämt provokativ an. Und es gibt Fisch in allen Variationen. Sardellen in Zitrone eingelegt mit Walnüssen oder ein heimisches Felchen-Filet, das wahrscheinlich noch vor kurzem in einem der teuren bayrischen Seen herumgeschwommen ist. Rüdiger liebt diesen Fisch wie sein Gewässer. Da kann auch ich nicht widerstehen.
Oder einfach mal wieder ein Paar Münchner Weißwürste mit süßem Senf. Auch wenn es nicht mehr Mittag ist. Diese Tradition hat sich sowieso schon mit der Einführung von Kühlschränken erledigt. Ich angle mir ein Paar dampfende Weißwürste aus dem Suppentopf. Sie sind schön prall und nicht geplatzt.
Gleich wird mich niemand mehr ansprechen wollen. Wer möchte sich schon mit einer Frau unterhalten, die an einer Wurst saugt? Schließlich sollte man alte bayrische Traditionen achten. Das geht so: Man nimmt die Wurst in die Hand und beginnt am offenen Ende und mit leichten Druck, den Inhalt herauszusaugen. Die Pelle ist leider nicht essbar, aber die Füllung. Wenn man dabei noch lange rote Fingernägel hat, erinnert es schnell an einen Porno – jedenfalls kann man damit schnell männliche Stimulationsträume lostreten.
Also saugen, genießen und schweigen. Schließlich bin ich Single.
Essen war mir schon als Kind wichtig. Da ich schon immer viel allein war, wurde der Kühlschrank bald zu meinem besten Freund. Er war der Einzige, der mir zeigte, was das Leben an Fülle zu bieten hatte. Er machte es mir schmackhaft. Und er zeigte mir die Welt.
Wenn ich seine Tür langsam öffnete, sah ich die Skyline von New York. Ich achtete immer darauf, dass meine Mutter mindestens zwei Tüten Milch einkaufte, weil ich das World Trade Center so liebte.
Eine Colaflasche war das Empire State Building und das verdorbene Gemüse in den unteren Schubfächern die sagenumwobene Bronx.
Joghurt, Einmachgläser, Butter und Marmelade formierte ich immer wieder neu zum Times Square und zum Broadway. Nutella war auch schon in meiner Fantasie immer ein modernes Museum.
Die Milchtüten waren aber am wichtigsten. Wenn keine Milchtüten im Kühlschrank waren, konnte ich nur noch auf Paris und London ausweichen. Meine erste Torte im Kühlschrank führte mich nach Rom. Alle diese Städte habe ich immer wieder „verinnerlicht“.
Eigentlich besteht mein leichtes Übergewicht aus den Städten der Welt. Mein Hintern gehört zu den Megastädten der Welt – São Paulo.
Da spreche ich auch schon von meiner ersten Problemwurzel. Mein Po hat schon immer eine gute Größe – für meinen Geschmack eine zu große. Also befinde ich mich schon seit Jahren in der Ab- und Zunehmfalle. Ich bin froh, dass er sich hinten befindet und wir uns nicht ständig sehen müssen, geschweige denn uns über den Weg laufen.
Richtig dick bin ich nie gewesen, aber mit den Bikini-Figuren meiner Kolleginnen werde ich wohl nie mithalten können. Ich sehe mich auch eher in winterlichen Filmen. Mäntel stehen mir einfach gut.
Sobald ich wieder Arbeit habe, werde ich schlanker.
Bei einem Theaterstück zum Beispiel nehme ich immer mehr ab, weil ich mich viel bewege, der Vertrag länger als drei Tage dauert und ich glücklich bin, gebraucht zu werden.
Drehtage beim Film sind eher seltener. In diesem Fall mache ich immer zuvor eine Diät und zwänge mich dann in eine viel zu kleine Miederhose. Der visuelle Effekt entspricht einer dreiwöchigen Suppen-Kur, zwei Wochen Körneressen oder einem zweimonatigen Besuch einer Weight-Watchers-Gruppe.
Nachdem ich die Weißwürste ausgesaugt habe, kann ich mich dem mediterranen Teil des Buffets widmen. Eine kulinarische Reise.
Ich entscheide mich für die leckeren gegrillten Auberginen und lade großzügig Antipasti auf meinen Teller. Als ich gerade ein paar ölige Oliven geangelt habe, spüre ich wie ein ungefähr 1,84 cm großer Schatten auf mich zukommt. Fragt sich noch, ob er es auf mich oder auf den griechischen Salat abgesehen hat, in dem ich mittlerweile nervös herumrühre. Ich hasse Schafskäse. Ich hasse es, ein verlorener Single auf dieser schlechten Party zu sein. Ich habe meine Miederhose zu Hause vergessen. Zu spät.
Sein Aftershave hüllt mich völlig ein. Eine aufdringliche Art der Annäherung. Bestimmt Löwe, denke ich mir noch, und im selben Moment habe ich ein Gespräch an der Backe.
Auch noch einer vom Film. Ein Schauspieler. Den kenne ich vom Fernsehen und muss so tun als sähe ich ihn jetzt zum ersten Mal. Die Serie, in der er eine Hauptrolle spielt, finde ich übertrieben schlecht.
Aber er kann sich dadurch bestimmt einen halben Liter von diesem raumgreifenden Aftershave leisten, das jetzt wohl schon auf meinen getrockneten Tomaten klebt.
Ich habe auch keinen Hunger mehr, wenn ich diesen wichtigen dünnen Kollegen so vor mir stehen sehe. Mein Gott, sieht der gut aus! Zwar sehe ich auch gut aus, aber der Glanz des Erfolges ist wahrscheinlich das reinste Aphrodisiakum.
Er stellt sich als Axel vor, was ich natürlich schon längst weiß, fragt nach meinem Namen, den er noch nicht wissen kann, obwohl ich hoffe, dass diese Zeit noch kommen wird, in der er weiß, dass ich Hannah bin, Hannah Eichhorn. Das klingt nach Erfolg.
Erwartungsgemäß will Axel wissen, woher ich das Geburtstagskind kenne. Rüdiger kenne ich noch als Regieassistenten. Das hätte er auch bleiben sollen, bis eine Chance in seine Nähe kommt.
So nah, dass er sie auch packen kann. Aber nein, er wollte mutig sein, obwohl er gut zu tun hatte, in das berühmte kalte Wasser springen, und das blieb auch kalt. Ab und zu ein kleiner selbstfinanzierter Kurzfilmdreh, mit dem er bisher noch nicht für Furore gesorgt hat. Geschweige denn, dass er einen Preis bei einem Kurzfilmfestival gewonnen hätte.
Seine Chancen standen noch schlechter als meine. Deshalb verstehe ich überhaupt nicht, dass er noch Lust hat zu feiern. Aber das Wunder klopft zum Glück an jede Tür.
Ich habe ihn schon mehrfach zur Eröffnung einer Filmcatering-Firma zu überreden versucht.
Mit den Kochkünsten hätte er ein volles Auftragsbuch. Wenn er schon nicht mit Heino Ferch drehen kann, dann könnte er ihn wenigstens ernähren. Auch ein intimer Prozess.
Doch dafür ist scheinbar sein Stolz zu groß. Deshalb kann dieses brachliegende Potenzial nicht ausgeschöpft werden. Und das ist sein größtes.
Jedenfalls sage ich Fernsehaxel, dass ich Rüdiger schon seit acht Jahren kenne, in guten und in schlechten Tagen. Heute ist ein Guter, denke ich. Jedenfalls für mich.
Es gelingt mir, Fernsehaxel das Gefühl zu geben, ich würde ihn tatsächlich nicht kennen. Die Situation macht ihn langsam nervös, ich finde sie ist noch nicht genug ausgereizt. Jetzt verspüre ich Lust, seinen Bekanntheitsgrad offen infrage zu stellen. Ich mache ihn mit dem „König der Small-Talk-Sätze“ bekannt.
„Und was machst du so beruflich?“, frage ich ihn, so lässig ich kann. Ich habe schon drei Gläser billigen Rotweins hinter mir und bin dementsprechend angriffslustig.
Ein Versuch, meine selbst erlittenen Schmerzen wieder zurückzuzahlen. Diese Mittelklasse-Erfolgsschauspieler denken nämlich, jeder müsse sie kennen. Er scheint jedoch gar nicht über meine Frage überrascht zu sein und schaut mich mit festem Blick an.
„Du, ich leite die Marketingabteilung bei Löwenbräu“, ist seine nicht weniger lässige Antwort. Ich bin sprachlos.
„Häh?“, denke ich mir, Löwe sollte doch nur sein Sternzeichen sein, und ich will auf der Stelle tot umfallen, wenn das nicht der Typ ist, der den Kommissar in dieser schlechten Serie spielt. Abgesehen davon weiß ich, dass er mit Rüdiger befreundet ist.
Ich bin außer mir, fühle mich in meiner kleinen Intrige gefangen. Konnte ich damit rechnen, dass er so souverän blufft?
Die Lüge steht in seinen funkelnden Erfolgsaugen geschrieben. Mit seinem Grinsen auf den Lippen sagt er mir wortlos, dass er mein Spiel sofort durchschaut hat. Im nächsten Moment bin ich bereit zu sterben, denn ich sage ihm, dass es mir leidtut, und gerate plötzlich völlig durcheinander. Ich gestehe ihm, dass ich leider kein nicht fernsehe und ihn nicht kenne!
Ich kann nicht glauben, dass ich das wirklich gesagt habe, mich selbst verraten – ein Eigentor. Axel schaut mich triumphierend an. Das halte ich nicht aus.
Ich drücke ihm meinen mühselig zusammengesuchten Fressteller in die Hand, durchbreche diese Parfumwand, die mich immer noch in Gefangenschaft hält, und verschwinde erst einmal zum Nachdenken und Beruhigen auf die Toilette. Dabei lasse ich einen irritierten Axel zurück. Hoffentlich hasst er getrocknete Tomaten.
So ein Blödmann und ich bin die dümmste Kuh, die es auf dieser Welt gibt – eigentlich hätten wir die besten Chancen, gut zusammenzupassen.
Ich stapfe mit meinen viel zu spitzen Niedrigabsatzpumps, die sich sofort wie Waffen in die Richtung von Rüdigers Bad bewegen, davon. Der Alkohol beginnt mittlerweile noch mehr zu wirken.
Auf dem Weg meines Rückzuges angele ich mir ein Gläschen Sekt aus der Küche, um mich dann als Verlierer im Bad einzukerkern. Schnell verriegele ich die Tür von Rüdigers Bad, den ich an diesem Abend zum ersten Mal nah bei mir spüre. Es riecht nach frisch gewaschener Wäsche. Die Luft liegt schwer und dampfig im Raum. Von draußen dringt sanft Musik durch die Tür. Mein Lieblingsstück aus vergangenen Tagen.
Wovon sollen wir träumen. Frieda Gold.
Auf der Suche nach Halt lehne ich mich an die kühlen Fliesen und trinke erst einmal zur Beruhigung einen Schluck Sekt. Ich schließe die Augen und wünsche mich an einen anderen Ort. Nach diesem peinlichen Zwischenfall würde ich am liebsten diese Party verlassen und nach Hause gehen.
Es tat mir leid, dass ich so schlecht über Rüdiger dachte und dabei auch noch sein ganzes Büffet wegfraß.
Mit meinem kleinen Schwips setze ich mich aufs Klo und leere den Rest des Glases auf Rüdigers vierzigsten Geburtstag, obwohl der erst morgen ist. Es ist ja auch, egal wie alt man als Regisseur ist.
Jedenfalls könnte er mal wieder sein Bad streichen, Freizeit hat er schließlich genug. Als ich meinen Körper wieder in die Strumpfhose gezwängt habe, klopft es auch schon wieder an der Tür. Die Leute trinken immer zu viel auf Partys.
Ich fühle mich bereit, diesen Rückzugs-Ort wieder zu verlassen, und habe nicht einmal mehr Lust, mein Make-up aufzufrischen. Das hätte auch gar keinen Sinn, denn mein Kopf ist immer noch knallrot, und der Alkohol trägt das Seine dazu bei.
Ein wenig Wasser auf die Hände, und ich fühle mich wieder völlig reingewaschen. Noch einmal tief durchatmen, die Tür entriegeln … und vor der geöffneten Tür strahlt mir Axel entgegen. Fast so armselig, wie ich ihn aus dem Fernsehen kenne. Mit seinem heuchlerischen, völlig unnatürlichen Lächeln. Was für ein überschätztes Talent.
„Hallo, Hannah, hab dich schon überall gesucht.“ Fernsehaxel will scheinbar mit mir anbändeln.
„So groß ist die Wohnung von Rüdiger ja nicht, und nach dem Gespräch mit dir musste ich erst einmal aufs Klo.“
Mein Kopf ist wieder oben, es steht 1:1, und ich versuche mich so uncharmant wie möglich an ihm vorbeizuzwängen.
„Hey, jetzt lauf doch nicht weg!“
Axel hält meinen Arm so fest, dass ich sofort aus all meinen innerlichen Träumen erwache.
„Dass ich Schauspieler bin, weißt du von Rüdiger. Ich habe ein Bild von dir auf seinem Schreibtisch bewundert, und er hat mir erzählt, dass du meine Serie abgrundtief schlecht findest.“ Ich bin sprachlos. So viel Ehrlichkeit sollte doch keine Zunge sprechen, und Rüdiger entwickelt sich immer mehr zu einem billigen Tratschweib.
„Nein“, heuchle ich munter, „ich finde nur die Drehbücher schlecht, ich habe Rüdiger sogar empfohlen, sich dort als Regisseur zu bewerben.“ Vielleicht gelingt es mir, mich freizusprechen.
Bei dieser Serie hätte er endlich einmal Kontakt zu seinem realen Niveau gefunden und würde nicht länger frustriert in seiner Bude hocken. Schon wieder bin ich von Axels Duftwolke vereinnahmt, diesmal ist sie aber nicht mehr so aufdringlich. Er hat sich auf der Suche nach mir in Bewegung gesetzt und damit seinen Geruch subtil in Rüdigers Zweizimmerwohnung verteilt. Wirkt bestimmt genauso gut wie ein Antitabak-Spray.
Langsam ziehe ich meine Krallen wieder ein, und dann verschwinde ich mit Axel in der Küche auf der Suche nach neuen Getränken.
Nach dem vierten Caipirinha finde ich Axel immer lustiger und lache über jeden noch so kleinen Witz. Er ist wirklich ein richtig guter Typ, und ich kann verstehen, dass er mit einer Hauptrolle in einer Serie besetzt wurde.
Er leidet natürlich sehr unter dem Zeitdruck, unter dem er arbeiten muss, und der schwachen Regie, mit der er jeden Tag konfrontiert wird. Und tatsächlich sehe ich Axel mittlerweile mit anderen Augen.
Seine Gage hat er größtenteils in einer Zweizimmer-Eigentumswohnung angelegt. Zum einen wegen der Steuer, und dann muss auch er an die Sicherheit denken, die er sehr in seinem Leben braucht. Er ist schließlich Steinbock!
Wie schön. Auch ich war schon immer ein Mensch mit einem großen Sicherheitsgefühl. Mehr als alle Steinböcke auf dieser Welt zusammen.
Dieser Beruf ist das reinste Selbstmordkommando für meine Seele. Am liebsten hätte ich ein Haus mit Garten, Kinder, einen unkonventionellen Traummann an meiner Seite und einen Hund, der nie stinkt. Dies alles ist ferner als die Marsbesiedelung, und Axel kommt immer näher. Wir gehen tanzen. Eigentlich hasse ich es, auf Partys meinem körperlichen Selbstausdruck freien Lauf zu lassen. Wenn es nicht auf der Bühne oder beim Film verlangt wird, bin ich privat der reinste Anti-Tänzer.
Wir entern die Mitte von Rüdigers Wohnzimmer, den ich nirgendwo entdecken kann. Eigentlich habe ich ihn wirklich nur gesehen, als ich gegen halb neun Hunger bekam und mich zu seiner Wohnung in Bewegung setzte. Als ich hier eintraf, hatte ich im ersten Augenblick einen Schreck bekommen. Rüdiger öffnete mir kahlgeschoren die Tür. Er hatte seine dichten braunen Locken abrasiert. Genauso wenig könnte ich mir Paris ohne Eifelturm vorstellen. Aber er hatte es getan.
Rüdigers Haarpracht ergänzte sich ausgezeichnet mit seinem jungenhaften Charme. Jetzt wirkte er wie ein älter gewordener amerikanischer Soldat, der sein Haar nicht ergrauen sehen will.
Was war so schlimm daran, vierzig zu werden?
Doch nun waren nicht nur seine Haare verschwunden, sondern auch Rüdiger. Er wird doch nicht seinen Geburtstag verpassen wollen, in den wir gerade immer lustiger hineinfeiern.
Zum Glück wird gerade nicht „I will survive“ gespielt, denn das ist immer der Höhepunkt jedes Ausdruckstänzers, und mit Axel bin ich gerade gar nicht in „I will survive“-Stimmung. Obwohl solche Geburtstagsfeste immer Mittelpunkt vergangener Musikerfolge sind.
Nein, das Schicksal kennt unsere Situation genau und spielt eine ruhige Klavier-und-Harfen-Version von Bon Jovi: „It’s my live.“
Ich ergebe mich und sinke in Axels Arme. Meine Nase steckt tief in den Maschen seines kamelfarbenen weichen Kaschmirpullis, und ich bin froh, dass ich mein Make-up nicht aufgefrischt habe.
Beim Versuch, meinen besoffenen Kopf wieder einigermaßen gerade zu halten, lande ich direkt an Axels Wange.
Sie fühlt sich wie ein zärtliches Reibeisen an, dem man vertrauen kann. Sein Aftershave riecht so verführerisch auf seiner Haut, dass es mich fast wahnsinnig macht. Ich verspüre den Drang, noch näher zu kommen, und verstehe nicht mehr, was ich jemals gegen Axel hatte. Langsam nähern sich meine Lippen seinem Mund, mein ganzer Körper steht in Flammen, und ich möchte am liebsten die Zeit anhalten. Es ist Mitternacht. Das schrille Klingeln eines Weckers lässt mich aus allen Wolken der Leidenschaft fallen.
Leider kommt es nicht zur heiß ersehnten ersten intimen Begegnung mit Fernsehaxel. Das Licht wird gelöscht, alle singen unerkannt und lautstark „Happy Birthday“. Nach der dritten Wiederholung findet zum Glück ein unbekannter Retter den Lichtschalter und macht diesem gesanglichen Albtraum ein Ende.
Aber wo war das Geburtstagskind?
Auf dem Balkon finde ich Rüdiger in drei Decken gehüllt und in einer tiefen Krise. Er muss dort schon Stunden sitzen. Zu lange, um sich noch vom Geländer zu stürzen. Seine Augen sind auf den Horizont gerichtet, den ich nicht mehr mit bloßem Auge entdecken kann. Sein Blick richtet sich in diffuse Fernen.
Ein Dasein, das keine Kommunikation erwartet. Ich entschließe mich trotzdem zu bleiben. Er scheint mit der Leichtigkeit einer Feder durch das Tal seiner Gefühle zu gehen. Durch sein Leben. Ich war mir gerade nur nicht sicher, an welcher Stelle er stand.
Jetzt ist Rüdiger vierzig geworden, und das scheint etwas in ihm in Bewegung gesetzt zu haben. Vielleicht wollte er einfach nur, dass an dieser Lebensmarke ein paar Menschen in seiner Nähe sind. Trotzdem scheint er allein in seiner Welt zu sein.
Es ist gerade leider nicht der richtige Augenblick, ihn darauf anzusprechen, eine Filmcatering-Firma zu gründen.
Obwohl sein Buffet wie immer traumhaft war. Wir bleiben alleine auf dem Balkon. Schweigend.
Keiner vermisst uns, und wir scheinen von allen anderen abgekoppelt zu sein. Es gibt unzählige Welten in der einen. Und wo sind wir?
Ich nehme ihn wortlos in meine Arme. Halte ihn fest, in der ersten halben Stunde seines neuen Jahrzehnts. Rüdiger heult in meine Fleecejacke hinein, und ich habe das Gefühl, er wird nie wieder damit aufhören. Ich wusste nicht, dass ein Mensch so viele Tränen weinen kann wie mein Freund Rüdiger.
Rüdiger ist ein Mensch, den ich tief und leise in meinem Herzen liebe – wortlos. Liebe kommt ohne einen Buchstaben aus. Für die wichtigen Dinge im Leben braucht man kein einziges Wort. Nur ein Herz.
Mein Freund verlässt wortlos seinen luftigen Balkonplatz mit einem Danke sagenden Wangenkuss. Sein Platz wird zu meinem.
Ich beobachte Rüdiger durch die Fensterscheibe, die Musik legt sich gedämpft auf die Brustseite meines Körpers, und meinen Rücken streichelt kalt die Nacht.
Tausend Sterne am Himmel und einer für mich. Die Welt ist immer für uns da. Ich liebe die Nacht. Wie ein stiller Beobachter hört sie unseren Gedanken zu, hüllt uns in ihren Sternenmantel. Manchmal streichelt der Wind sanft unsere Wange, wie zum Trost. Ich küsse zum Dank die Sterne.
Rüdiger ist wieder auf seinem Fest und lässt sich von den zahlreichen Sonnenschein-Menschen feiern, noch bis in die Morgenstunden. Nach seiner nächtlichen Balkonsitzung wirkt er wie neu geboren. Ein neues Kapitel Leben beginnt.
Ich finde Axel in einer Ecke des Wohnzimmers. Er lässt sich gerade von einer Blondine bewundern und flirtet, als hätte es mich nie gegeben. Er bemerkt mich nicht einmal.
Zum Glück hat Rüdiger wie jeder Mensch um zwölf Uhr Geburtstag. Das hat das Schlimmste verhindert.
Mein Herz scheint noch ganz zu sein, ich verlasse die Party, ohne mich zu verabschieden. Auf dem Weg nach Hause beschließe ich, nie mehr Bon Jovi zu hören.
Im Halbschlaf ziehe ich mein Schlafsofa aus, das sich wie von Zauberhand in mein Bett verwandelt. Seit ich bei meinen Eltern ausgezogen bin, schlafe ich auf diesem Sofa.
Ich bin ein Gast in meinem eigenen Leben.
In dieser Nacht träume ich so viele Geschichten, dass ich mich am nächsten Morgen kaum erinnern kann. Ich weiß nur noch, dass ich Karl Lagerfeld traf. Er trug wunderschöne braune Wildlederstiefeletten, mit Absätzen aus Edelhölzern. Jede Schicht des Absatzes hatte einen anderen Braunton, diese Variationen in Braun waren so schön, dass ich nicht sagen konnte, für welchen ich mich entschieden hätte. Als wären sie Teil einer Geschichte. Die Schuhe waren an der Spitze offen: Ich konnte sehen, wie er immer versuchte, den Zeh einzurollen, denn sie waren ihm zu klein. Damenschuhe gibt es meistens nur bis 41 oder 42.
Er tänzelte stolz einen Laufsteg auf und ab und ließ sich von anderen bewundern. Diese Schuhe machten ihn schön und damit glücklich. Sie gefielen mir mindestens so gut wie ihm, und mir hätten sie gepasst.
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