Kitabı oku: «Ein Stern namens Sonne»
Christine Bertschi
Ein Stern namens Sonne
Das Leben des sowjetischen Rockstars Wiktor Zoj
Impressum
Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
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ISBN: 978-3-86408-100-2 (epub) // 978-3-86408-101-9 (pdf)
Korrektorat: Lars Diedrich
Grafisches Gesamtkonzept, Titelgestaltung, Satz und Layout: Stefan Berndt – www.fototypo.de
© Copyright: Vergangenheitsverlag, Berlin / 2012
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readbox publishing, Dortmund
Inhaltsverzeichnis
1. „Guten Morgen, letzter Held!“ – Einleitung
2. „Unsere Mama ist die Anarchie“ – Sowjetische Kulturpolitik und der Untergrund
3. „Versuch, mit mir zu singen!“ – Kindheit und Jugend in Leningrad
4. „Von jetzt an handeln wir“ – Beginn der Musikkarriere
5. „Sonnige Tage“ – In Richtung Höhepunkt der Karriere
6. „Ein Lied ohne Worte“ – Einordnung der Musik und der Texte
7. „Morgen ist Krieg“ – Kampf, Krieg und Tod als Motive in den Liedtexten
8. „Wir erwarten Veränderungen“ – Politische Opposition als (seltenes) Motiv
9. „Werde einen Vogel“ – Überraschender Tod und untröstliche Fans
10. „Ein Stern namens Sonne“ – Leben nach dem Tod
1. „Guten Morgen, letzter Held!“ – Einleitung
Rockmusik. Wir verbinden mit ihr wilde Kerle, die ihre Mähne zu krachender Gitarrenmusik fliegen lassen. In Jeans und Lederjacken, auf dicken Motorrädern. Ein Schock war das Aufkommen der Rockmusik in den 1960er-Jahren, ein Bruch der Generationen. Staat und Kirche waren genauso entsetzt wie die Eltern – Drogenkonsum, Rebellion und Satanismus wurden der Rockszene nachgesagt.
Das war in den USA, in einer liberalen Gesellschaft. Doch die Rockmusik breitete sich aus, erst in Westeuropa, dann durchdrang sie den „Eisernen Vorhang“ und gelangte in die Sowjetunion. Sie geriet in ein System, in dem der Staat die Künstler überwachte, wo die Kunst als Mittel zum Zweck, zum Aufbau des Kommunismus zu dienen hatte. Wie mögen die Reaktionen auf Rockmusiker dort gewesen sein? In einer Diktatur, wo jegliches Abweichlertum hart bestraft wurde?
Einer dieser unliebsamen Pioniere war Wiktor Zoj, Frontmann einer Rockgruppe namens „Kino“. Zu Beginn der 1980er-Jahre trat „Kino“ meist in geschlossenen, illegalen Klubs auf. Konzertgenehmigungen des Kulturministeriums bekamen sie damals keine. Auch ihre Aufnahmen waren offiziell nicht erhältlich, da die Texte Regimekritik enthielten. Dafür verbreitete sich die Musik im Untergrund umso schneller. Abermals wurden die Kassetten von Fans kopiert und weitergegeben, bis sie den letzten Winkel der Sowjetunion erreicht hatten.
Auf dem Höhepunkt seiner Karriere kam Wiktor Zoj bei einem Autounfall ums Leben. Am 15. August 1990 in Lettland. Aber war es wirklich ein Unfall? Schnell kamen Gerüchte auf, verdächtigt wurden viele: sein Produzent, der mit Zojs Tod den Umsatz steigern konnte; seine Ex-Frau, auch wenn die beiden ein freundschaftliches Verhältnis pflegten; und natürlich der sowjetische Geheimdienst, der KGB, der die Rockgruppe 1984 in die Liste der „ideologisch schädlichsten Gruppen“ aufgenommen hatte. Doch das „Wie“ war für Zojs Fans zweitrangig, vielmehr fragten sie sich: Warum ausgerechnet er, warum so früh mit erst 28 Jahren? Sie konnten die Nachricht von seinem Tod nicht glauben, einige sahen keinen Sinn mehr im Leben und brachten sich selbst um.
Zoj wurde zur Legende, seine Lieder lebten weiter. Bis heute. Auch wenn sie nicht mehr verboten sind. Viele Fans wurden sogar nach seinem Tod geboren, sie kennen die Sowjetunion nur noch aus Erzählungen. Doch die Texte bleiben aktuell, auch heute singt die Jugend „Veränderungen! Wir erwarten Veränderungen!“ Zwischenmenschliches und Alltägliches ist zeitlos, wer kennt es nicht: Liebeskummer, Angst vor Krieg und Zukunft, Generationskonflikte, Träumereien.
Doch wie kam ein junger Mensch in der Sowjetunion auf die Idee, Rockmusik zu spielen? Woher kannte er sie, wie erreichte sie ihn? Wie konnten Vertreter einer verbotenen Kunstsparte Berühmtheit erlangen? Ebenso merkwürdig sind Vorgänge auf staatlicher Seite: Offizielle Rockgruppen wurden gegründet, sie sollten die verbotenen Stars verdrängen. Und warum hat der sowjetische Geheimdienst, der KGB, eigentlich 1981 in Leningrad einen Rock-Club mitgegründet?
Viele Fragen stellen sich rund um die Figur Wiktor Zoj und sein Umfeld. Werfen wir deshalb in einem ersten Kapitel einen Blick auf die späte Sowjetunion. Die Kenntnisse der damaligen Trends in Musik und Jugendkultur, der Lebensstile und der Kulturpolitik werden uns helfen, Zojs Leben und Schaffen in den darauffolgenden Kapiteln zu verstehen. Und was bleibt uns davon heute, über 20 Jahre nach Zojs Tod? Ein letztes Kapitel dreht sich um die Legendenbildung, um das musikalische Erbe und darum, wie Zoj die Musiker der nächsten Generation geprägt hat.
Jedes Kapitel ist mit einem Liedzitat betitelt –in separaten Kapiteln werden auch längere Textpassagen vorgestellt. Die Fakten, Erinnerungen und Meinungen in diesem E-Book stammen überwiegend aus russischen Büchern und Internetseiten. Die Übersetzungen der Zitate und Liedtexte stammen von der Verfasserin. Auch im deutsch- und englischsprachigen Raum finden Zoj, die sowjetische Rockszene und die Kulturpolitik Beachtung. Bei den Quellenangaben wird deshalb – wann immer möglich – auf deutsch- und englischsprachige Literatur verwiesen.
2012 wäre Wiktor Zoj 50 Jahre alt geworden – nehmen wir uns dieses Jubiläum zum Anlass, die Person und seine Lebenswelten kennenzulernen!
2. „Unsere Mama ist die Anarchie“ – Sowjetische Kulturpolitik und der Untergrund
Das Jahr 1980. Sowjetische Soldaten kämpften seit kurzem in Afghanistan, noch war Leonid Breschnew an der Macht. Die Kommunistische Partei legte fest, was als Kultur zu gelten hatte und was nicht. Musik sollte dem sowjetischen Volk den Soundtrack auf dem erleuchteten Weg zum Kommunismus bieten. Musik sollte das Volk erziehen, und im Gegenzug propagierte und finanzierte die Partei ihre treuen Künstler. Fröhlich sollte die Musik sein, aufbauend und motivierend. Individualität war dabei nicht gefragt, Strömungen aus dem Westen, von den feindlichen Kapitalisten, schon gar nicht. Doch der Wunsch einer ganzen Generation Jugendlicher nach moderner, westlicher Musik war groß.
Es war für die Kulturpolitik der Sowjetunion kein neues Phänomen, dass Musiker versuchten, von der staatlich vorgegebenen Richtung abzuweichen. Komponisten klassischer Musik wie Schostakowitsch taten dies seit den Anfängen der Sowjetunion. Und Jazz zum Beispiel war unter Stalin nicht erlaubt, aber durchaus vorhanden. In den 1960er-Jahren waren es die Liedermacher, in deren – vordergründig harmlosen Texten – Regimekritik versteckt war. Auch sie wurden vom KGB überwacht. Immer wieder musste die Kulturpolitik Musiker, Stilrichtungen und vor allem den Musikgeschmack der Sowjetbürger unterdrücken oder sie zurück auf den vermeintlich richtigen Weg bringen.1
Doch nun war es eine ganze Generation Jugendlicher, die der Rockmusik zu verfallen drohte. Während die Texte in der allerersten Phase noch englisch und somit nur einem eng begrenzten Kreis verständlich waren, wechselten die Sänger bald zurück in ihre Muttersprache. Unmissverständlich und volksnah. Die eigenen Gefühle und Gedanken aus der sowjetischen Lebenswelt konnten nur in der Muttersprache vermittelt werden, dafür fehlten in der Fremdsprache die Worte. Die Fans freute es: Nun konnte jeder die Lieder zu Hause, im Park oder im Hinterhof nachspielen und mitsingen.2
Die Kulturproduktion ist meist mit Kosten verbunden. Im Falle einer Musikgruppe müssen Instrumente angeschafft werden, für Aufnahmen wird teure Tontechnik und ein Studio benötigt, danach müssen die Aufnahmen nachbearbeitet, vervielfacht und vertrieben werden. Konzerte müssen angekündigt und beworben, ein Konzertsaal gemietet und der Ablauf koordiniert werden. All diese Vorgänge waren in der Sowjetunion staatlich gesteuert. Zum einen gab es das Allunionsstudio für Schallplattenaufnahmen „Melodija“, das staatliche Aufnahmestudio, das die Aufgabe hatte, Tonaufnahmen zu produzieren, aufzubewahren und zu verbreiten. 1964 gegründet, hielt es bis 1986 in allen Sowjetrepubliken das Monopol auf diese Prozesse. Fabriken und Aufnahmestudios befanden sich in Moskau, Leningrad und in weiteren Metropolen der Sowjetunion; verteilt auf die Republiken belieferten die Großhandelsläden namens „Haus der Schallplatte“ die Kioskkette „Sojuspetschat“, übersetzt „Unionsdruck“. So gelangte die Musik in jeden Winkel der Sowjetunion.3
Die zweite Institution war das sogenannte „Goskonzert“, das „Staatskonzert“, das als einzige Konzertagentur verantwortlich für Tourneen und Auftritte sowjetischer Musizierender war. Sie hatte das unionsweite Monopol und war dem Kulturministerium unterstellt, denn auch für Konzerte gab es Zensur. „Goskonzert“ organisierte und propagierte deshalb nicht nur Konzerte, sondern beobachtete auch Entwicklungen in der Musikszene und entschied, wer mit Wettbewerben oder Gastauftritten im Ausland gefördert und wem eine solche Chance verwehrt werden sollte.
Dieses System war durchaus nützlich für jene Musiker, die nicht im Konflikt mit dem Staat standen, denn ihnen wurde diese Infrastruktur unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Doch wer seine eigenen Ideen verwirklichen wollte, musste eigene, oft illegale Wege suchen. So auch die Rockszene: Sie konnte vom Staatssozialismus wenig profitieren, im Gegenteil. Mindestens bis zur Mitte der 1980er-Jahre behinderte die Kulturpolitik die Rockmusiker wo immer sie konnte, denn die Szene galt als Gefahr für die gesunde Entwicklung der Sowjetbürger. Die Rockszene musste untertauchen, sich im Untergrund, in einer Parallelwelt, entwickeln und Wege finden, ihre Produkte wieder an die Oberfläche zu befördern. Mit diesen Prozessen steht der Namen Andrej Tropillo in enger Verbindung. Tropillo war in Leningrad Leiter des „Hauses des jungen Technikers“, einer Institution der Pionierbewegung, die die kommunistische Jugend förderte und formte. Jungen und Mädchen konnten bei Tropillo lernen, was Akustik ist, wie ein Tonbandgerät gebaut ist und wie man Aufnahmen vervielfältigt. Aber Tropillo war auch Liebhaber der Rockmusik. Nebenher nutzte er das Studio für illegale Aufnahmen und wurde so zum ersten Producer in der Sowjetunion. Sein Label „Antrop“, ein Akronym aus seinem Vor- und Nachnamen, produzierte nicht nur die größten heimischen Rockgruppen der Zeit, sondern veranstaltete auch ihre Konzerte – selbstverständlich im Untergrund.4 Im sowjetischen Staatssozialismus war dies kein einfaches Unterfangen. Freiräume gab es wenige, man konnte sich schließlich nicht mal so eben einen Saal oder einen Club mieten. Meist wurden die Konzerte deshalb – ohne Vorankündigung und Erlaubnis – in Jugendclubs oder verlassenen Kellern aufgeführt. Oder die Musiker blieben gleich zuhause und führten ihre Lieder vor einem kleinen Publikum in ihren Wohnungen auf. „Kwartirniki“ nannten sich diese Zusammenkünfte, abgeleitet vom russischen Wort für „Wohnung“.
Ein Kompromiss zwischen der Leningrader Rockszene und der Kultursteuerung des sowjetischen Staats war der Leningrader Rockclub. 1981 wurde er gegründet, und zwar nicht im Untergrund von den Rockern, sondern vom KGB. Waren die Agenten des russischen Geheimdienstes plötzlich Rockfans geworden? Der Grund war sicherlich ein anderer: Man wollte die Untergrund-Rockbewegung unter Kontrolle bekommen. Und was wäre da naheliegender, als ihnen ein Lokal zur Verfügung zu stellen, die Daten der Mitglieder zu erfassen und Gästelisten führen zu lassen? Ganz schön durchschaubar, könnte man einwenden. Doch tatsächlich wurde diese „Zusammenarbeit“ erst 1990 bekannt, als ein ehemaliger KGB-Major damit an die Öffentlichkeit trat. Ein Saal mit 200 Sitzplätzen (und ein paar versteckten Hinterzimmerchen für die Mitarbeiter des KGB und der Kommunistischen Partei) wurde der Rockszene damals angeboten. Der Club in der Rubinsteinstraße 13 sollte der erste seiner Art werden, der erste Rockclub in der Sowjetunion. Das Angebot war für Musiker und Fans zu verlockend, es war die Chance auf ein Stück Legalität, und nach anfänglichem Zögern nahmen sie den Club an. Bald fand sich dort die Leningrader Rockszene zusammen. Endlich konnten offiziell und legal Konzerte durchgeführt werden. Innerhalb kurzer Zeit erstreckte sich die Beliebtheit über die Leningrader Szene hinaus: Rockgruppen aus anderen sowjetischen Städten traten auf, Fans reisten aus allen Teilen der Sowjetunion an. Der Club war nicht mehr wegzudenken und verhalf dem Leningrader Rock zum überregionalen Durchbruch. Es war im Übrigen kein Zufall, dass ausgerechnet Leningrad zum Zentrum des Russischen Rocks wurde, denn die westrussische Metropole genoss Bürgerfreiheiten, die Moskau als Hauptstadt verwehrt blieben.5
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