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§ 2 Die EU als Rechtsgemeinschaft
Inhaltsverzeichnis
A. Begriffsgenese und Adaption durch die Rechtsprechung
B. Rechtsstaatlichkeit in der EU
C. Unionaler Rechtsschutz durch Gerichte
D. Recht auf effektiven Rechtsschutz
E. Zusammenfassung
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Die EU bildet – auch nach ihrem Selbstverständnis und der Rechtsprechung des EuGH – eine Gemeinschaft des Rechts. Art. 2 S. 1 EUV zählt die Rechtsstaatlichkeit zu den grundlegenden Werten der EU. Auch die zentrale Rechtsschutznorm des Art. 19 I EUV und Bestimmungen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) bringen dies zum Ausdruck. Gleichzeitig umfasst die Rechtsgemeinschaft neuartige, unionsspezifische Elemente des Rechtsstaates, die gerade im Lichte aktueller politischer Entwicklungen an Relevanz gewonnen haben. Von zentraler Bedeutung ist das im Unionsrecht verbürgte Recht auf effektiven Individualrechtsschutz. Rechtsgemeinschaft, ein vollständiges Rechtsschutzsystem und effektiver Rechtsschutz stellen gleichsam die unionsverfassungsrechtlichen Grundsätze dar, die den einzelnen Verfahrensarten des europäischen Prozessrechts zugrunde liegen.
§ 2 Die EU als Rechtsgemeinschaft › A. Begriffsgenese und Adaption durch die Rechtsprechung
A. Begriffsgenese und Adaption durch die Rechtsprechung
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Die heutige EU wurde schon früh als Rechtsgemeinschaft bezeichnet. Der erste Kommissionspräsident der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), Walter Hallstein, führte dazu bereits im Jahr 1973 aus, dass die EWG in dreifacher Hinsicht ein Phänomen des Rechts sei: Schöpfung des Rechts, Rechtsquelle, und Rechtsordnung.[1] Diese drei Wesensmerkmale bestehen fort.
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Anders als die Mitgliedstaaten, deren Existenz auch durch gravierende verfassungsrechtliche (Um)Brüche nicht in Frage gestellt wird, existiert die EU überhaupt nur Kraft ihrer Gründungsverträge. Sie ist infolge ihres vertragsrechtlichen Charakters – vergleichbar juristischen Personen des innerstaatlichen Rechts – eine Schöpfung des Rechts. Die Gründungsverträge beschränken sich dabei nicht auf Regelungen der jeweils bi- oder multilateralen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten, sondern haben eine eigenständige Rechtsperson geschaffen (Art. 47 EUV), die kraft ihres institutionellen Rahmens handlungsfähig ist (Art. 13 ff. EUV). Rechtssubjekte des Unionsrechts sind neben der EU aber nicht allein die Mitgliedstaaten, sondern vielmehr auch natürliche und juristische Personen, für die das Unionsrecht als eine „neue Rechtsordnung des Völkerrechts“ zum nationalen Recht hinzutritt.[2]
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Als Rechtsquelle, so Hallstein, müsse die EU für das Erreichen ihrer Ziele ein dynamisches Eigenleben entfalten, indem sie selbst verbindliche Regelungen hervorbringt. Die EU tritt hier durch ihre gesetzgebenden Organe, das Europäische Parlament und den Rat, in Erscheinung. Daneben ist die Europäische Kommission gesetzgebungsinitiativberechtigt und z.T. mit eigenen Normsetzungsbefugnissen betraut. Das so geschaffene abgeleitete Unionsrecht (Sekundär- oder Tertiärrecht) erfährt durch die Möglichkeit, unmittelbar und mit Anwendungsvorrang wirksam zu werden, eine erhebliche Stärkung und Bedeutung im Rechtsverkehr und der Lebenswirklichkeit der Unionsbürger.
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Als Rechtsordnung schließlich begründet die EU ein geschlossenes System von Rechtssätzen, die durch die Verträge und das abgeleitete Recht geschaffen wurden. Dieses System ist von der Gesetzmäßigkeit jeglichen Organhandelns (Art. 13 II EUV) und dem Rechtsschutz der Normunterworfenen geprägt. Mithin bedarf es nicht nur materiell-rechtlicher Vorgaben, sondern auch formeller Normen verbandsorganisatorischer Natur wie die Normenhierarchie, das interinstitutionelle Gleichgewicht und Durchsetzungsmechanismen für das geltende Recht. Sie konstituieren das Rechtssystem der EU.
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Der EuGH nahm die Idee der Rechtsgemeinschaft in der Entscheidung Les Verts auf. Er folgerte aus dieser Idee, dass die Handlungen sämtlicher EU-Organe gerichtlich überprüfbar sein müssten:
„Dazu ist zunächst hervorzuheben, dass die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft eine Rechtsgemeinschaft der Art ist, dass weder die Mitgliedstaaten noch die Gemeinschaftsorgane der Kontrolle darüber entzogen sind, ob ihre Handlungen im Einklang mit der Verfassungsurkunde der Gemeinschaft, dem Vertrag, stehen. Mit den Artikeln 173 und 184 EWG-Vertrag auf der einen und Art. 177 EWG-Vertrag auf der anderen Seite ist ein umfassendes Rechtsschutzsystem geschaffen worden, innerhalb dessen dem Gerichtshof die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Organe übertragen ist.“[3]
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Für die Entscheidung der Rechtssache Les Verts bedeutete dies, dass die Kläger mittels Nichtigkeitsklage gegen das Europäische Parlament vorgehen konnten, obwohl der einschlägige Art. 173 EWG-Vertrag das Parlament nicht als zulässigen Klagegegner aufführte. Unter Hinweis auf den Geist und das System des Vertrags sah es der EuGH als zwingend an, sämtliche Rechtsakte der Union einer gerichtlichen Überprüfung ihrer Rechtmäßigkeit zuführen und dabei insbesondere auf eine bestehende Verbandskompetenz überprüfen zu können.
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In der Entscheidung Kadi u.a. bestätigte der EuGH dieses Verständnis der EU als Rechtsgemeinschaft. Im zugrunde liegenden Sachverhalt hatten sich die Kläger gerichtlich gegen EU-Gesetzgebung gewehrt, die in Umsetzung von UN-Sicherheitsratsresolutionen im Kampf gegen Terrorismus den Klägern u.a. den Zugriff auf ihre innerhalb der EU verwalteten Geldkonten verwehrte. Doch auch gegenüber dem völkerrechtlich mit Vorrangwirkung ausgestattetem UN-Sanktionsregime (vgl. Art. 103 UN-Charta) bewahrt nach dem dualistischen Verständnis des EuGH[4] die Unionsrechtsordnung ihre Eigenständigkeit:
„Internationale Übereinkünfte können die in den Verträgen festgelegte Zuständigkeitsordnung und damit die Autonomie des Rechtssystems der Gemeinschaft, deren Wahrung der Gerichtshof aufgrund der ausschließlichen Zuständigkeit sichert, die ihm durch Art. 220 EGV übertragen ist, einer Zuständigkeit, die zu den Grundlagen der Gemeinschaft selbst zählt, nicht beeinträchtigen.“[5]
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EU-Rechtsakte, die bindendes Völkerrecht in den Rechtskreis der EU einführen, müssen daher ebenfalls gerichtlich umfassend auf ihre Vereinbarkeit mit EU-Primärrecht, insbesondere den EU-Grundrechten, überprüft werden können.[6] Nur so löst die EU ihren Anspruch ein, ein vollständiges Rechtsschutzsystem zur Verfügung zu stellen.
§ 2 Die EU als Rechtsgemeinschaft › B. Rechtsstaatlichkeit in der EU
B. Rechtsstaatlichkeit in der EU
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Auch über die gerichtliche Überprüfbarkeit des Unionshandelns hinaus kommt rechtsstaatlichen Prinzipien in der EU eine hohe Bedeutung zu. Sie werden ohne weitere Konkretisierungen als grundlegender Wert der Union in Art. 2 S. 1 EUV aufgezählt. Zwar ist der Bezugspunkt der Rechtsstaatlichkeit als verfassungsrechtliche Terminologie grundsätzlich der Nationalstaat. Ohne jedoch eine Verfassung im eigentlichen Sinne einer nicht in Frage zu stellenden Grundnorm zu haben, verfügt die Union als supranationale Rechtsgemeinschaft zumindest über von den Mitgliedstaaten übertragene hoheitliche Kompetenzen sowie eigene Organe. Die Unionsorgane üben die übertragene Hoheitsgewalt aus und können den Einzelnen unmittelbar rechtlich verpflichten. So gelten Verordnungen gemäß Art. 288 II AEUV unmittelbar in jedem Mitgliedstaat und greifen aufgrund ihrer Bindungswirkung regelmäßig in die (allgemeine Handlungs-)Freiheit des Einzelnen ein.
I. Rechtsstaatliche Verbürgungen
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Daneben ergeben sich Konkretisierungen des Rechtsstaatsprinzips aus den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die den Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind und die geltendes EU-Primärrecht darstellen (vgl. Art. 6 III EUV).[7] Dazu zählen nach Ansicht der Europäischen Kommission unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EuGH:[8]
„a) | der Grundsatz der Gesetzlichkeit, der im Wesentlichen ein transparentes, demokratischer Kontrolle unterworfenes und pluralistisches Gesetzgebungsverfahren umfasst; |
b) | die Rechtssicherheit, die unter anderem klare und berechenbare Vorschriften voraussetzt, die nicht im Nachhinein geändert werden können; |
c) | das Willkürverbot in Bezug auf die Exekutivgewalt. Das Rechtsstaatsprinzip regelt die Ausübung hoheitlicher Befugnisse und stellt sicher, dass sich jede staatliche Handlung auf eine Rechtsgrundlage und entsprechende Gesetze stützt; |
d) | unabhängige und effektive richterliche Kontrolle, die auch die Wahrung der Grundrechte sicherstellt. (…) Jeder Bürger hat Anspruch auf einen wirksamen Rechtsschutz; |
e) | ein eindeutiger Zusammenhang zwischen dem Recht auf ein faires Verfahren und der Gewaltenteilung. Nur ein von der Exekutive unabhängiges Gericht kann Bürgern ein faires Verfahren garantieren; (…) |
f) | die Gleichheit vor dem Gesetz [als] (…) ein allgemeiner, in den Artikeln 20 und 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerter Grundsatz des EU-Rechts (…).“ |
II. Adressaten und Durchsetzbarkeit des Rechtsstaatsprinzips
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Die vorgenannten Anforderungen binden die EU-Institutionen (Art. 13 EUV) selbst und sind von allen Adressaten des Unionsrechts anhand der systematischen Auslegung des Primärrechts oder der primärrechtskonformen Auslegung des übrigen Unionsrechts zu beachten. Die Auswirkungen auf das EU-Rechtsschutzsystem verortet der EuGH normtechnisch in Art. 19 I EUV in Zusammenschau mit den Art. 258 ff. AEUV.
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Daneben strahlen die Vorgaben des Rechtsstaatsprinzips auch auf die Rechtsordnungen und Rechtsschutzsysteme der EU-Mitgliedstaaten aus. Weil diese unionsrechtlichen Einwirkungen mitunter wesentliche staatsorganisationsrechtliche Entscheidungen der einzelnen Mitgliedstaaten betreffen, können sie politisch umstritten sein. Die betroffenen Mitgliedstaaten verweisen dabei auf ihre Eigenstaatlichkeit bzw. das völkerrechtliche Verbot, in innere Angelegenheiten eines Staates einzugreifen, sowie die (direkt)demokratische Legitimation der mitgliedstaatlichen Regierung.
Beispiele:
Auf Betreiben der ungarischen Regierungspartei wurden u.a. die Prüfungsbefugnisse des Verfassungsgerichts eingeschränkt und der Presse weitgehende Meldepflichten auferlegt. Außerdem war zuvor die Herabsetzung des Renteneintrittsalters für hohe Justizbeamte beschlossen worden. Diese erklärte der EuGH allerdings 2012 wegen Altersdiskriminierung für unionsrechtswidrig.[9] Ebenfalls rechtsstaatlich bedenklich war die diskutierte Wiedereinführung der Todesstrafe.[10]
Auch in Polen initiierte die nationalkonservative Regierung Gesetzgebung, die der Regierung die Kontrolle über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sichert und die Rolle des Verfassungsgerichts einschränkt. Dies führte u.a. dazu, dass die Regierung mittlerweile Urteilen des Verfassungsgerichts die Anerkennung verweigern kann. Außerdem kann die polnische Exekutive nun Richter des obersten Gerichtshofs entlassen oder deren Eintritt in den Ruhestand vorziehen.[11]
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Für EU-Beitrittskandidaten ist die Einhaltung des Rechtsstaatsprinzips aufgrund der sog. Kopenhagener Kriterien[12] relevant. Diese Kriterien konkretisieren die Voraussetzungen, unter denen ein Beitritt zur EU möglich ist, darunter nach Art. 49 I EUV i.V.m. Art. 2 EUV auch die Einhaltung des Rechtsstaatsprinzips. Die Beachtung und Umsetzung der Kopenhagener Kriterien wird von der Kommission in der Einleitungsphase des Beitrittsverfahrens vorläufig, und nach dem Beschluss des Rates zur Eröffnung von Verhandlungen ausführlich geprüft, bevor der Rat mit Zustimmung des Parlamentes über den Beitritt entscheidet. Der Beitritt erfolgt endgültig, wenn der Beitrittskandidat und alle EU-Mitgliedstaaten den ausgehandelten Beitrittsvertrag ratifizieren (Art. 49 II EUV). Der Beitrittsvertrag enthält letztmalig konkrete Forderungen i.S.d. Kopenhagener Kriterien, die der zukünftige Mitgliedstaat vor seinem endgültigen Beitritt erfüllen muss.[13]
III. Kopenhagen-Dilemma und Rechtsstaatsmechanismus
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Für die beigetretenen EU-Mitgliedstaaten gelten zwar grundsätzlich die gleichen rechtsstaatlichen Anforderungen wie für Beitrittskandidaten. Auch sie müssen die Anforderungen aus Art. 2 EUV erfüllen. Allerdings konnten Verletzungen oder Gefährdungen des Rechtsstaatsprinzips bisher nur unzureichend durchgesetzt werden (sog. Kopenhagen-Dilemma). Denn die Durchsetzungsmechanismen gelten als politisch schwerwiegende Optionen der ultima ratio: Andere Mitgliedstaaten oder die Kommission könnten Vertragsverletzungsverfahren vor dem GHEU wegen Verletzung spezifischer unionsrechtlicher Pflichten einleiten (Art. 258 f. AEUV). Die oben dargestellten Elemente der Rechtsstaatlichkeit selbst erweisen sich dabei jedoch als wenig justitiabel. Sie fallen teilweise gänzlich aus dem Anwendungsbereich des Unionsrechts. Andererseits kann ein politisches Verfahren nach Art. 7 EUV eingeleitet werden. In dessen Verlauf kann der Europäische Rat eine schwerwiegende und anhaltende Verletzung des Rechtsstaatsprinzips durch den betroffenen Mitgliedstaat feststellen (Art. 7 II EUV), die wiederum vom Rat mit dem Entzug von mitgliedschaftlichen Stimmrechten sanktioniert werden kann (Abs. 3). Dazu ist es aufgrund der Beteiligungserfordernisse anderer EU-Organe, den hohen Quoren (Zustimmung des Europäischen Parlaments, Einstimmigkeit im Europäischen Rat) und der erforderlichen Einstufung des Verstoßes als „schwerwiegend und anhaltend“ allerdings noch nie gekommen.
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Diesen Missstand nahm die Kommission 2014 zum Anlass, einen niederschwelligen Frühwarnmechanismus zu entwickeln, um die Durchsetzung des Rechtsstaatsprinzips in den Mitgliedstaaten zu stärken.[14] Der sog. Rechtsstaatsmechanismus soll unbeschadet eines Vertragsverletzungsverfahrens und vor dem Verfahren nach Art. 7 EUV greifen. Er ermöglicht einen strukturierten Dialog zwischen der Kommission und dem betroffenen Mitgliedstaat, um möglichen Verletzungen des Rechtsstaatsprinzips frühzeitig vorzubeugen. Das Verfahren setzt eine systemische Gefährdung der Rechtsstaatlichkeit in einem Mitgliedstaat voraus, die der Kommission vom Europäischen Parlament, den Mitgliedstaaten oder anderen Akteuren angezeigt wird. Daraufhin erstellt die Kommission in der ersten Phase eine Sachstandsanalyse und übermittelt dem betroffenen Mitgliedstaat eine vertrauliche Stellungnahme. Reagiert der Mitgliedstaat darauf nicht zur Zufriedenheit der Kommission, kann diese in der zweiten Phase eine „Rechtsstaatlichkeitsempfehlung“ abgeben, die veröffentlicht wird. Die verfahrensabschließende dritte Phase richtet sich nach dem Verhalten des betroffenen Mitgliedstaats. Setzt der die empfohlenen Maßnahmen fristgerecht um, ist das Verfahren beendet. Tut er dies nicht, kann die Kommission das Präventiv- oder das Sanktionsverfahren nach Art. 7 I bis III EUV einleiten.
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Als bloßes Dialogverfahren ohne rechtliche Bindungswirkung bedarf der Rechtsstaatsmechanismus keiner expliziten Rechtsgrundlage in den EU-Verträgen.[15] Die Aufgabenzuweisung an die EU könnte daneben aus Art. 2 I i.V.m. Art. 4 III, Art. 3 I und Art. 13 I EUV (Loyalitätsgebot), i.V.m. Art. 19 EUV (wirksamer Rechtsschutz) oder i.V.m. Art. 258 AEUV (Aufsichtsfunktion der Kommission) konstruiert werden.[16] Problematisch erscheint, dass betroffene Staaten nicht verpflichtet sind, im Rahmen des Mechanismus zu kooperieren und ihr rechtsstaatswidriges Verhalten fortsetzen können. Andererseits kann die Kommission durch ihr Tätigwerden öffentlichen Druck ausüben, die Konfliktpunkte aufzeigen und so die Akzeptanz für ein sich möglicherweise anschließendes Verfahren nach Art. 7 EUV und dessen Erfolgsaussichten erhöhen.
Beispiel:
Der neue Rechtsstaatsmechanismus wurde bislang erst einmal – und ohne erkennbare Wirkung – aktiviert. Im Januar 2016 leitete die Kommission Untersuchungen hinsichtlich der polnischen Gesetzgebung ein, mit der die Kontrolle von Legislativakten auf Grundrechtsverletzungen durch das Verfassungsgericht faktisch ausgesetzt wurde. Im Mai 2016 übermittelte die Kommission dem Mitgliedstaat die Einschätzung, dass dies mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht vereinbar sei. Im Juni und Dezember 2016 sprach die Kommission Empfehlungen aus und leitete damit die zweite Phase des Rechtsstaatsmechanismus ein. Da Polen weiterhin die Vorwürfe zurückweist und die Legitimation des Verfahrens bestreitet, hat die Kommission im Juli 2017 weitere Empfehlungen ausgesprochen und im Dezember 2017 mit einem begründeten Vorschlag das Verfahren nach Art. 7 I EUV eingeleitet und das Vorverfahren im Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 AEUV begonnen.[17]
§ 2 Die EU als Rechtsgemeinschaft › C. Unionaler Rechtsschutz durch Gerichte
C. Unionaler Rechtsschutz durch Gerichte
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In der EU als Rechtsgemeinschaft nimmt der Rechtsschutz eine zentrale Rolle ein. Dogmatischer Ausgangspunkt ist dabei Art. 19 I EUV. Darin heißt es:[18]
Der Gerichtshof der Europäischen Union umfasst den Gerichtshof, das Gericht und Fachgerichte. Er sichert die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge.
Die Mitgliedstaaten schaffen die erforderlichen Rechtsbehelfe, damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist.
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Daraus ergeben sich die wesentlichen Aufgaben sowie die Struktur der Unionsgerichtsbarkeit. Die Norm wird ergänzt durch die Art. 251 bis 281 AEUV, die Satzung des GHEU sowie die Verfahrensordnungen der Unionsgerichte, in denen Einzelheiten zu den Instanzen, den Verfahrensbeteiligten und den verschiedenen Klageverfahren geregelt werden. Gleichzeitig statuiert die Formulierung von der „Wahrung des Rechts“ den Anspruch der EU als einer Rechtsgemeinschaft, in der eine umfassende Primärrechtskontrolle der Handlungen der Mitgliedstaaten und der EU-Organe stattfindet.
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Der Rechtsbegriff des Art. 19 I EUV, und damit auch die möglichen Gegenstände der Rechtsprechung, erstrecken sich auf das gesamte Unionsrecht. Sie umfassen somit das geschriebene primäre Unionsrecht, das abgeleitete Unionsrecht, das ungeschriebene Unionsrecht (allgemeine Rechtsgrundsätze und Gewohnheitsrecht), völkerrechtliche Verträge, an denen die EU beteiligt ist und solche der Mitgliedstaaten, die mittlerweile in die Zuständigkeit der Union fallen.[19]
I. Rolle des GHEU
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Konkret wird dem Gerichtshof der Europäischen Union als dritte Gewalt bzw. Judikativorgan der EU in Art. 19 I EUV die Einhaltung des Rechts überantwortet. Obgleich diese Aufgabe umfassend formuliert ist, enthält sie keine zuständigkeitsbegründende Generalklausel zugunsten des GHEU.[20] Nach der begrenzten Verbands- und Organkompetenz im Einzelfall sind dem GHEU einzelne Verfahren enumerativ zugewiesen, z.B. in den Art. 258 ff. AEUV oder Art. 218 XI AEUV. Dennoch erfordert der Zweck des Art. 19 I EUV einen umfassenden und effektiven Rechtsschutz, der in systematischer Hinsicht bei der Auslegung der einschlägigen Vertragsnormen zu berücksichtigen ist, jedoch nicht zwingend durch den GHEU selbst gewährt werden muss.[21] Mit der „Wahrung des Rechts“ obliegt dem GHEU die letztgültige Bestimmung von Inhalt und Tragweite der Normen des Unionsrechts.