Kitabı oku: «DER KELTISCHE FLUCH»
Christoph Hochberger
DER KELTISCHE FLUCH
Finsternis über Albion
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
Inhalt
Prolog
Im Land der Selgovater
Mahr
Morgengrauen
Die Versammlung
Der Hieb des Druiden
Wenn die Runen sprechen
Die Forderung des Häuptlings
Novoronix
Reiter im Morgengrauen
Anderswelt
Tod den Caledoniern
Opfer für die Götter
Aus weiter Ferne
Abschied
Boudinas Entscheidung
2. Teil
Der Bote
Rast
Allein in der Wildnis
Reiter
Wilde Hatz
Die Saat des Hasses
Feindesland
In den Wäldern
Nachtlager
3. Teil
Die verborgene Insel
Wilde See
Zwiespalt
Die Siedlung
Der Späher
Vor dem Morgengrauen
Môn
Rückzug
Conndonbar und Medwen
Rast
Wahrheit
Geständnis
Wölfe und Bären
Die Prüfung
Der Sprung
Die Bitte des Häuptlings
Der Preis der Weisheit
Tarcics Weg
Schatten im Forst
Kalte Nacht
Helweds Traum
Der Ruf der Hörner
Die Brut
Heimkehr
Fomor
Nant
Kalter Tod
Die Tapferen
Das letzte Aufgebot
Der Spruch des Cainte
Der Wechselbalg
EPILOG
Impressum neobooks
Inhalt
Der hohe Norden Britanniens, lange vor Christi Geburt.
Die keltischen Stämme der britischen Inseln liegen seit Jahrhunderten miteinander im Krieg. Vor allem die Clans der Selgovater, unter ihrem Häuptling Toromic, bilden gemeinsam mit den verbündeten südlichen Stämmen eine Schutzmacht gegen die im Norden siedelnden caledonischen Vacomager.
Der Spätherbst legt bereits seinen eisigen Mantel über die Wildnis und die Clans stellen, wie jedes Jahr zu dieser Zeit, die Feindseligkeiten ein. Doch dann endet eine Jagd unter mysteriösen Umständen. Toromic bittet seinen Bruder, den Seher des Clans, mit dem ihn ein düsteres Geheimnis verbindet, die Runen zu lesen. Als dieser während der Zeremonie zusammenbricht, glaubt Toromic sich und die Seinen verflucht.
Um die Gnade seiner Götter wiederzuerlangen treibt er seinen Clan in einen aberwitzigen Kriegszug gegen die Vacomager und ahnt nicht, welches Unheil er damit heraufbeschwört. Denn in der froststarren Wildnis stellt sich ihm ein unbekannter, übermächtiger Feind entgegen. Die schlimmsten Mythen seiner Götterwelt scheinen wahr zu werden. Kann ihm das junge, mit magischen Kräften beseelte Mädchen Boudina helfen, das Rätsel zu lösen? Und wo sind die Druiden, deren Hilfe man so dringend bedarf?
Eine fantastische Reise durch die mythische Welt der frühen Kelten, in einer Zeit, in der der Glaube an die Götter das Leben der Menschen regiert und düstere Legenden wahr werden.
„Der ganze Volksstamm ist kriegerisch und mutig und rasch zum Kampfe. Wer sie reizt, wann und wo und unter welchem zufälligen Vorwande er will, der befindet sich bereits zur Gefahr, ohne dass sie außer Kraft und Kühnheit etwas haben.“
(Strabon, Erdbeschreibung – 1.Jh. v. Chr.)
„Die Köpfe der gefallenen Feinde hauen sie ab und binden sie ihren Pferden auf den Hals; die blutige Rüstung geben sie ihren Dienern und lassen sie unter Jubelgeschrei und Siegesliedern zur Schau tragen. Zu Hause nageln sie dann diese Ehrenzeichen an die Wand, gerade als hätten sie auf der Jagd ein Wild erlegt.“
(Diodorus Siculus)
„Ferner gibt es Philosophen, die der Götterlehre kundig sind und in sehr hohem Ansehen stehen; man nennt sie Druiden. Auch hat man Wahrsager, denen man ebenfalls viel Ehre erweist.“
(Diodorus Siculus)
Prolog
Frühjahr des Jahres 413 vor Christus,
Südwestbritannien.
Skathach gae Bulga, Hochkönig des edlen Skotengeschlechts der Fion Do, Herr über viele hundert Krieger und absoluter Patriarch seines Stammes, rannte um sein Leben.
Vor wenigen Tagen hatte er mit sechs Booten über die Meerenge gesetzt, die seine Insel, Hibernia, von dem großen, geteilten Eiland der Britannier und Caledonier, welches Albion genannt wurde, trennte. Dort hatte er sich reichlich Beute versprochen, da sich die Stämme der Silurer und Ordoviker, an deren Gestaden er zu landen vorhatte, wieder einmal befehdeten. Er und sein Stamm hatten schon oft die Gelegenheit genutzt, um blitzschnell zuzuschlagen, Beute zu machen und wieder zu verschwinden.
Doch dieses Mal waren ihnen die Götter nicht wohlgesonnen.
Ein fürchterlicher Sturm überraschte sie kurz vor der feindlichen Küste und zerschlug all ihre Boote. Nur er und einige wenige seiner Krieger erreichten lebend das fremde Ufer. Schon nach kurzer Zeit wurden sie von Spähtrupps der Ordoviker aufgegriffen und gefangen genommen.
Das bedeutete das Ende für sie alle. Denn mit Gefangenen, dazu noch einem Hochedlen wie ihm, verfuhren Caledonier, Britannier und Skoten gleichermaßen. Entweder wurde ein immenses Lösegeld für die Geiseln verlangt, oder aber sie wurden bei einer der vielen religiösen Zeremonien, die alle Stämme auf ihre Art begingen, den Göttern geopfert.
Als sie in das Dorf der Feinde gebracht wurden, stellten sie fest, dass etwas Großes im Gange war. Angehörige aller Clans der Ordoviker und ungewöhnlich viele Druiden bevölkerten die Gassen zwischen den riedgedeckten Hütten.
Nach wenigen Tagen der Gefangenschaft zerrten feindliche Krieger sie aus ihrem Gefängnis und banden sie auf bereitgestellte Opferwagen. Unter den Schmährufen der versammelten Volksmassen wurden sie zu einem Berghügel gekarrt, der von einem Eichenhain umgeben war. Die Kuppe des Hügels wurde von einem Steinkreis eingezirkelt, in dessen Zentrum ein einzelner, gewaltiger Menhir wie ein Mahnmal der Götter aufragte.
Sie sahen Dutzende anderer Todgeweihter, die ebenfalls auf Karren gebunden waren und auf ihr Schicksal warteten. Sie befanden sich in Trance, denn sie hatten von den Speisen der Druiden gekostet, die die Versenkung vor dem Gang in die Anderswelt erleichtern sollten. Skathach gae Bulga und seine Mannen jedoch hatten sich standhaft geweigert, von den Tränken und Speisen etwas zu sich zu nehmen, denn sie wollten wachen Geistes bleiben.
Während ein Gefangener nach dem anderen zu dem finsteren Steinkoloss gezerrt wurde, der das Ende des Lebens in dieser Welt bedeutete, suchten der Hochkönig der Fion Do und seine Männer verzweifelt nach einer Möglichkeit zu entkommen. Denn eines hatten sie sich während ihrer Gefangenschaft geschworen: Wenn es zum Schlimmsten kommen sollte, wollten sie sich entweder gegenseitig umbringen oder aber durch die Waffe eines keltischen Kriegers ihr Leben lassen. Keinesfalls wollten sie ihr Leben den fremden Göttern schenken.
Doch die anderen Gefangenen hauchten, ohne sich zu wehren, ihr Leben aus, und nichts schien Skathach gae Bulga und seine Gefolgsleute retten zu können. Während hunderte Ordoviker in Raserei verfielen, wilde Tänze und Gesänge zelebrierten, und die Druiden in sakrale Beschwörungen vertieft waren, verfärbte sich der morgendliche Himmel. Das Licht der Sonne wurde schwächer, ein unheimliches Grau begann langsam den Horizont zu verdüstern.
Skathach blickte entsetzt nach oben und fühlte, wie die seltsame Stimmung, in der sich die Ordoviker und die übrigen Gefangenen befanden, auch von ihm Besitz zu ergreifen drohte. Er biss sich auf die Zunge, um wach zu bleiben. Als die Druiden den ersten seiner Männer losketteten, begann dieser wie von selbst auf den blutüberströmten Opferstein zuzuwanken.
Skathach sah verstohlen zu seinem ersten Mann und Waffenträger Oisin hinüber und erkannte, dass sich dieser bisher, genau wie er selbst, der Wirkung der Beschwörung hatte entziehen können. Zwar tat Oisin benommen, doch unter halbgesenkten Liedern warf er Skathach verschwörerische Blicke zu. Auch die Krieger der Leibwache stellten sich lediglich schläfrig.
Der Hochkönig bemerkte, dass sich die Druiden und das ganze anwesende Volk der Ordoviker vollkommen im Rausch der Zeremonie befanden. Es musste ihm und seinen Männern einfach gelingen, einen der Priester zu überrumpeln, sobald ihnen diese Bastarde erst einmal die Ketten abgenommen hatten. Wenn ihm dann die Krieger seiner Leibwache den Rücken freihielten, hatte er vielleicht eine Chance zu entkommen!
Mehrere Druiden kamen singend auf ihn zu und banden ihn los.
Der Hochkönig gab seinem ersten Mann mit den Augen zu verstehen, dass die Zeit gekommen war. Oisin nickte unmerklich. Auch die übrigen Krieger seiner Leibgarde bekamen nun von den Eichenkundigen die Ketten abgenommen. Offenbar sollten sie alle, als Höhepunkt der Zeremonie, gemeinsam getötet werden.
Langsam wurden sie auf den Opferstein zugeführt, und während sie so taten, als befänden sie sich in vollkommener Trance, spähte in Wahrheit ein jeder von ihnen einen Bewaffneten aus, den er überrumpeln konnte.
Während sich die Gesänge dem Höhepunkt näherten und Skathach auf seinem letzten Weg von den Druiden mit Mistelzweigen beworfen wurde, verdüsterte sich der Himmel so stark, dass der große Opferstein wie ein drohender, unheilverheißender Schatten vor der Kulisse der alten Eichen aufragte.
„Beim Schädel des Goll und den Mächten der Fir Bolg, gebt mir Kraft, meine Götter!“ presste Skathach zwischen den Zähnen hindurch, dann hatte er den Stein erreicht.
Zu seinen Füßen türmten sich die Leichen der vorherigen Opfer.
Kalter Schweiß brach ihm aus.
Zwei Druiden malten mit blutnassen Fingern seltsame Zeichen auf seine Stirn, während ihn zwei weitere mit dem Rücken gegen den Opferfelsen drückten.
Mit weit aufgerissenen Augen starrte Skathach gae Bulga zu Oisin und seiner Leibwache hinüber, die sich nur wenige Schritte von ihm entfernt in den Armen ihrer Bewacher wanden.
Einer der beiden greisen Druiden hob jetzt ein reich verziertes Opferbeil über seinen Schädel und rief in der fremdartigen Sprache der Britannier: „Balor!“
In diesem Augenblick überschlugen sich die Ereignisse.
Oisin entriss einer der Wachen den Speer und rammte ihn dem Druiden in den Rücken, der Skathach töten wollte. Gleichzeitig griffen auch die übrigen Krieger von Skathachs Leibwache mit dem Mut der Verzweiflung ihre Bewacher an und entrissen ihnen die Waffen.
Die Druiden erstarrten, als sie einen der ihren stöhnend zu Boden sinken sahen. Auch die Krieger der Ordoviker waren vollkommen überrascht und vom tagelangen Genuss des Mets und betörender Kräuter offenbar zu berauscht, um reagieren zu können.
Skathach gae Bulga und seine Männer nutzten die Gunst des Augenblicks und kämpften sich hauend und stechend durch die Reihen ihrer Feinde.
Schwarze Wolken ballten sich am Himmel zusammen, rote Blitze zuckten über das Firmament, Donnerschläge ließen die Erde erbeben. Während die Menschenmasse in Panik geriet und Chaos den Kultplatz erfasste, erwachten die Krieger der Ordoviker aus ihrer Starre. Mit wilden Schlachtrufen setzten sie den fliehenden Skoten nach, und eine Hetzjagd, den Hügel des Heiligtums hinunter, bis in die angrenzenden Wälder hinein begann.
Als Skathach und Oisin den schutzversprechenden Saum des Waldes erreichten, waren die meisten ihrer Männer bereits den rachsüchtigen Horden der Gegner zum Opfer gefallen.
Keuchend brachen sie durch das Unterholz, taub für den Schmerz der Wunden, die ihnen zugefügt worden waren. Sie rannten, bis ihre Lungen zu platzen drohten, doch sie waren Fremde in einem fremden Land, und sie rannten gegen Hunderte.
Als Oisin über einen umgestürzten Baumstamm sprang, zertrümmerte ihm ein Schleudergeschoß den Schenkel, fast gleichzeitig fuhr ihm ein Speer durch den Hals. Die Hände um den Schaft der Waffe gekrallt, brach er hinter dem Stamm zusammen.
Skathach sah seinen letzten Mann fallen und wusste, dass das Ende gekommen war. Er blieb stehen, wandte sich mit bebendem Brustkorb in Richtung der Verfolger. „Mögen euch die Götter verfluchen, dass ihr es wagt, einen Hochkönig zu ermorden“, presste er hervor. Dann hob er das Schwert, mit dem er sich den Weg freigekämpft hatte, stolz über den Kopf.
„Ihr Bastarde!“, brüllte er den ihm entgegenkommenden Mördern seiner Untertanen zu.
Sekunden später hatten ihn die Feinde erreicht. Das Schwert nutzte ihm nichts mehr, als er von den Kriegern der Ordoviker überrannt wurde. Das Letzte, was der Hochkönig der Fion Do in seinem Leben erblickte, waren die gnadenlosen Augen eines keltischen Streiters, bevor dieser mit aller Macht sein Schwert auf ihn niederfahren ließ.
Im Land der Selgovater
Spätherbst desselben Jahres, im hohen Norden
Britanniens, an der Grenze zu Kaledonien.
Rau fegte der Wind über die Wipfel der mächtigen Bäume. Noch war kein Schnee gefallen, doch die Nächte waren schon bitterkalt. Wolkenfetzen zogen am Mond vorbei und tauchten die Landschaft abwechselnd in eisiges Licht oder bedrückende Schatten. Der Herbst hatte Einzug gehalten im Land der Selgovater, und es konnte nicht mehr lange dauern, bis die ersten Winterstürme jeden Kontakt zwischen den Clans einfrieren ließen. Die Hügel und Wälder waren bereits von einer dicken Rauhreifschicht überzogen, die nur tagsüber für kurze Zeit verschwand, wenn sich die Sonne am Himmel blicken ließ.
Das Dorf des keltischen Clans der Selgovater lag gut geschützt in einer Senke des Misteltals. Die Siedlung, die von einem mächtigen Holzpalisadenwall umspannt wurde, war fast vollständig von Wald umgeben. Nur auf der Seite des Haupttores, das aus zwei mächtigen Flügeln zusammengezimmerter Eichenbohlen bestand, fiel ein grasbewachsener Hang zum Fluss hin ab, der das Tal durchzog.
Der Rauch mehrerer großer Feuer, die in den Hütten brannten, stieg in den Himmel und vermischte sich mit dem Schwarz der Nacht. Vereinzelt standen Krieger auf dem Wall und hielten Wache.
Kein menschliches Wesen hielt sich zu dieser Stunde im Wald auf. Nicht einmal die Krieger der Caledonier, Todfeinde der Selgovater und der übrigen britannischen Stämme seit Jahrhunderten, waren auf Beutezug. Die Geister des Waldes und die Götter des Sturmes wollte niemand herausfordern - nicht in einer solchen Nacht.
Toromic starrte ins Feuer.
Wie würde die Antwort seines Bruders wohl ausfallen, fragte er sich missmutig. Der Clanführer der Selgovater kratzte sich abwesend im Gesicht. Er mochte es nicht, tatenlos darauf warten zu müssen, dass ein anderer etwas entschied, doch hatte er in diesem Fall keine Wahl.
Seine Frau Shana und die Kinder schliefen, in dicke Felle gehüllt und vom Nachtmahl gesättigt, auf ihren Lagern im hinteren Bereich der Hütte. Toromic gegenüber saß sein jüngerer Bruder Tarcic, der Seher des Clans. Draußen begann sich der Mond schon wieder dem Horizont zu nähern, und die Kälte der Nacht, die so kurz vor Morgengrauen noch einmal zunahm, ließ die Wachen auf dem Wall ihre Mäntel enger um die Schultern ziehen.
Die Spuren einer langen Nacht standen den Brüdern in die Gesichter geschrieben. Eine unheilschwangere Atmosphäre lastete zwischen ihnen. Ab und an tranken sie aus ihren verzierten Trinkhörnern, ohne den anderen dabei aus den Augen zu lassen.
Eigentlich, dachte Toromic, hatte der Tag gut begonnen. Er und einige seiner Krieger waren auf der Jagd gewesen und hatten einen stattlichen Hirsch zur Strecke gebracht. Unter normalen Umständen wäre das ein guter Jagderfolg gewesen und man hätte reichlich Fleisch für Tage und Fell für den Winter gehabt. Außerdem waren sie auf einen Trupp von Brigantern, ihrem großen, weiter südlich siedelnden Bruderstamm, gestoßen, die ihnen mitteilten, dass seit langem keine Caledonier mehr gesehen worden waren.
Was den Clanführer der Selgovater beschäftigte, waren die Geschehnisse der Jagd. Er nahm noch einen tiefen Schluck des süßlichen Hefebieres, welches die Mundschenke seines Clans vorzüglich zu brauen verstanden, ließ das dickflüssige Getränk seine Kehle hinunterrinnen und fixierte dann seinen Bruder.
Tarcic starrte zurück. Seine mit heiligen Runen verzierte Brustplatte reflektierte matt den Schein des Feuers. Die Stirn des Sehers lag in tiefen Falten, was, durch den Schein der Flammen beleuchtet, besonders die riesige Narbe hervorhob, die sich von seinem Schädeldach über die Schläfen und den Hals bis hinunter zum Brustkorb zog.
Plötzlich antwortete er mit rauer Stimme: „Fordere es nicht von mir.“
Toromic verspannte sich. Seine Stimme wurde eindringlich, als er es noch einmal versuchte: „Du weißt, dass ich dich schonen würde, wenn ich könnte, doch wir müssen wissen, ob die Götter erzürnt sind, ob es ein böses Omen ist.“
Tarcic hielt seinem Blick kurz stand, blickte dann aber ins Feuer und ließ sich mit einer Antwort Zeit. Toromic bemerkte den dünnen Schweißfilm auf der Stirn seines Bruders, und wusste, dass der Jüngere Angst hatte. Tarcic kippte den letzten Rest seines Trinkhornes in einem Zug herunter, warf es dann mit fahriger Gebärde neben sich und erwiderte: „Es ist nicht gut, die Runen zu befragen. Es kostet viel Kraft und könnte die Aufmerksamkeit der Götter auf uns lenken.“
Toromic schüttelte den Kopf. „Wir müssen erfahren, was es mit dieser Sache auf sich hat. Mir scheint, dass dich die lange Zeit, in der niemand unsere Frevel bemerkte, dazu verleitet, dich sicher zu fühlen. Doch solange wir leben, werden wir auf der Hut sein müssen.“
„Verdammt sei das zweite Gesicht!“, fluchte Tarcic. Mit zitternden Händen nahm er sein Horn wieder auf und schenkte sich aus dem Rindslederbeutel nach, der neben ihm auf dem Boden lag. Toromic beugte sich vor. „Es muss einen Grund dafür geben, dass uns die Götter bisher noch nicht bestraft haben...“
„Sei still! Du weißt ja nicht, was du da sagst“, rief Tarcic erregt.
So unbeherrscht hatte Toromic seinen Bruder schon lange nicht mehr erlebt. „Etwas leiser, Vates, meine Familie schläft“, sagte er ruhig, aber bestimmt. Doch auch die Nennung seines Ehrentitels, des Sehers des Clans, konnte Tarcic nicht beruhigen. „Hätte die Axt doch einen anderen getroffen“, knirschte er durch die Zähne, „ich wünschte, die Kraft würde von mir weichen!“
Toromics Züge wurden starr, und seine Stimme bekam einen drohenden Unterton. „Beherrsche dich endlich. Nur wir beide und Shana wissen die Wahrheit. Hätte einer der übrigen Krieger während der Schlacht bemerkt, dass dein Gegner ein Druide war ... , du wärest des Todes gewesen.“ Jetzt bebte seine Stimme vor Erregung, denn die Erinnerung an die große Schlacht gegen die Caledonier spielte sich wieder vor seinem geistigen Auge ab. „Keiner der Unsrigen sah, dass der Caledone unter dem Wolfsfell die Tätowierungen der Derwydd trug. Ich schlug ihm den Kopf ab, ich warf meinen Mantel über dich und trug dich fort, aus der Schlacht! Und seit du genesen bist, hast du diese Kraft. Die Anderen glauben, du seist von einem normalen Krieger geschlagen worden. Bedenke: sie akzeptieren deine Fähigkeit ... keiner weiß, wie du sie empfangen hast.“
Tarcic starrte eine Weile mit leerem Blick ins Feuer. Der Nachtwind heulte um die Hütte und zerrte an dem riedgedeckten Dach. Plötzlich straffte sich seine Gestalt, und Entschlossenheit kehrte in seine Augen zurück. „Du hast Recht, Bruder, ich stehe auf immer in deiner Schuld, auch ohne die Blutsbande. Bitte vergiss`, dass ich so weibisch tat. Der Wille der Götter ist oft schwer zu verstehen, doch soll es das letzte Mal gewesen sein, dass ich mich dagegen sträube, sie anzurufen. Berufe für morgen die Versammlung ein, ich werde die Runen lesen.“
Toromic atmete auf und nickte feierlich. Nur mit der Hilfe seines Bruders konnte er Klarheit darüber erlangen, was die seltsamen Umstände der Jagd zu bedeuten hatten, denn die Druiden hatten schon lange nicht mehr sein Land bereist.
Er stand auf und zeigte so an, dass die Unterredung beendet war.
„Ich bin dir dankbar, Bruder“, sagte er in gemessenem Ton. „Mögen dir die Götter einen ruhigen Schlaf schenken.“
Tarcic nickte müde. „Ich muss mich auf die Zeremonie vorbereiten.“
Die Brüder umfassten ihre Unterarme und drückten fest zu.
„Friede deinem Schlaf, Bruder, wir sehen uns am morgigen Tage“, verabschiedete sich Tarcic. Toromic folgte ihm zum Ausgang. Er sah Tarcic nach, bis er zwischen den Schatten der umstehenden Hütten verschwunden war, und ging anschließend zurück zum Feuer.
Als er sich gerade niedergelassen hatte, fegte ein besonders heftiger Windstoß über sein Heim und ließ sogar die im Boden verankerten Tragebalken leicht erzittern. Toromic hob sein Trinkhorn an die Lippen, bemerkte, dass es bereits leer war, und schenkte sich nach.
Er war ein großer Mann. Einen guten Kopf größer als die meisten Krieger seines Clans. Sein muskulöser Körper wurde von zahlreichen Tätowierungen überzogen, die schlangenförmig über alle Gliedmaßen verliefen, sich um Hals, Hände und Füße wanden und dort schließlich endeten. Er hatte langes, mittelblondes Haar, das ihm lose über die Schultern fiel, und tiefblaue Augen, deren wachsamen Blicken nichts zu entgehen schien. Seine Wangen waren glatt rasiert, wohingegen er den Oberlippenbart, nach Sitte der Vorväter, lang und dicht trug.
Der Häuptling der Selgovater hatte noch keine sechsundzwanzig Winter erlebt, doch die Unbefangenheit der Jugend war bereits aus seinem Gesicht gewichen. Um die Augen herum hatten sich Falten eingegraben, die seinem Antlitz den Ausdruck von Erfahrung und Strenge verliehen. Wer ihn kannte, wusste, dass er kein böser Mensch war, doch Fremde erschraken nicht selten beim Anblick der rauen, unbeweglichen Züge und dem stechenden Blick seiner blauen Augen.
Er und Tarcic waren die Söhne Tolurics, eines großen selgovatischen Clanführers. Ihr Vater hatte unter den Häuptlingen der übrigen Selgovaterclans ein solch hohes Ansehen genossen, dass sie ihn Ri nannten, was König bedeutete. Toluric war vor Jahren in einer Schlacht gegen die weiter südlich siedelnden Cornovier gefallen. Danach hatte Toromic, als ältester Sohn, seine Nachfolge angetreten. Auch er durfte sich nun Zeit seines Lebens Ri nennen, denn dieser Titel war erblich.
Zwischen Tarcic und ihm hatte es nie, wie es sonst häufig vorkam, Streitigkeiten um die Nachfolge des Häuptlingsthrons gegeben. Die beiden Brüder hatten sich seit ihrer Kindheit gut verstanden. Immerhin waren sie die einzigen männlichen Überlebenden ihrer Familie.
Fünf Kinder hatte ihre Mutter Enid dem stolzen Toluric geboren, drei Söhne und zwei Töchter. Die einzige noch lebende Schwester, Lunicca, war schon während ihres vierzehnten Winters nach Melavoc, dem Königssitz der Briganter, verheiratet worden und kam nur selten zu Besuch. Der zweitgeborene, Tarugus, hatte den ersten Winter nicht überlebt. Nach ihm waren im Abstand von nur einem Jahr Toromic und Tarcic geboren worden und drei weitere Jahre später dann die zarte Iriann. Doch die zweite Tochter der Familie war den Härten des Lebens nicht gewachsen gewesen und früh gestorben. Tarcic ähnelte Toromic sehr. Er war nicht so groß und kräftig wie dieser, dafür sehnig und schnell. An Intelligenz stand er seinem Bruder in nichts nach. Er hatte helles Haar, das er nicht ganz so lang trug wie Toromic, und hellere Augen. Er war einer der tapfersten Edlen des Clans gewesen, bis zu der für ihn alles verändernden Schlacht.
Es ist hart für dich, die Runen zu lesen, Bruder, das weiß ich, dachte Toromic, doch wie sollen wir anders erfahren, was geschehen soll? Du bist der Einzige, der um die Rituale und Beschwörungen weiß.
Ein jeder, der sich berufen fühlte, Künstler, Barde oder Seher zu werden, konnte zu den Druiden gehen und sich dort unterweisen lassen - wenn sie ihn akzeptierten. Tarcic hatte nie ein Druide werden wollen. Seit der Schlacht besaß er die Gabe des Sehens, doch er hasste sie, denn sie hatte ihm sein vorheriges Leben genommen.
Toromic setzte abermals das Trinkhorn an die Lippen, als ihn Shanas Stimme aus seinen Gedanken riss. „Toromic, komm zu mir. Die Gestirne werden schon bald verblassen.“
Er lächelte. Wie gut war es, Shana zu haben. Wie gut, dass er hier drinnen am warmen Feuer saß, während draußen die kalten Nordwinde alles gefrieren ließen. Wie gut war es zu wissen, dass auf den Wällen Krieger Wache hielten, um den Schlaf des Clans zu beschützen. Während er sich trunken und müde erhob, ging ihm durch den Kopf, dass solche Gedanken, laut vor seinen Kriegern ausgesprochen, als blanke Feigheit gegolten hätten.
„Bei Lug“, murmelte er vor sich hin, „in mein Innerstes kann niemand blicken.“
Manchmal hasste er die strengen Sitten, die das Leben der Clans bestimmten. Bedeutete das Eingeständnis von Angst in der Öffentlichkeit für einen normalen Krieger Schande, so war eine solche Gefühlsäußerung für einen Häuptling völlig undenkbar. Er hatte ein leuchtendes Vorbild zu sein, zu dem der Rest der Gemeinschaft emporblicken konnte. Gerade in Zeiten des Krieges war ein energischer und tapferer Häuptling Garant für die blinde Gefolgschaft der übrigen Anführer des Clans. Und Krieg führten die Clans und Stämme auf den Inseln ständig. Toromic lächelte bitter. Wann hatte es in seinem Leben Zeiten gegeben, in denen nicht gekämpft wurde? Da drang abermals Shanas Stimme an sein Ohr. „Wie lange willst du noch deinen Gedanken nachhängen? Komm` zu mir.“
Während er auf das Ehelager zuwankte, streifte er seine Kleidung ab und lächelte vor sich hin. Shana hob das Fell für ihn. Dankbar schlüpfte er in die Wärme darunter.
„Beunruhige dich nicht zu sehr, mein großer Krieger“, flüsterte sie, während sie ihn umarmte und ihren Körper an ihn schmiegte, „erst bei Morgengrauen wird der neue Tag geboren, und erst dann wirst du wieder Entscheidungen treffen müssen.“
„Wollen wir hoffen, dass die Runen nichts Schlechtes prophezeien“, murmelte er und küsste sie liebevoll.
„Wollen wir hoffen, dass dir Jagen, Fressen, Saufen und die Unterredung mit Tarcic nicht die letzte Manneskraft geraubt haben“, antwortete sie leise kichernd. Er kniff sie zärtlich in die Seite und schnaubte: „Ho, Weib, das wird sich sogleich herausstellen.“
Sie kuschelten und schmusten eine Weile, doch wie so oft behielt Shana recht. Der Tag war für Toromic mehr als anstrengend gewesen, und nach kurzer Zeit war der Clanführer der Selgovater tief eingeschlafen.
Shana hielt ihn fest umarmt. Sie blickte zum Dach der Hütte empor, das vom Widerschein des ausglühenden Feuers in rotes Licht getaucht wurde, und lauschte seinem schweren Atem. Shana liebte ihren Gemahl innig und war ihm wegen seiner Müdigkeit nicht böse. Sie war die ganze Zeit über wach gewesen und hatte die Unterhaltung der Brüder verfolgt. Toromic tat das ihrer Meinung nach einzig Richtige. Sie kuschelte sich noch enger an den warmen Leib ihres Gatten und schloss die Augen.
Der Wind fegte heulend um die Hütte und erzählte Geschichten von tiefen Wäldern und Seen, unter deren nebelüberfluteten Oberfläche die Sidhe lebten. Langsam schlief sie ein ...