Kitabı oku: «Die schöpferische Besprechung», sayfa 2
Dies ist daher auch ihr Buch!
2. Was ist eine schöpferische Besprechung?
Gesellschaften müssen, um lebensfähig zu bleiben, sowohl produktiv als auch schöpferisch sein. Diese zwei Eigenschaften koexistieren nicht so ohne weiteres. Die Balance zwischen den beiden muss immer wieder neu bewertet und kreiert werden.30
– Richard Lester und Michael Piore –
Der Begriff Besprechung hat eine klare Bedeutung – scheinbar.31 Wir verstehen darunter eine Kommunikationsform mit einem bestimmten Beginnzeitpunkt, einem, oftmals weniger bestimmten, Endzeitpunkt und – besonders wichtig – klar definierten Zielen. So betrachtet sieht es so aus, als ob Besprechungen sich zwar durch ihre Zeitdauer, durch ihre Ziele und durch die Teilnehmer unterscheiden, dass aber darüber hinaus keine Unterschiede zwischen Besprechungen bestehen. Diese Hypothese ermöglicht, anscheinend Allgemeingültiges zum Ablauf von Besprechungen zu äußern. Aber die Behauptung, dass es für Besprechungen universelle Normen der Gestaltung, der Leitung und der Moderation gibt, entspricht nicht der Wirklichkeit.
2.1 Die zwei Grundprozesse in Organisationen
In jeder Organisation gibt es zwei grundlegende, aber sehr unterschiedliche Prozesse: die Produktion bzw. die Erbringung einer Dienstleistung einerseits und die Entwicklung bzw. Innovation andererseits. Es ist die Aufgabe der Produktion bzw. das Ziel einer Dienstleistung, gleich bleibende Qualität zu erbringen und dabei die möglichst fehlerfreie Reproduktion definierter Merkmale sicherzustellen. Die Entwicklung hingegen soll etwas Neues – ein Produkt, eine Leistung, einen Prozess, eine Strategie, eine Technologie, einen Markt, einen Ablauf, einen Nutzen – hervorbringen, das sich vom Bisherigen möglichst deutlich unterscheidet. Das Wesen der Leistungserbringung ist voraussagbare Wiederholung, das Wesen der Entwicklung ist Erkundung und Veränderung.32
Diese zwei Grundprozesse unterscheiden sich nun nicht nur im Großen, sondern auch in den Aspekten, die in dem jeweiligen Prozess von Bedeutung sind (s. Abb. 1).
Abb. 1: Aspekte der zwei Grundprozesse | © Mandl/Hauser/Mandl 2008 |
Diese Unterschiedlichkeit der zwei Grundprozesse in Organisationen spiegelt sich auch in der Unterschiedlichkeit der zwei Zieltypen: Was ist in einer Organisation ein Ziel? Typische Ziele sind etwa die Lieferung eines bestimmten Produktes bzw. das Erbringen einer vereinbarten Leistung, wie etwa der Bau eines Gebäudes, die Heilung einer Kranken, die Lieferung eines Autos, kurzum, die meisten Ziele einer Organisation sind rund um ihre Produkte und Dienstleistungen definiert. Dies ist nicht überraschend, da alle Organisationen ihre Existenz der Erreichung solcher Ziele verdanken.
Es gibt aber auch interne Ziele, also solche, die für die Kunden und Leistungsempfänger nicht sichtbar werden, wie etwa die Weiterbildung der Mitarbeiter, die Einführung eines neuen EDV-Systems, die Realisierung einer Investition zur Rationalisierung, zur Durchlaufzeitenreduktion oder zur Qualitätsverbesserung.
Alle diese Ziele lassen sich klar beschreiben, denn es sind vertraute Ziele. Ähnliche Aufträge, ähnliche Aufgaben und ähnliche Investitionsvorhaben wurden schon früher erledigt. Die Mitarbeiter, die daran beteiligt waren, wissen, was zu tun ist. Falls es in Vergessenheit geraten ist, gibt es Aufzeichnungen, Arbeitspläne, Projektpläne und dergleichen. Die Tatsache, dass diese Ziele klar spezifiziert werden können, bedeutet allerdings nicht, dass sie einfach zu erreichen sind. Technologische Veränderungen, spezifische Anforderungen von Kunden oder an Investitionsprojekte stellen Probleme dar, die gelöst werden müssen. Besprechungen dienen dazu, diese Probleme zu lösen, sodass die Ziele effizient erreicht werden können.
Doch Organisationen arbeiten auch an der Erreichung gänzlich anderer Ziele. Nehmen wir etwa das Ziel, ein attraktives Gebäude oder eine geschmackvolle Kleidungskollektion zu entwerfen. Nehmen wir so unterschiedliche Produktentwicklungsziele wie einen neuen Impfstoff für HIV-Erkrankte, einen auf Kernfusion basierenden Reaktor oder ein Auto, das nicht mehr als drei Liter Benzin pro 100 km verbraucht. Nehmen wir das Ziel, eine neue Dienstleistung zu konzipieren und erfolgreich zu den potentiellen Kunden zu bringen, wie z.B. Reisen ins Weltall, ein neues Universitätsstudium oder die Entfernung des Feinstaubs von den Straßen. Nehmen wir schließlich das interne Ziel, die Durchlaufzeiten von Aufträgen so zu reduzieren, dass sie um drei Prozent unter denen aller Mitbewerber liegen, oder das Ziel, eine sinnvolle Vision, ein Leitbild oder eine umsetzbare Strategie zu entwickeln und zu implementieren.
Die letztgenannten Ziele, wir nennen sie Ziele II, unterscheiden sich von den erstgenannten Zielen, wir nennen sie Ziele I, deutlich:
• Die Erreichung eines Ziels II kann nicht erzwungen werden, selbst wenn sehr viele Mittel und Personen zur Verfügung stehen.
• Es ist unklar, wie vorgegangen werden muss, um ein Ziel II zu erreichen. Die Vorgehensweise selbst muss erst erarbeitet werden und bleibt bis zur Zielerreichung mit dem Zweifel behaftet, ob es die richtige ist.
• Es kann nicht einfach damit begonnen werden, ein Problem zu lösen, weil es »das Problem« nicht gibt oder weil dieses zunächst verborgen bleibt.
Ziele II sind Ziele, die im Vergleich zu den Zielen I wesentlich schwieriger erreichbar sind, weil Neuland betreten werden muss. Es kann sogar sein, dass einige Ziele II grundsätzlich nicht erreichbar sind. Dies erkennt man mitunter erst im Scheitern. Sowohl für Ziele I als auch II bedarf es mehrerer mitunter auch sehr vieler Personen, um sie zu erreichen. Ohne dass einige dieser Personen miteinander reden, in Besprechungen, Meetings oder Sitzungen, ist dies nicht zu schaffen. Aber sollte die Art und Weise, wie eine Besprechung bei Ziel II-Vorhaben abläuft, dieselbe sein, wie eine Besprechung bei Ziel I-Vorhaben? Sollte die jährliche Strategieklausur genauso ablaufen wie der wöchentliche Jour fixe in der Arbeitsvorbereitung?
Unsere Erfahrung ist, dass Entwicklungsprozesse andere Besprechungsformen erfordern als leistungserbringende Prozesse.
Die Unterschiedlichkeit der zwei Zieltypen und die Konsequenzen daraus für die Besprechungen werden aber kaum beachtet. Denn in vielen Besprechungen wird über Ziel I- und Ziel II-Vorhaben in bunter Abfolge geredet. Diese Vermischung bewirkt, dass eine Besprechungsform dominiert, die sich bei Zielen der Kategorie I in jahrzehntelanger Praxis scheinbar bewährt hat. – Ob sie sich wirklich bewährt hat, sei dahingestellt, denn dazu müsste es zumindest zwei Besprechungsmodelle in derselben Organisation geben, sodass diese erprobt und miteinander verglichen werden können. Bemerkenswerterweise ist innerhalb einer Organisation aber wenig so durchgängig einheitlich wie die Art der Besprechung.
2.2 Produktive Besprechungen
Begrifflichkeiten sind wie Bilder. Ein bestimmter Begriff erzeugt in uns, meist ohne dass wir uns dessen wirklich bewusst sind, eine Vorstellung. Und diese Vorstellung wiederum bewegt uns, die Realität zu kreieren, die zu unserer Vorstellung passt. Eine produktive Besprechung ist eine Besprechung, die produktiv ist. Produktiv bedeutet, ein Produkt oder eine Dienstleistung in möglichst kurzer Zeit, in gleich bleibender Qualität und mit möglichst geringem Mitteleinsatz zu erbringen. Diese Vorstellung von Produktivität ist beinahe universell; vermutlich weil bereits Anfang des 20. Jahrhunderts ein Konzept hierfür entwickelt wurde, die so genannte wissenschaftliche Betriebsführung.33 Dieses Konzept wurde seitdem kontinuierlich weiterentwickelt und nimmt in allen Unternehmen einen zentralen Stellenwert ein. Auf höhere Produktivität zu setzen gilt als strategischer Wettbewerbsvorteil.
In dem Maße, in dem Besprechungen zunahmen und damit ihr Anteil am gesamten Mitteleinsatz der Unternehmen immer größer wurde, mussten auch Besprechungen immer produktiver werden. Die verbreitete Vorstellung von »Produktivität« wurde den Besprechungen übergestülpt. Besprechungen sind dann produktiv,
– wenn sie dazu führen, dass ein Produkt oder eine Dienstleistung in möglichst kurzer Zeit mit möglichst wenig Mitteleinsatz erzeugt bzw. erbracht wird, und
– wenn die Besprechung selbst in möglichst kurzer Zeit mit möglichst wenigen Personen stattfindet.
Eine beinahe archetypische Besprechung ist der wöchentliche Jour fixe zur Arbeitsvorbereitung in der Produktion oder am Bau. In dieser Besprechung werden die zu erledigenden Arbeiten besprochen und abgestimmt, außerdem wird festgelegt, wer was wann und wie macht. – Immer wieder stellen wir mit Erstaunen fest, dass die meisten Menschen, auch jene, die nie in einem Produktionsbetrieb tätig waren, dieses archetypische Bild einer produktiven Besprechung in sich tragen und ihre aktuellen Besprechungserlebnisse damit vergleichen. Besprechungen, so die verbreitete Meinung, haben produktiv zu sein und wenn sie dies nicht sind, dann sind die daran teilnehmenden Personen unzufrieden.
Produktive Besprechungen sind wesentlich, um Produkte oder Dienstleistungen (wieder und wieder) möglichst effizient und damit kostengünstig herzustellen. Aber um Neues hervorzubringen – also für Ziel II-Vorhaben – sind sie unpassend, mitunter sogar kontraproduktiv.
2.3 Schöpferische Besprechungen
Um Neues hervorzubringen genügt es nicht, Kreativitätstechniken zu verwenden. Diese sind zwar geeignet, vorgegebene Probleme zu lösen. Sie sind indes nicht geeignet herauszufinden, welches Problem überhaupt gelöst werden soll, welches Thema gerade wichtig ist oder welche Aufgabe angegangen werden soll. Menschen, die tief im Lösen eines Problems, im Bewältigen einer Krise stecken, übersehen leicht, dass es immer beliebig viele Probleme und Krisen gibt, aus denen ausgewählt werden kann und muss. Dieser Prozess des Auswählens ist jedoch der wichtigste Aspekt jeder schöpferischen Tätigkeit. Wahrhaft schöpferisch wird eine Besprechung dadurch, dass dieser Prozess des Auswählens eines Problems oder einer Aufgabenstellung selbst Teil der Besprechung ist.
Noch bevor Sinneseindrücke bewusst wahrgenommen werden, wird gefiltert, welche dieser Sinneseindrücke bedeutsam sind. Das Bewusstsein gaukelt zwar vor, alles wahrzunehmen, tatsächlich erlangt aber nur ein Bruchteil der gesamten Sinneseindrücke das Bewusstsein. Erst danach setzt jener aktive Prozess ein, die Aufmerksamkeit auf die eine oder andere Sache zu konzentrieren.34
Dieser individuelle Prozess des Filterns und des Lenkens von Aufmerksamkeit spielt sich kollektiv auch in Besprechungen ab. Weil aber jeder Mensch andere Filter der Wahrnehmung hat, können in Besprechungen die unbewussten Wahrnehmungsfilter dadurch auf ein Minimum reduziert werden, dass darüber gesprochen wird, was jede Person für bedeutsam hält. Dem Phänomen des Groupthink wird so vorgebeugt. Aus der Fülle bedeutsamer Themen erhält in einer schöpferischen Besprechung jeweils eines besondere Beachtung, solange, bis die Zeit reif für das nächste bedeutsame Thema ist.35
Ein wesentliches Merkmal schöpferischer Besprechungen ist, dass es zu grundlegenden Meinungsverschiedenheiten kommen kann, ja kommen muss. Je wichtiger der Gruppe die identifizierten Probleme, Themen oder Aufgaben sind, desto emotioneller werden solche Meinungsdifferenzen – bis hin zu persönlichen Konflikten. In produktiven Besprechungen hingegen sind Meinungsdifferenzen unerwünscht, werden als Hindernis gesehen und beseitigt.
In Ziel II-Vorhaben sind aber solche Meinungsdifferenzen viel zu wichtig, um sie zu negieren oder einfach einer Sichtweise den Vorzug zu geben. Neues entsteht, wenn Ideen, Kenntnisse und Erfahrungen verschiedener Personen in den Entstehungsprozess einfließen. Je konträrer die Ideen, Kenntnisse und Erfahrungen zunächst sind, desto radikaler ist das daraus entstehende Neue, wenn, ja wenn die beteiligten Personen es schaffen, ihre unterschiedlichen Auffassungen und Sichtweisen zu etwas gemeinsamen Neuen zu verbinden, nicht als Kompromiss, sondern als neue Erkenntnis.
Als Christoph Hochschulassistent an der ETH Zürich war, trafen alle Mitglieder desselben Instituts einander täglich, vormittags und am Nachmittag, für jeweils 20 Minuten zum gemeinsamen Kaffeetrinken. Wer immer am Institut war, der kam, auch Gäste. Sie tranken Kaffee und redeten miteinander. Es gab keine vorgegebene Agenda, deshalb wurde über alles Mögliche gesprochen, aber auch über die unterschiedlichen Forschungsvorhaben. Die Gespräche waren freundschaftlich und von einem Klima gegenseitigen Interesses getragen. Für neue Doktoranden, so auch für Christoph, war die zentrale Frage, worüber die Doktorarbeit handeln sollte. Niemand hatte darauf eine direkte Antwort. Diese Frage war auch auf keiner Tagesordnung so genannter Institutsbesprechungen. Aber in diesen Pausengesprächen formte sich bei Christoph mit der Zeit das Bild von dem Problem, dem er sich in der Doktorarbeit widmen wollte. Diese Gespräche ermöglichten es ihm auch zu erfahren, wie andere die Bedeutung dieses Themas sahen. Von allen Gesprächen am Institut waren diese die schöpferischsten, denn in ihnen wurden viele der neuen Forschungsideen geboren.
Gespräche, in denen die daran Beteiligten zu gemeinsamen neuen Erkenntnissen oder Einsichten gelangen, sind unabdingbar, um Entwicklung, um technologische oder andere Veränderung, um Forschung und um Lernen zu ermöglichen. Solche Gespräche finden in jeder Organisation, die Neues erschafft, statt. Das Bemerkenswerte daran ist, dass es für diese »Besprechung der anderen Art« kein gängiges Wort gibt. In der Philosophie wurde ein solches Gespräch als »Dialog«36 bezeichnet, in der Managementlehre wurden solche Gespräche als »Team-Lernen«37 und in den Ingenieur- und Sozialwissenschaften als »interpretierende bzw. bedeutungsgebende Gespräche«38 bezeichnet. Wir haben uns entschieden, solche Gespräche »schöpferische Besprechung« zu benennen, weil sie schöpferischen Prozessen in Organisationen zugrunde liegen.
Produktive Besprechungen sind für den Kernprozess Produktion bzw. für die Erbringung einer Dienstleistung notwendige unterstützende Tätigkeiten. Schöpferische Besprechungen hingegen sind bei Entwicklungen bzw. Innovationen der Kernprozesse selbst wichtig. Schöpferische Besprechungen sind daher nicht nur notwendige Voraussetzung für die eigentliche Arbeit, sie sind die eigentliche Arbeit.
2.4 Wann ist eine Besprechung schöpferisch?
Produktiv sind Besprechungen dann, wenn in möglichst kurzer Besprechungsdauer die zu erledigenden Arbeiten und Aufgaben geklärt, strukturiert und verteilt sind. Ob Besprechungen hingegen schöpferisch sind, ist nicht so einfach festzustellen. Nicht zu jedem Zeitpunkt einer schöpferischen Besprechung ist ersichtlich, ob man dem angestrebten Ziel II wirklich näher gekommen ist. Dies liegt vor allem an der multidimensionalen Qualität solcher Besprechungen:
• Persönlich Bedeutsames wird ausgesprochen,
• Informationen werden interpretiert,
• Wahrnehmungen wird Bedeutung gegeben,
• Sichtweisen werden anerkannt,
• Meinungsverschiedenheiten wird auf den Grund gegangen,
• Annahmen werden hinterfragt,
• Erkenntnisse werden gewonnen,
• Mentale Modelle werden offenbar,
• Verständnis wird gestiftet,
• Beziehungen werden vertieft,
• Intentionen werden entdeckt,
• Engagement und Commitment werden geschaffen,
• Personen werden integriert und
• Vorgehensweisen werden synchronisiert.
Kriterium für schöpferische Besprechungen ist, dass zu jedem Zeitpunkt eine dieser Qualitäten präsent ist. Im Laufe einer Besprechung sollten aber alle Qualitäten erfahren werden.
Martin Buber hat dieses Schöpferische in der ihm eigenen Sprache so beschrieben: Wo aber das Gespräch sich in seinem Wesen erfüllt, zwischen Partnern, die sich einander in Wahrheit zugewandt haben, sich rückhaltlos äußern und vom Scheinenwollen frei sind, vollzieht sich eine denkwürdige, nirgendwo sonst sich einstellende gemeinschaftliche Fruchtbarkeit.
2.5 Besprechungsparadigmen
In kaum einer Organisation wird zwischen produktiven und schöpferischen Besprechungen unterschieden. Daher kann nicht über deren Unterschiede gesprochen, kann schwer deren Gestalt wahrgenommen werden – und daher können letztlich unterschiedliche Besprechungsformen nicht absichtsvoll kreiert oder erlernt werden.
Ein gutes Beispiel für einen solchen Wahrnehmungsprozess ist Oberton-Singen.39 Dies ist eine zentralasiatische Singform, bei der über einen mit den Stimmbändern erzeugten Ton ein reiner Oberton entsteht. Physikalisch geschieht dies durch die schwingende Luftsäule in der Mundhöhle. Der Zuhörer hört somit zwei Töne – einen tiefen Grundton und einen sehr hohen, reinen Oberton. Die Schwierigkeit beim Lernen von Obertonsingen ist, dass Ungeübte zunächst den Oberton nicht hören, obwohl er da ist. Erst nach und nach nimmt ein Ungeübter den Oberton, zunächst nur als Veränderung der Tonfarbe des Grundtones, wahr, dann als eigenen, ganz leisen Ton und schließlich – und das ist das wahrhaft Verblüffende – hören Geübte nur mehr den Oberton und nicht mehr den Grundton. Und erst wenn ein Neuling gelernt hat, seine eigenen Obertöne zu hören, kann er sein Obertonsingen verbessern.
So wie leistungserbringende Prozesse von Entwicklungsprozessen grundverschieden und nicht in einen Prozess vereinbar sind, so sind auch produktive und schöpferische Besprechungen miteinander unvereinbar. Mit beiden Besprechungstypen gehen spezifische Denkmuster einher, zwei Paradigmen also. Beide Besprechungsparadigmen spiegeln einen impliziten Konsens über Annahmen und Vorstellungen wider, die es ermöglichen, innerhalb eines Besprechungsparadigmas »richtig« zu agieren. Insofern ist das Erlernen der schöpferischen Besprechung nicht einfach das Aneignen einer neuen Methode, sondern das Akzeptieren eines Paradigmas – allerdings ohne das andere Paradigma für obsolet zu erachten.
Dies ist schwierig und führt dazu, dass in einer Organisation jeweils nur ein Besprechungsparadigma dominant ist. Deshalb – und wohl auch weil leistungserbringende Prozesse herausragende Bedeutung in der Industriegesellschaft haben –, werden produktive Besprechungen auch in Entwicklungs- und Innovationsprozessen verwendet. In Organisationen, bei denen die Entwicklung selbst die Dienstleistung ist, wie etwa bei Architekten oder Softwarefirmen, führt dies dazu, dass Ziele II oft verfehlt werden. Je entwicklungsintensiver eine Organisation ist, umso problematischer wird die Verwendung von produktiven statt schöpferischen Besprechungen.
Organisationen, in denen produktive Besprechungen dominieren, bringen wenig Neues hervor, dafür sind ihre Leistungen von gleich bleibend hoher Qualität. Von Organisationen hingegen, in denen schöpferische Besprechungen alltäglich sind,40 dürfen Kunden nicht gleich bleibende, sondern durch Innovationen veränderte Leistungen erwarten. Unsere Erfahrung ist, dass es beiden Arten von Organisationen gelingt, sich gemäß ihrem Potenzial zu entwickeln, wenn sie schöpferische Besprechungen bewusst einsetzen.
3. Dysfunktionale Besprechungskultur
Die Fähigkeit, mit anderen auszukommen, ist immer ein Pluspunkt, richtig? Falsch! Durch geschicktes Vermeiden jeglicher Konflikte schaffen manche Manager geradezu betriebliches Chaos. 41
– Chris Argyris –
Als Christoph Assistent des Vorstandsvorsitzenden eines Großunternehmens mit rund zehntausend Mitarbeitern und zuständig für die strategische Unternehmensplanung war, wurde er anlassbezogen zu Vorstandssitzungen herangezogen. An diesen Vorstandssitzungen nahmen die fünf Vorstände und der Protokollführer teil. Bei Christophs erster Vorstandssitzung waren strategische Fragen auf der Tagesordnung. Er ging mit der Erwartung hin, dass fünf Vorstände dort im wahrsten Sinn des Wortes über Weltbewegendes sprechen würden. Immerhin war das Unternehmen weltweit aktiv. Gemäß Tagesordnung ging es darum, wie man sich am Weltmarkt positionierte, demgemäß ging es um viel Geld und um viele Arbeitsplätze. Christoph fiel buchstäblich aus allen Wolken, als er hörte, worüber und auf welche Art und Weise die fünf Vorstände miteinander sprachen. Er konnte kaum glauben, dass dies die Kommunikation im Zentrum der Macht war. Die Sitzung begann damit, dass jeder ein Plädoyer für eine Angelegenheit aus seinem Ressort hielt, welche die anderen überhaupt nicht interessierte. Keiner bezog sich auf den anderen. Es war wie ein Schlagabtausch. Dann sprachen sie eine Viertelstunde darüber, ob ein bestimmter Mitarbeiter hundert Euro mehr Gehalt bekommen sollte. Am Schluss war klar, dass die strategischen Fragen, die auf der Tagesordnung standen, vertagt werden mussten.
Woran lag es, dass eine Gruppe von hochintelligenten Menschen unfähig war, zu gemeinsamen Erkenntnissen, zu gemeinsamen Problemlösungen oder auch nur zu einem gemeinsamen Problemverständnis zu gelangen? Wie kam es, dass das Ganze, also die Gruppe, nicht mehr, sondern deutlich weniger als die Summe der Fähigkeiten jedes einzelnen Gruppenmitglieds besaß?
Bevor wir auf diese Fragen eingehen, liefert der Fall UTM zusätzliches und detailliertes Anschauungsmaterial.
3.1 Der Fall UTM
Christoph: Harald, Du warst eine einflussreiche Führungskraft bei UTM. Kramen wir gemeinsam in deinen Erinnerungen und erforschen, wie die Besprechungskultur bei UTM42 war. Danach möchte ich mit dir herausfinden, welche Wirkungen diese Kultur zeitigte.
Harald: Es wird für mich eine Zeitreise. Das macht mich neugierig und ängstigt mich zugleich, v.a. das Krankmachende lasse ich lieber in der Vergangenheit ruhen. Manches ist mir sehr lebendig und manches verklärt und verzerrt die Erinnerung.
Bei UTM gab es auf unterschiedlichen Hierarchieebenen unterschiedliche Besprechungskulturen. Es war etwas anderes, wenn die Geschäftsleitung miteinander sprach als wenn ein Abteilungsleitermeeting versuchte, Dinge zu vergegenwärtigen. Je hochrangiger eine Besprechung besetzt war, desto weniger wurde dabei ausgearbeitet und desto weniger entstand, aber umso besser war sie informell vorbereitet. Man kannte bereits vorher die Position jedes einzelnen, der diese dann bei der Besprechung offiziell mitteilte. Obwohl informell schon klar war, ob ein Thema eine Mehrheit finden würde oder ob es abgelehnt werden würde, brauchte es die Besprechung der Entscheidungsträger, um formal zu einem Ergebnis zu kommen. Das Abstimmungsverhalten war vorhersehbar. Es kam deshalb auch vor, dass eine Besprechung abgesagt wurde, um eine Abstimmung zu verhindern, die zu einem ungewollten Resultat geführt hätte. Dann wurde auf der informellen Ebene solange weitergespielt, bis wir eine Chance sahen, dass das herauskam, was wir, also bestimmte Teilgruppen, als wünschenswert erachteten.
Das war divergierend von dem, was ich bis damals kannte. Davor war mein Ansatz, dass eine Besprechung nur einen Sinn hat, wenn etwas Neues herauskommt. Aber ein solch offener Ausgang war nicht gewünscht. Was ich jetzt beschreibe, das sind die hochrangigen Gremien, wo Entscheidungsträger eingebunden waren. Wenn hingegen Abteilungsleiter sich zu Besprechungen trafen, dann wurde kurz über das Sachthema diskutiert und dann sofort auf das Thema umgeschwenkt »Wie bringen wir den Entscheidungsträgern das, was wir wollen, nahe?«. Zentrale Frage war: »Was müssen wir alles tun, damit wir die Leute entsprechend beeinflussen, damit diese das, was wir als sachlich gut und richtig ansehen, auch so sehen?«
Christoph: Was mich erstaunt, ist, wieso die Sachebene so rasch abgeschlossen werden konnte. Das heißt ja, dass es kaum unterschiedliche Meinungen gegeben hat.
Harald: Bei der Festlegung der Besprechungsteilnehmer fragte man nicht, welche Leute zum Thema die kompetentesten Aussagen beitragen konnten, sondern man lud möglichst diejenigen ein, die mit der eigenen Meinung übereinstimmten. Es war eine gewöhnungsbedürftige Intervention meinerseits, darauf zu bestehen, dass immer der größte Kritiker, den sie zu einem bestimmten Thema benennen konnten, beim nächsten Mal auch dabei war. Das war kulturfremd.
Christoph: Wozu hat das geführt?
Harald: Das hat dazu geführt, dass sie auf der Abteilungsleiterebene länger stritten und dass sie oft keinen Konsens zusammenbrachten. Dann wurde hinterfragt, ob dieses Prinzip gut sei. Ich gehe davon aus, dass man nach meinem Ausscheiden in das alter Muster zurückfiel.
Christoph: Die oberste Ebene ist also Repräsentant von Lobbyinggruppen und muss dann so abstimmen. Das klingt nach einer Plenarsitzung im Parlament.
Harald: Ja, es ging wenig um Meinungsfindung. Das war aber die Schwierigkeit. Jeder kam mit einer durch die Lobbyinggruppen geprägten und verfestigten Meinung zur Sitzung.
Christoph: Wo wurde in dieser Besprechungskultur ein Meinungs- oder Interessenskonflikt offen ausgetragen?
Harald: Es gab annähernd gleichstarke Lobbys. Das führte dazu, dass in Vorbereitung von Entscheidungen Sachthemen zwischen mächtigen Teilsystemen ausdiskutiert werden mussten. Es war nicht immer ausreichend, aber es war hilfreich, wenn mindestens zwei Lobbys einer Meinung waren. Daher hatten sie Diskussionsbedarf. Auf der nachgeordneten Ebene waren sie auch imstande, mit diesen unterschiedlichen Positionen anzutreten und sich darüber auszutauschen. Aber danach funktionierte das Spiel so, dass, wenn wir uns auf etwas Sinnvolles einigen konnten, das auch für die anderen gut sein musste.
Christoph: Und wo passierte diese Einigung?
Harald: Es gab Opinionleader und wenn die sich auf etwas verständigten, dann waren deren Lobbys so stark, dass sie eine organisationsweite Entscheidung zusammenbrachten.
Christoph: Alles lief unter dem Gesichtspunkt, wie ihr zu Entscheidungen kamt. Aber wie kamt ihr zu einem gemeinsamen Problemverständnis? Wie kamt ihr zu der Erkenntnis, welche die relevanten Probleme waren? Wie kamt ihr zu gemeinsamen Zukunftsbildern und zu gemeinsamen strategischen Zielen?
Harald: In Geschäftsleitungssitzungen kamen solche Diskussionen nicht vor. Das war ja eines der großen Probleme. Zielvorstellungen waren Vorgaben einzelner Meinungsbildner der ersten bis zweiten Führungsebene. Das Thema Strategie spielte sich nicht in formalen Besprechungen, sondern im informellen Austausch unter vier Augen ab.
Christoph: Waren dies Tauschverfahren in Sinne von »Wenn du meine Meinung unterstützt, dann hast du etwas gut bei mir«?
Harald: Es wurde nicht explizit gemacht, aber das war das Prinzip.
Christoph: Du beschreibst eine Gesprächskultur, die den Sinn und Zweck hatte, Entscheidungen zu produzieren. Es klingt wie ein Erfolgskriterium. Wenn man in der Sitzung alle Sachen, die zu entscheiden waren, entschieden hatte, dann war man gut unterwegs. Woher kam dieser immense Fokus auf Entscheidungen?
Harald: Aus der Schwierigkeit der Steuerung einer solch großen Organisation, in der verschiedenste Strömungen repräsentiert werden sollten, man aber keine Form mehr fand, dass diese sichtbar wurden. Es war kaum möglich, die unterschiedlichen Standpunkte zu einem Thema unter einen Hut zu bringen. Damit aber die Organisation handlungsfähig blieb, brauchte sie laufend Entscheidungen.
Christoph: Wie musste jemand in dieser Besprechungskultur agieren, um ein Maximum an Wirkung zu erreichen?
Harald: Du musstest eine ganz hohe Anzahl von Vieraugengesprächen zu ein und demselben Thema führen, damit du die Breite der Organisation erreichen konntest.
Christoph: Wusste man, wer die wirkungsvollsten Personen waren?
Harald: Das wusste man genau. Das machte diese Personen so wertvoll. Andererseits war das problematisch, weil sie überbeansprucht wurden. Diese ›menschlichen Drehscheiben‹ waren in der zweiten oder dritten Führungsebene angesiedelt. Und es lief alles über sie, unabhängig von ihrer Zuständigkeit. Je länger so eine Person in dieser Rolle als Informationsdrehscheibe tätig war, desto losgelöster von ihrer Sachkompetenz wurde sie angesteuert.
Christoph: Du warst so eine Drehscheibe und wurdest dadurch krank. Was war das Krankmachende daran?
Harald: Dieses Hineinwachsen in eine Knotenfunktion war verschleißend. Ich wurde zunehmend in die Entscheidungsvorbereitung involviert. Damit kam ich in immer größeren Verantwortungsdruck. Die Einflüsse der miteinander im Clinch liegenden Lobbys auf mich wurden größer. Ich wurde nach allen Richtungen gedehnt und zerrissen. Der Versuch der Vereinnahmung war teilweise intensiv. Als ich ein Informationsknoten wurde, begann das Spiel, an mir zu zerren und zu reißen: »Dort blockieren wir dich, wenn du da nicht mit uns gehst. Du willst, dass wir da mit dir gehen? Dann wollen wir aber, dass du in den und den Dingen unsere Sicht der Dinge vertrittst.«
Das musste ich auch zeitlich durchstehen. Ich hatte bis zu acht Vieraugengespräche an einem Tag. Jeder bilaterale Termin dauerte zwar nur maximal eine Stunde, aber ich musste auch die formalen Kontakte abwickeln. Da ich mit Entscheidungsträgern zu tun hatte, war das ein 24-Stunden-Job. Es wurde immer aufwendiger, alle diese Deals einzuhalten. Es war eine Exponentialkurve: Die ersten Deals konnte ich klar und sachlich richtig abschließen. Dann explodierte die Zahl der Sachzwänge. Da war ich mit diesem unter einem Hut, dort mit jenem. Das alles passte aber schließlich nicht mehr zusammen.
Christoph: Diese Knotenpersonen haben eine machtvolle Position, weil sie die Dinge überproportional stark beeinflussen können. Aber der Preis ist, dass sie gleichzeitig Träger der Interessenskonflikte sind, die nicht in den Besprechungen ausgelebt werden. Je mehr Konflikte es gibt, desto mehr wird dieser Knoten belastet. Gibt es Leute, die das durchhalten?
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.