Kitabı oku: «Neuland unter den Sandalen», sayfa 2

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NIE WIEDER!
9. Juli

Als ich am Morgen das Zelt öffnete, saß bereits die junge Elster, mit der ich schon am Vorabend Bekanntschaft gemacht hatte, beim Zelteingang und bettelte. Sie zeigte ein fachmännisches Interesse für alle Teile meines Fahrrads. Geschwisterlich teilten wir unser bescheidenes Frühstück. Daraufhin wich sie keinen Zentimeter mehr von meiner Seite und folgte mir überallhin.

Als für die Weiterreise alles bereitstand, lockte ich meine kleine Freundin hinter eine Baracke und gab ihr dort ein Stück glitzernde Alufolie. Das lenkte sie für einen kurzen Moment ab. Schnell rannte ich zum Rad und machte mich aus dem Staub. Ich ließ ein leicht frustriertes Elsterchen zurück.

Schon näherte ich mich Le Puy, einer der bedeutenden Etappen am Jakobsweg. Ich besuchte die Basilika, die hoch über der Stadt thront, und war überrascht, da oben eine Quelle mit Trinkwasser zu finden. Als verwöhnter Schweizer musste ich lernen, dass es in vielen Gegenden Frankreichs kaum Brunnen gibt. Die Suche nach dem lebensnotwendigen Nass wurde zu einer der Hauptsorgen auf dem Weg, besonders bei meiner Fahrt durch das französische Zentralmassiv, wo man selbst in größeren Ortschaften vergeblich nach Wasser sucht.

Bald nach Le Puy folgte eine böse Überraschung. Meine Landstraße mutierte unversehens zu einer Schnellstraße. Das Radfahrverbot war unübersehbar, aber niemand hatte an uns Radfahrer gedacht. So fuhr ich einfach weiter, als ob nichts wäre.

Aber nach 20 Kilometern war endgültig Schluss. Die Schnellstraße mündete nämlich in eine mehrspurige Autobahn. Nur mit größter Mühe hob ich mein schwer beladenes Rad über die Leitplanken. Nach Überquerung einer hässlichen Baustelle kam ich auf einen kleinen Feldweg. Der Sonne nach zu schließen führte er nach Westen, und so vertraute ich mich ihm blind an.

Doch schon bald wurde ich missmutig. Es war heiß und staubig, und ich hatte viel Zeit verloren. Am liebsten hätte ich mich flach auf den Boden gelegt, die Augen geschlossen und alles vergessen!

Da bog der Weg in eine Straße ein, und nach kurzer Zeit fuhr das Rad wieder wie von selber. Es ging unaufhaltsam bergab, die Abfahrt wollte und wollte nicht enden. Ich wähnte mich schon bald unter dem Meeresspiegel.

Aber es kam keine rechte Freude auf. Eine dunkle Ahnung sagte mir, dass es auf der anderen Talseite ebenso unaufhörlich wieder bergauf gehen könnte. Und so war es auch. Nur mit größter Mühe schaffte ich den Aufstieg. Mein ursprünglicher Plan, auch den Rückweg der Pilgerreise mit dem Rad zurückzulegen, bekam einen ersten Dämpfer. Und es sollten noch weitere folgen! Für den Moment stand fest: Das werde ich mir, koste es, was es wolle, kein zweites Mal antun.

Bei Sonnenuntergang erreichte ich eine verträumte Kleinstadt. Ich war am Ende meiner Kräfte. Nichts wies auf einen Zeltplatz hin. Doch ein Hotel kam für meinen Geldbeutel nicht in Frage. In meinem verschwitzten und armseligen Outfit hätte man mich wohl auch gar nicht aufgenommen.

Da kam ein guter Engel in Gestalt einer alten Frau auf mich zu. Sie wies mich auf eine versteckte Campingmöglichkeit hin, gleich um die Ecke. Was für ein Paradies erwartete mich da! Der von einem kleinen Fluss umspülte Platz war genau das, was ich jetzt brauchte. Schnell stieg ich ins kühle Nass. Hier konnte ich den Schweiß und die Sorgen, aber auch die Freude und die Dankbarkeit dem träge dahinströmenden Wasser anvertrauen.

An diesem Punkt der Reise wurde mir klar: Die Heimat lag nun endgültig hinter mir. Es gab keine Absicherung mehr, kein Zurück. Es blieb nur der Blick vorwärts, nach Westen, Tag für Tag, ohne recht zu wissen, was jeder dieser Tage mit sich bringen würde. Was ich in meinem Heimatkloster Einsiedeln jahrelang, oft gedankenlos, beim nächtlichen Gebet gesungen hatte, hier nun klang es echt und überzeugt: „Herr, auf dich vertraue ich. In deine Hände lege ich mein Leben.“

FLUCHPSALMEN UND KULINARISCHE KÖSTLICHKEITEN
10. Juli

War das eine gute Nacht! Erst die morgendlichen Sonnenstrahlen, die die Luft im Innern des Zeltes spürbar erwärmten, weckten mich auf. Ich hatte es aber keineswegs eilig. Alles tat ein bisschen weh, die Muskeln, die Knochen, die Hände, vor allem das Hinterteil. Als das Zelt endlich eingepackt war, ging es schon auf zehn Uhr zu.

Ich schwang mich auf mein Rad. Da ich in den Niederungen eines kleinen Flusstales gezeltet hatte, begann der Tag wieder mit einem Aufstieg. Nach nur zwei Kilometern lud eine kleine Kapelle zum Verweilen ein. Das ist eine willkommene Gelegenheit, um ein Morgengebet zu verrichten, sagte ich mir.

Es war aber eher Faulheit als Frömmigkeit, die mich da eintreten ließ. Beten konnte ich ja auch auf dem Fahrrad. Durch mein dreißigjähriges Klosterleben kannte ich manche der Psalmen auswendig.

Wenn mir aber gar nichts in den Sinn kommen wollte, dann dachte ich zurück an jenen russischen Bauern, dessen Wagen auf der Rückkehr vom Markt ein Rad verlor. Dem Armen blieb nichts anderes übrig, als im Wald zu übernachten. Nach seiner Gewohnheit legte er sich aber nie zur Ruhe, ohne seine Gebete zu verrichten. Doch hatte er diesmal kein Gebetbuch bei sich. Und auswendig konnte er kein einziges! Da sprach er zu sich selbst: „Was ich kann, ist nur das Alphabet. Also werde ich dieses dreimal nacheinander aufsagen. Und der Liebe Gott, der alles vermag, wird sich aus den Buchstaben schon selber ein Gebet formen!“ – Wahrlich, Gott hörte das, heißt es in der Geschichte, und er sprach zu seinen Engeln: „Heute ist kein schöneres Gebet in den Himmel gedrungen als das Gebet dieses einfachen Bauern.“ Ungefähr so gestaltete ich meine Andacht in der Kapelle. Aber bald darauf hieß es wieder aufbrechen.

Nach etwa einer Stunde Steigung war eine größere Umleitung signalisiert, und zwar dermaßen schlecht, dass ich über viele Kilometer in die falsche Richtung fuhr und wertvolle Zeit verlor. Nur mein geistlicher Stand verbot es mir, meinem Ärger über diese Schlamperei durch lautes Fluchen Luft zu verschaffen. Fluchpsalmen (solche gibt es) wären jetzt genau das Richtige gewesen, aber die hatte ich nicht auf Lager, da wir sie in Einsiedeln leider überspringen.

Da ich kein rechtes Frühstück eingenommen hatte, war mein Hunger groß. Endlich erreichte ich auf 1180 Meter Höhe ein Dorf mit dem originellen Namen „Nasbinals“. Ich beschloss, was sonst eher selten der Fall war, in ein Restaurant einzukehren, um wieder einmal richtig zu essen. Es gab ein Nasbinalser Menü zu zwölf Euro, alles inbegriffen: Es war wie im Schlaraffenland. Zuerst brachte man mir zu meinem Erstaunen einen ganzen Liter Wein, dazu frisches Brot. Es folgte Kartoffelsalat mit Tomaten, dann eine äußerst delikate, sehr heiße Lauchspezialität. Abgelöst wurde sie durch ein Hähnchen, das auf einem feinen Risottobett lag. Schließlich ruhten meine Augen auf einer großen Platte mit verschiedenen Käsesorten, von denen ich nach Belieben abschneiden konnte. Gekrönt wurde das Essen schließlich von drei großen Eiskugeln.

In einem günstigen Moment, da ich mich unbeobachtet fühlte, goss ich den Rest des Weines heimlich in eine Plastikflasche und packte auch die Brotreste mit ein. Es nahte der Sonntag. Ich wusste nicht, ob ich mich morgen einer zum Gottesdienst versammelten Gemeinde würde anschließen können. Vielleicht musste ich in dieser kargen Einöde alleine Gottesdienst feiern?

Mehr als satt und leicht beduselt verließ ich das Lokal. Der Wirt murmelte noch irgendetwas von einer letzten Passhöhe, die es zu überwinden galt. Aber ich hatte zu viel Wein getrunken und schaffte es nicht mehr hinauf. Tapfer kämpfte ich mich noch ein Stück weit Richtung Pass hinauf, aber dann überfiel mich eine solche Müdigkeit, dass ich eine Siesta einlegen musste. Ich fiel in einen tiefen Schlaf. Die schweren Brummer, die an mir vorüberdonnerten, vermochten mich nicht zu wecken.

Und doch wurde ich bald um den Schlaf gebracht: Eine Ameise fand den Weg in mein Hemd und rief all ihre Kolleginnen herbei. Da half nur schleunigste Flucht. Bei späteren Nickerchen habe ich den Siestaplatz immer sehr sorgfältig nach diesen hartnäckigen Tierchen abgesucht.

Nur mit Mühe schaffte ich den Aufstieg zum Pass. Nun war das Zentralmassiv endgültig überwunden. Vor mir lag die vom Wirt angekündigte, endlose Abfahrt. Der frische Wind und das Wissen, dass es keine weiteren Anstiege mehr gab, machten mich restlos glücklich.

Doch je näher die Ebene kam, umso häufiger schlugen mir ganze Wellen von heißen Luftschichten entgegen. Um 16.00 Uhr unten angekommen, konnte ich, als ich vom Fahrrad stieg, kaum mehr atmen. Es war eine Atmosphäre wie in einer Gießerei. Die Hitze hielt alles im Griff. Sie brachte alles Leben zum Stillstand. Nicht einmal der Schatten bot Linderung. Rasch floh ich in einen Laden, wo ich mir ein Eis kaufte, dessen Inhalt sich an einen kleinen Holzstecken zu klammern versuchte. Doch kaum war ich im Freien, begann die Süßigkeit von allen Seiten herabzutropfen. Unablässig war ich mit meiner Zunge damit beschäftigt, der Flucht der schmelzenden Süßigkeit Einhalt zu gebieten. Ich schleckte mal links, mal rechts, mal hinten, dann vorne, als die ganze Masse plötzlich lautlos zu Boden fiel und wie ein nicht entsorgter Hundekot im Dreck lag.

Zwei Damen, die mein vergebliches Bemühen schmunzelnd beobachteten, spendeten mir Trost. Es waren zwei Französinnen, die zu Fuß von Le Puy aus gestartet waren. Hier erfuhr ich zum ersten Mal die Faszination der Begegnungen am Jakobsweg: Egal, welcher Rasse, Sprache oder Nationalität man angehört, man fühlt sich als Pilger im tiefsten Miteinander verbunden, ja verwandt. Man spricht sich an, ganz so, als ob man sich schon lange kennen würde und geht eine Zeit lang miteinander, oft schweigend, oft redend. Man hilft einander und teilt alles, was man hat.

Die beiden Frauen rieten mir, ich solle bei dieser mörderischen Hitze meinen Weg unterbrechen und wie sie die Pilgerherberge aufsuchen. Doch mich zog es unaufhaltsam weiter zu den Pyrenäen, und so brach ich wieder auf. Immerhin wurde die Hitze durch den Fahrtwind etwas gemildert. Bis Rodez wollte ich es noch schaffen.

Als ich jedoch während einer Abfahrt bemerkte, dass die Straße auf der anderen Seite wieder steil anzusteigen begann, verließen mich der Mut und die Kraft. Ich beschloss, unten in der Niederung zu bleiben und hier ein Versteck für mein Zelt zu suchen.

Noch während ich es aufstellte, näherten sich mir aus dem Halbdunkel etwa zehn Kühe und interessierten sich brennend für den Aufbau. Glücklicherweise kamen sie wegen eines Zaunes nicht ganz an mein Zelt heran. Jedes Mal, wenn ich eine Plane ausbreitete oder etwas ausschüttelte, wichen sie verängstigt zurück, um sich nachher mit umso größerer Neugierde wieder zu nähern und den ungewohnten Besucher zu beschnuppern. Ich fand noch einen Tümpel mit Wasser, sodass ich mich andeutungsweise waschen konnte. Schließlich kroch ich mit etwas gemischten Gefühlen in mein Zelt und suchte den Schlaf.

NUN, AUF NACH SPANIEN!
11. Juli

Frühmorgens, beim ersten Blick ins Freie, war weit und breit kein Vieh mehr zu sehen. Die Wasserlache, in der ich mich gestern noch gewaschen hatte, sah im Strahl der aufgehenden Sonne nicht mehr sehr appetitlich aus, und so verzichtete ich diesmal auf meine Morgentoilette.

Nachdem alles seinen gewohnten Platz auf dem Rad gefunden hatte, nahm ich jene Steigung Richtung Rodez in Angriff, die meine gemarterten Muskeln am Vortag verweigert hatten.

Oben angekommen, ging es trotz ebener Landstraße nur sehr langsam vorwärts, denn ich hatte zum ersten Mal auf meiner Pilgerfahrt heftigen Gegenwind. Wenigstens war die Luft, die mir da entgegenblies, angesichts der brütenden Hitze sehr angenehm. Trotzdem war ich bald erschöpft und musste eine Pause einlegen.

Eine überdachte Bushaltestelle erwies sich als höchst willkommener Unterstand. Die Holzbank war ideal für eine Siesta. Doch an Schlaf war nicht zu denken.

Die Schuld lag diesmal nicht bei einem Fußheer von Ameisen, sondern bei einer Armada von Fliegen, die ununterbrochen auf meiner verschwitzten Haut starteten und landeten. Eine Zeit lang wehrte ich sie mit den Händen ab, aber bald resignierte ich und wechselte unfreiwillig ins Sitzen.

Als ich, um den verdienten Schlaf gebracht, etwas entnervt und blöde vor mich hinstarrte, entdeckte ich am Boden eine kleine Eidechse, die mich aus der Ferne begutachtete. Ihre Nervosität drückte sie mit ihrem rechten Vorderfuß aus, der sich in schneller Folge auf und ab bewegte. Ihr Wunsch, mir näher zu kommen, und ihre Bereitschaft zur Flucht hielten sich eine Zeit lang die Waage. Doch schließlich obsiegte ihre Neugierde, und sie näherte sich mir wie einst David dem Goliath, allerdings ohne Steinschleuder.

Ihr Mut wurde reich belohnt. Als früherer Besitzer von Vogelspinnen und Laubfröschen verstehe ich mich relativ gut aufs Fliegenfangen. Bald befand sich ein erstes Opfer zwischen meinen Fingern, und ich bot sie meiner kleinen Freundin an. Und siehe da! Mit Hochgenuss ward das Insekt verspeist. Und es blieb nicht bei der einen Fliege.

Das muss sich in Eidechsenkreisen herumgesprochen haben, denn in der Folge kamen von allen Seiten weitere Minisaurier zum Vorschein und „verlangten von Gott ihre Nahrung“, wie es im Psalm 104 heißt. Die vorher so lästigen Fliegen wurden bald zur Mangelware. Doch die erfolgreiche Jagd hatte meine Lebensgeister neu geweckt. So brach ich wieder auf, sehr zum Leidwesen der Eidechsensippe, deren „Tischlein deck dich“ ein abruptes Ende fand.

Am frühen Nachmittag näherte ich mich dem alten Städtchen Villefranche, einer mittelalterlichen Festung, die idyllisch an einem Fluss lag. Leider fand sich im Ort nur ein privater Campingplatz für bessere Kreise. Es gab dort sogar einen Babywickeltisch, den ich allerdings nicht in Anspruch nehmen musste.

Wenn ich schon mehr zu bezahlen hatte, wollte ich es wenigstens genießen. So blieb ich diesmal den ganzen Nachmittag beim Zelt. Es galt Karten zu schreiben, das Tagebuch nachzuführen, das Rad instand zu stellen, Proviant einzukaufen, wieder einmal richtig zu duschen und ein wenig zu faulenzen. Der Fluss war leider derart schmutzig, dass ich auf ein Bad verzichten musste.

Gegen Abend machte ich einen Besuch im Städtchen und gönnte mir bei einer alten Brücke mit wunderbarem Blick auf den mächtigen Wehrturm ein feines Fischgericht. Nachts jedoch erwachte ich schweißgebadet. Lag es am Essen? Hatte ich Fieber? Oder war ich einfach erschöpft? Zudem schmerzte ein Knie. Sollte ich noch einen weiteren Tag hier bleiben?

Im Schein der Taschenlampe studierte ich die Landkarte. Kurzerhand beschloss ich, am nächsten Tag nicht mehr so stark westwärts zu fahren wie bisher, sondern nach Süden abzuschwenken, um direkteren Kurs auf die Iberische Halbinsel zu nehmen.

Der Gedanke an das nahe Spanien musste mich in einen tiefen Schlaf gewiegt haben, denn ich war am Morgen wieder frisch und munter wie bei meiner Abreise.

EIN JÄMMERLICHER KAMINFEGER
12. Juli

Zum ersten Mal hatte ich auf meinem Jakobsweg einen ganzen Nachmittag lang geruht. Was für eine Wohltat! Verschwunden waren die Knieschmerzen, auch das Fieber war weg. Ich fühlte mich wieder fit und unternehmungslustig. Ohne größere Steigungen von einem leichten Rückenwind verwöhnt, durfte ich durch liebliche Landschaften fahren, vorbei an so wohlklingenden Ortsnamen wie z. B. „Molières“. Wer weiß, ob der 1622 in Paris geborene Komödiendichter Jean-Baptiste Poquelin sich bei der Wahl seines Künstlernamens „Molière“ nicht von diesem kleinen Dorf inspirieren ließ?

Früher einmal hatte ich am Gymnasium in Einsiedeln in einem Molièrestück mitgewirkt. Damals war ich noch ein kleiner Student, als der Schweizer Bundesrat Bonvin unserer Schule seine Aufwartung machte. Ihm zu Ehren führten wir auf Französisch einen Akt der Komödie „Der Bürger als Edelmann“ auf. Ich spielte eine Kammerzofe, die infolge eines Lachanfalls ohnmächtig werden sollte. Ich muss die Rolle sehr ernst genommen haben, denn beim Anblick meines gutbürgerlichen Hausherrn, der sich gekünstelt als Edelmann ausgab, steigerte sich mein Kichern derart, dass ich tatsächlich keine Luft mehr bekam und ohnmächtig wurde. Die Mitspieler mussten mir kräftig Luft zufächeln, bis ich endlich wieder zu mir kam. Unter dem Applaus der Zuschauer verließ ich benommen die Bühne.

Wohl jedes Dorf am Wege hätte eine kleine Überraschung bereitgehalten, wohl jede Kirche etwas zu erzählen gehabt. Aber ich schob kaum einen Halt ein. Es zog mich immer weiter Richtung Spanien.

Einmal allerdings, bald nach Molières, war von Weitem ein alter, hoher Kirchturm zu sehen. Direkt an der Straße gelegen, stand er allein und trutzig da. Das zu klein geratene Kirchenschiff schmiegte sich an seine Seite wie ein ängstlicher Hund an seinen Herrn. Das wollte ich mir näher ansehen.

Zu meiner Überraschung war das Gotteshaus offen und mit frischen Blumen geschmückt. Nach einer kurzen Andacht gönnte ich mir ein Picknick samt Siesta. Die Einladung des leeren Bänkchens vor der Kirche war zu verlockend.

Doch auch hier war der Schlaf nur von kurzer Dauer. Diesmal weckten mich weder Ameisen noch Fliegen, sondern das Herannahen einer Blasmusik. War es Traum, war es Wirklichkeit? Ich wollte es zunächst nicht wahrhaben.

Als ich den Ernst der Lage erkannte, war es schon zu spät. In meinen armseligen, verschwitzten Kleidern und umgeben von Käserinde, Olivensteinen und Joghurtbechern, den Resten meiner einfachen Mahlzeit, befand ich mich plötzlich mitten in einer Hochzeitsgesellschaft, die feierlich in das Kirchlein einzog. Ich hätte in den Boden versinken mögen vor Scham. Es blieb mir nur die Hoffnung, dass mich das Brautpaar für eine Art schmutzigen Kaminfeger hielt, der ihnen Glück für ihren Lebensweg mitgeben wollte.

Nun öffnete sich das weite Tal der Garonne. Ganz in der Ferne, im Dunst des späten Nachmittags, konnte ich andeutungsweise eine Bergkette ausmachen: die Pyrenäen. Welch magisches Wort! Von nun an ging es spielend vorwärts. Ein leichter Rückenwind machte meine Freude vollkommen und animierte mich zu lautem Gesang.

Bei der Vorbereitung meiner Pilgerreise war ich immer wieder auf Ortsnamen gestoßen, die seit dem Mittelalter das Herz eines jeden Pilgers höher schlagen lassen: Le Puy, Conques, Moissac. Le Puy lag schon weit hinter mir. Nun näherte ich mich Moissac. Ich freute mich sehr, diese berühmte Pilgerstätte besuchen zu dürfen.

Bisher war ich nur wenigen Jakobspilgern begegnet, da diese die geteerten Straßen meiden. Doch vor Moissac überholte ich Dutzende von ihnen. Schritt für Schritt quälten sie sich ab. Mit ihren schwer beladenen Rucksäcken, an denen allerhand baumelte, glichen sie Hausierern, wie sie früher von Tür zu Tür zogen, um ihre Schuhbändel und Klamotten feilzubieten.

Während ich auf dem Rad mühelos an ihnen vorbeizog, taten mir die Fußpilger aufrichtig leid. Ich wusste aber sehr wohl: Bald würde auch ich einer von ihnen sein, und dann würden andere mitleidig auf mich herabschauen.

Zwar war mir noch nicht klar, wie die baldige Umstellung vom Rad auf die Füße gelingen würde, doch ich freute mich unbändig auf den Augenblick, da ich mein Rad (und mit ihm die Technik) auf die Seite legen konnte, um als einfacher Fußpilger weiterzuziehen.

Moissac beeindruckte mich sehr. Leider fand in der Basilika eine Trauung statt, sodass mir ein Türsteher den Eintritt verwehrte. Immerhin durfte ich rasch einen Blick ins Innere der Kirche werfen.

Glücklicherweise war um 19.30 Uhr ein Gottesdienst angesagt. Nach längerer Zeit konnte ich nun endlich wieder einmal mit einer Gemeinde Eucharistie feiern. Ich versteckte mich in der hintersten Bankreihe, denn als einziges „liturgisches“ Gewand hatte ich nur eine abgetragene Trainingshose, die mir nachts bei kühler Witterung als Pyjama diente.

Ich hatte mich sehr auf diese Messe gefreut. Aber kaum in der Kirche, überkam mich eine solche Müdigkeit, dass ich die ganze Messe hindurch gegen den Schlaf ankämpfen und unaufhörlich gähnen musste. Das störte die Kirchgänger von Moissac aber nicht. Sie waren wohl schon an müde Pilger gewöhnt.

Beim Hinausgehen nahm ich ein herumliegendes Pfarrblatt mit, um am Abend noch etwas geistliche Lektüre zu haben. Gerade als ich aufs Rad steigen wollte, kam ein betrunkener Mann auf mich zu. Er freute sich offensichtlich, in mir einen Kollegen anzutreffen. Wieder und wieder bot er mir seine halbleere Bierflasche an. Mir graute vor ihrem Inhalt. Ich machte immer neue Gründe geltend, warum ich im Moment überhaupt keinen Durst hätte, obwohl mir die Zunge am Gaumen klebte!

Die Enttäuschung über meine Absage stand ihm ins Gesicht geschrieben. Es ging ja nicht um Durst oder nicht Durst, sondern um Gastfreundschaft. Nach langem Hin und Her nahm ich schließlich die Flasche in die Hand, allerdings so, dass ich den Daumen fest auf die unappetitliche Flaschenöffnung presste. Ich führte die Flasche zum Mund und tat so, als ob ich trinken würde. Etwas Bierschaum floss meinen Arm hinunter. Der Landstreicher nahm nun seinerseits einen großen Schluck, sichtlich stolz, einen Pilger mehr zu seinen Freunden zählen zu dürfen.

Beim Zeltplatz angekommen, merkte ich, dass ich meine Sonnenbrille in der Kirche vergessen hatte. Ein schlimmer Verlust! Aber es war schon spät, und ich wollte noch vor Anbruch der Dunkelheit mein Zelt aufschlagen.

Der Campingbesitzer führte mich im Halbdunkel an eine abgelegene Stelle. Ich musste mit dem Schlimmsten rechnen. Doch der Platz entpuppte sich als etwas vom Schönsten, was mir je begegnet war. Direkt am Fluss Tarn gelegen, hatte ich gleichsam einen kleinen Garten für mich allein. Im Dunkeln nahm ich ein Bad und legte mich zur verdienten Ruhe nieder. Ich hätte allen Grund gehabt, gut zu schlafen, doch es sollte nicht sein. In ca. 300 Meter Entfernung befand sich eine speziell für den TGV gebaute Strecke mit Eisenbahnbrücke. Die ganze Nacht über donnerten da in regelmäßigen Abständen diese eleganten Zugskompositionen vorbei. Der Fluss trug den Lärm weiter, sodass ich meinte, direkt neben den Bahngeleisen zu liegen. Zudem hatte ich nach meiner Begegnung mit dem Trinkkollegen heimlich und hastig einen ganzen Liter Cola hinuntergeleert. Das ausgeschlagene Gratisbier hätte mir ganz sicher besser getan.

Ich konnte und konnte nicht einschlafen. Trotzdem, ich war rundum zufrieden. Ich fühlte mich in meinen vier „Wänden“ wie in einem Schloss. Wenn ich abends nach einem anstrengenden Tag ins Zelt kroch und hinter mir den Reißverschluss zuzog, kam ich mir vor wie ein Burgherr, der nach Überquerung des Burggrabens hinter sich die Zugbrücke hochzieht.

Und wenn ein Heer von Stechmücken, durch das engmaschige Innenzelt nur wenige Zentimeter von mir getrennt, geduldig, aber vergeblich auf eine blutige Mahlzeit wartete, konnte ich einen Anflug von Schadenfreude nicht verbergen. Dann schlief ich ein mit den Worten von Psalm 27: „Mag ein Heer mich belagern, ich habe keinen Grund, mich zu fürchten. Denn der Herr beschirmt mich im Schutz seines Zeltes.“

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