Kitabı oku: «Jesu Traum», sayfa 3
Untot – auferstanden
Jesus »wurde gesehen«– ausschließlich von Christen, versteht sich. Es ist niemand bekannt, der ihn nicht als Christus verehrt und ihn gleichwohl nach seiner Kreuzigung noch gesehen hätte. Es gibt keine neutralen Zeugen. Wer auf Zurechnungsfähigkeit Wert legt, kommt schwerlich an dem Befund vorbei, daß Leute, die jemanden nach seinem Tod als ihren Retter »sehen«, während er allen andern in ihrer Umgebung hartnäckig verborgen bleibt, milde gesagt eine Vision haben. Schärfer gesagt: Sie halluzinieren. Das muß sie keineswegs sogleich disqualifizieren. Halluzination ist, wie oben gezeigt, zunächst einmal primitive Denktätigkeit, und das schließt ein: maximal sinnliche und erregte Denktätigkeit. Glaube ist »Betroffensein« von etwas, »was uns unbedingt angeht«, sagt Paul Tillich.24 Das trifft auf die Halluzination voll zu. Von hier aus ließe sich schnell der unfruchtbare Streit schlichten, ob Glaube als Betroffensein etwas anderes ist als Denken oder nur eine Spielart davon, nämlich »mit Zustimmung denken«, wie es in der Scholastik heißt. Halluzination ist Denktätigkeit, aber in einem Stadium, wo man sie von sinnlicher Wahrnehmung und Erregung noch gar nicht trennscharf unterscheiden kann. Es gibt keinen authentischen Glauben ohne die Tiefenschicht primitiver Denktätigkeit, und am Beginn des Christentums bestand der Glaube nahezu nur aus dieser Schicht.
Schauen wir uns unter diesem Gesichtspunkt den Fischer Petrus, ein schlichtes Gemüt aus der galiläischen Provinz, aber stark erregbar und hoch empfänglich für die Erwartungen, die Jesus entfachte, etwas genauer an, so läßt sich einiges darüber herausbekommen, was dahintergesteckt haben dürfte, als er eines Tages verkündete, seinen Herrn »gesehen« zu haben. Als erster Jünger Jesu, der ihm besonders nahe gestanden hatte, war er auch von seiner Gefangennahme und Kreuzigung besonders traumatisiert – und zudem besonders gepeinigt davon, daß er Reißaus genommen und seinen Herrn kläglich im Stich gelassen hatte. Das ist keine bloße Vermutung. Wie sehr ihn seine Schuld plagte, hat sich in der Geschichte von seiner Verleugnung Jesu niedergeschlagen. Es gab nicht den geringsten Anlaß, etwas so Unschönes zu erfinden, wohl aber einigen, es abzumildern, und das tut die Geschichte schon ihrer ältesten überlieferten Form gleich doppelt. »In dieser Nacht, ehe der Hahn zweimal kräht, wirst du mich dreimal verleugnen« (Mk 14, 30), legt sie Jesus in den Mund. Ein weiteres vaticinium ex eventu. Weil Jesus die Verleugnung voraussah, war sie vorgesehen – ungemein schäbig zwar, aber dennoch eine Fügung. Ein Zahlenspiel – zweimal krähen, dreimal verleugnen – gibt ihr zudem das Ansehen eines geradezu rituell sanktionierten Ablaufs. Erst am Schluß der Geschichte schimmert Ungeschminktes durch: Petrus »verhüllte sich und weinte« (Mk 14, 72).
Das wird sich nicht auf die Stunden nach der Verhaftung Jesu beschränkt, sondern unter dem Eindruck seines grauenhaften Tods noch entschieden verstärkt haben. Und in dieser desolaten Situation begannen die »Bewältigungsversuche eines Überwältigten«. Überwältigt war er ebenso vom Zusammenbruch all dessen, was Jesus in ihm aufgebaut hatte wie vom Gefühl, am Tod seines Herrn mitschuldig zu sein. Wie sollte da ausbleiben, daß der gestorbene Jesus im Nervensystem seines engsten Jüngers ein furchtbares Nachleben zu entfalten begann? Man braucht wenig Phantasie, um es sich vorzustellen, wenn man einen Begriff davon hat, was traumatische Erfahrung ist. Petrus mußte sich an Jesus nicht eigens erinnern. Die Erinnerung war übermächtig da. Bei Tag und Nacht, im Traum und im Wachzustand klagte sie ihn an und schüttelte ihn, und wenn er nach solchen Erinnerungsanfällen Jesus »gesehen« zu haben angab, dann gewiß aus ehrlichster Überzeugung.
Den historischen Jesus hatte er fliehen können. Den untoten Jesus, der ihn mit größter Zudringlichkeit heimsuchte und ihn stumm oder laut fragte: »Mein Simon, mein Simon, warum hast du mich verlassen?«– den konnte er nicht fliehen. Hier gab es nur einen Ausweg, nämlich die Flucht nach vorn: vor dem Grauenhaften, was er »sah«, beim Grauenhaften Zuflucht suchen, es in eine von allem Grauen errettende Macht wenden, es »heiligen«. Eine solch ungeheure Umkehrung läßt sich freilich nicht mit einem Mal vollbringen. Sie bedarf vieler heftiger Anläufe, bis sie allmählich gelingt. Kurzum, sie braucht Zeit, und diese Zeit, von der wir nicht wissen, wie lange sie gedauert hat, ist die Inkubationszeit des Christentums. Natürlich kann sie nicht »am dritten Tage« zu Ende gewesen sein. Auch die vierzig Tage von der »Auferstehung« bis zur »Himmelfahrt« Jesu sind mehr als knapp bemessen und selbstverständlich eine nachträglich eingesetzte rituelle Zahl. Sie lehnt sich an die vierzig Jahre an, die Israel beim Auszug aus Ägypten ins gelobte Land in der Wüste verbracht haben soll – als Zeitangabe völlig unzuverlässig, und dennoch sinnig. Die Kehrtwende des Petrus ist gewiß ein Gang durch eine innere Wüste gewesen, die man sich kaum ungemütlich genug vorstellen kann: eine Selbstüberwindung auf Leben und Tod.
Die primitive Denktätigkeit, die sich dabei vollzog, läßt sich dennoch auf eine karge Gleichung bringen: untot = auferstanden. Niemand der sogenannten ersten Zeugen hat je zu behaupten gewagt, er habe gesehen, wie Jesus auferstanden sei. Alle haben nur angegeben, das, was sie gesehen hätten, sei der Auferstandene gewesen. Das aber ist bereits eine Deutung des Gesehenen, um nicht zu sagen, eine Umdeutung, die in all ihrer halluzinatorischen Sinnlichkeit bereits eine logische Schlußfigur enthält: Er ist nicht tot, also ist er auferstanden. Es hätte durchaus noch andere Schlußoptionen gegeben, und eine davon hat das frühste Christentum offenbar direkt bedroht, sei es von innen oder von außen: Er ist nicht tot, also ist er gar nicht gestorben, sei es, daß er scheintot gewesen war, sich irgendwo versteckt hielt oder umging. Das waren lauter furchtbare Vorstellungen für die abtrünnigen Jünger. Daher ihre Insistenz darauf, daß er »begraben« wurde, obwohl nichts dafür spricht, daß auch nur einer von ihnen dabei war. Angeblich »sahen Maria Magdalena und die Maria des Jakobus, wo er hingelegt worden war« (Mk 15, 47). Aber den Ort sollen sie dann hübsch für sich behalten haben? Sehr unglaubwürdig. Die Geschichte vom netten Ratsherrn Joseph von Arimathia, der seine Grabstelle abtritt und sonst nirgends wieder auftritt (Mk 15, 43 ff.), ist ohnehin nicht für bare Münze zu nehmen. Allenfalls mag der Name historisch sein, tatsächlich einem Ratsherrn gehören, der »an das Reich Gottes glaubte«, also Vorstellungen davon hegte, die mit denen im Jesus-Kreis eine gewisse Ähnlichkeit hatten. Aber was dieser Person dann angedichtet wurde, ist auf den ersten Blick als beschwichtigende Legende erkennbar. Wer eine derart schändliche Hinrichtung wie Jesus erlitten hatte, dürfte kaum anders als anonym verscharrt worden sein. Aber nur unter der Voraussetzung, daß Jesus definitiv tot war – und dafür stand »begraben«–, konnte er aufhören, untot zu sein. Sein Begrabensein mußte eigens beschworen werden, um von seinen postmortalen Heimsuchungen loszukommen.
Als Petrus das gelang, erlebte er eine für ihn gewiß unfaßbare Kehrtwende. Sehr plausibel, daß er nicht wußte, wie ihm geschah, als er den untoten Jesus als auferstanden auszurufen begann, sehr glaubwürdig, daß das zunächst nicht in wohlgesetzten Worten vor sich ging, sondern konfus, stammelnd, ekstatisch, wie es die Geschichte von der »Ausgießung des heiligen Geistes«, dem Pfingstwunder, nachträglich stilisiert hat. War doch die Kehrtwende eine Art Selbstexorzismus. Der Dämon einer unbewältigten Vergangenheit, der anklagend an den Nerven riß, war auszutreiben – jenes Gespenst, als das Jesus selbst in den hoch stilisierten Auferstehungslegenden des Lukas nicht aufhört, umzugehen (Lk 24, 37); jene innere Befindlichkeit, die noch Markus als österliches Primärerlebnis verzeichnet: »Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen.« (Mk 16, 8)
»Auferstanden«: dies Wort konnte nur dann von dem furchtbaren Dämon erretten, wenn es mehr hieß als »wiederbelebt«, wenn es in engstem Zusammenhang mit den Erwartungen stand, die der historische Jesus geweckt hatte: daß »das Reich komme«. In diesem rettenden Reich sollte es keinen Tod mehr geben, und wenn Jesus »lebte«, dann mußte das so zu verstehen sein, daß er in dieses Reich auferstanden war. Es hatte schon begonnen. Er war den Seinen dahin vorausgegangen. Gewöhnlich wird ein kürzlich Gestorbener, der einem Angehörigen mit großer Zudringlichkeit im Traum erscheint, als Alp erlebt: als jemand, der kommt, um den Träumer zu »holen«. Das Grauen davor in ein Sehnen danach zu verwandeln: das ist die genuine Osterleistung gewesen. Ja, der Vorausgegangene soll uns holen: in sein Reich. Mehr noch: Er wird in Kürze wiederkehren und seine Getreuen holen. Diese Kehrtwende ermöglichte, das zusammengebrochene Erwartungskonstrukt wie einen inneren Tempel wieder aufzubauen, und zwar schöner und größer, als es zuvor gewesen war. Damals stand das Reich nur unmittelbar bevor; jetzt ist es bereits angebrochen. Damals war Jesus nur der Herr seiner Jünger gewesen und jemand, der durch seine Worte und Taten dies Reich gleichsam vorskizzierte. Nun ist das Reich sein Reich und er nicht mehr bloß Herr über eine kleine Schar, sondern der Herr schlechthin, was nach jüdischem Verständnis nur heißen konnte: der Gesalbte (hebräisch: Messias, griechisch: Christos), der wahre, lang erwartete Nachfahre Davids, der sein Volk endlich errettet.
Die Kehrtwende aber ermöglichte noch mehr: das peinigende Schuldgefühl der Abtrünnigen durch eine neue Anhänglichkeit zu überwinden, die die Jesus zu Lebzeiten erwiesene überbot – zum einen, weil sie nun weit mehr in ihm sah als damals, nicht nur den überwältigend authentischen Boten der Rettung, sondern den Retter selbst; zum andern, weil sie nun ein stabileres emotionales Fundament hatte. Die neue Anhänglichkeit war gleichgültiger gegen äußere Gefahren als die alte. Lieber nahm sie die Verfolgung durch Juden und Römer in Kauf, als daß sie die Wiederkehr des furchtbaren Schuldgefühls riskierte.
Allmähliche Verfertigung der Gedanken
Petrus ist der Bahnbrecher dieser Kehrtwende gewesen.25 Aber sie wäre gewiß verpufft, wenn nicht andere abtrünnige Gefolgsleute Jesu in seiner Nähe gewesen wären und ähnlich gefühlt hätten wie er, so daß er sie mitreißen konnte und irgendwann nicht mehr nur er den untoten Jesus als auferstandenen Christus »sah«, sondern auch »die Zwölf«, zu denen er selbst gehörte, und schließlich »alle Apostel«. Und erst aus dieser gemeinsamen Vision konnte der Kehrtwende die Kraft zuwachsen, weitere Kreise zu ziehen und Leute zu erfassen, die bis dato von Jesus nichts wußten. Mit andern Worten: Die Kehrtwende der Jünger konnte in die Bekehrung von Außenstehenden übergehen. Man muß sich das freilich nicht als zwei säuberlich getrennte Phasen vorstellen. Die Wehen der inneren Kehrtwende durchleiden: das war schwerlich möglich, ohne für das, was einem da widerfuhr, nach Worten zu ringen. Jesus als Auferstandenen zu »sehen« bekommen und davon sprechen müssen war eins. Die ihn »gesehen« hatten, waren zu Worten Getriebene; theologisch ausgedrückt: »Apostel«, was ja wörtlich »Abgesandte« heißt. Eine innere Nötigung »sandte« sie, den »Gesehenen« allen, die es hören oder auch nicht hören wollten, ohne Rücksicht auf Gefahren und Verluste zu verkünden.
Die Apostel brauchten Außenstehende, und zwar für das, was Heinrich von Kleist Die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden genannt hat. »Wenn du etwas wissen willst und es durch Meditation nicht finden kannst, so rate ich dir, […] mit dem nächsten Bekannten, der dir aufstößt, darüber zu sprechen. Es braucht nicht eben ein scharfdenkender Kopf zu sein, auch meine ich es nicht so, als ob du ihn darum befragen solltest: nein! Vielmehr sollst du es ihm selber allererst erzählen. […] Oft sitze ich an meinem Geschäftstisch über den Akten […]. Oder ich suche, wenn mir eine algebraische Aufgabe vorkommt, nach dem ersten Ansatz […]. Und siehe da, wenn ich mit meiner Schwester davon rede, welche hinter mir sitzt und arbeitet, so erfahre ich, was ich durch ein vielleicht stundenlanges Brüten nicht herausgebracht haben würde. Nicht, als ob sie es mir, im eigentlichen Sinne sagte […]. Auch nicht, als ob sie mich durch geschickte Fragen auf den Punkt hinführte, auf welchen es ankommt, wenn schon dies letztere häufig der Fall sein mag. Aber weil ich doch irgend eine dunkle Vorstellung habe, die mit dem, was ich suche, von fern in einiger Verbindung steht, so prägt, wenn ich nur dreist damit den Anfang mache, das Gemüt, während die Rede fortschreitet, in der Notwendigkeit, dem Anfang nun auch ein Ende zu finden, jene verworrene Vorstellung zur völligen Deutlichkeit aus, dergestalt, daß die Erkenntnis, zu meinem Erstaunen, mit der Periode fertig ist. […] Es liegt ein sonderbarer Quell der Begeisterung für denjenigen, der spricht, in einem menschlichen Antlitz, das ihm gegenübersteht; und ein Blick, der uns einen halbausgedrückten Gedanken schon als begriffen ankündigt, schenkt uns oft den Ausdruck für die ganze andere Hälfte desselben.«26
Das sind unübertroffene Worte für das Hochkulturstadium eines Vorgangs, der am Beginn des Christentums viel primitiver abgelaufen ist. Indem man eine innere Kehrtwende, von der man so auf- und umgewühlt ist, daß man keine Worte dafür hat, Außenstehenden, denen diese Wende völlig fremd ist, mitteilt, findet man überhaupt erst die Worte, die sie einem selbst faßbar machen. Worte geben Fassungslosen die Fassung wieder, und die hatten die Apostel dringend nötig, als es sie hinaustrieb unter die Fremden, um ihnen mitzuteilen, was sie zuinnerst bewegte. Dabei gelangten sie allmählich von ekstatischem Gestammel zu geordneten Worten. Das ist der prosaische historische Kern jenes »Sprachwunders«, das in der Pfingstgeschichte seine legendarische Ausgestaltung gefunden hat. »Sie fingen an, in anderen Sprachen zu reden«, und »jeder hörte sie in seinem eigenen Dialekt reden. Es erstaunten aber alle, verwunderten sich und sagten: Siehe, sind nicht all diese, die reden, Galiläer?« »Römer, Juden und Proselyten, Kreter und Araber, wir hören sie in unseren Sprachen von den großen Taten Gottes reden. Sie erstaunten aber alle und waren ratlos und sagten einer zum andern: Was will das sein? Andere aber spotteten und sagten: Sie sind voll süßen Weins.« (Apg 2, 4 ff.)
Sobald sich die Apostel aber an Außenstehende wandten, trat eine folgenreiche Differenz ins Christentum. Die authentische Kehrtwende hatten nur Menschen vollziehen können, die zuvor als Jünger mit Jesus gezogen waren. Psychologisch gesprochen: Nur Leuten, die ein ganz persönliches Jesus-Trauma zu verarbeiten hatten, konnte die ungeheure Umkehrungsleistung gelingen, den untoten Jesus als Auferstandenen zu »sehen«. Nur sie waren authentische »Zeugen der Auferstehung« (Apg 1, 22), oder, was in der urchristlichen Fachterminologie auf dasselbe hinausläuft, »Apostel«. Die von ihnen Bekehrten hingegen mußten an keinem Jesus-Trauma mehr laborieren, sondern lediglich in die Fußstapfen derer treten, die es durchgemacht hatten. Das war ungleich komfortabler, aber auch weniger authentisch. Bekehrung ist Kehrtwende zweiten Grades – nicht mehr unmittelbar durch »Sehen«, sondern nur noch durch Hören dessen, was andere behaupten, gesehen zu haben. Das war nicht mehr dieselbe Erfahrung, aber sie sollte dasselbe Resultat haben. Die Bekehrten sollten genauso der Rettung teilhaftig werden wie die Apostel. Genauso? Ja, das sagte die Botschaft. Aber sie tat etwas anderes. Mit jeder erfolgreichen Bekehrung markierte sie erneut den Erfahrungsunterschied zwischen denen, die das »Sehen« des Auferstandenen nur vom Hörensagen kannten und denen, die es persönlich erlebt hatten. Und dieser Unterschied mußte sich niederschlagen. Die neu Hinzukommenden mußten für das unglaubliche Privileg, um das Jesus-Trauma herumgekommen zu sein und trotzdem zu den Rettungskandidaten zu gehören, einen Tribut entrichten. Aber welchen?
Da kam nun etwas ins Spiel, was wiederum die Jesus-Jünger nur vom Hörensagen kannten, aber großen Eindruck auf sie gemacht hatte. Ihr Meister war einst Jünger eines Täufers gewesen. Er hatte ihnen davon erzählt, zwar nicht alles, aber genug, um ihnen die hohe Autorität spürbar zu machen, die dieser Täufer für Jesus zeitlebens behalten hatte. Jesus hatte seine Jünger zwar nicht getauft, und womöglich haben sie nie voll begriffen, warum. Aber sie wußten: Seine eigene Taufe hatte er derart als reinigende Kraft erlebt, daß er nicht aufhörte, sich als Schuldner des Täufers zu fühlen.27 Daran knüpften sie nun an. Die neu Hinzukommenden einem Reinigungsritus unterziehen und sie zu ihren Schuldnern machen: Das war das Verfahren, mit dem die ehemaligen Jünger ihren Sonderstatus als »Zeugen der Auferstehung« markieren konnten. Natürlich haben sie es nicht, wie die Apostelgeschichte suggeriert, vom ersten Tag ihres Auftretens an praktiziert, als hätte es sich von selbst verstanden, andere zu taufen (Apg 2, 38 ff.). Erst als sie schon Außenstehende integriert hatten, entstand das Problem, sich signifikant von ihnen zu unterscheiden. Die ominösen »mehr als fünfhundert Brüder«, die Christus »auf einmal gesehen« haben sollen, ohne dadurch automatisch zu Aposteln zu werden, dürften für jenen ersten Schub von Fremden stehen, den die Apostel bei ihrem »pfingstlichen« Auftreten bekehrt und spontan in ihren Kreis hereingelassen hatten, ohne an Taufe auch nur zu denken. Bald jedoch mußten sie daran denken, und nun galt: Ungetauft sind allein die Apostel, denn sie haben den Auferstandenen »gesehen«. Wer hingegen nur die Botschaft dieses Sehens empfangen hat, muß getauft werden, und die Täufer konnten anfangs nur die Apostel selbst sein. Die Taufe war eine Unterordnung unter sie, ein ritueller Nachvollzug jenes Selbstexorzismus, den sie durchlitten hatten, durch einen symbolischen Exorzismus, eine Reinigung, zu der sie die Täuflinge eigenhändig untertauchten – buchstäblich herunterdrückten.
»Für unsere Sünden«
Das »Sehen« der Apostel war gewissermaßen noch präevangelisch. Erst mit der »allmählichen Verfertigung von Gedanken«, will sagen, der Umsetzung des Gesehenen in Worte, nahm das Evangelium seinen Lauf. Sein Urwort ist »auferstanden«. Es gab der unfaßbaren Kehrtwende einen ersten faßbaren, wiederholbaren, kommunizierbaren Ausdruck, und der wiederum war die Plattform, von der aus die Kehrtwende zu einer zweiten Runde starten konnte. Wenn sich der untote Jesus in einen rettenden Auferstandenen wenden ließ, warum dann nicht auch sein Tod in ein Heilsereignis? In Gestalt dieses Gedankens begann sich die Kehrtwende gleichsam rückwärts zu tasten, sich rückzuversichern, oder, anders gesagt, sich selbst auszulegen. Zunächst waren die Betroffenen vom »Sehen« des Auferstandenen viel zu aufgewühlt, um ermessen zu können, was sich da eigentlich in ihnen vollzog: eine überschwengliche Flucht nach vorn, um über einen schuldbeladenen inneren Zusammenbruch hinwegzukommen. Erst in der zweiten Runde dämmerte die Erklärung dafür. Der Auferstandene ist zuvor »gestorben für unsere Sünden«. Auch hier ist die Kehrtwende zugleich eine Überhöhung. »Unsere« Sünden sind jetzt nicht mehr nur die ganz konkreten Verfehlungen abtrünniger Jünger; es sind ebenso die Sünden der neu Hinzugekommenen. Sünde ist nunmehr die menschliche Allgemeinbefindlichkeit, von der Jesu Tod errettet haben soll. Das ist auch insofern eine grandiose Verallgemeinerung, als dieser Tod sich nun wie von selbst in ein Vorstellungsmuster einfügt, das allen alten Völkern vertraut war, weil es zum ältesten menschlichen Gemeingut gehört: das Opfer. Es gab keine Verständnisbarrieren gegenüber dem »gestorben für unsere Sünden«. Jeder konnte sich angesprochen fühlen: »auch für meine Sünden«. Und jeder würde schon wissen, worin sie bestanden.
Ob schon die Jerusalemer Apostel auf das »gestorben für unsere Sünden« verfielen, ist schwer zu sagen. Strengen Juden war diese Formel eigentlich verboten. Im mosaischen Gesetz stand: »Die Väter sollen nicht für die Kinder noch die Kinder für die Väter sterben, sondern ein jeder soll für seine Sünde sterben.« (Dtn 24,16) Andrerseits drängte sich den Hinterbliebenen Jesu dieser verbotene Gedanke geradezu auf. Er machte ihnen wie nichts sonst das geradezu balsamische Schuldentlastungsgefühl verständlich, das ihnen die Erhöhung Jesu zum Auferstandenen verschafft hatte. Es wird also nicht lange gedauert haben, bis das »gestorben für unsere Sünden« in der Gemeinde zirkulierte. Spätestens mit dem Eintritt hellenistisch geprägter Juden, die es im Schmelztiegel Jerusalem reichlich gab und in deren kulturellem Umfeld das Sterben eines Menschen für andere weit weniger tabuisiert war, dürfte diese Formel zu einem Grundpfeiler urchristlicher Selbstverständigung avanciert sein. Damit war der Tod Jesu nicht nur als Opfer eines Menschen, sondern als Opfer für die Menschheit ausgelegt. Dessen Wirkung konnte nicht auf Juden beschränkt bleiben. Alle Völker mußten daran teilhaben können. Das unbestimmt-allgemeine »für unsere Sünden« hatte bereits die Tür zur Heidenmission geöffnet. Paulus stieß sie nur systematisch auf, als er den ungeheuren Vorsatz faßte, das Evangelium durch Kleinasien und Griechenland bis nach Rom und Spanien zu tragen. Allerdings gab auch er es nie wie Freibier aus. Immer war Eintritt zu zahlen. Wie die Apostel die entscheidende Befreiung von ihrer persönlichen Schuld erst dadurch verspürten, daß sie ihren Herrn als auferstandenen Christus »sahen«, so war auch für alle andern die rettende Wirkung seines Todes an die Bedingung geknüpft, daß sie diese »Sicht« zu der ihren machten. Das konnten sie freilich nur mittelbar. Statt Sehen war ihnen nur Hören und Untertauchen beschieden. Und das Wort von dieser Sicht, das Evangelium, mochte noch so sehr als Frohbotschaft daherkommen, es war immer auch Drohbotschaft. Der Subtext der Rettung, die es allen versprach, die es annahmen, war stets: Wer es nicht annimmt, ist verloren.
Paulus reiht in seiner eisernen Ration des Evangeliums die drei entscheidenden Heilsereignisse chronologisch auf: zuerst »gestorben für unsere Sünden«, dann »auferstanden«, dann »gesehen«. Lesen muß man diese Chronologie freilich in umgekehrter Richtung. Zuerst wurde der untote Jesus gesehen, dann als auferstanden interpretiert, und dann erst wurde sein Tod zum Menschheitsopfer stilisiert. Und erst als die »unfaßbare Kehrtwende« bis zu diesem Gedanken gediehen war und sich damit eine allgemein nachvollziehbare Auslegung gegeben hatte, verfügten Petrus, »die Zwölf« und sonstige Hinterbliebene über die Matrix, die ihren aufgewühlten Gefühlen einen inneren Halt und ihren unbewältigten Erinnerungstrümmern an die Worte und Taten Jesu den Rahmen bot, worin sie sich sammeln, ordnen und allmählich zu einem auferstehungskonformen Erinnerungsbild zusammensetzen ließen. Relevantes zu diesem Bild beisteuern konnte nur, wer Jesus gekannt hatte, und wer sollte das sein, wenn nicht diejenigen, die er seit seinem Auftreten in Galiläa um sich geschart hatte? Allerdings gab es da bald eine Ausnahme. Es war jemand zur frühsten Gemeinde hinzugekommen, der kein Jünger war und Jesus dennoch aus nächster Nähe kannte: sein leiblicher (Halb?)-Bruder Jakobus. Ob auch er ein Jesus-Trauma hatte, eine Schuld abzutragen, ein Zerwürfnis zu überwinden? Einiges spricht dafür,28 aber sicher ist es nicht. Er kann ebensogut ein tief Ergriffener wie Petrus gewesen sein als auch ein Wichtigtuer, der auf den Kredit seiner Verwandtschaft mit Jesus Anerkennung suchte und fand. Jedenfalls erachteten die Jünger ihn als einen ebenso authentischen Hinterbliebenen wie sich selbst und nahmen ihn als ihresgleichen auf: als einen, der ihren Herrn vielleicht anders, aber nicht minder als sie »gesehen« hatte; kurzum, als Apostel. Schwer vorstellbar, daß sie ihn zuvor untertauchten wie einen normalen Bekehrten. Er dürfte ungetauft, als »Zeuge der Auferstehung«, in die Gemeinde eingetreten sein.
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