Kitabı oku: «Zeitschrift für kritische Theorie / Zeitschrift für kritische Theorie, Heft 38/39», sayfa 3
Adorno zufolge ist Moralphilosophie nur zu retten als Differenzbestimmung zu dem, was der Fall ist, und als kritischer Maßstab dessen, was sein könnte oder sollte.87 Sie muss die Frage nach der Rechtfertigung des Bestehenden aufwerfen. Ist die kritische Dimension erst einmal entbunden, dann ist sie der ursprünglichen »sozialen Funktion der Moral« entgegengesetzt, die darin besteht, »die gesellschaftlichen Normen zu verinnerlichen«88. Erst dann ist Raum für die Autonomie des Einzelnen.
Aus der Ambivalenz der Moral würde nach Adorno nur herrschaftsfreie Praxis herausführen. Ihre Stellvertretung mit Blick auf die Medien wäre eine Mischung aus Verweigerung und Umnutzung, also sowohl Boykott als auch Infiltrierung der Kanäle. Zu diesen überlieferten Optionen der klassischen und neueren Moderne könnte heute der Entwurf einer autonomen Politik der Medien hinzutreten. Dieser hätte Formen des medialen Handelns zu beschreiben und zu erproben, in denen Medienpolitik nicht als Herrschaftsmittel oder als staatliche Geschäftsführung der medialen Produktionsmittel im Privatbesitz, sondern als selbstorganisierte Praxis verstanden wird.
Der Verantwortungsbegriff der Medienethik ist als normatives Korrektiv des Medienbetriebs gedacht. Aber weil er so unbestimmt ist, eignet er sich vortrefflich, um dem Betrieb ein gutes Gewissen zu geben – besonders in Verbindung mit dem Öffentlichkeits-Optimismus und dem moralisch überhöhten Konzept der Demokratie. Demokratie ist eine Form politischer, sozialer und wirtschaftlicher Verwaltung und Herrschaft; sie ist per se moralisch neutral, »gleichermaßen bereit, Gutes wie Böses in sich aufzunehmen«89. Solange die öffentliche Sphäre der Medien die ideologischen Geschäfte der ökonomischen Privatsphäre betreibt, heißt »demokratische Verantwortung wahrnehmen« nicht viel mehr als: demokratische Herrschaft legitimieren, indem man die Zustimmung seitens der Unterworfenen sicherstellt, die kein Konzept von Widerstand entwickeln können, weil Kritik auf »Meinung« reduziert bleibt.90 Medienerziehung in Familie und Schule, die Rüdiger Funiok fordert, um das Publikum durch »demokratische[…] Medienpolitik« an seine »Mitverantwortung für die Qualitätssicherung der Medienkommunikation« zu erinnern und »die Beteiligung des Publikums […] zu verbessern«91, dürfte da auch nicht viel weiterhelfen.92
Gleichwohl kann eine kritische Theorie der Medien natürlich auch von der Medienethik lernen: vor allem, dass sie nicht ohne Handlungstheorie auskommt. Denn eine kritische Medientheorie sollte auch eine Kritik der systemtheoretischen Beschreibung sein, derzufolge die Steuerungsmechanismen des Systems der Massenmedien allein für die Prozesse der Produktion, Distribution und Rezeption von Medien zuständig sind und normativ-ethische Ansätze als überflüssig gelten. Kritische Medientheorie hat zu rekonstruieren, wie das selbst- oder fremdbestimmte Handeln der sozialen Akteure jene Prozesse formt.93 »Verantwortung« könnte insofern auch ein Schlüsselbegriff einer gesellschaftstheoretisch und historisch reflektierten Ethik sein.
William E. Scheuerman
Kapitalismus, Recht und Sozialkritik*
Habermas’ knappe Erörterung der ›Verrechtlichung‹ auf den letzten Seiten der Theorie des kommunikativen Handelns1 spielt für seine Arbeit eine wichtige Rolle. Nach der Vorstellung einer ambitionierten sozialtheoretischen Ergänzung zu seiner Theorie des Primats kommunikativen Handelns schließt Habermas mit der Feststellung: »Aber eine solche, stets der Gefahr der Überverallgemeinerung ausgesetzte Theorie muß angeben können, welche Art von Empirie zu ihr paßt« (II, 523)2 – also eine Empirie, der wir uns zuwenden und deren Nutzen wir einschätzen können. Durch die Zusammenführung von Erkenntnissen aus der breitgefächerten Untersuchung der Pathologien sozialstaatlicher Rechtsvorschriften hofft Habermas, seine ansonsten abstrakt-theoretischen Überlegungen mit vergleichsweise bodenständiger Sozialforschung zusammenführen zu können. Dies soll ihn darüber hinaus in die Lage versetzen zu erklären, wie sein Theoriesystem zur kritischen Sozialdiagnose beitragen kann: Belegbare, empirische Erkenntnisse zu juristischen Dilemmata könnten durch sein philosophisches und sozialtheoretisches Werk am besten erfasst werden. Da diese Erkenntnisse dahingehend interpretiert werden können, dass sie ein zwar diffuses, aber allgegenwärtiges Unbehagen mit existierenden Institutionen ansprechen, könnte sich die Theorie kommunikativen Handelns gleichzeitig als die geeignetste der vorliegenden Neuformulierungen kritischer Sozialtheorie etablieren.
Vertrautheit mit Habermas’ späterer Konzentration auf Fragen der Jurisprudenz könnte dazu verleiten, zu übersehen, wie überraschend diese Umorientierung tatsächlich ist: Der führende Theoretiker des Frankfurter Neomarxismus verlangt von kritischer Theorie die Hinwendung zur trockenen Materie des Sozialrechts als Methode, um die elementaren Spannungen der heutigen Gesellschaft verständlich zu machen. Traditionelle linke Kapitalismuskritik, so scheint es, könnte in überraschendem Ausmaße als Kritik der Verrechtlichung umgestaltet werden (letzteres eine eher hässliche Wortschöpfung, die progressive Sozialwissenschaftler und Rechtstheoretiker zur Beschreibung ebenso unschöner Facetten der zeitgenössischen Rechtsentwicklung nutzten).
Im Folgenden kehre ich zu den theoretischen Grundlagen zurück, die Habermas zur partiellen Neuformulierung der Kapitalismuskritik als Kritik der Verrechtlichung dienen. Dies geschieht aus zwei Gründen. Erstens bin ich trotz wichtiger Bemühungen auf diesem Gebiet nicht der Meinung, dass die bisherigen, kritischen Darstellungen die immanenten Schwächen hinter diesem Wandel ausreichend aufgezeigt haben.3 Habermas behauptet in der Theorie kommunikativen Handelns, dass die Kritik der Verrechtlichung direkt auf zentralen Komponenten seines breiteren Theoriesystems aufbaut (Teil I). Folgerichtig könnten uns die diagnostischen Schwachstellen jener Kritik unter Umständen ermöglichen, tiefergehende Ambiguitäten seines Denkens zu identifizieren (Teile II, III). Zweitens sind diese Schwächen auch für eine Evaluierung seines späteren Werkes Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats und dessen Beitrags zur kritischen Sozialtheorie entscheidend. In meinen Augen bietet dieses Buch eine in vielerlei Hinsicht überlegene Beschreibung der Pathologien heutiger Verrechtlichung. Dennoch finden sich auch hier die Schwächen der früheren Erörterung wieder. Insbesondere die Überzeugung, dass sich traditionell linke Kapitalismuskritik am besten als Rechtskritik artikulieren lasse (Teile IV, V).
I.
Habermas’ Hinwendung zu juristischen Themen in der Theorie des kommunikativen Handelns ist durchaus nachvollziehbar. Verrechtlichung stelle den »Modellfall für eine Kolonialisierung der Lebenswelt« (II, 476) dar. Die finde statt, wenn systemische Imperative von Wirtschaft und Verwaltung die kommunikativ und symbolisch strukturierte Lebenswelt unterdrücken. Letztere steht für jenen »Horizont, in dem sich die kommunikativ Handelnden ›immer schon‹ bewegen«, an dem wir »einen kulturell überlieferten und sprachlich organisierten Vorrat an Deutungsmustern« erkennen können, durch den die grundlegenden Verfahren symbolischer Reproduktion (d. h. kulturelle Reproduktion, soziale Integration und Sozialisierung) erfolgreich sichergestellt werden (vgl. II, 182, 189). Im Gegensatz dazu »verdichten und versachlichen sich« die Systeme der Wirtschaft und Staatsverwaltung, geordnet durch die abstrakten Steuerungsmedien Geld und Macht, unter heutigen Bedingungen »zu normfreien Strukturen«, in welchen sich »die Angehörigen wie zu einem Stück naturwüchsiger Realität [verhalten] – in den Subsystemen zweckrationalen Handelns gerinnt die Gesellschaft zur zweiten Natur« (II, 231). Durch Kolonialisierung zerfalle und verarme alltägliches Bewusstsein (vgl. II, 517-522). Dies trage wiederum zur Kolonialisierung bei, die einsetze, wenn die Angehörigen einer Gesellschaft nicht mehr in der Lage sind, die Grenzen der Wirtschafts- und Verwaltungssysteme zu erkennen.
Erst die Rationalisierung der Lebenswelt hat die moderne soziale Komplexität ermöglicht. Gegen Systemtheoretiker wie Luhmann argumentiert Habermas, dass die unabhängigen Subsysteme Wirtschaft und Verwaltung nach wie vor eine Verankerung innerhalb der Lebenswelt aufrechterhalten müssten. Dennoch stehe ihre strukturelle Dynamik im Gegensatz zum Streben nach gegenseitiger Verständigung durch Sprache. Im Gegensatz zu den Marxisten hätten Luhmann und andere zu Recht auf die fortschrittlichen Errungenschaften moderner Systemdifferenzierung hingewiesen: Indem die moderne Gesellschaft von der mühsamen Aufgabe der unmittelbar sprachlichen Koordination entscheidender Prozesse befreit wurde, eröffnete sich ein nie dagewesenes Potential für soziale Komplexität. Der Fehler des Marxismus sei die Gleichsetzung der Entstehung moderner Subsysteme mit unerfreulichen – und potentiell austauschbaren – Formen der Klassenherrschaft. Die marxistische Kapitalismuskritik sei eine Sozialtheorie, die das Kind mit dem Bade ausgeschüttet habe (vgl. II, 500 f.).
Dennoch, so Habermas, könne die marxistische Kritik erfolgreich umformuliert werden. Unter heutigen Bedingungen wendeten sich die Subsysteme der Wirtschaft und Verwaltung gegen die Lebenswelt. Da materielle Reproduktion nur auf Kosten unersetzlicher konsensabhängiger Handlungsformen stabilisiert werden könne und kommunikatives Handeln zugunsten der entsprachlichten Medien Macht und Geld über Bord geworfen werde, um die Lebenswelt wirkungslos zu machen, trügen die Subsysteme der Wirtschaft und Verwaltung nicht mehr zu sozialer Komplexität bei, sondern unterhöhlten die Grundlagen der modernen Gesellschaft (vgl. II, 292 f.). Wo sich Krisen auf der Ebene von Wirtschaft und Verwaltung nur durch Beeinträchtigung der Lebenswelt vermeiden ließen, würde diese Gegenstand der Kolonialisierung (vgl. II, 452). In Habermas’ durch Weber beeinflusster Neuformulierung des Marxismus lassen sich Krisentendenzen in Wirtschaft und Staatsverwaltung nunmehr lediglich durch die Dezimierung kommunikativen Handelns im Zaum halten. Entgegen Marx’ Hoffnung, dass sich Bürokratie und Markt letztlich transzendieren ließen, seien beide tatsächlich unersetzliche Rationalitätsformen, trotz der von ihnen gleichzeitig generierten, potenziell destruktiven gesellschaftlichen Konsequenzen.
Warum also die Wendung zu zeitgenössischer Jurisprudenz, um diesen besorgniserregenden Trend zu erklären? In Anlehnung an Weber argumentiert Habermas, dass sowohl moderner Kapitalismus als auch Bürokratie nur auf der Grundlage modernen, gesetzten Rechts abgesichert seien. In gewisser Hinsicht Weber widersprechend, sieht Habermas in modernem Recht Elemente moralisch-praktischer Rationalität, basierend auf Lebenswelt und symbolischer Reproduktion. Modernes, ›postkonventionelles‹ Recht verbinde die Lebenswelt mit Wirtschaft und Staatsverwaltung; es biete einen unentbehrlichen Treff- oder Transformationspunkt für die rivalisierenden und potentiell widersprüchlichen Dynamiken. Recht ermögliche es, dass Staatsverwaltung und Geld als Ersatz für kommunikative Interaktion wirken. Mit einem Bein in der Lebenswelt und mit dem anderen sicher in den formal organisierten Systemen der Wirtschaft und Verwaltung stehend, könne das Recht einen hervorragenden »Indikator für die Grenzen zwischen System und Lebenswelt« abgeben (II, 458). Daraus folge, dass sich Störungen in der Beziehung zwischen Lebenswelt und sozialen Systemen als ›Pathologien des Rechts‹, d. h. als Formen der ›Verrechtlichung‹, äußern. Fundamentale Krisentendenzen der heutigen Gesellschaft könnten also die Form einer ›Rechtskrise‹ annehmen.
Es ist leicht nachzuvollziehen, warum Habermas deshalb der Meinung war, dass kritische Theorie sich den scheinbar obskuren Debatten um aktuelle Rechtsentwicklungen zuwenden sollte. Vermutlich hat er die Vielzahl von Forschungsergebnissen mit Befriedigung registriert, die die theoretischen und diagnostischen Meriten seiner Theorie insgesamt zu bestätigen scheinen. Nicht nur in der BRD argumentierten Juristen und Sozialwissenschaftler energisch, dass das Recht in der Gegenwart Pathologien und Krisentendenzen aufweise.4
Habermas weist im letzten Kapitel der Theorie des kommunikativen Handelns darauf hin, dass scharfsinnige Rechtspublizisten ambivalente Formen des heutigen Aufsichtsrechts ausfindig gemacht haben, welche die Freiheit mindestens im gleichen Maße bedrohen, indem sie sie zu garantieren helfen (vgl. II, 531). Verrechtlichung – grob definiert als die Ausweitung des Formalrechts auf weitere Sozialsphären und dessen zunehmende Verdichtung – habe immer schon eine fundamentale Voraussetzung der Moderne dargestellt. Im Gegensatz zu großen Teilen der modernen Rechtsentwicklung zeigten diese Ausweitung und Verdichtung jedoch im Bereich des Sozialstaates alarmierende Tendenzen: »Schließlich ist die Allgemeinheit des Tatbestandes auf den bürokratischen Leistungsvollzug […] zugeschnitten« (II, 532), was gesellschaftliche Solidarität untergrabe und Paternalismus generiere. Gesetzliche Regelungen könnten als Vehikel dienen, mittels dessen »die mediengesteuerten Subsysteme Wirtschaft und Staat mit monetären und bürokratischen Mitteln« (II, 522) unangemessen eingreifen. Das Formalrecht geselle sich zu bürokratisch verwalteten finanziellen Entschädigungen, um komplexe Formen sozialen Handelns dem Einfluss »gewalttätiger Abstraktion« auszusetzen, was mitunter mehr schädliche als positive Folgen zeitige. Habermas geht davon aus, dass modernes Formalrecht immer schon mit einem »Handlungssystem, in dem unterstellt wird, dass sich alle Personen strategisch verhalten«, verbunden war, wodurch es in die Lage versetzt wurde, ebenso »die funktionalen Imperative eines über Märkte regulierten Wirtschaftsverkehrs [zu] erfüllen« wie die »Imperative« der Staatsverwaltung (I, 352). Die Kolonialisierung der Lebenswelt durch Subsysteme jedoch führe dazu, dass diese Beziehung von Seiten des Rechts zunehmend auf eine Weise gestaltet werde, die inkongruent ist mit kultureller Reproduktion, sozialer Integration und Sozialisierung. Die moralisch-praktischen Wurzeln modernen Rechts drohten aus der Lebenswelt herausgerissen zu werden. Die normative und diskursive Untermauerung werde zugunsten der Hegemonie der systemischen Medien Geld und Macht, welche mit der Lebenswelt in eine einseitig autistische Beziehung treten, aus dem Weg geräumt: Facetten der Lebenswelt, die mit den abstrakten Medien Geld und Macht nicht in Einklang zu bringen sind, würden verdrängt.
Im Gegensatz zu neoliberalen Kritikern der Verrechtlichung lehnt Habermas das Wachstum des modernen Staats per se offensichtlich nicht ab. Im Gegenteil: Er behauptet an einer Stelle der Theorie des kommunikativen Handelns, dass Recht grundsätzlich neben Macht und Geld als abstraktes Steuerungsmedium dienen könne, und zwar in solchen Bereichen des Wirtschafts-, Handels-, und Sozialrechts, »die sich ja ohnehin gegenüber den normativen Kontexten des verständigungsorientierten Handelns verselbständigt haben.«5 In gesellschaftlichen Bereichen, in denen das Handeln bereits hauptsächlich formal organisiert und daher unmittelbar durch systemische Imperative geformt sei (z. B. im Arbeitsrecht), stelle die staatliche Regulierung üblicherweise kein Problem dar (vgl. II, 538). In anderen gesellschaftlichen Bereichen jedoch, die eng mit der Lebenswelt verbunden sind (z. B. Familie und Bildungssystem), erweise sich Verrechtlichung als schwieriger einzuordnen. Würde die Validität derartiger Normen in Frage gestellt, drängten Themen von moralischpraktischer Bedeutung umgehend in den Vordergrund: »Sie bedürfen einer materiellen Rechtfertigung, weil sie zu den legitimen Ordnungen der Lebenswelt selbst gehören« (II, 536). Im Gegensatz zu Gebieten, in denen das Recht ohne größere Probleme als Steuerungsmedium dienen könne, nähme es anderswo die Form dessen ein, was Habermas als Rechtsinstitutionen beschreibt: Diese »stehen in einem Kontinuum mit sittlichen Normen und überformen kommunikativ strukturierte Handlungsbereiche« (II, 537). Diese Gefahr sei besonders dort ausgeprägt, wo vergleichsweise wenig formale Organisation existiere. Selbst dort könne staatliche Intervention prinzipiell soziale Integration ergänzen, anstatt wesentliche Aufgaben der Lebenswelt imperialistisch durch die Fremdmedien Geld und Macht zu überformen (vgl. II, 541). Die empirische Beweislage allerdings weise darauf hin, dass eher Letzteres der Fall sei. Finanzielle Entschädigung und juristische Intervention in Schul- und Familienrecht überforderten nicht nur die staatliche Bürokratie; sie schleusten auch die Logiken der Wirtschaft und Verwaltung in Bereiche ein, die davon möglichst befreit bleiben sollten. Mit Blick vor allem auf Beispiele aus der zeitgenössischen BRD argumentiert Habermas, dass die wachsende Regulierung von Schulen komplexe Sozialisationsmechanismen künstlich in ein »Mosaik von anfechtbaren Verwaltungsakten« zerlegten (II, 545). Die Gefährdung elementaren pädagogischen Handelns sei ein Ergebnis dieser Entwicklung. Bemühungen, Rechte von Kindern auf juristischem Wege zu schützen, verletzten in ähnlicher Weise »die kommunikativen Strukturen des verrechtlichten Handlungsbereichs« (II, 543).
Habermas geht so weit zu behaupten, dass Verrechtlichung auch empirische Argumente für den ambitionierten Versuch der Theorie des kommunikativen Handelns bereitstelle, marxistische Ideen der Verdinglichung neu zu formulieren.6 Wo Marx und Lukács erklärt hatten, dass gesellschaftliche Institutionen häufig deshalb als quasi-natürliche Realitäten erlebt wurden, weil Arbeitskraft im Kapitalismus als Warenform subsumiert werde, revidiert Habermas diese Sichtweise durch Bezüge auf Systemtheorie und Weber. Sowohl Geld als auch Macht seien verantwortlich für einen »Abstraktionsvorgang« (II, 476), analog der marxistischen Theorie der Reduktion konkreter Arbeit auf abstrakte Arbeit und Warenform, welche die Lebenswelt entstelle. In Familien- und Schulrecht würden die Handelnden einander in beschränkter, »objektivierender, erfolgsorientierter Einstellung« (II, 542) gegenübertreten. Das hypertrophische Wachstum abstrakter, mediengesteuerter Subsysteme bedeute, dass Familie und Schule als verdinglichte, quasi-natürliche Gebilde erlebt würden, die durch undurchdringliche, objektive Imperative geregelt sind. Die »objektivistische Verformung von Subjektivität überhaupt« (II, 489), die Lukács befürchtet hatte, offenbare sich nun direkt, in Form von Aufsichtsrecht, dessen systembasierte Verformungen kommunikativen Handelns rücksichtsloses Ausufern erlaubten. Wie Weber bereits zu Recht gegenüber dem orthodoxem Marxismus und seiner einseitigen Zurechnung der Verdinglichung zum modernen Kapitalismus angemerkt hatte, könne sich »Verdinglichung […] ebenso gut in öffentlichen wie in privaten Lebensbereichen manifestieren« (II, 503).
In Anbetracht des Versuchs, eine Kritik der Verrechtlichung als Modernisierung konventioneller Kapitalismuskritik zu etablieren, erstaunt es nicht, dass sich die relativ bescheidenen Reformvorschläge in der Theorie des kommunikativen Handelns auf Rechtsfragen konzentrieren. Habermas beschreibt mit unübersehbarem Wohlwollen seine Ideen für mögliche Rechtsreformen, deren Aufgabe sich auf die »rechtliche Institutionalisierung der äußeren Verfassung, sei es der Familie oder der Schule« (II, 544), beschränken würde. Im Gegensatz zum unnachgiebigen Formalrecht, untrennbar mit der aufdringlichen Intervention der Steuerungsmedien Macht und Geld verknüpft, ließe sich so ein Alternativmodell für lokalisierte Selbstregulierung testen. Dies könne eine dezentralisierte Entscheidungsfindung ermöglichen: »Verfahren der Konfliktregelung […], die den Strukturen verständigungsorientierten Handelns angemessen sind – diskursive Willensbildungsprozesse und konsensorientierte Verhandlungs- und Entscheidungsverfahren« (II, 544). Die rechtliche Regulierung von Schulen könne sich beispielsweise als notwendig herausstellen, sollte sich aber auf die Kodifizierung von Abläufen beschränken, mit deren Hilfe z. B. Eltern, Lehrer und Schulfunktionäre ihre Angelegenheiten selbst und auf kontextuell angemessene Weise regeln können.
II.
Leser des 1992 erschienenen Buches Faktizität und Geltung wissen bereits, dass Habermas bald schon Teile der ursprünglichen Ideen der Theorie des kommunikativen Handelns zum Problem der Verrechtlichung aufgeben – und andere modifizieren – sollte. Er lag damit richtig: Seine früheren Erörterungen hatten an manchen Stellen unter einem gewissen Provinzialismus gelitten. Denn wie hilfreich waren seine ein wenig idiosynkratischen Beispiele aus der jüngeren deutschen Gesetzgebung für das Verständnis allgemeinerer juristischer Entwicklungen? Aus Sicht progressiver Kräfte in den USA, die im Kampf gegen Rassismus aggressive staatliche Intervention an Provinzschulen verteidigten, muss seine Betonung der Gefahren der Verrechtlichung merkwürdig deplatziert gewirkt haben. Es ist daher vielleicht nicht überraschend, dass seine Darstellung schnell zur Zielscheibe heftiger Kritik wurde. Selbst wohlwollende Feministen und Feministinnen ließen kein gutes Haar an Habermas’ Diagnose und den dort implizierten, patriarchalen Annahmen bezüglich der Geschlechter- und Familienverhältnisse.7
Ingeborg Maus, die Politologin und Rechtstheoretikerin der Frankfurter Schule, zeigte bereits 1986 in einer bedeutenden Abhandlung die offensichtlichsten juristischen Schwächen in Habermas’ ursprünglicher Theorie auf.8 Rechtsentwicklungen gerade auf den Gebieten, die Habermas als besonders problematisch eingeschätzt hatte, zeigten sich im Gegenteil als am wenigsten vom abstrakten Formalrecht geprägt. Demnach seien Familien- und Schulrecht »am stärksten von ›freirechtlichen‹ Normen beherrscht [und] durch staatliche Rechtsetzung relativ unbeeindruckt«.9 Laut Habermas’ Schilderung war das Eindringen von abstraktem allgemeinem Recht verantwortlich für die Pathologien des Rechts, die der Kolonialisierung der Lebenswelt folgten: Die abstrakten Medien Macht und Geld schlössen sich mit Formalrecht zusammen, resultierend in besorgniserregenden ›gewalttätigen Abstraktionen‹. Diese Diagnose verschleiert jedoch die Tatsache, dass modernes Aufsichts- und Sozialrecht hochgradig ›materialisiert‹ sind: Sie stützen sich auf Einzelmaßnahmen, unklare Normen, pauschale und scheinbar moralistische Klauseln (z. B. ›auf Treu und Glauben‹) sowie auf Ermessens- und teilweise irreguläre Handlungen auf Seiten von Verwaltung und Justiz.10 Wie Weber nahezu ein Jahrhundert zuvor festgestellt hatte, werden die klassischen Typen des Formalrechts zunehmend seltener, besonders dort, wo Fragen der sozialen Wohlfahrt überragende Bedeutung gewinnen.11 Es ist ›materialisiertes‹ Sozialrecht und nicht in erster Linie ›abstraktes‹ allgemeines Recht, das die Grenzen zwischen Richtern und Bürokraten (mit Ermessensspielraum) verwischt, während traditionelle Formen der normbasierten juristischen Entscheidungsfindung zunehmend unüblich werden. Trotz des entscheidenden Bruchs mit Weber in dem Beharren, dass staatliche Bürokratien nicht ohne Grundierung (via Gesetz) in der Lebenswelt auskommen könnten, akzeptiert Habermas dennoch einen zu großen Teil von Webers Darstellung staatlicher Bürokratien als regelorientierte, hierarchisch strukturierte Institutionen. Dadurch verschleiert er die ungleich chaotischere Realität des modernen Verwaltungsstaates ebenso wie die Tatsache, dass die Pathologien, die er im Formalrecht verortet, ebenso anderen juristischen und institutionellen Entwicklungen zugeschrieben werden können. Kurz: Habermas stellt zu wesentlichen juristischen Facetten moderner Verrechtlichung eine Fehldiagnose und lastet ihre Pathologien dem falschen Übeltäter an. Seine systemtheoretisch inspirierte Beschreibung der abstrakten Medien Macht und Geld, welche ›gewalttätige Abstraktionen‹ generieren sollen, reproduziert implizit Elemente jener misslichen These des orthodoxen Marxismus’, derzufolge das allgemeine Recht nahtlos mit der Warenform verbunden sei. In der aktualisierten Version dieses Arguments ist ein enigmatischer ›monetär-administrativer Komplex‹ verknüpft mit problematischen Formen abstrakten Rechts.12
Maus weist zudem auf die Möglichkeit hin, dass beunruhigende Entwicklungen, die Habermas in den Bereichen der Familie und des Intimen identifiziert (z. B. die Erosion gesellschaftlicher Solidarität), besser aus der Position einer konventionelleren Kapitalismuskritik erklärt werden könnten. So sei zügellose kapitalistische ›Modernisierung‹ nach wie vor die direkte Ursache mancher Missstände, die Habermas der Verrechtlichung des Sozialstaates zurechnet.13
Maus stößt damit auf eine vielsagende Argumentationslücke. Wesentliche Punkte herkömmlich-linker Kapitalismuskritik wurden in der Theorie des kommunikativen Handelns vorschnell über Bord geworfen. So war etwa die direkte Unterordnung des Bildungssystems unter kapitalistische Imperative sicher weitaus schädlicher für Eltern, Schüler und Lehrer als die neuen Formen des juristischen Eindringens durch das Aufsichts- und Sozialrecht. Die kapitalistische ›Kolonialisierung‹ öffentlicher Schulen in den USA beispielsweise vollzieht sich am Ungeheuerlichsten dort, wo materielle Ungleichheit massive Nachteile für Kinder aus unterprivilegierten und Arbeiterschichten verursacht – noch bevor sozialstaatsartige Interventionen diese gelegentlich zu kompensieren versuchen. Noch schlimmere Beispiele lassen sich leicht finden: Unterfinanzierte amerikanische Schulen nutzen inzwischen ›lehrreiches‹ Unterrichtsmaterial der Kohleindustrie, von Wal-Mart und anderen bedeutenden kapitalistischen Akteuren, um veraltete Lehrmittel zu ergänzen. Genau genommen kommen diese Akteure sogar nur aufgrund des Mangels an ausreichender ›Verrechtlichung‹ mit ihrem Vorgehen davon. Die vielleicht größte Herausforderung öffentlicher Schulen in Amerika ist die materielle Ungleichheit zwischen den und innerhalb von Schulbezirken: Das ist zu weiten Teilen das Resultat eines anachronistischen Systems dezentralisierter Schulfinanzierung auf lokaler Ebene, in dem viele mittellose Bezirke (z. B. in verfallenden Industriegebieten) ihre Schüler nicht einmal mit dem Nötigsten versorgen können. In solchen Fällen liegt das Hauptproblem nicht in schlecht konzipiertem, ›abstrakten‹ Schul- oder Sozialrecht, welches sich unangemessen in das Lehrer-Schüler-Verhältnis einmischt. Tatsächlich liegt es an der Unterlassung, altmodisch-kapitalistische Ungleichheit durch kompromisslose juristische Maßnahmen anzugehen.14 Es ist eben grade mehr ›verallgemeinerte‹ oder ›abstrakte‹ Rechtsprechung (beispielsweise mit dem Ziel ausgeglichener Förderung quer über lokale Bezirksgrenzen hinweg), die von amerikanischen Progressiven gefordert wird.
Natürlich beruht auch die jüngere neoliberale Bildungspolitik letztlich auf Gesetzen. Dennoch scheint das juristische Phänomen, das Habermas in erster Linie beunruhigt (die problematischen Ableger eines ›abstrakten‹ Sozialrechts), nicht immer die Haupt- oder auch nur die wichtigste Ursache der anhaltenden ›Kolonialisierung‹ der Bildung zu sein. So sind beispielsweise jüngste Bestrebungen, öffentliche Bildung nicht mehr zu fördern oder sogar zu privatisieren, und die Arten rechtlicher Intervention des Sozialstaats, die in der Theorie des kommunikativen Handelns krititisiert werden, einander kaum ähnlich, geschweige denn eng verbunden.15
Wenn ich mich nicht täusche, liegt es an mehr als bloßer Flüchtigkeit des Autors, dass die Theorie des kommunikativen Handelns so erstaunlich wenig zu solch relativ konventionellen Formen kapitalistischer Pathologie zu sagen hat. Die Ursprünge dieser aufschlussreichen Leerstelle sind das Thema des nächsten Abschnitts.
III.
Die Neigung der Theorie des kommunikativen Handelns, Kapitalismuskritik als Kritik der Verrechtlichung neu zu formulieren, basierte auf einer Reihe von Grundlagen. Diese jedoch sind kritikanfälliger als es auf den ersten Blick scheint.
Habermas’ kritische Haltung zum Verwaltungs- und Sozialrecht beruht zu wesentlichen Teilen auf der zugrundeliegenden sozialtheoretischen These zum Verhältnis zwischen Verwaltungs- und kapitalistisch-wirtschaftlichem ›System‹. Im Gegensatz zum Marxismus, dessen Ökonomismus Habermas kritisiert, scheint die Theorie des kommunikativen Handelns beide Systeme als gleichursprünglich zu betrachten, was – vereinfacht ausgedrückt – besagt, dass jede brauchbare kritische Analyse unserer heutigen Gesellschaft den relativ autonomen Imperativen sowohl des Wirtschafts- als auch des Verwaltungssystems (ebenso wie Querverbindungen zwischen diesen beiden) gerecht werden müsse. Diese konstituierten, wie erwähnt, den »monetär-administrativen Komplex«, der sich zunehmend »gegenüber der kommunikativ strukturierten Lebenswelt […] verselbstständigt.«16 Entgegen den Versuchen der orthodoxen Linken, Kolonialisierung und Verdinglichung ausschließlich den ökonomischen Dynamiken des Kapitalismus anzurechnen, macht sich Habermas eine erkennbar Weber’sche Überarbeitung des Marxismus zu eigen. Dieser zufolge seien, wie angesprochen, Kolonialisierung und Verdinglichung in öffentlichen Institutionen ebenso wahrscheinlich wie in privaten, und selbst der Niedergang des Kapitalismus – wie durch den Staatssozialismus bezeugt – würde nicht ihr Ende bedeuten (II, 503). Tatsächlich scheint die abschließende Erörterung in der Theorie des kommunikativen Handelns zu suggerieren, dass ihre primäre Manifestation unter heutigen Bedingungen öffentlich sein würde: Verrechtlichung beträfe »die Beziehung von Klienten zu den Verwaltungen des Sozialstaates« (II, 476).
Habermas beharrt, wie Weber, sicher zu Recht darauf, dass jede plausible Interpretation moderner Gesellschaften die relativ unabhängige Dynamik der Staatsverwaltung gebührend berücksichtigen muss. Auch seine Kritik an der einseitigen und unvollständigen Darstellung moderner Gesellschaften im traditionellen Marxismus ist gerechtfertigt. Habermas’ Neigung, seine eigene Interpretation hier und da als die einzig vernünftige theoretische Alternative zum orthodoxen Marxismus darzustellen, verdeckt jedoch leider Teile der hier auftretenden analytischen Komplexität. Hierbei ist besonders hervorzuheben, dass seine vertretbare sozialtheoretische Korrektur des Marxismus die womöglich unzulängliche Sozialdiagnose (d. h. die mängelbehaftete Kritik der Verrechtlichung) der Theorie des kommunikativen Handelns nicht ausreichend begründen kann. So ist es beispielsweise durchaus möglich, die Errungenschaften der weberschen Marxismusüberarbeitung zu akzeptieren, ohne deshalb auch die These übernehmen zu müssen, dass die Sozialpathologien der Gegenwart sich hauptsächlich auf der Ebene des Verwaltungs- und Sozialrechts, d. h. als Pathologien der Verrechtlichung, manifestieren. Sicher würde jeder ›gute‹ Weber-Marxist seine Augen für derartige Pathologien offenhalten. Abhängig von der empirischen Beweislage könnte er oder sie jedoch festhalten, dass eine der bedeutendsten Formen, in denen sich Kolonialisierung heutzutage manifestiert, mehr oder weniger unmittelbar ökonomisch ist und bleibt. Unser Weber-Marxist könnte zu dem Schluss kommen, dass unmittelbare Vermarktlichung und/oder Kommodifizierung der Lebenswelt auf Wegen, die nur indirekt mit dem Aufsichts- und Sozialrecht verbunden sind, den geeigneteren Ausgangspunkt für ein besseres Verständnis der Missstände unserer heutigen Gesellschaft bieten.