Kitabı oku: «Caroline»
Caroline
Christy Henry
Caroline
Christy Henry
1. Auflage, April 2015
ISBN: 978-3-945914-01-4
© Christy Henry
Verlag: NOLA-Verlag, 40667 Meerbusch
Lektorat: Sandra Schmidt; www.text-theke.com
Korrektorat: Sandra Schmidt; www.text-theke.com
Umschlaggestaltung: © UlinneDesign, 48485 Neuenkirchen
Coverillustration: Nils Hamm, 40221 Düsseldorf
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Caroline
Christy Henry
Ich widme dieses Werk meiner
besten Freundin Daniela.
Ohne ihre Neugier,
Geduld, Kritik, Anregung
und die vielen Gespräche dazwischen
hätte ich vielleicht nicht den Mut
und die Vorstellungskraft gehabt,
diese Geschichte vollständig niederzuschreiben.
1
Lydia und Caroline saßen wie jeden Freitagnachmittag zusammen in ihrer Lieblingseisdiele und löffelten ihre Eisbecher aus.
„Nur noch drei Wochen bis zum Abschluss. Bin ich froh, wenn die Schule endlich vorbei ist.“
Lydia schob sich einen Löffel voll Eis und Soße in den Mund und sprach weiter.
„Ich kann kaum glauben, dass du dir das antust und nach dem Sommer aufs Gymnasium wechseln wirst.“
Caroline legte ihren Löffel beiseite und dachte wehmütig darüber nach, dass sie nach diesen Ferien nicht mehr gemeinsam die Schulbank drücken würden. Lydia hatte eine Ausbildungsstelle angenommen. Es würde seltsam werden, ohne sie zur Schule zu gehen. Die zwei waren seit dem ersten Schultag unzertrennlich gewesen. Weil Lydia nur ein paar Häuser weiter wohnte, waren sie jeden Tag gemeinsam zur Schule gegangen. Nach den Sommerferien nun alleine die Strecke zurückzulegen und einen anderen Tischnachbarn zu haben, konnte sich Caroline nicht so recht vorstellen. Lydia wusste schließlich fast alles von ihr. Und Caroline wusste alles von Lydia. Oft verstanden sie sich ohne ein Wort.
„Ja, das wird schon etwas seltsam. Willst du es dir nicht noch mal überlegen und mit mir aufs Gymnasium gehen?“
Caroline grinste herausfordernd. Wie erwartet warf ihr Lydia einen gespielt entsetzten Blick zu und deutete mit einer Armbewegung an, dass sie froh war, diesen Teil ihres Lebens hinter sich zu lassen.
Die Mädchen aßen eine Weile einträchtig schweigend ihr Eis. Caroline genoss dieses Schweigen zwischen ihnen. Während die beiden es sich schmecken ließen, musterten sie wie gewohnt die Leute, die an ihnen vorbei durch das Shoppingcenter eilten. Sie beobachteten, wie die Bedienungen sich zwischen den Tischen durchschoben. Lichtstrahlen fielen durch die riesigen gewölbten Oberlichter und tanzten in den künstlichen Bäumen vor der Eisdiele. Sie lauschten der leisen Kaufhausmusik des angrenzenden Ladens und dem Stimmengewirr um sie herum. Caroline liebte diese Freitagnachmittage.
Ein Scheppern zerriss jäh die gemütlich-hektische Geräuschkulisse. Eine der Bedienungen war mit ihrem voll beladenen Tablett gegen einen Gast gestoßen. Caroline sah gerade noch, wie die Tassen und Becher im hohen Bogen zu Boden polterten.
Krachend zersplitterten die vollen, gläsernen Eisbecher und verteilten ihren Inhalt auf den hellen Fliesen. Kaffee spritzte auf und landete auf Tisch- und Hosenbeinen. Porzellansplitter der Tassen verteilten sich wie Puzzlestücke in den entstehenden Pfützen aus Kaffee, Eis und Sahne. Leise fluchend beugte sich die Bedienung hinunter, um die Scherben aufzuheben, während eine zweite Bedienung hinter dem Tresen verschwand, um das Putzzeug zu holen.
Dann hörte Caroline einen kleinen Aufschrei und einen erneuten Fluch.
Caroline konnte es ganz deutlich riechen. Ein unglaublich betörender Duft. So süß, so unwiderstehlich. Instinktiv wusste sie, wo dieser Geruch herkam. Im nächsten Moment beugte Caroline sich zu der Kellnerin herunter, die noch immer am Boden hockte. Eine Glasscherbe hatte sich tief in ihre Handfläche gebohrt und in Zeitlupe quollen dicke Tropfen aus der Wunde. Caroline blickte wie hypnotisiert auf die verletze Hand. Das satte Geräusch der fallenden Tropfen vermischte sich mit dem Nachhall des berstenden Glases, dem schmatzenden Geräusch des schmelzenden Eises und dem leisen Flüstern der Kaffeereste auf dem Boden.
Plötzlich nahm Caroline wieder das Gemurmel der Leute um sich herum wahr. Irritiert sah sie sich nach Lydia um. Diese saß noch immer an ihrem Tisch und schaute auf den leeren Platz ihr gegenüber. Dann erschien ein ungläubiger Ausdruck auf Lydias Gesicht, der sich nach und nach in pures Entsetzen und dann in blanke Panik verwandelte.
Caroline wurde klar, dass sie sich viel zu schnell bewegt hatte. Sie hockte nun gut zehn Meter von ihrem Sitzplatz entfernt am Boden. Und vermutlich waren nur ein paar Millisekunden vergangen. Der Bann war endgültig gebrochen.
Caroline zog eine Serviette von einem benachbarten Tisch und reichte sie der verdutzten Bedienung.
Die Zeit lief wieder in normalen Bahnen. Das Stimmengewirr prasselte auf Caroline ein und die Menschen um sie herum bewegten sich in der gewohnten Geschwindigkeit.
Caroline stand auf und schaute zu ihrem Tisch. Beide Plätze waren leer. Lydias Stuhl war achtlos nach hinten geschoben und bei dem überstürzten Aufbruch wohl umgekippt. Ihre Tasche fehlte. Dass es ausgerechnet in Lydias Gegenwart geschehen musste. Vielleicht könnte sie das später mit Lydia klären, wenn ihre Freundin sich ein wenig beruhigt hatte. Das wäre dann vermutlich ein guter Zeitpunkt, auch die letzten Geheimnisse zu teilen und Lydia endlich zu beichten, dass sie zu den Geweihten gehörte. Sie würde ihr in allen Einzelheiten die Unterschiede zu „normalen“ Menschen erklären müssen. Schnelligkeit gehörte definitiv zu einer der besonderen Fähigkeiten dieses alten Volkes.
Caroline war sich schon seit Langem klar darüber gewesen, dass sie das nicht ewig vor Lydia verheimlichen konnte. Sie hatte nur bisher einfach nie den richtigen Zeitpunkt gefunden.
Seufzend beglich Caroline die Rechnung und verließ das Café.
Caroline wollte gerade den Schlüssel in das Schloss der Haustüre stecken, da wurde diese schon von innen aufgerissen. Freudestrahlend standen ihre Eltern vor ihr. Natürlich wussten sie schon Bescheid – wie vermutlich jeder andere aus ihrer Familie, der sich im näheren Umkreis aufgehalten hatte. Carolines Kräfte waren endlich erwacht. Sie war schon unendlich gespannt gewesen und wartete bereits seit einer Weile ungeduldig darauf. Caroline hatte schon befürchtet, zu den Wenigen ihrer Sippe zu gehören, deren Kräfte nicht erwachten.
Und nun war es doch endlich passiert.
Caroline erzählte ausführlich von dem Geschehen und einen kurzen Augenblick erinnerte sie sich wieder an das schmerzhafte Bild von Lydias entsetztem Gesicht. Kein anderer der anwesenden Menschen hatte bemerkt, wie unmöglich schnell Caroline bei der Bedienung gewesen war. Lydia war es aber selbstverständlich aufgefallen. Schließlich war Caroline mitten im Satz wie von Geisterhand verschwunden, um dann unmittelbar neben der Bedienung wieder aufzutauchen.
Wie hätte Lydia das übersehen können?
Während Caroline noch in der Berichterstattung versunken war und überschwänglich von dem Vorfall berichtete, schoben ihre Eltern sie in die Küche. Dort füllte ihre Mutter Johanna drei der guten Kristallschalen. Funkelnd schwappte die klare rote Flüssigkeit in den Gläsern, als sie anstießen. Wieder stieg ihr dieser unwiderstehlich betörende Geruch in die Nase. Vorsichtig und neugierig zugleich nahm sie einen Schluck.
Fast augenblicklich verschob sich Carolines Welt. Sie sah die Konturen der Küche plötzlich um ein Vielfaches verschärft. Sie nahm Farben und Formen wesentlich intensiver wahr – fast so, als stünde sie unter Drogen. Plötzlich konnte sie die Räder der Spielzeugautos hören, die ihr kleiner Bruder Markus im ersten Stock in seinem Zimmer über den Teppichboden schob. Sie zuckte erschrocken zusammen, als sie bemerkte, wie im Vorgarten der Nachbarn der Rasensprenger anging. Caroline versuchte, sich zu sammeln. Alles schien sich zu drehen. Sie konzentrierte sich darauf, nur noch den Geräuschen in der Küche Aufmerksamkeit zu schenken, und blickte auf die schwarz-weißen Kacheln des Küchenbodens. Doch es war kein Boden zu sehen. Stattdessen konnte sie wie bei einer Röntgenaufnahme durch den Boden direkt in den Keller schauen. Sie schrie erschrocken auf.
„Da sind Ratten im Keller.“
Dann fühlte sie zwei Hände auf ihren Schultern, die sie sanft auf einen Stuhl drückten, und sie hörte die beruhigende Stimme ihrer Mutter.
„Ganz tief durchatmen. Beruhige dich. Es ist alles in Ordnung. Du hast nur zu schnell getrunken. Das geht gleich vorbei.“
Tatsächlich klärte sich Carolines Blick allmählich wieder. Sie merkte, dass sie das Glas nicht mehr in den Händen hielt. Ihr Vater hatte es ihr wohl abgenommen. Nun stand es völlig geleert auf der Anrichte.
„Wow. Ist das immer so?“
Caroline sah ihre Mutter an, die ihr gegenüberstand. Diese schüttelte nur lächelnd den Kopf.
„Du gewöhnst dich daran. Die ersten Tropfen sind immer etwas Besonderes. Wenn man lange nichts getrunken hat, kann es einen manchmal überwältigen. Aber es wird einfacher, wenn du regelmäßig etwas zu dir nimmst. Wir sind ja so froh, dass es endlich so weit ist.“
Caroline nickte benommen. Ganz leise konnte sie noch immer die quietschenden Reifen der Spielzeugautos im ersten Stock hören.
Ungeduldig hielt Caroline am nächsten Montag Ausschau nach Lydia. Sie hatte das ganze Wochenende nichts von ihr gehört. Lydia kam wie immer auf den letzten Drücker ins Klassenzimmer gestürmt. Sie setzte sich neben Caroline, als wäre nichts geschehen, und plauderte fröhlich drauf los. Caroline zuckte innerlich mit den Schultern.
Menschen. Sie sahen nur, was sie sehen wollten. Und wenn doch etwas Unerwartetes geschah, dann ignorierten sie es.
Mit einem leisen Seufzer wandte sich Caroline dem Lehrer zu. Sie hätte es Lydia ja gerne erklärt, aber vielleicht war es besser so.
Als Caroline an diesem Tag nach Hause kam, bemerkte sie sofort, dass etwas Ungewöhnliches geschehen war. Sie konnte die nervösen Schritte ihrer Mutter in der Küche hören. Eilig zog Caroline ihre Jacke aus und schlüpfte in ihre Hausschuhe. Dann schlugen ihre neu erwachten Fähigkeiten unerwartet zu und sie vernahm die Stimme ihres Vaters, trotzdem sie noch immer im Flur neben der Haustüre stand. Er war ebenfalls in der Küche und sprach leise und beruhigend auf ihre Mutter ein. Plötzlich fiel ihr ein, warum ihre Mutter so nervös war. Caroline rannte unter lautem Jubel in die Küche. Auf dem Tisch lag er: der Umschlag.
Ihr Vater trat ihr wie zufällig in den Weg, als er durch die Küche zum Kühlschrank ging. Er reichte seiner Frau die Flasche mit der roten Flüssigkeit.
„Bitte, Johanna, trink erst einmal etwas und beruhige dich.“
Fahrig nahm ihre Mutter die Flasche entgegen und nestelte an der Verschlusskappe herum.
„Aber sie ist doch noch so jung. Wieso kann das nicht noch ein Jahr warten? Warum jetzt? Sie beherrscht ihre Fähigkeiten noch gar nicht. Die sind doch eben erst erwacht.“
Sanft legte ihr Vater seine Hände auf die Schultern ihrer Mutter.
„Aber genau darum geht es doch. Es ist gerade jetzt der richtige Zeitpunkt. Dort kann sie ihre Fähigkeiten ungestört testen und unter Kontrolle bringen. Sie braucht keine Angst zu haben, sich und alle anderen zu verraten oder zu gefährden, wenn ihre Kräfte plötzlich und ungezügelt losschlagen. Sie wird gut aufgehoben sein. Es stehen genug Ältere zur Verfügung und passen auf sie auf. Es wird ihr ganz sicher nichts geschehen.“
Caroline hatte sich nicht vom Fleck gerührt, seit ihr Vater ihr in den Weg getreten war. Nun jedoch ging sie bedächtig weiter auf den Küchentisch zu. Dieser Brief würde ihr Leben verändern, denn er bedeutete, dass sie nun ein vollwertiger Geweihter war. Jeder geborene Geweihte aus ihrer Familie bekam einen solchen Brief, wenn seine Fähigkeiten erwacht waren. Denn nur wenn sie sich in allen Lebenslagen beherrschen konnte, würde sie sich und ihre Familie nicht in Gefahr bringen. Auf dem Familiensitz würde Caroline ausführlich ihre Grenzen testen können, um zu wissen, in welcher Situation es sich lohnen würde zu kämpfen, und wann es besser war, sich zurückzuziehen. Aber das Wichtigste war: Sie würde lernen zu trinken. Frisches, warmes Blut. Sie würde lernen zu töten und Menschen zu verwandeln. Sie konnte es kaum erwarten, endlich ihrer Natur zu folgen und die unermesslichen Kräfte zu testen, die mit dem Erwachen aktiviert wurden.
Bedächtig nahm Caroline den Briefumschlag auf. Sie registrierte, dass ihre Mutter einen großen Schluck aus der Flasche genommen hatte und etwas entspannter wirkte. Caroline fühlte, wie ihre Eltern sie ansahen, als sie den Umschlag öffnete. Das schwere, teure Papier überraschte Caroline. Sie hatte ein weniger formelles Schreiben erwartet. Behutsam faltete sie den Brief auseinander. Er war in einer verschnörkelten Handschrift geschrieben, die stark nach links geneigt war und trotzdem sehr steif wirkte. Wie erwartet wurde sie eingeladen. Doch sie konnte kaum glauben, wohin diese Reise sie führen sollte.
„Kievets Hook House? Ich werde auf den Stammsitz eingeladen?“
Mit einem Nicken und einem nervösen Lächeln bestätigte ihre Mutter die Frage.
„Ja, Kievets Hook House. Das ist der Hauptsitz der Silubra. Dort hat sich vor langer Zeit Leana, das Oberhaupt unseres Clans, mit einem Teil unserer Sippe niedergelassen. Es ist der sicherste Ort auf dieser Welt für unsereins. Auf diesem Anwesen werden seit vielen Jahrzehnten und Jahrhunderten unsere Kinder und die Verwandelten der Silubra vorbereitet. Auch dein Vater und ich waren da. Wir gehörten mit zu den Ersten, die sich dort ungestört ausprobieren durften. Damals war die Reise noch lang und beschwerlich. Die Schiffspassage raubte mir fast den letzten Nerv. Nur die Piraten waren eine echte Abwechslung.“
Ein Lächeln zog sich über Johannas Gesicht, als sie sich an das längst vergangene Erlebnis erinnerte. Dann kehrte sie mit ihren Gedanken in die Gegenwart zurück und fuhr fort:
„Du kannst natürlich heute ganz bequem mit dem Flugzeug rüberfliegen und wirst nur wenige Stunden brauchen.“
Caroline blickte wieder auf das Schreiben und nahm nun auch den Umschlag wahr, in dem das Flugticket lag. Ihr drängte sich eine Frage auf.
„Warum ist unser Hauptquartier ausgerechnet dort?“
Ihre Eltern verständigten sich per Handzeichen, wer von ihnen antworten sollte. Dann holte ihr Vater tief Luft und begann zu berichten:
„Deine Großmutter Leana siedelte 1630 nach Amerika über. Wie du weißt, ist sie das Oberhaupt der Sippe der Silubra. Viele Sippenmitglieder folgten ihr damals, um vor den Urshu in Sicherheit zu sein, von denen sie in Europa unbarmherzig gejagt worden waren. Leana und die Silubra durchstreiften einige Zeit das Land, um einen geeigneten Platz für ihre Familien zu finden. Es hatte einige große Unruhen im Land gegeben und es fiel nicht auf, wenn der eine oder andere Mensch einfach verschwand. Als eine Schlacht zwischen Indianern und Einwanderern losbrach, waren Leana und ihre Familie gerade in der Nähe und wollten die günstige Gelegenheit nutzen, um Vorräte zu sammeln. Doch sie wurden von Urshu überrascht. Diese waren ihnen den weiten Weg von Europa nach Amerika gefolgt. Orhan, ihr Anführer, war schon lange hinter Leana und Gregorius her. Sein Hass auf die Silubra war unergründlich tief und er wollte die Sippe unbedingt auslöschen. Doch Leana bekam Hilfe von ihrem Bruder Iwan, der zur Sippe der Imisarunu gehörte und schon einige Jahre zuvor übergesiedelt war. Er hatte die Gefahr, in der Leana schwebte, vorausgesehen und sich sofort mit Verstärkung auf den Weg gemacht. Gemeinsam konnten sie die Verfolger vernichtend schlagen. Orhan floh jedoch. Es wurden bei der Schlacht leider auch einige der Geweihten sehr schwer verletzt. So schwer, dass sie sich nicht sofort erholen konnten. Also beschloss Leana, ein Lager aufzuschlagen. Sie blieben einige Wochen dort. Nachdem die Familienmitglieder wieder genesen waren, erwarb Leana das verwüstete, blutgetränkte Land und ließ dort Kievets Hook House aufbauen.“
Caroline blickte von ihrem Vater zu ihrer Mutter. Johanna bestätigte die Geschichte mit einem Nicken.
„Endlich vorbei.“
Lydia sprang beim ersten Ton der Klingel auf und warf eilig ihre Sachen in die Tasche.
„Der letzte Tag. Nie wieder die Schulbank drücken, wundervoll.“
Langsam erhob sich Caroline und schob ihren Stuhl ordentlich an den Tisch.
„Mann, du lässt dir aber Zeit.“
Caroline lächelte.
„Warum die Hektik? Wir kommen noch früh genug hier raus.“
Lydia schüttelte genervt den Kopf und verdrehte die Augen.
„Nu mach mal hinne.“
Caroline unterdrückte ein Grinsen.
Wenn die wüsste.
Seit ihr Durst vor ein paar Tagen erwacht war, hatte sich einiges geändert. Immer wieder hatten ihre Fähigkeiten ihr Streiche gespielt. Sie hatte an ihrem Tisch gesessen und war dem Unterricht gefolgt und plötzlich hatte sie durch die Wand ins Nachbarzimmer sehen können. Oder sie bewegte sich plötzlich unglaublich schnell und sauste mit Lichtgeschwindigkeit wieder zurück, bevor jemand bemerken konnte, dass sie sich überhaupt gerührt hatte.
Deswegen bewegte sich Caroline mit äußerster Vorsicht. Sie wollte vermeiden, dass irgendwer noch einmal mitbekam, dass sie anders war. Aber hin und wieder, wenn sie sich erschreckte oder aufregte, konnte sie es nicht zurückhalten.
Caroline schloss ihre Tasche und schlenderte Lydia hinterher auf den Schulhof. Hier standen alle ihre Klassenkameraden herum, umarmten sich oder schüttelten sich die Hände. Sie plapperten aufgeregt von ihren Zukunftsplänen, wünschten sich alles Gute und verabredeten sich für die Party am Abend.
„Ihr beiden kommt doch bestimmt auch, oder?“
Steffi kam auf sie zugerannt und umarmte sie nacheinander stürmisch. Lydia ließ die Umarmung über sich ergehen, während Caroline antwortete:
„Klar kommen wir. Schließlich ist das vermutlich eine der letzten Möglichkeiten, noch einmal alle auf einem Haufen zu sehen. Obwohl ich auf ein paar Gesichter ehrlich gesagt verzichten könnte.“
Lydia befreite sich aus der Umklammerung und blickte zu den Gesichtern, von denen Caroline gesprochen hatte. Caroline schaute ebenfalls in diese Richtung. Das helle Lachen der Clique wehte zu ihnen herüber.
Plötzlich stellten sich Caroline sämtliche Nackenhaare auf und sie bekam eine Gänsehaut. Irritiert rieb Caroline über ihre Arme. Ihre blöden verbesserten Sinne spielten ihr wohl wieder einen Streich. Ein unbestimmbares Gefühl von Gefahr durchflutete sie. Caroline sah sich um, konnte aber nichts Ungewöhnliches entdecken. Ausgerechnet jetzt spielten ihre Sinne verrückt. Caroline wollte einen Ausbruch ihrer Kräfte in Anwesenheit der gesamten Klasse unbedingt vermeiden. Frustriert rieb sie sich erneut über die Arme. Dann wandte sie sich wieder Lydia zu.
„Mann, ist das frisch heute! Ich muss los. Wir sehen uns heute Abend.“
Schnell drückte sie Steffi die Hand, nickte Lydia zu und verließ mit zügigen Schritten den Schulhof.
Ein paar Stunden später tippte Caroline Lydia von hinten auf die Schulter. Erschrocken drehte sich Lydia um.
„Ach du bist es nur. Du siehst ja toll aus.“
Lydia begutachtete Carolines hellgrünes Kleid.
Caroline lachte.
„Du siehst aber auch nicht schlecht aus.“
Bewundernd betrachtete Caroline das schwarze paillettenbestickte Kleid von Lydia. Ihre Freundin drehte sich lachend einmal um die eigene Achse.
„Also, sollen wir jetzt reingehen?“
Lydia grinste und hakte sich bei Caroline unter. Gemeinsam betraten sie den festlich geschmückten Saal. Überall hingen Luftballons und Lametta. Eine Discokugel splitterte das Licht durch den Raum und die Musik dröhnte in den Ohren. Auf der Tanzfläche bewegte sich eine kleine Gruppe synchron zum Takt. Lydia und Caroline schlenderten durch den Raum in Richtung Buffet.
„Sag mal, warum warst du eigentlich heute auf dem Schulhof so komisch?“
Caroline zuckte mit den Schultern.
„Mir war nur kalt und ich musste noch ein paar Dinge für meinen Urlaub bei meinen Verwandten erledigen.“
Sie bedienten sich an der Getränketheke. Caroline nahm sich eine Cola und gemeinsam gingen sie zu einem der freien Tische. Winkend und lachend kam Steffi auf sie zu. Sie zog eine schmale Gestalt hinter sich her. Steffi und Dorothea ließen sich auf den Stühlen nieder und plapperten fröhlich drauf los.
Die Stimmung wurde im Laufe des Abends immer ausgelassener. Es wurde gelacht und getanzt, getrunken, gegessen und gefeiert. Caroline kam es so vor, als hätte sie mit jedem Einzelnen auf dem Fest geredet. Müde lehnte sie in einem der breiten Sessel und streckte die Füße von sich. Lydia stand vor ihr und wippte im Takt der Musik.
„Du wirst doch nicht schon schlappmachen?“
Caroline winkte erschöpft ab.
„Ich glaub, ich hab genug. Ich denke, ich werde jetzt mal nach Hause gehen.“
Lydia schaute entrüstet zu ihr herunter.
„Wie, du willst schon aufgeben? Es ist doch gerade erst lustig geworden.“
Caroline sah auf ihre Uhr und sprach übertrieben ernst:
„Liebe Lydia. Wir haben schon nach drei. Es wird Zeit, dass wir uns auf den Heimweg machen.“
Lydia sah ihre Freundin genauer an.
„Mann, du siehst echt nicht gut aus. Was ist denn los?“
Caroline setzte sich aufrecht hin.
„Ich habe Kopfweh.“
Wie sollte sie Lydia auch erklären, dass die ganzen Leute um sie herum es ihr schwer machten, sich zu konzentrieren. Ausgerechnet heute Abend schien ihr Gehörsinn überempfindlich zu sein. Ständig hörte sie Fetzen von Gesprächen, die am anderen Ende des Saales geführt wurden. Neugierig folgte Lydia den Blicken Carolines. Das Pärchen am anderen Ende des Saales war im Schummerlicht kaum zu erkennen.
„Warum schaust du die beiden an? Wer ist das überhaupt?“
Stirnrunzelnd versuchte Lydia die zwei zu fixieren. Caroline grinste in sich hinein. Dann schüttelte sie den Kopf.
„Ich weiß es nicht. Aber es scheint, als wenn einer von den beiden zu uns kommen würde.“
Entspannt lehnte sich Caroline in ihren Sessel zurück und griff nach ihrem Drink. Lydias Blick wanderte wieder zur gegenüberliegenden Wand. Dort war nur noch eine der beiden Gestalten zu sehen. Gerade als sie sich wieder zu Caroline herumdrehen wollte, stand Kevin plötzlich vor ihr. Er druckste ein wenig herum. Dann forderte er Lydia zum Tanz auf. Caroline grinste breiter, als sie das verdutzte Gesicht ihrer Freundin sah. Dann stand sie schwungvoll auf.
„Ich verabschiede mich an dieser Stelle. Ich bin einfach hundemüde. Macht’s gut. Wir sehen uns.“
Caroline drückte Lydia zum Abschied.
„Also bis dann. Und viel Spaß noch.“
Dabei warf sie Kevin einen Blick zu. Lydia schaute verlegen zu Boden. Caroline grinste noch breiter und verließ beschwingt den Raum.
Die kühle Luft draußen tat ihren überforderten Sinnen gut. Schnell erholte sie sich und das Stimmengewirr in ihrem Kopf ließ deutlich nach.
Wenn ich diese Hellhörigkeit nicht in den Griff bekomme, werde ich noch irre.
Seufzend rieb sie sich die Schläfen. Und plötzlich war es wieder da. Carolines Nackenhaare stellten sich auf.
Nicht schon wieder. Was soll das?
Fröstelnd zog sie die Jacke über, klappte den Kragen hoch und machte sich auf den Weg nach Hause.