Kitabı oku: «Klatschen reicht nicht!», sayfa 2

Yazı tipi:

„Es ist eine Arbeit, die unter die Haut geht. Man kann die Arbeit nicht immer in der Arbeit lassen.“


Christopher, 33
Postbeamter

Seit über einem Jahr bin ich nicht mehr so früh unterwegs gewesen. Durch meine Jacke spüre ich die frische Morgenluft. Sie rüttelt mich auf und gibt mir einen Motivationsschub. Für das Interview fahre ich zur Postfiliale im 4. Bezirk. Um 7.30 Uhr empfängt mich Christopher vor dem Haupteingang.

Christopher arbeitet seit 16 Jahren bei der Post, war lange im Zustelldienst tätig und wurde dann Teamleiter. Er ist für acht bis 13 Zusteller*innen verantwortlich. Er ist dem Gebietsleiter unterstellt, der die Zustellung von zwei bis drei Bezirken verwaltet und im Überblick hat.

„Egal ob kalt oder warm, ob es schneit oder regnet, ob Corona oder nicht: Wir gehen arbeiten. Das liegt uns im Blut“, sagt Christopher. Die Post zählt zu den kritischen Infrastruktureinrichtungen, so waren die Postfilialen auch in allen Lockdowns durchgehend geöffnet. „Es war ein gewisser Stolz da, für die Gesellschaft da sein zu dürfen, indem man den Leuten eine Freude macht, wenn man das Packerl zustellt“, fügt er hinzu.

Dienstbeginn ist normalerweise um 6 Uhr Früh, wobei die Mitarbeiter*innen durch die Corona-Pandemie in zwei Gruppen aufgeteilt wurden. Während die einen ihre Schicht um 6 Uhr beginnen, starten die anderen um 9 Uhr. So kommen weniger Mitarbeiter*innen miteinander in Kontakt. Nachdem der Lkw mit der Post um 5.30 Uhr angekommen ist, werden Briefe und Pakete vom Amtsdienst auf die Bewohner*innen aufgeteilt und sortiert. Dann werden sie in ein Wagerl gepackt. „Im 4. Bezirk gehen wir alles zu Fuß und stellen die Post zu“, erzählt Christopher.

Am Arbeitsalltag hat sich trotz Corona nicht viel verändert. Was zu bemerken war, ist jedoch, dass vor allem im ersten Lockdown ab März 2020 viele Menschen auf Online-Shopping umgestiegen sind. Sei es Kleidung, Elektronisches Zubehör oder Büroartikel; von Socken bis zu Wohnungseinrichtungen, über Bleistifte und Spielzeug: Von allem war etwas dabei. Während der Paketversand boomte, gingen Brief- und Werbepost zurück. Auch Geschäftspost hatte abgenommen, da viele Unternehmen auf Homeoffice umgestellt hatten und versuchten, diese elektronisch zu verschicken.

Im Jahr 2020 schrieb die Österreichische Post AG einen neuen Mengenrekord, rund 165 Millionen Pakete wurden in ganz Österreich befördert und zugestellt, das sind 30 Prozent mehr als im Vorjahr. Im Dezember, kurz vor Weihnachten, wurden zwar die Geschäfte für wenige Wochen wieder geöffnet und der Ansturm war sehr groß, doch viele bestellten Geschenke weiterhin online oder verschickten sie an Familienmitglieder, da eine gemeinsame Feier durch den Lockdown nicht möglich war. So stieg die Anzahl der Pakete täglich. An nur einem Tag wurden rund 1,3 Millionen Pakete transportiert. So kam es auch zu längeren Zustellzeiten, da der Druck massiv gestiegen ist. Nicht alle Kund*innen hatten Verständnis dafür. Solch eine Auseinandersetzung musste ich einmal in einer überfüllten Postfiliale miterleben, bis ein Kunde dazwischenging und der Dame erklärte, dass ihre Enkelkinder auch nach Weihnachten an den Geschenken Freude finden würden.

Um die Zustellung möglichst sicher zu gestalten, wurden die Postler*innen dazu aufgefordert, die Haupteingangstürgriffe zu desinfizieren, bevor sie diese angreifen. Um den Kontakt mit den Kund*innen zu reduzieren, wurde die kontaktlose Zustellung eingeführt. Die Postler*innen stellten das Paket vor die Tür, klingelten, gingen zurück und warteten, bis der Kunde oder die Kundin aufmachte. Eine Unterschrift wurde nicht verlangt.

Im ganzen Gebäude der Postfiliale, so auch im Raum, in dem wir sitzen, hängen Schilder mit der maximalen Personenanzahl und anderen Anweisungen, um an die Regeln zu erinnern.

„Wir haben es hier in der Basis geschafft, keinen einzigen Corona-Fall zu haben“, sagt Christopher, der mir im karierten Hemd gegenübersitzt, zwischen uns ein Schreibtisch. In anderen Städten und Stellen wurden im Mai 2020 hohe Corona-Infektionszahlen festgestellt, wie im Post-Logistikzentrum Hagenbrunn und im Verteilerzentrum Inzersdorf in Wien-Liesing. Das Österreichische Bundesheer und Zivilbedienstete mussten zur Unterstützung einrücken.

Christopher ist Familienvater, so gab es für seine Kinder auch gewisse Veränderungen im Schulalltag. Da er und seine Frau arbeiten gehen mussten, war es möglich, die Kinder weiterhin in Betreuung zu schicken, jedoch waren weniger Kinder vor Ort. Der harte Lockdown fiel Christopher schwer, da die privaten Kontakte eingeschränkt werden mussten und er seiner sportlichen Aktivität nicht nachgehen konnte. „Wir sind ein Sportler-Postamt und mit Fußball verbandelt“, erzählt er und führt aus, wie sehr ihm das Training mit seinem Teamkollegen abgeht, das nur kurz im Sommer 2020 wieder möglich war.

„Egal ob kalt oder warm, ob es schneit oder regnet, ob Corona ist oder nicht: Wir gehen arbeiten. Das liegt uns im Blut.“

„Ich finde, mehr Transparenz von der Regierung wäre gut. Aber auch Toleranz der Regierung gegenüber, denn keiner hat eine Ahnung, wie es sich entwickelt“, sagt Christopher. „‚Die nächsten zwei Wochen sind entscheidend’ haben wir ein Jahr lang oft gehört. Anstatt so zu tun, als ob nach dem Lockdown alles normal wäre, wäre es vielleicht besser gewesen, ehrlich zu sein. Eine Pandemie kann ein bis drei Jahre dauern, steht auf Wikipedia“, sagt Christopher zum Abschluss.

Mit mehr Transparenz hätten die Menschen sich besser auf die Situation einstellen können. Das ist auch etwas, was meine Mama immer wieder bemängelt hat: Sich jede Woche auf eine neue Situation einzustellen und neu zu organisieren, ist nicht einfach und verlangt einem extrem viel Energie ab.

„‚Die nächsten zwei Wochen sind entscheidend‘ haben wir ein Jahr lang oft gehört. Anstatt so zu tun, als ob nach dem Lockdown alles normal wäre, wäre es vielleicht besser gewesen, ehrlich zu sein. Eine Pandemie kann ein bis drei Jahre dauern, steht auf Wikipedia.“


Vesna, 42
Abteilungshelferin im Spital

Mein Onkel hat mir Vesnas Nummer geschickt. Er kennt sie jedoch nicht persönlich, denn er arbeitet in einer anderen Abteilung im Spital. Ich rufe an, und wir verabreden uns für ein Telefongespräch am nächsten Tag, in der ersten Maiwoche.

Vesna arbeitet seit 2007 im Spital. In den ersten drei Jahren war sie als Reinigungskraft beschäftigt und vor allem für die Ärztezimmer verantwortlich. Nun ist sie Abteilungshelferin und kümmert sich um die Verteilung des Essens an die Patient*innen, den Wechsel der Bettwäsche und die Desinfektion des Pflegematerials. „Früher gab es keine Abteilungshelfer*innen, alles hat die Reinigungskraft gemacht. Irgendwann wurde es dann aufgeteilt“, sagt Vesna. Sie arbeitet Vollzeit, von 7 bis 18 Uhr, öfters auch an Feiertagen und Wochenenden, und hat je nach Dienstplan an unterschiedlichen Tagen frei.

Ab März 2020 wurden Vesna und ihren Kolleg*innen neue Aufgaben zugeteilt: Sie waren zuständig für die Reinigung und Desinfektion der Covid-19-Ambulanz. Dort wurden anfangs Patient*innen mit Verdacht auf Covid-19 mit PCR-Tests getestet. Im Herbst 2020 wurde die Teststation ausgebaut, mehrere Container kamen dazu, um das ganze Krankenhauspersonal und alle Patient*innen regelmäßig mit Schnelltests testen zu können. Siebenmal am Tag reinigt Vesna mit ihren Kolleg*innen die Covid-Teststation: Oberflächen werden desinfiziert, der Müll wird ausgeleert und wenn notwendig Material nachgefüllt. Dann wird das Reinigungspersonal bestellt, um sich die Böden vorzunehmen. „Ohne Reinigungsdamen kann ein Spital nicht funktionieren“, sagt Vesna. Die Zusammenarbeit mit dem Reinigungspersonal ist im vergangenen Jahr intensiver geworden.

Für das Betreten der Teststation gibt es eigene Regeln. Vesna muss einen Schutzanzug und zwei Paar Handschuhe übereinander anziehen. Bevor es genug FFP2-Masken gab, musste sie zwei Mund-Nasen-Schutzmasken übereinander aufsetzen. „Die Schutzkleidung richtig anzuziehen und auszuziehen war sehr wichtig, wir haben uns Zeit gelassen. Aber die Angst war immer da. Mein Mann ist Risikopatient“, erzählt Vesna. Um das Coronavirus keinesfalls mit nach Hause zu nehmen, entwickelte sie ihre eigene Schutzmaßnahme. „Zu Hause habe ich mein Gewand beim Eingang ausgezogen und dann gleich gewaschen“, sagt sie.

„Früher hatten wir viel Spaß, wir haben auf der Station zusammen gelacht. Jetzt hat jeder Angst vor jedem.“

Es kam nicht selten vor, dass Patient*innen positiv getestet wurden. Diese wurden in ein anderes Krankenhaus mit Covid-19-Station verlegt. In solch einem Fall wurde Vesna sofort verständigt. Die Wege, die der Patient vom Bett aus hätte gehen können, wurden nachverfolgt und anschließend das Zimmer gut gelüftet, alles gereinigt und desinfiziert: von der Kloschüssel bis hin zu Türklinke und Lichtschalter. „Die Arbeit ist irgendwie mehr geworden. Es ist psychisch stressiger, nicht so wie früher“, sagt Vesna und wird kurz still. „Früher hatten wir viel Spaß, wir haben auf der Station zusammen gelacht. Jetzt hat jeder Angst vor jedem.“

Immer wieder fällt Personal aus, entweder weil die Betroffenen selbst mit Corona infiziert wurden oder Kontaktperson waren. Vesna war bisher dreimal in Quarantäne, letztes Mal im April 2021, da ihr Mann an Corona erkrankte. „Der Verlauf seiner Krankheit war schwer, er hatte elf Tage hohes Fieber. Er hatte schon einen Impftermin, jetzt muss er sechs bis acht Monate warten“, sagt Vesna. Sie wurde bereits im Jänner 2021 geimpft, mit allen ihren Kolleg*innen. „In Quarantäne zu sein, ist eine Belastung, vor allem beim ersten Mal. Meine Chefin und ich hatten die Gesundheits-Hotline 1450 angerufen. Sie waren überlastet und sind mich erst drei Tage später testen gekommen. Die Was-wäre-wenn-Gedanken haben mich fertiggemacht“, erzählt sie. Was sich auch an ihrer Arbeit veränderte, war, dass es Besucher*innen eine lange Zeit nicht gestattet war, ihre Angehörigen im Krankenhaus zu besuchen. „Ich fand es gut, wir konnten uns besser auf unsere Arbeit konzentrieren, und die Patient*innen konnten sich besser regenerieren“, sagt sie. Sowohl das Pflegepersonal als auch die Abteilungshelfer*innen sprechen jetzt mehr mit den Patient*innen, um ihnen die Einsamkeit zu nehmen.

Wenn es Vesna mal zu viel wird, geht sie im Wald spazieren. „Ich tanke Kraft und Energie für alles Weitere, sammle Pilze und bringe etwas zum Essen nach Hause. Ich musste das letztes Jahr öfters machen“, verrät sie mir.

Vesna ist mit ihren zwei Töchtern und ihrem Mann in Österreich, doch ihre Großfamilie lebt in Kroatien. Normalerweise fährt sie mehrmals im Jahr auf Besuch. „Ich mache mir große Sorgen um sie, meine Eltern sind schon sehr alt. Ohne das Internet wäre es nicht zu ertragen“, erzählt sie.

Im Sommer 2020 wurden die Grenzen geöffnet, und Vesna besuchte ihre Familie, doch sie musste auch Urlaub für die Quarantäne miteinberechnen, bevor sie ihre Arbeit im Krankenhaus wiederaufnehmen konnte. Die Feiertage zu Weihnachten fielen ihr besonders schwer. „Ich bin seit dem Jahr 2000 in Wien, und das waren meine ersten Weihnachten hier. Na, es war schon schön mit den Kindern, aber am Abend habe ich geweint, weil ich meine Familie vermisst habe“, erzählt sie. Mit der Impfung hätte Vesna zwar nach Kroatien ausreisen, aber nicht nach Österreich einreisen können, ohne in Quarantäne zu gehen. Da sind die Regelungen sehr unterschiedlich.

„Von der Politik kam nur wenig Unterstützung, wir haben nur 350 Euro Zuschlag bekommen“, erzählt sie. Vesna ist im Betriebsrat und spricht viel mit den Kollegen*innen in den anderen Abteilungen. „Bei allen ist die Arbeit nicht weniger geworden. Ich sehe auch die Arbeit der Reinigungsdamen. Manche haben gute Ausbildungen, aber ihnen fehlt die Sprache und die Möglichkeit, sich fortzubilden“, sagt sie, denn auch für sie war es nicht einfach. „Die Sprache lernte ich durch die Arbeit, denn Sprachkurse gab es keine“, erzählt sie.

Ihr ging es genauso wie meiner Oma, die jung nach Österreich zu ihrem Mann kam und sich Deutsch erst durch den Umgang mit Menschen aneignete.

„Ohne Reinigungsdamen kann ein Spital nicht funktionieren.“

Das Monatseinkommen unserer Systemheld*innen

Durchschnittliches Einkommen, Angaben netto. Ausgerechnet jene Gruppen, in denen der Frauenanteil am höchsten ist, verdienen in als „systemrelevant“ eingestuften Berufsgruppen im Schnitt weniger als der Durchschnitt in Österreich.


Quelle: AK, Arbeitsbedingungen in systemrelevanten Berufen / Momentum Institut

KOMMENTAR
İnci Ardıç – Psychotherapeutin in Privatpraxis
und Lektorin an der Sigmund-Freud-Universität, Wien

Noch nie mussten wir uns so sehr mit Unsicherheiten auseinandersetzen wie während dieser Pandemie. Bei vielen Menschen führte das zu Stressreaktionen: Gereiztheit, Schlafstörungen, Kopfschmerzen und vieles andere mehr sind körperliche Symptome davon, die sich auf die Leistungsfähigkeit und das mentale Wohlbefinden auswirken. Doch bei einigen Menschen kommt noch die Migrationserfahrung als Stressfaktor dazu.

Als Psychotherapeutin habe ich viele Jahre in einem psychosozialen Gesundheitsinstitut in Wien gearbeitet, hauptsächlich mit Frauen mit Migrationshintergrund. Minderheitsgruppen sind oft mit komplexen Traumata, körperlicher und psychischer Gewalt und sozioökonomischen Problemen konfrontiert, wie zum Beispiel sprachlichen und bürokratischen Barrieren, Arbeitslosigkeit, reduzierte soziale Unterstützung, Krise der Identität und der Zugehörigkeit. Durch Covid-19 kamen bereits existierende finanzielle Schwierigkeiten, frühere Traumata und emotionale Verletzlichkeit an die Oberfläche und vervielfachten die Frustration und Angst vor dem Ungewissen.

Wenn dieser Stress schlecht verarbeitet wird, führt er zu einer dauerhaften emotionalen Belastung, begleitet von vielen psychosomatischen Symptomen, denen ich bei meinen Klient*innen begegne. Auch die kollektive Zugehörigkeit litt unter der Pandemie. Wichtige Rituale, kulturelle Zusammenkünfte fielen aus, der Sinn für Solidarität und Gemeinschaft ist unter der Bevölkerung mit Migrationserfahrung höher und tiefer mit dem Identitätsgefühl verbunden. Die soziale Distanzierung war somit eine der größten Schwierigkeiten. Familien sind es gewohnt, regelmäßig zusammenzukommen, das wird von den Älteren wie auch von den Jüngeren erwartet. Durch die gesellschaftliche Veränderung in der Zeit der Pandemie fühlten sich viele Ältere verlassen. Die jüngere Generation erlebte einen Konflikt zwischen Verantwortungsbewusstsein und Schuldgefühlen. Die jungen Menschen wollten die Älteren vor dem Virus schützen und sahen sich mit beleidigten, enttäuschten Großeltern konfrontiert. Ein weiteres bedeutendes Problem betraf die Mütter, egal ob alleinstehend oder mit Partner, egal ob berufstätig oder nicht. Die Kinderbetreuung wird in solchen Communitys auf verschiedene Familienmitglieder aufgeteilt, da blieb das Familienbetreuungssystem aus. Es entstanden organisatorische Herausforderungen, und das Gefühl des Verlassenseins kam auf. Besonders für alleinerziehende Mütter war die soziale Distanzierung ein großes Problem, sie sahen sich mit Hilflosigkeit und, in Bezug auf das Distance Learning der Kinder, dem Gefühl der Begrenztheit konfrontiert. Dies war darauf zurückzuführen, dass sie arbeiten mussten und ihnen die Unterstützung fehlte, oder ihre sprachlichen Kenntnisse und ihr Bildungsabschluss nicht ausreichten, um den schulischen Anforderungen der Kinder gerecht zu werden. Für viele Familien mit Migrationserfahrung ist Bildung der zukünftigen Generation ein wichtiges Thema. Sowohl das Home Schooling als auch die Unvorhersehbarkeit der Schulöffnung bedeutete für Alleinerzieher*innen zusätzlichen Stress und Sorge um die Zukunft der Kinder und Jugendlichen.

Bei den jüngeren Generationen sah ich, dass sich durch die geringen Möglichkeiten, sich mit Gleichaltrigen zu treffen, Geburtstage zu feiern oder einfach Zeit mit Freund*innen zu verbringen, ein Gefühl der Perspektivenlosigkeit einstellte. Oft kamen Phrasen wie „kein Leben haben“ von meinen jüngeren Klient*innen. Sie fühlten sich einsam und „anders“ als ihre Eltern. Dies wurde durch die intensive Zeit zu Hause verstärkt. Zwei Generationen – die einen, die in Österreich geboren wurden, und jene, die im Ausland aufgewachsen waren – teilten sich einen Haushalt. Oft auf sehr engem Raum, wo Privatsphäre nicht ausreichend Platz hat. Es kam zu Konflikten und Konfrontationen mit der eigenen Identität, ohne das Umfeld verlassen und in einen Austausch mit anderen kommen zu können. Der Familie gegenüber kamen Gefühle des Nicht-verstanden-Seins hoch. Dies verstärkt gewisse Aspekte der Identitätskrise. Dies ist nur ein kleiner Ausschnitt, der auf meinen eigenen Erfahrungen basiert. Es gibt so viel mehr zu erforschen, welche weiteren psychologischen Auswirkungen Covid-19 mit sich gebracht hat. Dies ist sehr komplex und müsste über Jahre hin untersucht werden.


Aynur, 40
Heimhelferin

Aynur und ich treffen uns auf Zoom. In den ersten zehn Minuten versuchen wir die technischen Schwierigkeiten zu überwinden: Zuerst hört sie mich nicht, dann sehe ich sie nicht, dann höre ich sie stockend. Bis irgendwann alles funktioniert.

Die Begeisterung für den Gesundheitsbereich packte Aynur, als sie ihre Schwester beim Lernen für die Krankenschwesternausbildung abprüfte. Dadurch inspiriert, hat sie diese Ausbildung selbst angefangen, konnte sie durch ihre Scheidung und den finanziellen Engpass aber nicht ganz abschließen. Doch die Ausbildungsjahre wurden ihr als Heimhelferin angerechnet. Seit sechs Jahren arbeitet sie nun in der niederösterreichischen Hauptstadt St. Pölten und deren Umgebung in diesem Beruf.

Als Heimhelferin besucht Aynur fünf bis zwölf Kund*innen am Tag. Sie betreut sie, kümmert sich um ihre Körperpflege und Hygiene, richtet ihnen das Essen her und unterstützt sie bei der Messung des Blutdrucks. Einige Kund*innen begleitet sie in die Apotheke oder zum Arzt. Mit anderen geht sie in den Supermarkt. Meist werden die Besuche kurz gehalten, doch „manchmal muss ich länger bleiben, weil es dem Kunden oder der Kundin nicht gut geht, oder weil die Rettung geholt werden muss“, erzählt Aynur.

In der Arbeit ist sie immer mit Handschuhen, Schutzanzug und Desinfektionsmitteln ausgestattet. Seit März 2020 kam die Mund-Nasen-Schutz-Pflicht dazu. Die Kommunikation mit den Kund*innen wurde schwieriger, da die meisten in diesem Alter unter Hörschwierigkeiten leiden. Außerdem können sie keine Emotionen aus der Mimik mehr ablesen. „Wenn ich unter der Maske lächle, wissen die Kund*innen es gar nicht. Die Freude geht verloren“, erzählt Aynur.

Im Jahr 2020 wurden von der Heimhilfe zwischen 450 und 500 Kund*innen in St. Pölten und Umgebung betreut. Die Anzahl der Besuche pro Kund*in ist davon abhängig, was sich Familie oder Kund*in selber leisten können. Der Selbstbehalt und die Förderung werden individuell berechnet. Unterschiedliche Faktoren, wie zum Beispiel Pflegegrad und Familieneinkommen, spielen dabei mit. „Manche werden dreimal am Tag besucht, andere nur einmal die Woche, obwohl ich mir denke, da müsste ich öfters hingehen“, teilt mir Aynur mit.

„Wenn ich unter der Maske lächle, wissen die Kund*innen es gar nicht. Die Freude geht verloren.“

Die Einteilung, wohin Aynur und ihre Kolleg*innen fahren und welche Kund*innen sie besuchen, wird von der Leitung gemacht. Während ein Team im Norden unterwegs ist, fährt ein anderes in den Süden der Stadt. „Heute Abend zum Beispiel gehe ich zu einer Kundin, die ich lange nicht gesehen habe, bisher wurden andere Kolleg*innen eingeteilt, sich um sie zu kümmern. Ich freu mich schon. Ob sie sich wohl an mich erinnert?“, fragt sich Aynur und lächelt.

Für die Besuche wird ihr ein Dienstauto zur Verfügung gestellt. „Als alleinerziehende Mutter könnte ich mir kein eigenes Auto leisten“, sagt sie.

Was Aynur sich wünschen würde, wäre beispielsweise eine Unterstützung für die Kinderbetreuung, das wäre auch eine finanzielle Entlastung. Bisher hatte sie immer auf die Hilfe ihrer Familie zurückgegriffen, die nun während der Pandemie ausblieb. „Ich hätte nicht gewusst, was ich tun sollte, wenn mein Sohn krank geworden wäre“, sagt sie.

Aynur musste während der Pandemie durchgehend ihre Eltern, die zur Risikogruppe gehören, unterstützen. Einkäufe und Medikamente legte sie vor der Tür ab. Auch für ihre Schwestern war sie eine Stütze, als eine von ihnen in Quarantäne war.

„Ich habe große Angst davor gehabt, mich oder meine Kund*innen mit Covid-19 anzustecken“, sagt Aynur. Daher zog sie sich im Privatleben zurück. Normalerweise besucht sie regelmäßig ihre Eltern und trifft sich mit ihren Schwestern. Doch das blieb nun aus. Ihrem 13-jährigen Sohn ist die Lage bewusst. „Mein Sohn zeigt sich solidarisch und schränkt sich ein, er ging anfangs nicht einmal in den Park, wenn die Nachbarskinder anklopften“, erzählt Aynur. „Er vereinsamte, denn auch das In-die-Schule-Gehen ist lange ausgefallen.“

Die Vereinsamung sah sie auch bei ihren Kund*innen. Viele wurden von ihren Angehörigen nicht mehr besucht, sie gingen auch nicht mehr mit ihren Freund*innen ins Café. „Meine Kolleg*innen und ich waren für viele die einzige Kontaktperson. Zur Außenwelt haben sie keinen Kontakt gehabt. Sie waren wie eingesperrt“, sagt Aynur und ergänzt: „Und runde Geburtstage fielen einfach aus.“ Durch die kurzen Intervalle der Besuchstermine konnten keine intensiven Gespräche stattfinden. „Bei jedem Besuch wurde ich mit Freude empfangen. Ich hatte leider nur eine bestimmte Zeit, die manchmal zu kurz war, weil ich zum nächsten Kunden fahren musste. Das ist für mich sehr traurig“, sagt sie.

Vielen Menschen ist nicht bekannt, dass Heimhelfer*innen Schwerarbeit leisten. Sie betreuen beispielsweise Menschen mit Seitenlähmungen, müssen diese dabei unterstützen, in die Dusche zu kommen oder vom Bett in den Rollstuhl zu rutschen. Wird eine komplette Übernahme dieser Tätigkeiten nötig, dann kommt eine andere Berufsgruppe, wie z.B. Pflegeassistent*innen oder diplomierte Gesundheits- und Krankenpfleger*innen, zum Einsatz. Selbst wenn in der Ausbildung alle Griffe gelernt und geübt werden, hinterlässt diese Arbeit am eigenen Körper Spuren. Mit zunehmendem Alter wird es immer schwieriger. „Ein Körper kann sehr schwer sein. Besser wäre es, wenn immer zwei Kolleg*innen gemeinsam zum Einsatz fahren, es wäre aber wahrscheinlich zu teuer“, sagt Aynur. Sie würde sich mehr Kolleg*innen wünschen, um diesen sozialen Beruf wieder sozial ausüben zu können, um sich mehr Zeit für die Kund*innen nehmen und ihnen zuhören zu können. „In meinem Team sind fast nur Frauen. Ich würde mich freuen, wenn auch Männer diesen Beruf ausüben würden“, spricht Aynur einen weiteren Punkt an. Aynur ist seit einem Jahr Betriebsrätin und engagiert sich für ihre Kolleg*innen.

„Ich würde mich freuen, wenn auch Männer diesen Beruf ausüben würden.“

Während des Gesprächs fällt mir auf, wie zurückhaltend Aynur ist, aber auch welche Liebe sie für ihren Beruf hat. Wir tauschen uns noch über unsere Migrationserfahrungen aus, sie kam als Kind nach Österreich und baute sich hier ein neues Leben auf. Ich war nur ein paar Jahre älter, als meine Familie immigrierte.

„Ich denke mir: Hoffentlich werde ich mir so eine Heimhilfe leisten können, wenn ich alt bin“, sagt sie bei der Verabschiedung. Ich komme ins Grübeln, denn wahrscheinlich werde ich mir auch keine leisten können.

Anteil an Beschäftigten, die nicht glauben, von ihrer Pension später leben zu können, je nach Einkommenshöhe

Die niedrige Entlohnung und brüchigere soziale Absicherung in vielen der „systemrelevanten“ Berufe haben natürlich Auswirkungen auf die spätere Pension und die Armutsgefährdung im Alter. Armutsgefährdung trifft aber auch migrantische Beschäftigte häufiger als Beschäftigte ohne Migrationshintergrund, zum Teil sogar innerhalb derselben Berufsgruppe.


Quelle: Arbeiterkammer Wien, SORA – Institute for Social Research and Consulting, April 2020

Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.

₺586,81

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Hacim:
140 s. 34 illüstrasyon
ISBN:
9783701182213
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre