Kitabı oku: «Stress bei Hunden»
MARTINA SCHOLZ
CLARISSA v. REINHARDT
© animal learn Verlag, Bernau, 2012
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung, Verbreitung und Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werks darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
ISBN-10: 3-936188-04-1
ISBN-13: 978-3-936188-04-2
Lektorat: Susanne Artmann
Fotos: Clarissa v. Reinhardt, Annette Gevatter, Anke Trobisch,
Frank Bressel, Das Fotoarchiv, istockphoto
Illustrationen: Martina Scholz, Stefan Dinter
Satz & Layout: Annette Gevatter
Alle Rechte der deutschen Ausgabe:
animal learn Verlag, Am Anger 36, 83233 Bernau
email: animal.learn@t-online.de, www.animal-learn.de
eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
INHALT
Vorwort
Einleitung
Definition des Begriffs Stress
Die Physiologie des Stresses
Warum das Thema Stress so wichtig ist
Stress-Symptome
Stress auslösende Faktoren
Umfrage zu den Lebensbedingungen von Hunden und zu Stress-Symptomen
Das Anti-Stress-Programm (ASP)
Dank
Literaturhinweise/ Quellennachweise
Stichwortverzeichnis
VORWORT ZUR NEUEN AUFLAGE
Liebe Leserin, lieber Leser,
Die erste Ausgabe dieses Buches erschien 2002. Es war damals das erste Buch weltweit, das sich mit Stress bei Hunden beschäftigte und wir stießen anfangs häufig auf ungläubige Reaktionen, wenn wir über dieses Thema sprachen, denn kaum jemandem war bekannt, dass auch Tiere Stress haben können.
Inzwischen ist Fachleuten wie Laien klar geworden, dass jedes Lebewesen überfordert und somit gestresst werden kann. Auf Stress-Symptome unserer Haustiere wird deutlich mehr geachtet und man bemüht sich stärker, nach belastenden Situationen oder aufregenden Tagesaktivitäten wieder gezielt für Ruhephasen zu sorgen, in denen sich das Tier regenerieren kann.
Mancher hat es damit aber auch übertrieben und für so wenig Neureize und so viele Ruhephasen im Leben seines Hundes gesorgt, dass dieser gelangweilt wurde – oder sogar gestresst vom ewigen Nichtstun! So erreichte uns zum Beispiel ein Anruf von einer verzweifelten Hundehalterin, die von ihren Trainern die Anweisung bekommen hatte, ihren 1,5-jährigen Border Collie nicht länger als 15 Minuten spazieren zu führen, weil dieser sonst nur unnötig gestresst werde. Das Ergebnis war ein völlig unterforderter Hund, der aus lauter Langeweile und mangelnder Auslastung begonnen hatte, Möbel anzufressen, Lichtpunkte zu verbellen, übermäßig auf Geräusche von draußen zu reagieren usw.
In anderen Fällen wurden wir mit völlig überforderten Hunden konfrontiert, deren Stundenplan dem eines Spitzensportlers glich und sie derart überforderte, dass sie mit ähnlichen Verhaltensweisen reagierten.
Wie so oft liegt das richtige Maß in der sprichwörtlichen „goldenen Mitte“. Ein Leben ganz ohne Aufregung wünscht sich sicher niemand – auch nicht unser Hund –, denn es wäre ein furchtbar eintöniges Leben. Ein Hund braucht, ebenso wie sein Mensch, Beschäftigung, Auslastung und die Möglichkeit, Neureize zu erkunden. Nur eben nicht in übertriebenem Maße. Wir hoffen, mit dieser überarbeiteten Neuauflage unseres Buches Hinweise darauf zu geben, wo für Sie und Ihren vierbeinigen Begleiter diese goldene Mitte zwischen Auslastung und Überlastung liegt.
Martina Scholz und Clarissa v. Reinhardt
Bernau, Februar 2012
VORWORT
Liebe Leserin, lieber Leser,
mit diesem Buch halten Sie etwas Besonderes in den Händen. Es ist eine ausführliche Arbeit über Stress bei unseren Haushunden, wie ich sie nirgendwo sonst gefunden habe.
Die Autorinnen verfügen über langjährige Erfahrung in der Ausbildung von Hunden. Durch ihr umfassendes Wissen über Hunde und über Stress im Speziellen haben sie es geschafft, sowohl die physiologischen als auch die psychologischen Aspekte des Themas leicht verständlich darzustellen. Sie haben eine sorgfältig ausgearbeitete Liste der Stressfaktoren zusammengestellt, die Ihnen Hinweise darauf gibt, welche Ereignisse Ihren Hund mehr oder weniger stark beeinflussen können. Jeder Faktor für sich genommen wird wahrscheinlich nur einen kleinen Effekt haben, wenn aber mehrere dieser Stressfaktoren zusammenkommen, kann es für die Gesundheit und Psyche Ihres Hundes gefährlich werden.
Dieses Buch vermittelt Ihnen weiterhin Wissen über verschiedene Stress-Symptome – eine wichtige Übersicht, um das Verhalten Ihres Hundes besser analysieren zu können. Viele, wenn nicht alle Verhaltensprobleme sind mehr oder weniger auf Stress zurückzuführen. Wenn Sie wissen, dass ein bestimmtes Verhalten mit Stress zu tun hat, ist es für Sie einfacher, die Stressauslöser zu finden. Und wenn Sie diese gefunden haben, gibt Ihnen dieses Buch Anregungen für die Ausarbeitung eines Anti-Stress-Programms, dem Sie folgen können!
Gleichzeitig ist es den Autorinnen gelungen, auch den wissenschaftlichen Ansatz des Themas so zu erklären, dass selbst komplexe Zusammenhänge deutlich werden. Das macht es leicht, mit diesem Buch aktiv zu arbeiten. Zusätzlich helfen zahlreiche Fallbeispiele aus dem Trainingsalltag zu verstehen, was wann wie und warum getan werden kann, wenn ein Hund unter Stress leidet.
Dieses Buch wird Ihnen viele nützliche Hinweise geben. Es wird Ihnen helfen, besser zu erkennen, was bei Ihrem Hund Stress verursacht und was Sie dagegen tun können. Es birgt einen reichen Schatz an Erfahrungen – machen Sie ihn sich zunutze!
Anders Hallgren
Psychologe und Verhaltenstherapeut für Tiere
Schweden im Dezember 2002
EINLEITUNG
Das Thema Stress ist aus der Humanmedizin und -psychologie schon lange nicht mehr wegzudenken. Wissenschaftliche Studien haben bewiesen, dass Stress zu gesundheitlichen Problemen führt, unsere zwischenmenschlichen Beziehungen belastet und uns unausgeglichen, gereizt und aggressiv gegenüber unserer Umwelt macht.
Das Leben in einer hoch technisierten, stark denaturierten Zivilisation stresst aber nicht nur uns Menschen, sondern auch unsere Hunde. Die heutigen Haltungsbedingungen verlangen viel von ihnen: Den Straßenverkehr mit immensem Geräuschpegel sollen sie meistern, das Rudeltier Hund soll stundenlang allein zu Hause bleiben und dann beim Spaziergang im öffentlichen Park durch gutes Sozialverhalten gegenüber allen Artgenossen und Menschen glänzen. Hunde sollen möglichst überallhin mitgenommen werden können, egal ob in ein Kaufhaus, ein Restaurant oder mitten in die Enge einer überfüllten U-Bahn. Sie sollen uns Menschen auf Spaziergängen im Wald begleiten, sich aber keinesfalls für Wild interessieren. Artig zu – auch fremden – Besuchern sein, aber Einbrecher verjagen. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.
Auch die zunehmenden Reglementierungen durch Gesetzesvorgaben machen es unseren Hunden nicht leichter. In manchen Bundesländern ist es kaum noch möglich, sie einmal nach Herzenslust toben und sausen zu lassen, weil Herrchen und Frauchen durch die Verordnung zum Leinenzwang nicht mehr als wenige Meter Freiraum gewähren können. Uns Menschen wird empfohlen, bei zunehmendem Stress durch Joggen oder andere sportliche Aktivitäten mal richtig Dampf abzulassen! Was ist mit unseren Hunden? Wohl dem, der wenigstens einen großen Garten hat…
Zusätzlich müssen auch die meisten Hunde mit deutlich mehr Anfeindungen aus der Umwelt zurechtkommen. Wird man während eines Spaziergangs ausgesprochen unfreundlich angesprochen, so bekommt der Hund dies über die Stimmungsübertragung sehr wohl auch zu spüren und bleibt davon sicher nicht unbelastet. Besonders Halter von so genannten Kampfhundrassen (oder was manche Menschen dafür halten mögen…) oder von großen, schwarzen Hunden bemerken immer öfter, dass nicht nur sie, sondern auch ihr Hund von jedem Gassigang gestresst, statt erholt und zufrieden zurückkommt.
Die Annahme, dass all dies an unseren Hunden spurlos vorübergeht, ist unrealistisch. Betrachtet man ihr Leben, lassen sich tatsächlich viele Gründe dafür finden, dass sie gestresst sein könnten und auch wenn jeder Organismus ein gewisses Maß an Stress problemlos kompensieren kann, ist es sicher an der Zeit darüber nachzudenken, ob dieses Maß für unsere Haushunde nicht längst überschritten ist.
Das Thema wurde in Bezug auf unsere vierbeinigen Begleiter lange Zeit unterschätzt. Erst in den letzten Jahren wurde ernsthaft darüber nachgedacht, wie viel Stress ein Hund eigentlich ertragen kann, bevor es zu überschießenden Reaktionen oder gesundheitlichen Problemen kommt. Und bisher wurde kaum über Stress bei Hunden oder anderen Haustieren geforscht. Aber was tun? Alle Hunde abschaffen, weil sie nur noch als gestresste Nervenbündel herumlaufen und wir ihnen das nicht zumuten wollen? Sicher nicht!
Durch die bewusste Auseinandersetzung mit dem Thema ist der erste Schritt zur Veränderung schon getan. Wenn wir erkennen, wann und weshalb unser Hund gestresst ist, können wir Konfliktsituationen entschärfen oder sie gar nicht erst aufkommen lassen. Hierzu möchten wir mit diesem Buch einen Beitrag leisten.
DEFINITION DES BEGRIFFS STRESS
Beschäftigt man sich mit dem Thema, so muss zunächst definiert werden, was Stress überhaupt ist. In dem medizinischen Fachlexikon Pschyrembel findet sich folgende Definition:
„Stress (engl. Druck, Belastung, Spannung) meint einen Zustand des Organismus, der durch ein spezifisches Syndrom (erhöhte Sympathikusaktivität, vermehrte Ausschüttung von Katecholaminen, Blutdrucksteigerung u.a.) gekennzeichnet ist, jedoch durch verschiedenartige unspezifische Reize (Infektionen, Verletzungen, Verbrennungen, Strahleneinwirkung, aber auch Ärger, Freude, Leistungsdruck und andere Stressfaktoren) ausgelöst werden kann. Unter Stress kann man auch die äußeren Einwirkungen selbst verstehen, an die der Körper nicht in genügender Weise adaptiert ist. Psychischer Stress entsteht in Folge einer Diskrepanz zwischen spezifischen Anforderungen und subjektivem Bewältigungsverhalten (coping). Andauernder Stress kann zu Allgemeinreaktionen im Sinne eines allgemeinen Anpassungssyndroms führen.“
WAS IST STRESS?
Die meisten Definitionen beschreiben Stress als einen Zustand, in dem ein Organismus auf eine innere oder äußere Bedrohung reagiert und seine Kräfte darauf konzentriert, die Gefahrensituation zu bewältigen.
Demnach ist Stress also ein Sammelbegriff für eine Vielzahl unterschiedlicher Einzelphänomene, für die ein Zustand erhöhter Aktivierung des Organismus kennzeichnend ist. Im neutralen Sinne bezeichnet Stress die unspezifische Anpassung des Organismus an jede Anforderung, das heißt eine Anpassungsleistung. Die meisten Definitionen beschreiben Stress als einen Zustand, in dem ein Organismus auf eine innere oder äußere Bedrohung reagiert und seine Kräfte darauf konzentriert, die Gefahrensituation zu bewältigen. Stress hat es schon immer gegeben, und er kann aus evolutionärer Sicht als überlebenswichtige Reaktion auf Reize angesehen werden, durch die auch eine Anpassung an veränderte Umweltbedingungen erreicht wurde.
Dabei bezeichnet Stress ein ambivalentes Phänomen, für das der Stressforscher H. Selye die Unterscheidung zwischen Eustress und Distress eingeführt hat. Eustress ist eine notwendige Aktivierung des Organismus, die das Tier (oder den Menschen) zur Nutzung seiner besten Energien führt und damit auch eine Fortentwicklung eigener Fähigkeiten ermöglicht. Distress meint dagegen ein schädigendes Übermaß an Anforderungen an den Organismus. In den letzten Jahrzehnten wird der Begriff Stress vor allem im Zusammenhang mit einer Verminderung des Wohlbefindens, der Leistungsfähigkeit und der Gesundheit genannt. Mit anderen Worten: Sprach man von Stress, war praktisch immer Distress gemeint.
Stress findet seinen Ausdruck auf allen Ebenen des Organismus:
physiologisch, zum Beispiel in Schweißausbrüchen, Herzklopfen usw.
im Verhalten, zum Beispiel durch Aggressionen, Erregung oder Unruhe
im Erleben, zum Beispiel in der Bewertung des eigenen Zustands
Er kann sich in allen Lebensbereichen und Situationen und auch in allen Altersstufen manifestieren. Das Erleben von Stress und auch die vom Organismus entwickelten Bewältigungsstrategien können bei Menschen wie bei Hunden individuell verschieden sein. Erleben zum Beispiel mehrere Hunde die gleiche Situation, so kann es sein, dass einige sie gar nicht als belastend empfinden, während andere deutlich gestresst reagieren. Von denen, die gestresst reagieren, können ganz unterschiedliche Symptome und Bewältigungsstrategien gezeigt werden. In den situationsspezifischen Konzepten der Stressforschung konzentriert man sich vor allem auf die auslösenden Reizsituationen, die so genannten Stressoren.
Man unterscheidet:
Äußere Stressoren wie Überflutung der Sinnesorgane mit Reizen oder den Entzug von Reizen (Deprivation), Schmerzreize und reale oder simulierte Gefahrensituationen.
Entzug von Nahrung, Wasser, Schlaf, Bewegung, so dass primäre Bedürfnisse nicht mehr befriedigt werden können.
Leistungsstressoren, zum Beispiel Überforderung, Unterforderung, Angst vor bevorstehenden Prüfungen, Angst vor möglichem Versagen, vor Zurechtweisung oder Strafe.
Soziale Stressoren wie zum Beispiel Isolation bei der dauerhaften Ausgrenzung des Hundes aus unserem Lebensumfeld. Auch das Zusammenleben von Hunden oder von Mensch und Hund mit mangelnder Passung stresst.
Vornehmlich psychische Stressoren wie Konflikte, Unkontrollierbarkeit, Angst, Trauer, Trennungsangst und Erwartungsunsicherheit.
Innere Stressoren wie Krankheiten, Behinderungen.
Größere Veränderungen der Lebensumstände wie der Tod einer Bezugsperson, Umzug etc. können ebenso als Stressoren erfahren werden wie kleine Widrigkeiten des Alltags, wenn diese sich summieren.
Die Reaktion auf Stress kann in drei aufeinander folgende Phasen unterteilt werden:
Die AlarmreaktionsphaseIn dieser Phase führt das Zusammenspiel von Nervenimpulsen und Hormonausschüttungen zur optimalen Reaktionsbereitschaft.
Die WiderstandsphaseIn dieser zweiten Phase ist der Widerstand gegenüber dem Auslöser erhöht und gegenüber anderen Reizen herabgesetzt. Dies bedeutet, dass der Bewältigungsversuch zu Lasten der Widerstandsfähigkeit gegenüber anderen Stressoren geht.
Die ErschöpfungsphaseHält der Stress zu lange an, kann der Organismus ihm trotz der ursprünglich erfolgten Anpassung nicht mehr standhalten. Die Symptome der Alarmreaktion aus Phase 1 stellen sich wieder ein, sind jetzt aber dauerhaft. Diese anhaltende Hochspannung kann im Zusammenwirken mit anderen Risikofaktoren zur Ausbildung organischer Krankheiten und im Extremfall sogar zum Tod führen.
Nehmen wir also an, am heutigen Tag wird ein Hund im Tierheim abgegeben, weil sein Besitzer ihn nicht mehr halten kann oder will. Der Hund verliert somit nicht nur seine Bezugsperson, sondern auch sein gesamtes soziales Umfeld, die gewohnte Umgebung, seine angestammten Spazierwege, vertraute Tagesabläufe. Gleichzeitig findet er sich in einer Umgebung – dem Tierheim – wieder, die ihm fremd ist, in der er sich vollständig neu orientieren und Sicherheit aufbauen muss. In den meisten Tierheimen ist es zusätzlich ziemlich laut, der Bewegungsspielraum in den Zwingern oder Boxen ist sehr eingeschränkt, es gibt kaum Rückzugsmöglichkeiten und häufig riecht es auch streng, schon für unsere Nase. Man kann sich also leicht vorstellen, dass der Stresslevel dieses Hundes enorm steigt, der gesamte Organismus ist in Alarmreaktionsbereitschaft.
Bleibt dieser Hund nun für einige Zeit im Tierheim, gewöhnt er sich scheinbar an die Situation. Das Bellen im Hundetrakt, der Geruch, die Enge scheinen ihm nicht mehr so viel auszumachen wie anfangs. Gleichzeitig kann man aber beobachten, dass er gegenüber Artgenossen nicht mehr so gelassen und souverän reagiert, wie man es von ihm gewohnt war, und bei den Gassi-Gängen pöbelt er plötzlich Jogger und Radfahrer an, was er früher nicht getan hat. Mit anderen Worten: Der Hund befindet sich in der Widerstandsphase. Seine Toleranz gegenüber den Reizen im Tierheim ist gestiegen, dafür hat er aber weit weniger Reserven, wenn es um die Begegnung mit weiteren Anforderungen geht.
Schließlich kann es passieren, dass der Hund in die Erschöpfungsphase gerät, wenn sich über einen längeren Zeitraum keine Verbesserung seiner Lebensumstände erreichen lässt. Man liest dann traurige Meldungen wie „Der Deutsche Schäferhund Jerry ist seit Jahren im Tierheim, nun hat er alle Hoffnung verloren und gibt sich auf. Wer kann ihm helfen?“ in den Tierschutzverteilern im Internet. Diese Hilferufe für Hunde, die sich – neudeutsch ausgedrückt – im Burnout befinden, lassen erahnen, welch unglaubliche Stressbelastung sich in ihnen aufgebaut hat.
DIE PHYSIOLOGIE DES STRESSES
WAS PASSIERT EIGENTLICH IM KÖRPER, WENN MAN IN STRESS GERÄT?
Sobald der Körper in Stress gerät, werden verschiedene Hormone ausgeschüttet, die man zusammengefasst als Stresshormone bezeichnen kann. Sie verändern zahlreiche Körperfunktionen. Um diese Veränderungen besser verstehen zu können, ist es notwendig, zunächst den Normalzustand zu betrachten. Um den Normalzustand, die so genannte Homöostase aufrechtzuerhalten, gibt es im Körper verschiedene Regelkreise mit negativer Rückkoppelung. Das bedeutet: Sobald ein Hormon ausgeschüttet wird und eine bestimmte Konzentration im Blut erreicht, hemmt dieses Hormon gleichzeitig jene Faktoren, die die Ausschüttung dieses Hormons fördern. Mit anderen Worten hemmt das Hormon ab einer gewissen Konzentration seine eigene Neubildung. So wird unter Normalbedingungen erreicht, dass die Konzentration im Blut auf eine konstante Größe reguliert wird.
Für das Hormon Cortisol, das bei Stress vermehrt ausgeschüttet wird, kann man diesen Regelkreis wie folgt beschreiben: Die oberste Instanz zur Regulierung der wichtigsten Körperfunktionen, wie die Wärmeregulation, der Schlaf- Wach-Rhythmus, die Blutdruck- und Atmungsregulation, die Steuerung der Nahrungsaufnahme, des Fettstoffwechsels und des Wasserhaushalts ist der Hypothalamus, ein Teil des Zwischenhirns. Im Hypothalamus werden Botenstoffe, so genannte Hypothalamushormone gebildet und bei Bedarf ausgeschüttet. Ein solches Hormon ist das Corticotropin-Releasing-Hormon (CRH). Das vom Hypothalamus ausgeschüttete CRH wird direkt zur Hirnanhangdrüse, der Hypophyse, transportiert. In der Hypophyse wird ein weiterer Botenstoff, das Adreno-Corticotropin-Hormon (ACTH) in den Blutkreislauf abgegeben. Mit dem Blut gelangt das ACTH zur Nebennierenrinde und bewirkt dort unter anderem, dass Cortisol ausgeschüttet wird.
Grafik 1: Darstellung der negativen Rückkoppelung am Beispiel des Cortisols
Wird vermehrt Cortisol ausgeschüttet, kommt es zu dem oben erwähnten negativen Rückkoppelungsprozess, denn das ausgeschüttete Cortisol hemmt die weitere Bildung von ACTH und somit die weitere Freisetzung von Cortisol. Dies ist wichtig, damit es nicht zu einer Überproduktion von Cortisol im Körper kommt (siehe Grafik 1).
Cortisol gehört zur Gruppe der Glucocorticoide, die eine Erhöhung der Konzentration von Glucose (daher der Name GLUCO-Corticoide), Aminosäuren, freien Fettsäuren und Harnstoff im Blut bewirken. Dadurch wird für alle Körperzellen mehr Energie bereitgestellt. Gleichzeitig beeinträchtigt Cortisol die körpereigenen Abwehrkräfte, indem es die Proteinsynthese (den Eiweißaufbau) der Lymphozyten hemmt und so weniger Abwehrzellen zur Verfügung stehen. Die bekannteste Eigenschaft des Cortisols ist die entzündungshemmende Wirkung. Sie entsteht durch eine Blockade von Entzündungsbotenstoffen, der so genannten Zytokine.
Neben dem Cortisol bildet die Nebennierenrinde noch weitere Hormone. Das zu den Mineralcorticoiden gehörende Aldosteron hat durch die Regulierung der Mineralstoffe Kalium und Natrium eine wichtige Funktion im Wasserhaushalt des Organismus. In geringen Mengen werden auch von der Nebennierenrinde anabole Sexualhormone wie zum Beispiel Testosteron ausgeschüttet. Testosteron hat eine anabole, das heißt eine Muskel aufbauende Wirkung und beeinflusst auch die Psyche. Eine höhere Konzentration von Testosteron, vor allem durch die Hormonproduktion im Hoden der männlichen Tiere, steht zum Beispiel in Zusammenhang mit einer höheren Aggressionsbereitschaft, wofür es besonders im Tierreich zahlreiche Beispiele gibt.
Durch Stress wird der Normalzustand des Regelkreises verändert. Die erste Reaktion des Körpers auf Stress, sei es durch emotionale Anspannung oder durch große körperliche Anstrengung, ist die Ausschüttung von Adrenalin aus dem Nebennierenmark. Dies geschieht durch Erregung des Sympathikus, einem Teil des vegetativen Nervensystems. Die Aktivierung des Sympathikus und die damit verbundene Adrenalinfreisetzung erfolgt unbewusst und innerhalb von Sekundenbruchteilen. Sicher kennt jeder Mensch das Kribbeln und das „Rauschen des Blutes“ in den Adern, wenn man plötzlich erschrickt. Dies ist auf die Wirkung des Adrenalins zurückzuführen. Adrenalin, ein zu den Katecholaminen gehörender Botenstoff (Neurotransmitter), verursacht zahlreiche Veränderungen im Körper, wie die Steigerung der Pulsfrequenz und der Herzleistung, die Erhöhung des systolischen Blutdrucks und des Blutzuckerspiegels, die Erweiterung der Bronchien und der Pupillen sowie eine Förderung des Sauerstoffverbrauchs und eine Vermehrung der freien Fettsäuren im Blut. Außerdem wirkt Adrenalin auf die Hypophyse, wo es eine vermehrte Freisetzung des Botenstoffs ACTH verursacht, und damit indirekt auch auf die Nebennierenrinde, die vermehrt Stresshormone wie Cortisol an das Blut abgibt (siehe Grafik 2).
Grafik 2: Darstellung der Auswirkung von Stress auf den Regelkreis
Stress führt also über das endokrine System, das heißt über das Hormonsystem, zu einer Erhöhung des Blutdrucks und zu einer Steigerung der Herzleistung und -frequenz. Gleichzeitig wird durch die Hormonwirkung den Körperzellen mehr Energie in Form von Glukose und freien Fettsäuren zur Verfügung gestellt. Mit anderen Worten führt Stress zunächst zu einer optimalen Leistungsbereitschaft. Dies kann man als biologischen Sinn des Stresses bezeichnen, denn in der Natur ist es überlebenswichtig, dass der Organismus auf einen Schreck oder auf starke Anspannung mit optimaler Leistungsbereitschaft reagiert. Nur so kann sich ein Individuum zum Beispiel durch Flucht retten oder ein Beutegreifer bei der Jagd erfolgreich sein. Diese Form des Stresses kann man auch als positiven Stress oder Eustress bezeichnen.
REAKTIONEN AUF STRESS
Zunächst reagiert der Organismus auf anhaltenden Stress mit starker Erschöpfung. Wenn danach keine längere Erholungsphase möglich ist, muss mit so genannten Anpassungskrankheiten gerechnet werden.
Natürlich kann der Körper diesen Alarmzustand nicht beliebig lange aufrechterhalten und so kommt es zu negativen Auswirkungen, wenn die starke Anspannung länger anhält oder es häufig zu einer Schreck- oder Schocksituation kommt. Zunächst kommt es während der Widerstandsphase zu einer verminderten Toleranz gegenüber neuen Stressreizen. Dauert die Belastung an, reagiert der Organismus auf Stress mit starker Erschöpfung. Wenn danach keine längere Erholungsphase möglich ist, muss mit so genannten Anpassungskrankheiten gerechnet werden.
Ein Hauptverursacher der Anpassungskrankheiten ist Cortisol. Normalerweise hat Cortisol eine Halbwertzeit von 20 Minuten, das heißt, nach 20 Minuten ist der Cortisolspiegel im Blut auf die Hälfte gefallen. Tierversuche haben ergeben, dass unter Stresseinwirkungen die negative Rückkoppelung der Cortisolausschüttung nicht mehr funktioniert und so innerhalb weniger Tage vier Mal mehr Cortisol nachzuweisen war als normalerweise. Befand sich das Tier in einer Situation, die ein dauerhaftes Gefühl der Erwartungsunsicherheit und/ oder Hilflosigkeit verursachte, verstärkte sich dieser Effekt enorm. In der Humanmedizin geht man heute übrigens davon aus, dass Depressionen unter anderem auf diesen Effekt zurückzuführen sind.
In genau dieser Situation der Erwartungsunsicherheit und Hilflosigkeit befindet sich unser Hund aber tatsächlich häufig. Zum Beispiel kann er den Verlauf von Situationen, die von uns Menschen gesteuert werden, nicht einschätzen. Oft ist es zusätzlich so, dass wir die Situation nicht mit dem nötigen fachlichen Wissen erfassen und uns deshalb unangemessen verhalten. In große Erwartungsunsicherheit kann man den Hund beispielsweise stürzen, wenn man meint, ihm etwas Gutes damit zu tun, dass man ihn nicht regelmäßig füttert, sondern ihn das Futter bei unterschiedlichen Gelegenheiten ausschließlich erarbeiten lässt. Wenn für den Hund hierbei kein Muster und keine Regelmäßigkeit erkennbar sind, befindet er sich bezüglich einer überlebenswichtigen Ressource – nämlich Futter – in Erwartungsunsicherheit. Andererseits sollte man es sich auch nicht zur Gewohnheit machen, den Hund immer auf die Minute exakt zur selben Zeit zu füttern, denn Hunde haben eine sehr genaue innere Uhr. Hält man die gewohnte Zeit einmal nicht genau ein, kann auch das ein Stressauslöser sein.
Das Gefühl der Hilflosigkeit vermitteln wir unserem Hund auch dann, wenn er durch eine kurz gehaltene Leine, das Führen am Halti oder Ähnlichem daran gehindert wird, adäquat auf eine Situation zu reagieren. Der Hund möchte gern Distanz zwischen sich und den anderen bringen oder einen Bogen laufen, wird daran aber gehindert, oftmals sogar nach dem Motto „Da muss er durch!“ genau in die Situation hinein geführt, die er vermeiden möchte.
Ein dauerhaft erhöhter Cortisolspiegel im Blut führt zu einer Verminderung der körpereigenen Abwehrkräfte. Eine weitere Folge sind häufig Magen-Darm-Erkrankungen wie Magengeschwüre und chronischer Durchfall. Langfristig kann die Nebenniere stark geschädigt werden. Auch Veränderungen des Herz-Kreislauf-Systems wie Bluthochdruck, Herzinfarkt und Schlaganfall und viele weitere Krankheiten können auf anhaltenden Stress zurückgeführt werden. Ebenfalls in Zusammenhang mit dauerhaft erhöhtem Cortisolspiegel stehen Fortpflanzungsstörungen. Sowohl für das Reifen der Eizellen bei weiblichen Tieren als auch für die Produktion von Testosteron und die Entwicklung der Spermien bei männlichen Tieren ist ein Botenstoff der Hirnanhangdrüse, das so genannte luteinisierende Hormon LH, notwendig. Durch Cortisol wird die Ausschüttung von LH gehemmt und damit das Reifen von Eizellen bzw. Spermien in den Keimdrüsen (Eierstöcken beim weiblichen, Hoden beim männlichen Tier) unterdrückt. Die Probleme bei der Nachzucht von Tieren in Gefangenschaft, wie zum Beispiel im Zoo, kann man auf diesen Effekt zurückführen.
Durch das ebenfalls von der Nebennierenrinde ausgeschüttete Aldosteron kann es langfristig zu Verschiebungen im Mineralstoff- und Wasserhaushalt kommen, was sich auch durch erhöhten Blutdruck bemerkbar macht.
Hinzu kommt noch ein weiteres Problem: Ein gestresster Organismus reagiert mit geschärften Sinnen, weshalb wir, wenn wir gestresst sind, den Fernseher schnell als zu laut oder das eingeschaltete Licht im Wohnzimmer als zu grell empfinden usw. Beim Hund macht sich das dadurch bemerkbar, dass er sensibilisierter auf Geräusche, Bewegungen usw. reagiert. Und leider handelt es sich hierbei um die sprichwörtliche Katze, die sich in den Schwanz beißt, denn:
Zusammenfassend kann man feststellen, dass ein gewisses Maß an Stress sinnvoll und für die optimale Leistungsbereitschaft des Körpers sogar notwendig ist. Jeder Organismus kann Stress bis zu einem gewissen Punkt kompensieren, ohne schädliche Folgen davonzutragen. Die Frage, wo dieser Punkt liegt, ist abhängig vom Ausmaß der Stresseinwirkung. Kompensiert der Körper Stress-Situationen, das heißt, gewöhnt er sich an einen bestimmten Stresspegel, spricht man vom Anpassungssyndrom oder auch Coping.
Ist dieser Vorgang des Copings nicht mehr möglich, kommt es zu Anpassungskrankheiten wie oben beschrieben und man spricht von Distress (siehe Grafik 3).
Grafik 3: Positive und negative Folgen von Stress
In Grafik 3 wird neben den verschiedenen stressbedingten Erkrankungen eine erhöhte Aggressionsbereitschaft als mögliche Folge von Stress aufgeführt. Auch das ist auf die Hormonausschüttung zurückzuführen. Verantwortlich ist hier unter anderem das Sexualhormon Testosteron. Neuere Studien an Hunden zeigen, dass in bestimmten Stresssituationen trotz der erhöhten Cortisolausschüttung auch ein erhöhter Testosteronspiegel nachweisbar ist. Ein anschauliches Beispiel für die durch Testosteron erhöhte Aggressionsbereitschaft lässt sich bei den Tierarten finden, die eine auf wenige Wochen im Jahr beschränkte Paarungszeit haben, wie zum Beispiel Rotwild. Häufig sind es hier die Männchen, die ein oder mehrere Weibchen um sich scharen und jetzt besonders ablehnend und aggressiv auf andere Männchen reagieren. Sie sind nun ständig bereit, ihre Weibchen gegen Rivalen zu verteidigen.
Dieses Verhalten tritt nur während der Paarungszeit auf und steht in engem Zusammenhang mit dem zu dieser Zeit natürlicherweise erhöhten Hormonspiegel. Dieser Mechanismus macht es möglich, dass die männlichen Tiere außerhalb der Paarungszeit untereinander weitgehend verträglich sind und keine unnötigen Kämpfe ausfechten. Man kann hier also von einer durchaus sinnvollen Koppelung von Sexualhormonen und Aggressionsbereitschaft sprechen.
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