Kitabı oku: «Liebe würde helfen», sayfa 2
Zwei Straßen weiter gibt es eine Pizzeria. Sie bestellen zwei Pizzen zum Mitnehmen, außerdem einen Salat, Katrin würde sicher wollen, dass Tobi auch etwas Gesundes isst. Die Pizzeria ist klein, nur drei, vier Tische, ein Tresen, an der Wand ein Gemälde, ein Meeresstrand, der ihr gar nicht italienisch vorkommt, mit Hochhäusern im Hintergrund. Hinter dem Tresen ein Mann mit schütterem Haar und wachem Blick, er lächelt, hält sie wahrscheinlich für Mutter und Sohn. Sein Akzent klingt osteuropäisch, ein Pole, Ungar, Russe vielleicht. Ihn umgibt etwas Trauriges, es umschwebt ihn, umhüllt ihn, etwas wie gelassene Trauer, eine Trauer, an die man sich gewöhnt hat. Vielleicht, denkt etwas in ihr, würden seine und ihre Trauer sogar zusammenpassen, würden die Düfte ihrer Trauer sich mischen, wenn sie sich umarmen würden, wortlos.
Was denkt sie da. Sie will ihn nicht umarmen, will niemanden umarmen. Der Mann hinter dem Tresen nickt. Als hätte sie etwas gesagt. Im Lokal sitzt nur ein einziges Paar, beide sind jung und dick, haben ihre Anoraks noch an, zwei gleiche Daunenanoraks, in Rot, sie essen schnell, mit den Fingern, obwohl Besteck und Papierservietten auf dem Tisch liegen, sogar eine Blume in einer Vase steht dort, gelb. Der traurige Mann packt ihre Pizzen ein, Tobi schiebt einen Zwanziger über die Theke, besteht darauf, sie einzuladen. Sie muss mit Katrin reden, das Geld von den Klavierstunden abziehen.
In der Wohnung deckt Tobi den Küchentisch: Teller, Wassergläser, Besteck, kleine Schüsseln für den Salat, violette Servietten. Seine welpenhaften Bewegungen, sein Eifer, mit dem er ihr dabei ein Computerspiel erklärt, das sie schon von anderen Schülern kennt. Auf der Ablage steht eine Flasche Rotwein, angebrochen. Sie gießt sich ein Glas ein, trinkt, während Tobi seine Pizza zersäbelt und Bissen für Bissen in den Mund schiebt. Die Trennung hat auch etwas Gutes, denkt sie nach dem zweiten Schluck, jede Trennung, jeder Neuanfang hat etwas Gutes, so sagt man doch. Zum Beispiel geht sie wieder aufrecht, schleicht nicht mehr gekrümmt herum, immer auf der Hut vor einer ätzenden Bemerkung von Jan. Zum Schluss konnte sie ihm nichts mehr recht machen. Er musste doch längst bemerkt haben, muss doch gespürt haben, wie seine Liebe zu ihr immer weniger wurde, wie sie schrumpfte, vertrocknete. Wie feige von ihm, denkt sie, früher hat er sie gebraucht, sich an sie geklammert wie ein Kind, ich hab dich lieb, hab dich lieb, hast du mich denn lieb, hast du mich wirklich lieb, ich hab dich lieb, hab dich, hab dich über. Die Grenze ist schmal, vielleicht merkt man es nicht gleich, wenn man sie überschreitet.
»Schmeckt es dir nicht?«
Tobi hat seine Pizza schon zur Hälfte verschlungen, sie schneidet sich einen Bissen von ihrer ab.
»Doch, schon, aber … ich hab’s ein bisschen am Magen. Wenn du willst, kannst du nachher von mir noch was haben.«
»Ich kann doch nicht zwei Pizzas …« Tobi grinst, ein bisschen Tomatensauce um den Mund.
»Du brauchst die Kalorien. Jede einzelne. Aber iss auch Salat, Vitamine brauchst du noch mehr.«
Damals, kurz nach dem Abi-Treffen, als sie das erste Mal bei Katrin eingeladen war, saß Tobi mit ihnen an diesem Tisch und malte. Wie geht es dir, was hast du gemacht, ah, getrennt, und ich, ja, ich bin mit jemandem zusammen. Er ist Grafiker. Jan. Nein, verheiratet sind wir nicht, wir glauben an die Freiwilligkeit. Essen. Sie muss essen. Wenigstens eine Pizzaecke. Das muss doch zu schaffen sein. Die Küchentür steht offen. Sie glaubt, die toxischen Blumen bis hierher zu riechen. Auf einmal weiß sie, woran der Duft sie erinnert. An Jans Deo. Ein Billigdeo aus dem Supermarkt. Die Sprühdose war blau, aber es roch nicht blau, es roch orangerosa, blumig, betäubend, er kaufte immer mehrere Dosen, hortete sie, eine oder zwei davon stehen noch im Einbauschrank im Bad. Er schwitzt schnell und stark, aber sie hat seinen Schweiß nie gerochen, nur das Deo, das er sich nie ausreden ließ. Er war derjenige, der übersensibel war, sie nahm alles hin. Ob die Neue auch für ihn auf Cremes und Parfüm verzichtet, ob er ihren Schweiß erträgt, den Geruch einer Geburt, nach Windeln, nach Kinderkacke? Sie wünscht ihm viel Kinderkacke. Am besten kackende Zwillinge. Nein, Drillinge, mit Dauerdurchfall.
Von draußen jetzt Stimmen. Katrin. Und ein Mann. Sie müssen schon im Flur sein. Tobi hört auf zu essen, irgendetwas ist in seinem Blick. Sie schiebt ihr Glas ein Stück von sich fort. Katrin erscheint in der Tür, schimpft über die Getränkekisten im Flur, warum Tobi sie nicht weggeräumt habe, stockt.
»Oh, du bist noch hier.«
Sie erklärt, rechtfertigt sich fast, der Mann bleibt im Flur stehen, anscheinend unsicher, abwartend, vielleicht ist er die Besprechung.
»Wie nett«, sagt Katrin und lächelt. Wenn sie lächelt, passiert etwas mit ihrem Gesicht, es verliert seine Zartheit, das fein Gemeißelte, es wird Mund, zu viele Zähne, schöne, ebenmäßige, weiße Zähne, aber zu viele, sie passen nicht zum Rest, Katrins Gebiss ist zu groß für ihr Gesicht, Großmutter, warum hast du so viele Zähne, damit ich dich besser fressen kann. Vielleicht machen diese Zähne Männern Angst. Vagina dentata, sie hat den Begriff während des Studiums in einer psychoanalytischen Vorlesung gehört.
»Erschöpft«, sagt Katrin gerade, »du wirkst erschöpft, ist was mit dir?«
»Nein, nein, alles gut, nur ein bisschen schlecht geschlafen.«
Sie hat niemandem von der Trennung erzählt. Sie weiß nicht warum. Und wie lange sie alles noch geheim halten kann.
»Ich … muss jetzt.« Sie erhebt sich, schiebt den Stuhl weg.
»Jetzt iss doch wenigstens auf«, sagt Katrin. Sie trägt einen halblangen Rock, Stiefel, etwas Gerüschtes unter der Bluse, die betont schlicht ist, dazu eine dünne Lederjacke.
»Nein, nein, ich wusste nicht, dass du … Schöne Blumen. Im Wohnzimmer, meine ich.«
»Wir sollten mal wieder was zusammen trinken gehen, in Ruhe«, sagt Katrin.
Sie stehen jetzt nebeneinander, blicken beide zu Tobi, der schweigend, beinahe wütend, Pizzastücke in sich hineinstopft.
»Bis zur nächsten Klavierstunde«, sagt sie, »und … danke.« Sie meint die Pizza, aber es klingt fast, als meinte sie etwas anderes. »Okay«, sagt Tobi nur, und Katrin findet ihn unhöflich, er sollte aufstehen, ihr die Hand geben. Jetzt kann sie unmöglich von dem Pizzageld anfangen, muss es mit Katrin am Telefon besprechen. Allein der Gedanke daran erschöpft sie, am liebsten würde sie auf der Stelle einschlafen.
Im Flur stellt Katrin ihr den Mann vor, Holger, seinen Beruf nennt sie nicht, dafür ihren: Tobis Klavierlehrerin.
»Oh, Klavierlehrerin«, wiederholt er.
»Diplom-Musikpädagogin«, sagt sie und vergisst, die Hand vor den Mund zu halten. Sie stehen dicht beieinander in der Enge zwischen den Getränkekästen, er ist nicht viel größer als sie und ihrem Geruch ausgeliefert, Pizza, Rotwein, dem Unerträglichen, das Jan zuletzt an ihr gerochen hat.
Er kippt nicht um, zuckt noch nicht einmal zusammen. Er ist auf echsenhafte Weise glattrasiert, auch am Kopf, beim Lächeln spannt sich die Haut über den Wangenknochen.
Seine Echsenhaftigkeit passt zu Katrins Zähnen, daran denkt sie, später, schon im Bus, sie weiß nicht, wie sie darauf kommt, ihre Gedanken schwirren, irren, flirren in ihrem Kopf herum, in einem leeren, verfallenen Gehirn, ausgeräumt wie die Wohnung. Wie hat sie direkt nach der Trennung nur die Energie aufgebracht, das Sozialkaufhaus anzurufen und ihre Möbel abtransportieren zu lassen? Weg mit dem alten Leben, weg, alles weg, nichts behalten. Sich selbst gleich mit weggeben, in Vergessenheit geraten, der Welt verlustig gehen, für wen wäre ihr Verschwinden ein Verlust? Ihr fallen die nahen Verwandten ein, ihre Mutter, Tante, ihr depressiver Cousin, zwei, drei Kolleginnen, die eher Freundinnen sind, ein guter Freund, fünfhundert Kilometer entfernt, Katrin vielleicht, Tobi? Würde sie ihren Schülern fehlen? Wenn ja, dann nur kurz. Sie könne anrufen, wenn es sehr schlimm werde, hat ihr die Psychologin angeboten, sie war zu Tränen gerührt. Sie steigt aus. Die Straße mit den Häusern ist wie immer. Auf Jans Parkplatz steht der VW-Bus der Nachbarn. Neue Aufkleber auf der Heckscheibe, sie müssen wieder im Urlaub gewesen sein. Aufschließen. Erst die Haustür, dann die Wohnungstür. Das Aufschließen ist immer das Schwerste. Im Kühlschrank ist noch eine Flasche Weißwein. Wie hat ihre Wohnung früher geklungen, wie hat sie gerochen? Wie riecht eine Beziehung, eine Liebe? Ihr fällt nur Jans Deo ein. Und genau danach riecht es im Flur. Und darunter nach etwas anderem, sie findet erst keinen Begriff dafür. Das Licht brennt, auf dem Boden liegt ein Zettel. Sie soll morgen um elf da sein, die Maklerin kommt. Sie ruft nach Jan, hofft für einen Moment, er wäre noch da, hofft gleichzeitig das Gegenteil. Niemand antwortet. Da ist nur der Geruch. Deo und dieses andere, etwas Stechendes. Nach Zoo. Sie geht dem Geruch nach, im Bad ist er stärker. Die blaue Dose mit dem Deo steht auf dem kleinen Absatz am Wannenrand. Auf dem Boden ein Handtuch. Eins von den blauen, das sie früher gern benutzt hat. Hat er sich schnell gewaschen, nachdem er irgendetwas ins Auto geschleppt hat, sich gewaschen und besprüht, damit er für die Neue gut riecht?
Ich brauch ein starkes Deo, glaub mir, ich stinke. Das hat Jan einmal gesagt, auf seine ironische und gleichzeitig selbstbewusste Art, sie haben beide gelacht, wahrscheinlich hat sie ihn geküsst: Du doch nicht. Tränenblind hebt sie das Handtuch auf, und da strömt es ihr entgegen: animalisch, raubtierhaft, abstoßend. Die Waschmaschine ist noch da, sie steckt das Handtuch hinein. Und in diesem Moment kommt das, was ihre Geruchs- und Geschmacksnerven längst wissen, bei ihrem Verstand an: Auf der Ebene der Pheromone ist es ihr gelungen, sich zu entlieben.
Wenn es nur nicht so lange dauern würde, bis der Rest von ihr es auch begreifen wird, sie weiß es, weiß es schrecklich genau. Jahre wird sie brauchen, jede einzelne Zelle in ihr wird sich blind und dumm stellen, sich der Erkenntnis widersetzen wie ein rebellischer Schüler. In der Küche – der Smoothie-Maker fehlt – gießt sie sich Wein ein und geht mit dem Glas ins Wohnzimmer. Auch dort riecht sie es, das Gemisch aus Deo und Animalischem. Feiner, ferner, aber vorhanden. Der goldgelbe Orientteppich vor der Heizung ist weg. Sie haben ihn kurz vor dem Ende gekauft, als könnte ein Teppich eine Liebe retten. Einen Tisch gibt es nicht mehr, sie stellt das Glas auf eine Umzugskiste und öffnet das Fenster weit.
Oliver
Das Erste, was er wahrnimmt, ist ein Geräusch. Ein Brummen, begleitet von einem leisen Klirren, das seltsam hallt. Er öffnet die Augen einen Spalt breit, sieht schmuddelgrünen Tweed. Conans Sofa. Bei Tageslicht hat es eine ganz andere Farbe als in der Nacht. Er hebt den Kopf. »Conan?« Keine Antwort, nur das Brummen, das ihm jetzt laut vorkommt. »Hallo?« Niemand. Die Kneipe ist hell, verlassen, unwirklich. Er tastet nach dem Handy in seiner Hosentasche, 9 Uhr 13, lässt den Kopf zurück aufs Polster fallen, du hast die ganze Nacht auf diesem ranzigen Sofa geschlafen. Ganz vorsichtig, Schritt für Schritt, setzt er seine Gedanken in den vergangenen Abend hinein, man weiß nie, wohin man tritt. Ein ganz normaler Abend, oder? Er ist direkt aus dem Büro hierhergekommen, ziemlich spät, hat länger gearbeitet, als er müsste, wo zum Teufel ist seine Aktentasche? Er schreckt auf, sieht sich um, greift sich dabei an den Hals, tatsächlich trägt er ein Bürohemd, die oberen Knöpfe sind geöffnet, keine Krawatte. Er spürt Durst und leichten Schwindel, legt sich abermals hin. Zwischen den Tischbeinen hindurch sieht er zum Fenster, parkende Autos, gelegentlich ein Passant, er sieht nur die Unterkörper, den Rest verdecken die Tischplatten. Einen Veggie-Burger mit Pommes-Frites hat er gegessen, Beefburger waren aus, das weiß er noch genau. Er hat erst Bier, dann Rotwein getrunken und sich eine Weile mit Conan unterhalten, das heißt, eigentlich hat er Conan reden lassen, von den alten Zeiten, als er die Kneipe aufgemacht hatte, und wie es damals gewesen sei, hier im Nordend, die Frauen ganz anders drauf, die Männer auch, auch alle durchgeknallt, aber anders, normaler, verstehste, was ich mein? Er versteht es nicht, die Zeiten, von denen Conan redet, erscheinen ihm fremd und in Schwarzweiß, so verstaubt wie das Sofa, auf dem er liegt und das Conan vom Sperrmüll geholt hat, wie alle Möbel hier. Gelegentlich kommt ein Stuhl dazu oder eine Lampe, der Laden ist vollgestopft. Unglaublich, was die Leute so alles fortschmeißen, sagt er immer wieder. Er schätzt Conan auf Mitte fünfzig, könnte sein Vater sein, aber Conan als Vater kann er sich beim besten Willen nicht vorstellen. Eine Stimme lässt ihn zum Fenster sehen, ein kleines Mädchen schaut ihm direkt ins Gesicht, sie hat die Nase an die Scheibe gepresst und die Hand über die Stirn gelegt. »Da hinten«, sagt sie, es klingt, als spräche sie aus einer Blechdose. Neben ihr zwei Beine in Jeans, Männerbeine, ein Vater vermutlich. Er bleibt liegen, schließt die Augen, wartet, bis sie weitergegangen sind. Dann setzt er sich endgültig auf, checkt sein Handy. Die oberste WhatsApp stammt von einer ihm unbekannten Nummer, ist aber schon gelesen, ein Zwinkersmiley und ein Name, dann erinnert er sich wieder an die Frau, mit der er sich spät am Abend noch unterhalten hat. Sie war mit einem Typen da gewesen, vielleicht ihr Freund, es war unverkennbar, dass die beiden sich im Laufe des Abends zerstritten hatten, der Typ ist schließlich abrupt aufgestanden und hat den Laden verlassen, die Frau hat eine Weile vor sich hin gestarrt, ist dann zum Tresen rübergekommen und hat sich ein Glas Wein bestellt. Kurz darauf sind sie ins Gespräch gekommen, ziemlich süße Frau, aber er kann sich nicht mehr genau daran erinnern, worüber sie gesprochen haben.
Er steht auf, geht zum Tresen, Kaffee wäre gut, aber er hat keine Ahnung, wie die Kaffeemaschine funktioniert, ein riesiges Ding aus Chrom, das wahrscheinlich explodiert, wenn man etwas falsch macht. Da sieht er den Zettel: Koffer hinter dem Sofa, 38 Euronen, Übernachtung frei. Das klirrende Brummen kommt von einem der Kühlschränke, die Flaschen darin vibrieren gegeneinander, er nimmt eine Wasserflasche heraus, trinkt, steht unschlüssig da und betrachtet die alten Apothekenregale, die dem Lokal seinen Namen geben, Drugstore, sieht die runtergebrannten Kerzen in den Windlichtern, die Filmplakate an den Wänden, Conan der Barbar. Geh rauf in deine Wohnung, dusch dich, trotze dem Tag. Es kostet ihn Überwindung, den Koffer zu holen und die Hintertür zum Treppenhaus zu öffnen.
Während der Computer hochfährt, macht er Kaffee, gibt dann den Namen der Frau von gestern bei Facebook ein, klickt sich durch ihre Bilder, überlegt, ob er sie anschreiben soll. Verdammt hübsch, wahrscheinlich hat er keine Chance. Eine WhatsApp von Steffi, sie schickt Bilder, offenbar war sie gestern mit dieser Svetlana unterwegs, kannst du heute Abend? Er verschiebt die Antwort auf später, dabei würde es ihm gefallen, Steffi zu sehen, für einen Moment stellt er sich vor, dass sie etwas zusammen kochen und er dann bei ihr übernachtet, es ist doch schön mit Steffi, wieso also nicht? Er geht auf Steffis Facebook-Seite, likt eines ihrer Fotos, klickt sich durch die Liste seiner Freunde, streunt durch Profile, bis er schließlich doch bei Laura landet, eine Routine, die er sich abgewöhnen muss, aber es ist, als behielte er eine Art Verbindung zu ihr, wenn er ihre Postings kennt. Dann sieht er das Bild. Ein verschwommener, abstrakter Fächer in Schwarzweiß, und etwas in ihm klappt zusammen. Threesome, 12. Woche, hat sie daruntergeschrieben, und einen vor Begeisterung berstenden Emoji dazugesetzt. Ihm wird schlagartig schlecht. Für einen Moment ist er versucht, den Computer zuzuklappen, einfach nicht hinschauen, aber dafür ist es zu spät. »Zu spät«, sagt er halblaut, und dann wühlt er in ihren Bildern nach dem dazugehörigen Mann. Er hat ihn schnell identifiziert, Jan heißt er, dunkle Haare, Koteletten, einer, der auf cool macht. Postet Links zu irgendwelchen Design-Awards und hippen Animationsseiten, na wunderbar, denkt er bitter, so einen hat sie also gewollt. Keinen biederen Juristen wie ihn, einen Lebensversicherungsfuzzi mit Aktenkoffer, so hat sie ihn genannt, erst liebevoll, dann spöttisch und schließlich so abfällig, dass er nicht mehr gewusst hat, wie er weitermachen soll. Jetzt also das Lifestyle-Modell. Jan hat coole Freunde, steht demonstrativ auf Designermöbel und ein futuristisches Sushi-Restaurant. Und auf eine Frau namens Hanne. Zumindest laut seinem Beziehungsstatus. In einer Beziehung mit Hanne Martini. Hanne ist blass, schlank und mindestens fünfzehn Jahre älter als Laura. Das letzte Bild, das sie als Partnerin von Jan ausweist, ist keine drei Monate alt. Er spürt, wie er unkontrolliert zittert, als verselbstständige sein Körper sich. Klick es weg, denkt er, es geht dich nichts an, was sie schon wieder für eine Scheiße fabriziert, aber er kann nicht wegschauen, sondern nur noch genauer hinsehen, auf die Details in Lauras Bildern, seit wann kennt sie diesen Jan? Auf einem Bild sind sie Arm in Arm zu sehen, wahrscheinlich hat der Typ einfach vergessen, seinen Beziehungsstatus zu aktualisieren. Er klickt auf den verschwommenen Fächer, auf die hellen Flecken in der Mitte, und bekommt für einen Moment keine Luft. Am liebsten würde er sofort nach unten rennen, in den Drugstore, aber Conan macht erst um fünf auf, und überhaupt, was sollte er ihm erzählen? Dass er seit einem Jahr Zustände bekommt, wenn er irgendwo Babys sieht, oder Frauen mit Kinderwagen? Dass er Albträume hat und nachts wach liegt, dass er sich nicht erinnern kann, seither nur ein einziges Mal gelacht zu haben? Conan würde ihn anschauen und den Kopf schütteln, sich vielleicht an die Stirn tippen. Is echt ne Schlampe, würde er wahrscheinlich sagen, vergiss sie einfach.
Er steht auf, geht in die Küche, trinkt ein Glas Wasser. Plötzlich sieht er sie wieder dort auf der Spülmaschine sitzen, das Weinglas in der Hand, und er muss schlucken, damit er nicht zu heulen anfängt. Ob er diesen Jan warnen sollte? Männersolidarität, weißt du eigentlich, was geschehen ist? Aber was würde das ändern? Dieser Jan würde ihm vielleicht einfach auf die Schulter klopfen, tut mir leid für dich, Kumpel, bei uns ist das etwas anderes. Und er stellt sich Laura vor, wie sie Jan die Arme um den Hals legt, genau wie ihm damals, und »Weißt du was?« in sein Ohr flüstert. »Ich will ein Kind!« Er hatte sich bemüht, seinen Schreck zu verbergen: Ein Kind, so früh, sie kannten sich erst ein halbes Jahr. »Bist du sicher?«
»Ja, ganz sicher. Du bist mein Traummann, und ich will eine Familie. Jetzt.« Sie schien wirklich sehr verliebt, auf eine fast manische Art, aber damals dachte er, das gehöre zu ihrem Wesen, auch der Sex mit ihr war manisch, das hat er irgendwie genossen.
Er fährt sich mit den Händen übers Gesicht, als könnte er die Gedanken wegwischen. Du musst hier raus. Er putzt sich die Zähne, kämmt sich die Haare, nimmt seine Jacke. Draußen ist es sonnig und schon fast warm, ohne nachzudenken, geht er los, Richtung Innenstadt, erst nach einer Weile wird ihm klar, dass er ein Ziel hat. Kurz bevor er die Markthalle erreicht, spürt er sein Herz klopfen: Was, wenn sie wirklich da ist? Er betritt die Halle von der hinteren Seite, schlendert zwischen den Ständen umher, so gleichmütig er kann, überlegt, ob er Käse kaufen soll, aber er hat das Gefühl, nie im Leben wieder etwas essen zu können. Wie jeden Samstag um diese Zeit drängen sich Menschen am Austern-Stand, Beklemmung schnürt ihm die Kehle zu, er stellt sie sich zwischen ihnen vor, mit einem Glas in der Hand, den Kopf in den Nacken gelegt, lachend. Langsam schiebt er sich durch die Menge, umrundet den Stand, einmal, zweimal, bleibt schließlich davor stehen. Der Kellner sieht ihn mit einem Nicken an, als gäbe es keine andere Option als Zustimmung, also nickt er ebenfalls, reicht dem Kellner einen Schein und nimmt ein Glas entgegen. Und dann steht er da und trinkt Sekt, und der Lärm um ihn herum gerinnt zu einem an- und abschwellenden Pochen.
Sie war sofort schwanger geworden, hatte ihm aufgekratzt den positiven Test präsentiert, siehst du, das soll so sein. Er hat es den Hormonen zugeschrieben, dass sie sich bald darauf verändert, ihn plötzlich immer kritischer gesehen, ihn immer öfter gemaßregelt hat, und er fragt sich oft, was er hätte tun können, um das Ganze zu retten. Ob sie vielleicht gespürt hat, dass er sich anfangs nicht richtig auf das Kind freuen konnte, unsicher war, ob er das würde stemmen können, eine Familie ernähren und all die Einschränkungen auf sich nehmen? Darüber hat er mit ihr nie geredet, hat versucht, sich nichts anmerken zu lassen und sie zu bestärken, aber er konnte ihr nichts mehr recht machen. Es war, als wäre er auf einmal ein anderer Mann, der falsche für sie, denn so hat sie sich verhalten, er hat das nicht verstanden, bei anderen Frauen wirken sich die Hormone ja auch nicht so aus. Sie hatten es noch niemandem gesagt, das solle man nicht tun, hatte sie erklärt, erst nach dem dritten Monat, erst dann sitze das Kind richtig fest, danach werde sie es publik machen. Währenddessen hat sie sich immer mehr zurückgezogen, und er war fast so weit, sie zu fragen, ob er eine Weile ausziehen soll, er hätte zu Freunden gehen können, vorübergehend, aus Rücksicht auf ihre Befindlichkeiten, aber andererseits wollte er sie in diesem Zustand auch nicht allein lassen, Wasserkisten und so weiter, dabei wurde es immer schwieriger, die Situation zu ertragen.
Ein Aufschrei, gefolgt von Gelächter. Neben ihm stehen zwei alkoholisierte Frauen, eine hat sich offenbar gerade Sekt über ihre Bluse gekippt, der Stoff klebt nun auf der Haut und zeichnet die Kontur ihres BHs nach. »Miss Wet-T-Shirt«, ruft sie und reckt die Brust nach vorn, ihr Blick bohrt sich kurz in seinen. Auf einmal hat er Lust, nach diesem Busen zu greifen, eine ganz gewalttätige Lust, ihn zusammenzupressen, so fest, dass sie noch einmal schreien würde. Er spürt Druck in seiner Hose und sieht zu Boden. Und dann ist das Bild erneut in seinem Kopf, und er weiß, dass er es nicht mehr loswerden wird: Laura im Nachthemd, auf der Spülmaschine sitzend, mit einem Rotweinglas in der Hand. Er war gerade nach Hause gekommen, hatte ihr das Glas aus der Hand gerissen. »Laura, du bist schwanger, du kannst doch keinen Alkohol trinken!«
»Spießer«, hatte sie gesagt und verächtlich gelacht. »Natürlich kann ich, ich lasse es eh wegmachen.« Er hielt es für einen ihrer boshaften Zynismen, die sie an den Tag legen konnte, wenn sie niedergeschlagen war. Aber sie meinte es vollkommen ernst. Es sei ein Fehler gewesen, sie hätte ihn einfach nicht gut genug gekannt, sonst hätte sie gleich gewusst, dass es schlecht ausgehen würde. Er war sprachlos. Erst nach einer Weile hat er zaghaft gesagt, es sei auch sein Kind und er freue sich darauf, und in dem Moment, in dem er es gesagt hat, hat er gespürt, dass es die Wahrheit war, dass er sich tatsächlich auf dieses Kind freute, doch da war es schon zu spät. Sie hat es durchgezogen, entgegen seinen Einwänden, seinen Warnungen, seinen Bitten, seinem Flehen. Sie hat es durchgezogen. Hat eine Beratung gemacht und dann die Abtreibung, als wäre das kein Kind, sondern eine Waschmaschine oder eine Urlaubsreise, deren Bestellung man storniert, wenn man es sich anders überlegt hat. Ein paar Tage haben sie noch zusammengewohnt, aber kaum mehr miteinander gesprochen. Alles war tot zwischen ihnen, so tot wie das Kind.
»Hey, was ist denn mit dem los?« Er hebt den Kopf, die beiden Frauen sehen ihn übertrieben mitleidig an. »Traurig?«
Er weiß keine Antwort, leert sein Glas in einem Zug, stellt es ab und verlässt die Markthalle. Ziellos läuft er durch die Stadt, am liebsten würde er sich ins Bett legen und bis zum Montagmorgen durchschlafen, aber er weiß, dass er nicht schlafen kann, er kann nicht einmal in seine Wohnung, diese Wohnung, aus der sie ausgezogen ist, kurz nachdem sie Fakten geschaffen hatte. Er holt sein Handy aus der Tasche, schreibt Steffi, dass er zu ihr kommen wird, starrt auf die Häkchen, aber sie werden nicht blau. Er spürt den Alkohol, du musst etwas essen, aber er bringt es nicht fertig, eine der zahllosen Bäckereien zu betreten und sich ein Stück Blechpizza zu kaufen, am liebsten will er jetzt und sofort zu Steffi gehen, mit ihr kochen, essen, bei ihr sitzen. Er schaut auf das Handy, aber die Nachricht ist noch immer ungelesen. Er ruft sie an, es dauert, bis sie abnimmt, im Hintergrund ist Musik zu hören.
»Wo bist du?«, fragt er.
»Shoppen, in der Stadt, mit Svetlana.«
»Wie lange brauchst du noch? Ich komme zu dir. In einer Stunde.«
»Sag mal, geht’s noch? Erst meldest du dich gar nicht, und dann …«
»Tut mir leid.«
»Also gut, komm um sechs.«
Knapp drei Stunden, die er in der Stadt verbringt; er betritt Bekleidungsgeschäfte, eine Parfümerie, kauft ein Hemd, schließlich gönnt er sich in einem Nagelstudio eine Pediküre mit Wellness-Fußmassage. In der Lebensmittelabteilung eines Warenhauses kauft er eine Flasche Prosecco, dazu Antipasti und einen Strauß Tulpen. Er sieht, dass sie sich freut, sie küsst ihn. »Süß von dir, danke.« Sie sitzen auf dem Balkon, das Licht ist orangerot; nachdem die Sonne untergegangen ist, wickeln sie sich in Fleecedecken. Er würde gern darüber reden, über alles, aber er weiß nicht, was er sagen soll. Steffi greift nach dem Prosecco, will sich einschenken, aber die Flasche ist so gut wie leer. Sie stellt sie mit Nachdruck auf den Tisch zurück. »Typisch, du bringst Sekt mit und dann trinkst du ihn so schnell aus, dass für mich nichts übrigbleibt.«
»Mach halt noch eine auf«, sagt er, ohne sie anzusehen. Er starrt auf die Fassade gegenüber, spürt, dass ihr Blick ihn fixiert. In einem der Fenster sieht er eine alte Frau in ihrer Küche, auf einen Gehstock gestützt, trägt sie einen Teller zum Tisch, setzt sich, beginnt zu essen, vermutlich belegte Brote, sie isst mit der Hand. Er stellt sich vor, dass sie beigefarbene Gesundheitsschuhe trägt und nicht mehr in der Lage ist, den Schmutz zu sehen, der sich nach und nach in ihrem Kühlschrank festsetzt.
»Oliver, was zum Teufel soll das? Tagelang meldest du dich nicht, antwortest nicht mal auf meine Nachrichten, dann kannst du es nicht erwarten, mich zu sehen, und jetzt sitzt du hier mit so einem Gesicht und redest kein Wort.«
Ohne den Blick von der alten Frau zu lösen, greift er nach Steffis Hand, hält sie für einen Moment, wendet sich dann zu ihr und zieht sie zu sich. Küsst sie, greift nach ihrer Brust, sie wehrt sich nicht. »Komm«, sagt er, steht auf und zieht sie mit sich. Er schubst sie aufs Bett, legt sich über sie, sein Schwanz ist sofort hart, er zieht ihr die Jeans aus, küsst sie, so massiv er kann, damit sie nichts sagt, sich nicht wehrt. Dann fickt er alles in sie hinein. Danach ist es still in ihm, wie nach einem Gewitter, das sich verzogen hat, bloß ihr leises Weinen hört er, während er schon fast eingeschlafen ist. Als er aufwacht, ist es dunkel, nur aus dem Flur dringt Licht ins Zimmer. Er dreht sich nach ihr um, aber sie scheint aufgestanden zu sein. Er geht ins Bad, anschließend in die Küche, ruft nach ihr, doch sie ist fort. Er checkt sein Handy. Keine Nachricht. Als die Tür hinter ihm ins Schloss fällt, weiß er, dass er nicht wiederkommen wird. Er steckt die Hände in die Jackentasche und macht sich auf den Weg zu Conan.
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