Kitabı oku: «Andreas Herzog - Mit Herz und Schmäh», sayfa 7

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KAPITEL 11:
„TRAINER, DES IS JA EH A HUNDSKICKER“
RAPID WIEN/NATIONALTEAM 1988–1992

Vielleicht ging es Josef Hickersberger ja ganz ähnlich, als er einige Monate vorher auf der Tribüne der Hohen Warte saß und neben dem herrlichen Panoramablick über Wien und die Donau auch die kreativen Künste Herzerls genoss – sprich: dessen Gespür für den richtigen Pass zur rechten Zeit. Jedenfalls waren die Admira-Monate und die folgenden Rapid-Jahre nicht nur der Beginn seiner Beziehung zu Kathi, sondern auch der Start der Herzogschen Nationalmannschaftskarriere.

„So, und sag einmal, in dieser Zeit waren auch deine ersten Spiele mit der Nationalmannschaft?“

„Ja, mein erstes Länderspiel war kurz vor meinem Bänderriss im April 1988 in Griechenland in Athen.“

„Da gibt es nichts dazu zu sagen?“

„Eine Anekdote, aber ich erzähl sie dir auch kurz. Ich wollt keine Fehler machen, aber ich glaub, das steht eh in den Anekdoten drinnen, ich bin des falsch angegangen. Ich wollt Fehler vermeiden, aber wenn du Fehler als Offensivspieler vermeidest, nimmst du auch kein Risiko und kannst keine guten Aktionen haben. Das habe ich daraus gelernt.“

Wir saßen noch immer am Esstisch. Kathi war mittlerweile mit den Jungs zu den Webers gefahren – eine willkommene Ablenkung beim immer noch tristen Regenwetter für die Kinder. Immerhin war Freund Vinzi vor Ort und auch dessen größere Schwester, die Sohn Luca recht gut gefiel. Wir hatten also genügend Zeit, uns noch einmal mit ganzer Leidenschaft in die ersten rot-weiß-roten Jahre zu stürzen. „Drück einmal kurz auf Stopp. Ich schau einmal nach. Wie kann man da im Internet nachsuchen? Andi Herzog Länderspiele?“ Andi tippte laut in die einzelnen Tasten. „Reihenfolge oder wie?“ Er tippte weiter. „Ah, schau her, da hammas schon. Andi Herzog, alle Länderspiele“, um gleich darauf noch einmal zurückzuschauen.

Das erste Länderspiel war am 6. April 1988, 2:2. Dann hab ich mir die Bänder gerissen, bin operiert worden und hab mein letztes Spiel noch einmal für die Vienna gespielt, und wir ham Admira Wacker 2:1 besiegt. Admira war Vierter, wir waren Fünfter. Durch den Sieg sind wir an ihnen vorbeigezogen und in den UEFA-Cup hineingekommen. Ein Riesenerfolg für die Vienna. Und danach war das Gezeter: „Bleibt der Andi?“ Ich wollt bei der Vienna bleiben, aber kennst ja eh, die Geschichte. Danach war CSSR gegen Österreich und danach UdSSR gegen Österreich.“ (Andreas Herzog)

Topfit fühlte sich Andi Herzog im Oktober 1988. Und so war er sich auch sicher, dass er von Beginn an gegen die UdSSR spielen würde. Doch es sollte ganz anders kommen – und wieder mit Lerneffekt. Wie immer traf sich die Nationalmannschaft am Spieltag einige Stunden vor dem Anpfiff in einem der typischen Hotel-Tagungsräume. Heutzutage häufig noble Räumlichkeiten mit Beamer und Whiteboard, damals nüchterner oder steriler gehalten – zumal das Spiel in Kiew stattfand. Also: Maroder Charme statt Schickimicki (vermutlich). Doch all das war einem jungen Mann, der einfach nur spielen wollte, egal. Und so kann man sich zumindest ein Stück weit in das Seelenleben Herzogs hineinversetzen, als er plötzlich vernahm, dass er nicht zur Startelf gehörte. Das jedenfalls spürte auch Hickersberger, nachdem er die Mannschaftsaufstellung im Tagungsraum bekannt gegeben hatte.

„Du, Andi, bist enttäuscht?“

„Ja, Trainer, hab schon geglaubt, dass ich spielen würde.“

„Na, warte es mal ab, du wirst dich nachher bedanken, dass du nicht gespielt hast.“

Was redet der für einen Blödsinn?, hab ich mir gedacht. (Andreas Herzog)

Doch spätestens nachdem Herzog auf der Ersatzbank Platz genommen hatte, wusste er, was Hickersberger gemeint hatte. 103.000 frenetische Zuschauer empfingen die beiden Mannschaften – und bei jeder Angriffswelle der eigenen Mannschaft auf Rot-Weiß-Rot fingen die Fans an zu pfeifen.

„Ich hab schon Ohrensausen gehabt auf der Ersatzbank“, gibt Herzog heute lachend zu. Dennoch kam er in den letzten 20 Minuten zum Einsatz – gegen einen „übermenschlichen“ Gegner: „A Pressing, du bist immer von drei Spielern Sprint attackiert worden, keine Chance, einen Gegenspieler zu überspielen.“

Ob die Russen damals gedopt waren? Auf jeden Fall hinterließ diese Begegnung bei unserem noch jungen Protagonisten Spuren, ähnlich vielleicht wie die ersten Matches in der Rapid-Kampfmannschaft, in denen er mitspielen durfte, aber häufig dem Ball nur hinterherrannte. Umso höher jedoch der erwähnte Lerneffekt und so gesehen auch ein Zeichen. Denn wie heißt es so schön: Intelligente Menschen reflektieren sich und ihr Tun. „Nach dem Schlusspfiff bin ich gleich zum Trainer hin und habe gesagt: ‚Herr Hickersberger, jetzt versteh ich, was Sie gemeint haben‘“, erinnert sich Herzog zurück.

Wir hatten an anderer Stelle darauf hingewiesen, dass Andi Herzog in erster Linie immer offensiv dachte – als junger Mann sowieso und als heutiger Trainer umso mehr. Schnell in die Spitze, mit dem genialen Pass oder einem intuitiven Dribbling, unbekümmert und mit der nötigen Portion Verrücktheit. Defensive Gedanken, absichern, mauern oder den Ball lange durch die eigenen Reihen spielen zu lassen, um dann zum Torwart zurückzupassen, waren ihm regelrecht zuwider und widersprachen seinem Fußballernaturell. Doch wie es im Leben meist so spielt: Immer dann, wenn man möglicherweise zu sehr in Extremen denkt, wird man eines Besseren belehrt. Denn letztlich macht es immer die Balance aus. Oder um im Bild zu sprechen: Würde die Sonne immer scheinen, gäbe es nur noch Wüsten.

Ein Lerneffekt der besonderen Art fand für den gerade einmal 21-jährigen Herzog am 25. März 1989 im Wiener Praterstadion statt. Vor 23.000 Zuschauern traf das Nationalteam im Nachbarschaftsduell und Freundschaftsspiel auf Italien – mit Größen wie Walter Zenga, Paolo Maldini, Roberto Donadoni oder Gianluca Vialli. Aber auch die rot-weiß-rote Seite konnte sich sehen lassen: Neben Herzog standen auch Herbert Prohaska, Andreas Ogris und Toni Polster auf dem Platz.

Da waren wir, glaube ich, in Lindabrunn kaserniert, und der Josef Hickersberger kommt zu mir her und sagt: „Na, Andi, morgen geht’s gegen den De Napoli.“ (Andreas Herzog)

De Napoli kickte in dieser Zeit als defensiver Mittelfeldspieler für den SSC Neapel hinter Diego Maradona, machte für ihn „quasi die Drecksarbeit“ – wie es Herzog heute noch gerne ausdrückt.

I war halt a junger Spieler noch und hab mehr auf die offensiven Spieler, die halt wirklich Qualitäten gehabt haben, Maradona, Careca und so, aufgeschaut und gedacht: Die sind ja eh a Wahnsinn. Und hab den Defensivspielern eigentlich nie richtig Aufmerksamkeit gschenkt, geschweige denn ihnen gegenüber Respekt gehabt. (Andreas Herzog)

Und nun sollte sich Herzog laut Hickersberger ausgerechnet auf De Napoli vorbereiten. Hin und wieder hatte er sich ihn im Fernsehen angeschaut, wenn De Napoli mit Napoli im Europacup spielte. Doch für Aufsehen hatte dieser bei Herzog nicht gesorgt. Und so fiel seine Antwort auf Hickersbergers Hinweis, er möge sich auf den Defensivspieler der Italiener vorbereiten, recht flapsig aus: „Trainer, der ist ja eh a Hundskicker“, meinte er damals.

Heute spricht Herzog von jugendlichem Übermut und der Tatsache, dass er früher einfach nicht abschätzen konnte, wie wichtig auch ein defensiver Spieler ist, der praktisch jeden Zweikampf gewinnt, gefährliche Situationen vorher schon bereinigt – und somit der Offensive den Rücken freihält. Doch bekanntlich kommt Hochmut ja vor dem Fall. Und so kam es, wie es kommen musste: Herzog konnte im Spiel selbst „keinen Stich“ gegen De Napoli machen.

Ich hab mich nie durchsetzen können, ihn einfach nicht überspielen können.

Nach dem Spiel kam Hickersberger erneut auf mich zu und sagte: „Na, ist a schöner Hundskicker, der De Napoli.“

„Na ja, Trainer, so schlecht ist er doch nicht.“ (Andreas Herzog)

Er schmunzelt, wenn er diese Geschichte erzählt, verbunden mit dem Lerneffekt, eben auch die Defensive zu würdigen und nicht nur – wie als junger Spieler – auf die Offensive zu schauen.

Kleinlaut trat er nach dem Spiel Hickersberger entgegen, er spricht zudem von einem Augenöffner und der wichtigen Erkenntnis für die weitere Karriere, wie sehr gerade auch er als offensiver Denker und Lenker ganz schön abhängig war von der eigenen Defensive. Fortan zollte er den eigenen Verteidigern Respekt und lernte, auf sie zuzugehen, ihnen eben zu vermitteln, dass er nur durch sie glänzen kann.

Und drum möcht i mi im Nachhinein bei all meinen Kollegen, die hinter mir die Drecksarbeit erledigen haben müssen, entschuldigen, dass sie heutzutage künstliche Kniegelenke und künstliche Hüftgelenke haben vom Grätschen und vom Reinhauen. (Andreas Herzog)

In diesen Tagen spürte Andreas Herzog zudem, dass sich die Dinge geändert hatten. Wurde er bisher in den Printmedien immer als „Sohn von Burli Herzog“ beschrieben, trat er plötzlich aus dem Schatten seines Vaters heraus. Für viele Kicker prominenter Fußballväter übrigens eine schier unüberwindbare Hürde – und ein entscheidender Moment in der Karriere eines jeden Jungprofis, wenn er es schafft, sie zu überspringen.

Weißt, ich war am Anfang immer der Sohn vom Burli Herzog, und dann bin i in die Nationalmannschaft gekommen, und auf einmal steht „Andreas Herzog (sein Vater Burli spielte früher auch)“. Wie ich des des erste Mal gelesen hab, hab i gewusst, okay, jetzt hab i es geschafft. Jetzt ist es nicht mehr Burli Herzogs Sohn Andreas. Verstehst den Unterschied? (Andreas Herzog)


Andi Herzog zwischen Mutter und Vater und zwei italienischen Fans und Freunden bei der WM 1990

KAPITEL 12:
„SCHEISS DI NIX!“ – ITALIEN, WIR KOMMEN!
RAPID WIEN/NATIONALTEAM 1988–1992

Am 15. November 1989 fand ein wahrlich historisches Länderspiel für Andreas Herzog statt. Es sollte das 13. Match seiner damals noch jungen Nationalmannschaftskarriere sein – und ihm bis heute in tiefer Erinnerung bleiben, denn an diesem Abend ging es im Wiener Praterstadion gegen eine Auswahl der DDR. Dem einen oder anderen aufmerksamen Leser wird die Tragweite dieser Veranstaltung bereits beim Anblick des Datums, spätestens aber mit dem Hinweis auf das Spiel gegen die Deutsche Demokratische Republik klar. Beispiellos geschichtsträchtig – denn nur sechs Tage zuvor war die Mauer in Berlin gefallen und damit der jahrzehntelang aufrechterhaltene Wall zwischen Ost und West. Doch für Herzog sollte dieses Spiel auch aus einem anderen Grund von historischer Bedeutung sein.

Wenn wir gewinnen, san wir fix bei der WM – und ein paar Tage zuvor ist die Mauer gefallen in Berlin. Und es war für uns natürlich schon a Thema in den Medien, aber nicht so ein dramatisches Thema wie bei den DDR-Spielern, die waren mit den Gedanken schon ganz woanders. (Andreas Herzog)

Für Herzog war dieser Tag und damit die Qualifikation für die Weltmeisterschaft 1990 in Italien eine Sensation. Nicht umsonst spricht er von einer der „größten Erfolgsgeschichten aller Zeiten“ – doch noch zwei weitere außergewöhnliche Ausnahmemomente in der rot-weiß-roten Sportgeschichte bewegen ihn bis heute.

Das Erste war der Niki Lauda, als er den schweren Unfall gehabt hat mit Verbrennungen, wo er später den Helm wieder drübergezogen hat und wieder Weltmeister in der Formel 1 geworden ist, der Hermann Maier mit dem Sturz in Nagano beim Super G oder bei der Abfahrt, als er da so quer in der Luft liegt, 10, 15 Meter und am nächsten Tag oder zwei Tage später Olympia-Gold geholt hat, und dann das Heimspiel gegen die DDR, und der Toni Polster wird von 60.000 Zuschauern nur beschimpft und beleidigt. (Andreas Herzog)

Irritiert fragte ich nach: „Toni Polster ausgepfiffen? Bei einem Heimspiel?“

Andi bestätigte mit Nachdruck: „Ausgepfiffen, beim Aufwärmen, bei der Aufstellung, bei der Bundeshymne, nur ausgepfiffen!“

Ich schüttelte den Kopf, konnte ich doch gar nicht verstehen, wie ein eigener Spieler so beleidigt werden konnte: „Weil?“

Die eigenen Fans haben ihn ausgepfiffen. Weil er damals der einzige Legionär war, in Spanien, hat einen super Vertrag gehabt. Beim Toni war es so: Wenn er ein Siegestor geschossen hat, ist er gefeiert worden, wenn er kein Tor geschossen hat, haben die Zuschauer ihn kritisiert und beleidigt, weil er jetzt nicht so ein laufstarker Spieler war. So wie der Hans Krankl vorher auch. Du polarisierst. Entweder die Leute lieben dich wegen den Toren, oder sie schimpfen oder beleidigen dich. (Andreas Herzog)

Doch wieso bewegt Andreas Herzog dieses Ereignis bis heute noch so? Wie geschrieben: Neben Niki Lauda und Hermann Maier eine seiner Top-3-Geschichten, wenn es um Erfolg und Mentalität geht.

Vielleicht lag es an der eigenen Einstellung und der Tatsache, dass ihn eine gewisse Abgezocktheit, eine mentale Stärke, einfach eine Durchsetzungskraft gegen alles und jeden Widerstand immer schon begeisterte. Er selbst war gerade einmal 21 Jahre alt und in neuen Situationen, wir erinnern uns, nicht immer der Sicherste. Er brauchte einen leichten Stoß in die richtige Richtung oder einen Fürsprecher oder das Gefühl, es schon einmal erlebt zu haben – um aus dieser Situation heraus Kraft, Energie und Selbstglauben schöpfen zu können. Ein Toni Polster dagegen machte anscheinend einfach sein Ding. Und so eben auch im besagten historischen Match gegen die DDR. Während Herzerl – vielleicht aus Respekt vor dem wichtigen Duell – zu kränkeln begann, fuhr Anton Polster zur Hochform auf.

Vor dem Spiel war ich an der Schulter verletzt bei Rapid Wien, von Tag zu Tag ist die Aufregung größer geworden, bin immer nervöser geworden, am Spieltag hab ich Fieber gehabt, zwar nur erhöhte Temperatur, habe mich aber richtig schlecht gefühlt und hab von Beginn an nicht spielen können und dem Trainer das gesagt. (Andreas Herzog)

Toni Polster dagegen schienen Spiel und Pfiffe zu beflügeln. Vielleicht lag es daran, dass Österreich unbedingt gewinnen musste, um garantiert nach Italien fahren zu dürfen (man stand im Fernduell mit der Türkei, die in der Sowjetunion kickte), oder daran, dass man endlich einmal wieder in den traditionellen Farben, mit schwarzen Hosen und weißen Leibchen, auflaufen durfte – oder eben an den besagten Pfiffen. Jedenfalls schnappte sich Polster schon nach zwei Minuten den Ball, ging an einem Gegenspieler vorbei, täuschte einen Schuss an, um dann mit links und aus rund 17 Metern flach abzuziehen. Tor für Österreich!

„Toni, Toni“, hallte es laut Herzog plötzlich von den Rängen – eben noch ausgepfiffen, nun Jubel! Ein Umstand, den Herzerl bis heute nicht versteht, zumal sich dieses Schauspiel noch zweimal wiederholen sollte. Als Toni Polster in der 61. Minute zum dritten Mal mit links traf und damit das Ticket zur WM in Italien löste, gab es kein Halten mehr. Er sprang über die Werbebande und lief durch das weite Rund des Praterstadions.

Und i waß ned, ob es die Leute wissen, und i sag es jetzt einmal: Der Toni ist über die Bande gelaufen, wir sind hin zu ihm, i noch von der Ersatzbank, haben mit ihm gefeiert, haben uns auf ihn draufgehaut. Vorher haben die Leute ihn noch aufs Ärgste beleidigt, ausgepfiffen. Und die Leute jetzt alle: „Toni, Toni“ – und er ist so hingelaufen mit ausgestreckten Armen und hat geschrien: „Geht’s scheißen, geht’s alle miteinander scheißen.“ Und des weiß bisher, glaube ich, noch niemand. Und das möchte ich jetzt mal klarstellen. (Andreas Herzog)

Doch das sollte noch nicht der Höhepunkt dieses Spiels sein – zumindest nicht für unseren jungen, aufstrebenden Unterschiedspieler. Noch heute reflektiert Herzog jedenfalls offen und ehrlich über sich und seine Stärken – wie auch über seine sensitive Seite.

„Ich glaub, ich hab das Fieber wegen der Aufregung bekommen“, so Herzog in der Rückschau. Doch nachdem das 3:0 gefallen war, hatte sich die erhöhte Temperatur anscheinend verflüchtigt. Er rannte jedenfalls zur Ersatzbank und rief: „Trainer, ich wäre dann jetzt so weit.“

Hickersberger hatte schon zuvor mehrfach angedeutet: „Andi, wennst meinst, dass es geht, möchte ich dich gerne eintauschen.“ Nun war der Moment gekommen – doch das Glück sollte nicht lange währen. Nach nur einer Minute lief er aufs Tor, doch „Stahmann, so ein Hüne“, läuft ihm beim Solo in die angeschlagene Schulter – und nach vier Minuten war der Kurzeinsatz des Andreas Herzog wieder beendet.

Es war eine Wahnsinnserfahrung, weil wir uns für die Weltmeisterschaft qualifiziert haben. Und die Geschichte mit Toni vom Buhmann zum Liebling wird mir immer in Erinnerung bleiben. Da habe ich mit dem Toni noch nicht so ein freundschaftliches Verhältnis gehabt, und ab dem Zeitpunkt war er für mich ein absoluter Held. Wenn das mir passiert wär, ich wär zu dem Zeitpunkt heimgelaufen. Er steckt das weg und schießt die drei Treffer. Weißt, was mich da so bewegt hat? Die Scheiß-di-nix-Mentalität. Und die Überzeugung. Ernst Happel: „Zeig, was du kannst.“ (Andreas Herzog)


Drei Helden für Herzog – Lauda, Maier, Polster (li.): „Mit seinen drei Toren gegen die DDR, trotz Pfiffen!“

KAPITEL 13:
„TRAINER, I HÄTT GERN DIE NUMMER 20!“
RAPID WIEN/NATIONALTEAM 1988–1992

Wie muss sich wohl ein klassischer 10er fühlen, einer, der die Offensive liebt und immer den Drang hat, nach vorne zu spielen, zu lupfen, das eins gegen eins im Dribbling zu suchen oder den Torabschluss gekonnt zu vollenden, wenn er sich denn für das Doppelte entscheidet – zumindest, was die Nummer auf dem Rücken betrifft? Da backt anscheinend einer kleine Brötchen, wie man in Deutschland sagen würde. Oder hatte es wieder etwas mit dem eigenen Selbstbild zu tun?

Bei Andreas Herzog war es – wie bei vielen anderen jungen Menschen ebenso – so eine Sache mit dem Selbstvertrauen. Er musste es sich immer ein Stück weit spielerisch erarbeiten, in den U-Mannschaften genauso wie in der Kampfmannschaft. Und so manches Mal musste er an seine Grenzen gehen und darüber hinaus, um dann und bei einem Schritt zurück alles und im Flow abrufen zu können – beispielsweise an den legendären Wochenenden und dem Pendeln zwischen U21, den Rapid-Profis und der U18. Außerdem brauchte er seine Fürsprecher, enge Vertraute und Trainer, die an ihn glaubten. Mit Josef Hickersberger hatte er so einen Coach gefunden. Hickersberger wollte ihn unbedingt in der Auswahl spielen sehen, gab ihm Zeit, erkannte auch die sensible Seite des Ausnahmetalents aus dem offensiven Mittelfeld – und wollte seinem kreativen Kicker aus diesem Grund Sicherheit vermitteln. Wenngleich zu dieser Erkenntnis immer zwei gehören. Der Trainer, der seinem Spieler durch klare Botschaften bis zu einem gewissen Grad Glauben vermittelt, und sein Gegenüber, der dies auch wahrnimmt. Doch was, wenn nicht? Und das kurz vor einer WM …

Und dann lieg i mit meinem Zimmerkollegen, dem Kurt Russ, am Zimmer, und eines Abends, so eine Woche vor dem ersten Spiel gegen die Italiener, kommt der Josef Hickersberger aufs Zimmer und plaudert so mit uns und schaut mi so an und sagt: „Du, und bereite dich vor auf den De Napoli.“ Und i hab mir gedacht: Was meint der jetzt? Meint der jetzt, dass ich von Beginn an spiele? Das glaube i ned, weil in den Medien wird nur spekuliert, des is ein Zweikampf oder Dreikampf um diese Position. Meint er vielleicht, wenn i rein komm, dass ich diesmal besser bin gegen den De Napoli? (Andreas Herzog)

Doch wo kamen diese Zweifel wieder her, hatte er doch in den vergangenen Jahren so manche Schlacht für Vienna und Rapid geschlagen und für das eine oder andere Ausrufezeichen im Nationalteam gesorgt. Zumal die Worte von Hickersberger auf der Hand lagen: Be prepared – bereite dich vor.

Im Nachhinein meint Herzog jedenfalls rückblickend, dass ihn das letzte WM-Vorbereitungsspiel wieder zurückwarf. „Wir waren vorher auf Trainingslager und haben ein Spiel gegen eine Auswahl von Brixen oder Südtirol gehabt“, erzählt er heute. „Und die haben so einen gehässigen Libero gehabt.“ Dieser foulte Thomas Flögel so brutal, dass alle Bänder am Knöchel rissen – und die WM für den jüngsten rot-weiß-roten Kicker vorbei war, bevor sie überhaupt angefangen hatte.

Andi selbst, hinter Flögel und Michael Baur drittjüngster Spieler im Team, kämpfte derweil um einen Startplatz in der Anfangsformation, denn auch ein, zwei andere Kicker wie beispielsweise Alfred „Ali“ Hörtnagl hätten laut Herzog durchaus im offensiven Mittelfeld spielen können. Ein brisantes Duell, wunderbar befeuert durch den Boulevard – und dann war da ja noch der „gehässige Libero“!

I krieg an Ball, lauf dem Libero davon, und der hält mich zurück. Und ich wollt halt unbedingt ein Tor schießen. Ich wollt halt zeigen, dass ich gut drauf bin. Mit einem Tor kann ich meine Position stärken, dachte ich. Das ich halt gegen Italien in der Startposition stehe. Und der hält mich zurück, und wie er mich so hält, hol ich mit dem Ellbogen aus und hau ihm genau ins Gesicht. (Andreas Herzog)

Der Libero flog um – und Andi nicht vom Platz. Es war ein österreichischer Schiedsrichter, der noch einmal beide Augen zudrückte. Hickersberger reagierte prompt, nahm ihn vom Platz und ließ ihn zur Strafe gleich acht Kilometer auf einer Waldrunde hinter dem Stadion laufen. „Alles vorbei!“, dachte der junge Herzog verzweifelt und am Boden zerstört, dabei hatten sich die Gefühle einfach nur in ihm aufgestaut. Erst das brutale Foul an einem Mitspieler, dann das permanente Stoßen und Schubsen eines begrenzt Talentierten. Und dennoch: Das darf einem Ausnahmespieler nicht passieren.

Es war also ein bunter Strauß aus Emotionen, die die eigene Herzogsche Wahrnehmung ins Straucheln brachte. Das bittere Aus des noch jüngeren Mannschaftskollegen Thomas Flögel (für den laut Herzerl „eine Welt zusammenbrach“), der Ellbogen-Ausrutscher gegen den „gehässigen Libero“, die Mitspieler, die Herzerl die Position streitig machen wollten, und dann noch die mitunter brutale Medienwelt, wenn man sich denn mit ihr beschäftigte. Es ist eben alles eine Sache der Wahrnehmung.

„Perception is everything“, heißt es im Englischen. Am Anfang steht immer die Wahrnehmung. Wie nehme ich als Spieler, Trainer, Mensch eine neue Situation, Begegnung, das Umfeld wahr? Bin ich offen und neugierig oder eher zurückhaltend und ängstlich? Gehe ich die Herausforderung als Chance oder als Problem an? Aus der Wahrnehmung entsteht die Einstellung zu den Dingen. Sehe ich das Glas halb voll oder halb leer, bin ich flexibel und möchte dazulernen, brauche ich eher feste Rituale oder werde ich zum Wiederholungstäter und stecke irgendwann fest in den immer gleichen Abläufen, Denkmustern und Glaubenssätzen? Unsere Einstellung führt zu bestimmten Gedanken. Diese prägen unsere Emotionen. Unsere Emotionen führen zu Worten, Taten und Gewohnheiten.

All das wiederum prägt unseren Charakter und damit unsere Persönlichkeit – und auch die eines jungen Andreas Herzog, der kurz vor seinem WM-Debüt stand und sich doch ein Stück weit entfernt wahrnahm. Zumindest nach seinem Auftreten in Brixen und nur eine Woche vor dem Eröffnungsspiel in Rom, als Hickersberger im Teamhotel an die Zimmertür von Russ und Herzog anklopfte.

Herzog ruhte zu diesem Zeitpunkt eben noch nicht so tief in sich, nahm Hickersbergers Wink mit dem Zaunpfahl nur bedingt oder gar nicht wahr und musste so eben noch ein paar Tage weiterzittern, bis er es dann doch realisierte – angekommen in der Startelf gegen Italien!

Natürlich spürte er von Tag zu Tag mehr Sicherheit, denn im Training wurde auf ihn gesetzt, er spielte im Team, das später auch das Match gegen Italien bestreiten sollte – und wurde eben nicht auf den Nebenplatz geschickt, um mit dem Ball zu jonglieren. Ein wichtiges Gefühl so kurz vor der WM. Und doch waren da immer noch die Zweifel: „Es ist halt eine andere Welt als Klubfußball!“

Erst am Spieltag selbst wurde Andi klar: Hickersberger hatte ihm schon eine Woche zuvor ein Zeichen gegeben. „Be prepared“, lautete das Motto, aber es ist eben alles eine Sache der Wahrnehmung.

Ich war extrem nervös bei der Bundeshymne und beim Spiel in Rom – der Rasen im Olympiastadion, ich kriege heute noch die Gänsehaut, wenn ich daran denk. Ich wollt nicht mal auf den Rasen draufsteigen, weil ich Angst hatte, der Superrasen wird zerstört. (Andreas Herzog)

Noch heute hat er die Bilder von seiner Riesenchance im Kopf: Beim Stand von 0:0 kommt eine Flanke von rechts, Giuseppe Bergomi erwischt den Ball nicht richtig, und der Ball kommt zum zweiten Pfosten.

Und i erwisch den Ball nur mit dem Schienbein und mit dem Knöchel und schieß drei Meter daneben, von acht oder zehn Metern – das war normal genau meine Situation, so ein Volleyschuss mit meinem starken linken Pratzerl. Und i hab die Chance aber verhaut. Und i schwör’s dir, wenn i des Tor geschossen hätte, hätten wir vielleicht 1:0 gewonnen. Dann würde ich heute noch Ehrenrunden in Rom laufen. (Andreas Herzog)

Aber es sollte bei diesem Spiel noch nicht sein. Und so unterlag man kurz vor Schluss durch ein Tor des „kleinen Schillaci“, wie ihn Herzog heute noch liebevoll nennt. „Und wieso die Rückennummer 20?“, fragte ich den ehemaligen Vorzeige-10er abschließend nach einer langen Gesprächsrunde und am Abend eines verregneten Feiertags in Wien. Viel hatte ich in den vergangenen Stunden erfahren dürfen – von den Anfängen bei Rapid, der unbeschwerten Zeit bei Vienna bis hin zum Nationalmannschaftsdebüt und Italien 1990. Doch das mit der Rückennummer war mir noch nicht klar.

In Rom samma so gesessen beim Abendessen, und der Teamchef hat gesagt: „So, und jetzt zu den Rückennummern.“ Und ich war halt noch ein junger Spieler und wollt die Nummer 10 haben, aber ich war ja noch ein relativer Frischling, hab mich nichts zu sagen getraut. Und dann sind alle Nummern weggegangen, und dann waren nur mehr 12 und 20 über. Naa, mit der 12er spiel i sicher nicht, hab ich mir gedacht (lacht): „Trainer, ich hätt gerne die Nummer 20!“ Da war ich mutig, als Vorletzter habe ich mir die Nummer 20 geschnappt (lacht noch mehr). Und für den Baur Michi ist die Nummer 12 übergeblieben. (Andreas Herzog)

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