Kitabı oku: «Herzschweißen», sayfa 2
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Von: Isabella Mahler
An: Christoph Regner
Montag, 2. Dezember, 13:12 Uhr
Sehr geehrter Herr Regner,
ich habe Sie am Freitag in »Guten Morgen Österreich« gesehen.
Bitte nicht falsch verstehen, wenn ich Ihnen das jetzt schreibe. Die Geschichte mit den zwei Jugendlichen aus Guinea hat mich sehr berührt, noch mehr aber die Art, wie Sie sie erzählt haben.
Liebe Grüße
Isabella Mahler
Von: Christoph Regner
An: Isabella Mahler
Montag, 2. Dezember, 14:56 Uhr
Sehr geehrte Frau Mahler,
so eine herzliche Rückmeldung von Ihnen zu erhalten, das hätte ich nie erwartet. Tut der Seele echt gut …
Danke dafür und jetzt ganz ehrlich: Ich finde Ihre Interviews auch berührend, von Menschlichkeit und Respekt getragen, dennoch hinterfragen Sie stets kritisch. So finden Ihre GesprächspartnerInnen auch das Zutrauen, ihre Alltagsmaske abzulegen und sich ein Stück weit zu zeigen.
Alles Liebe
Christoph Regner
Von: Isabella Mahler
An: Christoph Regner
Dienstag, 3. Dezember, 12:03 Uhr
Sehr geehrter Herr Regner,
danke, dass Sie mir so lieb zurückschreiben. Ich musste an Kreisky denken, der gesagt haben soll: Sie wissen gar nicht, wie viel Lob ich vertragen kann!
Nein, im Ernst: Die »Welt der Schmerzen«, wie Sie es genannt haben, so zu erklären, dass sie fühlbar wird, ist schon eine Gabe.
Vielleicht ergibt sich ja einmal die Gelegenheit, dass wir einander begegnen. Ich würde mich sehr darüber freuen.
Liebe Grüße
Isabella Mahler
Von: Christoph Regner
An: Isabella Mahler
Dienstag, 3. Dezember, 17:17 Uhr
Sehr geehrte Frau Mahler,
vielleicht ergibt sich die Gelegenheit, das haben
Sie sehr behutsam formuliert.
Ich würde mich auch freuen, Sie »analog« kennenzulernen. Leben ist Begegnung …
Haben Sie ein Lieblingscafé?
Mit lieben Grüßen
Christoph Regner
Von: Isabella Mahler
An: Christoph Regner
Mittwoch, 4. Dezember, 22:07 Uhr
Sehr geehrter Herr Regner,
mein Lieblingscafé ist eigentlich das Les Deux Magots in Paris. In Wien mag ich das Café Rathaus und das Westend. In der »Blu Style« im Hotel Radisson Blu werde ich übernächsten Donnerstagnachmittag bei der Feuerstelle Paulo Coelho interviewen. Spricht Sie da was an?
Isabella Mahler
Von: Christoph Regner
An: Isabella Mahler
Donnerstag, 5. Dezember, 10:48 Uhr
Sehr geehrte Frau Mahler,
ich hab mir oft gewünscht, das Amnesty-Haupthaus wäre in Paris, nicht in London.
Das Les Deux Magots kenne ich nur aus der Literatur. Coelho war Mitglied der antikapitalistischen »Alternativen Gesellschaft«, das spricht mich an.
Also werden wir einander auch bei der Feuerstelle im »Blu Style« begegnen? Bleibt nur noch die Frage, wann. Vor Weihnachten ginge bei mir noch der 12.12.
Sonst im neuen Jahr?
Mit lieben Grüßen
Christoph R.
Von: Isabella Mahler
An: Christoph Regner
Donnerstag, 5. Dezember, 12:41 Uhr
Sehr geehrter Herr Regner,
der 12.12. hätte mir gut gefallen, weil ich schöne Zahlen sehr mag. Aber an diesem Abend ist die Weihnachtsfeier unserer Redaktion. Am zweitschönsten nach dem 01.01.2020 finde ich eigentlich den 12.01.2020 – 120-120-20 – das ist ein Sonntag. Der 20.01.2020 gefällt mir auch gut. Ich lasse Ihnen den Vortritt.
Liebe Grüße
Isabella Mahler
Von: Christoph Regner
An: Isabella Mahler
Freitag, 6. Dezember, 00:08 Uhr
Liebe Frau Mahler,
20.01.2020 passt, um 20:01 Uhr dann wohl.
Ich wünsche Ihnen besinnliche, friedvolle Weihnachten.
Alles Liebe
Christoph Regner
6
Isabella spürte etwas Feuchtes an ihrer Wange. Sie öffnete langsam ihre Augen und wusste nicht, wer und wo sie war. In dieser ersten Sekunde nach dem Aufwachen gab es keine Zeit und keinen Raum, sie schwebte noch in der Traumwelt, es war ein Moment größter Verletzlichkeit. Prinzessin hatte sie angestupst und aufgeweckt, wie jeden Morgen. Schlaftrunken streichelte Isabella ihr zartes Fell, während die Tigerkatze sich wohlig an ihren Körper schmiegte und laut schnurrte. In der »Zeit« hatte sie gelesen, dass eine schnurrende Katze sich nicht immer wohlfühlt. Dass Schnurren oft eine Methode sei, mit der sich Katzen in stressigen Situationen selbst beruhigen. So selig, wie Prinzessin neben ihr lag, und ihr noch ein paar Minuten Dösen vor dem Füttern gönnte, konnte sie sich nicht vorstellen, dass sie gerade Stress abbaute. »Ich steh ja schon auf«, murmelte Isabella, als Prinzessin erneut die feuchte Nase an ihre Stirn rieb. Mogli streckte sich, er wusste, das Katzenfrühstück war nah.
Irgendetwas war anders an diesem Morgen. Geträumt hatte sie nicht, das machte den Start in den Tag schon mal leichter. Wenn sie geträumt hatte, versuchte sie immer, der Bedeutung des Traumes sofort auf den Grund zu gehen. Das beschäftigte sie oft den halben Vormittag, mitunter ohne Erfolg. Auf dem Weg in die Wohnküche horchte Isabella in sich hinein. Sie spürte eine leise Aufregung, eine undefinierbare Erwartung, als sie zum Kühlschrank ging, um Topfen zu holen. In einem tiefen Teller zerquetschte sie eine Banane mit der Gabel, mischte den Topfen, Honig und geschrotete Leinsamen dazu und gähnte. Während die elektrische Kaffeemühle surrte, fiel ihr das E-Mail ein, das um 0.08 Uhr in ihrem Posteingang aufschien. Christoph Regner. Sie hatte ein Rendezvous, das war es!
Nach dem ersten Kaffee wurde ihr das Ausmaß der nächtlichen Vereinbarung so richtig bewusst. Der Mann, der sie mit seinem Fernsehauftritt aus ihrem Dornröschenschlaf gerissen hatte, wollte sie treffen. Seine E-Mails hatten von Anfang an eine sehr persönliche Note gehabt. Es schwang in ihnen noch etwas anderes mit als bloßes Interesse. Etwas, das sie sehr nervös machte. Auch wenn es noch eine Ewigkeit war bis zum 20. Januar, fühlte Isabella jetzt schon Panik. Wozu das Ganze? Sie suchte keinen Mann, sie hatte eigentlich für so etwas gar keine Zeit. Sogar wenn sie sich mit Bekannten treffen wollte, kam meistens etwas dazwischen. Deshalb war es kompliziert, mit ihr befreundet zu sein. Außerdem hatte sie Angst.
Isabella schlüpfte in ihre Jogging-Pants, schnappte sich ein weißes Thermoshirt und suchte ihre Laufschuhe. Bewegung würde ihr guttun. Sie rannte hinunter zum Donaukanal, sah aus den Augenwinkeln das grüne Wasser fließen, sie und der Fluss bewegten sich in dieselbe Richtung. Der gefrorene Boden knirschte unter ihren schnellen Schritten, die kalte Luft fraß sich in ihre Lunge.
Auf ihrer kurzen Strecke begegnete sie zwei Ratten, die den Weg zum Wasser kreuzten, und einem schwarzen Raben, der sie neugierig anstarrte. Es war 6.45 Uhr. Auf dem Rückweg würde sie frisches Grahambrot mitnehmen, dafür klebte immer ein Fünfeuroschein in ihrem BH. Grahambrot erinnerte sie an ihre Bandscheibenoperation vor sechs Jahren. An den Morgenschmerz, der damals wochenlang ihr Begleiter war. Durch Bewegung wurde er immer schwächer und schließlich besiegte sie ihn. Danach gab es in der Klinik Grahambrot mit Butter und Honig und Malzkaffee.
Beim Aufgang zur Brücke sah sie Brigitte mit ihrem Beagle »Giovanni«. Brigitte spielte die lustige Alte in einer TV-Vorabend-Serie, verkörperte den Prototyp Frau jenseits der 50, die noch Spaß an Sex hat. Privat sah das anders aus.
»Hey!«, rief Isabella und drosselte das Tempo, Brigitte winkte ihr zu. Die beiden Frauen gingen ein Stück des Weges gemeinsam.
»Du siehst gut aus«, sagte Brigitte und musterte Isabella von der Seite. »Irgendwie verändert.«
Isabella erschrak. Sie war innerlich aufgewühlt, aber konnte man das äußerlich wirklich sehen?
»Ich habe eine Konversation mit einem Mann begonnen«, sagte Isabella. »Hab ihm ein E-Mail geschrieben, und er hat sofort geantwortet.«
Brigitte horchte auf. »Ich bewundere deinen Mut«, sagte diese starke, erfolgreiche Frau, »ich glaube, ich könnte das nicht.«
»Es war ein innerer Impuls«, erklärte Isabella. »Ich bereue es mittlerweile schon fast.«
Dann erzählte Brigitte von einem Regisseur. Sie sei aber nicht sicher, ob ihre Gefühle für ihn auf Gegenseitigkeit beruhen würden. Außerdem sei der Typ verheiratet.
Isabella hatte dieses Argument schon so oft gehört. Und nie verstanden. Ihrer Ansicht nach konnte man sich mit jedem Menschen unverbindlich treffen und austauschen, unabhängig von dessen Geschlecht oder Beziehungsstatus. Alles andere würde ja bedeuten, dass der Austausch mit einem Hintergedanken stattfände. Der Hoffnung oder Absicht, eine romantische oder sexuelle Beziehung einzugehen. Isabella schien es logisch, dass am Anfang höchstens Interesse stehen konnte. Gefühle kamen erst später, mitunter auch gar nicht.
»Ist es nicht unehrenhaft, ihm zu schreiben?«, fragte Brigitte leise.
»Unehrenhaft?« Isabella sah in den sich klärenden Morgenhimmel. »Was soll daran unehrenhaft sein? Lerne ihn doch erst einmal kennen!«
Und dann hielt sie ein zorniges Plädoyer über Frauen, die sich viel zu viele Gedanken machen. Über das, was Männer über sie denken, über Fesseln und Konventionen, über Freiheit und Emanzipation, »sogar über Ehefrauen, die wir gar nicht kennen, machen wir uns Gedanken«, ließ Isabella ihrem Ärger Luft. »Und wer macht sich bitte Gedanken über uns?«
Brigitte lachte. »Du hast mich ermuntert«, meinte sie, »vielleicht frage ich ihn, ob er Lust hat, einen Kaffee mit mir zu trinken.«
Auf dem Rückweg in ihre Wohnung überlegte Isabella, was Christoph Regner jetzt wohl gerade machte. Ob er Kaffee oder Tee trank zum Frühstück? Wo er wohnte und wie. Wahrscheinlich fuhr er mit der U-Bahn ins Büro. Sie fragte sich, nicht das erste Mal, warum er ihr am 6. Dezember schon frohe Weihnachten gewünscht hatte.
Isabella verspürte große Lust, ihm zu schreiben, entschloss sich aber, diesem Verlangen nicht nachzugeben.
7
An Interview-Tagen war Isabella trotz jahrzehntelanger Routine und perfekter Vorbereitung noch immer aufgeregt. Sie stellte sich den Worst Case vor, dass sie zu spät kommen, ihren Interviewpartner vor den Kopf stoßen würde, wichtige Aspekte übersehen haben könnte, dass sie ihrem Gegenüber sprachlich unterlegen wäre, dass sie sich von seiner Sympathie davontragen ließe, dass das Ergebnis blamabel sei, in den sozialen Netzwerken ein Shitstorm losbrechen würde und ihr Herausgeber sich zu keiner Bemerkung hinreißen ließe. Es gab so einen Spruch in der Redaktion. Ned gschimpft is gnua g’lobt – kein Tadel bedeutet bereits Lob, das einzige Lob.
All diese schrecklichen Vorstellungen endeten jeweils damit, dass sie zu sich selbst sprach: »Du hast das hunderte Male gemacht und es ist fast immer gut ausgegangen. Sehr gut sogar. Es gibt keinen Grund, dass es diesmal anders sein sollte. Du weißt genau, wie es geht. Deine Gesprächspartner vertrauen dir. Sie öffnen sich und erzählen dir Dinge, die besonders sind. So, und jetzt lässt du deine Angst los.«
Isabella stellte sich Angst blau vor und atmete die blaue Luft wie einen schweren Seufzer aus. Dann atmete sie frische, goldene Luft ein. Ihr Körper entspannte sich, sie spürte Respekt und Demut, auch vor sich selbst. Eine Haltung, die jedes Gespräch von Grund auf veränderte.
Die Schreckensvorstellungen waren nicht gänzlich unbegründet. Immer noch quälten sie die Erinnerungen an ein Interview, das ihr damals, knapp vor ihrem dreißigsten Geburtstag, völlig misslungen war. Jeanne Moreau, die Isabellas Meinung nach das französische Kino des 20. Jahrhunderts wie kaum eine andere Künstlerin geprägt hatte und noch dazu ihre Lieblingsschauspielerin war, sagte vor einem Wien-Besuch zwei Interview-Anfragen zu. Eine Zusage betraf Isabellas Tageszeitung.
Sie war so stolz, diesen Termin wahrnehmen zu dürfen, dass sie vollkommen unvorbereitet nach Paris flog. In der AUA-Maschine blätterte sie noch in der Biografie Die verwegene Jeanne Moreau. »Wenn andere Schauspielerinnen das gewisse Etwas hatten, so hatte die Moreau das gewisse Alles«, stand auf der Rückseite.
Verwegen war auch Isabellas Unprofessionalität. Auf der Fahrt vom Flughafen Charles de Gaulles in die Innenstadt zog sie im Taxi ihre Lippen nach und überlegte, was ihr Fotograf wohl für ein Typ Mensch sein würde. Besonders phlegmatische und hyperaktive Fotografen machten Isabella wahnsinnig. Ihr eigenes Phlegma fiel ihr nicht auf.
In der Rue de l’Université empfing Jeanne Moreau an diesem Juninachmittag um 17 Uhr Isabella und Michel, die Journalistin aus Wien und ihren Pariser Fotografen. Sie sprach – welche Überraschung – französisch. Daran hatte Isabella gar nicht gedacht. Und ihr Sony-Aufnahmegerät hatte sie auch vergessen.
Das Interview – nein, ihr Gestammel verdiente diese Bezeichnung wahrlich nicht – wurde zu einem Desaster. Jeanne Moreau weigerte sich, wie viele Franzosen, wenn man ihre Sprache nicht spricht, ins Englische zu wechseln. Isabella wusste, dass Michel ihre einzige Rettung war. Er berichtete ihr später, was die zunehmend unwillig werdende Moreau auf ihre Fragen geantwortet hatte.
Damals schämte sich Isabella so sehr, dass sie stundenlang weinte. Aber es war auch ein Schlüsselmoment für ihre spätere Karriere. Ihr wurde bewusst, dass Interviewführung nichts war, was einfach so gelang. Sondern eine ganz eigene Disziplin des Journalismus, mit zahlreichen Regeln und noch mehr Fallstricken. Diese Regeln eines Formats, das viele für die Königsdisziplin des Journalismus hielten, wollte sie sich akribisch aneignen und zur Perfektion führen.
Isabella stieg aus der Dusche, trocknete sich ab und massierte Birkenöl in die Dellen ihrer Oberschenkel. Es war 11 Uhr, der Termin mit Paulo Coelho war in vier Stunden. Sollte sie den schwarzen Hosenanzug von Max Mara tragen oder das rote Jil-Sander-Sakko? Dazu konnte sie auch Jeans kombinieren, das sah nicht so übertrieben elegant aus. Sie entschied sich schließlich für ein grünes Wollkleid mit Stiefeln. Im Sommer trug sie meist Weiß oder Gelb. Gelb war ihre Lieblingsfarbe. Gelb wie die Sonne und die Maisfelder im August.
Isabella föhnte ihre Haare, rollte die Strähnen um ihren Finger und steckte sie mit Clips fest. Das gab natürliche Locken. Sie trug Make-up auf, dazu ein bisschen Erdpuder, braunen Lidschatten und roten Lippenstift. Sie mochte die Fältchenlandschaft um ihre Augen und den Mund, nichts schlimmer als botoxgeglättete Gesichter.
Dann setzte sie sich an den Tisch in der Küche, vor sich ein paar Blätter Papier. Sie dachte an Paulo Coelho, führte sich seine Lebensleistung vor Augen, und versetzte sich dann in die Lage ihrer Leserinnen und Leser. Was wollten sie vom »König der Sinnsuche« wissen? Es spielte überhaupt keine Rolle, ob sie selbst die Romane von Coelho gerne las oder sie für Kitsch hielt. Sie war immer Anwältin ihres Publikums, musste jene Fragen stellen, die sich auch ihre Leser stellen würden – Coelho-Freunde und Coelho-Feinde. Diese Fragen notierte sie sich, frech formuliert, in einer Art Dramaturgie. Eine Einstiegsfrage, um die Stimmung zu lockern. Empathische und kritische Fragen in Wellenbewegungen. Die gewagteste Frage am Schluss. Sonst konnte es passieren, dass die Stimmung kippte.
Das Allerwichtigste: Sich selbst nicht so wichtig nehmen. Das fiel Isabella nicht schwer, weil sie in Wahrheit ein scheuer, tief in ihrem Innersten auch ein unsicherer Mensch war. Eine gute Interviewerin nimmt sich zurück, erklärte sie den Studenten ihrer Interview-Seminare gerne, sie hört lieber zu als zu reden, ihr Instrument sind die Fragen. Darüber hinaus registriert sie auch, was nicht gesprochen wird.
Sie erfasst die sogenannte Metaebene. Isabella erzählte dazu gerne die Geschichte von der Fliege. Stellt euch vor, dass ihr aus der Perspektive einer Fliege, die an der Decke des Zimmers sitzt, das Gespräch verfolgt, das unter euch stattfindet. Was sieht die Fliege? Die Körperhaltungen, die Blicke, die Sprechpausen, den Ausdruck der Gesichter, das Spiel der Hände. Die Fliege versteht nicht, was gesprochen wird, dennoch nimmt sie wahr, was die beiden Gesprächspartner ausdrücken.
Als sie um 14.45 Uhr ihren Mini im Regierungsviertel parkte und fünf Minuten später die »Blu Style« betrat, fühlte Isabella sich gut. Bereit, sich einem fremden Menschen in kürzester Zeit emotional zu nähern, darüber zu schreiben, um sich dann genauso schnell wieder von ihm zu entfernen.
Das Interview verlief angenehm und professionell. Paulo Coelho gefiel ihr ehrliches Interesse und ihre akribische Vorbereitung. Mit der Frage nach der »geheimen Formel« seines Erfolgs hatte sie etwas in ihm berührt. Noch während sie seinen Worten lauschte, tauchten bereits die herausgehobenen Zitate des gedruckten Interviews vor ihrem inneren Auge auf.
Ein Mensch darf nie aufhören zu träumen. Der Traum ist für die Seele, was Nahrung für den Körper bedeutet.
Ich schreibe nicht gern in der Einsamkeit. Ich brauche Geräusche um mich herum, Geschäftigkeit. Ja keine Stille! Meine Bücher entstehen mitten aus dem Leben heraus.
Und Glück, meinte Coelho, sei langweilig.
Besser hätte es nicht laufen können. Als der Schriftsteller sich verabschiedete und zurück in seine Suite ging, bestellte Isabella noch zwei Espressi für sich und ihren Fotografen. Die Lampe in Form eines Filmscheinwerfers tauchte die Bar in ein zartes, mattes Licht.
Über die weihnachtlich geschmückte Herrengasse brach der Abend herein. Als Isabella zu ihrem Auto ging, fühlte sie sich beschwingt und hungrig. Beim Ausparken hörte sie ein lautes Knirschen. Oh mein Gott, dachte sie, hab‘ ich jetzt wirklich dieses Angeber-Auto vor mir gerammt?
Im silbergrauen Aston Martin saß ein Mann und telefonierte bei laufendem Motor. Er drehte sich um und gestikulierte mit der rechten Hand. Sollte wohl »Sind Sie verrückt geworden?« heißen.
Schließlich kletterte er aus dem Sportwagen und näherte sich mit langsamen Schritten. Er warf Isabella einen feindseligen Blick zu. Sie saß noch immer seelenruhig am Steuer ihres Minis und kramte geschäftig in ihrer Handtasche herum.
»Prinz!«, stellte sich der Typ mit dem 150.000-Euro-Wagen vor.
»Mahler, angenehm. Leider kann ich im Moment weder Führerschein noch Zulassungspapiere finden …« Isabellas Finger fischten Lippenstifte, Notizhefte, Schlüssel, Nagelfeilen und Pfefferminz-Lutschbonbons aus der Tasche.
Prinz seufzte. Zu seinem Ärger gesellte sich offenbar eine gewisse Verwunderung. Vielleicht war er irritiert darüber, dass diese Frau nicht einmal wissen wollte, wie schlimm der Schaden an seinem Auto war. Ja, dass sie nicht einmal die Kratzer an ihrem Mini, den er sicher komisch fand, zu interessieren schienen.
»Tut mir leid, das mit dem Buserer«, sagte Isabella. Buserer. Auch so ein Wiener Ausdruck der liebevollen Verharmlosung. Wie Pantscherl für Affäre, oder safteln, wenn eine Wunde nicht aufhörte zu bluten.
»Ja, mir auch«, erwiderte Prinz, der einen Unfallbericht in der Hand hielt, »ich hoffe, Sie sind gut versichert.«
Schließlich schob Isabella eine Visitenkarte durchs offene Fenster, registrierte seine dunkelblonden Haare, die grünen Augen. »Füllen Sie das doch bitte für uns beide aus«, bat sie, dann startete sie ihren Wagen und fuhr davon.
Prinz schaute ihr ungläubig nach. Im Rückspiegel sah Isabella, dass er winkte.
8
Von: Christoph Regner
An: Isabella Mahler
Dienstag, 17. Dezember, 22:09 Uhr
Liebe Frau Mahler,
Ihr Interview mit Paulo Coelho in der Hotelbar, ich hab’s verschlungen. Gefoltert zu werden, in der Psychiatrie zu landen, als ehemaliger Drogenabhängiger 135 Millionen Bücher zu verkaufen, was für eine Vita! Ich mag den Satz, den Sie ihm entlockt haben: »Glücklich zu sein ist langweilig wie ein Sonntagnachmittag.«
Wie ist es, so vielen spannenden Menschen so nahe zu kommen?
Alles Liebe
Christoph R.
Von: Isabella Mahler
An: Christoph Regner
Mittwoch, 18. Dezember, 10:10 Uhr
Lieber Herr Regner,
es ist schön und unheimlich zugleich. Ein fremder Mensch sitzt mir gegenüber, wir schaffen eine vorübergehende Atmosphäre des Vertrauens, er öffnet sich mir und somit einem Millionenpublikum. Wir befinden uns in einem Raum, der spontane Nähe zulässt. Aber schon eine Sekunde nach dem Gespräch sind wir wieder Fremde.
Wie wird es sein, Ihnen in 33 Tagen gegenüberzusitzen? Ich kann nicht glauben, dass ich einem Termin in so weiter Ferne zugestimmt habe, nur weil ich kindischerweise schöne Zahlen lieber mag als unzusammenhängende. Ich werde jetzt immer neugieriger, wie sich alle Puzzleteilchen, die nach dem Fernsehauftritt einfach so entstanden sind, zum Menschen zusammensetzen, dem ich bald begegnen werde.
Wobei, »bald« sehen wir uns ja nicht … Aber Warten hat auch etwas Zauberhaftes, wie ein Abschied und ein Neubeginn.
Geduldige Grüße
Isabella M.
Von: Christoph Regner
An: Isabella Mahler
Mittwoch, 18. Dezember, 22:17 Uhr
Liebe Frau Mahler,
ich freu mich und bin neugierig. Wie fließen die Bilder, die mein Kopf zu malen begonnen hat, mit der Unmittelbarkeit der Begegnung zusammen? Ich mag es, Menschen zu begegnen.
Wenn ich ein Buch zu lesen beginne und ich merke, es bindet mich, die Spannung steigt. Was kommt auf Seite 20, 33, 45? Kommt noch eine E-Mail, was wird geschrieben, was schreibe ich …?
Leben ist Begegnung …
Alles Liebe
Christoph R.
Von: Isabella Mahler
An: Christoph Regner
Donnerstag, 19. Dezember, 13:40 Uhr
Lieber Herr Regner,
ja, was wird geschrieben? Von mir zum Beispiel das Wort »zugestimmt«, dabei war dieser zeitferne Termin allein meine grandiose Idee. Haha!
Ich habe Ihnen von der vertrauensvollen Atmosphäre geschrieben, von einem Raum, der Nähe zulässt. So geht es mir, wenn ich Ihre Nachrichten lese. Nicht auf das Medium reduziert zu sein, nicht auf doppeltem Boden zu stehen, einfach nur als Person wahrgenommen zu werden, tut so gut. Ich mag unsere leise, von Respekt getragene Unterhaltung.
In diesen Raum tauche ich gerne ein. Es fühlt sich da so ruhig an, wie wenn ich auf dem Hochstand in meinem ungarischen Garten sitze, vor mir nur die Schafherde und der Horizont. Oder auf der Alpe meiner Verwandten im Bregenzerwald, wenn die Nebelschwaden sich über die Berge legen und der Kachelofen langsam warm wird. Vielleicht sind das aber auch alles nur Projektionen.
Das ist übrigens unser 22. Mail. Aber bei Ihnen ist Mail ja weiblich – die Mail. Und Sie verwenden die gendersensible Sprache.
Liebe Grüße …
Isabella M.
Von: Christoph Regner
An: Isabella Mahler
Donnerstag, 19. Dezember, 23:04 Uhr
Liebe Frau Mahler,
ich habe unseren Austausch nicht im Kontext Journalismus geführt. »Wie sich alle Puzzleteilchen, die nach dem Fernseh-Auftritt einfach so entstanden sind, zum Menschen zusammensetzen«, ist eine wunderbare Beschreibung dafür, was zwischen uns passiert.
Von Beginn an habe ich Sie als Mensch und nicht als schillernde Protagonistin der Journalistenszene dieses Landes gespürt. Für mich waren und sind Sie Isabella Mahler, ehemals aus Vorarlberg. Ich bin einfach gespannt, wer Sie sind, was Sie ausmacht. Wichtig ist es für mich, zu spüren und zu erkennen, wann eine Begegnung mit einem Menschen möglich ist, der mich unterstützen kann, menschlicher zu werden. Oberflächlichkeit interessiert mich nicht mehr. Es gibt viel zu viel Lautverschmutzung, viel zu viel Geschwätz …
Sie sind keine Schwätzerin.
Alles Liebe,
Christoph R.