Kitabı oku: «Etwas Komisches geschah auf dem Weg in den Himmel»

Yazı tipi:

Oder: Wie ich meinen Frieden mit dem Paranormalen schloss und dabei auch mit stigmatisierten Fanatikern und Zynikern ins Reine kam

übersetzt von Kirsten Borchardt


www.hannibal-verlag.de

Widmung

Dieses Buch widme ich meiner Familie, die mich in einer fast endlosen Schleife immer wieder mit Konzentration und Inspiration versorgt. Ohne sie wäre ich ewig wurzellos. Durch meine Familie bin ich stets bereit, willig und aufmerksam. Ich liebe euch alle mit ganzem Herzen.

Die zweite Widmung gilt Charles Bonnici, der mir mehr über Hingabe und Liebe beigebracht hat als jeder andere auf der Welt, und der mir gezeigt hat, was es bedeutet, ein Mann zu sein.

Du fehlst mir, Dad.

Und ich werde mein Bestes tun.

Impressum

Der Autor: Corey Taylor

Deutsche Erstausgabe 2013

Titel der Originalausgabe:

„A Funny Thing Happened On The Way To Heaven“ © 2013 by Corey Taylor

ISBN 978-0-306-82164-6

This edition published by arrangement with Da Capo Press, A Member of the Perseus Books Group, USA. All rights reserved.

Editorial production by Marrathon Production Services. www.marrathon.net

Buchdesign: © Jane Raese

Coverdesign der deutschen Version: © bürosüd°, München

Coverabbildung und Fotos: © Paul Brown

Satz: Thomas Auer, www.buchsatz.com

Übersetzung: Kirsten Borchardt

Lektorat und Korrektorat: Hollow Skai

© 2013 by Hannibal

Hannibal Verlag, ein Imprint der KOCH International GmbH, A-6604 Höfen

www.hannibal-verlag.de

ISBN 978-3-85445-439-7

Auch als Paperback erhältlich mit der ISBN 978-3-85445-438-0

Hinweis für den Leser:

Kein Teil dieses Buchs darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, digitale Kopie oder einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet werden. Der Autor hat sich mit größter Sorgfalt darum bemüht, nur zutreffende Informationen in dieses Buch aufzunehmen. Es kann jedoch keinerlei Gewähr dafür übernommen werden, dass die Informationen in diesem Buch vollständig, wirksam und zutreffend sind. Der Verlag und der Autor übernehmen weder die Garantie noch die juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung für Schäden jeglicher Art, die durch den Gebrauch von in diesem Buch enthaltenen Informationen verursacht werden können. Alle durch dieses Buch berührten Urheberrechte, sonstigen Schutzrechte und in diesem Buch erwähnten oder in Bezug genommenen Rechte hinsichtlich Eigennamen oder der Bezeichnung von Produkten und handelnden Personen stehen deren jeweiligen Inhabern zu.

Inhalt

Cold House

Aber zunächst einmal werfen wir einen genauen Blick auf unsere Widersacher

Die Mansion

Eine Nacht in Farrar

Paranormale Lähmung und paranoide Faktoren

Das Herrenhaus von Foster Manor

Geistige Getränke mit Freunden

Geisterjagd in New York

Grenzgebiete

Die Kids aus dem Circle

Jetzt müsst ihr noch mal für fünf Minuten nachzahlen

Danksagung

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Zitate

Ein jeder Geist zurück ins Grabe sinkt

sobald der erste Hahnenschrei erklingt.

– Theodosia Garrison

Da war etwas Ehrfurchtgebietendes an der Vorstellung, wie ein einsamer Sterblicher am offenen Fenster stand und aus der draußen herrschenden Düsternis die Geister der Unterwelt heraufbeschwor.

– Sir Arthur Conan Doyle

What is this that stands before me?

Figure in black which points at me.

– John „Ozzy“ Osbourne, „Black Sabbath“, Black Sabbath


Heute sieht man sie überall. In Filmen und Cartoons, in der Werbung und in Reality Shows. Promis reißen sich darum, ihre eigenen Erfahrungsberichte an den Mann oder die Frau zu bringen, weil sie einen in den Designer-Sportjacken so schön zittern und erschauern lassen. Heute sind sie so gewöhnlich, dass man sich fast gar nicht mehr vorstellen kann, wie unheimlich es einst war, sie auch nur zu erwähnen. Aber es gab wirklich einmal eine Zeit, da genügte der Gedanke an Geister, damit dir eiskalte Schauer über den Rücken liefen. Damit meine ich jetzt nicht irgendwelche Typen, die sich ein Bettlaken mit zwei Löchern für die Augen über den Kopf ziehen, oder solche Geschichten, wie sie der Zeichentrick-Geisterdetektiv Scooby-Doo mit seinen Kumpels seit 1969 im Fernsehen aufklärte. Ich rede von den Schritten direkt hinter euch, von diesem leisen Schlurfen auf Parkettboden in jenen Augenblicken, in denen es eigentlich gar kein Geräusch geben dürfte. Ich rede von dem Schatten in eurem Augenwinkel, der euch auffällt, wenn ihr allein zu Hause seid. Ich rede von den Dingen, die sich unerklärlicherweise bewegen, über fliegendes Besteck und über die Kratzer, die man morgens an sich entdeckt, obwohl man sich sicher ist, dass man sie noch nicht hatte, als man am Abend zuvor schlafen gegangen war. Von leuchtenden Kugeln bis zu tiefen Schatten: Das spirituelle Ende des paranormalen Schwimmbeckens ist kein seichtes Gewässer, und nur allzu leicht kann man darin ertrinken.

In der Kindheit erzählt man sich Gruselgeschichten, wenn man mit ein paar Gleichaltrigen zusammenhockt und sich gegenseitig Angst machen will. Man kuschelt sich zusammen unter eine Decke und tauscht diese Storys wie Sammelbildchen, und mit angehaltenem Atem wartet man darauf, endlich an die Reihe zu kommen, denn in neun von zehn Fällen kennt jeder in der Runde eine Gruselgeschichte. Das können ganz softe Sachen sein, zum Beispiel, dass man einmal den eigenen Urgroßvater im Keller gesehen hat, oder aber etwas ganz Schauriges wie die dunkle Gestalt, die einem überallhin folgt, egal, in welche Stadt man zieht, und die schon da war, als man im Kindergarten mittags noch schlafen musste. Aber meiner Erfahrung nach kennt fast jeder in meinem Bekanntenkreis eine Geistergeschichte, und wenn nicht, dann wünscht er sich insgeheim garantiert, er würde eine kennen.

Die Menschen sind vom Übernatürlichen beinahe schon ebenso lange fasziniert wie von der Religion. Wahrscheinlich könnte man es so formulieren: Wenn die Religion eine Lounge-Sängerin ist, dann ist das Paranormale ein Rockstar. Falls man nicht gerade Schlangen anbetet oder in Zungen spricht, dann ist der Glaube meistens eine ziemlich banale Angelegenheit. Aber das Unerklärliche … Scheiße, das ist wie die erste Lederjacke oder der erste Zungenkuss. Tabus sind immer aufregender als die gesellschaftlich akzeptierten Werte. Vielleicht liegt es an der angedeuteten Dunkelheit oder am phantastischen Element, aber ich weiß, dass Gruselgeschichten schon allein deswegen faszinierend sind, weil sich nicht zwei von ihnen wirklich völlig gleichen. Die Bibel hingegen ändert sich nur dann grundlegend, wenn jemand Neues an die Macht gelangt.

Und sehen wir einmal den Dingen ins Auge: Die Menschen lieben es, sich zu fürchten. Aus demselben Grund gucke ich schließlich jeden verdammten Film über Haie, obwohl ich mir schon beim bloßen Anblick dieser Viecher jedes Mal fast in die Hosen mache. Ich liebe dieses Gefühl. Wenn man sich mit einem Mädchen verabredet, geht man beim ersten Date ja auch nicht in irgendeinen Liebesfilm, sondern am besten im Autokino in irgendeinen Streifen, bei dem sie einem vor Schreck direkt in die starken Arme springt. Es darf natürlich auch nicht zu derb und eklig sein, nur gerade intensiv genug, dass man zum Schuss kommt. Gruselgeschichten sind einfach unser frühester Kontakt mit der wilden Seite der Welt, und im Grunde geht es dabei um die Verbrüderung mit anderen Kids, um das Teilen von Erlebnissen, und darum, andere aufs Kreuz zu legen. Es ist Masochismus erster Güte.

Ich werde euch jetzt eine Geschichte erzählen, die ich seit meinem vierzehnten Lebensjahr niemandem anvertraut habe. Es ist eine außergewöhnliche, erschreckende und natürlich auch gruselige Geschichte. Und sie ist wahr; einige der Tatsachen haben sich inzwischen im Nebel der Zeiten verloren, weil sie nun mal dreißig Jahre zurückliegen, aber die Bruchstücke, an die ich mich erinnere, sind heute noch so lebendig wie in der Nacht, da alles geschah, und je mehr ich davon niederschreibe, um so mehr fällt mir auch wieder ein – stärker, klarer und mit mehr Einzelheiten. Ihr könnt das gern anzweifeln, wenn ihr wollt. Oder euch darüber lustig machen. Das ändert nichts daran, dass es genau so geschehen ist. Und ich war dabei. Das ist einfach ein Fakt: Ich war dabei.

Im Sommer 1983 war ich neun und wuchs im Süden von Des Moines in Iowa auf, soweit man überhaupt von Aufwachsen reden kann. Des Moines ist für mich, über kürzere oder längere Phasen meines Lebens, immer wieder eine Heimat und ein Refugium gewesen. Damals wusste ich noch nicht, dass ich ein Jahr später nach Florida umziehen und anschließend den größten Teil meiner Teenagerzeit an ständig wechselnden Orten verbringen sollte, bis ich irgendwann alles, was entfernt an Wurzeln hätte erinnern können, gegen eine echte Vagabundennatur eingetauscht hatte. Aber 1983 war ich schon seit drei wunderbaren Jahren in Des Moines und hatte mir so etwas Ähnliches wie ein normales Leben aufgebaut; ich fühlte mich wie ein richtiges Kind. Ich war sogar bei den Pfadfindern, bevor ein unglückliches Bremsenversagen dazu führte, dass ich mit meinem BMX-Rad durch die Fliegengittertür vom Haus meines Gruppenleiters krachte. Ich spielte ein bisschen Baseball in der Kinderliga (in einem Team, das eigentlich „The Cannibals“ hätte heißen sollen, bevor uns irgendein blöder Erwachsener in „The Cannon Ballers“ umbenannte), und Bowling in einer großartigen alten Anlage namens Bowlerama, wo auch schon lange vor meiner Geburt meine Großmutter gebowlt hatte. Ich wohnte in einer Kellerwohnung nahe der Kreuzung South East 14th Street und Watrous Avenue, und von der ersten bis Mitte der vierten Klasse besuchte ich die Andrew Jackson Elementary School, die nur ein paar Straßen entfernt lag. Man konnte der Watrous Avenue in östlicher Richtung folgen, bis sie in die Indianola Avenue mündete, und auf der anderen Straßenseite über den großen Schulhof bis zum Haupteingang laufen. Aber es gab einen direkteren, geheimnisvolleren Weg zur Schule, bei dem man auf dem Parkplatz und dem Spielgelände herauskam.

Damals befand sich die Quik-Trip-Tankstelle, die heute östlich der South East 14th Street liegt, noch auf der anderen Straßenseite, und an ihrer Stelle stand ein kleiner Supermarkt, der ein paar Jahre später schloss. An dieses Ladengrundstück grenzte rückwärtig ein Wald, den man von der Watrous Avenue nicht erreichen konnte, weil entlang unseres Schulwegs Häuser dazwischen lagen. Aber es gab einen Weg durch diesen Wald, der eine Abkürzung zur Jackson Elementary darstellte. Meine Freunde und ich schlugen uns also ins Gebüsch und drangen tief ins Innere dessen vor, was wir den South-Side-Wald nannten. Der Pfad wand und schlängelte sich so sehr, dass er fast eine Art Labyrinth darstellte, durch das wir morgens liefen, während die warme Morgensonne den Tau auf den Blättern trocknete. Aber je näher wir der Schule kamen, desto unheimlicher und finsterer wurde der Wald.

Ungefähr auf halber Strecke tauchten bizarre „Fallen“ und verdrehte, verrostete Stolperdrähte auf, die sich über den Weg schoben und dazu angelegt waren, jeden straucheln zu lassen, der hier entlang kam – die Drähte waren auf eine Art und Weise gespannt, die es so aussehen ließ, als ob uns wirklich jemand fangen und wehtun wollte. Wir kannten den Weg zwar sehr gut, aber trotzdem mussten wir stets aufpassen, wohin wir traten. Komischerweise veränderten die Fallen und Drähte hin und wieder ihre Lage – jemand bewegte sie. Wir fanden nie heraus, wieso. Nun mochte schon das allein einer Gruppe von Kindern gefährlich erscheinen, aber das, was auf diesem Weg sonst noch lauerte, war wie aus einem Wes-Craven-Film.

Mitten im Wald und weit entfernt von den umliegenden Siedlungen stand ein verlassenes, zweistöckiges Haus, entkernt und eingefallen, ein Turm böser Vorahnungen, der mit seiner Gothic-Atmosphäre einen herben Kontrast zur Vorstadtidylle bildete wie ein Überbleibsel aus den gruseligeren Geschichten der Brüder Grimm. Es war wie das Destillat der Farbe Grau und trotzte den Elementen; niemand wusste, wie alt es war, wie lang es schon dort stand oder warum dort überhaupt jemand hätte leben wollen. Schließlich lag es an keiner Straße und hatte auch keine Zufahrt, die es mit dem Rest der Welt verbunden hätte. Es war einfach nur ein hoch aufragendes, verfallenes Gemäuer, das uns Kindern eine Scheißangst einjagte – an den Außenwänden standen schreckliche Botschaften, die höchstwahrscheinlich die Teenager, die sich immer an dem Haus trafen, dort hingeschmiert hatten.

Wenn ich heute daran zurückdenke, dann war es wohl einfach nur ein unheimliches Gebäude, das knarrte und knirschte, aber für leicht zu beeindruckende Neunjährige war es das Feriendomizil des Teufels höchstpersönlich. Natürlich waren wir davon fasziniert, obwohl wir gleichzeitig einen großen Bogen drum herum machten. Keiner von uns hatte den Mumm, dort hineinzugehen. Nicht einmal als Teil einer Wette – die für ein Kind einen bindenden Vertrag darstellt, den man gerichtlich hätte einklagen können – trauten wir uns dort heran. Wenn wir am Haus vorbei kamen, fingen wir an zu rennen, und unser erhöhtes Tempo hatte nichts damit zu tun, dass wir rechtzeitig zum Unterricht kommen wollten. Auch wenn wir das Haus nicht sahen – wir wussten, dass es da war, und wir redeten dauernd darüber, bis meine Freunde und ich es irgendwann „Cold House“ tauften.

Der Sommer 1983 war eine wichtige Zeit in meinem Leben. Ich fing allmählich an, so zu denken, wie ich das heute noch tue, und ich merkte, dass andere Kinder gern in meiner Nähe waren, weil ich keine Angst kannte und es mit mir immer lustig war. Als Die Rückkehr der Jedi-Ritter ins Kino kam und meine Freunde und ich den Film nachspielten, wurde ich immer zum Luke Skywalker gewählt, marschierte mit meinem ramponierten Second-Hand-Lichtsäbel auf das Feld, auf dem wir normalerweise Straßen-Baseball mit Gummibällen und Besenstielen spielten, und sorgte dafür, dass die gute Seite siegte. Ich spielte viel mit den Nachbarskindern, von denen einige in meinem Alter und ein paar auch schon ein bisschen älter waren. Nach der Schule waren wir oft bei mir zu Hause – wir guckten Zeichentrickserien wie G.I. Joe oder die Musikvideos auf einem neuen Kanal namens MTV, weil wir zu den wenigen Familien gehörten, die damals schon Kabelfernsehen hatten, wenn auch nur über eine illegal angezapfte Leitung. Deswegen waren immer Freunde bei mir, und in jenem Sommer übernachteten wir oft auch gegenseitig beim einen oder anderen.

Es war Juli, als meine Freunde und ich beschlossen, dass wir uns nachts aus der Wohnung schleichen und Cold House erkunden wollten.

Wir waren zu sechst: Ich war sozusagen der Anführer, dann waren da noch mein erster richtiger bester Freund Henry sowie Matt, Joe, Tina und Brock. Henry und Matt, die ein paar Straßen weiter wohnten, übernachteten tatsächlich bei mir; Joe, Tina und Brock, ebenfalls aus unserer Siedlung, schliefen zu Hause. Den Plan fassten wir tagsüber, als wir gemeinsam durch die Gegend streiften und nicht recht wussten, was wir mit uns anfangen sollten. Wenn Kinder nicht genug Hirnnahrung bekommen, dann denken sich ihre Köpfe schnell irgendwelche Streiche aus, wie das alte Sprichwort schon sagt: Ein fauler Pelz ist des Teufels Kopfkissen. Wahre Worte: Beinahe hätte ich dafür gesorgt, dass meine ganze Familie aus dem Wohnkomplex flog, weil ich in einen Lagerraum eingebrochen war, im wörtlichen Sinne. Ich hatte eine Eisenstange benutzt, um eine Wand einzureißen.

Cold House wollte ich damals schon seit einiger Zeit genauer in Augenschein nehmen. Wir hatten davon gehört, dass es dort spukte, seit wir zum ersten Mal den Waldweg zur Schule genommen hatten. Der Gedanke, dass keine zwei Straßen von dort, wo ich schlief, ein richtiges Geisterhaus stand, war für meine Vorstellungskraft fast zu viel, und ich war fest entschlossen, dort hinzugehen, mich umzusehen und abzuwarten, was passieren würde. Meine Gefolgsleute waren verständlicherweise etwas zögerlicher. Tina wollte damit überhaupt nichts zu tun haben, und die anderen wollten sich allenfalls tagsüber dort hineintrauen. Ich hingegen wollte nachts hingehen, denn ich war felsenfest davon überzeugt, dass wir überhaupt nur nach Mitternacht dort etwas erleben würden. Es wurde niemand gezwungen, mitzugehen – das Motto lautete ganz klar „Dabeisein auf eigene Gefahr“. Aber letztlich fanden wir den gruseligen Kitzel doch alle viel zu aufregend. Und so fassten wir einen Plan.

Um Mitternacht wollten wir uns hinter dem Schuppen unseres Hauses treffen. Henry, Matt und ich kletterten also aus meinem Schlafzimmerfenster, so wie ich das schon viele Male zuvor getan hatte. Die anderen wollten sich ebenfalls von zu Hause wegschleichen, falls sie denn überhaupt wirklich mitkommen würden. Tina, Joe und Brock standen der ganzen Idee immer noch sehr skeptisch gegenüber, aber als meine kleine Gruppe um Mitternacht sicher am Schuppen angekommen war, dauerte es nicht lange, bis auch sie erschienen, und dann machten wir uns auf den Weg. Wir hatten während des Tages vier Taschenlampen in unser Zimmer schmuggeln können. Nun rannten wir die 14th Street entlang, überquerten sie an der Ampel, achteten vorsichtig darauf, keinem Erwachsenen über den Weg zu laufen, der uns natürlich sofort wieder nach Hause geschickt hätte, schlugen uns in den South-Side-Wald und wedelten dabei mit unseren Taschenlampen herum wie die Jedi-Ritter, um unsere Nervosität zu verbergen.

Bevor ich jetzt weiter erzähle, möchte ich schnell anmerken, dass ich wie immer die Namen meiner Freunde geändert habe. Zum einen aus Respekt vor den Geschehnissen. Zum anderen ist es zwar Jahre her, dass ich sie zuletzt gesehen habe – wir verloren uns kurz nach den geschilderten Ereignissen aus den Augen –, aber sie werden trotzdem auf alle Ewigkeit in Freundschaft mit mir verbunden sein und mir als Menschen in Erinnerung bleiben, die diese Erlebnisse unbeschadet überstanden. Wenn man sie heute fragte, würden sie wahrscheinlich nicht zugeben, sich überhaupt an diese Dinge zu erinnern. Aber mein Beruf bringt es mit sich, dass man sich den jugendlichen Überschwang erhält, und von daher ist meine Erinnerung an die folgenden Dinge so lebendig, als hätten sie sich erst gestern ereignet. Und daher ist dies hier mein Buch, meine Leidenschaft, mein Dilemma – sie namentlich zu nennen, würde vermutlich dazu führen, dass sie sich mit irgendwelchem Scheiß aus der Vergangenheit konfrontiert sehen, den sie sich vielleicht aktiv zu vergessen bemüht haben. Aber das ändert nichts an den Tatsachen: Es hat sich alles so abgespielt wie beschrieben, ich war nicht allein, und ich habe heute noch Narben, die meine Worte bezeugen können.

Unsere kleine Gruppe war recht guter Stimmung, obwohl wir uns gerade durch die Dunkelheit zu einem Ort schlichen, vor dem wir uns eigentlich zu Tode fürchteten. Selbst wenn wir über die Drähte stolperten, die über den Weg gespannt waren, lachten wir und halfen uns gegenseitig wieder auf. Wir blieben in Bewegung und waren uns sicher, dass wir etwas „total Krasses“ erleben würden. Und dann, ehe wir uns versahen, und viel früher, als wir damit gerechnet hatten, waren wir da.

Ich kann gar nicht beschreiben, wie viel Furcht erregender Cold House im Dunkeln aussah. Jahre später, als ich das Ende von Blair Witch Project sah, hatte ich ein ganz entsetzliches, heftiges Flashback. Es war, als wäre damals jemand mit einer Filmkamera bei uns gewesen. Aber das war nur ein Film, der absichtlich so angelegt worden war, dass man sich vor Angst in die Hosen machen und von der Kameraführung seekrank werden sollte – Erinnerung und Realität können so viel heftiger und härter sein.

Wir ließen das Licht unserer Taschenlampen über die verfallene Fassade wandern, und sie sah aus wie ein Killer. Es war, als hätte man direkt neben sich im Wasser plötzlich einen Alligator entdeckt. Es waren natürlich keine Scheiben mehr in den Fenstern, weil die Teenager, die immer hier herumlungerten, sie mit Steinen eingeschmissen hatten oder mit diesem komischen, grünen, harten Zeug, das nach Haushaltsreiniger roch und überall von den Bäumen fiel. Tatsächlich sahen die Bäume rund ums Haus wie gruselige Finger aus, die wirkten, als würden sie das Gebäude zusammenhalten oder aber auf uns Eindringlinge zeigen und uns auffordern, uns davon fernzuhalten. Die Haustür hing fürchterlich schief nur noch an einer Angel, und die Treppe, die zur vorderen Veranda hinaufführte, sah schon so wurmstichig aus, dass sich selbst Indiana Jones einen anderen Weg ins Innere gesucht hätte.

Wir standen alle da, wie erstarrt vor Aufregung und Angst. Wollten wir das jetzt echt machen, verdammte Scheiße? Ganz offenbar war ich der einzige, der wirklich bereit war, den ersten Schritt zu tun. Erfüllt von einem Feuer, von dem ich heute noch nicht weiß, woher es eigentlich kam, verließ ich den Pfad und machte vier Schritte aufs Haus zu – und kam dem verfallenden Gebäude damit näher als je zuvor. Meine Knie waren butterweich und mein Herz schlug mir bis zum Hals, aber ich machte noch einen Schritt. Das Geräusch von Füßen im hohen Gras ließ mich erkennen, dass meine Kameraden mir folgten, wenn auch in einigem Abstand.

Vorsichtig betrat ich die Vortreppe. Jede Stufe knarrte laut unter meinem Gewicht, und obwohl das Summen der Stadt nicht allzu weit entfernt zu sein schien, wirkten all diese Geräusche in der Dunkelheit und im Schweigen des Waldes wie Nadeln, die sich in die Ohren bohrten. Wir hätten genauso gut in Rumänien sein können, so weit weg schien uns unser Zuhause. Die Veranda selbst war in etwas besserem Zustand als die Treppe, und wir versammelten uns dort, bevor ich mit starren Fingern nach der Eingangstür griff und mir Zugang zum Cold House verschaffte. Einer nach dem anderen traten wir über die Schwelle.

Dann gingen unsere Taschenlampen aus.

Bei den Studien über paranormale Phänomene, denen ich mich über die Jahre gewidmet habe, habe ich oft davon gelesen, dass Geister Batterien oder andere Energiequellen leersaugen, um sich manifestieren zu können. Dass das stimmt, habe ich festgestellt, als ich 2003 und teilweise auch 2004 eine ähnliche Aktivität in der berüchtigten Mansion von Laurel Canyon in Los Angeles beobachten konnte. Aber davon soll später die Rede sein. Damals, 1983, hatte ich von diesem Phänomen keine Ahnung. Da war ich einfach nur ein Neunjähriger, der ganz plötzlich in schwärzester Dunkelheit in einem verlassenen Haus stand. Wir schüttelten die Taschenlampen und versuchten, sie wieder anzuschalten, und wir fragten uns natürlich auch, was zur Hölle dafür gesorgt haben konnte, dass sie alle zur gleichen Zeit ausgingen – ich glaube, Tina hatte gerade erst frische Batterien eingelegt, bevor sie von zu Hause losgelaufen war. In diesem Augenblick fiel mir ein Schimmer auf, der aus dem ersten Stock zu kommen schien. Meine Augen hatten sich inzwischen etwas an die Lichtverhältnisse angepasst, und ich konnte einige vage Umrisse ausmachen, die Wände, einen kaputten Stuhl und die Treppe, die ins nächste Stockwerk hinaufführte. Und da war es, auf dieser Treppe: ein Lichtschein, der für uns alle deutlich zu erkennen war. Ich machte einen Schritt auf die Treppe zu, aber eine Hand legte sich auf meinen Arm. Es war Henry, und er flüsterte: „Sei nicht blöd, wo willst du denn hin?“ Aber ich entwand mich seinem Griff, holte tief Luft und setzte den Fuß auf die unterste Stufe.

Noch bevor ich einen zweiten Schritt tun konnte, wurde der Schimmer heller. Ich richtete meinen Blick auf das obere Ende der Treppe. Und dann sah ich die Gestalt.

Ich vermutete, es sei ein Mensch – jedenfalls sah sie menschlich aus. Es war das Verrückteste, was wir je gesehen hatten: diese Silhouette eines Riesen wurde von hinten ausgeleuchtet, sodass man ihr Gesicht nicht sehen konnte, aber gleichzeitig schien dieses Ding das Licht, vor dem es sich abhob, selbst auszustrahlen. Es war wie ein blauweißer Albtraum. Ich erinnere mich, dass sich seine Hände zusammenkrampften und wieder lockerten. Ich erinnere mich, dass sich sein Brustkorb wie nach Luft ringend hob und senkte. Ich erinnere mich, dass meine Freunde an meiner Kleidung zerrten und mich mit sich ziehen wollten, als sie flohen. Ich erinnere mich an etwas, das aussah wie Blut an den Wänden. Das letzte, was ich wahrnahm, bevor ich zu schreien anfing, war dieses Ding, das direkt auf uns zukam, scheinbar ohne einen Muskel dabei zu bewegen.

Wir traten uns beinahe gegenseitig tot bei dem hektischen Versuch, so schnell wie möglich aus Cold House herauszukommen. Die Eingangstür, die uns den Weg versperrte, wurde schließlich von uns fliehenden Kindern endgültig aus den Angeln gerissen. Ich war der letzte, der über die Schwelle sprang. Als ich die Vordertreppe hinunterrannte, brach ich mit dem linken Bein durch das morsche Holz und schürfte mir das Schienbein auf. Als ich mich umsah, war da dieses Ding im Türrahmen – bedrohlich, unnatürlich. Ich konnte sein Licht auf meinem Gesicht fühlen, versteht ihr? Völlig entsetzt und geschockt stand ich da und konnte mich nicht bewegen. Irgendwie wusste ich, dass es mich wollte. Und dass es mich bestrafen würde. Ich schloss die Augen.

Dann zerrte mich Henry von den Stufen. Er schleifte mich hinter sich her, und ich versuchte, humpelnd mit ihm Schritt zu halten. Wir blieben erst stehen, als wir den Schein der Straßenlaternen vor uns sahen, der unsere kleinen Körper in Licht und einem kleinen bisschen Sicherheit badete, und wir uns nahe dem Waldrand nebeneinander auf den Boden fallen ließen. Keiner von uns sprach. Irgendjemand weinte.

Es dauerte eine ganze Weile, bis wir uns wie in geheimer Übereinstimmung wieder erhoben und still und leise zu unseren Häusern zurückkehrten. Wir bildeten beinahe eine Beerdigungsprozession. Als wir das Haus erreichten, in dem ich wohnte, trennten sich Tina, Joe und Brock schweigend von uns. Matt, Henry und ich krochen wieder in mein Zimmer und versuchten einzuschlafen, ohne ein Wort zu wechseln. Am nächsten Tag hockten wir uns in der hellen Nachmittagssonne vor eine Mauer unseres Wohnkomplexes und brannten plötzlich darauf, uns über das, was wir gesehen hatten, auszutauschen. Henry fragte, ob das Ding irgendetwas zu mir gesagt hatte, und ich schüttelte den Kopf. Matt war überzeugt, dass es statt einer Hand einen Haken am Arm gehabt hatte, und ließ sich von mir nicht davon abbringen. Nach einer Weile kam Joe vorbei und war noch total aufgeregt. Er wollte noch einmal hingehen. Ich sagte, ich sei mit von der Partie – Matt auch. Henry sagte nichts. Als wir zu Tina gingen, erklärte sie, ihr ginge es nicht gut, und sie wollte auch nicht mit. Brocks Mutter ließ uns wissen, dass Brock nicht mal an die Tür kommen wollte, und sie fragte, ob wir Streit gehabt hätten. Er spielte nie wieder mit uns, und wenn er uns im Viertel irgendwo sah, ging er uns aus dem Weg.

Als wir zur 14th Street unterwegs waren, fiel Henry ein, dass er plötzlich nach Hause musste. Er sagte, er würde mich am nächsten Tag nach dem Baseballtraining anrufen. Unsere enge Freundschaft ging anschließend auseinander; ich begann mich mehr für Musik und Comics zu interessieren, er beschäftigte sich mehr mit Sport. Tina besuchte mich weiterhin, aber sie weigerte sich standhaft, über Cold House zu sprechen. Sie behauptete schließlich sogar, die ganze Geschichte sei nie passiert, und wir hätten uns das alles nur eingebildet.

Wir drei Verbliebenen weigerten uns, so zu tun, als sei es nicht geschehen, und an dem besagten Nachmittag gingen wir wieder den Pfad hinunter und sprangen über die Stolperdrähte, die uns nun wie eine Kleinigkeit erschienen – verglichen mit dem, was wir in der Nacht zuvor gesehen hatten. Wir kamen schnell zum Haus und verlangsamten unsere Schritte nur, um beim Hinaufgehen auf der Treppe Vorsicht walten zu lassen. Während Matt und Joe ins Haus stürmten, blieb ich kurz stehen und betrachtete das Loch, in dem ich eingebrochen war. Die Wunde an meinem Bein hatte ich gesäubert, ohne meiner Mutter etwas zu sagen; sie hätte sonst zu viele Fragen gestellt. Wie ich so neben dem Loch stand, erinnerte ich mich sofort wieder an den Augenblick, an dem ich mich direkt dieser übernatürlichen Erscheinung gegenüber gesehen hatte, und ich betrachtete es eine ganze Weile. Als ich dann das Haus betrat, waren die anderen beiden schon oben. Mir war nicht einmal aufgefallen, dass die Eingangstür fehlte, bis ich Matt und Joe brüllen hörte, ich solle „SOFORT hier raufkommen!“ Am Fuße der Treppe stellte ich fest, dass da gar nichts an den Wänden war. Kein Blut, aber auch nichts, was mich in dem geisterhaften Licht an Blut hätte erinnern können. Es war einfach weg.

Als ich die Treppe hinaufging – wieder ganz vorsichtig, um nicht noch einmal irgendwo einzubrechen –, sah ich, worüber sie sich so ereiferten, und konnte es nicht fassen. Die Eingangstür, gegen die wir bei unserer hastigen Flucht geprallt waren und die wir dabei aus den Angeln gerissen hatten, lag nun in einem der oberen Zimmer auf dem Boden. Wir erkannten sie ohne weiteres, schließlich waren wir ja jeden Tag auf dem Weg zur Schule an ihr vorbeigekommen. Und außerdem hatten wir sie im Licht unserer Taschenlampen noch genau studiert, bevor unsere Batterien den Geist aufgegeben hatten. Es war die Eingangstür, und sie lag unerklärlicherweise mitten in einem Zimmer, ein paar entscheidende Meter von dort entfernt, wo wir sie zurückgelassen hatten. Dabei interessierte es uns gar nicht so sehr, wie sie die Treppe bis in dieses Zimmer hinaufgekommen sein oder wer sie überhaupt dort hingeschleppt haben mochte. Nein, unsere Aufmerksamkeit wurde ganz und gar von dem Wort in Anspruch genommen, das auf ihre Fläche geschmiert worden war, beinahe eingekratzt in den Dreck und den Schmierfilm, der sich über die Jahre darauf gesammelt hatte: