Kitabı oku: «Der Kaiser und das "Dritte Reich"», sayfa 2

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KAPITEL 1
Wilhelm II. und Hermine
im Exil in den Niederlanden
Wilhelm der Letzte

Wilhelm II. bestieg den Thron als König von Preußen und Deutscher Kaiser im Jahr 1888, früher als erwartet. Eigentlich war er viel zu rastlos, hitzköpfig und eigensinnig für das Amt des Kaisers. Diese Charaktereigenschaften waren zum Teil die Folge einer schwierigen Kindheit und Jugend. Bei seiner Geburt war es zu Komplikationen gekommen, die zu einer Missbildung seines linken Arms führten, der sich in der Folge nur noch eingeschränkt bewegen ließ. Vor allem Wilhelms Mutter, Prinzessin Victoria (1840-1901), die älteste Tochter der britischen Königin Victoria (1819-1901), wollte das jedoch nicht akzeptieren. Sie zwang ihren Erstgeborenen zu harter körperlicher Zucht, um die Behinderung zu kompensieren. Diese Behandlung erlebte Wilhelm als einen Mangel an Mutterliebe und entwickelte einen Minderwertigkeitskomplex.

Wilhelms Jugend war ansonsten sowohl liberal gefärbt als auch preußisch streng. Er verbrachte einige Zeit mit anderen, bürgerlichen Kindern auf einem Gymnasium, absolvierte aber auch die traditionelle Offiziersausbildung. 1881 heiratete er Prinzessin Auguste Victoria zu Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg (1858-1921), Rufname Dona. Aus dieser Verbindung gingen sechs Söhne und eine Tochter hervor. Obwohl Wilhelms Persönlichkeit auch seinem Privatleben einen Stempel aufdrückte, war es vor allem sein politisches Handeln, das dadurch geprägt wurde. Bereits anderthalb Jahren nach seiner Inthronisierung entließ er den langjährigen Reichskanzler Otto von Bismarck (1815-1898). Aus Sicht Wilhelms, der das Kaisertum als eine »persönliche Monarchie« auffasste, war für den dominanten Architekten des 1871 gegründeten Kaiserreichs kein Platz mehr.

Wilhelm II. war in seinem Handeln »verzweifelt auf der Suche nach Applaus und Erfolg«, oder, wie Bismarck es einmal formuliert haben soll, »er wolle jeden Tag Geburtstag feiern«.[4] In der Außenpolitik führte das zu einer äußerst selbstbewussten und manchmal sogar aggressiven Haltung des Kaiserreichs, die sich in imperialistischer Weltpolitik, der Eroberung von Märkten und überseeischen Kolonien, niederschlug. Mit einem ehrgeizigen Programm zum Aufbau einer eigenen Kriegsflotte versuchte der Kaiser den Respekt der von ihm bewunderten britischen Königsfamilie und der Regierungen in London zu gewinnen, bewirkte damit aber genau das Gegenteil: England wurde so erst recht in die Arme Frankreichs und Russlands getrieben. Deutschland konnte dem lediglich ein Bündnis mit Österreich und Italien entgegensetzen.

Links: Kaiser Wilhelm II. in der Uniform der Garde du Corps. Rechts: Hermine mit ihrem Sohn Hans Georg (»Hanorg«) im Park von Huis Doorn, 1936-1941.

Im Vorfeld des Ersten Weltkriegs war Wilhelms Rolle in der deutschen Außenpolitik alles andere als eindeutig: Mal drängte er darauf, in den Krieg zu ziehen, dann schreckte er wieder davor zurück. Als es dann aber tatsächlich ernst wurde, spielte der Kaiser mit Verve die Rolle des »obersten Kriegsherrn«. Doch je aussichtsloser die Situation auf den Schlachtfeldern wurde, umso mehr stellte ihn sein General, später Feldmarschall, Paul von Beneckendorff und von Hindenburg (1847-1934) in den Schatten. Erst als die deutschen Truppen Ende September 1918 an der Westfront überrannt wurden, entließ Wilhelm von Hindenburg und übertrug die Regierungsverantwortung wie auch die Kriegspolitik dem neuen Reichskanzler Prinz Max von Baden (1867-1929).

Man hegte die Hoffnung, dass eine parlamentarische Monarchie rasch zum Frieden führen würde, doch die Ententemächte, die verbündeten Kriegsgegner Deutschlands, knüpften strenge Bedingungen an einen Waffenstillstand: Deutschland hatte sich unverzüglich zu entwaffnen und zu demokratisieren – was bedeutete, dass der König von Preußen keine Kontrolle mehr über die Politik des Reiches haben durfte. In der breiten Öffentlichkeit entstand so der Eindruck, dass der Kaiser ein Hindernis auf dem Weg zum Frieden war. »Der Kaiser muss weg!«, hörte man es auf den Straßen rufen. Während Wilhelm II. sich im Hauptquartier seiner Truppen im belgischen Spa aufhielt, brach am 4. November 1918 in Kiel eine Meuterei unter Matrosen aus. Daraufhin spülte eine Flutwelle der Revolution innerhalb weniger Tage alle deutschen Fürstenhäuser hinweg.

Am 9. November war auch für die Hohenzollerndynastie das Ende als regierendes Haus gekommen. Unter dem Druck der Sozialdemokraten erklärte Prinz Max zur Mittagsstunde eigenmächtig die Abdankung des Kaisers. Kurz darauf wurde die Republik ausgerufen, und die Sozialdemokraten (SPD und USPD) übernahmen die Regierungsverantwortung. Wilhelm II. reiste in der darauffolgenden Nacht mit einigen Getreuen vom belgischen Spa aus in die neutralen Niederlande und bat dort, aus Furcht, die Ententemächte könnten ihn vor ein Kriegstribunal stellen, um politisches Asyl.

Nach einem vierundzwanzigstündigen Aufenthalt auf dem Bahnhof von Eijsden durfte der Kaiser schließlich auf Anordnung der niederländischen Regierung nach Schloss Amerongen weiterfahren, wo sich Graf Godard van Aldenburg Bentinck (1857-1940) seiner annahm. Auf dem Schloss unterzeichnete Wilhelm II. am 28. November eine offizielle Abdankungsurkunde, doch erst Monate später kam es zu einem positiven Entscheid der Regierung in Den Haag über seinen Asylantrag. Die Ententemächte fanden sich schließlich murrend damit ab. So sollte es noch bis zum Frühjahr 1920 dauern, ehe der Ex-Kaiser in das von ihm gekaufte Huis Doorn umziehen konnte. Dieser mit Hausrat und Memorabilien aus seinen deutschen Schlössern vollgepackte Herrensitz inmitten eines ausgedehnten Parks wurde Wilhelms letzter Aufenthaltsort. Er blieb dort bis zu seinem Tod im Jahr 1941.

Der deutsche Kaiser wartet mit seinem Gefolge auf dem Bahnhof Eijsden auf die Entscheidung der niederländischen Regierung über sein Gesuch um Asyl, 10. November 1918.

Der Kaiser war in Huis Doorn von einem Miniaturhofstaat umgeben, der es ihm erlaubte, zumindest den Anschein von Größe zu wahren. Die Gesundheit Kaiserin Auguste Victorias, die sich ebenfalls in Doorn aufhielt, verschlechterte sich rasch, sie starb bereits 1921. Gut anderthalb Jahre später heiratete Wilhelm Hermine Prinzessin Reuß ältere Linie, eine junge Witwe, die ihren Memoiren zufolge immer tiefen Respekt für dem letzten Kaiser empfunden hatte. Aus ihrer Perspektive war »nie ein Fürst stärker und grundloser falsch beurteilt« worden. Sie habe es deshalb als ihre Aufgabe betrachtet, ihn für diesen Gesichtsverlust zu entschädigen.[5] So selbstlos das Motiv allerdings gewesen sein mag, als Bewunderin des Ex-Kaisers hat sie sicherlich auch gehofft, sich eines Tages in den Hermelinmantel der Macht hüllen zu können. Das zeigte sich bereits darin, dass sie darauf bestand, als »Kaiserin« angesprochen zu werden.

Hoffnung auf Wiederherstellung der Monarchie

Nicht nur der Statusverlust, sondern auch die Sorge um das Familienvermögen in Deutschland warf einen Schatten über die ersten Jahre der Verbannung Wilhelms. Das vordringlichste Problem war, dass es unglaublich kompliziert war festzustellen, welche Schlösser, Kunstwerke und andere Besitztümer zum preußischen Kronbesitz gehörten und welche als Privatbesitz der Hohenzollern galten – seit dem späten 18. Jahrhundert war dies nicht mehr ordnungsgemäß nachvollzogen worden. Die richtige Zuordnung der beiden Erbmassen wurde daher auch Gegenstand eines jahrelangen juristischen Streits zwischen der preußischen Regierung und dem »Hausministerium« (dem Königlich-Preußischen Hausministerium, das 1919 offiziell von einer staatlichen Institution in ein privatrechtliches Verwaltungsinstitut umgewandelt worden war und ab 1925 unter dem Namen »Generalverwaltung des vormals regierenden preußischen Königshauses« fungierte), das das Vermögen der Hohenzollern verwaltete.[6]


Laternenbild für eine Zauberlaterne mit einer Reihe von Zeichnungen des Swastika-Symbols. Wilhelm II. benutzte dieses Bild bei einem Vortrag, den er im Oktober 1933 über die »Monade«, das Symbol für Yin und Yang, hielt.


Karikatur zu der Hoffnung Wilhelms II., unter den Nationalsozialisten auf den Thron zurückkehren zu können. Von den Niederlanden aus sieht Wilhelm über den Zaun auf das in Deutschland schwelende Swastika-Feuer. Umschlag der Zeitschrift »Der wahre Jacob«, 8. November 1930.


Als ersten Schritt in diesem Verfahren hatte der junge Freistaat Preußen, der als republikanischer Gliedstaat die Rechtsnachfolge des alten Kernlands der Hohenzollernmonarchie angetreten hatte, bereits im November 1918 alle kaiserlichen Besitztümer beschlagnahmen lassen. Das scheint ein ziemlicher Schlag für Wilhelm II. gewesen zu sein, doch bereits kurz zuvor hatte die Regierung in Berlin dem ehemaligen Kaiser und der Kaiserin – in einem ersten Abschlag – mehr als eine halbe Million Reichsmark überwiesen. Einerseits wollte sie damit dokumentieren, dass die Republik ein Rechtsstaat war, andererseits hoffte sie so die immer noch zahlreichen Anhänger des Kaisers zu beschwichtigen. Im Jahr 1919 sollten noch weitere Zahlungen folgen, teils ohne Gegenleistung und teils als Entschädigung für einige vom Staat übernommenen Schlösser. Preußen überwies dem Kaiser allein 1919 eine Summe von 66 Millionen Reichsmark. Außerdem nahm Wilhelm II. im selben und im darauf folgenden Jahr noch 64 Waggons mit kaiserlichem Hausrat zur Einrichtung des neuen Domizils in Doorn in Empfang.

Ungeachtet dieser positiven Signale ließ eine definitive Regelung noch lange auf sich warten. Das war ärgerlich für den Kaiser, da, wie Arie Peereboom (1870-1945), der Vater des niederländischen Privatsekretärs am Hofmarschallamt des Kaisers in Doorn, der niederländischen Regierung in Den Haag mitteilte, sein »Vermögen in Holland im Augenblick meinem Sohn zufolge nicht ausreicht, um davon auf Dauer einen ›Hofstaat‹ zu unterhalten.«[7] Schließlich kam es im Mai 1926 sogar zu einem von der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) auf den Weg gebrachten Volksbegehren mit dem Ziel der entschädigungslosen Enteignung des fürstlichen Vermögens. Der Kaiser kam hierbei glimpflich davon: Obwohl eine Mehrheit für die Enteignung stimmte, wurde die notwendige Beteiligungsquote am Referendum nicht erreicht. Damit rückte ein Kompromiss in greifbare Nähe. Ende des Jahres erhielt Wilhelm II., als Oberhaupt des Hauses Hohenzollern, die ihm vertraglich zugesicherte Verfügungsgewalt über einen Großteil des ursprünglichen Familienvermögens zurück.

Die Nachgiebigkeit der neuen Machthaber gegenüber dem Kaiser änderte übrigens wenig an dessen Unwillen oder Unfähigkeit, sich mit dem Abschied von der Macht abzufinden. Im Gegenteil, das Leben in Huis Doorn stand noch in den 1930er Jahren im Zeichen des Strebens nach einer Wiederherstellung der Monarchie: Der kleine Hofstaat in Doorn hielt die politischen Entwicklungen in Deutschland genauestens im Blick, ständig auf der Suche nach Anzeichen für den erhofften Zusammenbruch der Republik. Abend für Abend nach dem Diner gab der Kaiser in langen Monologen seinen Kommentar zu den Ereignissen ab. Wilhelm erging sich dabei in der Suche nach Sündenböcken und dem Spinnen von Rachephantasien. Ein ums andere Mal behauptete er, dass der Krieg und die anschließende Niederlage die Folge eines weltweiten Komplotts von Juden, Freimaurern und Jesuiten gewesen seien, und bezichtigte manchmal sogar das gesamte deutsche Volk des Verrats. Nach der Rückkehr auf den Thron werde er »gleich 6.000 Aufständische« an die Wand stellen lassen, und der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), Reichspräsident Friedrich Ebert (1871-1925) »würde schon einmal in Ketten über die [Berliner Allee Unter den] Linden geführt werden«.[8]



Plakat, das die Enteignung fürstlichen Vermögens thematisiert, März 1926. Im Mai 1926 fand ein von der Kommunistischen Partei Deutschlands initiiertes Volksbegehren statt, das die Enteignung fürstlichen Vermögens ohne Entschädigungszahlungen forderte. Mit dem Plakat rief die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) dazu auf, für die Enteignung zu stimmen. Mit zupackendem Griff sorgt ein Arbeiter dafür, dass Ex-Kaiser Wilhelm II. seine Hand nicht auf das Volksvermögen legen kann.


Eine stille Größe wie Sigurd von Ilsemann (1884-1952), Wilhelms Flügeladjutant, der ihn während der gesamten Zeit seiner Verbannung begleitete, kam schon recht bald zu dem Schluss, dass es in Deutschland an Zustimmung für eine Wiederherstellung der Monarchie – und dann noch mit einem solchen Kaiser! – fehlte. Er sah es als seine Pflicht an, seinem »Fürsten« zu helfen, die neue Situation zu akzeptieren, wenn auch nur aus dem Grund, weil allzu offene politische Initiativen dessen Asylstatus in Gefahr bringen konnten. Andere in seinem Hofstaat bestärkten ihr Oberhaupt jedoch unablässig in der Hoffnung auf eine Rückkehr zur Macht. Auch darüber berichtete Arie Peereboom der niederländischen Regierung: »Diese Leute sind ehemalige Offiziere, meist ohne Vermögen, […] die von der gegenwärtigen Regierung in Deutschland wenig oder gar keine Unterstützung zu erwarten haben.« Es sei denn auch nicht nur ihre politische Überzeugung, sondern »ganz sicher [auch] ihr persönliches Interesse«, das sie dazu antreibe, den Gedanken an die Rückkehr auf den Thron »beim Kaiser wachzuhalten«.[9] Das galt übrigens ebenfalls für die vielen Verehrer, die bei Wilhelm II. zu Besuch kamen und mit ihren Schmeicheleien jedes Mal wieder dessen, laut von Ilsemann unrealistische, Hoffnung auf eine Wiederherstellung der Monarchie aufflackern ließen.

Auch das bereits erwähnte Hausministerium spielte in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Die in Berlin ansässige Institution stellte das wichtigste Verbindungsglied zwischen Doorn und den konservativ geprägten Verwaltungs- und Militärkreisen in der Reichshauptstadt dar. Die aufeinanderfolgenden »Hausminister« – offiziell die »Generalbevollmächtigten des preußischen Königshauses« – standen stets in schriftlichem und telefonischem Kontakt zum Kaiser und besuchten ihn zudem mit einiger Regelmäßigkeit. Auch sie besprachen mit Wilhelm die politische Lage in Deutschland und ersannen fortwährend Pläne und Strategien, um ihn wieder auf den Thron zu bringen.

Angesichts der begrenzten Mittel, über die der Kaiser in Doorn verfügte, schien ein Versuch, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, der geeignete Weg zu sein. In den Jahren 1921 und 1922 veröffentlichte der Kaiser zwei Geschichtswerke als Verteidigungsschriften gegen die Anschuldigung, dass er für den Ausbruch des Ersten Weltkriegs verantwortlich sei.[10] Nicht ganz zu Unrecht glaubte er, dass dieser Vorwurf seinem Ansehen in Deutschland am meisten schadete, zusammen mit der Deutung seiner Flucht (und der seines Sohnes) in die Niederlande als eine Art Fahnenflucht. In seinen Büchern suchte und fand er die Schuld für den Krieg daher auch bei den Ententemächten. Ab 1925 versuchte Wilhelm außerdem, die deutsche »Heimatöffentlichkeit« auf einem Umweg zu beeinflussen. Er begann einen Briefwechsel mit verschiedenen US-amerikanischen Schriftstellern und Wissenschaftlern und meldete sich oft in amerikanischen Zeitungen zu Wort.

Im Jahr 1927 beauftragte er zudem den österreichischen Journalisten, Autor und Verleger Karl Friedrich Nowak (1882-1932) mit einer dreibändigen Biographie. In hohem Tempo und in enger Zusammenarbeit mit dem Kaiser produzierte Nowak die ersten beiden Bände, die 1929 und 1931 erschienen.[11] Mit der Arbeit an Band drei begann Nowak jedoch gar nicht erst, weil der Kaiser seinen Wunsch auf Einsicht in Archivmaterial ablehnte, und da Nowak 1932 überraschend starb, blieb es dabei. Eine Veröffentlichung in Deutschland hätte es im Übrigen auch nicht mehr gegeben: Nach Hitlers Machtübernahme Anfang 1933 wäre Nowak als jüdischem Autor der Zugang zum deutschen Buchmarkt sicherlich verwehrt worden.

Diese kaiserliche Publizitätskampagne war von seiner zweiten Gemahlin Hermine inspiriert und wurde von ihr flankiert. Ein größerer Kontrast zwischen ihrem energischen politischen Aktivismus und der Häuslichkeit der verstorbenen Kaiserin Auguste Victoria war kaum denkbar. So ließ Hermine beispielsweise neu erschienene politische Bücher anschaffen und sie, nachdem sie sie selbst gelesen hatte, dem Kaiser vorlesen. So, schrieb sie in einem Brief, »vermeide ich das holländische Einschlafen der Herren [des kaiserlichen Hofstaats], eine [politische] Nichtorientierung des Kaisers und dazu das recht oft schmerzliche Selbstlesenmüssen.«[12]

Außerdem entpuppte sie sich als leidenschaftliche Netzwerkerin. Anders als Wilhelm II., der die Niederlande nicht verlassen durfte, reiste Hermine regelmäßig nach Deutschland. Die Verwaltung ihrer schlesischen Besitzungen in Saabor bei Grünberg (heute Zabór bei Zielona Gora im westlichen Polen) war ein wichtiger und zwingender Grund, um nach Deutschland zu kommen. Aber sie traf dort auch Freunde und Bekannte und suchte, häufig mit Unterstützung des Hausministeriums, den Kontakt zu Personen im rechten Milieu, die ihr bei Wilhelms Rückkehr auf den Thron behilflich sein konnten. Dabei gerieten Ende der 1920er Jahre auch die Nationalsozialisten in ihr Blickfeld. Schon vorher, im Jahr 1926, hatte sich Hitler bei Hermine, wegen seiner Opposition gegen das Volksbegehren zur Enteignung fürstlichen Vermögens, lieb Kind gemacht.


Zwei Frauen vor einer Büste Kaiser Wilhelms II., Ende 19. Jahrhundert.

Hitlers Aufstieg aus der Perspektive Huis Doorns

An konkreteren Aktivitäten, die die Wiederherstellung der Monarchie bewirken sollten, lässt sich für die ersten Jahre nach der Verbannung Wilhelms vor allem die Idee zu einem Putsch von Generälen des alten Regimes anführen. Im März 1920 kam es mit dem Kapp-Putsch tatsächlich zu einem solchen rechtskonservativen Staatsstreich, der jedoch schnell niedergeschlagen wurde. Der Kaiser schöpfte daraus allerdings einige Hoffnung, ebenso wie aus dem misslungenen Hitler-Ludendorff-Putsch am 9. November 1923 in München.

Interessant ist, dass diese rechtsgerichteten Staatsstreiche Wilhelm über die Beziehung nachdenken ließen, die zwischen dem Fürstenhaus und dem Volk erzeugt werden müsste. So schrieb er ein paar Wochen nach »München« an seinen alten Vertrauten, den pensionierten preußischen Feldmarschall und ehemaligen Husaren August von Mackensen (1849-1945): »[V]on Monarchie allein reden nützt nichts. Das Volk ersehnt den Führer; also rede man vom Monarchen zu ihm; u. mache ihm klar, dass es seinen verrathenen Herren zurückzukehren anflehen soll! Er kommt! Aber das Volk muss ihn rufen, u. dieses im Volk vorzubereiten ist jedes Königtreuen [sic] Mannes Aufgabe und Pflicht!«[13]



Schaufenster mit Büsten Adolf Hitlers, Souvenirs vom »Reichsparteitag« in Nürnberg. Foto: Lala Aufsberg, 1935. Das erfolgreichste Propagandainstrument der Nazis war der »Führerkult«. Hitler nutzte dieselben PR-Mittel, die auch Kaiser Wilhelm II. schon vor 1918 eingesetzt hatte, um sein Image im Land zu festigen.


Ganz abgesehen von einer möglichen Verwandtschaft zwischen Wilhelms Denken und dem nationalsozialistischen Führerprinzip fällt auf, dass der Kaiser offenbar Ende des Jahres 1923 zu begreifen begann, dass ein bloßer Aufruf zur Rückkehr zu einem Kaisertum »von Gottes Gnaden« nicht mehr zum Erfolg führen konnte. Ihm schien nun klar zu werden, dass die Unterstützung des Volkes bei der erhofften Wiederherstellung der Monarchie unentbehrlich sein würde. Nur eine Massenpartei am rechten Rand konnte dafür sorgen.

Der Kaiser war nicht der Einzige, der mit diesem Gedanken spielte. Als Antwort auf die populären linken Parteien SPD und KPD machte in den rechtskonservativen Kreisen in Deutschland beispielsweise das diffuse Konzept des »Nationalbolschewismus« die Runde. Der völkische, sprich: radikalnationalistische Nationalsozialismus der NSDAP beruhte faktisch auf dem gleichen Gedanken. Dort, wo sich auf der Linken die arbeitende Klasse auf der Basis des Marxismus vereinte – in den Augen Rechter eine verwerfliche jüdische Ideologie –, müsste für die Rechte die Idee der »deutschen Volksgemeinschaft« die Richtschnur sein. Die Arbeiterklasse könne bei der Verschmelzung aller wahren Deutschen zu dem einen und einzigen Herrenvolk voranmarschieren.

In den 1920er Jahren herrschten im rechten politischen Spektrum starke Rivalitäten: Eine Vielzahl von Parteien und Gruppierungen behauptete, in der Lage zu sein, die dringend benötigte Massenbewegung zustande bringen zu können. Auch gab es Streit hinsichtlich der Frage, welche Person denn letztendlich das Sagen haben solle. Sollte es eine der bereits existierenden prominenten Führungsfiguren sein oder jemand ganz Neues? Der Kaiser fand, dass er als ehemaliger Fürst der Favorit für die Rolle als rechter Führer sei. Noch im August 1931 glaubte Wilhelm II., dass das deutsche Volk tief im Innern »allein in seinem Kaiser den Retter aus schwerer Not erblickt«.[14]

Die Konkurrenz unter den Rechten war in diesem Punkt jedoch phänomenal. Da gab es beispielsweise den 1925 als Kandidaten der antirepublikanischen Rechten und vom Volk zum Reichspräsidenten gewählten ehemaligen Befehlshaber von Hindenburg. Obwohl er eigentlich noch mehr als Wilhelm für die Niederlage 1918 verantwortlich war, entwickelte sich der alte Feldmarschall zu einem »Ersatzkaiser« als Verkörperung der Glorie des alten Reichs. Auch Familienmitglieder konnten sich als Konkurrenten entpuppen; manchen Anhängern des Kaiserhauses schien es an der Zeit für einen Generationswechsel. Sie setzten ihre Hoffnung in Kronprinz Wilhelm oder seinen Bruder August Wilhelm, und die beiden hatten tatsächlich auch selbst entsprechende Ambitionen.

Ende der 1920er Jahre erschien dem Kaiser die NSDAP als die beste Option, um wieder auf den Thron zu gelangen. Eine wichtige Rolle spielte dabei der ehemalige Marineoffizier Magnus von Levetzow (1871-1939), ein Bekannter Wilhelms aus dem Ersten Weltkrieg. Auf Bitten des Kaisers hatte er versucht, die »Koordinierung der national-konservativen Strömungen und Gruppierungen zu übernehmen, um die Kräfte für den Sturz der Republik und die Wiedererrichtung der Monarchie zu bündeln«.[15] Seine Mission wurde jedoch durch die gegenseitigen Rivalitäten dieser Gruppe erschwert. Daraufhin konzentrierte sich von Levetzow auf die 1920 gegründete NSDAP, die bei den Wahlen im Jahr 1930 einen Sprung von 12 auf 107 Sitze gemacht hatte. 1931 wurde er auch Mitglied der Partei.


Der »Stoßtrupp Hitler« war eine kleine, nur für kurze Zeit existierende Leibwache, die 1923 eigens für Adolf Hitler zusammengestellt worden war. Am 9. November 1923 nahm der Stoßtrupp Hitler, zusammen mit der SA und anderen paramilitärischen Einheiten der Nationalsozialisten, am Hitler-Ludendorff-Putsch in München teil.


Letztlich kam es durch die Vermittlung von Levetzows und des Hausministers Leopold von Kleist (1872-1946) sowie durch das geschickte networking Hermines zu direkten Gesprächen mit einigen Nazigrößen. Die prominentesten Begegnungen waren dabei wohl die zwei Besuche Hermann Görings in Huis Doorn am 18./19. Januar 1931 und am 20./21. Mai 1932. Zwischendurch kam es am 18. November 1931 in Berlin auch zu einer direkten Begegnung zwischen Hermine und Hitler im nationalistischen Salon der Baronin Marie von Tiele-Winckler (1893-1949), einer Cousine von Kleists.

Nach dem ersten Gespräch mit Göring war Wilhelm davon überzeugt, dass die Nazis ihn unterstützen wollten, doch ein Treffen von Kleists mit Hitler im Februar 1932 dämpfte diese Hoffnung erheblich. Der NSDAP-Führer hatte sich zwar für die Monarchie ausgesprochen, aber auch gesagt, dass Wilhelm selbst und der Kronprinz »von den Massen abgelehnt würden«.[16] Der zweite Besuch Görings stand daher unter einem noch größeren Druck, verlief jedoch äußerst positiv. Von Kleist glaubte sogar, »dass Göring für Doorn die Säule sei, auf die man sich stützen könne«.[17] Endlich hatte der Kaiser a. D. jemanden gefunden, der Halt bieten konnte, bis ihm die Rückkehr auf den Thron gelungen sei.

Doch dann riss Wilhelm II. ein halbes Jahr später ungewollt alles wieder ein, was er zuvor aufgebaut hatte, als er seinem Sohn einen Brief voll der Kritik an den Nazis schrieb. Als bekannt wurde, dass ausgerechnet Göring diesen Brief in die Hände bekommen hatte, war in Doorn »der Deiwel los«, wie von Ilsemann in seinem Tagebuch vermerkte.[18] Wie eine Katze, die mit der Maus spielt, hatte Göring von Kleist und von Levetzow sogar wissen lassen, dass er kurz davor gestanden habe, sich bei Hitler für den Kaiser einzusetzen, es sich aber nun anders überlegt habe.

Um den Fauxpas wiedergutzumachen, entwarfen zwei Mitarbeiter des Kaisers einen neuen Brief, in dem Hitler und seine Entourage mit Komplimenten bedacht wurden. Starrköpfig weigerte sich Wilhelm jedoch, den Brief zu unterschreiben. »I stick to my letter!«, habe er, auf Englisch, gesagt.[19] Einige Tage später kam er zu dem Schluss, dass Hitler überhaupt nicht vorgehabt habe, die Monarchie wiederherzustellen. Ihm sei klar geworden, wie von Ilsemann schrieb, »dass er bei den Nazis auf das falsche Pferd gesetzt hat, dass Kleist [und] Levetzow […] ihn falsch beraten« hatten.[20] Kurz darauf entließ Wilhelm II. von Kleist und berief Wilhelm von Dommes (1867-1959) zum neuen Hausminister.


Hermann Göring verlässt Huis Doorn während seines ersten Besuchs im Januar 1931, gefolgt von Hermine und Wilhelm II.


Dennoch keimte in Doorn die Hoffnung erneut auf, als Hitler am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler einer breiten nationalkonservativen Regierung ernannt wurde. Von Ilsemann notierte, der Kaiser glaube, nun werde seine Rückkehr wieder in den Vordergrund rücken. Mit dem Sieg der NSDAP bei der Reichstagswahl am 5. März 1933 zeigte sich Wilhelm II. zufrieden (»Der Kaiser macht einen recht befriedigten Eindruck«).[21] Von Ilsemann prophezeite jedoch, dass der Wahlausgang dafür sorgen werde, dass eine Rückkehr auf den Thron sich vorläufig erledigt habe. Noch im selben Monat erklärte Hitler im Reichstag tatsächlich, dass für seine Regierung das Thema der Wiederherstellung der Monarchie »derzeit tabu« sei.

Von Ilsemann beschrieb Wilhelms Reaktion auf diese Nachricht genauestens:

Das saß wie ein Blattschuss. Ich beobachtete den hohen Herrn ganz genau, seine Züge strafften sich, die Augen wurden ganz groß, mehr als das eine Wort: »So!« brachte er nicht über seine Lippen. Wie er das sagte, klang es wie die Bestätigung eines Verurteilten, der seinen Urteilsspruch vernimmt. Und das dürfte es für ihn auch sein.[22]

Von nun an sollte die Einsicht, dass der Weg zum Thron nicht über Hitler führen würde, Wilhelm nicht mehr verlassen. Dennoch fanden in den ersten Monaten des »Dritten Reichs« noch verschiedene Besprechungen zwischen Hitler und Abgesandten des Hauses Hohenzollern statt. Mehr als zuvor ließ der »Führer« dabei seine Vorbehalte durchblicken, was eine Rückkehr zur Monarchie betraf. Er zweifelte daran, dass Wilhelm etwas zu seinen persönlichen Erfolgen beitragen könnte, und erklärte, dass die Wiederherstellung der Monarchie zwar sein letztliches Ziel sei, die Umsetzung des nationalsozialistischen Programms jetzt aber Priorität habe.

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