Kitabı oku: «Gnade – Geist – Gebet», sayfa 2
2.3 Die quasi-formale Ursächlichkeit
Die grundsätzliche Schwierigkeit des Verhältnisses von Gnade zur Natur wird in der Frage konkret, wie sich ein Zusammenspiel der menschlichen und göttlichen Freiheit denken lässt, ohne dass Gott seine Souveränität und sein Gnadengeschenk seine Ungeschuldetheit verliert. So stellt sich mit der göttlichen Selbstmitteilung das erkenntnistheoretische Problem, in welcher Weise eine Wirkursächlichkeit Gottes möglich ist, ohne dass das Geschöpf als Erkennendes durch sein Erkennen des Erkenntnisobjekts – in diesem Fall Gott – in dieses eine neue Bestimmung hineinträgt mit der Folge, dass Gottes absolute Transzendenz und Unveränderlichkeit aufgehoben würde. Rahner löst dieses Problem mit Verweis auf Thomas von Aquin, indem er durch das Präfix »quasi« die Begrifflichkeit relativiert, um mit einem analogen Sprechen überhaupt Aussagen über Gott zu ermöglichen: „Man mag auf diese Überkategorialität der transzendent bleibenden formalen Ursächlichkeit Gottes durch ein vorausgesetztes ›quasi‹ ausdrücklich aufmerksam machen und so in unserem Fall mit Recht sagen, daß das Sein Gottes in der Schau Gottes eine quasi-formale Ursächlichkeit ausübe. Dieses ›Quasi‹ besagt aber nur, daß diese ›forma‹ trotz ihrer formalen Ursächlichkeit, die wirklich ernst genommen werden muß, in ihrer absoluten Transzendenz (Unberührtheit, ›Freiheit‹) verbleibt. Dieses Quasi besagt nicht, daß die Aussage, Gott nehme in der visio beatifica in einer formalen Ursächlichkeit die Stelle einer species ein, eine unverbindliche Redensart sei, sondern ist das Quasi, das vor jeder Anwendung einer an sich innerweltlichen Kategorie auf Gott gesetzt werden muß.“1
Mit diesem Begriff der quasi-formalen Ursächlichkeit sind mehrere Dinge ausgesagt. Zum einen drückt sich darin aus, dass mit der übernatürlichen Gnade „ein Formalobjekt gegeben ist, welches als Formalobjekt von keiner rein natürlichen Erkenntnis oder Freiheitsfähigkeit erreicht werden kann“2. Daraus folgt, dass die Tatsächlichkeit der formalen Ursächlichkeit Gottes im natürlichen Bereich nicht bekannt sein kann und ohne Offenbarung nicht feststellbar ist.3 Es ergibt sich zum anderen, dass sich „in diesem Unterschied zwischen effizienter und quasiformaler Ursächlichkeit Gottes (...) der wesentliche und radikale Unterschied zwischen der Natur und dem Übernatürlichen eindeutig begründet.“4 Dies hat zur Konsequenz, dass in der visio beatifica Gott nicht lediglich als Erkenntnisobjekt begriffen werden kann und darf, sondern dass er gerade auch „das subjektive (Mit-) Prinzip der Erkenntnis des Objekts, die ontologische Voraussetzung der aktuellen Erkenntnis“5 ist, so dass Gott sowohl aposteriorisch erfahren wird, er dies aber zugleich apriorisch trägt. Rahner kann daher zu dem Schluss kommen: „Diese ontologische Einheit formalursächlicher Wirksamkeit ist nichts als die Voraussetzung und der ontologische Aspekt der Einheit des geschaffenen Geistes mit Gott in unmittelbar schauender Liebe, eines Aktes also, der höchste Einheit in vollster Verschiedenheit besagt.“6
1 Ebd., 49f (Hervorhebung im Original).
2 Rahner, Zur Rezeption des Thomas von Aquin, 779. Rahner definiert: „Ein Formalobjekt ist weder ein Gegenstand des Wissens noch eine bloß nachträgliche, abstrahierende Zusammenfassung des Gemeinsamen vieler Einzelobjekte, sondern der mitbewußte, apriorische Horizont, unter dem bei der Erfassung des aposteriorisch gegebenen Einzelgegenstandes alles erkannt wird, was als eigentlicher Gegen-stand erfaßt wird“, ders., Natur und Gnade, 123.
3 Vgl. Rahner, Zur scholastischen Begrifflichkeit der ungeschaffenen Gnade, 49.
4 Rahner, Über den Begriff des Geheimnisses in der katholischen Theologie, 129f.
5 Schwerdtfeger, Gnade und Welt, 131.
6 Vgl. Rahner, Zur scholastischen Begrifflichkeit der ungeschaffenen Gnade, 54.
3. Die potentia oboedientialis
Schon sehr früh setzt sich Karl Rahner mit der Frage nach der Möglichkeit des Gnadenempfangs auseinander. Bereits auf den Salzburger Hochschulwochen 1937 leistet er in Vorlesungen zum Thema »Religionsphilosophie und Theologie«, die er wenig später überarbeitet als eigenes Werk mit dem bezeichnenden Titel »Hörer des Wortes« herausgibt, einen wichtigen Beitrag zum Natur-Gnade-Verhältnis. Rahner bleibt darin dem Denken des Aquinaten verpflichtet, verbindet es jedoch mit transzendentalphilosophischem Gedankengut. Hierzu greift er den aus der Neuscholastik geläufigen Begriff der potentia oboedientialis auf, entwickelt ihn jedoch weiter, indem er deren aktive Seite betont. Dadurch kann Rahner das gnadentheologische Zwei-Stockwerk-Denken und die neuscholastische potentia oboedientialis passiva als dessen Voraussetzung überwinden. Aufgrund seiner rein philosophischen Vorgehensweise betrachtet er lediglich den natürlichen1 Menschen, so dass sich für seine Überlegungen die Ausgangsfrage ergibt, „ob und in welchem Sinn der Mensch so etwas wie ein ›Gehör‹ für die möglicherweise ergehende Offenbarung Gottes in sich entdecken könne, bevor er tatsächlich so etwas gehört hat und dadurch weiß, daß er hören kann.“2 Eine metaphysische Anthropologie des Menschen als Horchenden kann daher auch als „Ontologie der potentia oboedientialis für die freie Offenbarung Gottes“3 bezeichnet werden. Rahner möchte mit seiner Betrachtung erreichen, „daß einsichtig wird, inwiefern der Mensch eine innere Offenheit zum Empfang einer solchen Offenbarung hat, und so verständlich wird, daß und wie er eine solche Offenbarung, ohne sie in ihrem Inhalt schon in seiner Empfänglichkeit vorwegzunehmen, entgegennehmen kann und muß, wenn sie ergeht“4. In dieser Aussage wird schon deutlich, auf welchen Grundlagen die Überlegungen fußen und welche Folge daraus resultiert. Zum einen betrachtet Rahner jede echte Philosophie als über sich hinausgreifend und – da dies auf eine mögliche Offenbarung hinweisend geschieht – als praeparatio evangelii.5 In Konsequenz dazu ergibt sich zum anderen, dass der Mensch als naturaliter christianus begriffen wird, weil er der für eine Offenbarung Aufnahmebereite ist und „diese Bestimmung nicht nachträglich zum begriffenen Wesen des Menschen hinzutritt, bloß weil tatsächlich eine Offenbarung ergangen ist, sondern der Mensch damit allererst in seinem Wesen ursprünglich und endgültig metaphysisch begriffen ist.“6 Implizit sind in diesen philosophischen Worten sowohl der später bedeutsame theologische Begriff des übernatürlichen Existentials als auch das in der Folge formulierte Theologumenon des anonymen Christen angelegt und vorgezeichnet.
Rahner charakterisiert das Wesen des Menschen als Geist bzw. als „absolute Offenheit für alles Sein“7, so dass „die Transzendenz auf das Sein [... zur] Grundverfassung des Menschen“8 gehört. In heideggerscher Terminologie beschreibt Rahner weiter das menschliche Wesen als »gelichtet«. Doch kann es „für den Menschen als endlichen und hinnehmenden Geist eine Gelichtetheit des Seins überhaupt nur in der Hinwendung zum materiellen Sein, einen Ausgang zu Gott nur in einem Eingang in die Welt“9 geben. Dies hat zur Folge, dass der Ort einer Offenbarung ein geschichtlicher10 sein muss und ihre Art und Weise das (zwischen-) menschliche Wort.11
Da der Mensch endlicher Geist ist, wird der »Vorgriff« zum zentralen Begriff im Verhältnis Mensch-Gott (analog zur quasi-formalen Ursächlichkeit). Er ist die Bedingung der Möglichkeit der Insichselberständigkeit des Menschen, indem er auf das unbegrenzte Sein – Gott – vorgreift12 und in dem dieses mitbejaht wird. Dieser Vorgriff darf dabei nicht als angeborene Idee von Sein oder als eigenständige Intuition einer Idee von Sein oder gar von Gott verstanden werden, weil dies der ursprünglich hinnehmenden Erkenntnis des Menschen widerspräche.13 „Der Vorgriff als solcher ist also nicht ein apriorisches Wissen eines Gegenstandes, sondern die mit dem Wesen des Menschen gegebene und in diesem Sinn apriorische Weise der Hinnahme eines aposteriorisch gegebenen sinnlichen Gegenstandes, eine apriorische Weise der Erkenntnis einer aposteriorischen Erscheinung. Er ist nicht ein in sich ständiger Griff auf das Sein überhaupt, sondern der Vorgriff auf das Sein, der nur möglich ist im Begreifen der Erscheinung.“14 Die Aktivität des Horchens bleibt somit abhängig vom ergehenden Wort. Weder aus einem noch so aktiven Horchen noch aus einem tatsächlichen Hören kann eine Forderung nach einer Offenbarung im Wort abgeleitet werden. Dieses Horchen muss immer auch mit dem Schweigen Gottes rechnen. So wie das Horchen freie Tat des Menschen ist, ist die Selbsterschließung freie Tat Gottes. Ihre Ungeschuldetheit ergibt sich aus dieser Freiheit. Mit einem Verschweigen Gottes verliert das menschliche Horchen jedoch nicht seinen Sinn, „weil auch durch das abweisende Schweigen Gottes der Mensch zu dem werden kann, was er allerdings notwendig sein muß: persönlicher endlicher Geist vor dem persönlichen unendlichen freien Gott, mit dem er wenigstens im Modus der Abweisung notwendig zu tun hat.“15 Rahner erweitert hierbei das Offenbarungsverständnis erheblich, wenn er schon im Schweigen sich Gott offenbaren sieht, und erlaubt sich eine weitere Zuspitzung, wenn er den sich dem schweigenden Gott beugenden Menschen als „Theologen“ bezeichnet.16 Doch ist dies lediglich die konsequente Weiterführung seiner Gedanken- und Argumentationslinie. Aufgrund einer solchen metaphysischen Sichtweise des Menschen kann Rahner – wie oben schon angesprochen – den Begriff des übernatürlichen Existentials entwickeln und mit dem »anonymen Christen« dessen Konsequenzen nachzeichnen und in die Praxis übersetzen.
Rahner fasst die Ergebnisse seiner grundlegenden Überlegungen zum Ende seines Werkes »Hörer des Wortes« kurz und prägnant zusammen: „Der Mensch ist das Seiende von hinnehmender Geistigkeit, das in Freiheit vor dem freien Gott einer möglichen Offenbarung steht, die, wenn sie kommt, in seiner Geschichte im Wort sich ereignet. Der Mensch ist der in seine Geschichte auf das Wort des freien Gottes Hineinhorchende. Nur so ist er, was er sein muß. Eine metaphysische Anthropologie ist dann an ihrem Ende, wenn sie sich begriffen hat als Metaphysik einer potentia oboedientialis für die Offenbarung des überweltlichen Gottes.“17
1 Rahner präzisiert: „Bei dieser Formulierung muß schon jetzt beachtet werden, daß es sich uns nicht um die potentia oboedientialis für die Übernatur als der seinshaften Erhebung des Menschen zur Teilnahme am Leben Gottes handelt, sondern nur um die potentia oboedientialis des Hörens auf eine möglicherweise erfolgende Rede Gottes, die, falls sie geschieht, mindestens zunächst einmal auch im Bereich seines natürlichen Erkennens, d.h. durch menschliche Begriffe und Worte, erfolgt“ (Rahner, Hörer des Wortes, 38 (Hervorhebung im Original)).
2 Ebd., 18 (Hervorhebung im Original).
3 Ebd., 38.
4 Ebd., 44.
5 Vgl. ebd., 38.
6 Ebd., 40.
7 Ebd., 60.
8 Ebd., 82.
9 Ebd., 214. Vgl. Rahner, Geist in Welt, 5-300.
10 „Der Mensch ist als geschichtliches Wesen Geist. Der Ort seiner Transzendenz ist immer auch ein geschichtlicher Ort. Und damit ist der Ort einer möglichen Offenbarung immer und notwendig auch die Geschichte des Menschen“, ebd., 172 (Hervorhebung im Original).
11 „Der Mensch erschien uns schon als der notwendig auf eine mögliche Offenbarung des freien Gottes Horchenmüssende. Insofern sich nun gezeigt hat, daß alles, auch das außerweltliche Seiende, durch das menschliche Wort in dessen Einheit von verneinter Erscheinung und verneinender Transzendenz eröffnet werden kann, ist nun auch gesagt, daß der Mensch zum mindesten der auf eine Offenbarung dieses Gottes in einem menschlichen Wort Hörenmüssende ist“, ebd., 236 (Hervorhebung im Original).
12 Vgl. ebd., 98 bzw. 132.
13 Vgl. ebd., 216.
14 Ebd., 218.
15 Ebd., 268-270.
16 Ebd., 272.
17 Ebd., 254.
4. Das übernatürliche Existential
In seiner »Antwort« (s.o.) spricht Karl Rahner ganz selbstverständlich und ohne besondere Erklärung vom übernatürlichen Existential. Dies verwundert erheblich, da er mit dieser Begriffsschöpfung1 neue Horizonte eröffnet, auch wenn es inhaltlich von ihm schon früher vertreten wurde.2 Rahner übernimmt von Martin Heidegger3 den Begriff »Existential«, weil es apriori „die Hinordnung jedes Menschen auf die personale Gemeinschaft mit Gott begründet“4. Es ist jedoch als »übernatürlich« charakterisiert, weil es nicht zur menschlichen Natur – im Sinne einer natura pura – gehört, denn das übernatürliche Existential ist schon Begnadung und eignet lediglich5 dem berufenen Menschen. Es verleiht der Geistnatur des Menschen „eine gnadenhafte, übernatürliche Dynamik und Finalität auf Gott selbst hin“6, so dass durch es im Menschen eine Disposition gegeben ist, „die göttliche Selbstmitteilung als Selbstmitteilung Gottes anzunehmen.“7 Das übernatürliche Existential wird damit als inneres Konstitutiv des Menschen konkreter Ausdruck des universalen Heilswillens Gottes. Als Konsequenz daraus ergibt sich nach Rahner, dass der Mensch schon im Voraus zur Rechtfertigung durch die heiligmachende Gnade erlöst ist.8
Dadurch dass sich die göttliche Selbstmitteilung apriorisch in der transzendentalen Erfahrung des Menschen ereignet, überformt diese Gnade „unser bewußtes Leben, nicht nur unser Wesen, sondern auch unsere Existenz.“9 Dies entspricht dem alten gnadentheologischen Axiom »Gratia supponit naturam et perficit«. Darin liegt dann aber auch die Schwierigkeit der Vorstellung einer natura pura, wie sich später zeigen wird.
1 Ähnliche Gedanken formulierte schon Edmond Brisbois (vgl. Balthasar/Gutwenger, Der Begriff der Natur in der Theologie, 453), doch verhalf ihnen erst dieser prägnante Begriff zum Durchbruch.
2 „Sachlich gesehen bildet das übernatürliche Existential schon am Anfang der Dreissigerjahre die Voraussetzung einiger Theologoumena Rahners“, Mannermaa, Lumen fidei et obiectum fidei adventicium, 166.
3 Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, §9. Inwieweit Rahner den Begriff »Existential« schultheologisch modifiziert, vgl. Knoepffler, Der Begriff »transzendental« bei Karl Rahner, 61-63.
4 Raffelt/Verweyen, Karl Rahner, München 1997, 91. Vgl. Rahner, Über das Verhältnis des Naturgesetzes zur übernatürlichen Gnadenordnung, 102f.
5 Dieses »lediglich« verliert jedoch sogleich seinen Sinn durch den apriorischen Charakter des Existentials.
6 Rahner, Kirche, Kirchen und Religionen, 295.
7 Schwerdtfeger, Gnade und Welt, 202 (Hervorhebung im Original).
8 Vgl. Rahner, Art. Existential II, 1038.
9 Rahner, Natur und Gnade, 123.
5. Ist das übernatürliche Existential tatsächlich existential?
Der von Mannermaa und Schwerdtfeger vertretenen Einschätzung, dass das übernatürliche Existential – verstanden als apriorische Konstitution des Menschen – zwar ausdrücklich erst in dem Aufsatz »Priesterliche Existenz« aus dem Jahr 19391 genannt wird, es inhaltlich aber bereits das Frühwerk Rahners prägte, hat in mehreren Veröffentlichungen Paul Rulands2 widersprochen. Seiner Interpretation zufolge steht die Rede vom „innerst übernatürlich existentiale[n] Bereich des Menschen“3 zu dieser Zeit in einem Kontext, der keinen Bezug auf den Menschen an sich zulässt, sondern lediglich und ausschließlich auf den Getauften abzielt. Die Öffnung der Konzeption des übernatürlichen Existentials „im Sinne eines gnadenhaften (unmittelbar aus dem allgemeinen Heilswillen Gottes resultierenden) universalen und in diesem Sinne transzendentalen Aprioris jedes menschlichen Subjektes (=real-ontologische Bestimmung jedes Einzelnen unabhängig von Taufe und Rechtfertigung)“4 lasse sich erst in den Aufsätzen »Die Zugehörigkeit zur Kirche nach der Lehre der Enzyklika Pius’ XII. ›Mystici Corporis Christi‹« (1947) und »Zur Theologie des Todes« (1949) nachweisen. Günther Wassilowsky schließt sich dieser Sichtweise an und versucht, sie zu stützen, indem er die Entwicklung Rahners im Gebrauch und in der inhaltlichen Füllung der Begriffe »Leib Christi« und »Volk Gottes« mit dem Wandel des übernatürlichen Existentials, wie ihn Rulands diagnostiziert, verknüpft.5
Diese Interpretation der Textbasis und die daraus resultierende Schlussfolgerung vermögen jedoch aus zwei Gründen nicht zu überzeugen. Zunächst scheint es, als berücksichtige Rulands zu wenig die Heideggersche Schule, die Karl Rahners Denken und Ausdruck stark geprägt hat. Auch wenn Rahner selbst diesen Einfluss eher herunterspielt6, so begründet dies noch nicht eine Lesart, nach der Rahner zwar davon spreche, dass die „Verkündigung des Wortes (...) grundsätzlich einen Menschen [trifft], der seinshaft existential (...) schon im Bereich jener Wirklichkeit steht, die von der Botschaft ausgesprochen wird“7, dabei jedoch ausschließlich den Getauften meine.
Solch einen inhaltlichen Widerspruch in der Verwendung des Wortes »existential« würde ein Schüler Heideggers8 nicht formulieren.9 Dazu steht der Begriff des Existentials in der Heideggerschen Philosophie mit ihrer sehr akuraten Terminologie zu zentral, als dass er von jemandem, der sich intensiv mit ihm beschäftigt hat, so missdeutet würde. Zudem wird die eigentliche Definition von »existential« – im Sinne von: der persönlichen Freiheit vorausliegend – durch das Wort »grundsätzlich« ebenso unterstützt wie durch den allgemeinen Bezugspunkt »einen Menschen«.
Ähnliches gilt für die Aussage, eine Universalisierung der Adressaten für das übernatürliche Existential erfolge erst in den 1940er Jahren. Schon in seinen Vorlesungen während der Salzburger Hochschulwoche 1937 thematisiert Rahner im Rahmen einer metaphysischen Anthropologie die Möglichkeit des Gnadenempfangs bzw. des Hörens des Wortes für jeden Menschen (vgl. 3). Eine (eventuell vorliegende) »verengte« Sicht auf die Getauften ist also bereits hier gesprengt.10
Der zweite Grund bezieht sich auf die Auslegung und Interpretation des Textes. In den von Rulands zitierten Passagen11 ist die Verwendung des Begriffs der Kirche in Anführungszeichen auffällig. Insbesondere im zweiten Zitat lässt sich die Unterscheidung zweier Kirchenbegriffe deutlich erkennen. Während die Kirche ohne Anführungszeichen stets im Zusammenhang mit der sichtbaren Organisation genannt wird, wird die Kirche in Anführungszeichen mit dem „Raum menschlicher Geschichte, zu der Christus gehört“12, identifiziert und als solche sogar als Voraussetzung der „sichtbar sozial organisierten Kirche“13 betrachtet. Es liegt daher nahe, die Anführungszeichen in ähnlicher Weise zu interpretieren wie das »quasi« unter 2.3. Daraus ergibt sich, dass Rahner hier den Begriff »Kirche« in einem analogen Sinn verwendet und damit den Horizont der institutionellen Kirche überschreitet. Die Verwendung des Begriffs »Kirche« im ersten Zitat bestätigt diese Interpretationsweise. „Nur weil zu seinem [des Menschen] Dasein schon das Medium der Gnade (›Kirche‹) gehört, ist er ein möglicher Hörer der christlichen Glaubensbotschaft.“14 Die Kirche in Anführungszeichen wird mit der Gnade an sich unabhängig von der organisierten Kirche in Verbindung gebracht, welche die Voraussetzung für ein Hören15 des Evangeliums bildet. Dies bedeutet jedoch keine Relativierung der Tauf(-gnad-)e, da im Sakrament das existentiale Angebot heilsnotwendig existentiell nachvollzogen werden muss.
1 Vgl. Rulands, Menschsein unter dem An-Spruch der Gnade, 128, Fußnote 341.
2 Vgl. Ebd., 127-140, in weiten Teilen gleich: ders., Zur Genese des Theologumenons vom »übernatürlichen Existential«, 233-245, und ders., Das übernatürliche Existential, 255-260.
3 Rahner, Priesterliche Existenz, 207.
4 Rulands, Das übernatürliche Existential, 238.
5 Vgl. Wassilowsky, Universales Heilssakrament Kirche, 149-154.
6 „Es handelt sich sicher nicht so sehr in meiner Theologie, soweit sie philosophisch ist, um eine systematische, inhaltliche Beeinflußtheit von Heidegger, sondern das eigentümliche Denken-Wollen und -Können, das Heidegger einem eigentlich doch beibrachte“, Rahner, Der Werdegang eines Theologen, 247f.
7 Rahner, Karl, Priesterliche Existenz, zitiert nach: Rulands, Menschsein unter dem An-Spruch der Gnade, 129 (Hervorhebungen von C.K.).
8 „Ich würde sagen, Martin Heidegger war der einzige Lehrer, vor dem ich den Respekt eines Schülers vor dem großen Meister hatte. Dies hatte mit den Einzelfragen, den Einzelaussagen seiner Theologie wenig zu tun, und insofern möchte ich sagen, daß meine Philosophie nur wenig, meine Theologie auch wenig mit Heidegger zu tun hat, obwohl ich wirklich Heidegger von ganzem Herzen dankbar bin“, Rahner, Der Werdegang eines Theologen, 248.
9 Man bedenke die zeitliche Nähe der Salzburger Hochschulwochen (August 1937) zu den philosophischen Studien Rahners, die er im Sommer 1936 in Freiburg abschloss.
10 Rulands hält dies ausdrücklich selber fest, vgl. Rulands, Menschsein unter dem An-Spruch der Gnade, 119f, insbesondere die Anmerkung 325!
11 Vgl. ebd, 128-130 und 131.
12 Ebd., 131.
13 Ebd.
14 Ebd., 129.
15 Die verwendete Vokabel »Hören« schlägt wiederum den Bogen zu seinen Salzburger Vorlesungen, die 1941 unter dem Titel »Hörer des Wortes« erschienen und als Hintergrund dieser Aussagen herangezogen werden sollten.
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