Kitabı oku: «Terror», sayfa 2

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Kapitel II

Drinnen

Mühsam einen Schrei unterdrückend schreckte Tom hoch, kalten Schweiß auf der Stirn. Verwirrt und orientierungslos versuchte er zu erfassen, wo er sich befand. Er saß auf einem Bett, knapp unter einer weiß getünchten Decke, an der eine schmucklose Neonlampe hing. Obwohl er senkrecht nach oben blickte, konnte er die Wände des kleinen Zimmers sehen, also war es nicht allzu groß.

Tom schaute sich um. In dem Zimmer waren vier Hochbetten, alle mit anderen Kindern belegt, und es war gerade noch genug Platz für einen kleinen Tisch und vier schmale Spinde.

Langsam fand er in die Realität zurück. Er befand sich in der »Suite 12/26«, wie Jörg den Bunker genannt hatte. Er war an einem sicheren Ort, an dem es keine Zombies und keinen ständigen Kampf ums Überleben gab. Er hatte nur einen Albtraum gehabt, aber der war jetzt vorbei. Nach einem gemeinsamen Essen in der großen Mannschaftsmesse auf der ersten Ebene des Bunkers hatten er und die anderen Kinder sich in ihre Zimmer verzogen. Die Ruhe, die sie hier nach den Wochen voller Angst und Flucht plötzlich erlebten, wirkte. Der zurückliegende Stress forderte nun seinen Tribut, und ihre Körper nahmen sich, was sie benötigten. Der schlechte Traum kam bestimmt von dem ungewohnt guten Essen sowie der Menge, die er davon in sich hineingestopft hatte.

Er war in Sicherheit.

Das Tröstliche an diesem einfachen Wort ließ Tom leise seufzen. Wann hatte er sich zuletzt sicher gefühlt? Trotzdem war da noch etwas in ihm, ein schaler Nachhall seines Traums, der ihn nicht loslassen wollte. Tom hatte gelernt, auf diese Gefühle zu vertrauen.

Er griff nach seiner Armprothese, die neben ihm in dem schmalen Bett lag, zog sie an und kletterte vom oberen Bett herunter. Die dumpfe Ahnung drohenden Unheils wich nicht, sondern verstärkte sich noch. Tom rüttelte heftig an der Schulter des Jungen, der auf dem unteren Bett immer noch fest schlief. »Kurt! Wach auf! Es ist was im Busch!«

Kurt blinzelte verschlafen und mit schweren Lidern.

Tom wartete nicht ab, ob er wirklich aufwachen würde, sondern drehte sich zu dem anderen Bett um, in dem Kurts Zwillingsbruder Karl schlief. Diesen rüttelte er ebenfalls heftig an der Schulter.

Die Zwillinge setzten sich gähnend auf. Tom wollte sie gerade über seine Ahnung ins Bild setzen, als der Alarm des Lockdown losging.

Rufe hallten durch die Gänge des Bunkers, der Alarm heulte, und das dumpfe Knallen und Rumsen von sich automatisch schließenden Sicherheitstüren rollten wie die Schritte eines Riesen durch den Bunker. Sofort waren auch die Zwillinge hellwach.

Wortlos fassten sich die drei Jungen an den Händen und richteten den Fokus ihrer Kräfte auf das Geschehen außerhalb des Zimmers. Nach wenigen Augenblicken nickte Tom.

Hier oben ist alles sicher, sandte er seine Gedanken an Kurt und Karl. Diese Hengsten ist mit Edith im Aufzug vorerst sicher, aber Erich steckt in der Scheiße. Wir sollten Jörg und Sandra Bescheid sagen.

Kurt schüttelte heftig den Kopf. Warte! Jörg und Sandra! Der Junge wurde blass. Sie sind draußen! Und es kommt jemand!

Dann gehe ich alleine in die Zentrale. Ruft die anderen zusammen, vielleicht können wir helfen.

Weißt du noch, wie schwer es war, die Desinfektionstrupps mit unseren Kräften zu begleiten?, sandte Karl einen zweifelnden Gedanken. Ich glaube, der Bunker blockiert mit seinen Wänden unsere Kräfte.

Versucht es trotzdem!

Tom ließ die Hände der Zwillinge los und stürmte aus dem Zimmer.

***

Erich sah sich verständnislos um. Dann entdeckte er die Kamera an der Decke. Erschrocken zuckte sein Blick zu Goras Leiche, in deren linkem Auge immer noch das Messer steckte.

Mit der Wucht einer Abrissbirne überkam Erich die Erkenntnis, wie sich die ganze Situation darstellen musste, wenn man sie auf einem der Bildschirme in der Zentrale des Bunkers sah. Hatten Roland, Gregor und Martin die Überwachungskameras wieder zum Laufen gebracht? Hatten sie gesehen, was hier gerade passiert war?

Das Heulen der Alarmsirenen und das flackernde Licht des Lockdowns gaben ihm die Antwort. Entweder war auch anderswo im Bunker etwas passiert oder man hielt ihn für einen Mörder und wollte ihn an der Flucht hindern!

Erich stand auf, sah ein letztes Mal auf Goras toten Körper, dann lief er den Korridor entlang. Er musste ein sicheres Versteck finden und sich überlegen, wie er seine Unschuld beweisen konnte, bevor ihn ein tobender Mob einfach aufknüpfen würde!

Erich bog um die Ecke des Korridors und blieb abrupt stehen. Etwa zehn Meter von ihm entfernt wankten zwei Zombies. Den einen erkannte er nicht. Dieser trug einen Kampfanzug, den Erich auf diese Entfernung den amerikanischen Streitkräften zuordnete. Aber der andere Untote kam ihm bekannt vor. Er sah genauer hin und konnte nur mit Mühe ein Aufkeuchen unterdrücken. Das war Holger Dresen! Der sollte doch oben auf Ebene 1 einen der Aufzüge bewachen!

Die beiden Reanimierten gingen ungewöhnlich zielstrebig den Korridor entlang. Es wirkte, als würden sie einem Ruf folgen.

Als sie die vor ihnen liegende Kreuzung erreichten und sich nach links hielten, fasste Erich einen Entschluss. Das war seine Chance, seine Unschuld zu beweisen. Jemand hatte nicht nur Gora getötet, sondern auch Dresen und den unbekannten Soldaten.

Erich lief zu Goras Leiche und riss dem Toten das Messer aus dem Gesicht. »Es tut mir leid mein Freund, aber ich möchte nicht unbewaffnet auf die Jagd nach deinem Mörder gehen. Das ist für mich die einzige Möglichkeit, lebend aus dieser Scheiße rauszukommen.«

***

Bei einem »Lockdown« wurden alle Bereiche unterhalb der Ebene 1 des Bunkers abgesperrt. Wer sich dort befand, war auf Gedeih und Verderb der Gefahr ausgesetzt, wegen der der Alarm ausgelöst worden war. Dementsprechend groß war der Aufruhr in der Zentrale, denn die Überlebenden hatten sich auf alle Ebenen verteilt, nachdem sie den Bunker von »unerwünschten Mitbewohnern« befreit hatten. Wer oben war, wollte wissen, was unten los war. Wer unten war, versuchte, eine der Interkomstellen zu erreichen, um ebenfalls zu erfahren, was passiert war.

Als Tom in die Zentrale stürmte, vermeinte er, gegen eine Wand aus ängstlichen Stimmen, Alarmsirenen, Hektik und Chaos zu prallen. Er sah Doktor Steins, der wie ein grauer Leuchtturm aus der Menge herausragte, und bemerkte die ängstlichen Gesichter sowie die Abscheu der Lebenden, als dieser sich einen Weg zu einer der Konsolen bahnte.

Martin, Roland, Marion und Steins hatten alle Hände voll zu tun, die Menge zu beruhigen. Gregor saß leichenblass vor einer Konsole, auf der die Monitore Bilder vom Inneren des Bunkers zeigten.

Tom griff mit seinen Kräften in den Äther. Erneut fiel ihm auf, dass seine Fähigkeiten innerhalb des Bunkers irgendwie gedämpft wurden. Als er und die anderen begabten Kinder die Desinfektionstrupps »überwacht« hatten, war ihnen das erste Mal aufgefallen, dass es ihnen trotz des Zirkels, in dem sie ihre geistigen Fähigkeiten bündelten, enorm schwerfiel, den Trupps mit ihren mentalen Fähigkeiten zu folgen. Lag das an der besonderen Bauweise des Bunkers?

Tom bemerkte, dass Martin kurz aufblickte.

Tom? Alles okay bei dir?

Ja, alles paletti. Kurt und Karl sind auch wohlauf und versuchen gerade, Kontakt mit den anderen aufzunehmen.

Warum?

Vielleicht können wir herausfinden, was da unten geschehen ist.

Trotz der Probleme, die es euch hier bereitet?

Wir versuchen es.

Gut. Aber seid um Himmelswillen vorsichtig! Die Meute hier ist kaum zu bändigen, und ich habe schon ein paar schräge Blicke in deine Richtung bemerkt.

Tom tauchte aus seiner kurzen Trance auf. Normalerweise konnte er mit Martin und den anderen Begabten auf telepathischem Weg kommunizieren, ohne sich derartig stark konzentrieren zu müssen. Er drehte sich um und lief dabei geradewegs in Lemmy hinein.

Der hagere Mann mit der grauen Mähne lächelte aufmunternd. »Tom, du und die anderen Kids, ihr müsst dringend vor Aufzug 3 saubermachen! Ich will nicht, dass hier eine Panik ausbricht. Macht schnell und passt auf euch auf! Wenn ihr etwas Auffälliges bemerkt, meldet es sofort!«

Tom stutzte und sah den Mann misstrauisch an. Wusste Lemmy schon, was geschehen war? Aber woher?

Ehe er Lemmy fragen konnte, war der schon zur Konsole marschiert, an der Gregor immer noch wie gelähmt saß, hatte Steins wie beiläufig zur Seite gedrängt und die Alarmsirenen abgeschaltet. »Und jetzt herrscht hier Ruhe, verdammt nochmal!«, donnerte seine Stimme durch die Zentrale. »Wir können zwar alle gleichzeitig singen, aber dann sollten wir uns auch auf ein Lied einigen.«

Tom verließ die Zentrale im Laufschritt. Er musste zu den anderen Kindern! Vielleicht konnten sie, nachdem sie Lemmys Auftrag ausgeführt hatten, gemeinsam irgendwie herausfinden, was genau passiert war.

***

Martin war froh, als Lemmy für Ruhe sorgte. Die Pilger, die sich in der Zentrale einfanden, waren verständlicherweise ängstlich. Aber ängstliche Menschen, eingepfercht in einen unterirdischen Bunker, konnten gefährlich werden, weil sie sich rationalen Argumenten irgendwann verschlossen.

Martin sah kurz in die Ecke, in der Levi zitternd und blass stand. Hoffentlich hielt der Arzt aus Schwarmstein den Mund! So wie es bisher aussah, hatte keiner der Aufgebrachten den Weg an Aufzug Nummer 3 vorbei genommen, wo Holger Dresen verschwunden war und wo sich laut Levi nur noch eine Blutspur befand.

Allmählich kehrte in der Zentrale Ruhe ein. Die ängstlichen Stimmen wurden weniger. Bleiche Gesichter, in denen die Augen groß und rund wie dunkle Seen voller Angst schwammen, sahen zu Lemmy.

Der hob beschwichtigend die Arme. »Hört mir zu, Leute! Wir wissen noch nicht, warum der Alarm ausgelöst wurde. So wie ich das aber sehe, haben Roland und Gregor bei der Reparatur der Kamerakontrollen für die unteren Bereiche der Suite einen Kurzschluss verursacht.«

»Woher willst du das wissen?«, fragte eine dunkelhaarige Frau, deren Namen Lemmy nicht kannte.

Ehe Lemmy antworten konnte, trat Roland einen Schritt vor. »Sorry, das war ich. Lemmy hat recht: falscher Alarm.«

»Und ist der Lockdown jetzt beendet?«, wollte ein Mann wissen, den sie aus Bonn gerettet hatten.

Roland schüttelte betreten den Kopf. »Leider nicht. Ich muss mit Gregor erst nachsehen, was wir da veranstaltet haben. Aber keine Bange! Wer jetzt in den unteren Bereichen feststeckt, hat dort Wasser, Nahrung und Luft. Ich glaube zwar nicht, dass wir sehr lange brauchen werden, aber da unten sind sie auf alle Fälle in Sicherheit und gut versorgt.«

Martin sah zu Lemmy. Der Ältere bemerkte den Blick. Martin nickte ihm unmerklich zu.

»Okay«, sagte Lemmy. »Dann geht wieder in eure Zimmer oder in die Messe. Wir haben zu tun, und ihr würdet uns hier nur stören.«

Langsam verließen die Menschen die Zentrale. Sie murrten und wechselten verstohlene Blicke, aber sie gehorchten. Noch.

Martin ging auf Lemmy zu. »Du hast die Kinder damit beauftragt, die Sauerei wegzuwischen?«

»Ja.«

»Du weißt also, was mit Holger Dresen passiert ist?«

»Nein.«

Martin seufzte. »Wie auch immer, Lemmy. Ich kenne dich noch nicht gut genug, um dir vollständig zu vertrauen. Und nach dieser Scheiße hier ist das auch nicht bedeutend besser geworden.« Er tippte mit dem Zeigefinger auf Lemmys Brust. »Und wenn du nochmal die Kinder in so etwas reinziehst, dann ...«

Lemmy nickte mit ernster Miene. »Es gab keine Alternative. Außerdem sind die Kinder anders, wie du sehr genau weißt. Die kommen damit zurecht.«

»Anders?«, fragte Steins, der sich unbemerkt zu den beiden gesellt hatte. »Was meinen Sie mit ›anders‹?«

»Sie sind Überlebende, Herr Doktor. Das härtet ab.«, erwiderte Martin und ging zu Levi, der starr ins Leere blickte.

Levi Kleinmann war der einzige Arzt, dem Martin ohne Vorbehalte vertraute. Steins und dieser van Hellsmann waren ihm nicht geheuer, obwohl er den beiden Totlebenden auch nicht wirklich misstraute. Aber wenn es wirklich darauf ankäme, hätte er doch lieber einen Doktor an seiner Seite, der noch lebte und atmete. Hoffentlich überwand der Mann seinen Schock.

»Alles in Ordnung, Doc?«

Levi blickte auf.

Martin trat mit angewidertem Gesichtsausdruck einen Schritt zurück. Mit der Fahne, die aus dem Mund des Arztes kam, hätte man problemlos ein Wartezimmer voller Grippepatienten desinfizieren können. »Ich mache Ihnen dann erst einmal einen Kaffee. Oder noch besser einen ordentlichen Espresso, damit sie wieder auf die Beine kommen.«

Martin fasste Levi vorsichtig am Arm und hoffte, dass sich im Moment niemand in der kleinen Bereitschaftsmesse der ersten Ebene aufhielt.

Kapitel III

Draußen

Lemmy sah sich in der Zentrale um. »Wo sind Jörg und Sandra?«

»Draußen«, antwortete Steins. »Sie wollten etwas frische Luft schnappen, als hier ...« Er zögerte. »Nun ja, was-auch-immer geschah.«

»Und was ist hier passiert?«

Gregor ging mit steifen Schritten auf Lemmy und Steins zu. »Roland, Martin und ich haben versucht, die Anschlüsse für die Kameras der unteren Ebenen zu überbrücken, damit wir auch dort immer alles im Auge behalten können«, erklärte er. Seine Stimme war zittrig, aber er wirkte gefasst. »Dann kam zuerst Doktor Levi in die Zentrale gestürmt und brüllte herum, dass Dresen verschwunden und alles voller Blut sei. In dem Moment lief eine der Kameras wieder an, und ich sah, wie Erich ... er hat Gora ein Messer ...«

Gregor verstummte. Sein Blick verschleierte sich, und sein Gesicht wurde noch blasser.

Lemmy rieb sich seufzend mit den Händen übers Gesicht. »Also haben wir hier einen Mörder herumlaufen. Und schlimmstenfalls zwei Zombies in den unteren Ebenen, sofern dieser Mörder seinen beiden Opfern nicht das Gehirn irreparabel beschädigt hat. Sehen Sie das auch so, Frankenstein?«

Steins ignorierte die Anrede und nickte. »Ja.«

»Verdammte Scheiße!«, fasste Lemmy die Situation zusammen. »Wenn das die anderen hören, haben wir hier ein Tollhaus. Wer ist noch unten?«

»Ich bin mir nicht sicher«, antwortete Gregor. »Aber von Erich, Gora und Holger abgesehen müssten mindestens vier oder fünf weitere Menschen dort unten sein. Diese Matrone Hengsten ist mit Edith in Aufzug 5 eingeschlossen. Über Interkom hat sie schon rumgekreischt und Erich als Mörder identifiziert.«

»Was haben die da unten gemacht?«, wollte Lemmy wissen.

»Entweder waren sie in den Offiziersquartieren oder in den Freizeiteinrichtungen der Suite«, meinte Steins.

»Hat schon irgendjemand mitbekommen, was die Hengsten mitzuteilen hat?«

»Nein.« Gregor schüttelte den Kopf. »Doktor Steins hat sofort die Interkom-Verbindungen abgebrochen, als Lemmy die Sirenen des Alarms ausschaltete.«

Lemmy sah den Totlebenden abschätzend an. »Aber der Lockdown besteht weiterhin?«

»Ja.«

»Können sie das große Tor trotz des Lockdowns öffnen? Ich will nämlich Jörg und Sandra nicht alleine da draußen lassen.«

»Das muss am Tor selbst geschehen. Dafür brauchen sie einen Code, den sie dort eingeben müssen. Er überbrückt den Lockdown.«

Lemmy kreiste ungeduldig mit der rechten Hand. »Und? Worauf warten Sie noch?«

Steins nannte Lemmy die Zahlenreihenfolge.

»Okay. Ich hole die beiden wieder rein«, sagte Lemmy. »Ihr seht in der Zwischenzeit zu, dass nichts nach außen dringt: keine Mörder, keine Interkom-Meldungen der Hengsten, einfach nichts, klar?«

Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte Lemmy sich auf dem Absatz herum und stürmte aus der Zentrale. Er ging zielstrebig durch die Korridore der obersten Bunkerebene. Ab und zu sah er über seine Schulter, um zu prüfen, ob ihm jemand folgte.

Dann erreichte er die breite Laderampe des Haupttors, das nach draußen in die Höhle des künstlichen Hügels führte. Das Tor sah aus wie eine überdimensionale Tresortür. Es war fast fünf Meter hoch und acht Meter breit.

Lemmy fand die kleine Tastatur und tippe den Code ein, den ihm Steins genannt hatte.

Mit einem pneumatischen Seufzen löste sich die Verriegelung des Tors. Kurz darauf schwang es auf, und Lemmy betrat die künstliche Höhle. Schon auf den ersten Schritten zur Rampe, die aus dem Hügel herausführte, wehten ihm aufgebrachte Stimmen entgegen.

»Ihr habt das Unheil in unser Dorf gebracht!«

»Leg den Bolzenschneider weg, oder ich schieße!«

»Ruhe! Bitte bewahrt doch alle die Ruhe!«

Die letzte Stimme ließ Lemmy lächeln. Er bog um die Ecke und sah, dass Sandra und Jörg mit gezogenen Waffen diesseits des Zauns standen. Auf der anderen Seite befand sich eine Gruppe von etwa fünfzehn Überlebenden, die sich mit Lumpen und zerfetzten Kleidungsstücken vor der Kälte des überraschend strengen Winters zu schützen versuchten. In ihren Augen flackerte Angst, ihre Körper zeugten von Hunger, Entbehrung und Erschöpfung. Lemmy erkannte einige von ihnen. Es waren zum Teil Menschen aus Schwarmstein.

Dann sah er ihn. Er hatte sich kaum verändert, vielleicht einssiebzig groß, braune Haare und eine gigantische Hakennase.

Zielstrebig näherte sich Lemmy dem Zaun. »Sandra, Jörg, steckt die Waffen weg. Es ist alles in Ordnung.«

Jörg fuhr herum. »Was? Spinnst du? Die haben einen Bolzenschneider dabei!«

Lemmy legte ihm eine Hand auf den Arm. »Lass gut sein. Das sind nur ein paar Menschen, die voller Angst sind.«

Jörg schluckte und ließ die Waffe sinken. Sandra, die leicht versetzt vor Lemmy und Jörg stand, folgte der Aufforderung ebenfalls, blieb aber angespannt.

»Bist du das etwa?«, fragte der kleine Mann, den Lemmy erkannt hatte.

»Ja. Komm bitte ein Stück auf die Seite, damit wir uns in Ruhe unterhalten können. Und ihr anderen beruhigt euch wieder. Wir haben ein Problem im Bunker, aber sobald das geklärt ist, werden wir euch reinlassen.«

»Was?«, rief Jörg. »Wer hat di...«

Der ehemalige Hauptmann der Luftwaffe verstummte, als Lemmy ihn mit einem eisigem Blick ansah. »Gib mir einen Moment, Junge, dann wird sich die Sache klären.«

Jörg fing sich wieder. »Und wer hat dir das Kommando übertragen?«

»Das möchte ich dich fragen, Jörg Weimer. Wer hat dir denn die Macht verliehen, über das Schicksal dieser Menschen zu entscheiden?«

Jörg blickte Lemmy schweigend an.

»Na also. Fünf Minuten. Und dann lassen wir diese Flüchtlinge rein.«

Lemmy bedeutete dem kleinen Mann vor dem Zaun, ihm ein Stück weit zu folgen. Als sie außer Hörweite waren, legte er eine Hand auf das Gitter.

Der kleinere Mann tat es ihm nach. »Wie geht es dir? Du hast dich verändert, mein Freund. Ich hätte dich beinahe nicht wiedererkannt. Reinkarnation?«

Lemmy nickte. »Ja. Ich hätte nur ganz gerne vorher gewusst, auf was ich mich da einlasse.« Er schüttelte den Kopf. »Wie auch immer, es ist lange her, Longinus. Was machst du hier?«

»Ich habe erfahren, dass Gabriel und Luzifer immer noch ihre Spielchen treiben, als hätten sie nicht schon genug angerichtet.«

Lemmy seufzte. »Ja. Die zwei haben diesmal wirklich ganze Arbeit geleistet. Und jetzt streiten sie sich um die Reste wie zwei kleine Kinder um ein Spielzeug. Wenn unsere Gemeinschaft noch kleiner wird, werden sie irgendwann vollkommen außer Kontrolle geraten.«

Longinus nickte ernst. »Dieser Moment könnte früher kommen, als uns allen lieb ist.«

»Warum?«

»Wir sind die letzten fünf. Du, Alexander, ich und diese beiden Hitzköpfe.«

»Was? Wo sind die anderen?«

Longinus zuckte mit den Schultern. »Spurlos verschwunden. Ich hatte zuerst vermutet, Gabriel oder Luzifer hätten sie in sich aufgenommen. Aber in dem Fall würden wir jetzt nicht hier stehen, oder?«

Lemmy atmete tief durch. »Wohl kaum. Ob sich die anderen vielleicht vereint haben?«

»Wie kommst du darauf?«

»Spürst du es nicht auch, diesen Ruf, der uns nach Süden zieht? In dieser Gruppe hier sind ein paar Kinder, aber auch Erwachsene, die den Ruf ebenfalls spüren. Und Er ist auch hier.«

»Wer?«

»Der Erschaffer der Tore. Aber er weiß nichts von seiner Vergangenheit. Er wurde wiedergeboren und ahnt nichts von seinen Fähigkeiten.«

Longinus atmete tief durch. »Also sind die anderen doch nicht verschwunden!«

»Wie meinst du das?«

»Diesen Ruf verspüre ich auch. Und du sagst, in deiner Gruppe gibt es noch mehr wie uns?«

Lemmy zuckte mit den Schultern. »Zumindest haben sie einen kleinen Teil unserer Fähigkeiten. Sie spüren den Ruf deutlich und nennen den Ort ›Eden‹. Es scheint ein Refugium zu sein, wo sich die letzten Menschen zusammengefunden haben.«

Longinus schwieg einen Moment. Sein Blick glitt über die Gruppe Überlebender, die er hierher geführt hatte. »Vielleicht ist das unsere Bestimmung, der Grund für unser Dasein? Das Auslösen der Katharsis, aus der sich dann etwas Besseres, Größeres entwickeln kann?«

»Das wäre möglich. Wirst du dich uns anschließen?«

»Nein. Ich werde weitersuchen.«

Lemmy schüttelte den Kopf. »Nach all den Jahrhunderten suchst du immer noch nach Gott?«

»Natürlich. Das ist meine Aufgabe. Dafür hat er mich erschaffen.«

»Und unterwegs sammelst du verlorene Seelen ein, richtig?«

»Man tut, was man kann«, erwiderte Longinus mit einem Lächeln. »Ich weiß, du glaubst nicht an Gott oder die Existenz von Göttern überhaupt. Aber wenn es Ihn nicht gibt, welchen Sinn hätte unsere Existenz denn sonst? Oder unsere Fähigkeiten, unsere Gemeinschaft?«

»Vielleicht sind wir nur eine Laune der Natur?«

Longinus schüttelte entschieden den Kopf. »Nein, das kann ich nicht glauben. Ich war da, als Sein Sohn starb. Ich wurde Zeuge eines Wunders, das sogar unsere Kräfte übersteigt. Ich kann Seine Existenz nicht anzweifeln.«

»Also ziehst du weiter durch die Welt und kehrst die Reste zusammen, die Gott zurückgelassen hat. Und ab und an suchst du jemanden, der sich ihrer annimmt.«

»Es sind einfache Menschen. Sie sind hilflos. Aber in einer Gemeinschaft zusammengebracht könnten sie etwas Neues aufbauen, etwas, das besser ist als das, was jetzt zerbrochen am Boden liegt. Und vielleicht sind die anderen wirklich eine besondere Vereinigung eingegangen, um das, was du Eden nennst, zu erschaffen. Es wäre die Erfüllung einer Bestimmung und Gottes Wille zugleich.«

Lemmy schnaufte verächtlich. »Wie das Bessere aussieht, habe ich in Schwarmstein gesehen. Und was ich von Gott halte, weißt du. Wir hatten schon öfter unsere Dispute über dieses Thema. Aber was Eden betrifft, könntest du recht haben. Vielleicht haben die anderen wirklich mit ihren vereinten Kräften ein solches Refugium erschaffen.«

»Schwarmstein existiert nicht mehr, mein alter Freund. Die Zombies haben es überrannt. Es waren aber keine normalen. Sie wurden von irgendeiner Kraft gelenkt, die ich noch nicht ganz verstehe.«

Lemmy nickte. »Also gut. Ich nehme deine verlorenen Schafe auf. Und ich werde versuchen, die Herde zu diesem Eden zu führen. Aber nur, weil ich dir vertraue, und weil ich niemanden da draußen alleine lassen will.«

Die beiden Männer machten sich auf den Rückweg.

»Und was ist mit dem da? Wird er es verstehen?«, fragte Longinus, während er in Jörgs Richtung nickte. »Er macht auf mich den Eindruck, als würde er wieder in die alten Gewohnheiten fallen und sein Revier verteidigen.«

»Er meint es nur gut, aber er wird auch irgendwann verstehen müssen, dass sich die Welt verändert hat, mein Freund. Denn wenn er nicht akzeptiert, dass jetzt eine neue Ordnung herrscht, in der die letzten Überlebenden zusammenhalten müssen ...« Lemmy zögerte und blieb stehen. »Dann hat auch unsere letzte Stunde geschlagen.«

»Wirst du auf meine Schafe aufpassen?«

»Solange sie sich an die Regeln halten, ja.«

»Ich danke dir.«

»Willst du schon wieder los? Willst du dich nicht aufwärmen und etwas Vernünftiges essen, bevor du deine Suche fortsetzt?«

Longinus schüttelte den Kopf. Um seine Lippen spielte ein kleines Lächeln. »Der Herr ist mein Hirte. Es wird mir an nichts mangeln.«

Lemmy nickte. »Dann leb wohl, Centurio Longinus.«

»Nein, ich bin schon lange nicht mehr Centurio Longinus, der Mann, der Jesus am Kreuz mit einem Speer die Seite öffnete. Ich bin Longinus der Suchende.«

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