Kitabı oku: «Sagenreiches Bad Hall»
Ein herzliches Danke meiner Familie, Oliver und Valentin, für die gemeinsamen Abenteuer beim Entdecken sagenhafter Orte
Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2021 Verlag Anton Pustet
5020 Salzburg, Bergstraße 12
Sämtliche Rechte vorbehalten.
Lektorat: Anja Zachhuber
Layout, Grafik und Produktion: Nadine Kaschnig-Löbel
Coverillustration: Galina Bayanova/shutterstock.com
Bildnachweis: alle Fotografien von der Autorin
eISBN 978-3-7025-8079-7
Auch erhältlich als gedrucktes Buch: ISBN 978-3-7025-1001-5
Die in diesem Buch beschriebenen Spaziergänge wurden von der Autorin nach bestem Wissen recherchiert und erstellt. Inhaltliche Fehler können dennoch nie ganz ausgeschlossen werden. Es werden seitens der Autorin und des Verlages keinerlei Verantwortung und Haftung für mögliche Unstimmigkeiten übernommen.
Die Verwendung dieser Publikation erfolgt ausschließlich auf eigenes Risiko und eigene Gefahr.
Dagmar Fetz-Lugmayr
Sagenreiches BAD HALL
Sprudelnde Geschichten einer Kurstadt und ihrer Umgebung
Inhalt
Sprudelnde Geschichten
1 Die Salzquelle am Sulzbach
2 Das Geschenk des Herzogs
3 Die Haller Zuckerdose
4 Mythos Wasser
5 Im Garten der Bäume
6 Eine Teufelssage im Zauber der Lichtbäume
7 Der Himmelsschlüssel
8 Viertel nach zwölf
9 Der Brunnen des heiligen Georg
10 Der rettende Feuerbusch
11 Das Ende der Zeit
12 Ritter Adelwange
13 Der Heilige Brunnen von Adlwang
14 Maria im Ameisenhaufen
15 Die Goldenen Samstage
16 Kraftort St. Nikolai
17 Das Rätsel der Kugelsteine
18 Die uralte Sage von Babos Söhnen
19 Der Teufel von Achleiten
20 Das Bergmännlein
21 Kraftplatz St. Blasien
22 Der Teufelsturm
23 Das versunkene Schloss
24 Der Spuk beim Kalchmair
25 Der Baum mitten in der Welt
Quellen und Literatur
Sprudelnde Geschichten
Wo Wasser plätschert, sprudeln auch Mythen, Sagen und Geschichten. Im Herzen von Oberösterreich zwischen den Flüssen Enns und Krems liegt die kleine Kurstadt Bad Hall. Als hätte das Wasser dieser Gegend vieles zu erzählen, gluckst es in heilbringenden Quellen und Brunnen und durchzieht als Lebensader die Landschaft – selbst das Trinkwasser kommt aus einem sagenumwobenen Boden. Seit Jahrhunderten haben sich Menschen das wahrlich kostbare Gut zunutze gemacht, sodass heute wie damals viele nach Bad Hall kommen, um Körper und Seele zu stärken und um ihrer Gesundheit Gutes zu tun. Die kleine Kurstadt vereint Selbstbewusstsein mit ländlichem Charme. Geschichte, Kultur und Natur verwöhnen Körper, Geist und Seele. Buntes gesellschaftliches Treiben, Oasen der Ruhe und Erholung und das historische Erbe sind die besondere Würze. Spazier-, Wander- und Radwege laden ein, die nähere Umgebung zu erkunden und das prächtige Gebirgspanorama zu genießen. Als Baiernherzog Tassilo III. im Jahr 777 das bekannte Stift Kremsmünster gründete, bedachte er das Kloster mit großzügigen Gaben, darunter auch eine salzhaltige Quelle im Haller Raum. Das besondere Wasser entspringt nahe dem Lauf des Sulzbaches. „Hall“ ist Bestandteil vieler Ortsnamen und wird so wie die Bezeichnung „Sulz“ mit „Salz“ in Verbindung gebracht. Das wertvolle Mineral gab der Gegend und dem kleinen Flusslauf ihre Namen. Wie eine Lebensader schlängelt sich das Wasser durch die Landschaft und nimmt uns mit auf eine sagenreiche Reise.
Am Oberlauf des Sulzbaches liegt der bedeutende Wallfahrtsort Adlwang. Auch dort entspringt eine besondere Quelle nahe dem Ufer. Das Gnadenbrünnlein, auch Heiliger Brunnen genannt, zieht seit Jahrhunderten Tausende Menschen an. Die Wallfahrtskirche in unmittelbarer Nähe beherbergt einen alten Schatz, der der Sage nach hundert Jahre in einem Ameisenhaufen überdauerte. Unser Weg führt weiter nach Pfarrkirchen, im 13. Jahrhundert „Dorf Hall“ genannt. Das Gotteshaus gilt als das älteste im alten Hallgau und dessen Bedeutung als Pfarrkirche ging auf den Gemeindenamen über. Auch hier gluckst Wasser in Quellen und Brunnen, erzählt vom heiligen Georg, dem Kampf mit dem Drachen und sogar dem Wogen des Meeres. Die besagte Tassiloquelle entspringt in der Nähe des Sulzbaches, die Ausläufer des Haller Kurparks berühren den Wasserlauf. Alte Bäume, darunter seltene Exoten und idyllische Sitzplätze bilden geschätzte Ruheoasen und zahlreiche Spazierwege laden zum Flanieren ein. Das Ächzen der Äste vermag manchem teuflische Geschichten zu erzählen, unscheinbare Pflanzen zeugen von himmlischer Sehnsucht und eine Vogeltränke vom Mythos Wasser. Weiter folgen wir dem Sulzbach, der kurz vor seiner Mündung in die Krems durch die kleine Gemeinde Rohr im Kremstal fließt. Nicht immer war es hier so beschaulich. Die Ritter von Rohr hausten einst an diesem Ort und prägten die Geschichte und die Geschichten der Gegend.
Mit diesem Buch nehme ich Sie mit auf eine Reise, gerne zu Fuß oder in Ihrer Fantasie, die Kurstadt Bad Hall und ihre Umgebung mit sagenreichen Geschichten neu zu erleben. Bestimmt finden Sie – so wie ich – Ihren Lieblingsplatz, entdecken Unbekanntes und sehen Vertrautes mit anderen Augen! Ich danke allen, die dieses Buchprojekt mit so viel Freude und Engagement unterstützt haben. Es ist ein großes Geschenk des Schreibens, am Weg zu sagenhaften Geschichten besonderen Menschen zu begegnen.
Ich wünsche Ihnen eine schöne Zeit, den Zauber ausgewählter Plätze zu spüren, sich mit Neugierde auf den Weg zu machen, Natur und Geschichte zu atmen und alten Überlieferungen zu lauschen. Genießen Sie die unbeschwerte Reise und lassen Sie sich von den Erzählungen wie vom Fließen des Wassers leiten. Es ist ein Ausflug für Körper, Geist und Seele, der mit diesem Buch in Ihren Händen beginnt.
Viel Freude wünscht Ihnen herzlichst Ihre Dagmar Fetz-Lugmayr
1 Die Salzquelle am Sulzbach
Der Traum vom ewigen Leben oder zumindest vom gesunden, hohen Alter begleitet die Menschheit seit jeher. So gelten Kraftorte und Kultplätze, die die Menschen auf ihrer Suche stärken, als sagenumwoben. Wasser ist ein Lebensquell. Schon das Wort drückt aus, was wir empfinden. Das wertvolle Element versorgt den Körper, reinigt den Geist und stärkt die Seele. Früher glaubte man, die Schöpfung selbst wähle besondere Plätze, um der Vergänglichkeit des Lebens mit heilbringenden Gaben zu begegnen. Und Quellen stehen am Beginn des ewigen Kreislaufs.
Zwischen dem Ennstal und dem Fluss Krems soll der Lauf des Lebens ein besonders guter sein. Menschen, die diese Gegend bewohnen, sei – so wird erzählt – ein gesegnetes Alter geschenkt. Selbst Hochbetagte erfreuen sich bester Gesundheit. Reisende aus längst vergangenen Tagen berichten von der wohltuenden Wirkung dieser Landschaft. Wundererzählungen füllen Bücher und werden über Generationen weitergegeben. Das heilbringende Wasser soll selbst den Bann der Zauberei oder die Fesseln des Teufels lösen.
Im Haller Raum verbindet der Sulzbach Gemeinden und Geschichten. Aus südlicher Richtung fließt er in sanftem Lauf durch die Ortschaften. Sein Name trägt das Salz im Wort. Geschichten hat er einige zu erzählen, bevor er im Kremstal in den gleichnamigen Fluss mündet. An der Stelle, wo heute Bad Hall und Pfarrkirchen aufeinandertreffen, geschah an seinem linken Ufer einst Sonderbares:
Eine sagenhafte Überlieferung aus alter Zeit erzählt von grasenden Tieren, die vom Ufer des Sulzbaches nicht mehr wegzubekommen waren. Kaum dreißig Schritte vom Bachbett entfernt schien eine Stelle die Herde magisch anzuziehen. Es waren Schafe oder Rinder, von beiderlei weiß der Volksmund zu berichten. Die Tiere drängten sich ungewöhnlich auf engstem Raum und keine Regung der Umgebung konnte sie beirren. Sie grasten unermüdlich an einem offenen Wiesenquell. Nicht nur das saftige Grün schien dort besser als anderswo zu schmecken, auch sollen die Tiere den feuchten Boden unermüdlich geleckt haben. Nicht einmal zum wenige Schritte entfernten Bachlauf ließen sie sich leiten. An besagter Stelle gab die Erde eine salzhaltige Quelle frei. Instinktiv hatten die Tiere den Weg dorthin gewiesen. Menschen wussten dieses Verhalten früh zu deuten und das Geschenk der Natur zu schätzen. Arme Leute nutzten das Wasser für Brot- und Speisenzubereitung, um teures Salz zu sparen. Esel wurden mit großen Holzgefäßen bepackt, um das wertvolle Gut in die Besiedlungen zu tragen. Die Stärkung der Gesundheit und manch heilende Wirkung schenkte Leidenden Linderung. Das Wasser wurde getrunken, in Flaschen abgefüllt und weit ins Land verschickt. Auch die vielen Pilger des nahen Wallfahrtsortes Adlwang trugen zur Verbreitung bei. Der offene Wiesenbrunn war Anziehungspunkt für viele Heilsuchende aus Nah und Fern.
Im Lichte der Sage glaubte man, die salzhaltige Quelle wäre mit Ebbe und Flut verbunden und würde im Tageslauf – dem fernen Meerwasser gleich – zweimal steigen und fallen. Durch die Kräfte der Natur im Innersten vereint, sagte man, würde das Wasser dem Rhythmus der Ozeane folgen. Für manche war es der frische Atem der Natur, andere nannten die Quelle pulsierend, einem Herzschlag gleich. Dass die Haller Sole auch Jod führte, entdeckte man erst im beginnenden 19. Jahrhundert. Mit der Erschließung neuer Quellen erblühte das Kurleben. So brachte die Quelle am Sulzbach über die Jahrhunderte unzähligen Kranken Heilung oder Linderung. Schwache fanden Stärkung und Ruhesuchende Kraft. Aus Sorge um Verunreinigung durch den nahen Wasserlauf des Sulzbaches wurde die Quelle gefasst. Aus ersten hölzernen Überdachungen entstand im Lauf der Zeit ein gemauerter Bau. Als Zeichen der Dankbarkeit für die Heilung ihrer Tochter ließ eine Wiener Handelsfrau ein prächtiges Gebäude errichten. Der Anbau einer Trinkhalle erweiterte die Nutzung.
Am eindrucksvollen Quelltempel führen heute schöne Spazier- und Wanderwege vorbei. Der nahe Tassiloweg und die Bezeichnung „Tassiloquelle“ erinnern daran, dass vor über 1 200 Jahren Baiernherzog Tassilo III. die Salzquelle am Sulzbach seiner Klostergründung Kremsmünster zum Geschenk machte. Heute liegt die Salzquelle am Sulzbach in der Nachbargemeinde Pfarrkirchen, die den Schatz der Natur auch im Gemeindewappen trägt. Eine zweite Quelle andernorts wurde nach Tassilos sagenumwobenem Sohn aus der Gründungssage des Kremsmünsterer Klosters „Guntherquelle“ genannt. Mit dem Namen des Herzogssohns aus der Gründungssage des Stiftes führt auch die Guntherstraße durch Bad Hall.
2 Das Geschenk des Herzogs
Das Wasser einiger Quellen in der Gegend von Bad Hall ist salzhaltig und wurde schon in alter Zeit genutzt. Auch Herzog Tassilo, der im 8. Jahrhundert die Geschicke des Landes lenkte, schätzte die nahe des Sulzbaches hervorsprudelnde Gabe der Natur. Die Gegend um Bad Hall soll ihm gut vertraut gewesen sein. Wer kennt sie nicht, die uralte Gründungslegende des benachbarten Stiftes Kremsmünster? Die Freude an der Jagd und die Verfolgung eines mächtigen Ebers führten seinen jugendlichen Sohn Gunther in die dichten Wälder. Doch der Kampf mit dem Wildschwein endete für Mensch und Tier tödlich. Der trauernde Vater ließ an der Unglücksstelle zur Erinnerung an seinen Sohn und zur Ehre des Welterlösers eine hölzerne Kirche bauen. Daraus erwuchs im Laufe der Jahrhunderte das bis heute weithin bekannte Benediktinerkloster Kremsmünster. Seine Stiftung bedachte er mit großzügigen Schenkungen. Der sagenumwobene Herzogssohn Gunther bleibt so wie sein für die Geschichte des Landes bedeutsamer Vater mit den nach ihnen benannten Quellen in und um Bad Hall unvergesslich.
Der Haller Sagenschatz erzählt, dass Herzog Tassilo in dieser Gegend einst ein Jagdschloss besessen habe. Das alte Geschlecht der Agilofinger soll in Hall eine heute versunkene Burg bewohnt haben, die den Herzögen für ihre Jagdausflüge diente. Manch einer glaubt, aus deren Grundfesten könnte das heutige Schloss Hall hervorgegangen sein. Unterirdische Gänge nähren Spekulationen. Andere wiederum vermuten im alten Flurnamen „Jägerfeld“ Richtung Sulzbachtal den uralten Burgstall. Das sagenumwobene Jagdschloss soll am Standort des einstigen Kaiserin-Elisabeth-Kinder-Spitals, dem späteren Bauplatz der Tassilo-Therme, gelegen sein. Der Boden bewahrte bislang sein Geheimnis.
Jedenfalls wusste und schätzte Tassilo die Gaben der Natur rund um Bad Hall. Große Ländereien zur Rodung und Bewirtschaftung sollten seine bedeutende Klostergründung Kremsmünster stärken. Im historischen Stiftungsbrief, der Jahr für Jahr am 11. Dezember, dem Stiftertag des Klosters, in feierlichem Rahmen verlesen wird, zählt der Herzog seine umfassende Schenkung auf. Allen voran die Haller Salzquelle am Sulzbach. Auch das Salzsieden, das Erhitzen und Eindampfen von Sole in großen Pfannen, wird bereits erwähnt und gilt als Zeugnis alter Siedlungstätigkeit. Die Menschen wussten das Wasser zu nutzen – für das Vieh, als wertvolle Nahrungsbeigabe und zum Wohle der Gesundheit.
Mit Beginn des 19. Jahrhunderts entstand die erste Badeanstalt und aus dem „Herzogenhall“, das um 1287 das Marktrecht erhielt, erwuchs die Kurstadt Bad Hall.
Immer schon empfinden viele Menschen den Aufenthalt, das Leben und den Besuch der Haller Gegend als wohltuend und heilend. Kranke erfahren Linderung, Erholungssuchende atmen Ruhe, Generationen finden wertvollen Lebensraum. Das Geschenk des Herzogs wurde zum Geschenk für viele. Und der Name Tassilo bleibt lebendig: Die sprudelnde Quelle trägt seinen Namen, der nahegelegene Tassiloweg in Pfarrkirchen lädt zum Spazieren ein. In Bad Hall erinnert die Guntherstraße an den sagenumwobenen Herzogssohn und eine Quelle mit seinem Namen schenkt wertvolles Wasser. Der hiesige Theaterverein heißt Tassilo-Bühne Bad Hall und zur sportlichen Betätigung lädt der Golfclub Herzog Tassilo. Bis vor wenigen Jahren waren die Tassilotherme und das Kurhotel Herzog Tassilo weit bekannt, bekamen aber beide nach umfangreichen Sanierungen neue Namen. In der Stadtpfarrkirche Bad Hall erinnert ein Glasfenster über dem Westportal an die Schenkung des Herzogs, am Kirchplatz davor wacht Tassilo – im Volksmund auch weißer Riese genannt – überlebensgroß über das Treiben der Kurstadt. Auch im Foyer des Gästezentrums kommt man nicht an Tassilo vorbei und selbst die Farben der Stadtfahne sind heute noch bayrisch blau-weiß.
3 Die Haller Zuckerdose
Aus der Zeit der Franzosenkriege wird für die Haller Gegend eine Geschichte überliefert, die es wert ist, erzählt zu werden:
Vor über 200 Jahren zogen durch das heutige Bad Hall zahlreiche französische Soldaten. Einige Erinnerungen an diese Zeit wie die sogenannten Franzosenkreuze am Blankenberg und Furtberg oder die Franzosenkugel im Stadtmuseum Forum Hall erinnern noch daran. Die Bevölkerung bekam die kämpferischen Truppen auf bitterste Weise zu spüren. Plünderungen prägten das Alltagsleben. Aus Häusern und Kirchen wurde geraubt, was nicht niet- und nagelfest war. Während es bei den von Armut und Not gezeichneten Menschen oft wenig zu holen gab, glichen Gotteshäuser wahren Schatzkisten. Seit jeher wurde Symbolen des christlichen Glaubens viel Aufmerksamkeit geschenkt. Messgegenstände wurden aus wertvollen Materialien gefertigt, mit Edelsteinen, Ornamenten und aufwendigen Verzierungen geschmückt. Tiefer Glaube, Verehrung und Dankbarkeit kommen in der glanzvollen Verarbeitung zum Ausdruck. In Bad Hall aber wird in alten Zeitungskorrespondenzen von einem außergewöhnlichen Hostienbehälter, Ziborium genannt, berichtet – ohne Glanz, ohne Schmuck, allerdings mit einer ganz besonderen Geschichte:
Es war – wie gesagt – die Zeit des beginnenden 19. Jahrhunderts. Gut 20 Jahre zuvor war Hall unter Joseph II. zur eigenen Pfarre und die alte Margarethenkapelle zur Pfarrkirche erhoben worden. Das Gotteshaus, auch „Kirche unter den sieben Linden“ genannt, prägte bereits über 500 Jahre das christliche Leben im Ort. Klein, aber mit ruhiger Atmosphäre gab es Gläubigen Stille für Gebet und Raum zur Messfeier. Doch die plündernden Franzosen machten vor der Pfarrkirche nicht Halt. So wurde auch das Hostiengefäß geraubt und damit ein Opfer der schweren Zeit. Die am Boden zerstreuten Hostien blieben Zeugnisse eines traurigen Schauspiels. In der Not lieh ein angesehener Haller Bürger der Pfarre Hall seine aus Steingut gefertigte Zuckerdose, um den geweihten Hostien einen neuen und sicheren, wenn auch ungewöhnlichen Platz zu geben. Das einfache runde Gefäß mit schlichtem Deckel hatte bislang Süßigkeiten in seinem Innersten bewahrt. Von nun an diente es dem Pfarrleben der Gemeinde. Das schlichte Behältnis wurde Teil der Messfeiern, war dabei, wenn Sakramente gespendet wurden oder ein feierlicher Anlass Menschen versammelte. Natürlich bekam das zu unerwarteten Ehren erlangte Alltagsgefäß einen würdigen Platz im Tabernakel der Pfarrkirche von Hall. Nachdem die Wunden der räuberischen Zeit verblassten und ein neues Ziborium zum Einsatz kam, sollte das so dienliche Gefäß nicht einfach wieder ins Alltägliche zurückkehren. Der Besitzer schenkte der Pfarre die Zuckerdose, um ein ewiges Zeitzeugnis zu bewahren. Sie fand ihren Platz im Haller Archiv, so erzählt eine alte Zeitungsnotiz aus dem Jahre 1861. In ihrem Innersten sollen drei Blätter mit handschriftlichen Zeilen, teils in gereimten Worten, von ihrer Verwendung als Ziborium berichten.
Geheimnisvoll allerdings ist der Verbleib der Zuckerdose. In alten Dokumenten und Berichten wird von ihr erzählt, doch ihre Spur verliert sich. Engagierte Menschen haben nach ihr gesucht, doch vergeblich. Der Glaube indes, sie könne noch irgendwo im Verborgenen ruhen, lebt. Wer die Geschichte nicht kennt, wird das als „unscheinbar“ beschriebene Gefäß als „unscheinbar“ empfinden. Dennoch: Wunder gibt es immer wieder! Wer weiß, vielleicht wecken diese Worte Erinnerungen an den Verbleib der Haller Zuckerdose? Und in ihrem Innersten ruhen, auf ihre Entdeckung wartend, noch die handschriftlichen Notizen, die diese Geschichte erzählen …
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