Kitabı oku: «Equinox», sayfa 6

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11

Ich erwachte wenige Sekunden, bevor mein Wecker klingelte. Orientierungslos schaute ich mich um. Als das eindringliche Piepen meines Weckers die schwerelose Stille um mich herum zerriss, schaltete ich ihn schon fast verärgert aus. Aber die wohltuende inhaltsleere Ruhe wollte nicht zurückkehren. Außerdem bohrte sich irgendetwas schmerzhaft in meine rechte Schulter. Genervt wühlte ich in meinem Bett und fand mein Handy. Während ich es ungläubig anstarrte, fiel mir das Telefonat mit Robert am vergangenen Abend ein. Wo er jetzt wohl war? Ich spürte, wie sich schon wieder Tränen in meinen Augen sammelten. Tapfer versuchte ich, sie gemeinsam mit dem immer noch vorhandenen großen Kloß in meinem Hals herunterzuschlukken.

Ich musste aufstehen und in die Uni gehen. Jetzt. Die Routine am Tag mechanisch zu bewältigen, hatte ich schließlich schon in der letzten Woche gelernt. Nur hatte sich die Lage der Dinge im Vergleich zur letzten Woche erheblich geändert. Eigentlich müsste ich mich mit dieser Einsicht viel besser fühlen. Aber es gelang mir nicht. Missmutig schlich ich ins Bad und putzte mir die Zähne. Nachdem ich mich angezogen hatte, machte ich mir in der Küche einen English Breakfast Tee. Twinings natürlich. Was sonst! Doch selbst dieser wollte mir heute nicht schmecken. Ich steckte mir noch einen Apfel ein. Den konnte ich ja unterwegs in der Straßenbahn essen. Als ich mir gerade die Schuhe zuband, kam Kristin verschlafen aus ihrem Zimmer geschlurft.

»Guten Morgen«, murmelte ich.

»… Morgn … Oje! Du siehst ja schrecklich aus! Hast Du überhaupt geschlafen?« Kristin sah mich entsetzt an. Was hatte sie nur? Ich sah doch nicht anders aus als sonst.

Ich sah sie fragend an und zuckte mit den Schultern.

»Mensch Eli, ich habe dich noch nie so gesehen! Komm mal her.« Und ehe ich mich versah, umarmte sie mich und sagte: »Nicht vergessen! Arme Ritter! Heute Abend machen wir Soul Food!«

Ich nickte nur stumm und wand mich schnell aus ihrer Umarmung heraus. Wenn ich jetzt nicht schnell verschwand, würde ich nur wieder weinen.

»Mach’s gut«, nuschelte ich und schloss schnell die Wohnungstüre hinter mir.

Als ich unten ins Freie trat, schlug mir die neblig-feuchte, kalte Oktobermorgenluft ernüchternd entgegen und half mir, meine Gefühle vorübergehend zu zügeln. Schnell eilte ich zur Straßenbahn. Vor mich hinbrütend versuchte ich verzweifelt, die schon fast unwirklich erscheinende unbeschwerte, glückliche Stimmung meines ersten und für lange Zeit einzigen gemeinsamen Wochenendes mit Robert wieder einzufangen.

Als ich in der Beethovenstraße ankam, bot sich mir das aus der letzten Woche gewohnte Bild. Gleich einem Bienenstock schwirrten die Studenten im Hörsaal umher, der sich zunehmend füllte. Die Lautstärke, ähnlich einer summenden Welle, schloss sich über mir und ließ mich bis zum Vorlesungsbeginn wie unter einer Glocke sitzend von Robert träumen. Das Verlangen, ihm nahe zu sein, zerriss mir fast die Brust. Dieses Chaos von Gefühlen war ich einfach nicht gewohnt. Alles war so neu! Einerseits hätte ich vor Glück die Welt umarmen können. Andererseits war ich tieftraurig und konnte mir kaum vorstellen, wie ich durch die nächsten Wochen kommen sollte.

Die Vorlesung verging wieder erstaunlich schnell. Professor Rosenberg zeigte zunehmend die Gabe, die Massen subtil, aber effektiv zu disziplinieren und durch ihre unaufgeregte, kompetente Vortragsweise zum Zuhören zu motivieren. Mit einem augenzwinkernden Hinweis auf das kurz bevorstehende Allerheiligen bzw. für die Vorlesungszwecke besser passende Halloween leitete sie ins heutige Thema ein. Ich hatte mir in der vergangenen Woche die Texte für die nächsten Veranstaltungen in der Bibliothek kopiert und konnte so ihren Analysen zu Washington Irvings »The Legend of Sleepy Hollow« gut folgen. Erstaunlich, schoss es mir dabei durch den Kopf, dass die Geschichte nicht wirklich viel mit dem angeblich auf ihr basierenden, gleichnamigen Film zu tun hatte, den ich irgendwann einmal im Kino gesehen hatte. Mit dem Hinweis, die Textbesprechung in der nächsten Vorlesung fortsetzen zu wollen, verabschiedete sie sich, und ich schnappte mir schnell meine Sachen, wohl wissend, dass die Zeit, um zu meinem Linguistikseminar mit Jason und Theresa zu gelangen, gerade ausreichend war. Der Gedanke an Jason und Theresa hob meine Stimmung beträchtlich. Die beiden waren schon letzte Woche eine gute Ablenkung und ich freute mich auf ihre frische, unbeschwerte Art. Ich eilte durch den niedergehenden Nebel. Das Wetter war wieder von der Ohne-Robert-Sorte. Irgendwie seltsam, diese Analogie …

»Hallo ihr zwei!«, begrüßte ich Jason und Theresa, die, die Köpfe zusammengesteckt, vertraut miteinander erzählten, als ich zu ihnen stieß. Komisch, dass sie kein Paar waren. Sie passten so gut zueinander. Nur hatte das Theresa bisher wohl nicht bemerkt. Jasons Begeisterung für Theresa war dagegen für jeden offensichtlich, … außer eben für Theresa.

»Hi, na, wieder aufgetaucht?«, zwinkerte Theresa mir zu.

»Hallo Elisabeth«, erwiderte Jason freundlich meinen Gruß.

»Wie war das Konzert von Midnight Ego? Erzählt mal«, forderte ich meine beiden Kommilitonen und Freunde ohne Umschweife auf. Um die unvermeidlichen Fragen nach Robert und mir zu vermeiden, ging ich lieber in die Offensive und versuchte, das sich entwickelnde Gespräch von vornherein in für mich sicherere Gewässer zu steuern.

»Oh, cool! Die haben die Menge noch mal richtig gerockt. Unglaublich! Dabei war die Stimmung bei Alluvial Forest schon zum Überkochen. Aber Midnight Ego haben echt noch eins draufgesetzt! Eigentlich schade, dass ihr das verpasst habt!«, schwärmte Theresa.

»Ja, das war echt mega!«, bestätigte Jason und fügte hinzu: »Sie haben fünf Zugaben gespielt. Drei davon waren noch unreleased.«

»Und das Allerbeste war, das wir dank Charlotte danach mit zur Aftershowparty durften! Und da ging es erst recht ab!«, sprudelte Theresa begeistert hervor.

»Wir waren erst um vier Uhr dreißig zu Hause …«, erzählte Jason.

»Dort sind wir gar nicht erst ins Bett gegangen, sondern haben noch miteinander erzählt, bis es hell wurde«, beendete Theresa Jasons Satz und schaute ihn dabei auf eine Weise an, die nicht mehr nur rein freundschaftlich war. Vielleicht war da doch mehr, als ich bisher wusste? So wie Jason Theresa anbetete, würde ich ihm das Glück, mit ihr voranzuschreiten, nur gar zu sehr gönnen. Jason hatte Theresas Blick nicht bemerkt, sondern nickte nur bestätigend in meine Richtung.

»Was habt ihr denn noch gemacht, nachdem ihr gegangen seid?«, begann Theresa gerade zu fragen, als Dr. Gallington dankbarerweise den Raum betrat und mit seiner unmöglichen, mürrischen Art das Seminar begann. Es zog sich wieder kaugummiartig in die Länge wie schon beim letzten Mal. Aber heute hatte ich keine Zeit, mich in meinen Gedanken zu verlieren oder mit Jason und Theresa zu plaudern, denn Mr. Gallington gab Textbeispiele aus, mischte die Sitzanordnung neu und forderte von jeder Gruppe eine inhaltliche Kurzvorstellung des Gelesenen nach fünfundvierzig Minuten. Oh Mann, hätte er nicht wenigstens die Sitzanordnung beim Alten belassen können? Ich kannte die anderen Leute doch kaum. Die Texte waren mehr als langatmig. In meiner Gruppe waren neben mir noch zwei Mädchen und zwei junge Männer. Einer der Studenten war ähnlich zurückhaltend wie ich. Wir beteiligten uns nur an der Diskussion über die perfekte Präsentation des Textinhalts, wenn wir von den anderen direkt nach unserer Meinung gefragt wurden. Das passierte jedoch nicht so häufig, denn die drei übrigen Gruppenmitglieder engagierten sich übereifrig und stritten sich sogar fast, wer denn die Vorstellung vor der Seminargruppe übernehmen würde. Der ruhige Student blickte mich darauf hin ungläubig an und schüttelte dezent mit den Augen rollend mit dem Kopf. Ich zuckte kaum merklich mit den Schultern und signalisierte ihm damit, dass ich dieses Verhalten genauso wenig verstehen konnte. Es klappte gerade so, dass alle Gruppen ihre Ergebnisse vortrugen, dann war die Zeit um.

»Meine Güte, war das heute nervig!«, polterte Theresa gereizt, als wir den Seminarraum eilig verließen.

Ich nickte zustimmend und sagte: »Das kannst Du laut sagen!«

»Darf ich die Damen zur Entspannung in Richtung Mensa entführen?«, fragte Jason schon wieder wie gewohnt gut gelaunt.

»Oh ja, bitte!«, antworteten Theresa und ich gemeinsam und liefen Jason schnell hinterher.

»Meine Cousine Kristin schließt sich uns heute beim Mittagessen vielleicht an«, gab ich auf dem Weg durch das herbstliche Nieselgrau bekannt.

»Ist das die Kristin, mit der du zusammenwohnst?«, erkundigte sich Theresa.

»Genau diese. Sie ist schon ganz gespannt auf euch«, erwiderte ich.

»Wer weiß, was du über uns erzählt hast!«, neckte mich Jason und grinste frech.

»Nur Gutes!«, lachte ich zurück. »Die schlechten Eigenschaften fallen ihr nachher schnell genug selbst auf.« Wir kicherten alle drei. Es war so einfach, mit den beiden unbeschwert herumzualbern und die eigenen Sorgen zu vergessen.

Wir schauten uns die verschiedenen Menüangebote an. Ich entschied mich für gebratenen Fisch mit Kräuterrisotto, was wahrscheinlich besser klang, als es sein würde und ein Glas Wasser. Mit meinem Tablett bewaffnet, steuerte ich auf Jason und Theresa zu. Jason begann gerade, sich in unbeschreiblicher Geschwindigkeit eine Portion Spaghetti Carbonara einzuverleiben. Ungläubig fasziniert schaute ich ihm eine Weile zu, ehe ich Theresa spöttisch fragte: »Sag mal, hat er am Wochenende nichts zum Essen bekommen?«

»Doch. Hat er. Ich habe sogar für ihn gekocht. Aber Eli, er ist Kanadier. Die futtern genauso wie die Amerikaner größte Mengen in kürzester Zeit«, erklärte sie gespielt genervt.

»Mmmh, da bekommt der Begriff Fast Food doch gleich eine ganz neue Bedeutung …!«, fügte ich ironisch hinzu. Jason bemerkte unser Gespräch über sein Essverhalten, wie es aussah, nur am Rande und konzentrierte sich lieber auf das zügige Leeren seines überladenen Tellers.

»So, nun erzähl endlich mal von deinem Abend mit deinem Freund. Was habt ihr denn nun noch am Freitag gemacht? Das war ja echt krass, wie ihr da plötzlich im Institut standet und Euch angestarrt habt. Ich hatte totale Gänsehaut«, drängelte Theresa und wurde dann aber jäh unterbrochen.

»Hallo Eli. Theresa? Jason? Darf ich?« Kristin hatte sich unbemerkt von hinten genähert und setzte sich nun neben mich. Oh, vielen Dank, dass du gerade jetzt gekommen bist, dachte ich froh und schaute Kristin dankbar an.

»Ich bin Kristin. Lasst es euch gut schmecken!«, ergänzte sie ihren Gruß und strahlte sympathisch in die Runde.

»Hi Kristin!«, nuschelte Jason grinsend zwischen zwei vollen Gabeln.

»Hallo, schön, dass du vorbeigekommen bist«, sagte ich und lächelte zurück.

»Grüß dich! Schön, dich kennenzulernen!«, antwortete Theresa freundlich.

»Danke gleichfalls! Was gibt’s heute Schönes?«, fragte Kristin mit einem Blick auf unsere Teller.

»Risotto mit Fisch, Linseneintopf, irgendwas mit Fleisch, Kartoffeln und Bohnen und die Nudeln sind aus. Die hat Jason gerade inhaliert«, erläuterte Theresa neckend mit einem Stups in Jasons linke Seite.

»Aua! Meine Rippen«, beschwerte sich dieser und kratzte unbeeindruckt die letzten Überbleibsel seines Mittagessens zusammen, nur um gleich im Anschluss zu fragen: »Und was essen wir jetzt?«, während sich Kristin in die Reihe der Wartenden einreihte.

Theresa und ich rollten mit den Augen und schüttelten noch mit dem Kopf, als Kristin wieder kam und fragte: »Was ist denn?«

»Jason denkt über den nächsten Gang nach«, erklärte ich ihr. »Guten Appetit!«

»Danke!«, sagte Kristin und begann ihre Linsensuppe zu löffeln, während wir uns über die ersten, schon absolvierten Tage im Semester unterhielten. Kristin passte in unsere kleine Runde, als wäre sie schon von Anfang an Bestandteil dieser gewesen.

»Leute, ich muss weiter«, gab ich bekannt, als ich meinen Teller geleert hatte, und schlüpfte aufstehend wieder in meine Jacke.

»Okay. Mach’s gut. Wir sehen uns«, verabschiedete sich Theresa.

Jason nickte mir zu und biss danach betont herzhaft in einen riesigen Schokoladenmuffin, den er sich gerade geholt hatte.

»Bis heute Abend! Arme Ritter! Denk dran!«, mahnte mich Kristin.

»Ich weiß! Bis dann. Tschüss.« Ich eilte zur Bibliothek, denn ich musste mir dringend noch weitere Literatur für das Referat holen, dass ich am kommenden Freitag in einem Germanistikseminar über mittelhochdeutsche Dichtung halten sollte. Ich wurde schnell fündig. Aber alle Kopierer waren belegt. Ich schrieb mir also die Signaturen und Seitenzahlen der benötigten Bücher auf und beschloss, nach meinem nächsten Seminar noch einmal zurückzukehren.

Ich wollte gerade aus der Bibliothek wieder ins Freie treten, als mein Handy in meiner Jackentasche kurz brummte. Robert! Mit jäh einsetzendem Herzrasen schaute ich nach und sah, dass ich wirklich eine SMS von ihm hatte.

›Liebe Eli, bin gut in Plymouth angekommen. Fahre gerade zu meinem Vater nach Forecastle. Du fehlst mir immens. Ich denke an Dich. <3 Rob.‹

Es war kurz nach dreizehn Uhr. Er hatte sich tatsächlich, wie versprochen, gleich nach seiner Landung in Plymouth gemeldet. Mein Herz schlug einen Freudensalto und meine Stimmung hob sich beträchtlich.

Ich setzte mich auf eine Bank im Foyer der Bibliothek und überlegte, was ich ihm am besten antworten sollte. Ein glückliches Lächeln umspielte meine Lippen, als ich zu tippen begann:

›Lieber Robert, bin froh, dass es dir gut geht. Ich vermisse dich auch unendlich! Melde Dich schnell wieder! Ich warte sehnsüchtig! (xxx Eli)‹

Seine Nachricht war mein kleines Stückchen Glück für heute und deutlich besseren Mutes ging ich zu meinem letzten Seminar am heutigen Tag. Das feine Lächeln blieb auf meinen Lippen sitzen.

Am Abend kam ich nach Hause, als Kristin schon da war. Sie war bereits in der Küche und traf Vorbereitungen für die armen Ritter.

»Hallo Krissi, ich bin da und sterbe vor Hunger! Können wir loslegen?«, rief ich ihr aus dem Flur zu.

»Hallooo? Eli?«, sie steckte ihren Kopf zur Küchentür heraus und betrachtete mich zweifelnd mit gerunzelter Stirn. »Wer hat das denn geschafft, aus dir wieder meine Eli zu zaubern? Ich hatte eigentlich mit dem elenden Häufchen Trübsinn gerechnet, der heute Morgen hier rausgeschlichen ist und nicht mit einer Gute-Laune-Eli …«

»Robert!«, antwortete ich und grinste sie an.

»Wie, Robert? Ich denke du bist total traurig, weil er weg ist?«, fragte sie verblüfft zurück und zog ihre Stirn noch mehr in Falten.

»Bin ich ja auch«, erwiderte ich, als ich mir meine Schuhe und Jacke auszog.

»Ähm, also, sorry, Eli. Du hast mich verloren. Ich verstehe gerade nur Bahnhof!«, Kristin schaute mich an, als zweifelte sie an meinem Geisteszustand. Irgendwie lustig. Ich schaffte es schon wieder, sie zu erstaunen. Dies war definitiv eine neue Ebene in unserer ewig alten Beziehung. Ich zeigte ihr mein breitestes Lächeln, beförderte meinen Rucksack schnell in mein Zimmer und sagte: »So, fertig. Es kann losgehen!«

»Womit?«, fragte Kristin deutlich irritiert.

»Na, mit den Armen Rittern. Du siehst lustig aus, wenn du dich wunderst, weißt du das?«

»Nein«, Kristin war eindeutig sprachlos. Ihr Gesicht war ein einziges Fragezeichen. Das war unterhaltsam. Aber ich wollte ihre Geduld auch nicht zu lange testen und beschloss, sie über meine neuerliche Stimmungsschwankung nachvollziehbarer aufzuklären.

»Robert hat sich, wie er es mir versprochen hatte, gleich nach seiner Landung in Plymouth bei mir gemeldet. Seine SMS war einfach sehr schön, und seine Worte haben mir genügend Auftrieb für den Rest des Tages und vielleicht auch darüber hinaus gegeben. Nun alles klar?«, lachte ich.

»Oh Mann, Eli! Wenn das jetzt so weiter geht mit deiner Gefühlsachterbahn, bin ich in einem halben Jahr grauhaarig und um Jahrzehnte gealtert!«, stöhnte Kristin gespielt genervt.

»Das musst gerade du sagen …«, foppte ich sie.

»Naja, gut, zugegeben. Ich habe dir ja sozusagen vorgelebt, wie man alle Höhen und Tiefen in der Liebe auslebt … Aber jetzt mal im Ernst, ich freue mich riesig, dass es endlich jemanden für dich gibt, der dir sprichwörtlich den Boden unter den Füßen wegzieht, und es wäre ja nicht du, wenn es nicht förmlich druckreif theatralisch zugehen würde, wie sonst bei den Heldinnen in deinen vielen Büchern.« Sie sah mich liebevoll an und fügte hinzu: »Ach meine Eli! Willkommen im wahren Leben!«

»Nun übertreibst du aber!«, erwiderte ich etwas beschämt. »Das klingt ja beinahe so, als hätte ich bisher das Dasein eines klassischen Mauerblümchens gefristet.«

»Naja, nicht ganz. Aber in Liebesdingen vielleicht schon …«, bemerkte Kristin unverblümt und grinste mich entwaffnend an. Es war schwer, dieser Person wirklich böse zu sein, also ließ ich es gleich bleiben und überwand mich, noch etwas schief, aber immerhin freundlich, zurück zu lächeln.

»So, was ist nun mit den Armen Rittern?«, fragte ich und versuchte, das Gespräch wieder in eine für mich angenehmere Richtung zu bewegen.

Wir verbrachten den Rest des Abends wieder einmal in der Küche, lachten gemeinsam und aßen viel zu viele zuckersüße Arme Ritter. Im Kühlschrank war noch ein Rest von dem Apfelkompott mit Vanillesoße, das ich zusammen mit Robert am Samstagabend gekocht hatte. Dieses passte wunderbar dazu und war nach kurzer Zeit ebenso restlos alle. Es gelang mir, meine beflügelte Stimmung, die dank Roberts liebevoller SMS entstanden war, den ganzen Abend zu bewahren. Glücklich erinnerte ich mich noch beim Einschlafen an unsere zauberhaften gemeinsamen Stunden und fand, dass ich mit ihm irgendwie den Anfang eines, unseres Märchens erlebt hatte, das nun nur auf unsere ganz individuelle Fortsetzung wartete.

12

Im Laufe der Woche hatten Kristin und ich beschlossen, dass es an der Zeit wäre, einen ersten gemeinsamen Heimatbesuch zu machen. Ich hatte zwar häufig in den letzten zwei Wochen mit meiner Mutter gesprochen, aber immer verschiedene Gründe vorgeschoben, warum ich nicht lange mit ihr telefonieren konnte, nur damit sie nicht merkte, wie es um mein derzeit ungewohnt fragiles Seelenheil stand. In den letzten beiden Telefonaten, merkte ich schon deutlich, wie sie langsam skeptisch wurde und wiederholt nachfragte, ob denn bei mir wirklich alles in bester Ordnung wäre … Ich nahm mir vor, sie zumindest teilweise in mein Robertgeheimnis einzuweihen. Jedoch musste sie die turbulente Vorgeschichte bis zum vorläufigen Happy End am vergangenen Freitag nicht unbedingt wissen. Allerdings war das nun wirklich nichts, was sich telefonisch erledigen ließ. Dazu musste ich schon persönlich mit meiner Mutter sprechen. Die Heimfahrt bot sich daher mehr als an, nicht nur die liebevolle Energie meiner Familie zu tanken, sondern auch ein ausführliches Gespräch mit meiner Mutter zu führen.

Unsere Eltern, die sich seit unserer frühen Kindheit ein Doppelhaus teilten, freuten sich über unsere Ankündigung, übers Wochenende heimzukommen und so reihten sich Kristin und ich am Freitagmittag in den dichten Wochenendpendlerverkehr auf der A9 Richtung Thüringen ein. Aufgrund der vielen Baustellen entlang der Autobahn kamen wir nur schleppend voran. Aber dies war kein Problem, denn es drängte uns nichts. So zuckelten wir in Kristins zehn Jahren altem weißen Golf dahin, hörten eine Unplugged-CD von Eric Clapton, sangen manchmal laut mit und manchmal nicht, denn wir waren nur stellenweise textsicher. Wir plauderten entspannt vom Rest der Woche und meine immer aktive Kristin weihte mich in ihre Pläne ein, wen sie am Wochenende alles treffen wollte und wie sie den Freitag- und Samstagabend verbringen würde. Mein Glücksgefühl vom Montagabend war der Traurigkeit davor nicht wieder gewichen, denn ich bekam abends regelmäßig SMS von Robert, der mit der Einrichtung des Versuchsaufbaus an der Uni in Plymouth beschäftigt war. Da er im dickwandigen, altehrwürdigen Universitätsgebäude tagsüber kaum Handyempfang hatte, musste ich mich zwar täglich bis in die Abendstunden gedulden, aber so hatte ich wenigstens ein Ziel, die Tage sinnbringend zu füllen, damit sie schneller vergingen. Zweimal hatten wir auch miteinander telefoniert und uns zunächst ungezwungen über das jeweils Erlebte ausgetauscht und im Anschluss daran gemeinsam die Erinnerungen an unser erstes und einziges Wochenende zu zweit aufgefrischt. Mit ihm darüber zu reden, war fast genauso romantisch, wie die Stunden zu zweit tatsächlich gewesen waren. Versonnen lächelnd dachte ich an sein friedlich schlafendes Gesicht am Sonntagmorgen. Eine Welle der Zärtlichkeit durchlief mich, ließ mich sanft erschauern und hinterließ eine leise prickelnde Gänsehaut…

»Wie war es eigentlich im Kindergarten? Davon hast du noch gar nichts erzählt«, riss mich Kristin kurz vor dem Hermsdorfer Kreuz aus meinen Gedanken.

»Wie bitte? Der Kindergarten?«, ich musste mich erst kurz sammeln, denn Kristins Frage kam gerade ziemlich unverhofft für mich. Sie lächelte wissend und nickte mir aufmunternd zu.

»Genau. Der Kindergarten. Wie war deine Vorlesestunde?«, wiederholte sie noch einmal geduldig.

»Es hat mir richtig Spaß gemacht«, antwortete ich ihr.

»Das kann ich mir vorstellen!«, meinte Kristin.

»Ich habe den Vorschulkindern eine Geschichte vom kleinen Drachen Kokosnuss vorgelesen. Die Kleinen waren total süß und waren überhaupt nicht scheu. Sie saßen mit mir im Kreis am Boden und kamen mit jedem Wort näher herangerutscht, damit sie kein Wort verpassten oder ihnen kein Bild im Buch entging. Nach kurzer Zeit hatte ich die Kinder gewissermaßen alle auf meinem Schoß sitzen oder über meinen Rücken hängen. Sie klebten an mir wie eine Traube und wenn ich umblätterte, quasselten alle erst mal durcheinander, ehe ich weiterlesen konnte. Echt niedlich! Am Ende haben sie mir als Dankeschön ein lustiges Lied vorgesungen. Ich freue mich schon richtig auf das nächste Mal«, erzählte ich begeistert.

Kurze Zeit später bogen wir bereits in die Goethestraße in Hainstadt ein, wo das Haus unserer Eltern stand. Meine Tante Katharina, Kristins Mutter und gleichzeitig die jüngere Schwester meiner Mutter, schien den einparkenden Golf gehört zu haben und stand bereits empfangsbereit in der Haustür, als Kristin und ich aus dem Auto kletterten.

Nach einer kurzen, herzlichen Begrüßung schnappte ich meine Sachen und ging erst einmal zu meinen Eltern hinüber. Ich lief gleich ums Haus herum, denn Katharina hatte mir gesagt, dass alle im Garten wären, um diesen winterfest zu machen. Sobald meine Mutter mich sah, ließ sie sofort alles stehen und liegen und wir umarmten uns.

»Hallo Mama!«, sagte ich gerührt über den liebevollen Empfang.

»Schön, dass du da bist, mein Kind!«, erwiderte meine Mutter und hielt mich anschließend auf Armlänge von ihr entfernt und betrachtete mich aufmerksam.

»Mmmh«, sagte sie: »Du hast dich verändert! Du strahlst richtig und wirkst trotzdem traurig. Gibt es tatsächlich nichts Neues? Oder bekommt dir dein Studium so außerordentlich gut und schafft dich gleichzeitig so sehr?« Mütter merkten irgendwie doch immer gleich, wenn sich etwas verändert hatte.

»Beides«, antwortete ich leise und versprach: »Nachher!«, denn inzwischen waren auch mein Vater und mein Bruder herangekommen, um mich zu begrüßen. Beiden umarmten mich gleichzeitig wie zwei große Teddybären, und ich bekam erst einmal keine Luft mehr. Sie ließen erst lachend von mir ab, als ich zappelnd versuchte, mich zu befreien.

»Kaffee, Tee und Kuchen?«, fragte meine Mutter lachend in die Runde.

»Oh ja, das klingt gut!«, antwortete ich und schaute glücklich zurück. Meine Familie war mein bekannter Hafen. Hier war immer alles gut und ich fühlte mich einfach nur wohl.

Daniel, mein Bruder, griff nach meiner Tasche und ächzte belustigt.

»Sag mal, kleine Eli, hast du Steine eingepackt?«, fragte er neckend. Er war zwar zwei Jahre jünger als ich, überragte mich aber um eine ganze Kopflänge und wirkte, muskelbepackt und athletisch, wie er war, bestimmt viermal so breit wie ich.

»Ich habe meinen Laptop dabei. Ich hatte gehofft, du könntest mir helfen, eine Skypeadresse einzurichten«, bat ich ihn indirekt.

»Huuuh, die kleine Schwester will skypen. Wie universitär! Kosmopolitisch! Gar weltoffen!«, foppte er mich breit grinsend.

Ich zog eine Augenbraue hoch und schaute ihn tadelnd an: »Haha, wie lustig …!

Typisch für ihn, er neckte mich eigentlich immer. Daniel war eine absolute Frohnatur, machte sich nie wirklich große Gedanken über irgendetwas und vertraute komplett darauf, dass sich immer alles günstig fügen würde. Meine manchmal zurückhaltende, stille Art, meine Liebe zu Büchern und meine generelle Vorsicht gegenüber riskanten Unterfangen dienten ihm zum Anlass, mich ständig liebevoll aufzuziehen. Daniel war eigentlich das gesamte Gegenteil von mir: extrovertiert, immer happy-go-lucky und völlig unbeschwert. Aber wir liebten uns über alles und könnten uns ein Leben ohne einander nicht vorstellen. Wie er wohl reagieren würde, wenn er erfahren würde, dass er neben meinem Vater nicht mehr der einzige wichtige Mann in meinem Leben war? Das würde vermutlich schwierig werden!

»Na, mal ernsthaft. Ich glaube, wir beide müssen nachher einen kleinen Ausflug machen und erst einmal Einkaufen fahren, Schwesterherz.«, meinte er nun in Planungsstimmung.

»Aha?«, antwortete ich fragend.

»Soweit ich weiß, ist dein vorsintflutlicher Laptop noch nicht einmal mit einer Webcam ausgerüstet, habe ich Recht?«

»Keine Ahnung«, gab ich offen zu. Wozu brauchte man denn eine Webcam? Ich wollte doch keine Videos drehen!

»Das sieht dir ganz ähnlich!«, lachte er nun wieder offen heraus. »Willst skypen ohne Webcam. Willkommen im einundzwanzigsten Jahrhundert, Eli! Skype unterscheidet sich von anderen Internettelefonprogrammen gerade davon, dass man seinen Gesprächspartner live sehen kann, während man sich unterhält.«

»Aaaahhh«, jetzt verstand ich. Von Computern hatte ich wirklich keine Ahnung. Aber ich hatte ja Daniel!

»… Oder willst du wen-auch-immer nicht sehen, wenn ihr euch unterhaltet?«, zog er mich auf.

Und ob ich wollte. Ich wurde augenblicklich rot. Na super. Ein besserer Zeitpunkt war ja kaum möglich. Ich hatte Glück, dass meine Eltern schon ins Haus gegangen waren. Daniels Grinsen wurde dagegen immer breiter.

»Oh ja!«, rief er sichtlich amüsiert! »Na, wenn du mir da mal nicht einige interessante Neuigkeiten im Ausgleich für die Skypeeinrichtung zu berichten hast! Meine kleine Schwester! Hahaha! … steht dir übrigens gut. Die rote Farbe im Gesicht, meine ich.«

Ich schaute ihn schmollend an. Noch ein Geständnisgespräch. Super! Wäre ich mal lieber in Leipzig geblieben!

»Schon gut! Ich verrate nichts. Wir fahren nachher zusammen nach Weimar und du klärst mich auf. Deal?« Jungenhaft verspielt hielt er mir die Hand zum Einschlagen hin.

»Okay. Deal!«, seufzte ich. Böse konnte ich ihm bei seinem herzerfrischend offenen Charme sowieso nicht sein.

Nach einem gemütlichen Kaffeetrinken mit frischgebackenen Pflaumenkuchen setzten sich Daniel und ich ins Auto unseres Vaters und fuhren nach Weimar. Wir bekamen alles, was wir benötigten. Und es gelang mir tatsächlich, meinen kleinen Bruder so über sein Training und seine Freunde auszufragen, dass keine Zeit mehr blieb, schon etwas über Robert verraten zu müssen. Als sein enthusiastischer Bericht über die nächsten bald anstehenden Wettkämpfe langsam verebbte, fütterte ich Daniel mit allerlei Wissenswerten und anschließend auch Nebensächlichen über mein Studium und das Leben in Leipzig.

Als wir wieder in die Straße unseres Elternhauses einbogen, kam er mir jedoch auf die Schliche und meinte lachend: »Naja, Schwesterlein. Sonst schnatterst du doch auch nicht ohne Punkt und Komma. Fühle dich mal nicht zu sicher. Du entkommst mir nicht! Ich will heute noch alles wissen!«

Zurück daheim halfen wir beiden unseren Eltern im Garten, bis es dunkel wurde und unser Vater zufrieden feststellte, dass nun der Winter kommen könne. Wir aßen gemeinsam Abendbrot und ich bemühte mich, nicht allein mit meiner Mutter zu sein, denn es reichte, wenn ich heute Abend Daniel noch Rede und Antwort stehen müsste. Morgen war auch noch ein Tag und da würde sich bestimmt auch eine Gelegenheit finden, mich ungestört mit ihr zu unterhalten.

Sobald der Tisch abgeräumt war, sagte Daniel: »Kommst du?«, und ging mir voran die Treppe zu seinem Zimmer hinauf. Die neue Webcam war schnell installiert und funktionierte einwandfrei. Daniel war bereits mit der Einrichtung einer Skypeadresse beschäftigt, als ich noch absolut nichts verstehend in der Bedienungsanleitung der Kamera herumblätterte.

»Die Anleitung kannst du beiseitelegen«, wies mich Daniel an. »Ich habe dir die Kamera so eingerichtet, dass sie mit allen wichtigen Anwendungen verknüpft ist. Du brauchst also nichts weiter tun, als einfach loszulegen.«

»Danke Daniel!« Ich war gerührt, mit wie viel Fürsorge er darauf achtete, mir so wenige technische Hindernisse wie möglich zu hinterlassen.

»Wie möchtest du denn heißen?«, fragte er über den Monitor gebeugt.

»Geht einfach nur Elisabeth?«, fragte ich unsicher und dachte an Roberts ausgewählten exotischen Skypenamen Equinox. Ob ich auch so ein wohlklingendes Pseudonym bräuchte?

»Klar, wenn Elisabeth noch nicht vergeben ist, kannst du deinen Namen beibehalten. Du solltest aber noch irgendetwas dazu nehmen, damit du nicht unverhoffte Spaßanrufe bekommst. Was hältst du von einem Sternchen vor und nach Elisabeth?« Ich nickte zustimmend. Sternchen waren immer gut. Er tippte eifrig auf der Tastatur und drehte sich dann triumphierend zu mir um: »Das hat geklappt! Herzlichen Glückwunsch Elisabeth, du bist jetzt *Elisabeth*.«

»Cool! Danke! Was muss ich jetzt machen?«, fragte ich konzentriert.

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Litres'teki yayın tarihi:
22 aralık 2023
Hacim:
541 s. 2 illüstrasyon
ISBN:
9783941935266
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