Kitabı oku: «Paulus und die Anfänge der Kirche», sayfa 8

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2.2.4
|89| Ein grosses Projekt der Solidarität und Gemeinschaft: Die Kollekte

Ein grosses Projekt, das Paulus über viele Jahre seines Wirkens begleitete, war eine Geldsammlung für die Jerusalemer Gemeinde. Wahrscheinlich gehen die Anfänge des Projekts auf den Apostelkonvent in Jerusalem zurück. Denn Paulus bringt in seiner Darstellung in Gal 2,10 das Anliegen, die Armen in Jerusalem zu unterstützen, mit der Jerusalemer Versammlung in Verbindung, wenngleich er die Bitte der Jerusalemer Autoritäten, «der Armen zu gedenken», streng genommen nicht als einen Beschluss der Versammlung darstellt.129 Auch die Apostelgeschichte weiss in ihrer Erzählung über die Jerusalemer Versammlung nichts von diesem Thema, was allerdings mit ihrem sonstigen weitgehenden Schweigen über das Kollektenprojekt des Paulus130 zusammenhängen könnte. Auf jeden Fall ist Paulus seither von diesem Anliegen bewegt. Doch erst bei seinem letzten Besuch in Jerusalem, in dessen Verlauf er dann verhaftet wurde, konnte er die Kollekte tatsächlich nach Jerusalem bringen. Dazwischen kommt er in seinen Briefen nach Korinth (1 Kor 16,1–4; 2 Kor 8–9) sowie nach Rom (Röm 15,25–29) darauf zu sprechen.

In dieses Projekt wollte Paulus sowohl die Gemeinden in Galatien wie auch in Makedonien und Achaia einbinden. Zwar erwähnt Paulus die Kollekte in seinem Brief nach Galatien nicht, doch kommt er auf die galatische Sammlung in 1 Kor 16,1 f. zu sprechen. Hier empfiehlt Paulus der Gemeinde in Korinth dasselbe, was er offenbar auch den galatischen Gemeinden empfohlen hatte, nämlich einmal wöchentlich etwas für diese Sammlung beiseitezulegen, um die Belastung nicht auf eine einmalige Sammlung zu konzentrieren. Was aus der galatischen Aktion geworden ist, bleibt allerdings unklar. Paulus erwähnt sie später nicht mehr,131 sondern kommt nur noch auf die Sammlungen in Makedonien und Achaia zu sprechen.

|90| Die Empfehlungen des Paulus an die korinthische Gemeinde zeigen aber, wie sorgfältig und konkret Paulus dieses Projekt anging.132 Neben dem Rat an die Gemeindemitglieder, regelmässig kleinere Beträge zu sparen (1 Kor 16,2), betont er in 2 Kor 8,7 zwar die Bedeutung von Solidarität und Grosszügigkeit durch «reichliche Spenden», doch soll durch die Gaben niemand selbst in Schwierigkeiten kommen:

«Denn es geht nicht darum, dass ihr in Not geratet, indem ihr anderen helft; es geht um einen Ausgleich.» (2 Kor 8,13)

Auch bei der Überbringung des Geldes soll alles transparent zugehen. Nach 1 Kor 16,3 soll es von Personen nach Jerusalem gebracht werden, die das Vertrauen der Gemeinde geniessen. Seine eigene Teilnahme an der Kollektenreise lässt Paulus an dieser Stelle sogar offen (16,4). In 2 Kor 8,16–24 bringt er Titus ins Spiel sowie

«den Bruder […], der wegen seiner Verkündigung des Evangeliums in allen Gemeinden Anerkennung findet und ausserdem von den Gemeinden dazu bestimmt wurde, unser Reisegefährte zu sein, wenn wir diese Liebesgabe zur Ehre des Herrn und als Zeichen unseres guten Willens überbringen.» (2 Kor 8,18–19)

Den Namen dieses «Bruders» nennt Paulus leider nicht. Doch wird deutlich, dass es sich um einen «von den Gemeinden in einem demokratischen Verfahren gewählten Vertrauensmann»133 handelt. Welche Gemeinden diesen Vertrauensmann entsandt haben, sagt Paulus an dieser Stelle allerdings auch nicht, möglicherweise Korinth oder andere Gemeinden in Makedonien, die in das Projekt eingebunden sind. Sicher ist das allerdings nicht. Insgesamt ist es ihm ein Anliegen, dass alles «einwandfrei zugeht» (8,21) und es keinerlei Anlass zu Verdächtigungen gibt (8,20). Deshalb wird sogar noch ein weiterer, ebenfalls namenlos bleibender Begleiter für die Kollektenreise eingeführt (8,22).

Dabei ist das ganze Projekt offenbar immer wieder vom Scheitern bedroht, und Paulus braucht viel Überzeugungskraft, um die Gemeinden zum Mittragen zu bewegen:

|91| «[Ä]usserst vielfältig sind die Motivationen, mit denen Paulus die Korinther zu ‹fröhlichen Gebern› (9,7) zu machen sucht. Er verweist auf die Armut der Empfänger, auf den Reichtum der Geber (8,7), auf die Grosszügigkeit anderer (8,3), verspricht reichlichen göttlichen Segen für jene, die reichlich säen (9,6), appelliert an den guten Ruf der Gemeinde und verweist auf die durch die Kollekte entstehende Verbundenheit mit der Gemeinde von Jerusalem … (9,13 f).»134

Schliesslich kann Paulus in Röm 15,31 auf den erfolgreichen Abschluss des Projekts in Makedonien und Achaia zurückblicken und seine eigene Reise nach Jerusalem ins Auge fassen, bei der er die Gabe überbringen will. Doch deutet sich hier bereits an, was sich am Ende bewahrheiten sollte: Selbst die Annahme der Gabe durch die Jerusalemer Gemeinde schien bereits fraglich.135 Und in der Tat deutet auch das merkwürdige Schweigen der Apostelgeschichte über das Kollektenprojekt darauf hin, dass die Überbringung der Gabe «von der Jerusalemer Gemeinde nur beiläufig zur Kenntnis genommen»136 wurde (vgl. Apg 24,17).

Welche Bedeutung die Kollekte jedoch für Paulus hatte und wie viel er auch theologisch damit verband, machen die vielfältigen und theologisch höchst aufgeladenen Begrifflichkeiten deutlich, in denen Paulus von seinem Kollektenprojekt spricht. Nur einmal bezeichnet er das Unterfangen als «Kollekte» (logeia, 1 Kor 16,1 f.). Der am häufigsten verwendete Begriff ist «Dienst» bzw. «Dienstleistung» (diakonia, Röm 15, 25.31; 2 Kor 8,4; 9,1.12.13). Daneben begegnen die Worte «Gnadengabe» (charis, 2 Kor 8,7.19), «Liebeswerk» (agape, 2 Kor 8,8), «Segensgabe» (eulogia, 2 Kor 9,5), eine Art «kultischer Dienst» (leitourgia, 2 Kor 9,12) sowie «Gemeinschaftswerk» (koinonia, Röm 15,26).137 Diese Art, über das Kollektenprojekt zu sprechen, zeigt, dass es zwar auch um materielle Unterstützung der Jerusalemer Gemeinde ging, doch dass die Bedeutung dieser Unterstützung weit tiefgründiger war. Hier konkretisierte sich, was Glaube für Paulus bedeutete. In dieser |92| Kollekte sollte Gott selbst und seine Güte erfahrbar und erlebbar werden:

«In dieser Kollekte ‹materialisieren› sich zentrale Aspekte der Theologie des Paulus: Sie ist letztlich ‹Realsymbol› für die Selbstlosigkeit und Güte Gottes, wie sie sich in Jesus selbst gezeigt hat. Zugleich ist sie ein Zeichen der Echtheit der Geistesgaben und der Liebe der Korinther. Und nicht zuletzt ist sie Ausdruck der Einheit der Kirche aus Juden und Heiden.»138

2.2.5
Strapazen und Gefahren, Gefangenschaften und eine rätselhafte Krankheit

Sowohl die Paulusbriefe als auch die Apostelgeschichte zeichnen Paulus als einen Mann mit einem weit gespannten Tätigkeitsfeld zwischen den Städten der südlichen Levante auf der einen und Kleinasien, Griechenland und schliesslich Rom auf der anderen Seite. Damit kommt Paulus als Reisender in den Blick, der bei seiner Arbeit ungeheuer weite Strecken zurückgelegt hat.

2.2.5.1
Paulus als Reisender

Wer im römischen Reich unterwegs war, konnte von einem dichten Strassennetz profitieren.139 Bestehende Strassen wurden ausgebaut und neue entstanden, um die Provinzen untereinander zu verbinden. Diese Strassen waren zunächst für den schnelleren Truppentransport angelegt worden, wurden aber natürlich auch von Regierungsbeamten des römischen Reiches, von Händlern und Kaufleuten sowie von anderen Reisenden wie Paulus genutzt. In der Regel reiste man dabei zu Fuss oder auf einem Reittier. Wer es sich leisten konnte, mietete einen Wagen. Manche, vor allem längere Strecken, konnten auch per Schiff zurückgelegt werden, wobei auf dem Mittelmeer wegen der gefährlichen Wetterverhältnisse die Schifffahrt im Winterhalbjahr ruhte.

|93| Es lässt sich unschwer vorstellen, dass diese Art des Reisens nicht nur ausserordentlich strapaziös, sondern auch mit vielerlei Gefahren verbunden war. Paulus lässt an einigen Stellen seiner Briefe solche Schwierigkeiten des Reisens erkennen. Nach 2 Kor 11,25 hat er auf seinen Schiffsreisen dreimal Schiffbruch erlitten, und auch die Apostelgeschichte weiss von solchen Gefahren für ihren Protagonisten (Apg 27, 13–44). Als weitere Gefährdungen auf seinen Reisen nennt Paulus neben dem Meer auch Flüsse, Wüsten und Räuber, er spricht von durchwachten Nächten, von Hunger und Durst, Kälte und mangelhafter Kleidung (2 Kor 11,26 f.; vgl. auch 1 Kor 4,11). Um sich gegen wilde Tiere und Räuber besser verteidigen zu können, schlossen sich Reisende oft zu Gruppen zusammen.

Gut ausgebaut war entlang dieser Strassen ein dichtes Netz von Herbergen, Pferdewechselstationen und Gasthäusern. Doch standen diese oft in höchst zweifelhaftem Ruf, und so reiste, wer es konnte, lieber mit Empfehlungsschreiben und nahm die Gastfreundlichkeit privater Häuser in Anspruch. Röm 16,1 f. lässt ein Empfehlungsschreiben des Paulus für Phöbe an die römische Gemeinde erkennen. Wahrscheinlich hatte Phöbe selbst, die von Paulus als Patronin bezeichnet wird, ihm Unterkunft und Schutz gewährt. Und wenn Paulus nach der Darstellung der Apostelgeschichte in jeder neuen Stadt als ersten Anlaufpunkt die dortige Synagoge wählt, wird darin auch das solidarische Netzwerk der Synagogen sichtbar, das Jüdinnen und Juden in fremden Städten grundsätzlich Gastfreundschaft gewährte. Dieses Netzwerk wurde in der Folge auch unter den christusgläubigen Gemeinden gepflegt, und ohne dieses wären die Arbeit des Paulus und die rasche Verbreitung des Christusglaubens sicher nicht möglich gewesen. Allerdings legte Paulus Wert darauf, trotz aller Gastfreundschaft durch eigene Arbeitsleistung für seinen Lebensunterhalt aufzukommen. Er tat dies, um unabhängig zu sein, aber auch, um den vielfach nicht besonders gut gestellten Gemeindemitgliedern nicht zur Last zu fallen (1 Thess 2,9). Finanzielle Unterstützung nahm er lediglich von der Gemeinde in Philippi entgegen (Phil 4,10–20). Dass er sich ansonsten nicht von den Gemeinden unterhalten liess, sondern durch eigene Arbeit für sein Leben aufkam, |94| unterschied ihn von anderen Predigern der Zeit, und in Korinth war dies einer der Gründe, ihm den Aposteltitel streitig zu machen (1 Kor 9).

Zu all diesen Mühen und Gefahren kamen die Schwierigkeiten, denen Paulus als ortsfremder Wanderprediger ausgesetzt war. In der Öffentlichkeit war er nur einer von vielen wandernden Philosophen, Volksrednern, Wundertätern und Gauklern, die in den Städten unterwegs waren und die Zuhörerschaft von ihren Botschaften zu überzeugen suchten. Sowohl seine Briefe als auch die Apostelgeschichte bezeugen vielfältige Konflikte, in die er durch seine Verkündigung im Umfeld der Synagogen geriet. In 2 Kor 11,26 spricht er von den Gefährdungen durch «das eigene Volk», aber auch von Gefährdungen durch «Heiden». Von beiden Seiten wurde er verdächtigt, bedrängt und sogar bestraft. Gefangenschaften sind mindestens in Philippi, Cäsarea und Rom belegt, wahrscheinlich auch in Ephesus (vgl. 1 Kor 15,32). Zu den Angriffen von aussen kamen, und dies war für ihn besonders schmerzlich, Verdächtigungen und Anfeindungen aus den Reihen der messiasgläubigen Gemeinden selbst, so dass sich Paulus in seinen Briefen immer wieder zur Verteidigung und Selbstrechtfertigung genötigt sah.

Dass Paulus all diese Schwierigkeiten, Strapazen und Gefahren auf sich nahm und ertrug, lässt ihn einerseits als einen sehr belastbaren Menschen erscheinen. Anderseits lässt sich gewiss mit Recht sagen, dass er

«ein Leben am Rande der damaligen Gesellschaft führte. Seine Kollisionen mit den Juden und den Organen der Städte, seine unstete Lebensweise ohne festen Wohnsitz und Familie lassen erahnen, daß, von außen gesehen, Paulus in der Tat leicht als ‹Abschaum der Welt› und ‹Auswurf von allem› (so die Selbstbezeichnungen 1. Kor 4,13 als Abschluss eines Peristasenkatalogs) angesehen werden konnte.»140

2.2.5.2
Eine rätselhafte Krankheit

Dabei war das Leben des Paulus, wie einige Stellen seiner Briefe andeuten, von einer Krankheit überschattet, die ihn zeitlebens begleitete, äusserst schmerzhaft gewesen sein muss, |95| periodisch wiederkehrte und von der er offenbar nicht geheilt werden konnte.141 Um welche Krankheit es sich gehandelt hat, kann aus den kurzen Andeutungen in den paulinischen Briefen nicht mehr erhoben werden, auch wenn dies im Lauf der Auslegungsgeschichte immer wieder versucht worden ist.

Die erste Stelle, aus der auf eine Krankheit des Paulus geschlossen werden kann, findet sich unmittelbar nach der Schilderung seiner Entrückung in himmlische Sphären (2 Kor 12,2–4):

«Deshalb, damit ich mich nicht überhebe, wurde mir ein Stachel ins Fleisch gegeben, ein Engel Satans, damit er mich mit Fäusten schlage, damit ich mich nicht überhebe.» (2 Kor 12,7b)

Grösser könnte der Kontrast zur Himmelsreise kaum sein. Paulus interpretiert diese schmerzhafte Kontrasterfahrung als Mittel gegen die Gefahr der Selbstüberhebung nach den einzigartigen Offenbarungen, die ihm zuteilwurden. Bei der Umschreibung des Verursachers des Schmerzes legt sich der Vergleich mit dem Ijobbuch nahe, wo Gott dem Satan freie Hand gewährt, Ijob mit Krankheit zu schlagen (Hiob 2,6 f.).142

Paulus beschreibt, was ihn quält, als einen «Stachel» – wörtlich: etwas «Zugespitztes» –, das ihm im Fleisch stecke. Das Verb für «schlagen», das hier verwendet wird, wird oft für ein Schlagen ins Gesicht verwendet. Deshalb hat man meist den Kopfbereich oder das Gesicht als Ort der Qualen angesehen. In Verbindung mit einer zweiten Stelle wurde sodann genauer auf ein Augenleiden geschlossen; denn in Gal 4,13–15 bestätigt Paulus den Gemeindeangehörigen in Galatien, sie hätten sich, als er krank und schwach bei ihnen war, wenn es möglich gewesen wäre,

«die Augen ausgerissen, um sie mir zu geben» (Gal 4,15).

Sicher ist das aber nicht, ebenso wenig wie die in jüngerer Zeit mit beachtlichen Argumenten vorgebrachten Deutungen auf Kopfschmerzen, die in der Antike als eines der häufigsten |96| und beschwerlichsten Leiden galten, genauer als Trigeminusneuralgie143 oder Migräne144.

Wenn man allerdings an die strapazenreiche und gefahrvolle Lebensweise des Paulus denkt, könnte sein Leiden durchaus auch auf diese Strapazen sowie auf die Folgen der erlittenen Misshandlungen zurückzuführen sein.145

Bemerkenswert ist nun, wie Paulus mit diesem Leiden umgegangen ist. Er hat es nicht einfach hingenommen. Dreimal, so sagt er in 2 Kor 12,8, habe er den Kyrios angefleht, dass der Satansbote von ihm ablasse. Darauf habe er zwar Antwort erhalten; doch sah diese anders aus als erhofft:

«Genug ist für dich meine Gnade [charis]; denn (meine) Kraft kommt in Schwachheit zur Vollendung.» (2 Kor 12,9).

Seine Bitte bleibt also definitiv unerfüllt. Paulus muss lernen, mit den Schmerzen zu leben.

Die paulinischen Briefe lassen verschiedene Weisen der Leidverarbeitung erkennen. Eine erste kam mit 2 Kor 12,7 bereits in den Blick. Auch ausserhalb dieses Textes finden sich Deutungsweisen, angefangen davon, mit dem Leiden des Christus gleichgestaltet zu sein (2 Kor 4,10), über die Erwartung der kommenden Herrlichkeit (2 Kor 4,17 f.; Röm 8,18), bis hin zur Erfahrung der Nähe Gottes im Leiden (2 Kor 1,5.9; 4,10).146 Auch in 2 Kor 12 spricht Paulus von der Kraft des Christus, die gerade in seiner Schwachheit Raum zum Wirken erhalte (2 Kor 12,9–10).

Fast auf paradoxe Weise ist damit von der Kraft (dynamis) des Christus in einem Zusammenhang die Rede, wo ein Mensch nicht geheilt wird, sondern mit der Endgültigkeit seiner Qualen konfrontiert ist. Die nicht erfolgte Heilung ist in dieser Perspektive weder ein Zeichen für die Machtlosigkeit des Christus,147 noch dafür, dass er sich vom Betenden abgewandt habe. Im Gegenteil: Die Kraft des Christus kommt gerade dort zum Tragen, wo es allem äusseren Anschein widerspricht. |97| Würde eine solche Antwort von aussen an einen Leidenden herangetragen, sie könnte kaum anders als zynisch genannt werden. Doch kommt sie in diesem Falle vom Betroffenen selbst, der offensichtlich trotz oder vielleicht besser: in allen Einschränkungen durch die Krankheit Räume und Wege zum sinnvollen Leben und Handeln entdeckt und erfahren hat.

Schmerzen und Krankheit, die offensichtlich zum «schwachen Bild» des Paulus in Korinth beigetragen hatten und die für die Angehörigen der korinthischen Gemeinde der Grund waren, sein Apostolat infrage zu stellen, werden von Paulus also weder als Makel gedeutet noch als Hinderungsgrund für sinnvolles Arbeiten gesehen. Im Gegenteil: Paulus deutet sie um, so dass sich in seiner Perspektive gerade in dieser Gebrochenheit die Macht des Kyrios erweist. Dies entspricht dem Paradox der Botschaft vom gekreuzigten Kyrios selbst, die «denen, die verlorengehen, Torheit, uns aber, die gerettet werden, Gottes Kraft» ist (1 Kor 1,18).

2.2.6
Der Tod des Paulus

Es mutet seltsam an: Trotz der schon früh zu beobachtenden Hochschätzung des Paulus liegt sein Ende ähnlich wie zahlreiche andere biografische Stationen seines Lebens weitgehend im Dunkeln. Naturgemäss fallen zu dieser Frage die Briefe des Paulus als Informationsquelle aus. Erhalten sind lediglich die vermutlich letzten Pläne des Apostels, die er in seinem Brief nach Rom formuliert. Hier blickt er zunächst auf sein umfassendes Wirken im Osten des Römischen Reiches zurück, das er als abgeschlossen betrachtet:

«Jetzt aber habe ich in diesen Gegenden kein neues Arbeitsfeld mehr.» (Röm 15,23)

Sodann plant er bereits die nächsten Schritte: Er möchte zuerst nach Rom und von dort nach Spanien reisen, um auch dort das Evangelium zu verkünden. Doch zuvor habe er noch eine grosse Aufgabe zu erledigen: Die Überbringung der Kollekte nach Jerusalem (Röm 15,23–28).148

|98| Was aus diesen Plänen geworden ist, erfahren wir aus den Briefen des Paulus nicht mehr. Und sollte der Brief an Philemon tatsächlich aus der Gefangenschaft in Rom geschrieben worden sein,149 hätten wir mit diesem Brief das letzte «Lebenszeichen» des Apostels vorliegen.

Die Apostelgeschichte erzählt in ihrem letzten Viertel ausführlich von der Reise des Paulus nach Jerusalem (Apg 21, 1–26), seiner Gefangennahme (Apg 21,27–22,30), dem folgenden Verhör vor dem Hohen Rat und der Verschwörung gegen Paulus (23,1–22), der langen Gefangenschaft in Cäsarea Maritima und den damit verbundenen Gesprächen mit den römischen Statthaltern Felix und Festus sowie dem jüdischen König Agrippa und seiner Frau Berenike (23,23–26,32), der paulinischen Appellation an den Kaiser und der mit grossen Gefahren verbundenen Überstellung nach Rom (27,1–28,15). Doch erzählt sie nicht, was aus der Appellation an den Kaiser geworden ist, sondern das Werk endet offen, mit einer zweijährigen Verkündigungstätigkeit des unter Hausarrest stehenden Paulus in Rom (28,16–31).

Jedoch deuten einige Texte der Apostelgeschichte darauf hin, dass der Tod des Paulus implizit vorausgesetzt wird. So wird die Rede des Paulus in Milet an die Ältesten von Ephesus als eine Abschiedsrede gestaltet, die indirekt auf den Tod des Paulus vorausweist (Apg 20,17–38). Schon die Szenenanlage macht die Bedeutung der Rede deutlich; denn Paulus lässt die Presbyter eigens aus Ephesus nach Milet rufen. Sodann fasst der lukanische Paulus in dieser Rede sein gesamtes Wirken zusammen und bereitet die Ältesten auf die schwierige Zeit nach seinem Weggang vor. Und schliesslich sagt er, auf seine nahende Gefangenschaft – und implizit auf sein nahendes Ende – vorausblickend:

«Nun ziehe ich, gebunden durch den Geist, nach Jerusalem, und ich weiss nicht, was dort mit mir geschehen wird. Nur das bezeugt mir der Heilige Geist von Stadt zu Stadt, dass Fesseln und Drangsale auf mich warten. Aber ich will mit keinem Wort mein Leben wichtig nehmen, wenn ich nur meinen Lauf vollende und den Dienst erfülle, der mir von Jesus, dem Herrn, übertragen wurde: das Evangelium von der Gnade |99| Gottes zu bezeugen. Nun aber weiss ich, dass ihr mich nicht mehr von Angesicht sehen werdet, ihr alle, zu denen ich gekommen bin und denen ich das Reich verkündet habe.» (Apg 20,22–25)

Dieser Rede folgt eine tränenreiche Verabschiedung der Ältesten von Paulus (20,37 f.), und die Erzählung der Apostelgeschichte leitet zur Verhaftung des Paulus in Jerusalem sowie seinen Gefangenschaften in Cäsarea Maritima und Rom über, nicht ohne zuvor noch deutliche Warnungen an Paulus, nicht nach Jerusalem zu gehen, laut werden zu lassen (Apg 21,4.10–14).

Dennoch: Ein klarer Hinweis auf den Tod des Paulus oder gar auf dessen genauere Umstände fehlt, so dass es bis heute nicht an Versuchen gefehlt hat, der Apostelgeschichte überhaupt die Kenntnis vom Tod des Paulus abzusprechen und sie entsprechend früh, bereits gegen Ende der 50er Jahre, zu datieren.

Plausibler ist es, das Schweigen des Lukas über den Tod des Paulus auf seine literarischen und theologischen Absichten zurückzuführen. Denn mit diesem offenen Schluss ist eine Perspektive in die Zukunft eröffnet, die sich Leserinnen und Leser als von der weiteren unaufhaltsamen Ausbreitung des Evangeliums geprägt vorstellen können. Und sollten die späteren Traditionen von einer Hinrichtung des Paulus durch die römischen Behörden zutreffend sein, könnten auch apologetische Absichten des Lukas zum Verschweigen dieses Endes des Paulus geführt haben. Vielleicht fehlten Lukas aber auch schlicht präzise Informationen über die genauen Umstände des Todes des Paulus, so dass er auf konkrete Nachrichten über diesen Tod ganz verzichtete.150

Exkurs

Belege für einen gewaltsamen Tod des Paulus sind erst ab dem Ende des ersten Jahrhunderts zu finden. So deutet der erste Clemensbrief, ein Schreiben der römischen Gemeinde an die Gemeinde von Korinth, einen Märtyrertod des Paulus an, wenn er formuliert, Paulus habe «Zeugnis abgelegt vor den Führenden» und sei «aus der Welt geschieden und […] an den heiligen Ort gelangt» (1 Clem 5,5–7). Auch der zweite Timotheusbrief scheint um ein gewaltsames Schicksal des Paulus zu wissen, wenn er den fiktiven Paulus über seinen ihm bevorstehenden Weg |100| sagen lässt, dass er nun «geopfert werde» (2 Tim 4,6). Der zweite Timotheusbrief deutet überdies auf Rom als letzte Station des Paulus hin (2 Tim 1,17).

Erzählerisch ausgefaltet wird die Tradition eines Martyriums des Paulus in Rom aber erst in den «Akten des Paulus und der Thekla», einer apokryphen Schrift aus der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts n. Chr.151 Ausführlich und mit legendenhaften Zügen angereichert erzählt diese Schrift von der letzten Zeit des Paulus in Rom und schliesslich von seiner Enthauptung durch das Schwert. Dabei wird der Tod des Paulus zu einer Auseinandersetzung zwischen Paulus und dem Kaiser Nero selbst stilisiert. In diesem Zweikampf scheint zwar zunächst der Kaiser zu siegen, denn Paulus kann seiner Hinrichtung nicht entgehen. Doch hat der gewaltsame Tod – wie bereits beim Messias Jesus – nicht das letzte Wort, sondern Paulus erscheint zunächst dem Kaiser Nero und sodann den beiden Offizieren, die an seiner Hinrichtung beteiligt waren, als Auferweckter und Lebendiger und erweist sich dadurch am Ende doch noch als siegreich.

Von diesen nachpaulinischen und apokryphen Texten führt eine Spur nach Rom als Hinrichtungsort des Paulus. Da sich in frühchristlicher Zeit keine konkurrierenden Traditionen entwickelt haben, lässt es sich plausibel machen, dass Paulus tatsächlich in Rom während der Regierungszeit des Kaisers Nero hingerichtet worden ist. Wenn die Apostelgeschichte mit ihrer Notiz recht hat, dass Paulus nach seiner Ankunft noch zwei Jahre lang unter erleichterten Haftbedingungen wirken konnte, würde dies ungefähr in das Jahr 62 n. Chr. führen. Damit läge das Todesjahr noch vor den grossen gewaltsamen antichristlichen Ausschreitungen nach dem Brand Roms im Jahr 64 n. Chr., von denen u. a. der römische Historiker Tacitus berichtet.152 Mit letzter Sicherheit sind aber weder die genauen Umstände der Hinrichtung noch das präzise Todesjahr zu klären.153

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