Kitabı oku: «Die Begleitbeistandschaft», sayfa 9
2.3 Schutzbedarf
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Die Schutz- bzw. Hilfsbedürftigkeit muss sich aus dem Schwächezustand ergeben;[457] es bedarf eines inneren Zusammenhangs zwischen Schwächezustand und Schutzbedürftigkeit im Sinne der überwiegenden Wahrscheinlichkeit, nicht jedoch der Kausalität.[458] Der Schutzbedarf wird wie der Schwächezustand in Art. 390 Abs. 1 umschrieben, und zwar für Ziff. 1 darin, dass die betroffene Person wegen des Schwächezustandes ihre Angelegenheiten nur teilweise oder gar nicht besorgen kann, bzw. für Ziff. 2, dass die betroffene Person in Angelegenheiten, die erledigt werden müssen, nicht selbst handeln kann und auch eine Stellvertretung nicht möglich ist.[459] Im Unterschied zum weitgehend medizinisch geprägten Schwächezustand[460] ist der Schutzbedarf von der Rechtsordnung festzulegen; er ist normativ.[461] Wie aufgezeigt,[462] geht es bei der Begleitbeistandschaft um die Schwächezustände nach Art. 390 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB, da Vertretungshandeln nicht Teil einer Begleitbeistandschaft sein kann.[463] Deshalb wird hier ausschliesslich auf die Umschreibung des Schutzbedarfs gemäss Art. 390 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB eingegangen.
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Bei der betroffenen Person ist die Fähigkeit zur Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechtes in Bezug auf die zu erledigenden Angelegenheiten für die Begleitbeistandschaft zwar nicht völlig ausgeschlossen, jedoch derart beeinträchtigt, dass eigenverantwortliches Entscheiden erschwert ist.[464] Der Schutzbedarf muss weder sachlich noch zeitlich dringlich sein, bedarf aber einer gewissen Wichtigkeit, damit eine Beistandschaft überhaupt verhältnismässig ist.[465] Darunter ist zu verstehen, dass zur Teilhabe und Teilnahme am Geschäftsverkehr bzw. am gesellschaftlichen Leben eine Unterstützung durch eine Beistandsperson notwendig ist, und zwar in ihrer doppelten Funktion: Zugang zum Geschäftsverkehr bzw. gesellschaftlichen Leben und Schutz der Person.[466] Sie bedarf im Vergleich zu nicht Schutzbedürftigen der gleichberechtigten Teilnahme am Geschäftsverkehr bzw. am gesellschaftlichen Leben einer Unterstützung durch eine Beistandsperson.[467]
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Die Situation der «hilfsbedürftigen Person» im Sinne von Art. 393 Abs. 1 ZGB muss somit derart sein, dass begleitende Unterstützung im Sinne eines Schutzbedarfes notwendig wird.[468] Wie sich dieser Schutzbedarf präsentiert, wird weiter unten bei der Darstellung der Aufgabenbereiche aufgezeigt.[469] Aus dem Schutzbedarf muss sich für die Begleitbeistandschaft ergeben, dass die Handlungsfähigkeit gemäss Art. 393 Abs. 2 ZGB nicht beschränkt werden muss und der Beistand auch gemäss dem Begriff «begleitende Unterstützung» keine Vertretungsrechte benötigt. Auf diese vertretungslose begleitende Unterstützung ist im Folgenden einzugehen.
3. Begleitende Unterstützung zur Erledigung bestimmter Angelegenheiten
3.1 Die begleitende Unterstützung (Begleitung)
3.1.1 Als Teil der persönlichen Angelegenheiten (Personensorge im Sinne der Rechtsmacht)
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Oben wurde aufgezeigt, dass die Personensorge eine doppelte ist.[470] Sie kann sich auf die Aufgabenbereiche oder auf die Rechtsmacht beziehen. Im vorliegenden Kontext bezieht sie sich auf die Rechtsmacht und grenzt sich somit vom Vertretungs- und Mitwirkungshandeln ab.[471] Personensorge kann somit nicht stellvertretendes Handeln sein. Die schutzbedürftige Person muss deshalb noch in der Lage sein, eigenständig im jeweiligen Aufgabenbereich zu handeln; und ferner muss sie urteilsfähig sein. Gleichzeitig darf es sich nicht um Mitwirkungshandeln im Sinne einer Mitwirkungsbeistandschaft handeln. Die begleitende Unterstützung schränkt die Handlungsfähigkeit der betroffenen Person in keiner Weise ein.[472]
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In der Gesetzesfassung finden sich gleichbedeutende Formulierungen. In der deutschen Fassung wird von begleitender Unterstützung zur Erledigung bestimmter Angelegenheiten gesprochen, in der französischen von «Être assistée pour accomplir certains actes» und in der italienischen Fassung von «Un sostegno per provvedere a derminati affari».
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In der Lehre finden sich unterschiedliche Definitionsversuche für den Begriff «begleitende Unterstützung», der hier synonym mit Begleitung gleichgestellt wird. Sie werden nachfolgend kurz dargestellt.
3.1.1.1 DANIEL ROSCH (2010):
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Der Verfasser hat im Jahre 2010 «Begleitung» im Sinne der begleitenden Unterstützung definiert als «beraterische, vermittelnde, unterstützende sowie betreuerische Hilfestellungen in einem in der Regel ambulanten Setting».[473] Ziel dieses Definitionsversuchs ist ein möglichst weit gefasster Begleitungsbegriff, damit die Massnahme im Einzelfall auch möglichst flexibel angeordnet und eingesetzt werden kann.[474] Da es sich bei den betroffenen Personen um noch (teilweise) urteilsfähige Menschen handelt, dürfte die Begleitbeistandschaft weniger in einem stationären als in einem ambulanten Rahmen stattfinden, wobei ein stationäres Umfeld – insbesondere in Pflegeheimen – nicht ausgeschlossen ist. In Pflegeheimen dürfte aber der Bedarf nach einer Begleitbeistandschaft eher selten bestehen, weil begleitende Unterstützung regelmässig bereits durch dort bestehende Dienstleistungen subsidiär abgedeckt sind.
3.1.1.2 PATRICK FASSBIND (2011)
211
FASSBIND lehnt sich an die Definition des Verfassers an und definiert begleitende Unterstützung als «Beratung und Betreuung (bzw. Kontrolle) der betroffenen Person sowie der Vermittlung in den von der KESB bestimmten Aufgabenbereichen.»[475] Diese Definition integriert das in der Entstehungsgeschichte aufgetauchte Kontrollmoment[476] und ordnet dieses der Betreuung zu.
3.1.1.3 PHILIPPE MEIER/ SUZANA LUKIC (2011)
212
Mit Verweis auf den französischen Gesetzestext geht es gemäss MEIER/LUKIC um Hilfe und Assistenz, das heisst Informationsübertragung, Raterteilung und Entscheidungshilfe. Mittel hierzu seien der Dialog, die Mediation oder die Motivationsförderung.[477] Beraten, Vermitteln und auch Unterstützen als zentrale Aufgaben finden sich somit auch in dieser Definition; die Kontrolle wird demgegenüber nicht erwähnt.
3.1.1.4 YVO BIDERBOST (2012)
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BIDERBOST sieht die begleitende Unterstützung als Betreuung. Es gehe um «Ratgebung und Assistenz, allenfalls um Formen von Vermittlung und Förderung (Stichwort: Hilfe zur Selbsthilfe), je nachdem um gewisse Kontrollaspekte, aber nicht um Kommando und Bestimmung.»[478] Im Unterschied zu voranstehenden Definitionsversuchen ist bei BIDERBOST der Anknüpfungspunkt die Betreuung und nicht die Begleitung. Sie ist der Oberbegriff und kann wie bei FASSBIND auch kontrollierende Aspekte haben, ist aber dennoch nicht einseitige verpflichtende Anordnung.
3.1.1.5 HELMUT HENKEL (2012)
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HENKEL knüpft im Unterschied zu BIDERBOST nicht an die Betreuung an, sondern an die Beratung und Vermittlung von Hilfe zur Selbsthilfe. Ziel sei es, dass damit die Selbstbestimmung gefördert würde (Art. 388 Abs. 2 ZGB). Mittel dazu seien unter anderem Beratungsgespräche, konkrete Unterstützung, Begleitung und Ermunterung, die durchaus auch eine gewisse Kontrolle beinhalten können.[479] Interessant an dieser Definition erscheint die Verknüpfung mit dem allgemeinen gesetzlichen Auftrag als Zielsetzung (Art. 388 ZGB), welcher den Inhalt dieser begleitenden Unterstützung im Einzelfall konkretisieren soll. Diesen Ansatz verfolgt auch MEIER mit Verweis auf Art. 406 ZGB, der in diesem Kontext Art. 388 ZGB konkretisiert.[480]
3.1.1.6 Zwischenfazit
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Die verschiedenen Definitionsversuche erscheinen auf den ersten Blick ähnlich, weil bei den meisten von Vermittlung, Assistenz, Betreuung, Beratung etc. gesprochen wird. Bei genauer Betrachtung ist aber ersichtlich, dass die Begriffe wenig präzise verwendet werden. Betreuung ist mal der Oberbegriff, mal ist Betreuung mit Kontrolle verbunden, ein anderes Mal ein Querschnittsthema etc. Es scheint, dass die Begriffe weitgehend synonym verwendet wurden und aufgrund dieser geringen Präzisierung die Konkretisierung unter Zuhilfenahme der allgemeinen Grundsätze von Art. 406 und Art. 388 ZGB gesucht wurde. Ein Blick in die Theorien der psychosozialen Hilfe könnte weiterhelfen, um den Begriff «begleitende Unterstützung» genauer zu umschreiben.
3.1.2 Begleitung als psychosoziale Hilfe bzw. Handlungsfeld der Sozialen Arbeit
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Kindes- und Erwachsenenschutz wird traditionell zu den Berufsfeldern der Sozialen Arbeit gezählt. Soziale Arbeit hat zur Aufgabe, soziale Probleme zu bearbeiten. Darunter sind auf der Grundlage des systemischen Paradigmas sowohl Probleme von Individuen als auch Probleme einer Sozialstruktur und Kultur in ihrer Beziehung zueinander zu verstehen.[481] Dementsprechend ist davon auszugehen, dass auch die Soziale Arbeit zur Begriffsbestimmung beitragen kann, was unterstützende Begleitung im Sinne der Begleitbeistandschaft im Detail bedeutet.
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Betrachtet man die sozialarbeitswissenschaftliche Literatur, so fällt auf, dass es selbst beim Begriffsverständnis von «Beratung» wenig Einheitlichkeit gibt.[482] Bemerkenswert ist zudem, dass sich wenig Literatur findet, die sich spezifisch mit der (sozialarbeiterischen) Beratung auseinandersetzt, und diejenigen, die sich damit befassen, bestimmen sie sehr unterschiedlich; eine eigentliche anerkannte Beratungstheorie findet sich nicht.[483] Diese Ausgangslage ist für den Begriff der Begleitung bzw. der begleitenden Unterstützung ähnlich, nur dass quantitativ noch viel weniger Literatur vorhanden ist.
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Im Folgenden wird davon ausgegangen, dass die sehr heterogene Literatur zur Begriffsbestimmung von «Beratung» auch für die Bestimmung des Begriffs «Begleitung» bzw. des hier synonym verwendeten Terminus der «begleitenden Unterstützung» nutzbar gemacht werden kann. Dies ist umso naheliegender, weil teilweise derart weite Definitionen bestehen, dass sie mitunter auch die begleitende Unterstützung mitumfassen. Deshalb wird zunächst auf allgemeine Grundsätze der verschiedenen sozialarbeiterischen Handlungsarten eingegangen, basierend auf der Dissertation von PETRA GREGUSCH.[484] In einem zweiten Schritt wird eine Auswahl an Konzepten dargestellt, welche verschiedene Handlungsarten voneinander abzugrenzen versuchen und für die vorliegende Fragestellung dienlich sind. Daraufhin soll «begleitende Unterstützung» für die Begleitbeistandschaft definiert werden.
3.1.2.1 Allgemeine Grundlagen
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PETRA GREGUSCH hat in ihrer Dissertation zum Thema Beratung in der Sozialen Arbeit den Versuch unternommen, eine Systematisierung der Beratung zu einer auf die Soziale Arbeit bezogenen normativen Beratungstheorie zu entwickeln. Dabei hat sie nach der hier vertretenen Auffassung auch einige grundsätzliche Aspekte von Handlungsarten in der Sozialen Arbeit herausgearbeitet, welche nicht nur für die Beratung, sondern eben auch für die Begleitung und weitere Handlungsarten der Sozialen Arbeit anwendbar sind.
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Hierzu gehört zunächst einmal, dass sich Handlungsarten wie Beratung, Begleitung, Betreuung etc. nicht auf eine psychosoziale Disziplin fokussieren, wie Psychologie, Soziale Arbeit (Sozialpädagogik und Sozialarbeit) oder Psychotherapie. Ebenso wenig ist sie im Sinne der Alltagsberatung, –begleitung und –betreuung zu verstehen, sondern als professionelle Tätigkeit im Sinne einer an wissenschaftlichen Standards orientierten, reflektierten Prozesssteuerung zur Behebung und Linderung sozialer Probleme. Es handelt sich um eine multi- und interprofessionell betriebene Tätigkeiten, die somit als professionelle Handlungen im Fokus verschiedener Disziplinen steht. Spezifisch für die Soziale Arbeit ist, dass es sich um einen problemzentrierten Kooperationsprozess handelt, der eine Individuum-Umwelt-Perspektive bzw. eine Person-in-der-Situation-Perspektive[485] zum Gegenstand hat.[486]
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Die Handlungsarten können sodann auch in Bezug auf die Perspektive und die Adressaten unterschieden werden. Es wird unterschieden, ob sich die Handlungsart allein auf das Individuum bezieht oder aber auf ein Kollektiv, namentlich eine Gruppe. Zudem unterscheidet man, ob die Problembearbeitung eher nach innen gerichtet ist (innerpsychische Ebene) oder eher auf die Aussenwelt. Entsprechend sind auch die Handlungsmethoden eher nach innen gerichtet (verstehensorientiert) oder nach aussen (lösungsorientiert):[487]
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Innenperspektive | Aussenperspektive | |
---|---|---|
Individuell | psychoanalytische und tiefenpsychologische Ansätze –klientenzentrierte, –gestalttherapeutische, –psycho-dramatische Handlungsformen | Verhaltenstheoretisch begründete Ansätze –Verhaltensmodifikation –lösungsorientierte Ansätze |
kollektiv | Gruppenbezogene Ansätze –themenzentrierte Interaktion –Genogrammarbeit –Soziodrama | Systemische Handlungsansätze |
verstehensorientiert | lösungsorientiert |
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Anzumerken ist, dass diese Aufschlüsselung typologischer Natur ist. Sie hilft bei der Einordnung. So sind aber insbesondere lösungsorientierte Konzepte teilweise auch verstehensorientiert; sie legen nur nicht dort ihren Schwerpunkt, sondern versuchen, möglichst rasch auf die Handlungsebene zu gelangen. Man spricht dabei auch von einer lösungsorientierten Problemanalyse.[488] Vice versa gilt auch, dass sich verstehensorientierte Ansätze nicht mit der Analyse begnügen, sondern auch Schlüsse aus der vorangegangenen Analyse ziehen und anstreben, die Situation der betroffenen Person zu verbessern. Die Ansätze verbleiben aber nicht selten auf die Innenperspektive bezogen.[489]
3.1.2.2 PETER LÜSSI (2001)
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PETER LÜSSI unterscheidet in seiner systemischen Herangehensweise an die Methodik Sozialer Arbeit sechs Handlungsarten: Beratung, Verhandlung, Intervention, Vertretung, Beschaffung und Betreuung.[490] Diese werden nachfolgend kurz dargestellt.
a) Beratung
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In der sozialarbeiterischen Beratung bespricht der Sozialarbeitende mit einem oder mehreren Problembeteiligten das soziale Problem und seine Lösung. Die Problembeteiligten stehen nicht im Konflikt zueinander, da es sonst um die Handlungsart Verhandlung ginge. Das Mittel der Beratung ist das Gespräch, das sich weniger auf die Persönlichkeit oder die Psyche der Klientschaft allein bezieht, sondern vielmehr jeweils in Bezug steht zum sozialen Problem bzw. zum problematischen sozialen Sachverhalt. Die Beratungsperson hat somit stets die dysfunktionalen sozialen Systemzusammenhänge im Fokus. Ziel der Beratung ist mittels der Stärkung der Klientschaft, dass diese ihre Problemlage bewältigen kann, sie somit zu systemfunktionellem Verhalten zu bringen. Zur Beratung kann es auch gehören, dass Ratschläge erteilt oder verhaltensorientierte Trainings durchgeführt werden.[491]
b) Verhandlung
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Hier besteht die soziale Problemlage im Verhältnis zwischen mehreren Problembeteiligten. Der Sozialarbeiter ist dabei aktiver Vermittler, leitet die Verhandlungen und hat eine Mittlerstellung zwischen den Problembeteiligten.[492]
c) Intervention
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Intervention wird nach LÜSSI sehr spezifisch verstanden. Es geht um die Reaktion der Sozialarbeitenden auf schutzbedürftige Menschen, die selbst- und/oder fremdgefährdend sind, mittels rechtlichem oder faktischem Zwang. Intervention beinhaltet somit nicht ausschliesslich zeitlich dringendes Handeln; die Dringlichkeit kann sich auch aufgrund der Sachumstände ergeben.[493]
d) Vertretung
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Bei der Vertretung geht es um stellvertretendes Handeln im Auftrag der Klientschaft selbst oder einer gesetzlich vorgesehenen Stellvertretung, z. B. der Vertretungsbeistandschaft. Ziel ist nach LÜSSI eine systemfunktionalisierende soziale Problemlösung und nicht eine parteiliche subjektive Interessenvertretung.[494]
e) Beschaffung
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Beschaffung meint Ressourcenerschliessung. Der Sozialarbeitende verschafft der Klientschaft Geld, Arbeit, Ausbildung, eine Dienstleistung etc. und ermöglicht damit Teilhabe, welche der Klientschaft ohne die sozialarbeiterische Handlung nicht möglich wäre.[495]
f) Betreuung
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Betreuung nach LÜSSI meint Beistand in der alltäglichen Lebensbewältigung, indem der Sozialarbeitende für die Klientschaft finanzielle und andere Angelegenheiten, die ihre materielle Existenz betreffen, erledigt, Entscheidungen für sie trifft etc. Sachliche und persönliche Momente sind dabei eng miteinander verflochten. Betreuung ist nach LÜSSI durchgängig Fürsorge. Dabei unterscheidet er zwischen direktem Betreuungshandeln (Geldverwaltung, Entscheiden für den Klienten, sachliche Hilfeleistung, persönliches Neben-dem-Klienten-Stehen) und indirektem Betreuungshandeln (Platzierung, Betreuungsdelegation und –kooperation, Problemlösung im Betreuungssystem), je nachdem, ob eine Handlung unmittelbar für oder mit dem Klienten erfolgt oder Aktivitäten, die mit dem Betreuungssystem und hier insbesondere den Betreuungspersonen zugunsten der betreuten Person Wirkungen entfalten.[496]
g) Bedeutung für die vorliegende Fragestellung
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Mit seinem Konzept der Handlungsarten bezeichnet LÜSSI eine bestimmte Art sozialarbeiterischer Vorgehensweise, die in der Praxis durchaus in Verbindungen vorkommen, wie Betreuung und Vertretung, Beschaffung und Beratung etc. Zudem sind die Handlungsarten nicht immer trennscharf voneinander zu unterscheiden, sodass es sich auch hier vielmehr um typologische Kategorien handelt, die auch zur Analyse komplexer Situationen beigezogen werden können.[497] LÜSSI versucht, mit den Handlungsarten die verschiedenen Begrifflichkeiten, die in der Praxis und auch Theorie oft synonym verwendet werden, genauer zu beleuchten und gegeneinander abzugrenzen. Ausgangslage seiner Begriffsbestimmungen sind die Alltagssprache und –bedeutung. Dabei werden aber auch verschiedene Ebenen miteinander vermengt. Das dringliche Handeln ist keine eigenständige Kategorie, sondern kann in Beratung, Betreuung etc. bestehen. Gleiches gilt für die Vertretung, welche entweder zur Ressourcenerschliessung zu zählen ist oder zur Betreuung. Die theoretische Einbindung in Konzepte etc. wäre ausbaufähig.[498] Zudem finden sich in den Theorien LÜSSIs eher paternalistische Handlungen zugunsten der Klientschaft und wenig prozessbegleitende, auf Selbstbestimmung ausgerichtete Ansätze.
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Für die vorliegende Fragestellung sind die vorgestellten Kategorien dienlich, weil aufgrund der sozialarbeiterischen Literatur «Begleitung» bzw. «begleitende Unterstützung» näher umschrieben werden sollen. Der Fokus auf die Begrifflichkeiten und deren Verhältnis zueinander ist die grosse Leistung von LÜSSI. So dürfte die Begleitung der Betreuung zugeordnet werden, die durchaus in Kombination mit Beratung und Beschaffung bei der Begleitbeistandschaft auftauchen könnte.
3.1.2.3 MAJA HEINER (2010)
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MAJA HEINERS Konzept kennt vier Handlungstypen, nämlich die koordinierende Prozessbegleitung, die fokussierte Beratung, die begleitende Unterstützung und Erziehung sowie niederschwellige Förderung und Bildung. Merkmale bzw. Unterscheidungskriterien der verschiedenen Typen sind:
–die Dauer der Kooperation,
–der Umfang der gemeinsam verbrachten Zeit,
–die Lebenswelt- und Alltagsnähe,
–der Formalisierungsgrad der Interaktion (Orientierung an Öffnungszeiten, Terminvereinbarung etc.),
–das Spektrum der bearbeitbaren Probleme sowie
–das Ausmass an fallbezogener Vernetzung mit anderen Diensten und Einrichtungen.[499]
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Aus diesen Merkmalen und deren Kombination ergäben sich Tätigkeitstypen, deren Handlungsprofile vorab durch die drei erstaufgeführten Merkmale geprägt würden. Diese Tätigkeitstypen seien wandelbar. Aktuell seien die eingangs genannten vier Handlungstypen in der Praxis eruierbar.[500]
a) Koordinierende Prozessbegleitung
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Es gehe bei der koordinierenden Prozessbegleitung um ambulante Dienstleistungen, bei denen die Klientschaft und Fachperson nur wenig Zeit miteinander verbringen würden (ca. ein bis vier Stunden pro Monat). Die Zeitdauer der Unterstützung sei sehr unterschiedlich (ein Jahr bis mehrere Jahrzehnte). Die Kontakte fänden in geringer bis mittlerer Alltags- und Lebensweltnähe statt (Bürokontakte und z. T. Hausbesuche), verbunden mit einem mittleren bis hohen Formalisierungsgrad der Interaktion. Charakteristisch für diese Art der Arbeit sei der hohe Anteil an Vernetzungs- und Vermittlungsarbeit bei breitem Problem- und Aufgabenspektrum, die indirekte Unterstützung, bei der die Fachkraft planend und koordinierend für die Klientschaft tätig werde, ohne dabei ständig mit ihr zu interagieren. Die direkte Klientenarbeit werde an andere Institutionen delegiert. Es verbleibe somit die Koordination der Dienstleistungen. Typische Organisationen seien Sozialpsychiatrische Dienste, Sozialdienste, Jugendämter, Krankenhaussozialdienst und Rehabilitationseinrichtungen.[501] Dazu gehörten sowohl die behördlichen Tätigkeiten des Kindes- und Erwachsenenschutzes, insbesondere die Abklärung, aber auch die Mandatsführung.[502]
b) Fokussierte Beratung
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Bei der fokussierten Beratung gehe es um eine ambulante Dienstleistung von kurzer bis mittlere Dauer (zwei Monate bis zwei oder drei Jahre). Der Umfang der gemeinsam verbrachten Zeit sei gering (zwei bis vier Stunden pro Monat), bei geringer bis mittlerer Lebenswelt- und Alltagsnähe, hohem Formalisierungsgrad der Interaktion und mittlerem Anteil an Vernetzungsarbeit. Je nach Organisation fänden sich enge bis mittlere Problemspektren. Typische Organisationen, die fokussierte Beratung anbieten würden, sind Erziehungsberatung, Eheberatung, Schwangerschaftskonfliktberatung, Bewährungshilfe, Schuldnerberatung, Suchtberatung.[503] Mit der fokussierten Klientenberatung würde man sich abgrenzen von Alltagsberatung als nicht professioneller Beratung, aber auch von breit gefächerter Beratung, wie koordinierende Prozessbegleitung oder begleitende Unterstützung, bei denen Beratung nur einen Teilauftrag beinhaltet.[504] Hierzu könnten auch angeordnete Beratungen, z. B. aufgrund einer Weisung einer Behörde, gehören.[505]
c) Begleitende Unterstützung und Erziehung
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Beim Handlungstypus begleitende Unterstützung und Erziehung handelt es sich um lebensweltersetzende oder –ergänzende Dienstleistungen, die als stationäre, teilstationäre und aufsuchende ambulante Angebote organisiert sind. Der mittlere bis hohe Umfang der gemeinsam verbrachten Zeit (4–40 Stunden pro Woche) sei dabei charakteristisch bei mittlerer (1–3 Jahre) bis längerer, teilweise lebenslänglicher Dauer der Kooperation. Die Alltagsnähe sei mittel bis hoch. Aus dieser Ausgangslage resultiere eine sehr intensive Arbeitsbeziehung bei längerfristiger Kooperation. Typisch sei eine besonders enge, alltagsnahe, nicht nur verbal gesteuerte Interaktion zwischen Fachperson und Klientschaft mit einer engeren persönlichen Beziehung. Zu diesem Handlungstypus zählten z. B. folgende Organisationen mit ihren Angeboten: Tagesgruppen, Heimerziehung, betreute Wohngruppen, stationäre Behindertenhilfe, Sozialpädagogische Familienhilfe[506].[507] Charakteristisch sei, dass sie Handlungsbereiche, die einen informellen Charakter aufweisen, mit Tätigkeiten, die einen hohen Formalisierungsgrad haben, kombinieren würden. So komme es bei langfristig angelegten Betreuungen zu «Begegnungen, in denen man miteinander plaudert, Kaffee trinkt oder zum Schwimmen geht.»[508] Dazu gehörten auch gemeinsame Aktivitäten wie Kochen, Essen, unter einem Dach schlafen. Dies entspreche nicht nur den Bedürfnissen der Adressaten, sondern ermögliche, dass daraus eine (Arbeits–)Beziehung entwickelt werden könne. Daraus ergäbe sich die Erwartung an die Mitarbeitenden, sich in fachlich-formalisierten wie in fachlich-informellen Zusammenhängen bewegen zu können.[509] Der Begriff der Begleitung entstammt einer sozialpädagogischen Perspektive. Ursprünglich war er eine Art Gegenbegriff zur «Erziehung». Menschen – und damit auch solche mit schwerwiegenden und eventuell lebenslang anhaltenden Einschränkungen – sollten das Recht haben, ihren eigenen Weg im Umgang mit anderen Personen und der Gesellschaft zu finden. «SozialpädagogInnen sollen diese Menschen begleiten, sie bei ihren Suchbewegungen unterstützen oder ihnen assistieren, ihnen als auch bei der Verrichtung alltäglicher Lebensvollzüge so zur Hand gehen, wie diese Menschen es wünschen».[510]
d) Niedrigschwellige Förderung und Bildung
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Niedrigschwellige Förderung und Bildung seien offene und damit keine Mitgliedschaft oder regelmässige Teilnahme voraussetzende, niedrigschwellige und freiwillig genutzte Angebote. Die Nutzung sei unterschiedlich und hänge massgeblich von der aktuellen Lebenslage der Klientschaft ab. Daraus resultierten sehr breite und variable Formen der Aktivitäten und Dauer der Kooperation (zwei Monate bis zehn Jahre). Die Fluktuation sei zudem potenziell hoch, wobei sich durchaus einige «Stammgäste» in der Regel fänden. Der Umfang der gemeinsam verbrachten Zeit sei entsprechend unterschiedlich (4–40 Stunden pro Monat). Typische Organisationen, die diesen Typus kennzeichnen, sind Müttertreff, Seniorencafé, Jugendhaus, Mädchentreff, Tagesstätte für psychisch Kranke, Selbsthilfetreff Suchtkranker, Street Work.[511]
e) Bedeutung für die vorliegende Fragestellung
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Folgende Übersicht ergibt sich aus HEINERS Konzeption:
Koordinierende Prozessbegleitung | Fokussierte Beratung | Begleitende Unterstützung und Erziehung | Niedrigschwellige Förderung und Bildung | |
---|---|---|---|---|
Dauer der Kooperation | weniger als 1 Jahr bis mehrere Jahre/immer | 2 Monate bis 2–3 Jahre | 1 Jahr – lebenslänglich | offen (2 Monate – 10 Jahre) |
Umfang gemeinsam verbrachter Zeit | 1–4 Std. pro Monat | 2–4 Stunden pro Monat | 4–40 Stunden pro Woche | offen (4–40 Stunden pro Monat) |
Lebenswelt- und Alltagsnähe | gering bis mittel | gering bis mittel | mittel bis hoch | hoch |
Formalisierungsgrad der Interaktion | mittel bis hoch | hoch | tief | tief |
Spektrum der bearbeiteten Probleme | breit | eng bis mittel | ||
Ausmass an Vernetzungsarbeit mit anderen Diensten/Einrichtungen | sehr hoch | Mittel | ||
Typ/Organisation | Sozialpsychiatrische Dienste, Sozialdienste, Jugendämter, Krankenhaussozialdienst, Rehabilitationseinrichtungen | Erziehungsberatung, Eheberatung, Schwangerschaftskonfliktberatung, Bewährungshilfe, Schuldnerberatung, Suchtberatung | Tagesgruppen, Heimerziehung, betreute Wohngruppen, stationäre Behindertenhilfe, Sozialpädagogische Familienhilfe | Müttertreff, Seniorencafé, Jugendhaus, Mädchentreff, Tagesstätte für psychisch Kranke, Selbsthilfetreff Suchtkranker, Street Work |
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Die Konzeption von MAJA HEINER vermag Handlungsfelder bzw. –kontexte mit ihrer typischen Handlungsformen zu verbinden. Hierfür findet sie wesentliche Abgrenzungsmerkmale. Eine positive Formulierung oder gar Definition der einzelnen Handlungstypen kann sie – abgesehen von deren Beschreibung – jedoch nicht herausarbeiten. Für die vorliegende Arbeit von Interesse ist die Konkretisierung der begleitenden Unterstützung als Handlungstypus, weil gegebenenfalls der Gesetzestext darauf Bezug nehmen könnte. Demgegenüber würden die restlichen Beistandschaften eher zur koordinierenden Prozessbegleitung gehören.
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