Kitabı oku: «Literatur im Berufsfachschulunterricht», sayfa 2
1Ein Text – zwei Zielgruppen
In dieser «didaktischen Hausapotheke» tragen wir dem Umstand Rechnung, dass heute sehr viele Berufsfachschul-Lehrpersonen zwei Zielgruppen gleichzeitig unterrichten – in unserem Fall Lernende in der Grundbildung im allgemeinbildenden Unterricht (Lernbereich «Sprache und Kommunikation», Aspekt: «Kultur») und Lernende in der Berufsmaturität im Fach Deutsch.
Bei beiden Zielgruppen kann nach unserer Erfahrung mit denselben Texten gearbeitet werden, allerdings wird sich die didaktische Aufbereitung unterscheiden, was einer Binnendifferenzierung nach Zielgruppen gleichkommt. Der Lerninhalt bleibt identisch, die Umsetzung im Unterricht verläuft jedoch unterschiedlich. Die Zielsetzungen richten sich nach den Rahmen- und Schullehrplänen.
Kurzgeschichten als idealer Einstieg in den Literaturunterricht an Berufsfachschulen
Kurzgeschichten eignen sich hervorragend, um Lernende in den Umgang mit fiktionalen Texten einzuführen und mit ihnen die literarische Fachsprache einzuüben. Denn Kurzgeschichten zeichnen sich durch folgende Merkmale aus:
Sie handeln von verallgemeinerbaren Alltagserfahrungen.
Sie sind umgangssprachlich, dialogbetont.
Sie zeigen mögliche Reaktionsmuster
Das Ende ist bei Kurzgeschichten offen, kann also von den Lesenden interpretiert werden.
Literarische Texte sollen von Sachtexten sprachlich unterschieden werden. Diese Kompetenz gilt es anhand von sinnvollen Lehrinhalten aufzubauen.
Wie Sie dabei vorgehen können, zeigen wir im Folgenden an Thomas Hürlimanns Text «Der Liebhaber der Mutter», der einen idealen Einstieg bietet. Von den Lernenden wird, wie angedeutet, zunächst genaue und strukturierte Texterschliessung verlangt. Die Kürze der ausgewählten Geschichte ermöglicht eine effiziente und zeitfreundliche Annäherung ohne Hetze. Nach diesem Beispiel sollen die Lernenden künftig auch weitere Geschichten erschliessen können (wir verweisen auf die Tabelle in Kapitel 6, die sich auf eine bei Reclam erschienene Sammlung von Kurzgeschichten stützt). Diese Liste ist nicht vollständig, wurde aber gezielt gewählt, da es sich um «Kurzgeschichten-Klassiker» handelt, die von Lernenden, Einsteigerinnen und Einsteigern in die Fiktionalität, gut erfasst werden können.
Thomas Hürlimann
Der Liebhaber der Mutter
Es begann mit Blumen. Über Nacht schossen sie aus allen Vasen hervor, Rosen, Orchideen, Osterglocken, und eines Abends, als wir von der Schule nach Hause kamen, hing der Brodem einer Zigarre im Haus, fremd, doch würzig, kein Zweifel, Mutter hatte Besuch gehabt, Herrenbesuch. Sie lächelte und sie schwieg. Sie trug, wenn sie das Haus verliess, ihre breiten Hüte, besuchte häufig den Coiffeur, und fragten wir, ob sie verliebt sei, rief sie lachend: «Aber Kinder, ich bin doch eure Mutter!»
Eines Abends sass er am Stubentisch. Er soff den Schnaps aus dem Wasserglas, und das Essen, das Mutter ihm zu Ehren gekocht hatte, liess er stehen. Meine Schwester und ich zwinkerten dem Vater zu. Der hob fröhlich das Weinglas. «Prost!» rief er, und verschämt senkte die Mutter ihren Blick auf den Teller. Trepp war ein abgesprungener Jesuit. Fieberschübe und Schnäpse hatten ihn ausgeglüht, seine Finger zitterten, seine Augen glänzten. Er habe, erzählte Trepp, sein Leben in den Tropen verbracht, auf fernen, verseuchten Plätzen, erst vor kurzem war er in Zug gestrandet, in einem Pflegeheim für Kleriker, wo er, so Trepp, unter lauter gläubigen Greisen der einzige Atheist sei: Trepp, das Wrack.
Wir lauschten seinem Gelalle, wir sahen ihn saufen. Der Verehrer unserer Mutter war nicht halb so gefährlich, wie wir befürchtet hatten – er konnte nur ihr Mitleid, nicht ihre Liebe entfacht haben. Am Tisch schlief Trepp ein, der Vater setzte sich lachend ans Klavier und wie froh, wie erleichtert stimmten wir an diesem Abend unsere Familienhymne an! Nein, für Trepp, den Tropenhengst, würde Mutter das Familienglück nicht zerstören, nie und nimmer. Er tat ihr leid, sie liebte seine Blumen und die Kirsch-Pralinees, die er schicken liess, schlürfte sie andächtig aus. Schon bald hatten wir uns an die Treppliebe der Mutter gewöhnt. Eines Tages aber – Trepp war eben davongetorkelt – legte meine Schwester die Serviette in den Teller, spitzte ihr Mündchen und meinte quer über den Tisch hin, sie beginne sich allmählich zu fragen, womit der arme Trepp die teuren Bouquets bezahle. Die Mutter wurde rot. Wie eine Erdbeere so rot. Stille trat ein, und sekundenlang schwebte über dem Sonntagsbraten eine Wolke voller Leidenschaft und Katastrophe.
«Er stiehlt sie vom Friedhof», sagte schliesslich die Mutter. Der Vater ass weiter, die Gefahr war gebannt. Trepp kam nicht wieder, und wir alle, auch der Vater, mussten feststellen, dass wir den fremdländischen Zigarrenrauch und die Schnapsreden vermissten. Die Mutter verlor ihr Lächeln, ihr fehlten die Blumen. Sie sass im Lehnstuhl, auf ihrem Schoss lag ein Buch, die Augen jedoch, die gern geweint hätten, blickten ins Leere.
Die Jahre vergingen. Ich trieb mich herum. Mein Studium scheiterte. Eines Abends kehrte ich in meine Heimatstadt zurück, müde und kaputt, ohne Geld. Ich setzte mich an eine Bar. Neben mir sass ein Herr, wir kamen ins Gespräch, und plötzlich sagte er: «Ihre Mutter war die grosse Liebe meines Lebens.»
Dieser Herr konnte jener Trepp nicht sein, denn Trepp war tot schon seit Jahren, tot und begraben. Eine Sekunde stutzte ich. Dann war mir alles klar. Unsere Mutter hatte gewusst, dass sie ihre Verliebtheit vor der Familie nicht verbergen konnte, also hatte sie Trepp ins Haus gelockt, und wir alle, auch der Vater, waren nur allzu gern bereit gewesen, Mutters Verzauberung mit dem harmlosen Trepp in Verbindung zu bringen!
«Wie es Ihre Mutter geschafft hat, unsere Liebe geheimzuhalten», sagte jetzt Henry, «ist mir heute noch ein Rätsel.» Ihm sei dies nicht gelungen. Seine Frau habe sich scheiden lassen. Er, Henry, sei dann ausgestiegen und abgehauen, und so habe er seine besten Jahre auf fernen, fieberverseuchten Plätzen vergeudet. Mich fröstelte ein wenig. Wahrhaftig, Henrys Finger zitterten, seine Augen glänzten. Noch ein paar Fieberschübe, noch ein paar Drinks, und Henry, der wahre Liebhaber, sah aus wie Trepp, der ihn seinerzeit getarnt hatte.
Spät in der Nacht standen wir am See. Wellen beleckten die Ufersteine und aus den Lampen fielen silberne Regenpfeile. Henry schlug den Mantelkragen hoch. Dann ging er wortlos davon.
Quelle: Thomas Hürlimann: Der Liebhaber der Mutter. In: ders.: Die Satellitenstadt. Geschichten, Zürich: Ammann Verlag 1992, S. 31–34.
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