Kitabı oku: «Granate oder Granatapfel, was hat der Schwarze in der Hand»
Die Arbeit der Übersetzerin am vorliegenden Buch wurde im Rahmen des Programms NEUSTART KULTUR aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien vom Deutschen Übersetzerfonds gefördert.
Titel der Originalausgabe:
Cette grenade dans la main du jeune Nègre est-elle une arme ou un fruit?
Zuerst erschienen 1993.
© 2015 Dany Laferrière
© 2016 Éditions Grasset & Fasquelle, Paris
© 2021 Verlag Das Wunderhorn GmbH
Rohrbacherstraße 18, D-69115 Heidelberg
Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werks darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert werden oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Gestaltung und Satz: philotypen/Dortmund
eISBN: 9783884236604
Granate oder Granatapfel was hat der Schwarze in der Hand?
Dany Laferrière
Aus dem Französischen
übersetzt von Beate Thill.
Gewidmet
dem Romanautor James Baldwin,*
dem Musiker Miles Davis,
dem jungen Maler Jean-Michel Basquiat,
alle drei sind in Amerika gestorben.
In der Neuen Welt herrscht Krieg.
*Gewiss, Baldwin starb in Frankreich, aber die tödliche Wunde wurde ihm in Amerika zugefügt.
Ich verleugne meine Herkunft nicht, ich verstehe mich nur nicht mit den anderen Schwarzen.
Ich finde, Schwarzsein ist nicht alles im Leben.
Graffito in einer New Yorker U-Bahn.
Inhalt
SCHREIBEN IN NORDAMERIKA
DIE KUNST, BERÜHMT ZU WERDEN OHNE ZU ERMÜDEN
I. TEIL WO?
II. TEIL DIE REISE
III. TEIL AMERICANA
IV. TEIL WARUM?
V. TEIL WIE? (RÜCKBLENDE)
VI. TEIL DREI AMERIKANISCHE PAARE
VII. TEIL DAS MATERIELLE LEBEN
VIII. TEIL EIN PAAR REGELN, UM IN AMERIKA ZU ÜBERLEBEN
IX. TEIL AUCH DAS IST AMERIKA
X. TEIL DIE PARALLELWELT
XI. TEIL HALL OF FAME (ZEHN ZEITGENÖSSISCHE AFROAMERIKANISCHE HELDEN)
XII. TEIL AMERIKA IST EIN RIESIGER FERNSEHER MIT WIMMELBILDERN
XIII. TEIL DIE RÜCKKEHR
SCHREIBEN IN NORDAMERIKA
I
Dies ist kein Roman. Hier denke ich an Magritte, der eine Pfeife zeichnete und darunterschrieb „Dies ist keine Pfeife“.
Ich verfasse dieses Buch nach Notizen, die ich mir an vielen Orten in Nordamerika gemacht habe. Im Zug Richtung Vancouver, in dem eine dicke Frau mir gegenüber saß und mich während der ganzen Fahrt anstarrte, weil sie dachte, ich zeichnete ihr Porträt (was übrigens stimmte). Im Bus Richtung Süden (Key West) an einem sonnigen Freitag, mit der schrecklichen Bläue des Meers beiderseits der nicht endenden Brücke. Im vegetarischen Restaurant in San Francisco, wo ich nichts gegessen habe, wegen eines winzigen Fettkrümels im Mundwinkel der Langen, drei Tische links von mir. Im Taxi vor einem Nachtclub in Manhattan, um drei Uhr morgens (wir suchten verzweifelt nach Bagels). In der Toilette des Shade (eine modische Bar in Montréal, am Boulevard Saint-Laurent, angesagt bei jungen Schauspielerinnen mit metallischen Brüsten, die dir ihr Laserzwinkern zuwerfen), wo eine grünhaarige Frau heulte, weil sie die Vene nicht finden konnte, um sich den ganzen Dreck in den Leib zu fixen. In Amerika ist man pausenlos unterwegs. Der weite Raum Amerikas ruft nach Geschwindigkeit.
II
Ich habe den Auftrag, für ein hochangesehenes Magazin an der Ostküste eine große Reportage zu schreiben. Sie wollen offenbar eine Sondernummer über Amerika herausbringen.
„Was kümmert es mich, ob Amerika 500, 400 oder 600 Jahre alt ist!“
Das sagte ich dem Typen am Telefon, der mich in meiner Bude aufgespürt hatte.
„Fuck Amerika, Alter, hier ist das Geld, und zwar ein schönes Päckchen, nimm’s, sonst kriegt es ein Anderer.“
„Warum ich?“ (Wie lange man diese dämliche Frage schon stellt!) „Tja, vielleicht bist du ‚das Parfüm des Monats‘ für sie.“
„Wieso?“
„Sie haben dich anscheinend überall gesucht und jetzt …“
„Was ist mit dir?“
Kurzes Schweigen.
„Sagen wir mal, ich bin schon ‚das Parfüm des Monats‘ gewesen.“
„Lange?“
„Ja … gut drei, vier Monate.“
„Nur!“
„Hier geht das sehr schnell“, erwiderte er mit einem trockenen Lachen.
„Was wollen die genau?“
„Keine Ahnung … Ich nehme an, sie wollen einen Schwarzen, der nicht hier lebt, sich hier aber gut auskennt, du weißt, was ich meine …“
„Warum keinen schwarzen Amerikaner?“, fragte ich ganz unschuldig.
„Afroamerikaner heißt das jetzt, das hat sich auch geändert.“
„Wenn man seine Identität in den Wörtern sucht … Dennoch, warum keiner von denen?“
„Sie wollen wohl keine Schwierigkeiten … nicht jemanden, bei dem sich alles um den Gegensatz zwischen Weiß und Schwarz dreht, das interessiert sie nicht.“
„Dann ist es schon vorbei, denn es ist das Einzige, was mich an Amerika interessiert.“
„Bei dir“, sagte er lachend, „ist das eher der Zusammenprall der Weißen Frau mit dem Schwarzen Mann.“
„Auch eine Art, sich dem Problem zu nähern …“
„Möglich, aber das gehört in die Freizeit. Wenn nicht von Geld die Rede ist, fühlt sich der Weiße nicht angesprochen.“
„Du meinst, der Reiche.“
„Kein linkes Gewäsch, Alter, hier ist der Reiche weiß.“
„Ich hasse Auftragsarbeit.“
„Du entscheidest … Passt ‚das Parfüm des Monats‘ nicht zu dir? Du fährst auf ihre Kosten ein wenig herum und schreibst deine Eindrücke auf, und die zahlen verdammt gut, Alter … das ist Amerika!“, schloss er mit einem lauten, bitteren Lachen.
„Ach! Haben sie denn vor den Schriftstellern so viel Respekt?“
„Willst du mich auf den Arm nehmen?“
„Nein nein …“
„Ganz einfach“, behauptete er, „sie wollen ihre Sondernummer (die eigentlich vollständig von Ford, Getty, Mallon, Morgan, Rockefeller et cetera gesponsert wird, Alter, lediglich eine Methode, um Steuern zu sparen, aber das nur unter uns). Sie wollen was Großes hinterlassen und sind offenbar bereit, auch den Preis dafür zu zahlen.“
„Was soll ich also machen?“
„Du rufst einfach an und sagst, du bist einverstanden.“
„Klingt nach Callgirl.“
„Es ist das gleiche Prinzip.“
„Hey! Du hast mir noch gar nicht deinen Namen genannt!“
„Kunta!“, sagte er, dann legte er mit einem trockenen und bitteren Lachen auf. Es ist das Lachen eines jungen Schwarzen, der sich am starken Licht Amerikas bereits verbrannt hat.
III
Es passiert nicht alle Tage, dass ein schwarzer Schriftsteller einem anderen schwarzen Schriftsteller einen interessanten Tipp gibt, damit meine ich, der ein bisschen Geld einbringt. Ich rief an. Sie wollten tatsächlich jemanden, mit dem sie einen guten Deal abschließen konnten. Das ist ihre Philosophie auf allen Stufen der Karriereleiter: Der beste Deal heißt, es soll sie möglichst wenig kosten. Es gibt dafür nichts Besseres als einen jungen Schriftsteller, der soeben einen netten kleinen Erfolg geerntet hat. Das Parfüm des Monats. Bist du zu naiv, hast du schon verloren. Betont durchblicken! Betont zynisch sein! Alles diskutieren! Schon gab ich der Redaktionsleitung am Telefon bekannt, dass die Rassenfrage mir nach wie vor viel bedeutet.
„Inwiefern?“, fragte mich der Typ am anderen Ende der Leitung.
„In sexueller Hinsicht!“
Ich kenne keinen Weißen, dem schwarz-weißes Vögeln nicht den Mund wässrig macht, um die Sache höflich auszudrücken. Solange auch nur ein Abnehmer dafür bleibt, habe ich in Amerika zu tun.
„Warum dieses Thema?“
Der Heuchler!
„Erstens, weil mich an Nordamerika nur das interessiert …“
Der Spruch wurde schon zum Mantra.
„Wir arbeiten in ganz Amerika … Mittelamerika, Nord- und Südamerika, auch in der Karibik“, fügte er in diesem honigsüßen Ton hinzu.
„Hören Sie (unterbrach ich ihn scharf), wer Sie auch sein mögen … Wenn ich in Nordamerika leben will, dann weil mir die Mayas und Azteken egal sind. Für mich sind die toten Zivilisationen zu Recht ausgestorben.“
„Da Sie aus der Karibik kommen, dachten wir …“
Immer dieses „Wir“, sobald sie sich ein bisschen bedrängt fühlen!
„Die Karibik! Immer der gleiche Blödsinn! Die Leute sollen über die Ecke schreiben, aus der sie kommen! (Alle herhören: Da bin ich empfindlich.) Ich schreibe über Dinge, die passieren, wo ich lebe … Außerdem ist die Karibik heute in New York und Lateinamerika in Miami.“
„So habe ich das nicht gemeint …“
„Dann sagen Sie mir doch gleich, was ich schreiben soll!“, jetzt kläffte ich richtig.
Ich spürte, wie er am anderen Ende einen Satz zurück machte.
„Das war nur ein Vorschlag.“
„Ich habe mir die Unabhängigkeit in Amerika erkämpft, indem ich acht Stunden am Tag auf einer alten klapprigen Schreibmaschine getippt habe. Die Fabrik war die Alternative. Zuerst war es noch beides. Und ganz allmählich war es nur noch das. Wenn jetzt einer kommt und mir meine Remington 22 nehmen will, schieße ich ihm eine Kugel in den Kopf … Achtung, ich bin ein Spinner und kann zielen.“
Natürlich war das ziemlich übertrieben, aber ich hatte Spaß daran, in den etwas weichen aristokratischen Schädel dieses höflichen jungen Mannes einen Nagel reinzuhauen. Er kommt bestimmt gerade von Harvard oder einer anderen Spitzenuniversität, die junge WASPs so gut darauf vorbereiten, von der Wall Street aus die Dritte Welt verhungern zu lassen. Zum Glück beherrschten sie nicht den Kampf Mann gegen Mann, die bevorzugte Sportart der Hungerleider.
„Einverstanden“, stammelte er endlich.
Dabei hatte ich ihm meine Entscheidung noch gar nicht zu Ende erklärt.
„Was waren die Azteken eigentlich? Hä? Nichts als ein paar stinkreiche Degenerierte, dazu arrogant und pervers, die das Volk arbeiten ließen, damit sie selbst untätig bleiben konnten. Die aztekische Kunst? Geschaffen von mies bezahlten Leuten. Heute sind die Amerikaner an ihre Stelle gerückt und keinen Deut besser. Eines Tages sind die Schwarzen an der Reihe. Die Schwarzen werden die schlimmsten Imperialisten sein, denn sie haben zu viel gelitten. Man sollte das Schicksal des Planeten nicht in die Hände derer legen, die durch die Hölle gegangen sind.“
Kein Laut am anderen Ende. Ich hatte den Feind platt gemacht. Nun blieb mir nichts mehr übrig, als die Festung einzunehmen. Wirklich wahr, in der Neuen Welt herrscht Krieg.
IV
Ich bin also überall in Nordamerika hingefahren. Ich habe gesehen, wie die Schwarzen, die Weißen, die Roten und die Gelben leben. Also eigentlich alle. Und ich fand heraus, Alter, dass wahr ist, was man über Amerika sagt. Amerika schluckt alles. Es ist der weiche Bauch der Welt. Das letzte unschuldige Volk. Dagegen erscheinen die Buschleute wie listige Teufelchen. Sie werden sagen: Was? Er wiederholt das abgehalfterte Klischee des naiven Amerika, Alter, damit ist es doch längst vorbei! Im Gegenteil, Bruder! Es gilt immer noch. Die Mechanik läuft wie neu. Zweihundert Jahre sind im Vergleich zur Menschheitsgeschichte eben nicht mehr als ein Augenzwinkern, so viel wie nichts. Amerika ist wie eines der gut genährten Babys aus der Reklame. Und die Amerikaner leben miteinander, als gäbe es auf dem Kontinent niemanden sonst. Oder auf dem Planeten. An der Tankstelle, wo ich volltanke, meine ich gerade den Ansturm einer Horde eindrucksvoller Barbaren zu erleben. Studenten aus Indianapolis (jeder Staat hat ein eigenes Autokennzeichen) kicken einen Fußball zwischen den Autos und den Tanksäulen hindurch. Sie haben weite T-Shirts mit den Farben ihrer jeweiligen Unis an. Sie sind groß, blond, athletisch. (Trägst du da nicht ein bisschen dick auf? Nein, Bruder, sie sind wirklich so, wie man sie sich vorstellt.) Jede ihrer Bewegungen scheint wie neu, als hätten diese jungen Männer keine Verbindung zur übrigen Menschheit. Sie sind einzigartig. Sie verschlingen tonnenweise Hamburger, trinken Bäche von Coca Cola und verbringen die Hälfte ihres Lebens vor dem Fernseher. Sie beten alle möglichen Götter an und außerdem einen einzigen Gott. Sie töten auf alle erdenklichen Weisen. Sie kennen keine Reue. Die Welt ist ein Kinderspielzeug in ihren Händen. Sie machen es kaputt, reparieren es wieder und werfen es dann weg. Sie wissen nichts von der Vergangenheit und verachten die Zukunft. Sie kennen nur den gegenwärtigen Moment. Sie sind Götter. Und ihre Schwarzen sind Halbgötter.
V
In Amerika ist nur eines von Bedeutung: der Erfolg. Um jeden Preis. Egal mit welchen Mitteln er erreicht wird. Das Wort „Erfolg“ hat nur in Amerika einen Sinn. Es heißt, dass die Götter dich lieben. Dann kommen die anderen Menschen näher, schnuppern an dir (das betäubende Parfüm des Erfolgs), fassen dich an und beginnen um dich herum zu tanzen. Du bist ein Gott. Ein Gott unter den Herren der Welt. Weiter kannst du nicht aufsteigen. Das ist der Gipfel. Das Dach der Welt. Und vor allem: Jetzt sehen sie dich. Wer in Amerika schaut, ist immer der Unterlegene, bis ein anderer auf ihn schaut. Es ist nur ein verstohlener, kurzer Blick (nicht länger als fünfzehn Minuten, nicht wahr, Warhol!), denn in Amerika gibt es immer etwas Neues zu schnuppern. Eben, „das neue Parfüm“.
VI
Lange Zeit meinten die Schriftsteller, auf den Erfolg pfeifen zu können. Es galt schlicht als unmöglich, gleichzeitig ein guter und ein bekannter Schriftsteller zu sein. Die Autoren gaben sich mit mickrigen Auflagen zufrieden und waren deshalb von der Gunst der Verleger, Buchhändler und weiterer Mittelspersonen abhängig. Und doch wagten diese Autoren, anderen Ratschläge zu erteilen. Das Schlimmste an dem Zustand ist, dass sich bis heute nicht viel verändert hat. Welcher junge Schriftsteller hätte den Mut, die Veröffentlichung seines Romans bei Gallimard (ich wähle die beste Adresse in Frankreich) abzulehnen, nur weil die Vertragsbedingungen schlecht sind? Im Gegenteil, er ist glücklich, Fleisch von seinem Fleisch und Blut von seinem Blut fast kostenlos zu opfern, denn so nenne ich das, wenn einer fünf Jahre hart geackert hat. Am Tag der Unterzeichnung lädt er sogar ein paar Freunde ein, um diesen Vertrag zu feiern. Man würde ihm gerne in aller Freundschaft erklären, dass Gallimard primär ein Geschäftsmann ist (aber ja doch) mit dem Hauptziel, Bücher zu verkaufen (hoffentlich), und zwar so viele wie möglich. Man würde ihm auch gerne erläutern, dass dieser mächtige Verlag eine Armee von Buchhaltern besitzt und äußerst nervöse Erben, die mehr Zeit verbringen, Geschäftsbücher zu wälzen als die Gedichte von René Char zu lesen. Aber nur eine Andeutung in diese Richtung, und er läuft schreiend davon. Dieser junge Autor schreibt nicht, um reich oder bekannt, sondern um bewundert zu werden (und das hält er bereits für ein Zugeständnis). Ich bin verblüfft, dass ein klar denkender und intelligenter junger Mann (das schreiben selbst die Kritiker), die enge Verbindung nicht sieht zwischen der Frage, ob man gelesen wird und der, ob man bekannt und reich ist. Je mehr du gelesen wirst, desto bekannter bist du und desto schneller wirst du reich. Und am Ende auch frei. Diese Gleichung hatte ich immer vor Augen.
VII
Ich habe acht Hefte mit Szenen mitten aus dem Leben vollgeschrieben und Hunderte Fotos geknipst. Amerika ist ein Berg fertiger Bilder. Für diese Reportage habe ich das Muster der Städte nachgezeichnet. Die großen Städte verbindet nichts, was eine Gesamtheit, ein Land ergeben würde. Die Städte sind über die Landschaft verteilt (New York, Miami, Chicago, Dallas, Washington, Baltimore, Los Angeles, Boston, San Francisco), jede bewahrt ihre Persönlichkeit, ihre Unabhängigkeit, ihre Stimmung, ihren Stil, aber alle streben mit wildem Verlangen danach, eine amerikanische Stadt zu sein. Dagegen sind die Kleinstädte echte Rattenlöcher, mit den immer gleichen Läden, den gleichen Banken, dem gleichen halben Dutzend Fast-Food-Restaurants, mit den gleichen Redneck-Bullen, die nur am Samstagabend abgehen, mit dem gleichen bescheuerten Lokalfernsehen (neulich erzählte ein Schriftsteller, in dem kleinen Fernsehsender einer Stadt im Mittleren Westen habe man ihm am frühen Morgen die Frage gestellt: „Dann handelt Ihr Buch vom Wesen des Menschen?“), dem gleichen tendenziösen Provinzblatt und den gleichen verblödeten Jugendlichen. Was ist eine amerikanische Stadt? Die amerikanische Realität (der Raum, die Zeit, die Leute und vor allem die Dinge) erscheint mir näher am Film als am Roman zu sein, näher am schnellen Schnitt als an langen Einstellungen, die Szenen schieben sich ineinander statt aufeinander zu folgen, diese Realität scheint mir näher an der Wut als am Mut, näher am Instinkt als am Verstand. Wenn die amerikanische Realität einem Spielfilm gleicht, ist das Leben eines Amerikaners ein Videoclip.
Aus allen diesen Gründen haben die amerikanischen Schriftsteller (ich rede nicht von Leuten, die ihre Wälzer in den Supermärkten losschlagen) Probleme mit dem Roman und zeichnen sich so sehr mit ihren Kurzgeschichten aus. Der zeitgenössische amerikanische Roman ist in der Regel eine Sammlung kurzer Texte, die ein fester, aber dehnbarer Faden verbindet (das Gefühl, amerikanisch zu sein). Dagegen ist das Leben eines Amerikaners eine Sammlung von Fakten (daher der Eindruck der Leere). Auch dieses Buch folgt der Regel des amerikanischen Romans.
DIE KUNST, BERÜHMT ZU WERDEN OHNE ZU ERMÜDEN
Ich hatte Erfolg mit dem Titel meines ersten Romans. Auch Leute, die das Buch nie gelesen haben und, vor allem, auch nie lesen wollten, kennen den Titel. Ihn zu finden hat genau fünf Minuten meines Lebens gekostet. Für das Schreiben des Buchs brauchte ich drei Jahre. Wenn ich das gewusst hätte … Unnötig, Hunderte von Seiten vollzuschreiben, neun Wörter hätten genügt. DIE KUNST, EINEN SCHWARZEN ZU LIEBEN OHNE ZU ERMÜDEN.
Ich habe mir etwa zwanzig Reaktionen genau notiert, die sich nur auf den Titel bezogen:
1.Auf einer Cocktailparty in Outremont (Quebec):
„Sind Sie der Autor des Romans mit diesem Titel?“
„Ja, leider.“
„Warum leider? Er ist wunderbar! Sie sind enorm talentiert!“
„Danke.“ (Meine einzige Frage: Soll ich sie flachlegen oder nicht?) Sie schaut mich weiter mit diesem blödsinnigen Lächeln auf den Lippen an. Ihr Mann lächelt ebenfalls. Die beiden sind Kunstsammler und besitzen eine Kette von Bekleidungsgeschäften.
„Mein Mann hat das Buch nicht gelesen, aber über den Titel hat er sehr lachen müssen (erzählt sie und lacht dabei ebenfalls), das kann ich Ihnen sagen. Der Titel ist so witzig!“
„In unseren Geschäften in der Provinz verkaufen wir auch Dessous …“ (Bemerkt er ein wenig verlegen.) „Ich sagte zu meiner Frau, Ihr Titel würde gut in unseren Katalog passen …“
„Hören Sie nicht auf ihn“, redet die üppige Rothaarige sofort dazwischen, „er denkt nur ans Geschäft …“
„Aber nein“, werfe ich ein, „ich finde das eine gute Idee …“
Sie lacht lauthals und klatscht (ein wenig krampfhaft) Beifall.
„Sie würden das machen! Wundervoll! Zu allem ist er überhaupt nicht eingebildet! Wirklich, Sie muss ich unbedingt treffen …“
„Hören Sie mal“, der Mann spricht nun wieder im harten Ton des Geschäftsmanns, „wir probieren das im Frühjahrskatalog mal aus. Wenn es gut läuft, bekommen Sie einen Vertrag … Ich selbst bin überhaupt kein Rassist, aber ich muss abwarten, wie die Kundschaft reagiert. Keine Sorge, ich bin fast sicher, dass das laufen wird …“
„Was erzählst du da, Schatz? Das läuft bestimmt …“, wendet sie sich mit einem bereits verständnisinnigen Lächeln an mich. „Es ehrt uns, Ihren Namen in unserem Katalog zu haben.“
Er zieht seine Frau weg in Richtung Bar.
„Vergessen Sie nicht, wir müssen uns unbedingt treffen. Ich bestehe darauf …“, wirft sie mir mit einem gehauchten Kuss zu.
2.In Madrid (Spanien) ruft mir eine junge Feministin entgegen: „Ich habe deinen Titel nur ein bisschen verändert, willst du wissen, was rauskommt?“
„Klar.“
„Die Kunst, einen Schwarzen zu lieben ohne IHN zu ermüden.“
3.Zuvor hatte ich schon beim Filmfestival in Leeds (England) einem jungen Mädchen auf die Frage geantwortet, warum ich diesen Titel gewählt hätte: „Junge Dame, ohne diesen Titel wären Sie vielleicht heute Abend nicht hier.“ Gelächter im Saal.
4.In New York (USA) kam ein junges Mädchen (noch eines!) bei der Premiere des Films, der nach dem Buch gedreht wurde, auf mich zu:
„Sind Sie der Autor des Romans?“
„Ja.“
„Schämen Sie sich nicht wegen dieses Titels?“
„Nein.“
Da schleuderte sie mir den Inhalt ihres Weinglases ins Gesicht.
5.In London (England) lädt mich ein sehr langer, hagerer Typ ein, mit ihm ein Glas zu trinken.
„Soeben habe ich meinen Roman beendet. Der Verleger meint, der wird einschlagen, nur gefällt ihm der Titel noch nicht.“
„Das ist immer das Problem mit den Verlegern.“
„Nun, es ist wohl das erste Mal“, sagt er mit einem leisen Lächeln, „dass ein Weißer darüber schreibt, wie sehr er sich zu schwarzen Männern hingezogen fühlt.“
„Ach ja …“
„Der Verleger sagt, das gibt einen Skandal … Ich möchte Sie etwas fragen (plötzlich in verändertem Ton). Es ist sehr persönlich … Natürlich können Sie ablehnen. (Herrgott!, denke ich. Ich soll ihm einen blasen, hier, in diesem Pub. Die Engländer sind wirklich schräg.)
„Leihen Sie mir Ihren Titel?“
„Was?“
Ein sehr breites Lächeln.
„Nicht wahr, das gab es noch nie! Jedenfalls noch nie mit der Zustimmung des Autors. Der Verleger sagt, wenn Sie es erlauben, ist das juristisch abgesichert. Zu meinem Thema passt nur Ihr Titel. Solange ich darüber nachdenke, es kommt nur Ihr Titel in Frage.“
„Wenn nur er in Frage kommt, wie Sie sagen, nehmen Sie ihn, aber ich warne Sie, er bringt kein Glück! Man wird ihn nicht so einfach los …“
„Die Kunst, einen Schwarzen zu lieben ohne zu ermüden, von John Ferguson. Wissen Sie, mein Verleger ist ein enger Freund des Verlegers von Salman Rushdie.“
6.In Paris (Frankreich) gesteht mir eine junge, etwas flippige Frau bei einem Glas Wein im Café Flore: „Weißt du, ich habe dein Buch nicht zum Lesen gekauft. Es liegt auf meinem Nachttisch, das hält mir die Aufschneider vom Leib.“
7.Ein junger Weißer aus Chicago fand den Titel beleidigend. Ein junger Schwarzer aus Los Angeles fand den Titel rassistisch. Eine junge Frau aus Montréal fand ihn sexistisch. BANCO! Ich nehme es mit allen auf!
8.In Toronto (Kanada) las ein junges Mädchen den Roman im Bus, bis sie merkte, wie alle sie neugierig anschauten.
„Ich hatte nicht daran gedacht, dass sie den Titel auf dem Buch lesen konnten.“
„Und weiter?“
„Noch nie im Leben war mir etwas so peinlich.“
9.In Tokio (Japan) wurde der Titel komplett ausgetauscht. Der Mann vom Vertrieb sagte zur Begründung: „Im Japanischen haben wir diese Wörter nicht.“
10.In Pretoria (Südafrika) lädt mich eine etwa fünfzigjährige Weiße zu einem Glas ein, in einer Bar in der Nähe der Alliance Française, wo ich gerade einen Vortrag gehalten habe.
„Sie können sich nicht vorstellen, welchen Effekt Ihr Titel auf mich hat.“
Schweigen.
„Mein ganzes Leben hatte ich an diese Möglichkeit gar nicht gedacht. Und plötzlich lese ich im Schaufenster einer Buchhandlung diese schrecklichen Worte.“
„Welche Worte?“
„Ihr Titel, Monsieur … Eine Woche lang bin ich jeden Tag zu dem Buchladen gegangen, nur um diesen Titel zu sehen. Und jedes Mal hatte er die gleiche Wirkung auf mich. Es gibt keine Worte, um auszudrücken, was ich dabei empfinde. Wie wenn heißes Blei in meinen Adern fließt. Ich ging nach Hause und musste mich sofort ins Bett legen, so erschöpft war ich. Als hätte ein Güterzug mich überrollt. Worte können schlimmer sein als Taten, wissen Sie.“
11.In Rom (Italien) flüsterte eine kleine, magere Frau (wirklich nur Haut und Knochen) eines gewissen Alters von der Sorte Baronin Soundso mir direkt ins Ohr:
„Sie werden nie erraten, wo ich mir Ihren Titel habe hin tätowieren lassen.“
„Nein.“
„Das habe ich mir schon gedacht“, ließ sie geheimnisvoll fallen, während sie in der Menge des mondänen Empfangs bei Gräfin Soundso entschwand.
Wohin hatte sie sich auf diesen spargeldünnen Leib nur diesen langen Titel tätowieren lassen?
12.In Port-au-Prince (Haiti) raunte mir ein blasierter Freund zu: „An deinem Buch ist nur der Titel interessant.“
13.In Brüssel (Belgien) brüllte mich ein afrikanischer Schriftsteller an:
„Merk dir gut, was ich dir jetzt sage, Bruder, in drei Wochen redet keiner mehr von deinem Buch.“
14.In Antwerpen (Belgien) hat die Übersetzerin den Titel noch verbessert, auf Flämisch heißt er: „Die Kunst, einen Schwarzen zu lieben ohne schwarz zu werden.“
15.In den USA haben alle großen Zeitungen den Titel zensiert: die New York Times, die Washington Post, der Miami Herald, die Los Angeles Times, die Chicago Tribune, die Daily News, der Boston Globe, die New York Post, alle.
Ich wurde gebeten, den Titel zu ändern. Darauf erwiderte ich, Amerika müsse sich ändern.
16.In San Francisco (Kalifornien) fanden sie den Titel gut, aber San Francisco zählt nicht.
17.In Sydney (Australien) hat mich eine Frau ziemlich frech aufgefordert, den Beweis meines Titels anzutreten.
Es gibt auch solche Tage.
18. In Stockholm (Schweden) hat mir eine blonde junge Frau (was für ein Zufall, Alter!) lachend ihren Schwarzen Freund vorgestellt.
„Frag mal Seko, wer als erster müde wird.“
„Bestimmt Seko“, antwortete ich.
Seko brach in ein schallendes guineisches Lachen aus.
„Die Kunst, zwei Schwarze zu lieben ohne zu ermüden“, murmelte sie mit Schlafzimmerblick.
Seko lachte nicht mehr.
19.In Amsterdam (Niederlande) verlangte eine junge Sekretärin Antwort auf die schwerwiegende Frage:
„Was ist die Kunst, einen Schwarzen zu lieben ohne zu ermüden?“
„Man muss es IHM überlassen.“
20.Überall auf der Welt hat man mir die gleiche Frage gestellt: Warum dieser Titel? Warum nicht! Eines ist sicher: Ich will nichts mehr davon hören! Ich hatte eine Überdosis. Jetzt löst er bei mir Brechreiz aus. Ich verrate Ihnen mal, wie er zustande kam. Bouba hat ihn gefunden. Ich erinnere mich, wir gingen in Montréal die Rue Saint-Denis hinunter. Es regnete. Ein Sommerregen. Da sagte Bouba (wie in einer Traumszene) sehr langsam: „Die Kunst, einen Schwarzen zu lieben, wenn es regnet und man nichts anderes zu tun hat.“ Sein Titel war länger, aber noch witziger.
Mein erster Roman. Die Götter hätten wenigstens den dritten abwarten können, bevor sie mich straften. Beim ersten Schuss ins Schwarze. Nicht einmal mit dem ersten Roman. Nur mit dem Titel.