Kitabı oku: «Granate oder Granatapfel, was hat der Schwarze in der Hand», sayfa 2

Yazı tipi:

I. TEIL
WO?
ICH BIN EIN SCHWARZER SCHRIFTSTELLER

Eine junge Frau sprach mich mitten im Verkehr auf der Straße an.

„Sind Sie der Schriftsteller?“

„Manchmal.“

„Kann ich Ihnen eine Frage stellen?“

„Nur zu.“

„Ist das Ihre Geschichte?“

„Was meinen Sie?“

„Ich habe Sie neulich im Fernsehen gesehen und frage mich, ob Sie das wirklich alles erlebt haben.“

„Teils, teils.“

Sie schien weder überrascht noch verblüfft zu sein. Sie wollte einfach eine Erklärung.

„Ist das alles?“

„Ich weiß nicht, was ich sagen soll … Keiner kann eine Geschichte genau so erzählen, wie sie sich zugetragen hat. Man probiert herum. Man versucht, die Empfindung des Moments wiederzufinden. Am Ende wird man nostalgisch. Und wenn es etwas gibt, was fern jeder Wahrheit liegt, ist es die Nostalgie.“

„Dann ist es also nicht Ihre Geschichte.“

„Ich möchte Ihnen auch eine Frage stellen.“

„Wieso mir!“, wehrte sie errötend ab, „Ich habe doch kein Buch geschrieben.“

„Ja, aber Sie lesen.“

„Stimmt, ich lese gern.“

„Warum ist es Ihnen so wichtig zu wissen, ob die Geschichte so passiert ist?“

Kurze Pause.

„Ich möchte wissen, ob der Autor das alles echt erlebt hat.“

„Ja … aber warum?“

„Ich weiß nicht …“, sagte sie mit ihrem empfindsamen Lächeln.

„… man fühlt sich ihm dann näher.“

„Und wenn er Sie anlügt?“

„Wieso?“

„Wenn er behauptet, er hätte das erlebt und es ist nicht wahr?“

„Dann bin ich enttäuscht …“ (sie lachte etwas geniert.) „Man wird die Wahrheit wohl nie erfahren.“

„Warum also?“

„Nur so eine Idee.“ Und lachend: „Wollen Sie etwas verbergen?“

„Vielleicht, aber ich weiß nicht, was …“

Sie lächelte wieder.

Ich fragte sie völlig unvermittelt: „Wie lesen Sie?“

„Überall.“

„In der U-Bahn?“

„Auch in der U-Bahn.“

Nichts ist für mich faszinierender als ein junges Mädchen, das in der U-Bahn liest. Ich weiß nicht warum, aber Tolstoi ist in der U-Bahn mit Abstand der Sieger, mit Anna Karenina, natürlich.

„Es gibt Leute, die überall lesen, aber nicht irgendwas“, sagte ich, um irgendwas zu sagen.

„Ich lese alles mögliche.“

„Dann sind Sie die perfekte Leserin.“

Ein Wagen fuhr dicht an uns vorbei. Sie sprang zur Seite.

„Ich bin sicher, Sie lesen die Bücher nicht zu Ende.“

„Entschuldigen Sie, das habe ich nicht richtig verstanden“, sagte sie, während sie sich mit Mühe wieder fing.

„Wenn Sie ein Buch beginnen, lesen Sie es bis ans Ende?“

„Immer.“

Sie war wieder da.

„Irgendwo stimmt was nicht“, behauptete ich mit einem Lächeln.

Sie lachte leise.

„Vielleicht, dass ich mir nichts merke.“

„Was heißt das, nichts.“

„Ich meine, weder den Namen des Autors …“

Es gab mir einen kleinen Stich ins Herz.

„… noch den Titel“ fügte sie hinzu.

„Eigentlich ist das nicht schlimm, denn wichtig ist nur das Buch.“ Ein leiser Seufzer.

„Ich kann mir auch nicht merken, worum es geht … Manchmal kommt es mir vor, als hätte ich noch nie ein Buch gelesen.“

„Das ist unglaublich … Sie lesen etwas und im nächsten Augenblick haben Sie es vergessen?“

„Genau.“

Ein längeres Schweigen.

„Warum lesen Sie überhaupt?“

„Zum Zeitvertreib.“

„Ach so … Macht es Ihnen etwas aus, dass Sie alles vergessen?“

„Oh ja!“

Jetzt wurde ihr offenbar peinlich bewusst, dass ich ihr eine sehr persönliche Frage gestellt hatte.

„Doch in Ihrem Alltag stört Sie dieses Handicap nicht?“

„Nein, denn es geht mir nur mit den Büchern so. Sie meinen, mir fehlt etwas? Bestimmt nicht, ich arbeite in einem Büro ganz in der Nähe und ich schwöre Ihnen, da brauche ich ein gutes Gedächtnis … Ich bin Anwaltsgehilfin.“

„Wie kommt es, dass Sie mich einfach auf der Straße angesprochen haben? Ich merke doch, dass Sie eigentlich schüchtern sind …“

Sie schenkte mir ihr schönes kehliges Lachen.

„Ja, ich bin schüchtern. Ich weiß nicht. Vielleicht weil ich Sie schon im Fernsehen gesehen habe.“

„Vielleicht haben Sie auch schon eines meiner Bücher gelesen.“

„Nein, das glaube ich nicht.“

Kurze Pause.

„Oder doch … Vielleicht habe ich eines Ihrer Bücher gelesen.“

„Sie geben einem wirklich keinen Anlass, stolz zu sein.“

Wieder dieses kleine schüchterne Lachen.

„Entschuldigen Sie …“

„Ich möchte Sie gerne etwas fragen …“

„Ja“, hauchte sie und legt den Kopf zur Seite.

„Sind Sie verliebt?“

Diesmal war ihr Lachen heiser:

„Sie sind aber neugierig … Es ist wahr, Sie sind ein echter Schriftsteller.“

„Ein Schwarzer Schriftsteller“, ergänzte ich lachend.

„Was heißt das? Ist es besser?“

„Leider nicht.“

„Das heißt?“

„Es ist nicht besser.“

„Ach so.“

„Ja.“

„Schade.“

„Es hat auch Vorteile …“

„Nämlich?“

„Wir sind weniger … Es fällt leichter, der größte lebende Schwarze zu werden.“

„Und dann?“, fragte sie mit einem verschmitzten Lächeln.

„Dann stirbt man.“

Mein Blick war kurz von einem Mädchen abgelenkt, das auf der anderen Straßenseite entlangging. Sie hatte einen wirklich kurzen grünen Rock (ein Taschentuch) und Beine, die wohl noch etwas teurer waren als eine Brosche bei Tiffany’s. Als ich mich wieder umwandte, um das Gespräch fortzusetzen, war meine Gesprächspartnerin weg. Woher kam sie? Wohin ging sie? Was wollte sie? Das sind Fragen, die man in Nordamerika nicht stellt.

IN DER BADEWANNE

Damals wohnte ich in der Rue Saint-Hubert, hinter dem Busbahnhof von Montréal. Die Autobusse starteten pausenlos zu Zielorten (Shawinigan, Rimouski, Gaspé), die für mich damals exotisch klangen. Von meinem Fenster beobachtete ich noch mit einem Gefühl der Überlegenheit (da waren Passagierdampfer was anderes), wie sie losfuhren. Ich wohnte allein, in einem Zimmer im dritten Stock. Eine kleine Küche, ein aufgeplatzter Sessel, ein Sofa und überall Bücher. Dazu meine Remington 22. Es war nicht schwierig, an der Ecke frisches Gemüse zu kaufen und bei dem winzigen Dépanneur gleich nebenan fand ich billigen Wein bis in die Nacht. Wenn ich mich einsam fühlte, brauchte ich nur die U-Bahn zu nehmen und konnte mit einer Fahrkarte mir den ganzen Tag meinen Weg durch diesen Dschungel aus Leibern, Hintern und Sprachen bahnen und vor allem den fremden Geruch dieser Menschen schnuppern. Die meisten Leute fahren im Sommer lieber mit dem Bus. Ich steige gern in die Erde hinab, auf der Suche nach dem Minotaurus. In der U-Bahn auf die Jagd zu gehen, ist wie Angeln in einem Aquarium. Du musst nur hineinlangen und den schönen prallen rosa Fisch herausholen. Man kann es sich leisten, wählerisch zu sein. An diesem Fisch ist mir nicht genug Fleisch, ich glaube, ich lasse ihn weiterschwimmen. Einfach so. Aus Lust und Laune. Es gibt ja noch andere. In der U-Bahn herrscht kein Mangel an Mädchen. Sie fahren weg, sie kommen an. Und das alles nur drei Minuten zu Fuß von meiner Bude entfernt. Geil! Es kommt manchmal vor, dass ich ein Mädchen mit zu mir nehme, ohne sie überhaupt nach dem Namen gefragt zu haben. Umgekehrt gilt das wohl auch. Ihr ist mein Name ebenfalls völlig egal. Heute höre ich häufig, die Männer dächten nur an den Akt, während die Frauen mehr auf Zärtlichkeit Wert legten. Bullshit! Ich glaube, es sind stets dieselben Gefühle (Zärtlichkeit und sexuelles Verlangen), die alle empfinden, nur gehen manche Menschen mehr aus sich heraus. Ich kenne sehr starke lautlose Orgasmen. Ich sehe ganz genau die junge Chinesin mir gegenüber an, wie sie ein Buch liest, mit ihren feingliedrigen Fingern. Welches? Ich lehne mich nach vorn. Hemingway. Der berühmte kubanische Schwertfischangler, Ernest, der Rohling. Was sucht er denn in der U-Bahn von Montréal? Noch als Toter richtet er bei den stillen jungen Mädchen Verheerungen an. Seltsam, wie sehr die schüchternsten Frauen sich von Ungeheuern angezogen fühlen. Aber heute Morgen möchte ich es nicht mit Papa aufnehmen. Meine Stimmung ist eher beschaulich. Sie liest also Paris ist ein Fest auf Französisch, das kleine hübsche Büchlein, das Hemingway seiner Lieblingsstadt und Hardley widmete, einer Frau, die er noch als junger linkischer Provinzler aus Illinois kennengelernt hatte. Ich betrachte die sorgenvolle Stirn und den winzigen Mund des jungen Mädchens, der sich bewegt, ohne dass ich einen Laut höre. Stilles Lesen. Ein ganzes Netz von Sprachen. Zuerst Chinesisch (woher ich weiß, dass sie Chinesin ist? Sie ist an der Station Place d’Armes eingestiegen, die mitten im Chinesischen Viertel liegt), dann Englisch (die Sprache Hemingways), schließlich das Französische (der Übersetzung). Gehen wir davon aus, dass mein Blick kreolisch ist (meine Muttersprache). Alles spielt sich ab, während die U-Bahn blind ihre Fahrt durch den Tunnel fortsetzt. Irgendwann, an der Station Bonaventure, ist ein Mann mit einer Kamera eingestiegen und hat die Leute zum Sommer befragt. Was sie an dieser Jahreszeit mögen. Mit ihrer Mimik hat die junge Chinesin so getan, als könne sie kein Französisch, um nicht antworten zu müssen. Eine gut gekleidete Dame hat viel von den Nachteilen erzählt, die der Sommer bringt. Diese unerträgliche Hitze, zumal Montréal auch noch so feucht ist. Den anderen Fahrgästen schienen ihre Äußerungen nicht zu gefallen. Ein Mann sagte sogar, die Leute seien nie zufrieden: Den ganzen Winter über riefen sie nach dem Sommer, und sei er endlich da, kritisierten sie ihn. Der Mann mit der Kamera wollte mir die Frage lieber nicht stellen, aber ich habe trotzdem ein wenig darüber nachgedacht. Ich bleibe im Sommer am liebsten in der Stadt. Und da alle genau dann wegfahren aufs Land, teile ich Montréal mit der glitzernden Schar der Liebhaber des Jazz, des Feierns und des Kinos. Die Leute reisen aus ganz Amerika hierher. Eine anregende Truppe. Wenn ich sie sehe, habe ich Ameisen im Hirn. Echt aufregend. Eine neue Energie. Mädchen in kurzen Röcken mit einem Programm des Jazzfestivals in der Hand, das ist vielversprechend. Ich setze mich gern auf die Bank am Eingang des Pariser Kinos, um mir die erleuchteten Gesichter der Leute anzusehen, die aus den verdunkelten Sälen kommen. Ich flaniere auch gerne über die Rue Saint-Denis, wo die Jazzliebhaber herumstehen mit ihrem sehr speziellen Aussehen. So viel ist klar, ich schaue lieber, als tätig zu werden. Am besten wäre es, ich könnte all das erleben, ohne meine Bude zu verlassen … Diesen Sommer habe ich keine Lust, aus meiner Badewanne zu steigen. Aber sich nicht zu rühren, ist kostspielig. Ich habe wahrscheinlich nicht genügend Geld, um mir diesen Luxus zu leisten. Kaum beginnt der Sommer, stürzen die Leute in die Läden, um sich irgendein Buch zu kaufen, Hauptsache es hat mindesten 600 Seiten, der Autor ist Amerikaner oder die Farben auf dem Titelbild passen einigermaßen zu ihrem Badeanzug. Und ach! Fast hätt’ ich’s vergessen, der Titel muss möglichst blödsinnig sein. Anschließend rennen sie ins Reisebüro, um schleunigst den Mexikanern auf den Keks zu gehen. Jeden Sommer ertappe ich mich bei dem Traum, sie mögen nie mehr zurückkehren. Was für ein Träumer ich bin, sie kommen jedes Mal zurück und haben Handtuch, Buch und Hund am Strand vergessen.

Als ich heute Abend nach Hause kam, fand ich in meinem Briefkasten wie immer Rechnungen, die ich sofort zerriss (ich weiß, viele Hausfrauen würden das auch gerne tun, ich kann es mir leisten, weil ich nichts besitze, was der Gerichtsvollzieher bekleben könnte: nur ein paar Bücher und eine alte Schreibmaschine, trotz meines erfolgreichen Romanerstlings. In den Augen der anderen sehr erfolgreich, privat weiterhin arm). Doch was sehe ich ganz unten im Kasten? Einen kleinen gelben Umschlag. Ich öffnete ihn so gierig, dass ich fast den Scheck zerrissen hätte (ein saftiger Vorschuss für die Reportage über Nordamerika, schon klar, hauptsächlich über die Vereinigten Staaten, denn daher kommt mein Geld. Wie beim Kino, wo das Filmland von der Herkunft des Geldes abhängt. So vermeidet man die lächerlichen Identitätsdebatten, die den Professoren für Postkoloniale Literatur so viel bedeuten). Dieses Geld ist für die Reisekosten vorgesehen: die Flugtickets, die Zugfahrkarten, die Busfahrkarten, die Mahlzeiten, Hotels et cetera. Diese Typen sind wirklich schnell. Bei mir ist es das Gegenteil. Ich bin sehr langsam. Ich werde mich einen guten Monat ausruhen müssen, bevor ich meine Erforschung Amerikas unternehme. Am besten fange ich damit an, diesen Scheck auf den Kopf zu hauen. Nachdem ich die Miete für den gesamten Sommer auf die Seite gelegt hatte (obwohl man nicht da ist, muss man die Miete, das Telefon, den Strom et cetera bezahlen), ging ich und kaufte mir das Gesamtwerk von Walt Whitman, dazu alle Romane von Dostojewski aus dem Verlag La Boëtie, eine Reiseerzählung von Naipaul und einen wunderschönen Brieföffner. Da Heißwasser mich nichts kostet, verbringe ich den ganzen Tag in der Badewanne. Nur nachts gehe ich vor die Tür. Ich lege mich in die randvolle Badewanne, nachdem ich auf einen Stuhl in Reichweite die Bücher und dazu ein Frottiertuch gelegt habe, um die Hände abzutrocknen. Dieses Abenteuer unternehme ich zum allerersten Mal. Einen ganzen Monat einen einzigen Autor zu lesen (Whitman spare ich mir für die Reise auf). Ich glaubte, so ein snobistisches Verhalten legten nur Proustleser an den Tag. In dieser Badewanne, die ich nur verließ, um mir mittags einen Obstsalat und abends Spaghetti mit Tomatensoße zuzubereiten, habe ich dann die aufregendste Reise meines Lebens unternommen. Zum einen durch das riesige zumeist vereiste Russland, zum anderen durch eine noch mysteriösere Gegend, das Herz von Dostojewski. Mehr brauche ich nicht zum Glücklichsein.

Dann kommt immer der Moment der Entscheidung, wenn meine Nachbarin, und zwar die, die jeden Sommer fast nackt auf ihrem Balkon sonnenbadet, bei mir klopft, damit ich ihr helfe, eine Flasche Rotwein zu öffnen (Wein ist für mich nur der rote). Ich komme ins Schwimmen. Ich bin schon derart beschäftigt mit der schrecklichen Gruschenka, wegen der sich die beiden Brüder Karamasov in Verlangen und Eifersucht verzehren werden. Mörderischer Liebeswahn. Aber diesmal hat sie einen anderen Vorwand, sie will von mir eine Zitrone. Sogleich und vor meinen Augen nimmt Sonia, so heißt die Nachbarin, die Züge von Gruschenka an. Ist dieser Schriftsteller so stark? Warum waren mir bisher die hohen Wangenknochen, die vollen Lippen und die Augen einer Tartarenprinzessin bei meiner Nachbarin nie aufgefallen? Dass sie immer so viel trinkt, bis sie am Boden liegt. Ihr strahlendes Lächeln, das mit finsteren Blicken wechselt. Ich sehe wieder, wie sie mir an manchen Tagen mit verschlossener, wütender, finsterer Miene begegnet. Die schwarze Flagge der Depression. Wenn ich die Treppe heraufkam, hatte ich häufig ein lautes Gebrüll aus ihrer Wohnung gehört und das immer auf die Einsamkeit der Ehefrauen zurückgeführt, wenn der Mann auf den Baustellen von Saint James-Bay arbeitet. Die Traurigkeit der Verlassenen. Ich fülle heißes Wasser nach (gerade heiß genug, dass es mir angenehm ist) und tauche wieder in das dostojewskische Universum. Dieser Fjodor Michailowitsch ist ein echter Teufel! Nach drei Abschnitten hat er mich wieder am Haken.

Da kommt die schreckliche Sonia schon wieder. Ich höre auf der Treppe ihre entschiedenen Schritte. Sie hat sich umgezogen und trägt jetzt ein leichtes gelbes Kleid, aber keine Schuhe, und eine Fußkette (eine Schlange) an einer der Fesseln. Sie bringt Austern, Zitrone, Salz, zwei Flaschen Wein und zwei Gläser. Ich schließe die Augen und sie setzt sich voll angezogen zu mir in die Wanne.

„Ich komme, um mit dir den Sommer zu feiern“, sagt sie nur.

AMERIKA, WIR KOMMEN!

Damals versuchte ich (keine Ahnung, wie dieser Ehrgeiz von mir Besitz ergreifen konnte) einen Roman zu schreiben und in Amerika zu überleben. Eines davon war zu viel. Du musst dich entscheiden, Alter. Doch ich wollte alles. Der beste Weg in den Untergang. Ich wollte den Roman, die Mädchen (die es seit der Moderne und der Erfindung der Schlankheitsdiäten gibt und auf die Männer reiferen Alters so scharf sind), den Alkohol und den Spaß. Alles, was mir zustand. Alles, was Amerika mir versprochen hatte. Ich weiß, Amerika hat einer Masse von Leuten sehr viel versprochen, aber mir sollte es alles einlösen. Ich war zornig, denn ich will mich nicht an der Nase herumführen lassen. Damals, Anfang der Achtzigerjahre (so lang ist das schon her!) wimmelten die Bars jeder nordamerikanischen Stadt von alten Hippies ohne Plan, schon ohne Plan, bevor sie Hippies wurden, von Afrikanern mit leerem Blick und immer einer Trommel am Ärmel – sie werden sich nie ändern, unabhängig von Ort und Zeit –, die Bars wimmelten von identitätssuchenden Antillanern, hungernden Dichterinnen, die sich von Luzernesamen und indischen Mythen ernährten, von hochaggressiven jungen Schwarzen Frauen, weil sie bei diesem verrückten Poker keine Chance hatten, denn die Schwarzen Männer interessierten sich nur für die Weißen Frauen und die Weißen Männer nur für Geld und Macht. Ich irrte spätnachts durch diese Mondlandschaft, wo die körperliche Begierde vollends jedes Gefühl ersetzt hat. Ich notierte alles. Ich schrieb in den Toiletten dieser schäbigen Bars. Ich führte bis in die frühen Morgenstunden Gespräche mit am Hungertuch nagenden Intellektuellen, arbeitslosen Schauspielerinnen, machtlosen Philosophen, schwindsüchtigen Dichterinnen, kurz, mit dem ganzen Gesocks der Underdogs. Zuweilen sprang ich auch ins kalte Wasser und wachte dann in einem unbekannten Bett neben einem Mädchen auf, das ich meiner Erinnerung nach nie getroffen hatte (gestern bin ich mit einem gelbhaarigen Feger nachhause gegangen und jetzt ist da diese gefärbte Blondine mit grünen Fingernägeln). Dabei nahm ich niemals Drogen. Gott hatte mir eine schallende, wohltönende, fröhliche und dazu ansteckende Lache geschenkt, ein Kinderlachen, das die Mädchen kirre machte. Sie wollten so gerne lachen und hatten damals so selten Gelegenheit dazu. Als ich nach Nordamerika auswanderte, hatte ich nichts in meinem alten Blechkoffer als diese Lache. Ein uraltes Erbstück. Bei mir zuhause wurde immer gelacht. Unser Haus bebte vom Lachen meines Großvaters. Nun lachte ich, trank Wein, vögelte mit der Wonne eines Kindes, das aus Versehen in einen Süßwarenladen eingesperrt wurde, und schrieb alles auf. Sobald das Mädchen auf die Toilette ging, kritzelte ich meine Notizen, auf der Bettkante, auf einer Ecke des Tischs, überall. Ich notierte mir einen Spruch, eine sinnliche Geste, ein schmerzliches Lächeln, irgendeine Einzelheit. Alles erregte mich. Ich notierte alles, was sich bewegte, und das hörte nie auf, glaube mir. Alles um mich herum, die Welt (das Mädchen, das Kleid auf dem Boden, mein zwischen dem Bettzeug versteckter Slip, der lange nackte Rücken auf dem Weg zur Stereoanlage, die Musik von Bob Marley), ich will sagen, mein Universum drehte sich in rasanter Geschwindigkeit. Warum sollte ich die fliehende Zeit, die wechselnden Mädchen, das immer wieder neue Begehren mit Worten festhalten? Ich stellte mir oft, den Kopf gegen die alte Remington 22 gepresst, diese quälenden Fragen. Bin ich der Griot dieses schäbigen Amerika, immer am Rande einer Überdosis, mit dem Gesicht an der Wand, in Handschellen und dazu zwei Polizisten im steifen Nacken? Dieses Amerika, das beim Leben noch einen Rabatt herausschlägt, das immer sein Geld zählt, das Amerika der Einwanderer, der Schwarzen, der völlig plan- und mittellosen Weißen Frauen? Das Amerika der leeren Blicke und des fahlen Morgengrauens? Am Ende schrieb ich den verfluchten Roman und Amerika war gezwungen, was mich betraf, wenigstens einen Teil seiner Versprechungen zu halten. Ich weiß, einigen gibt Amerika im Überfluss, wohingegen den übrigen auch noch das letzte Stückchen Schwarzbrot aus der verkrampften Faust gerissen wird, mir wurde immerhin ein Drittel der Schulden zurückgezahlt. Viele werden diese Naivität belächeln, aber ich schwöre, für meine Gemütsverfassung ist es sehr wichtig, an diesen Sieg zu glauben und sei er noch so klein. Ein Drittelsieg. So vielen anderen bleibt Amerika alles schuldig. Beispielsweise bei der Jugend aus der Dritten Welt hat Amerika eine immense Rechnung offen. Hier ist nicht die Rede von den historischen Schulden (die Sklaverei, die Plünderung der Humanressourcen, die Verschuldung der armen Länder et cetera), sondern von den sexuellen Schulden. Was uns die Zeitschriften, Plakate, Film und Fernsehen nicht alles versprochen haben … Amerika, das sind reiche Jagdgründe, hämmerten sie uns ein, kommt und jagt die verlockendste Beute (die jungen Amerikanerinnen mit den langen Beinen, rosa Mündern und dem verächtlichen Lächeln), kommt, pflückt die wilden Früchte des Gelobten Landes. Amerika, eine Hündin, deren Fell unter euren Liebkosungen zittert, sie wartet nur auf euch, ihr jungen Männer aus der Dritten Welt. Diese Rufe wurden bis in die hintersten Winkel des Planeten vernommen, bis zu den Blauen Reitern in der Wüste. Das globale Dorf. Amerikanisches Fern sehen mitten in der Sahara. Alle machten sich auf nach Westen. Und jedes Mal mussten sich die Neuankömmlinge anhören: „Tut uns leid, das Fest ist gerade vorbei.“ Ich sah das traurige Lächeln des alten, noch wackeren Beduinen (erinnert euch, Brüder, an die alten Böcke im Alten Testament), der sein Kamel verkauft hatte, um beim Fest dabei zu sein. In der winzigen Bar an der Avenue du Parc traf ich sie alle. Bis zum Beginn der nächsten Fiesta, das sagte der Arbeitsvermittler unerschütterlich, müssen Sie arbeiten. In Amerika gibt es Arbeit für alle (noch so ein Lockmittel, Bruder). Schön reingefallen. Arbeit? Dafür war der Beduine nicht hergekommen. Er war durch die Wüste gewandert und über das Meer gereist, weil man ihm gesagt hatte, in Amerika sei Vögeln gratis und reichlich. Da haben Sie was falsch verstanden! Was denn? In allen Liedern, Romanen, amerikanischen Filmen der Fünfzigerjahre geht es nur um Sex und Sie behaupten, wir hätten was falsch verstanden? Was war an dieser reißerischen Sexualität, an dieser Masse nackter Leiber denn misszuverstehen, an diesem Beharren auf dem Intimsten, an dieser Hitze von Hollywood? Auch bei uns in der Wüste haben wir modernste Fernsehgeräte … Wir empfangen Amerika. Glückwunsch zur Qualität der Bilder! Auch in der Sahara ohne Störung. Abends setzen wir uns in unser von der Mattscheibe erleuchtetes Zelt und schauen euch zu. Zuzusehen, was ihr so treibt, bereitet uns Freude. Immer ist da ein lachendes junges Mädchen an einem Strand. Gleich darauf überfällt es ein blonder Kerl. Das Mädchen entwindet sich, er verfolgt sie ins Wasser. Sie wehrt sich. Er umarmt sie leidenschaftlich und sie gehen senkrecht unter. Jeden Abend dasselbe Menü, mit leichten Verbesserungen. Das Meer ist noch blauer, das Mädchen noch blonder und der junge Mann noch muskulöser. Es wird ein Leben dargestellt, das uns leichter vorkommt. Das ist es: ein leichtes Leben. All diese Brüste, diese Hintern, diese Zähne, dieses Lachen wirken sich am Ende auf unsere Libido aus. Leuchtet Ihnen das ein? Deshalb sind wir nach Amerika gekommen und ihr wagt zu behaupten, wir hätten was falsch verstanden? Ich wiederhole die Frage, was sollten wir denn verstehen? Nachdem ihr uns verrückt gemacht habt vor Begierde, seht ihr jetzt vor euch die lange Schlange von Männern (bei uns gehen nur die Männer auf Abenteuer) mit einem Ständer, unersättlichem Appetit, bereit zum Krieg der Geschlechter und der Rassen. Wir gehen bis ans Ende, America.

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Hacim:
342 s. 4 illüstrasyon
ISBN:
9783884236604
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