Kitabı oku: «Prinz der Wölfe», sayfa 6

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„Das erinnert mich an etwas“, sagte ich. „Wo ist meine Kutsche?“

Das Gesicht des Hausdieners wurde bleich. Er zögerte mit der Antwort, doch auf meinen eindringlichen Blick hin sagte er: „Ich bedaure, Euch darüber in Kenntnis setzen zu müssen, dass das Fahrzeug zerstört wurde.“

Seine Worte trafen mich wie Pfeile. Die rote Kutsche war mein einziges materielles Erbe von einem Vater, den ich nie kennengelernt hatte, und, abgesehen von meinem Heim in Grünkirchen, die einzig verbliebene Verbindung zu meiner verstorbenen Mutter. Sie war weit mehr als nur ein Besitztum. Seit beinahe einem Jahrhundert war sie ein wichtiger Bestandteil meines Hausstandes gewesen. Sie hatte mich länger begleitet als jeder Freund, Verwandter oder Rivale. Sie war ein Teil von mir gewesen; ich spürte ihre Abwesenheit wie einen Riss in meinem Herzen.

„Wenn Euer Exzellenz allein zu sein wünschen“, sagte der Hausdiener, und sein Körper lehnte sich zurück, als wollte er die Flucht ergreifen.

„Nein“, brauste ich auf. „Was ist mit dem Wrack? Wo sind die Überreste?“

Es schien unmöglich, dass das Gesicht des Mannes noch weißer wurde, doch er erbleichte wie ein Gespenst, bevor er fast flüsternd antwortete: „Euer Exzellenz, ich weiß es nicht. Vielleicht ist sie mitsamt den Leichen Eurer Diener verbrannt.“

„Verbrannt?“

„Ja, Exzellenz.“

„Bist du dir auch sicher, dass die Leichen verbrannt wurden?“

„Ja, Exzellenz“, sagte er. „Sie sind verbrannt, und die Asche wurde über dem Fluss verstreut.“

Und somit wusste ich mit Sicherheit, dass jemand in Weidenweh mich anlog. Die Frage war: Warum?

Kapitel sechs

Das hässliche kleine Mädchen

Wisst ihr, was den Geist wirklich wach macht? Ich sag euch, was bei mir klappt: Mit dem Gesicht nach unten in einem Sarg aufzuwachen, der auf einem Haufen von mit Pech durchtränktem Holz liegt.

Meine klaustrophobischen Zuckungen schmolzen dahin wie Fett auf einem Bratspieß. Mein Rücken fühlte sich an, als hätte mir jemand heiße Steine unter die Haut genäht. Meine Beine konnte ich überhaupt nicht fühlen. Die Sporen an meinen Ellenbogen bohrten sich tief in die Seitenwände des Sarges, doch die Schnur, die meine Daumen zusammenhielt, riss nicht. Wenn ich mich weiter winden würde, würde ich bald meine Daumen abtrennen. Von diesen ausgehend hatte sich bereits eine Pfütze heißen Blutes auf meinem Kreuz gesammelt. Das Glühen des Feuers durchdrang die Ritzen des Sarges, und ich konnte sehen, wie das Holz schwarz wurde.

Ein kleines Feuer macht mir normalerweise nichts aus, doch dieses Mal befand ich mich in einem Ofen. Die Flammen prickelten in meinem Gesicht, und der Rauch stach mir in Augen und Nase. Wenn dies eine hypothetische Situation gewesen wäre, würde ich mich vielleicht fragen, ob die Flammen heiß genug würden, um mich zu verbrennen, bevor ich durch den Rauch erstickte.

Ich kann ohne beide Daumen leben, entschied ich. Stärker als vorher drückte ich meine Ellenbogen nach außen und hoffte, die Seitenwände des Sarges zu durchstoßen. Der Schrei begann bei meinen Daumen, raste nach oben, um in mein Gehirn zu springen, und entkam durch meinen Mund. Das einzig andere Geräusch, das ich hören konnte, war das Zischen und Knacken des Scheiterhaufens. Nach einem zweiten Ruck konnte ich nicht einmal mehr spüren, ob sich meine Arme bewegten. Ich roch den Gestank meines sengenden Haares und spürte ein Brennen über jedem Auge, dort wo meine Augenbrauen gewesen waren.

Mein Körper taumelte zur Seite, und kühle Luft strich über meinen linken Arm. Einen Augenblick später spürte ich den betäubenden Schmerz des auflodernden Feuers. Die orangenen Flammen befanden sich im Sarg. Meine Jackenärmel brannten, und als Letztes fühlte ich, wie sich meine Haut unter dem sich auflösenden Stoff zusammenzog. Ich versuchte zu blinzeln, doch mein linkes Auge war wie versiegelt.

Ich warf mich erneut herum, und der Sarg bewegte sich mit mir. Ich hörte eine Frau aufschreien. Ein entfernter Teil meines Gehirns hoffte, dass es nicht der Klang meiner eigenen Stimme war. Der Sarg bewegte sich schneller, drehte sich einmal und schlug mit einem splitternden Krachen auf dem Boden auf. Ich konnte nicht sagen, ob es die Bretter oder meine Knochen gewesen waren, die zersplitterten, doch ich schlug weiter um mich, trat und schrie.

Meine Hände flogen auseinander – mit oder ohne Daumen, wusste ich nicht zu sagen. Mein linker Arm drang durch das mit Splittern gesäumte Loch in der linken Seite des Sarges. Ich schob meine Hand durch die Splitter und hämmerte gegen den Deckel. Einen Augenblick lang war ich verwundert, als er aufflog und in verkohlte Stücke zerbrach, und sich dann vor dem Hintergrund des wolkigen Himmels auflöste. Ich rollte auf das kühle Gras und riss mir die brennende Jacke und das Hemd darunter vom Leib. Überall um mich herum schrien und riefen Leute durcheinander und rannten davon. Ich stemmte mich auf die Knie und blickte angestrengt durch die Gitterstäbe, die meine zusammengeschmolzenen Wimpern gebildet hatten.

Ich befand mich an einem Kreuzweg. Genau in der Mitte der Kreuzung befand sich ein rechtwinkliges Loch von ungefähr einem Meter achtzig Tiefe. Mein Grab.

Die Totengräber standen mit offenen Mündern neben einem Karren, an dem ein muhender Ochse angespannt war, der vor meinem Anblick zurückscheute. Der Stoff ihrer Kleidung war handgesponnene Wolle im Grau und Braun ärmlicher Bauern. Einige der Männer holten Werkzeuge vom Karren: Hacken, ein paar Schaufeln und eine Mistgabel. Warum hatten sie eine Mistgabel mitgebracht? Der Anblick löste ein Grollen im tiefsten Inneren meiner Brust aus. So einen Laut hatte ich noch nie von mir gegeben. Der Ochse stürmte davon.

Ich zeigte dem Mann mit der Mistgabel den Zinken, und ein warmer Spritzer Blut benetzte mein Gesicht. Ich starrte auf meine blutige Hand. Sie sah aus, als sei sie in einen Fleischwolf geraten, doch sie war noch ganz, mehr oder weniger. Eigentlich mehr. Meine Finger waren auf das Anderthalbfache ihrer normalen Größe angewachsen, und die kleinen Punkte auf meinen Knöcheln waren zu rauen Sporen geworden, ähnlich denen auf meinen Ellenbogen.

Der Schock des ersten Schlages klärte meinen Geist, wenn auch nicht meine Sicht. Ein langer, dunkler Stab tanzte vor meinen Augen. Er ragte aus meinem rechten Bein, wo die Zinken der Mistgabel meinen Oberschenkel durchstoßen hatten, doch was mich wirklich aufregte, war die Entdeckung des langen, knöchernen Stachels, der aus meiner Kniescheibe herausragte. Von meinen teuren Hosen waren nur noch Fetzen übrig, und darunter hatte meine Haut die Farbe geschmolzenen Kupfers angenommen. Ich hatte keine Zeit, den Zorn zu genießen, der sich in mir aufstaute, bevor ich ein grauenhaftes Heulen ausstieß.

Nein, das ist normalerweise nicht mein Ding, doch unter diesen Umständen fühlte es sich genau richtig an.

Vier der Dörfler kamen mit erhobenen Waffen auf mich zu. Sie gingen mit jedem Schritt geduckter und sahen winzig aus, obwohl sie allesamt Menschen waren, keine Halblinge. Ich riss die Mistgabel aus meinem Schenkel, packte sie knapp über den Zinken und schlug hart zu. Das Ende des Stiels krachte auf den Kopf eines Mannes und schlug ihn zu Boden, bevor er weiter fegte und mit voller Wucht die Wange desjenigen traf, der neben ihm stand. Eine Hacke wurde gegen meinen unverletzten Oberschenkel geschwungen, doch sie bewegte sich so langsam wie durch Wasser. Ich packte den Stiel und stieß sie zurück, wobei ich das Gesicht des Dörflers mit dem Knauf zu Brei schlug. Der Mann ließ die Waffe fallen und umklammerte seinen blutigen Mund.

Der Vierte machte einen Schritt zurück und glotzte blöd auf die Schaufel, die in seinen Händen vibrierte wie eine Stimmgabel. Erst da begriff ich, dass der Hurensohn mir damit auf den Schädel geschlagen hatte. Er tat mir fast Leid, als ich ihm mein breites Grinsen schenkte. Dem Mann wich alles Blut aus dem Gesicht. Er drehte seinen Kopf, als wolle er fliehen, doch stattdessen zuckte er nur komisch mit den Armen und fiel geradewegs in Ohnmacht.

Ich lachte. Der Laut donnerte über die Hügel und hallte in einem nahegelegenen Tal wider. So lache ich normalerweise nie. Niemand lacht so.

Die restlichen Dörfler flohen wie eine Herde aufgescheuchter Lämmer, und die meisten von ihnen rannten auf eine Ansammlung mit Stroh bedeckter Häuser am Fuße eines sanften Hügels nahe des Kreuz­weges zu. Ihr varisisches Geschrei hörte sich für mich größtenteils wie Kauderwelsch an, doch ich konnte die Worte „Teufel“ und „Monster“ ausmachen, und diese Bezeichnungen passten perfekt zu mir. Außerdem war da ein unbekanntes Wort, das sie ständig wiederholten: „Azra.“ Es war mir egal, ob es sich dabei um eine ortsansässige Halbgöttin oder ihre Bezeichnung für Pharasma oder Desna handelte. Ich fühlte mich so groß und mächtig, dass sie eine Göttin brauchen würden, wenn ich in das Dorf kam. Sie würden ein ganzes Dorf voller Totengräber brauchen, bevor ich erledigt war.

Ich rief ihnen Drohungen und Flüche nach. Meine Stimme war ungewohnt rau, und die Worte, die ich hervorbrachte, waren fremd. Die Sprache hörte sich bekannt an, doch ich erkannte meine eigenen Worte nicht, auch wenn ich sie irgendwie verstand. Es war nicht varisisch, und zur Hölle, es war bestimmt nicht taldani. Dann begriff ich, dass ich Infernalisch sprach – die Sprache der Teufel.

Im Gegensatz zum Prinzipal spreche ich nicht mehr als ein Dutzend Wörter in irgendeiner Fremdsprache. Vielleicht sprach ich jetzt mehr als hundert Wörter Varisisch, die mir die Wächter beigebracht hatten – die armen Schweine. Eigentlich sprach ich keine Sprache flüssig, außer Taldani, der Gemeinsprache des Imperiums und der vielen Länder, die es einst erobert und wieder verloren hatte. Trotzdem schnappt man in einer weltoffenen Stadt wie Egorian den Klang vieler Sprachen auf, sodass ich zum Beispiel den Unterschied zwischen der Sprache der Elfen und Zwerge unterscheiden kann. Und wenn man die Eigenheiten des chelischen Untergrunds bedenkt, war es nützlich gewesen, den Unterschied zwischen Infernalisch und Abyssisch zu kennen, als die Spur unseres letzten Auftrages uns zu den Kultanhängern beider Lager führte.

Ich muss ganz schön was auf den Schädel bekommen haben, dachte ich. Dann wurde mir aufs Schärfste der brennende Schmerz in meinem ganzen Körper bewusst, besonders in meinem Gesicht und in meiner Brust. Ich rieb mir die Augen, und meine Wimpern fielen in klebrigen Brocken herunter. Ich zwinkerte angestrengt, doch nur mein rechtes Auge öffnete sich. Ich versuchte, an meinem linken Augenlid zu ziehen, doch es war zugeschwollen. Ich gab auf, davon abgelenkt, wie lang meine Finger und Nägel gewachsen waren. Mein Blickfeld war noch immer verschwommen, doch das alleine reichte nicht aus, um die Verwandlung meines Körpers zu erklären.

Die Dörfler waren mittlerweile außer Sicht – zweifellos versteckten sie sich in ihren Kartoffelkellern. Vor mir rannten schwarze und rote Hühner über die matschigen Wege zwischen ihren Häusern davon, aufgeschreckt durch den Tumult. Schweine wühlten grunzend mit ihren Schnauzen den Matsch in ihren Pferchen auf, die, wie ich feststellte, zwischen den Häusern standen. Dreckige Bauern.

Hinter dem Dorf lag ein breiter, langsam fließender Fluss. Auf der gegenüberliegenden Seite erhoben sich bewaldete Hügel, die, wie ich aus der Position der verhüllten Sonne schätzte, im Süden lagen. Das hieß, ich befand mich im Westen, wo ich wahrscheinlich nicht sein wollte. Der Prinzipal – oder die Überreste des Prinzipals, begriff ich mit einem Übelkeit erregenden Gefühl in meiner Magengegend – musste sich weiter oben im Gebirge und auf der anderen Seite des Flusses aufhalten. Von diesem dreckigen kleinen Dorf aus konnte ich weder Brücken noch Berge sehen.

Ein Jucken an meiner rechten Hinterbacke erinnerte mich daran, dass meine restliche Kleidung noch immer schwelte. Ich schlug auf den Stoff und riss das meiste davon ab, als ich sah, wie viel Rauch und Flammen noch immer an mir leckten. Diese dummen Schweine­bauern hatten meine neuen Kleider ruiniert! Die Jacke allein hatte mehr gekostet, als einer dieser Dung werfenden Proleten in einem Jahr verdiente.

Dafür würde ich ihnen die Haut abziehen. Ich stapfte in das Dorf und wollte Blut sehen.

Die Türen und Fenster der Bauernhäuser waren fest verschlossen. Ich bemerkte, dass alle Türen rot angestrichen waren, vermutlich, um böse Geister abzuwehren, auch wenn ich daran zweifelte, dass sie mich aufhalten würden. Unter den geschlossenen Fensterläden hingen Blumenkästen, in denen die letzten Blüten des Jahres schlaff herabhingen. Ich zerschmetterte einige, als ich vorbeiging. Vielleicht würde das ihre Aufmerksamkeit erregen.

Sofort fühlte ich mich wie ein Idiot, wie irgendein besoffener Vandale. Als ich einen Moment innehielt, um nachzudenken, wusste ich nicht mehr genau, was ich tun sollte. Ich war niemals so wütend gewesen, und das war merkwürdig. Ich hatte mehr als einmal unter Gewalttätigkeiten gelitten, doch seit ich vier Jahre alt war, verstand ich, auf meine Rache zu warten. Seitdem war ich jeder Beleidigung mit einem kühlen Kopf begegnet. Wenn sie mich heute nicht töteten, konnte ich mich morgen von hinten heranschleichen. Wenn diese Bauern nur Taldani sprächen, könnte ich zumindest aus einem eine Erklärung herausprügeln. Vielleicht beherrschte ich ja genug Varisisch, damit es klappte. Der Trick bestand darin, einen in die Finger zu bekommen, ohne ihn umzubringen.

Das genügte als Plan, und die Vorstellung, irgendetwas tun zu können, beruhigte mein pochendes Herz. Das nächststehende Haus würde ausreichen. Ich langte nach dem Türgriff, und dann sah ich das hässliche kleine Mädchen.

Sie saß ohne Sattel auf einem scheckig weißen Esel am anderen Ende dessen, was als Hauptstraße durchging. Unter einer Schicht Straßenstaubs war ihre Kleidung wesentlich bunter als die der Dörfler. Ihr annähernd braunes Haar bildete eine wirre Haube, unter der nur die sommersprossige Spitze ihrer Nase und das halb verdeckte Glühen ihrer hellblauen oder grauen Augen zu sehen waren. Sie blickte mich mit einem ruhigen Gesichtsausdruck an, den ich verdammt irritierend fand.

„Was guckst du so?“, fragte ich, doch noch immer beherrschte etwas anderes meine Stimme und Sprache. Ich hatte das Bedürfnis nach dem Bauchredner Ausschau zu halten, der sich hier auf meine Kosten amüsierte.

Das Mädchen runzelte die Stirn, als es mich hörte. Sie gab den Flanken des Esels einen Tritt, doch das Tier ließ seine langen Ohren mit den schwarzen Spitzen hängen und wollte sich nicht vom Fleck rühren. Seine Augen bekamen bei meinem Anblick weiße Umrandungen. Mit einem Seufzer stieg das Mädchen ab und rannte auf mich zu, einfach so. Sie zögerte nicht. Sie war barfuß, die Sohlen ihrer Füße schwarz und ledrig. Sie trug keine Waffe, doch als sie auf ungefähr drei Meter an mich herangekommen war, tauchte sie eine Hand in einen Beutel an ihrer Hüfte – mindestens ein Dutzend kleiner Beutel hingen an dem weiten Lederkleid – und zog eine Linie feiner weißer Asche über den Boden. Sie trat einen Schritt zurück und machte mir ein Zeichen, auf sie zuzukommen, die Linie zu überqueren.

Klar doch, dachte ich. Für wie dumm hältst du mich? Ich ging um die Linie herum und lächelte ein wenig, als ich die Verwirrung in ihrem Gesicht sah. Ich erkannte nun, dass es kein Mädchen, sondern eine Frau war. Ihre winzige Gestalt und der allgemeine Mangel an Körperpflege verliehen ihr das Aussehen eines Straßenkindes.

„Azra“, schrie eine Frau aus ihrem Versteck in einer der Hütten. „Hüte dich vor dem Teufel!“

Wenigstens konnte ich einen vollständigen Satz auf Varisisch verstehen. Ich knurrte der versteckten Sprecherin meinen Dank zu, bevor ich mich wieder Azra zuwandte. Was war sie? Die Hexe des Dorfes? Die ortsansässige Irre? Sie hatte keine Ahnung, was ihr bevorstand.

Ich machte einen Schritt vorwärts, nur um ihr einen kleinen Schrecken einzujagen, doch sie war zu flink. Sie wirbelte mit einer Geste herum, die mich kurz an Malenas Tanz auf dem Markt von Caliphas erinnerte. Diese varisischen Frauen verstehen es wirklich, wie man tanzt. Genau wie ich.

Als ich nach ihrem Arm griff, kam ich ihr so nahe, dass ich nicht bemerkte, wie sie einen Kreis aus Asche um sich zog, als sie sich wegbewegte. Ich hatte nicht nur die Linie überschritten, sondern auch meinen Fuß genau auf die Aschenbarriere gesetzt. Ich zuckte zusammen, weil ich eine Mauer aus magischer Energie erwartete, die mich einfrieren oder mich dazu bringen würde, unkontrolliert zu zucken, doch nichts geschah, abgesehen davon, dass Azra davontanzte und mit einer Faust an der Hüfte stehenblieb. Sie sah mich an wie ein Gärtner, der zwischen dem Kohl einen Maulwurfshügel entdeckt hat.

Hinter mir hörte ich das langsame Quietschen einer Türangel. Ich drehte mich um und sah die Spitze einer Armbrust aus einem Fenster herausragen.

„Wenn du damit auf mich schießt“, sagte ich, „schiebe ich dir das Ding so tief in den ...“ Es hatte keinen Sinn, irgendjemandem zu drohen, nahm ich an. Niemand verstand auch nur ein Wort von dem, was ich sagte.

Ich grübelte eine Sekunde, ob ich das Fenster angreifen oder einfach aus seinem Blickfeld verschwinden sollte, doch dann stieß Azra eine Reihe lauter, kurzer Schreie aus, die bestimmt kein Varisisch, vielleicht nicht einmal eine Sprache waren. Ich blickte kurz zu ihr herüber und sah, wie sie den Mann zurück in das Haus scheuchte und ihren Kopf schüttelte: „Nein.“ Der Schütze ließ seine Armbrust sinken, zog die Läden zu und ließ sie nur gerade so weit offen, dass er die Konfrontation beobachten konnte.

Was jetzt? Ich sah zu, wie Azra einen Fingerknöchel in ein kleines Töpfchen tauchte, das sie aus einem anderen Beutel an ihrem Gürtel gezogen hatte. Sie rieb sich das Zeug in die Augen, blinzelte und starrte mich an.

Ich mochte diesen Blick nicht. Ich hatte das Gefühl, als würden meine Kronjuwelen heraushängen. Mir wurde klar, dass das sogar der Fall sein konnte, prüfte es rasch nach und sah, das genug von meiner Hose übrig war, um mir wenigstens ein bisschen Sittsamkeit zu erhalten. Trotzdem, irgendetwas daran, wie diese zerlumpte Kräuterhexe mich ansah, ließ in mir das Gefühl aufkommen, dass sie etwas in meinem Inneren sah, vielleicht etwas, das ich nicht sehen konnte. Es war weit mehr als lästig – es brachte mich geradezu in Rage.

Ich beugte mich vor, sodass mein Gesicht ganz dicht vor ihrem war, und öffnete meinen Mund, um zu sprechen, doch bevor ich nur eine Silbe herausbringen konnte, hob sie den Arm und schlug mir mit der Handfläche gegen die Stirn.

Der Schlag war viel härter, als ich erwartet hatte, doch es war die Überraschung, nicht der Stoß, die mich einen Schritt zurücktreten ließ. Als sie die Hand zurückzog, lag ein Klumpen einer grün-­grauen, klebrigen Masse in ihrer Handfläche. Ich spürte etwas Breiiges auf meiner Braue und hob eine Hand, um es zu berühren. So etwas wie ein Stück Pergament klebte daran, doch meine Finger bekamen es nicht zu fassen. Sie fühlten sich dick und taub an, und eine Sekunde später hatte sich das Gefühl bis in meine Arme ausgebreitet.

Ich machte einen weiteren Schritt, torkelte wie ein Betrunkener und stolperte nach vorn. Es ging abwärts. Ich konnte es fühlen, und ich musste von dieser Frau – dieser Azra – wegkommen, bevor ich ihr ausgeliefert war.

Ich rannte an ihr vorbei, schneller als je zuvor, und sprang bei jedem Schritt mehr als einen Meter weit. Am anderen Ende des matschigen Weges entdeckte ich einen kleinen Planwagen, auf dessen Seitenwänden bunte Bilder von Wild eingeritzt waren, das unter einem mit Sternen übersäten Himmel davonrannte, während der Mond auf sie herab lächelte und Wölfe aus den Schatten der Bäume hervorkrochen. Ich musste lachen. Nicht zum ersten Mal sympathisierte ich mit dem Wild.

Hinter mir riefen die Dörfler aus den Fenstern, und Azra antwortete ihnen mit Gejohle und Grunzlauten. Wenn ich es nur bis in die Wälder schaffen könnte, wäre das Schlimmste, was passieren konnte, dass ich sterben und mich die Wölfe verschlingen würden. Das musste das kleinere Übel sein.

Ich rannte um den Wagen herum, eingedenk dessen, dass der Schütze vielleicht Azras Befehl nicht befolgen und doch schießen würde. Dort stolperte ich geradewegs über den weißen Esel, der aufschrie und lauthals iahte. Er bockte und drehte sich in zwei merkwürdigen Hopsern vollständig um, was aus der Entfernung urkomisch aussehen musste. Ich versuchte, zur Seite zu springen, doch der Esel war schneller. Er riss die Hinterhufe hoch und trat nach mir.

Zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit fühlte sich der Schlag so hart an wie das Ende der Welt.

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