Kitabı oku: «Vampyr», sayfa 4

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»Wir können uns gegenseitig helfen.« Gideon erhob sich und trat auf Adelheid zu. »Wir fahren zum Doktor und du identifizierst die Tote. Dann begleitest du mich zum zuständigen Revier, wo du den Diebstahl meldest.«

Adelheid schmiegte sich an ihn, noch höflich und nicht frivol, im weitesten Sinne. »Was springt für mich dabei raus?«, gurrte sie mit dieser gewissen Schwingung in der Stimme. Ein Täubchen. Ein Kätzchen.

Gideons Knie schlotterten. »Identifizierung und Anzeige machen aus einem möglichen Mord einen Unfall, was euch aus der Schusslinie nimmt.«

»Spricht da der Kommissar oder der Lüstling aus dir? Wieso bist du so erpicht darauf, den Fall zu den Akten zu legen?«

»Ich war ein wenig vorschnell«, legte er offen, umnachtet, umhüllt von ihrem Liebreiz. Er musste an den gefälschten Obduktionsbericht denken. Er war schon zu weit in den Sumpf gerutscht. Zurück zum Ufer konnte er nur, wenn er sich schmutzig machte. Wenn er den Dingen ihren Lauf lassen würde, würde er tiefer versinken und ertrinken.

Sie tänzelte um ihn herum. Ihr Duft legte sich wie eine Schlinge um seinen Hals. Sie zog die Kreise enger, bis sie ihn streifte.

Am moralischen Abgrund gab er dem Verlangen nach. Gideon und Adelheid kopulierten wie wilde Tiere im Stehen am Schreibtisch, im Liegen auf dem Boden und im Sitzen auf dem Sofa. Er vergaß die schmerzenden Handflächen und die Schussnarben auf seinem Rücken, die er der Unbekannten nicht vorenthielt. Sie wusste, was sie wollte, wie sie es wollte und wie sie es sich nehmen konnte. Gideon war ihr Spielball. Im Eifer des Geschlechtsaktes schwoll ihr Härtegrad an. Sie krallte sich in seinen geschundenen Rücken, wo sie Kratzspuren hinterließ, und leckte über ihre Finger, die sich an den blutigen Kratern vergnügten, riss an seinem Schopf und fauchte wie eine gegen ihren Willen domestizierte Raubkatze. Er merkte, wie sie sich zurückhielt, sonst wären ihre Hände schmerzhaft in seinem Gesicht oder ihre Finger an seiner Gurgel gelandet.

Als er sitzend auf dem Sofa dachte, es sei vorüber, kniete sie sich zwischen seine Beine, die sie mit ihren zart glänzenden Schultern auseinander drückte. Ihre feuchte, weiche Haut rieb an seiner. Sie störte sich nicht am Saft, der an seinem pulsierenden Schaft herunterlief, und suchte einen bestimmten Punkt an seinem Innenschenkel. Wie sie diesen gefunden hatte, betäubte sie mit ihrem Speichel, bevor sie vorsichtig ihre angespitzten Schneidezähne ansetzte.

Gideon, noch befriedigt vom triebgesteuerten Exzess, beäugte ihr gezieltes Vorgehen. Da ihn ihre schwarzen Augen irgendwie beruhigten, ihn ihr lieblicher Duft betörte und sie ihre Finger zärtlich über seine nackten Beine streifte, tolerierte er jegliche Experimente. Ausgetrocknet und durstig war er zu ihr und final französisch in ihr gekommen. Den vermutlich besten Geschlechtsverkehr, den er jemals hatte, würde er nicht zerstören wollen, indem er sie von was auch immer abhielt.

Ein kurzes Stechen und er sog unvermittelt Luft ein. Adelheid stöhnte, als sie von ihm trank. Als sie sein Blut trank. Ihre rechte Hand verschwand zwischen ihren Beinen, wo sie diese rhythmisch bewegte. Gideon war verblüfft, wie routiniert sie Dinge tat, die er noch nie gesehen hatte.

Nachdem sie sich aufgebäumt hatte, ihre nasse Hand aus dem Schritt holte und von Gideons Oberschenkelarterie abließ, starrte sie ihm befriedigt in die Augen. Ihre Zunge holte sich das Blut, das noch an ihren Lippen klebte. Dann hüpfte sie hinter den Schreibtisch und fischte aus einer Schublade eines der flachen Gewinde heraus. Geschwind schmierte sie die Salbe auf die Bisslöcher. Sofort koagulierte das Blut und dichtete die Wunden ab.

Berauscht blieb Gideon sitzen. Adelheid bekleidete sich wieder, als wären ihre Neigungen das Natürlichste in einer prüden Gesellschaft.

»Wollen wir los?«, neckte sie kindlich. »Ich will wieder hier sein, wenn Peter zurückkommt.« Sie sammelte seine Sachen auf und warf sie ihm zu.

»Wo ist er denn?« Gideon war noch nicht ganz bei sich. Er ordnete seine Sachen abwesend.

Adelheid lächelte unschuldig. »Fragst du mich das als Kommissar?«

Unschlüssig zog er sich an. »Schon gut.«

Voss klingelte den Arzt aus den Laken. Mit hellem Nachthemd öffnete dieser die Tür zu seiner Praxis, nachdem im Stockwerk darüber eine Lampe entzündet wurde und er die Treppen nach unten gepoltert war. Doktor Karczan machte ein verärgertes Geräusch, im Anschluss an das Knarren der Haustür. Sein struwweliger Haarkranz konnte die Platte nicht verbergen. Da er von kleinem Wuchs war, schaute er mit schmalen Augen hoch zum Kommissar.

»Ja?«

»Doktor Karzan, wir müssen die Tote von letzter Nacht identifizieren«, zeigte er hinter sich, wo sich Adelheid in einen dicken Mantel kuschelte.

»Kar-cz-an«, revidierte der Arzt säuerlich, die Mitte des Namens betonend. »Hat das nicht Zeit bis zum Morgen?«

Voss beugte sich zu ihm. »Die junge Dame ist extra angereist, um den Tod ihrer Schwester zu bestätigen, damit ihr kalter Leib nicht gottlos in einem alten Lagerhaus verwesen muss und ordentlich bestattet werden kann.«

Adelheid bekreuzigte sich fix. Die traurige Miene hatte sie bereits aufgesetzt. Alles für die verschlafenen Augen des Arztes.

Karczan brummte, während er das Fräulein studierte. »Wird Sie für die Bestattung und das Grab aufkommen?«

»Im Feuer soll der Toten vergeben werden«, vermittelte Voss. Adelheid nickte, bevor sie eilig ihren Blick wieder senkte.

»Und die Asche? Ein Urnengrab?«

Voss imitierte den Wind mit Hand.

Karczan verstand die Andeutung. Dann rügte er den Kommissar mit erhobenem Finger. »Dafür sind Sie mir was schuldig!« Er stampfte zurück ins Haus. »Mitten in der Nacht!«, schimpfte er mit wedelnder Gestik.

Wenige Sekunden später schloss er die Haustür mit einem Ruck. Er hatte sich eine warme Jacke übergeworfen, festes Schuhwerk angezogen und ein Monokel zwischen ein Auge geklemmt. »Folgen sie mir!«

Die drei betraten einen engen Keller, Karczan voraus mit einer Lampe. Adelheid musste sich angesichts des süßlich-faulen Gestanks die Nase zuhalten. Auch Voss verzog das Gesicht – einerseits wegen dem Geruch, andererseits wegen der dezenten Schmerzen beim Humpeln mit dem gebissenen Bein. Die gelagerten Eisblöcke in der Ecke des Kellers senkten die ohnehin niedrigen Temperaturen der Außenwelt weiter herunter. Ein Bodenablauf ließ das geschmolzene Wasser verschwinden. Die Gäste begannen zu zittern. Atem gefror.

Zwei der drei Seziertische waren belegt. Nackte Leichen lagen darauf. Die halb verbrannte Frau war Magda Trumna. Nebenan siechte ein an den Gliedmaßen verstümmelter Mann vor sich hin. Die blasse, fleckige Haut löste sich schon an einigen Stellen auf. Ein undefinierbarer Sud aus Flüssigkeiten sammelte sich zwischen Leichnam und Tisch. Adelheid musste würgen. Die freie Hand drückte sich zur Faust geballt gegen ihre Lippen, mit der anderen kniff sie ihre Nasenflügel zusammen. Als sie Magda anschaute, wendete sie sich ab und übergab sich. Keiner hätte darin ein Schauspiel erkannt.

Die Verbrannte war aufgeschnitten. Der gesamte, geschwärzte Brustkorb klaffte auseinander; die Lunge war freigelegt; das Herz fehlte. Ihr Unterkiefer war nach unten geklappt und offenbarte den Rachenraum. Der so drapierte Kopf entsprang einem Gruselkabinett mit dem verkohlten Schopf, den leeren Augenhöhlen, der ledrig verhärteten, schwarzen Haut und dem weit aufgerissenen Mund, dem die Zunge herausgeschnitten wurde.

Die Männer warteten geduldig, bis sich die Frau erleichtert hatte. Karczan holte Fundstücke aus einem benachbarten Schrank.

»Das wurde bei der Frau gefunden.«

Voss nahm die Dinge entgegen: etwas Geld, Zigaretten. Er schaute zu Adelheid, deren Übelkeit echt wirkte. Sie blickte zum Geld und anschließend zu ihm, um zu verdeutlichen, dass ihre Geschichte stimmte.

»Wieso ist das Geld nicht verbrannt?«, wollte Voss vom Doktor wissen, ohne seine reizende Begleitung aus den Augen zu verlieren. Er knitterte die Papierscheine.

»Ich habe es im Schuh der Toten gefunden«, begründete Karczan.

Voss deutete zum Seziertisch. »Ist sie das?«

Adelheid näherte sich widerstrebend. Bis zuletzt hielt sie den Kopf abgewendet. Erst als sie direkt neben Magda stand, drehte sie ihn. Gemächlich. Beginnend bei den Füßen. Ihre Augen fuhren langsam die Beine entlang. An der Innenseite des Oberschenkels hielt sie inne. Zwei markante Einstichstellen prangten dort. Adelheid spürte den stechenden Blick des Kommissars hinter ihr, denn auch er sah die anprangernden Bisswunden. Schnell überflog sie den geschundenen Oberkörper und das fratzenhafte Gesicht, um sich zügig von der Leiche zu entfernen.

»Ja, das ist sie«, bestätigte sie, zur Treppe eilend, wo sie sich an der gemauerten Wand abstützen musste. Anschließend besann sie sich auf ihre Rolle. Sie schluchzte und wischte sich die imaginären Krokodilstränen von den Wangen.

»Magda Trumna«, beantwortete Voss den Monokelblick des Arztes. »Damit Sie einen Namen haben und ruhig schlafen können.«

»Wenn kein Irrer bei Vollmond an meine Tür klopft, kann ich ruhig schlafen. Keine Sorge, Herr Kommissar.« Er schickte die bibbernde Adelheid hinauf. »Gehen Sie nach oben, mein Kind. Hier unten holen Sie sich noch den Tod.«

Wie die vermeintliche Schwester die Treppen nach oben stiefelte, fixierte Voss den gähnenden Arzt. »Noch eine Frage, Herr Doktor«, begann er kryptisch, »War sie wirklich Nichtraucherin? Immerhin hatte sie Zigaretten bei sich.«

Karczan sah irritiert auf.

»Ich meine«, Voss nickte zum offenen Brustkorb, »Kann man das medizinisch nachweisen?«

Karczan änderte nichts an seinem verwunderten Ausdruck.

Voss wanderte mit den Pupillen unsicher hin und her. Er benahm sich gerade auffällig. Das merkte er selbst. »Nur eine Wette auf dem Revier«, winkte er mit einem falschen Lächeln ab.

Trotz der Uhrzeit ließ sich Karczan nicht lumpen. Fachgebiet und Steckenpferd führte er gern vor. Er entfaltete die angeritzten Lungenflügel und leuchtete mit der Lampe auf das Innenleben, was Voss dazu brachte, unwohl aufzustoßen.

»Die Pathologie ist keine genaue Wissenschaft. Wir stützen unsere Thesen auf Beobachtungen und Schlussfolgerungen.« Karczan präsentierte die Luftwege, einschließlich des Rachens. »Sie war zumindest jahrelang Nichtraucherin, denn es sind kaum Teerablagerungen vorhanden. Das was Sie hier sehen«, kratzte er mit den Fingernagel an der Innenwand des Lungenflügels herum, »könnte auch passiv aufgenommen worden sein.«

Das schabende Geräusch und die Tatsache, dass der Arzt mit dem Finger in der Toten herumdokterte, zwangen Voss wegzuschauen. Übelkeit stieg auf.

Karczan nickte zu den Zigaretten, die Voss noch in Händen hielt und gerade zusammenpresste. »Womöglich war sie erst kürzlich dem Nikotin verfallen.«

»Sie haben geschrieben, sie sei verblutet.«

»Das wäre naheliegend. Es gab keine Stauchungen im Wirbelbereich und keine Hämatome an den typischen Aufprallstellen wie Stirn, Schläfe oder Kiefer, keine fazialen Brüche oder Schnitte. Und da ihr Rachen intakt scheint, ist sie auch nicht durch das Feuer getötet worden.« Er steckte den Finger in ihren Schlund, um am Rachen zu schaben.

Voss schluckte die Soße, die ihm soeben aus der Speiseröhre in die Mundhöhle floss, voller Ekel herunter.

»Die zwei Einstichstellen deuten darauf hin, dass sie vorher verblutet ist.« Er schob ihre Beine auseinander, damit man die Löcher besser betrachten konnte. »Die Wunden wurden noch behandelt. Anscheinend versuchte man sie zu retten. Aber die Arterienwand ist stärker eingerissen als es die äußere Verletzung vermuten lässt.«

Karczan hob den Hautlappen am Innenschenkel nach oben, der sich zuvor einwandfrei in das Bild des Oberschenkels eingefügt hatte. Neben der Muskelpartie konnte man einen ausgetrockneten, gewebeartigen, hohlen Zweig erkennen, der an der Seite aufgerissen war.

»Das ist die arteria femoralis. Darüber ist sie verblutet. Die beiden Einstiche hätten sie nicht getötet, aber ich schätze, dass sie degenerative Blutgefäße hatte. Die Wandungen kommen mir recht dünn vor. Diese sind vermutlich durch die Einwirkung der Länge nach aufgerissen, mit letalen Folgen.«

»Sie war krank?«

»Schätzungsweise, ja.«

Voss legte die krümeligen Zigaretten beiseite. Er hatte die Stummel gut zusammengeknüllt. Das Geld steckte er ein. Ein Blick genügte, um dem Arzt eine Kurzzeitamnesie zu verpassen. Für einen Bruchteil dachte er daran, den Mediziner zu bestechen für dessen Stillschweigen, das Voss ihm aufzwingen würde, um die Obduktionsergebnisse von Magda Trumna zu vergessen. Aber ihre nun legitime, bevorstehende Einäscherung und die Fassade der Mordermittlung verschafften Voss genügend Zeit, damit er alles einigermaßen hinbiegen konnte. Der Kommissar rieb seine Arme. Die Kälte des eisigen Kellers fraß sich allmählich durch seinen ganzen Körper.

»Sie könnte erstochen worden sein und der Autounfall inszeniert, um den herbeigeführten oder versehentlichen Tod zu vertuschen.«

»Sind Sie der Kriminalkommissar oder ich?«, plusterte sich Voss auf. Der Arzt verstummte und warf den Hautlappen zurück in Position.

»Haben Sie vom Obduktionsbericht noch eine Kopie? Ich habe ihn nicht dabei und würde gern etwas nachlesen.« Voss pokerte.

Karczan tippte an seinen Schädel. »Alles hier drin. Ich brauche keine Kopien.«

Voss sackte innerlich zusammen. Na toll! Eine Komponente, die er nicht kontrollieren konnte.

»Aber ich habe Ihnen bereits alles gesagt, was auch im Bericht steht«, ergänzte der Doktor. Er reinigte das Monokel an der Jacke. Seine Kooperationsbereitschaft schwand.

»Wer hatte die Obduktion angeordnet?« Voss wusste natürlich, dass Friedrich der Schuldige war, doch er wollte herausfinden, wie eng Karczan und Friedrich in Kontakt standen.

Der Akademiker überlegte. »Schumann hieß der, glaube ich. Ruppert Schumann?«

»Robert Schumann?«

»Ja, genau. Robert Schumann vom Neunten Revier.«

»Was ist mit Friedrich?« Voss übertünchte den Schrecken, dass Schubi womöglich enger mit Friedrich kollaborierte als gedacht. Und wenn nicht, dann vertraute ihm der Chef so sehr, dass er Anweisungen an Schubi vorbehaltlos delegierte.

»Wer ist Friedrich?«, fragte Karczan.

Gewissheit. Voss war zumindest darüber erleichtert. »Nur ein anderer Kollege.«

»Bei allem Respekt, Herr Kommissar, aber meine Patienten erwarten einen ausgeruhten Arzt. Wenn Ihr Wissensdurst gestillt ist, würde ich das hier gern beenden, um wenigstens noch ein paar Stunden die weiche Füllung meines Kissens genießen zu können.«

»Sicher«, murmelte Voss.

Oben auf der Straße wurde Voss von der Morgendämmerung erwartet. In der kommenden Zeigerrunde sollte die Wärme und das Licht der Sonne die Kälte und die Dunkelheit der Nacht vertreiben. Sein Dienstfahrzeug mit den sieben weißen Buchstaben der Exekutivbehörde auf der Seitentür parkte einsam. Adelheid war verschwunden. Diese Frau vereinte Passion, Obsession und Perversion zu einem Mysterium, das er noch nicht dekodieren konnte. Er ärgerte sich. Zwar war die Tote identifiziert und konnte dem Feuer übergeben werden, aber dem Diebstahl des Automobils fehlte noch immer eine Anzeige. Das zuständige Polizeirevier wäre der nächste Haltepunkt gewesen. Je länger die Meldung auf sich warten ließ, desto unglaubwürdiger wäre Voss’ Abschlussbericht zu dem Unfall mit dem gestohlenen Fahrzeug, bei dem die Diebin verstarb. Außerdem benötigte er Magdas Ausweispapiere, um die Identität in der Akte glaubhaft zu machen.

Diese Nachtschicht, die sich dem Ende entgegenneigte, hatte ihn einiges an Kraft gekostet. An der klaren Morgenluft registrierte er, wie sich sein Organismus über die letzten Reserven speiste. Vielleicht lag es auch an seinem abgezapften Blut, das jetzt in Adelheids wohlgeformtem Tempel zirkulierte. Er würde es nicht mehr rechtzeitig zur Ablösung schaffen, wenn er wieder zum Nachtklub düste, und Leopold Springer würde ihn bei Friedrich verpetzen. Das könnte eine Kettenreaktion in Gang setzen, die alle bisherigen Bemühungen torpedieren würde.

Nachdem Voss zurück zum Revier gefahren war, die gefälschte Fallakte sicher verwahrt und den Dienstposten an Springer, ohne Vorkommnisse, mit einem aufgesetzten Lächeln übergeben hatte, schleppte er sich in den dritten Stock des Mietshauses, wo ihn Anubis fauchend empfing.

Der schwarze Kater, mit den weißen Tupfern in Gesicht, auf Brust und Bauch, fuhr die Krallen aus. Sein Buckel war kerzengerade in der Horizontale gespannt und der Schwanz schlug steif auf den Boden.

Voss glaubte, dass es am Geruch des Leichenkellers oder am Gestank der Zigaretten lag, die er unter Stress in seiner Hand zerbröselt hatte. Tatsächlich fauchte Anubis allerdings, weil ein fremder Frauenduft an Voss haftete – Kirschblüten.

Nach einer Katzenwäsche ebbten die Anfeindungen ab. Das offerierte Büchsenfleisch trug wohl auch zur Beruhigung des Karnivoren bei.

Die pochende Bisswunde am Oberschenkel forderte noch etwas Zuwendung in Form von Salbe, genauso wie die Handinnenflächen, ehe Voss mit dem Gedanken an Adelheid in den Tag startete, der für ihn mit Schlaf begann.

Vor dem Fenster erwachte die Stadt zum Leben.

Blut

Voss’ Lider öffneten sich mit einem Ruck. Er starrte zur Decke. Das Schlafzimmer war durch die Gardinen verdunkelt. Draußen dröhnten die Menschen mit ihren Gefährten und ihren Organen. Anubis schlief am Fußende, eingerollt wie ein Wollknäuel, aber erhaben wie ein König.

Der Kommissar hatte den Mensch geweckt. Voss blieb starr liegen. Wieso ist ihm das nicht aufgefallen? Unter der Bettdecke tastete er nach den zwei Bisslöchern. Sie waren gut verheilt. Schorf bedeckte die Wunden. An derselben Stelle wie bei Magda Trumna. Obwohl er alles dafür tat, den Unfall als solchen bestätigen zu können, warfen ihm etliche Indizien Knüppel zwischen die Beine. Er befürchtete, dass ihn alles schneller einholen würde als er den inoffiziellen Fall offiziell zu den Akten der Schutzpolizei legen konnte.

Friedrich saß ihm im Nacken. Schubi plauderte gern. Karczan besaß ein gutes Gedächtnis. Der Diebstahl des Unfallwagens war noch nicht angezeigt. Die Papiere der Toten fehlten ihm, um der Einäscherung Fortgang zu gewähren.

Die Standuhr im Wohnzimmer schlug zur sechsten Stunde. Anubis streckte sich und gähnte.

Bevor er Springer im Revier ablösen würde, müsste er zum Nachtklub. Adelheid musste ihm heute die Ausweisdokumente geben und heute das gestohlene Auto melden.

Adelheid.

Seine Finger fuhren über die verheilenden Löcher auf der Innenseite seines Oberschenkels, die er trotz der Brandblasen an den Händen spüren konnte. Er sah ihr liebreizendes Gesicht vor Augen. Ihr schwarzer Bubikopf; ihre tiefschwarzen Pupillen; ihre blasse Haut. Die angespitzten Schneidezähne.

Zum Vergleich maß er mit den Fingern seine obere Zahnreihe ab. Drei Fingerkuppen passten zwischen die Schneidezähne. Um zu visualisieren, betrachtete er die drei Fingerkuppen von Zeige-, Mittel- und Ringfinger. Dann legte er sie zwischen die Bisse in seinem Oberschenkel. Abzüglich der Proportionen einer Frau füllten die Finger den Zwischenraum aus. Sie hatte ihn gebissen. Tatsächlich. Erst jetzt konnte er den Tatbestand realisieren.

Nachdem Anubis in der Gegend herumgeschaut hatte, sprang er vom Bett und humpelte mit dem kaputten Bein in die Küche, wo er auf Verpflegung hoffte.

Voss ahnte, dass Doktor Karczan Recht haben könnte. Magda Trumna könnte verblutet sein. Verblutet, weil man sie gebissen hatte. Verblutet, weil sie schlechte Gefäße hatte. Verblutet und anschließend in einem fingierten Autounfall angezündet.

Er kredenzte dem Kater etwas Milch und ein paar Scheiben Wurst. Ihm selbst war der Hunger vergangen. Die Prozedur im Badezimmer exerzierte er automatisch durch.

In der letzten Stunde Tageslicht hämmerte Gideon gegen die Eingangstür des Nachtklubs Zum Mond. Es war verschlossen und niemand scherte sich um das graue Gebäude, das erst in der Dunkelheit leuchtete. Nach unzähligen Triolen wurde ein Schließmechanismus betätigt und die Tür einen Müh aufgeschoben.

Peter Plogojowitz blinzelte durch einen Spalt. »Ja?« Der bleiche Teint der Glatze kontrastierte die Finsternis, die im Klub herrschte. Das eingefallene Gesicht erinnerte an hungernde Obdachlose. Er schien den Kontakt mit dem Sonnenlicht vermeiden zu wollen, sich in der Dunkelheit suhlend.

»Sie?«, setzte Plogojowitz unwirsch nach, wie er den Kommissar erkannte. Das Licht blendete ihn.

»Herr Plogojowitz, ich muss mit Ihnen und Adelheid sprechen!« Voss drückte die Tür weiter auf, bis sich eine Sicherheitskette spannte. Der Durchgang war noch immer zu schmal. Selbst der schmächtige Hausherr könnte sich nicht dadurch zwängen.

Plogojowitz musterte den Polizisten. »Dienstlich?«

»Macht das einen Unterschied?« Voss wurde ungeduldig.

»Nun, als Kriminalkommissar würde ich Sie herein bitten, aus Respekt und Anstand den städtischen Behörden gegenüber. Als Privatperson müsste ich Sie auf eine spätere Stunde vertrösten, denn wir haben noch geschlossen.«

Das blasse, blasierte Grinsen brachte Voss fast zur Weißglut. Er zückte seinen Dienstausweis und schlug damit gegen die Tür. Die Glieder der Sicherheitskette rasselten.

»Dienstlich«, nickte Plogojowitz, entfernte die Kette und öffnete die Tür. »Bitte sehr, Herr Kommissar.«

»Haben Sie den Autodiebstahl angezeigt?«, nörgelte Voss, das Innenleben des Klubs inspizierend. Dabei suchte er nur nach dieser Frau, die seine Träume nach Belieben dominierte. Ohne die Gäste, den flackernden Kerzenschein, die hübschen Kellnerinnen, die stimmungsvolle Musik und den Zigarettendunst glich der Nachtklub einer verwahrlosten, tristen, muffigen Absteige. Mitgenommene Holzstühle und fleckige Lattentische standen auf schmutzigem Parkett. Die Wände waren vergilbt und verschieden ausgeprägte Ablagerungen konnten mit viel Fantasie für Landkarten oder Flussmonster gehalten werden. Es stank nach Zigarettenasche und Nuancen von Frauenparfüm, das gegen Männerschweiß kämpfte.

Plogojowitz schloss die Tür, samt Sicherheitskette und Schlüsselbetätigung. »Ich dachte, das hätte Adelheid schon erledigt.«

Voss schüttelte den Kopf. »Sie ist verschwunden, ehe wir zum Revier fahren konnten.« Er steuerte auf das Büro hinter dem Bartresen zu.

Plogojowitz hob die Hand. Seine schlaksigen Beine schlackerten beim hurtigen Gehen, als er dem entschlossenen Schnüffler folgte. »Herr Kommissar! Das ist Privatbereich!«

Mit Schwung schleuderte Voss die Bürotür auf. Der exponierte Türgriff knallte gegen die Wand. Sein Puls beschleunigte sich, denn Adelheids Duft schlug ihm entgegen, inklusive der Erinnerungen an den Geschlechtsverkehr, den sie hier hatten – am Schreibtisch, auf dem Teppich und dem Sofa.

Außer Atem überholte Plogojowitz den Kommissar und stellte sich ihm in den Weg. »Sie ist nicht hier!«, keuchte er. »Adelheid ist nicht hier. Bitte verlassen Sie mein Büro!«

Voss versuchte am hochgewachsenen Mann vorbei zu blicken. Auf dem Schreibtisch konnte er Magdas Ausweispapiere aber nicht entdecken.

»Geben Sie mir Fräulein Trumnas Papiere!«, forderte Voss.

»Wieso?« Plogojowitz schaute irritiert. »Die habe ich nicht.«

Voss zeigte zum Schreibtisch. »In einer der Schubladen.«

Als sich Plogojowitz umdrehte, rauschte Voss an ihm vorbei und machte sich an den Schubladen zu schaffen.

»Herr Kommissar!«, rügte Plogojowitz mit Nachdruck. »Wenn Sie meine Privatsphäre nicht beachten, muss ich Sie aus meinem Klub werfen.«

Ohne aufzusehen, machte Voss eine abfällige Handbewegung. »Bitte! Tun Sie, was Sie für richtig erachten.« Er wühlte in den Fächern, konnte das wichtige Dokument aber nicht finden.

Plogojowitz stieß einen empörten Laut aus. »Ich rufe Ihren Vorgesetzten an.« Er zuckte zusammen, als Voss mit der Faust auf den Schreibtisch haute.

»Es ist nicht hier!«, wetterte Voss und fixierte den Besitzer.

Dieser breitete die Arme aus. »Das habe ich Ihnen doch gesagt!«

»Wo ist Adelheid?«

Plogojowitz hob die Schultern. »Das weiß ich nicht. Sie muss vor mir aufgestanden sein. Als ich erwachte, war sie weg.«

»Hat sie gesagt, weshalb sie mich stehen lassen hat?«

»Nein.«

Voss kam auf Plogojowitz zu und machte sich groß. Mehr als Unterkante Kinn war nicht drin. »Zeigen Sie mir Ihre Zähne!«

»Was?« Plogojowitz machte ein verdutztes Gesicht.

»Lächeln Sie. Für mich. Bitte«, versuchte es Voss mit ein wenig Freundlichkeit. Auch wenn sie nur aufgesetzt war.

Zögerlich lächelte der Angesprochene. Bis auf ungerade, gelbe Beißer, die ansonsten ihre natürliche Form aufwiesen, konnte der Kommissar nichts beanstanden, wenn man den Mundgeruch missachtete, den Bakterien und Mageninhalt im Schlaf erzeugt hatten.

Voss packte den langen Mann am Hemdkragen und zog ihn herunter, damit der Augenkontakt Wirkung entfaltete. »Sobald Adelheid hier auftaucht, schicken Sie sie zu mir! Wenn Sie bis Mitternacht nicht im Neunten Revier ist, werde ich eine Razzia veranlassen, die Ihren Klub auf den Kopf stellt. Vielleicht finden wir ja ein paar Ungereimtheiten.«

Plogojowitz hechelte, angesichts der Drohung und der Zwangslage mit dem zugezogenen Kragen, der sich in seinen Hals schnürte. Geschwind wackelte er vertikal mit dem kahlen Schädel.

Im Neunten Revier begrüßte Voss den Schupo Schumann.

»Voss!«, erwiderte der korpulente Empfangspolizist.

Voss lehnte sich über den Tresen. »Sag mal, Schubi, hast du die Obduktion der Unfalltoten angeordnet?«

Schumann zog die Hosenträger stramm. »Friedrich hat mir das aufgetragen.« Er flüsterte, »Hast du was rausgefunden?«

»Nach wie vor ein Unfall«, entgegnete Voss. »Wie gut kennst du Doktor Karczan? Habt ihr regen Kontakt?« Nebenbei legte er das Adresskärtchen, das er von Schumann erhalten hatte, zurück.

»Ich schreibe seinen Namen immer falsch. So gut kennen wir uns«, lachte Schumann. »Wenn ich es mir recht überlege, haben wir uns noch nie gesehen. Wie sieht er aus?«

»Wie eine Schabe«, flachste Voss.

Schumann flog fast vom Stuhl vor Lachen. »Genau so stelle ich ihn mir vor. Apropos Schabe, oben wartet jemand auf dich.«

»Springer.« Voss lugte auf seine Taschenuhr. »Wenn ich ihn eine Minute zu spät ablöse, verpetzt er mich bei Friedrich.«

»Sesselfurzer«, kommentierte Schumann missbilligend.

»Friedrich?«

»Der auch«, wisperte Schumann, den Blick zu allen Seiten schweifend. »Aber nicht nur Springer.« Er grinste anzüglich. »Hast du es so nötig, Gideon, dass du ein Freudenmädchen aufs Revier kommen lässt? Lass das den Falschen sehen und Friedrich steht auf der Matte.«

Voss’ Rücken begradigte sich. »Sie ist hier?« Es konnte nur sie sein. Adelheid.

Schumann nickte. »Ein hübsches Ding. Etwas blass und dürr für meinen Geschmack, aber nett anzusehen.« Er schickte den Kommissar ins erste Obergeschoss. »Beeil dich, bevor Springer seinem Namen alle Ehre macht!«

Das balzende Gelächter von Kriminalkommissar Leopold Springer verstärkte sich mit jeder Stufe, die Voss nach oben nahm. Adelheid saß mit dem Rücken zur Treppe. Sie hatte die Beine übereinander geschlagen und die Hände locker in den Schoß gelegt. Springer fläzte wie üblich mit den beschuhten Füßen auf der Tischplatte halb liegend im Stuhl. Selbst aus der Entfernung konnte Voss dessen Gebaren deuten. Ein Lüstling sondergleichen. Abgesehen davon, unterhielten sie sich glücklicherweise über die Stadt und deren abstoßende Anziehungskraft. Springer hatte den Kommissar bereits abgelegt. Der beutewitternde Jagdhund sprach aus ihm.

»Leopold«, unterbrach Voss die Konversation. Springer schaute missmutig zu ihm. Adelheid drehte sich erfreut um.

»Da ist die Pfeife«, lästerte Springer. »Ich weiß nicht, was Sie an ihm finden, aber wenn er versagt, wissen Sie ja, wo Sie mich finden«, zwinkerte er Adelheid zu und streifte im Aufstehen über ihren Knöchel, der durch die aufgebockte Stellung freiliegend zwischen gerafftem Kleid und kokettem Schuhwerk Luft schnupperte.

Voss knurrte kurz, aber so leise, dass sein Kollege davon nichts mitbekam. Springer war sowieso dem Rausch der Endorphine ausgesetzt.

»Pünktlich«, lobte Springer die Nachtschicht, schnappte sich seinen Mantel und verabschiedete sich mit Handkuss bei Adelheid. »Ich habe selten eine Frau wie Sie gesehen.«

Voss marschierte zwischen Springer und Adelheid hindurch, was Springers Arm von ihrer Hand trennte. »Gute Nacht!«, schickte er die Tagschicht nach Hause.

Mit einem schelmischen Schmunzeln löste Springer sich vom Anblick der Dame. »Friedrich hat dir eine Nachricht hinterlassen«, rief er von der Treppe zu Voss, »Und morgen früh werde ich etwas später kommen. Meine Träume muss ich schließlich auskosten.«

Adelheid kicherte heimlich.

»Ja, ja«, winkte Voss angefressen. Er atmete tief durch, bis Springers Abgesang mit dem Abgang verhallte.

»Hallo Gideon«, begann Adelheid. Sie rückte mit dem Stuhl näher heran.

Sofort umgarnte ihn ihr Kirschblütenduft. Er rang mit seiner Kontenance.

»Es tut mir leid, dass ich mich nicht von dir verabschieden konnte. Der Anblick der Leiche hat mich mitgenommen.« Sie nahm seine Hand und rieb mit dem zarten Daumen über den Rücken, gewellt von Venen und Knochen.

Gideon vermied Blickkontakt. Stattdessen las er die handschriftlichen Zeilen von seinem Chef: Sachstand zur Flammenfrau, dringend. Flammenfrau. Er konnte sich kaum konzentrieren. Ihre Berührungen weckten ein starkes Verlangen in ihm.

»Als Wiedergutmachung habe ich die Dinge erledigt, die du mir aufgetragen hast.« Sie legte die Ausweispapiere von Magda Trumna auf den Tisch. »Der Autodiebstahl ist aktenkundig und die Einäscherung der Leiche ins Rollen gebracht.«

Nun konnte Gideon nicht länger den Unnahbaren spielen. Er schaute ihr direkt in die tiefschwarzen Augen, die ihn unmittelbar einfingen.

»Leo hat den Arzt angerufen.«

Leo. Gideon erschauderte innerlich. Eifersucht?

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