Kitabı oku: «Vampyr», sayfa 5

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»Anscheinend hat das genügt. Er hat ihm den Namen bestätigt und der Arzt wird sie morgen verbrennen lassen.«

Leo. Gideon schnaubte innerlich. Neid? Dieser Kerl hatte nicht nur einen guten Draht zu Adelheid, sondern auch zum Doktor. Plötzlich spürte Gideon den angewärmten Stuhl, auf dem Leo zuvor gefläzt hatte. Instinktiv kniffen sich Gideons Pobacken zusammen.

»Jetzt kannst du den Bericht abschließen«, lächelte sie erleichtert und streichelte über die abheilenden Brandblasen in seinen Handinnenflächen. »Die Salbe scheint dir zu helfen.«

»Dich überrascht die Wirkung?« Er verzog keine Miene.

Adelheid schaute auf. Sie suchte in seiner Mimik nach Anschuldigungen. »Wie meinst du das?«

Gideon studierte ihren halb offenstehenden Mund, aus dem ansatzweise ihre Zähne hervorblitzten, auch die angespitzten Eckzähne. »Gehört das zu irgendeinem Okkultismus?«

»Gideon, was ist los?«

Er betrachtete ihre fahle Erscheinung mit den schwarzen Attributen. »Ich habe eine Theorie.« Er stieß ihre Hand weg, um Abstand zu ihr zu gewinnen. »Du hast an Magda Trumna gesaugt, wie du es an mir getan hast, doch dabei ist sie verblutet. Du hast den Wagen gegen den Werbepfosten gefahren, damit es so aussieht wie ein Unfall. Dann hast du sie mit Kraftstoff überschüttet und angezündet. Die Zigarettenpackung hast du danebengelegt, wie bei einem Theaterstück. Und jetzt machst du dich an mich ran, um mich zu manipulieren.« Er öffnete die Schublade. Die Schokoladentaler hatte er noch immer nicht aufgefüllt. Verdammt!

Sie schwiegen sich eine Weile an. Wobei Adelheid den Blickkontakt mied. Sie schien sich die passenden Worte zurechtzulegen. Schließlich hielt sie dem Kommissar ihre beiden Handgelenke hin, bereit für die Handschellen.

»Du hast Recht, Gideon. Ich habe ihr Blut getrunken. Dabei ist sie verstorben. Ich bin die Mörderin.«

Wieder erfüllte Schweigen das obere Geschoss. Die Nacht eroberte indes die unbeleuchteten Winkel.

Ihr Geständnis änderte nichts an seinen Gefühlen für sie. Im Gegenteil, sie faszinierte ihn umso mehr. Doch er musste ihr auf den Zahn fühlen.

»Du willst mich veräppeln!«

Adelheid schüttelte den schwarzen Bubikopf. »Die Salbe konnte die Blutung nicht stoppen«, raunte sie gefasst.

Gideon schloss eine versperrte Schublade am Schreibtisch auf. Die Geständige machte sich bereit für Handschellen, doch er holte die Akte hervor und blätterte ziellos darin herum.

Der von Schumann spekulativ geschilderte Unfallhergang, beeinflusst durch Gideons Hypothese. Der vorgefundene Zustand am Unfallort. Die schlechten Bilder der Schupo. Der gefälschte Obduktionsbericht.

Er nahm einen Füllfederhalter und ergänzte den Namen der Toten, quittiert mit seiner Unterschrift und seinem Kürzel: KK GV 9 – Kriminalkommissar Gideon Voss vom Neunten Revier. Danach klappte er die Akte zu. Sobald die Leiche verbrannt wäre, würde der Unfall in den Aktenschrank der Schutzpolizei wandern. Lediglich Schubi und Doktor Karczan könnten ihm noch das Genick brechen. Schubi, weil er Interesse an seinem Beruf hatte, gern über den Tellerrand hinausschaute und gut verknüpfen konnte, und Karczan, weil er ein ausgezeichnetes Gedächtnis sein Eigen nannte. Den einen könnte Gideon zu einem Mitwisser machen, der sich sicherlich nicht selbst in die Pfanne hauen wollte; dem anderen könnte er einen harten Kopfstoß verpassen, in der Hoffnung, Gedächtnislücken zu erzeugen.

Die vier Schupos, die den Unfallort gesichert hatten, kannte Gideon noch von seiner Zeit bei den Schutzmännern. Diese vier interessierten sich mehr für das Feierabendbier als für einen Unfall, der vom Kommissariat als Unfall abgestempelt wurde. Die Flammenfrau war zwar ein Lichtblick im Randbezirk des Neunten Reviers, aber keiner vermutete dahinter einen rituellen Mord. Sie ergötzten sich lediglich am Unfallhergang, den sie den Kindern als Gutenachtgeschichte auftischen konnten – oder den einsamen Frauen des Nachtlebens, um zu beeindrucken.

»Was ist danach passiert?« Er schob Adelheids zur Fesselung dargebotene Handgelenke zurück in ihren Schoß, wo er für einen Augenblick die Hitze zu spüren glaubte, die ihn vor nicht allzu langer Zeit umschlossen hatte.

»Nach der Speisung?« Adelheid prüfte seine Reaktion. Sie forschte nach, ob er bereit für die ganze Wahrheit war.

»Speisung?« Gideon kratzte sich am Kopf. Die Pomade aus den Haaren hinterließ einen fettigen Film auf seinem Finger. Er bedeutete ihr fortzufahren.

»Wir wussten nicht, was wir tun sollen. Bisher ist es immer gut gegangen.« Sie senkte ihr Haupt. »Wir dachten, wir könnten die Polizei mit dem Unfall täuschen und unser Gewissen erleichtern.«

»Wir? Ist das so eine Art Sekte? Ein Zirkel, der«, Gideon suchte nach Verben, konnte aber keine finden.

»Ja«, antwortete Adelheid. Sie lehnte sich zu ihm und fasste seine Hand. »Ich kann es dir nicht erklären. Du würdest es nicht verstehen. Aber du kannst es dir anschauen, wenn du mir was versprichst.«

Gideon war nicht abgeneigt.

»Die Speisung ist einvernehmlich.« Sie deutete auf seinen Oberschenkel, wo sich ihre Eckzähne Zugang verschafft hatten. »Du darfst gastieren, aber als Gideon Voss und nicht als Kriminalkommissar Voss. Keiner der Anwesenden wird dazu gezwungen und es geschehen keine Dinge, die gegen Gesetze verstoßen.« Körperverletzung mit Einwilligung, dachten beide gleichzeitig und führten ihre letzte Aussage ad absurdum.

»Wieso sollte ich dem beiwohnen?« Trotz der Skepsis flammte eine gewisse Neugier auf. Allein schon Adelheids mittenbetonte, engelsgleiche Stimme lullte ihn ein. Er könnte ihr stundenlang zuhören, ohne dem Bedürfnis nach Nahrung oder Schlaf nachzugeben, nachzugehen.

»Damit du es verstehst«, begründete sie. »Wir wollen niemandem etwas Böses. Magdas Tod war ein«, sie überlegte, »Missgeschick, wenn man das so sagen kann. Aber was hätten wir tun sollen? Hättest du uns geglaubt, Herr Kommissar?«

Zögerlich verneinte Gideon. »Wie viele Menschen sind an dem Tod von Magda Trumna beteiligt?«

»Nur ich«, gestand sie eilig.

Gideon musterte sie kritisch. Ihre zarten Hände; ihre dünnen Arme; ihre weichen Schultern. Kurz bevor er erneut ihrer Anmut verfiel, schaffte er den Schlenker zurück zur Ermittlung. »Du hast sie getrunken, sie ins Auto verfrachtet, bist gegen den Werbepfosten gefahren, hast sie aus dem Kofferraum geholt, ihr Kraftstoff über den Skalp geschüttet, eine Zigarette zum Schein geraucht, Magda angezündet und bist zu Fuß geflüchtet?«

Adelheid nickte.

Gideon blickte zur Treppe. Sie redeten zwar gedämpft, aber wenn irgendjemand den Verlauf dieses Gesprächs mitbekam, würde man ihn ins Gefängnis stecken. Angeklagt wegen Beihilfe zum Mord oder der Vertuschung. Die Dokumentenfälschung würde da gar nicht mehr ins Gewicht fallen.

Er tippte auf die Akte auf dem Tisch. »Hiermit ist es ein Unfall, bei dem die Diebin mit dem gestohlenen Fahrzeug verbrannt ist.« Nicht ganz uneigennützig, denn seine investigative Nachlässigkeit hätte disziplinarische Folgen, schlimmstenfalls seine Entlassung und die Hinrichtung der Frau, der er verfallen war, sollte man sie überführen.

»Hast du mich manipuliert?« Rhetorisch. Er kannte die Antwort. Ja, zum Teufel, sie hatte ihn manipuliert. Sie hatte ihn bestochen mit ihrem Körper, ihrer Grazie, ihrer Leidenschaft.

»Ich wollte dich«, offenbarte Adelheid unverfroren. »Ich will dich immer noch.«

Für einen Bruchteil einer Sekunde dachte Gideon daran, wie es wäre, Springer unter die Nase zu reiben, dass er die bezaubernde Braut auf dem geteilten Bürostuhl vernascht hätte. Springer würde sich nicht mehr einkriegen.

»Und diese Sache mit dem Blut, ist das so ein Fetisch von dir?«

Adelheids weiße Wangen bekamen einen rötlichen Schimmer. »Es ist ein Bestandteil meiner Befriedigung.«

Gideon wurde warm im Schritt. »Also war das mit Magda … «

»Befriedigung«, ergänzte sie.

Er konnte sie nicht als Mörderin sehen. Nicht bei der Vorstellung dieses Liebesspiels. Genaugenommen war es ja auch Totschlag. Ihr fehlte der niedere Beweggrund zum Mord. Sie wollte Magda nicht töten, sich einzig mit ihr vergnügen. Auf die Spitze getrieben, könnte es sogar lediglich Körperverletzung mit Todesfolge sein. Also, für ihn. Für den Rest der Welt war es ein Autounfall mit tödlichem Ausgang.

»Morgen Abend«, lud sie ihn ein. »Im Klub.«

»Was erwartet mich?« In seinem Kopf spielte sich gerade eine Orgie ab. Er geißelte sich für seine unkeuschen Fantasien.

Adelheid beugte sich vor. Das geraffte Kleid mit den schmalen Trägern gab den Blick auf ein tiefes Dekolletee frei, das Gideon nicht entging. »Mein wahres Ich.«

Es blieb ihm im Halse stecken. Erregung. Scham. Lust. Vorbehalte. Gier. Prüderie.

Sie schaute zur Akte. »Muss ich mir Sorgen machen, dass du mich an den Pranger stellst?«

Sein Blick wendete sich widerwillig von dieser geheimnisvollen Schönheit ab, um die Akte zu fokussieren. »Nein«, räusperte er sich, unfähig zu weiteren Verbalisierungen.

Sie erhob sich, nahm ihren langen Mantel von der Stuhllehne, warf diesen über, verabschiedete sich mit einer Verbeugung, die in einen feuchten Kuss mit dem Kommissar mündete, und verließ das obere Stockwerk, ohne sich noch einmal umzudrehen.

Gideon saß noch mehrere Minuten gebannt auf seinem Sitz. Seine Augen stierten zur Treppe. Seine Nase zog immer nur einen Hauch ein, um den sich verflüchtigenden Kirschblütenduft nicht zu schnell zu verbrauchen.

Als er seine Apathie ablegen konnte, versuchte er seinen allnächtlichen Ablauf abzuspulen. Doch nach einer kurzweiligen Politur seiner Schuhe hielt es ihn nicht mehr auf dem Gesäß. Er nahm die Akte und schlenderte nach unten zu Schumann.

»Fürs Archiv.« Voss schob die Akte auf den Ablagestapel des Wachtmeisters Tresen.

Schumann hob den Kopf. »Was ist das?«

Voss stützte sich mit dem Ellenbogen auf dem Tresen ab. »Der Unfall mit der Flammenfrau.«

Schumann spitzte die Ohren. »Abgeschlossen?«

Voss bejahte.

»Und die Obduktion?« Wie Schumann die Akte aufschlagen wollte, legte Voss seine Hand darauf.

Er schaute sich um. Kein Ordnungshüter in Hörweite. »Ich bin da einer Sache auf der Spur, Schubi«, sagte er leise. »Wenn wir diesen Unfall aufbauschen, werden sich einige Leute in ihre Höhlen verkriechen und wir werden sie da nie heraus bekommen.«

Schumanns Augen weiteten sich. »Organisierte Kriminalität?«

»So ähnlich«, lockte er den Kollegen auf eine falsche Fährte.

»Und was hat die Flammenfrau damit zu tun?« Schumann sprang bald aus seinem Stuhl, so aufgeregt fragte er nach.

»Das muss ich noch eruieren. Vielleicht war sie nur zur falschen Zeit am falschen Ort.«

»Ein Bauernopfer? Ein Sündenbock?« Kindliche Neugier entbrannte im Schutzpolizist.

Voss legte den Finger vor die gespitzten Lippen. »Wir beide wissen davon. Das muss unter uns bleiben, sonst sind meine Ermittlungen in Gefahr.«

»Friedrich?«

»Friedrich wird von mir unterrichtet, auf einem geheimen Kanal«, schwindelte Voss frei von der Leber weg.

Man konnte Schumanns Faszination in jeder Faser sehen. Der bullige Bulle war zu Voss’ Spielball degradiert worden. Er tat Voss leid.

»Sorge dafür, dass die Akte in den Schrank der abgeschlossenen Schupo-Fälle kommt. Wenn Friedrich fragt, sagst du ihm, dass ich ihm eine Nachricht schicken werde, sobald ich weitere Informationen habe. Ansonsten darfst du darüber keiner Seele etwas erzählen, verstanden?«

Schumann schloss den Reißverschluss an seinen Lippen und warf den Schlüssel weg.

»Danke, Schubi!« Wenn das alles vorbei wäre, würde er ihm eine Erklärung schuldig sein. Außerdem würde er ihm ein Geschenk machen, weil er ihn nach Strich und Faden belogen hatte. Worüber würde sich Schubi freuen? Ein Schokoladenbrunnen?

Zurück an seinem Schreibtisch verfasste Voss eine Notiz für seinen Chef: Unfall bestätigt, Obduktion schließt Fremdeinwirkung aus, Tote war Teil einer Sekte, prüfe Sekte. Er las die Zeilen ein paar Mal. Beinahe hätte er eine neue Notiz gemacht, die den Sektenverweis verheimlichte, aber er kannte Friedrich. Mit einem lapidaren Unfalltod würde dieser sich keineswegs zufrieden geben, wenn er dem Opfer schon einen reißerischen Namen gegeben hatte: Flammenfrau. Voss könnte ihn mit Häppchen füttern, über Wasser und bei der Stange halten, bis er einen probaten Ausweg fand, wo er die Flammenfrau mit der Sekte verbinden konnte, ohne Adelheid zu gefährden. Außerdem wären seine nächtlichen Ausflüge mit der Sektenbegründung gedeckelt.

»Gideon!«, drang vom Untergeschoss herauf. Schumann rief aufgeregt. »Gideon!«

Das klang nach Arbeit. Er krallte sich Mantel, Filzhut und Pistolenholster und stürmte nach unten, wo ihn der uniformierte Schumann erwartete.

»Ein Einbruch im Bonzenviertel«, klärte Schumann auf. »Die Schutztruppe ist bereits vor Ort und sichert den Tatort.«

Kein gutes Omen, dachte Voss. Bonzen. Und Schupos, die den Tatort sicherten oder wie er es nannte: unbrauchbar machten. Dass er das Telefonklingeln aus dem Erdgeschoss nicht gehört hatte, schob er darauf, dass er gar nicht wusste, wie sich das Telefonklingeln aus dem Erdgeschoss anhörte, da es so selten erklang.

Am äußersten Stadtrand erreichten die beiden Polizisten eine Sackgasse, die in ein umzäuntes Villenviertel führte. Dahinter begannen Wald und Wiesen. Ideal für die Flucht von Einbrechern, wenn sie die hohen Zäune überklettern konnten. Die Zäune und domestizierte Wolfshunde verringerten die Einbruchquote. Einmal im Jahr versuchte es dann aber doch ein verzweifelter Langfinger. Wenn er nicht von den Zaunspitzen aufgespießt oder von den Wolfshunden zerfleischt wurde, durfte er der Göttin Fortuna danken.

Schumann hielt den Wagen auf dem Kiesweg vor einer weißen Villa. Im nächtlichen Mondschein leuchtete das palastartige Gebäude, vor allem wegen des Einsatzes aller vorhandenen Leuchtmittel im Haus. Angeleinte Wolfshunde jaulten, kläfften und bellten. Schutzpolizisten hatten das Gebäude umstellt und behelfsmäßig ausgeleuchtet – mit den Autoscheinwerfern und ihren Taschenlampen.

»Was will der Sesselfurzer hier?«, wurde Voss von einem der Männer mit Pickelhaube und silbernen Schulterabzeichen begrüßt.

Voss sah bittend zu Schumann, der die Bitte richtig deutete und bei den Kameraden den bisherigen Erkenntnisstand einholte. Der Kommissar blieb zurück, lässig am Fahrzeug angelehnt, argwöhnisch gemustert von den Polizisten und den am Fenster stehenden Eigentümern und Hausangestellten.

»Die Bewohner hätten die Person flüchten gesehen, können diese jedoch nicht beschreiben«, überbrachte Schumann die Einzelheiten, die er den Schutzpolizisten entlocken konnte. »Eine Scheibe wurde eingeschlagen und Schmuck fehlt. Aber nicht viel, denn die Hunde haben früh angeschlagen und konnten den Einbrecher vertreiben. Hinten am Zaun ist Blut. Wahrscheinlich hat er sich beim Klettern verletzt.«

»Die Männer sollen hinterm Zaun das nahe Umland absuchen«, gab Voss Schumann Anweisungen. Er wollte eigentlich nur etwas Freiraum, um den Tatort ohne blöde Kommentare von der Seite zu erkunden. Dass er die Männer vermutlich in den Sumpf schickte, nahm er billigend in Kauf. Er hoffte, dass Schumanns Leibesfülle nicht der Auslöser wäre, wenn dieser im Schlamm tiefer versänke als die restlichen Beamten.

Schumann nickte. »Im Auto sind Taschenlampe, Schreibblock, Bleistift und Maßband«, zeigte er auf den Kofferraum. Er schien traurig zu sein, dass er nicht partizipieren durfte.

Voss bedankte sich artig. Als Schumann mit den maulenden Pfeifen hinterm Haus verschwunden war, untersuchte Voss Haus und nähere Umgebung. Den Kofferraum des Fahrzeuges ließ er unangetastet zurück.

Natürlich hatten die Schupos dutzende Stiefelspuren hinterlassen. Vorm Haus, sowie im Haus. Der Flur war mit dreckigen Fußabdrücken übersät. Das eingeschlagene Fenster war nach innen gesplittert. Ein faustgroßer Stein lag in den Glasscherben. Der ausgeleuchtete Raum musste das Damenzimmer sein. Spiegel, Schmuckkommoden und Kleiderschränke vermittelten zumindest den Eindruck. Ein dunkelfarbiges Hausmädchen eilte zum Kommissar.

»Guten Abend! Ich soll Sie von den Herrschaften fragen, wann Sie denn fertig sind. Die Herrschaften wollen wieder zu Bett.« Die Magd senkte demütig ihr Haupt.

Voss sondierte das Zimmer. »Wo fehlt der Schmuck?«

Das Hausmädchen zeigte auf eine Kommode, die direkt neben dem Fenster stand. »Aus der Schatulle da oben drauf.«

Er beäugte die geöffnete Schatulle, an deren Innenhaken im Deckel Goldketten hingen. Teilweise mit Diamanten besetzt. Ein Ablagefach in der Mitte des Innenraums der Schatulle war komplett ausgeräumt. Er deutete mit dem Finger darauf. »Hier?«

Das farbige Hausmädchen nickte. »Ungefähr vier Halsketten.«

»Ungefähr?« Voss langweilte sich, versuchte allerdings professionell zu wirken.

»Die Madame hat keine Ordnung, wenn Sie das meinen.« Das Mädchen schaute schnell über die Schulter. Als sie niemanden entdeckte, plapperte sie weiter. »Sie legt den Schmuck einfach ab. Wie es ihr gefällt. Manchmal räume ich den Schmuck auch ein, weil sie ihn dort auszieht, wo sie gerade steht.«

»Und Sie haben den Einbrecher gesehen?«

»Ja.«

»Nur Sie?«

Die Frau nickte.

»Wie sah er aus?«

»Das habe ich Ihren Kollegen schon erzählt«, erwiderte sie renitent.

»Erzählen Sie es mir noch einmal.«

»Er war groß«, eröffnete sie die Beschreibung und streckte die Hand nach oben, um die geschätzte Größe anzuzeigen. »Und dunkel gekleidet.«

Voss wartete, doch mehr kam nicht. »Sonst noch was?«

Das Hausmädchen schaute unsicher auf seine Hände, die locker in der Manteltasche steckten. Kein Stift. Kein Notizblock. »Wollen Sie das nicht notieren?«

Der Kommissar äffte das Hausmädchen nach, indem er seine Hand nach oben streckte, um die Größe anzuzeigen. »So groß?«

Sie bejahte.

»Das kann ich mir merken.« Die Hand verschwand wieder in der Tasche. »Und die Hunde haben den Übeltäter verjagt?«

Erneutes Nicken. Die Frau wippte unruhig.

Voss bemerkte die Stille. Die Hunde hatten aufgehört den Mond anzuheulen, als die Schupos vom Grundstück traten und er ins Haus ging. Er taxierte die Dienerin.

»Wurden Sie schon einmal beim Klauen erwischt?«

»Wie bitte?«, echauffierte sich die Farbige.

Die Dame des Hauses betrat ungeschminkt im Abendmantel und mit Haarnetz ihr Frisierzimmer. »Wie können Sie es wagen, mein Mädel anzuschwärzen?«, regte sich die beleibte Frau älteren Kalibers auf und löcherte den Kommissar mit vorwurfsvollen Blicken.

»Hören Sie das?«, nickte Voss nach draußen.

Ruhe.

»Sobald jemand das Grundstück betritt, fangen die Köter an zu bellen. Ich schätze mal, dass sie nachts nicht angeleint sind?«

Die Madame bestätigte, wollte ihm aber noch nicht verzeihen.

»Wie kann ein Fremder vom Zaun bis zur Villa gelangen, mit einem Stein das Fenster einschlagen und sich zielgerichtet in einer Schatulle bedienen, die unscheinbar und geschlossen auf einer Kommode steht, wenn die Hunde auf jeden Gast reagieren? Einen echten Einbrecher hätten die Köter wahrscheinlich gleich nach dem Zaun zur Strecke gebracht, oder?«

Die Augen der Madame richteten sich auf die Magd. Die Hunde kläfften. Schumann gesellte sich dazu. Die Hunde verstummten.

Er trat schnaufend an Voss heran. »Am Zaun. Das ist kein Blut. Es ist Rost«, sagte er, seine Kameraden in Schutz nehmend, obwohl er wusste, dass diese nicht für die Ermittlungen taugten.

Die Information überraschte Voss nicht im Geringsten.

»Wollen Sie Ihre Taschen leeren oder sollen wir Ihr Zimmer auf den Kopf stellen?«, wendete sich der Kommissar an das Dienstmädchen.

Diese schweifte mit ihren Blicken zwischen den Polizisten, der Schatulle, dem in Fragmenten frakturierten Fenster und ihrer Madame hin und her.

Voss sah sich bestätigt. »Ziehen Sie das nicht künstlich in die Länge. Ihre Herrschaften wollen wieder ins Bett.«

Die Dienstmagd griff in Brusthöhe unter ihr Kleid und holte aus dem Büstenhalter vier goldene Ketten heraus. Schumann verfolgte die Darbietung aufgeregt.

»Entschuldigen Sie, Madame. Das mache ich nie wieder«, bettelte sie reumütig.

Die Hausdame ohrfeigte das Mädchen, sodass dieser die Ketten aus der Hand und auf den Boden fielen.

»Sollen wir sie mitnehmen?«, fragte Schumann. Die Uniformjacke spannte über den Bauch.

Im Vorgarten tönten die Hunde. Taschenlampen bewiesen, dass die Schupos von ihrem Ausflug zurückkehrten.

»Ich will dich hier nie wieder sehen!«, wetterte die dicke Alte mit einer Drohgebärde zu ihrer geschassten Angestellten.

Schumann wertete dies als Bestätigung. Er holte einen Kollegen heran. »Nehmt sie mit aufs Revier. Sie hat gestohlen.« Ins Ohr flüsterte er, »Wie immer: eine Nacht in der Zelle und dann mit der Tram in einen anderen Bezirk schicken.«

Der herbeigerufene Schupo nickte und führte die Magd ab.

Schumann neigte sich zum Kommissar. »Wo ist der Schreibblock? Willst du dir nichts aufschreiben?«

Voss runzelte desinteressiert die Stirn. »Das Dienstmädchen kann uns in Ruhe auf dem Revier alles servieren.« Er lächelte die Madame an, die sich mühte, ein Wort von der gedämpften Unterhaltung aufzuschnappen.

»Du bist der Kriminalist«, hob Schumann die Arme und verabschiedete sich von der Dame mit gebeugtem Kopf. »Madame.«

Diese fröstelte wegen des kaputten Fensters. »Und wer ersetzt den Schaden?«

Voss kickte ein paar im Zimmer verteilte Scherben an den zentraleren Glashaufen, der das steinige Wurfgeschoss bettete. »Schließen Sie am besten die Fensterläden, damit Kälte und Nachahmer draußen bleiben. Eine diebische Dienstmagd wird wahrscheinlich nicht für den Schaden aufkommen können.«

Die Frau stöhnte verärgert.

»Gute Nacht.« Voss lupfte den Filzhut leicht an und entfernte sich.

Auf dem Revier tippte Schumann den Bericht zum aufgeklärten Einbruchdiebstahl auf der Schreibmaschine. Jeder einzelne Buchstabe musste über ein Gestänge einige Zentimeter nach unten gedrückt werden, bevor der Tintenstempel auf das Papier stanzte. Trotz seiner Fingerfertigkeit war es eine mühselige Prozedur. Die Schokotaler halfen ihm. Der Anschlag der Schreibmaschine übertünchte sein Schmatzen.

Plötzlich rannte ein Junge durch die Tür ins Revier und holte den Polizisten aus dem mechanischen Schreibfluss. Der Junge trug alte, zerrissene Klamotten über dem ungewaschenen Leib. Eingefallene Wangen und ausgehöhlte Augen zeugten von Mangelernährung. Verschmierter Ruß bedeckte sein Gesicht. Schumann schätzte den Knaben auf zehn Lenze. Das Straßenkind versteckte sich aufgeschreckt und außer Atem hinterm Tresen. Die Sehorgane huschten zyklisch zur Eingangstür.

»Was willst du, Otto?« Schumann verdrehte die Augen, nachdem er seine Pickelhaube auf den Berg verzehrbereiter Schokoladentaler gelegt hatte. Der Junge war im Erdgeschoss des Reviers bekannt. Der Streuner fiel den Streifenpolizisten ein ums andere Mal auf, weil er sich mit stibitzten Zeitungen vom Vortag Münzen ergaunerte oder Obst und Gemüse aus den Einkaufskörben der Hausfrauen mopste.

»Die Blutsauger!«, rief Otto und zeigte zur Tür. »Die wollen mich umbringen!« Er bückte sich hinter das Eichenholz des Tresens.

Schumann brummte mürrisch, stand aber auf und stapfte zur Tür. Vorm Revier kam ihm auf dem Bürgersteig eine Frau mit langem Mantel entgegen. Ihr Atem formte kleine Wölkchen. Schumann beäugte auch die andere Wegrichtung.

»Was suchen Sie, Herr Wachtmeister?«, sprach sie ihn an.

Schumann drehte sich überrascht um. Mit der Ansprache hatte er nicht gerechnet. Unter dem dunklen Damenhut entdeckte er Ansätze einer hübschen Frau mit ebenmäßigen Gesichtszügen, blass vom Licht der Straßenlaterne, fundamentiert von einer schwarzen Perlenkette. Die Nacht trichterte ihm ein, dass er in tiefschwarze Pupillen schaute. Die Schatten des Hutes legten sich auf ihr seidenes Antlitz.

»Verdächtige Personen«, antwortete Schumann. Die schmale Taille und die engelsgleiche Stimme erinnerten ihn an jemanden.

Die Frau deutete mit dem Zeigefinger in ihre Blickrichtung. »Wenn Sie die Verfolgung aufnehmen wollen, dort habe ich vermummte Männer wegrennen sehen. Ist etwas passiert?«

Schumann schaute in die benannte Richtung. Mit der Zunge fischte er nach Schokoladenreste in den Zahnzwischenräumen. »Vielen Dank, Fräulein! Sie müssen sich keine Sorgen machen.«

Adelheid vollführte einen Knicks und ließ den Wachtmeister stehen, der bezüglich der Verknüpfung von femininen Reizen schwer von Begriff schien und keine Anstalten machte, seine Körpermasse in Schwingung zu versetzen.

»Was hast du wieder angestellt, Otto? Hast du was geklaut?«, forschte Schumann nach, wie er sich in seinen Stuhl bugsierte. Sofort prüfte er das Versteck unter seiner Pickelhaube. Ein flüchtiger Blick sagte ihm, dass kein Goldtaler fehlte. Verwundert, aber doch erleichtert, suchte er den stinkenden Bengel, der verängstigt zur Tür blinzelte.

»Nein«, versicherte der Junge. »Die Blutsauger wollen mich umbringen, weil ich sie gesehen habe.«

Schumann schmunzelte, wobei er den Kopf schüttelte. »Bist du auf den Kopf gefallen oder hast du was geschluckt?« Er wusste, wer den Begriff Blutsauger verwendete. Die armen Leute von der Straße nannten die Betreiber zwielichtiger Etablissements so. Jede Nacht strömten hunderte Kunden in die Bordelle, Kasinos und Klubs und labten sich an den Kostproben – Frauen, Glücksspiel, Alkohol. Danach taumelten sie benommen durch die Gassen, aschfahl und ausgelaugt wie Untote auf zwei wackeligen Beinen. Für die Leute, die noch nie an einem derartigen Gelage teilgenommen haben, waren die Vorgänge in den Etablissements unverständlich. Man sah vitale Menschen hineingehen und konnte nach einigen Stunden nur noch deren leblose Hülle aus den Gebäuden wandeln sehen. Drinnen mussten sich mitunter verrückte Dinge abspielen. Blutsauger hatte sich als Oberbegriff rasch eingebürgert. Alles, was man nicht verstand, wurde zügig verbannt.

Otto musterte das Erdgeschoss. »Ist der Fackelmann da?«

Schumann prustete los. »Fackelmann?«

»Der Mann, der mit den Flammen kämpfte. Der im Anzug.«

Nachdem Schumann sich wieder eingekriegt hatte, bedachte er den Jungen mit einem strengen Blick. »Mach dich vom Acker, Otto! Du weißt, dass du hier nicht gern gesehen bist.«

»Aber die Blutsauger werden mich umbringen!«

Schumann erhob sich und stemmte die Arme in die Seite, was seinen gewölbten Bauch stark betonte. »Deine Lügengeschichten haben dir noch nie geholfen. Mach, dass du Land gewinnst, sonst sperre ich dich ein.« Für eine Nacht konnte Schumann ohne Grund jeden einbuchten, begründet mit der Gefährdung des Allgemeinwohls.

Otto klammerte sich um die Beine des Polizisten. »Alles ist besser als die Dunkelheit da draußen.«

Voss kam frisch geduscht aus dem Keller. Die Pomade verrieb er noch mit den Händen, um seine Haare glatt zu streichen, die pechschwarz im schwachen Licht der Deckenlampen glänzten. Rote Schwielen an den Fingerknöcheln und das gemächliche Abebben der Pulsfrequenz bedeuteten, dass er sich im Untergeschoss am Boxsack verausgabt hatte. Er streckte und knickte die Finger, damit er der harten Beanspruchung mit Bewegung entgegenwirken konnte. Es knackte mehrmals in den Knöcheln.

Schumann blickte zu ihm. »Wieder ohne Bandagen?«

Voss sah auf und blieb abrupt stehen. Der Knabe, der sich am Bein des bulligen Bullen festklammerte, war der Knabe, der ihn zur Flammenfrau gelotst hatte. »Wer ist das?«, nickte er zum Anhängsel des ungleichen Duetts.

»Nur ein kleiner Rabauke, der gleich in der Zelle landet«, drohte Schumann dem Jungen.

Otto fixierte den Kommissar. »Helfen Sie mir, Fackelmann«, bat er freundlich.

Schumann feixte. »Fackelmann!« Der Ballast am Bein schien ihm nichts auszumachen.

Voss’ Puls schnellte wieder nach oben. Der Junge war Zeuge und konnte sein Gerüst zum Einsturz bringen. »Wie heißt du?«, wandte er sich an den Burschen.

»Otto«, antwortete Schumann schneidig, ehe sich der Bursche selbst vorstellen konnte.

»Komm mit, Otto«, deutete Voss mit dem Kopf die Treppe hinauf. »Und erzähl mir, warum du hier bist.« In seinem Hirn ratterten diverse Szenarien durch. Wenn das Kind hier war, um den Unfall beziehungsweise Mord mit seiner Zeugenaussage zu untermauern, hatte er bisher noch nichts gesagt, weil sich Schumann relativ normal verhielt. Der heruntergekommene Zustand des Straßenkindes, der auf dessen Herkunft hindeutete, schloss außerdem eine Informationspreisgabe gegenüber Schutzpolizisten aus, denn beide Seiten konnten sich überhaupt nicht leiden.

Wie ein Wirbelwind löste sich Otto vom Schupo und zischte vorbei am Kripo nach oben. Die beiden Männer starrten dem Kleinen hinterher. Dann zeigte Voss seine Handfläche und forderte etwas, mit sich einrollenden Fingern. Die Brandblasen waren schon gut verheilt. Einzig die dunkle Verfärbung der Haut zeugte noch vom Feuerbeschlag.

Schumann grummelte und verneinte mimisch.

»Zwei«, schmarotzte Voss, während sich seine offene Handfläche bereit zum Fangen von Gegenständen machte.

Unter Protest griff Schumann unter seine Pickelhaube, kramte zwei Schokoladentaler hervor und warf diese einzeln zu Voss. Einen konnte der Kommissar fangen; der andere beschrieb eine desolate Flugbahn, plumpste weit vor ihm zu Boden und rutschte noch bis zu den gepflegten Lederschuhen. Mit knackenden Gelenken hob er den zweiten Taler auf und küsste diesen mit einem Dankesgruß an Schumann.

Mit zwei kleinen Krügen samt frisch gezapftem Leitungswasser setzte sich Voss auf den Besucherstuhl vor seinem Schreibtisch. Otto hatte es sich auf dem Bürostuhl des Kommissars gemütlich gemacht und musterte die chaotische Ansammlung von Zetteln auf der Tischplatte. Den Pistolenholster neben der Jacke am Kleiderständer hatte der Junge zum Glück noch nicht gesehen. Voss atmete durch.

»Danke!« Otto nahm einen der Krüge entgegen und schlürfte.

Voss tat es ihm gleich. »Wieso bist du hier, Otto?«, setzte er schließlich an, nachdem er abgesetzt hatte.

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