Kitabı oku: «Die Ökonomie der Hexerei», sayfa 9

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Bei der Polizei und am Wasser

Ich fuhr mit Michael nach Abidjan zurück. Zwei Tage später traf ich Coulibaly wie verabredet vor der Direction de la Police, wo wir uns um die Reisepapiere kümmern mussten. Wir sprachen über den Heiler Keita, den ich in Abengourou kennen gelernt hatte.

„Er weiß nicht, dass ich auch Heiler bin“, sagte Coulibaly. „Ich ließ ihn immer im Glauben, ich sei commerçant. Wenn er dich einmal fragt, sagst du ihm dasselbe. So kann ich gut kontrollieren, ob er alles richtig macht; denn er glaubt, ich sehe nichts.“

Das sollte sich übrigens bei all unseren Reisen und Begegnungen mit andern Féticheurs wiederholen: Coulibaly ließ die andern immer im Ungewissen über seine wahre Identität (vor allem in Bezug auf seinen Beruf, aber auch in anderer Hinsicht führte er die Gesprächspartner oft in die Irre). Was dieses Misstrauen und Sich-Verdeckthalten betrifft, verkörpert Coulibaly in etwas extremer Weise einen Zug, der mir allerdings typisch für die Mehrheit der AfrikanerInnen erscheint, im Gegensatz zu dem, was von oberflächlichen Beobachtern oft über ihre Offenheit, Zugänglichkeit, Extravertiertheit usw. gesagt wird. Diese Vorsicht wird (von ihnen selbst) oft mit der Furcht vor Hexerei in Verbindung gebracht oder, allgemeiner, mit der Feststellung, man müsse sich in Acht nehmen, es gebe zu viele, die einem übel wollten usw.

Coulibaly zeigte mir seine kleine Tasche, in der sich das Gepäck für unsere Reise befand.

„Was hast du mitgenommen?“ fragte ich ihn.

„Vor allem meinen Fetisch..“

Ich blickte ihn wahrscheinlich etwas erstaunt an, denn er fügte gleich hinzu:

„Niemand kann die Tasche klauen. Der Wächter ist drin. Er macht sie unsichtbar, wenn sie jemand stehlen will. C’est très bon.“

Was ihn allerdings nicht hinderte, die Tasche sicherheitshalber am Eingang einem uniformierten gardien anzuvertrauen.

Als wir das Büro der Polizeidirektion, wo man mir die Fingerabdrücke für die carte de séjour genommen hatte, verließen, sagte Coulibaly:

„Hast du die Frau an der Schreibmaschine im Fischkleid gesehen?“

„Jene, die in einem Journal blätterte?“

„Ja. Sie lebt nicht mehr lange.“

„Aber sie sah gesund aus.“

„Sie ist nicht krank ...“

„Kann man ihr nicht helfen?“

„Man könnte sie retten, wenn man ihr Kleid im Wald unter einen bestimmten Baum legte. Der Baum würde verdorren und sie leben.“

Am Abend gingen wir ins Centre suisse de recherches scientifiques, wo ich mein Zimmer hatte, gleich am Ufer der Lagune. Coulibaly schaute auf das Wasser hinaus und sagte:

„Da hat es viele Geister.“

„Siehst du sie?“

„Nein“, sagte er lachend. „Aber in der Nacht werden sie wach sein. Man wird die Lichter sehen.“

„Hast du Angst?“

„Nein.“

Beim Abendessen kam Coulibaly auf die Frau im Büro und das Thema der Verhexung zurück.

„Es gibt Hexer, die fragen dich nach deinem Namen. Dann gehen sie in den Wald und sprechen deinen Namen abends um sechs über ein Blatt. Das Blatt verdorrt, und innerhalb einer Stunde bist du tot. Es gibt auch Marabouts, die stellen einen Fetisch in einen Bananenhain. Das Opfer geht vorbei und wird plötzlich steif. Dann bleibt es dort stehen, bis es verhungert.“

Coulibaly hatte am Nachmittag einen der Beamten bei der „Arbeit“ gestört, indem er ihn etwas fragte. Er hatte ihm nicht geantwortet, und Coulibaly wiederholte ziemlich bestimmt seine Frage; worauf er vom Beamten als imbécile tituliert und herrisch des Büros verwiesen wurde.

Coulibaly meinte jetzt dazu: „Er hat keine Abenteuer erlebt, er ist nie gereist, immer nur gesessen. Er kennt die Menschen nicht. Wenn die Beine nicht gehen, sehen die Augen nichts. Wenn die Augen nichts sehen, wie kann der Kopf dann verstehen? Man wird ihn in den Busch versetzen.“61

Zu Michael meinte er: „Ich habe gestern nochmals die Kauris konsultiert. Der Unfall mit dem Wasser, von dem ich geprochen habe und zu dem dir nichts eingefallen ist, hat vor langer Zeit stattgefunden. Vielleicht war es im Schnee.“

Worauf Michael von einem Skiunfall erzählte, bei dem er als Jugendlicher von ziemlicher Höhe auf einen Fels gestürzt war, sich das Steißbein verletzt und die schlimmsten Schmerzen seines Lebens erlebt hatte.

Michael fragte, ob bei ihm auch Hexerei im Spiel sei.

„Nein. Die Geister sind gegen dich, weil du nicht reich bist, aber reich sein solltest, reich sein willst. Das ist etwas anderes als Hexerei.“

Am Nachmittag hatten wir in einem Geschäft Fotos zum Entwickeln gegeben. Die Frau war auffallend freundlich gewesen, nachdem wir einige Tage vorher wegen eines Fehlers mit früheren Fotos reklamiert hatten.

„Sie hatte Angst vor uns“, sagte Coulibaly.

„Aber wir waren ja nicht böse, sondern ganz höflich.“

„Eben. Sie dachte, wir sagen nichts, aber zu Hause machen wir vielleicht maraboutage gegen sie. Wenn man jemanden gegen sich aufgebracht hat, weiß man nie ... Sie hat uns das letzte Mal betrogen und ein paar Sous gewonnen. Aber jetzt hat sie Angst gekriegt. Geld ist nichts. Ein Menschenleben ist alles. Siehst du, ihr habt die Opfer gemacht; ich habe das ganze Fleisch verteilt, an die Alten vor der Moschee, den Nachbarn, den Chef der Malier, und dem Griot-Cordonnier, der euch die Gris-Gris eingenäht hat, habe ich den Kopf gegeben. Hast du gesehen? Gerade als ihr dem Schaf die Wünsche mitgeteilt habt, ist der Alte in den Hof gekommen. Seine Gegenwart hat das Opfer gesegnet. Ich habe das Fleisch nicht verkauft, das wäre schlecht. Ich habe es verteilt, und alle waren zufrieden. Sie sagen: Die beiden Weißen da, sie sind gut. Bouffer tout ton argent, c’est pas bon. Wie kann Geld das Leben eines Menschen aufwiegen?“

Am frühen Morgen wurde ich vom knarrenden Öffnen der Schranktüre geweckt. Im Halbschlaf sah ich, wie Coulibaly die Whiskyflasche, die wir am Vorabend geöffnet hatten, herausnahm und damit das Zimmer verließ. Ich schaute auf die Uhr.

„Der muss ihm aber geschmeckt haben, dass er schon morgens um sechs Uhr darauf zurückkommt“, dachte ich.

Dann schlief ich wieder ein. Beim Aufstehen bemerkte ich, dass die Flasche wieder im Schrank stand. Ich sagte nichts.

Beim Frühstück ergriff Coulibaly das Wort:

„Ich habe schlecht geschlafen und heftig geträumt. Das war wegen der Nähe des Wassers, das meine Geister nicht mögen. Ich könnte nicht hier wohnen. Aber weil wir noch eine Nacht hier verbringen werden, bin ich am frühen Morgen mit meinem Fetisch ans Ufer hinunter gegangen und habe ihm etwas von dem guten Whisky gegeben. Das hat ihn besänftigt.“

Bevor wir wieder zur Polizei gingen, fragte er, ob er mein Eau de toilette benutzen könne.

„Das mögen meine Geister lieber als die Dusche. Die Frauen sollten sich jeden Tag waschen; aber Männer so wenig wie möglich.“

Wir fuhren mit einem Weißen in die Stadt, der während der Fahrt von seiner afrikanischen Frau erzählte.

Coulibaly meinte nachher: „Das ist nicht gut, dass er mit einer Schwarzen verheiratet ist. Die Geister sind zu verschieden und vertragen sich nicht. Am besten ist es, im selben Stamm zu heiraten.“

Am folgenden Morgen gingen wir auf die malische Botschaft, wo wir etwa zwei Stunden warten mussten, was mir – wie so oft – Gelegenheit gab, allerhand Fragen zu stellen, dieses Mal über seine Familie.

„Ich bin der mittlere der vier Brüder. Die andern sind auch Heiler, aber ich bin am stärksten. Ich habe viel gelitten. Ich habe dir schon gesagt, dass ich bis sieben gelähmt war. Dann entführten mich die Geister in den Busch, wo ich drei Jahre verbrachte. Die Eltern dachten, ich sei tot. Sie führten ein Begräbnis durch. Ich ernährte mich währenddessen von den Früchten des Waldes und die Geister zeigten mir die Medikamente. Dann kehrte ich – am Tag des Todes meiner Großmutter – geheilt zurück.62 Langsam wurde ich selber Féticheur. Wir besuchen keine Schule. Die drei Schwestern sind verheiratet, die Brüder auch, aber ich bin der Einzige, der zwei Frauen hat. Die andern sind in Mali geblieben und sie sprechen kein Französisch.“

Zwischendurch schaute er etwas unruhig auf die Lagune bei der Houphouët-Boigny-Brücke.

„Es gibt viele Geister dort. Diese Nacht möchte ich den Ventilator lieber abstellen. Er macht ein bizarres Geräusch, wie ein Geist. Aber es war jetzt besser. Heute morgen musste ich dem Fetisch keinen Whisky geben. Ich habe gut geschlafen. Ich werde mir heute die Haare schneiden lassen. Lange Haare sind nicht gut, es sind zu viele Geister drin, wie bei Michael.“

Am Nachmittag gingen wir auf den Markt. Coulibaly wollte 25 kg Kolas für seinen Vater, die andern Alten im Dorf und die Heiler in Mali kaufen. In Mali sind sie teurer, aber auch hier war uns der Preis zu hoch.

Am Nachmittag nahmen wir den Bus nach Yamoussoukro, wo wir Michael nochmals sahen und in einem Maquis zu Abend aßen. Wir plauderten etwas mit der Kellnerin, einer jungen Baule. Anschließend sagte Coulibaly:

„Die Baule-Frauen sind gut. Aber Bete, Kru etc. sind gefährlich. Du bist mit ihnen zusammen, sie sagen drei Tage nichts, dann geben sie dir ein Gift in das Getränk, du stirbst und sie nehmen dein Geld.“

Die Reise nach Tiengolo

Am nächsten Morgen aßen wir an einem kiosque Nieren und Zwiebeln mit Kaffee. Ich war gerade in Gedanken versunken über Frauen, Liebe, Beziehungen und Sex, als Coulibaly sagte:

„Jemand hier hat Liebe gemacht und sich nachher die Hände nicht gewaschen. Das zieht die Geister an. Siehst du diese Frau dort, die große mit der hellen Haut? Sie ist ein Geist.“

Ich erinnerte mich verschwommen, so jemanden aus den Augenwinkeln wahrgenommen zu haben. Ich schaute auf und sagte:

„Ich glaube, eben war sie noch da, aber jetzt ist sie nirgendwo mehr zu sehen.“

„Eben. Sie ist verschwunden. So sind die Geister.“

Und dann rief mir diese Episode den Traum der letzten Nacht in Erinnerung, wo es auch um eine seltsame Frau gegangen war.

Wir fuhren weiter nach Bouaké. Als wir die Basilique de Notre Dame de la Paix63 passierten, meinte Coulibaly:

„In der Elfenbeinküste gibt es keinen Krieg, weil sie die Basilique de la Paix gebaut haben.“

Er interpretierte den Bau also als eine Art gigantisches Opfer. (Er kostete 300 Millionen $, die jährlichen Unterhaltskosten betragen 1,5 Millionen $.)

In Bouaké nutzten wir die Zeit, um auf dem Markt 15 Kilogramm Kolanüsse zu kaufen.

Michael blieb in Bouaké, und ich fuhr mit Coulibaly in einem Mille Kilo (Kleinbus) weiter nach Sikasso. Spät abends machten wir einen Zwischenhalt in Taféré, wo wir in einem Maquis etwas aßen. Ich hörte, wie jemand Coulibaly ansprach, aber war zu müde und zu hungrig, um von meinem Teller aufzuschauen. Der junge Mann fragte Coulibaly, ob sein Begleiter Schweizer sei. Coulibaly verneinte. Mir war es manchmal ganz recht, wenn er mir etwas die Leute vom Hals hielt, also schaute ich weiter in meinen Reis. Aber als der andere sagte, er kenne jemanden, der mir gleiche, er heiße David, und Coulibaly sagte, ich hieße nicht David, blickte ich doch hoch und erkannte im Halbdunkel Issa, den Neffen des Griots Baba. Ich hatte ihn vor anderthalb Jahren das letzte Mal getroffen und freute mich ungemein über dieses unverhoffte Wiedersehen. Sie spielten an diesem Abend bei einer Hochzeit und nutzten gerade eine Pause für eine Erfrischung. Coulibaly war der Vorfall etwas peinlich. Er gab Issa 25 CFA und sagte: „Pardon, mais il y a trop de voyous ici.“ – „Entschuldigung, aber es gibt so viele Schlingel hier ...“

Am nächsten Mittag kamen wir in Bamako an. Wir nahmen eine Dusche, tranken etwas, aber trotz der Erschöpfung konnten wir es nicht lassen, uns noch etwas die Stadt und den Fluss anzuschauen.

An der Brücke über den Niger angekommen, sagte Coulibaly: „Leider kann ich nicht heilen hier. Es hat zu viel Wasser. Das ist auch der Grund, warum ich von hier weggegangen bin.“

Obwohl wir uns bloß einen kurzen Spaziergang vorgenommen hatten, streiften wir schließlich mehrere Stunden kreuz und quer durch die Quartiere.

„Comme guérisseur il faut se déplacer toujours“, erklärte er. „Man muss Leute kennen lernen, die verschiedenen Städte sehen, Abenteuer erleben. So kann man seine Heilkunst immer mehr vervollkommnen. Hätte ich Geld, würde ich auch nach Europa, den USA und Kanada reisen. Es würde mir nichts ausmachen, meine Frauen und meine Familie hier zu lassen. Im Stuhl vor dem Haus sitzen kann man, wenn man alt ist.“

Dieses Nicht-Traditionalistische, diese Neugier, dieser Wissensdurst ist eher etwas Untypisches. Es sind (für uns) Tugenden, die für viele Afrikaner als Untugenden gelten, etwas, das Angst macht, das sich rächen könnte.64 Aber es ist ein Zug, den ich bei einigen Féticheurs angetroffen habe und auch bei den Griots, die ebenfalls aus beruflichen Gründen viel reisen und mit vielen Leuten in Kontakt kommen (müssen). Wenn meine Forschung zu einem großen Teil aus Reisen mit Heilern und Griots bestand, so hat das sicher zum einen mit einer Seelenverwandtschaft zu tun (individuell, aber auch professionell: es bestehen zahlreiche Parallelen zwischen Ethnologen und Heilern bzw. Griots), aber auch damit, dass „teilnehmende Beobachtung“ in diesem Falle zwangsläufig Teilnahme an beruflichem Reisen ist, die natürlich infolge der vielen Zeit, die man notgedrungen miteinander verbringt, und all der Alltagsdetails, die man zusammen erlebt, sieht, diskutiert, wobei man das Verhalten des andern in verschiedensten Situationen beobachten kann, ungemein fruchtbar ist.

Da es in Bélédougou65 kaum Verkehrsmittel gab, und gar keine Straße, die bis Tiengolo reichte, heuerten wir in Bamako für drei Tage Mohamed Keita mit seinem Taxi an. Wir fuhren nach Nossombougou, einem größeren Ort in der Nähe, wo wir Wein, Schnaps, Reis, Zucker, Kaffee, Seife und Batterien für die Familie einkauften. Man sagte uns, am Abend gebe es ein Fest, und verpflichtete uns, dabei zu sein.

Schließlich erreichten wir Coulibalys Dorf. Wir gingen zur Hütte seines Vaters. Der lag sturzbetrunken mit seinem Cousin unter dem Vordach und alberte herum. Coulibaly begrüßte ihn und stellte mich vor. Er wollte sich erheben, um mich zu begrüßen, schlug sich aber bloß den Kopf am Dachpfosten an und fiel wieder rücklings zurück in die Arme seines Cousins.

Ça vaut pas la peine“ („zwecklos“), sagte Coulibaly, und wir machten uns daran, die Geschenke zu verteilen. Das war ein wichtiger, aber äußerst heikler Moment, denn man musste aufpassen, niemanden zu kurz kommen zu lassen oder zu übervorteilen und damit Missgunst und Palaver zu provozieren. Vor allem die Aufteilung der Kolas nahm er mit mathematischer Genauigkeit vor. Kaum hatten wir das hinter uns („Le triage s’est bien passé“, sagte er erleichtert), rief er zu meiner Überraschung Keita, und wir fuhren bereits wieder nach Nossombougou zurück, wo wir in der Bar ein Bier tranken, und zum ersten Mal seit Tagen so etwas wie Entspannung und Erleichterung sich ausbreiteten.

Großes Gesprächsthema war die soirée dansante.

„Wir werden dir eine cavalière suchen“, sagte man mir immer wieder. „Aber dann musst du auch wirklich tanzen!“ Das klang wie eine Drohung.

So war es dann auch. Ich wurde bei der Ansage des Veranstalters auf die Bühne gebeten und vorgestellt, mit dem Wunsch „inbesondere an die Mädchen, ihn freundlich zu behandeln“. Dann, als die Musik begann, wurde ich von allen Seiten gedrängt, eine auszuwählen und mit ihr zu tanzen, dann, sie zu umarmen.

„Du bist träge“, sagte man mir. Ich hätte mich gerne davongeschlichen, aber das wäre ein Affront gewesen. Und abgesehen davon: Wo kann man sich in einem Nossombougou schon zurückziehen oder sogar verstecken? Wenig später bot uns schon jemand ein Zimmer für 1000 CFA an. Ich erlebte also in etwa am eigenen Leib, was ich im ersten Teil über den Agronomiestudenten und die „andere Liebesmoral“ erzählt habe.

In den Dörfern Bélédougous: Zwillinge, Schlangen und der blinde Peul

Am nächsten Morgen unternahm ich mit Coulibaly einen Spaziergang entlang überwachsener Teiche und Reisfelder nach Gessebougou, zum alten Heiler Djana Kamarà. Während wir im Vorraum seiner Hütte auf ihn warteten, zeigte mir Coulibaly einen Fetisch, der im Gebälk des Daches hing und sinsin genannt wird: der Altar der Zwillinge.

Der Alte erschien. Nach ausführlichen Begrüßungen schaute er sich die Linien meiner beiden Hände an, spuckte ein paarmal leise murmelnd hinein, dann musste ich mir das Gesicht damit einreiben. Darauf bespuckte er ebenso ein Messer und legte es in meine rechte Hand.66

Ich schaute Coulibaly fragend an.

„Wir haben Glück gehabt“, sagte er. „Er lebt noch, er ist da, und er wird uns segnen. Er ist sehr stark. Er wird uns Geheimnisse zeigen. Alles wird gut.“

Dann machte uns der Kollege und Nachbar des Alten, Mamadou Koné aus Mopti, eine Kauri-Konsultation. Er arbeitete mit 14 Kauris, wobei ich vier davon „besprechen“ musste.

Er sagte mir unter anderem, dass ich manchmal wütend sei (was ich vor allem auf meine Gefühle gegenüber Coulibaly bezog, der einen sehr großzügigen Umgang mit – meinem – Geld an den Tag legte, wenn auch nicht so sehr für sich selber, als für Geschenke, Entschädigungen, Opfer etc. Ich habe diese „Gegenübertragungen“ im ersten Teil etwas beschrieben).

„Du wirst in sieben Jahren einen Unfall haben.“

Und nach einem weiteren Wurf: „Es kann sich auch um den Verlust eines Familienmitglieds oder von viel Geld handeln.“

Coulibaly flüsterte mir zu: „Das ist wie das, was ich dir über deinen Vater gesagt habe“ (dass er ohne mein Opfer in zehn Jahren sterben würde).

„Du wirst im Mittelpunkt stehen, bei der Erwähnung deines Namens gibt es Applaus.“

(Coulibaly zeigte auf die große Kauri in der Mitte, „umringt“ von den andern).

Bei der Konsultation für Coulibaly kam Folgendes heraus:

„Du bist verheiratet. Manchmal denkst du zu viel nach, über das Geld und die Familie.“

Coulibaly: „Stimmt. Ist man verheiratet, hat man viel Kopfweh.“

„Du musst acht rote Kolas67 für deinen Vater opfern, unter einem Baobab. Falls du das nicht tust, bekommt er Ende des Jahres eine Kopfkrankheit und stirbt. Manchmal hast du viel Geld, manchmal nicht. Il faut adorer le fétiche sinsin, comme ça les méchants vont avoir honte, die Bösen werden die Köpfe einziehen, und es wird viel Geld von den Kunden kommen. Du wirst mit einem Freund in ein anderes Land gehen, für Arbeit, aber es ist noch nicht sicher. Gab es einen Todesfall?“

„Ja, die Frau meines grand-frère hatte Zwillinge, aber einer ist gestorben.“

„Damit alle Geschäfte gut gehen, musst du ein weißes Schaf opfern.

Ich werde ein Medikament im canari machen, mit der Rinde des Holzes engaba dé; damit musst du dich waschen.

Du arbeitest mit Geistern. Eine Frau wird an einem Freitagmorgen zu dir kommen, als Kundin. Vielleicht ist sie ein Geist. Sie wird dir etwas sagen, das dir Glück und ein gutes Geschäft bringen wird.

Die Reise wird gut. Manchmal läuft es, manchmal ist es ruhig in Abidjan.“ (Er meinte, Coulibaly wohne in Abidjan.)

„Eine weiße, lächelnde Kola68, damit die Rückreise nach Abidjan gut wird. Du musst sie vor der Abfahrt essen.

Dank dieser Frau wird jeder sagen: Du hast Geister, du wirst zu Reisen aufbrechen, tu vas gagner le secret (du wirst das Geheimnis finden).“

Mamadou Koné gab mir einen Schlossfetisch – auf Bambara gogoro, auf Französisch einfach cadenas genannt – zum „Einschließen“ (Fixieren, Verstärken) meiner Wünsche. Er bestand aus einem normalen, alten, offenen Vorhängeschloss, mit verschiedenen Fäden umwickelt, und den dazugehörigen Schlüsseln, um den Wunsch wieder zu „lösen“. (Aber das Schloss war natürlich „besprochen“, das war das Wichtige daran, denn wie gesagt ist es diese unsichtbare Qualität, die ein normales Objekt zu einem magischen Objekt macht).

Er gab mir auch den Zauberspruch dazu:

„Alles, was du willst,

wird der Fetisch machen.

Der Fetisch wird retten.

Alle werden kommen

und ich werde alle ihre Probleme lösen.“

Der Fetisch heißt gogoro massa („König oder Chef des Dorfes“).

Dazu gab er mir ein Holz, das ich in Wasser legen und mich damit waschen sollte, als Schutz gegen Vergiftung: „Das ist auf Reisen wichtig, man weiß ja nicht, mit wem man es zu tun hat.“

Dann machte Djana Kamarà die sinsin-Zeremonie69 vor dem Haus.

Er hatte den sinsin (zu deutsch wörtlich: „Unterstützung“) von der Decke heruntergenommen und auf den Boden vor dem Haus gelegt. Er bestand aus der Kalebasse mit einem sanduhrförmig geschnitzten Holz drin. Er nahm den roten Hahn, den wir gekauft hatten, schnitt ihm die Kehle durch und ließ das Blut – Inkantationen brummelnd – zweimal über den Fetisch tropfen. Der Fetisch war rechts und links flankiert von zwei kleineren Kalebassen mit dem ebenfalls darzubringenden Wasser, sowie von einem Fetisch in Form eines schwarz-weißen Rinderschwanzes. Der sinsin ruhte auf zwei langen, gekreuzten Halmen. Der Hahn rannte noch längere Zeit mit durchtrennter Kehle auf dem Platz umher, legte sich auf den Bauch (ein schlechtes Zeichen), erhob sich noch einmal und fiel zu guter Letzt auf den Rücken (ein günstiges Zeichen, wie der gen Himmel steigende Rauch im Alten Testament: das Opfer wurde angenommen). Alle Anwesenden lachten erleichtert.70

Auch der Alte übergab mir zu Pulver zerriebenes Baru-Holz, mit dem ich mich waschen sollte. „Gegen eventuelle Bedrohungen durch korotè auf der Reise.“

Dann begleitete er uns ein Stück weit auf dem Nachhauseweg und machte noch ein kleines Ritual für uns. Er nahm drei Kieselsteine; den ersten warf er nach hinten, den zweiten nach vorn, den dritten gab er mir zum Aufbewahren. Dazu sagte er ein kilisi.

Coulibaly sagte: „Das habe ich auch einmal gekannt, aber ich habe es vergessen.“

Kamarà wiederholte es für ihn.71

Die Zwillingszeremonie war übrigens ziemlich wirksam. Vier Jahre später gebar meine Frau ein Mädchen und einen Jungen ...

Schon in Abengourou hatte mir Coulibaly von einem Marabout in Mali erzählt, der immer zu viel Schnaps getrunken hatte. Eines Tages schickten ihm die Geister eine Viper, die von seinem Dach ins Zimmer fiel. Sie sagten ihm, wenn er aufhöre zu trinken und Muslim werde, könne er mit der Schlange weissagen. Seither hielt er sie in einem Käfig in seinem Haus und verstand ihre Sprache.

Wir fuhren also nach Oualogo und fanden den berühmten Schlangenbeschwörer namens Mussa Diarra dort tatsächlich vor. Er ließ uns lange warten, gewährte uns aber schließlich eine Audienz. Er thronte allein auf einem immensen Sofa, während er uns auf kleinen Schemeln zu seinen Füßen Platz nehmen ließ. Neben ihm kauerte eine Art Faktotum, das immer nickte, wenn Mussa Diarra etwas gesagt hatte. Wir brachten unser Anliegen vor: die geheimnisvolle Schlange zu sehen.

Er wollte 50 000 CFA (80 EUR) dafür. Erst nach und nach gab er aber zu verstehen, dass wir für diesen Betrag zwar eine Konsultation machen könnten, die Schlange dabei aber nicht zu Gesicht bekämen. Er zeige sie nämlich nicht mehr, weil ihretwegen dermaßen viele Leute sein Dorf und sein Anwesen überflutet, die Maisfelder zertreten, seine Türe eingedrückt und die Leute belästigt hätten. Dann sprach er wieder ausführlich von seiner Konvertierung zum Islam und davon, dass die Schlange auch ihre Farbe ändere wie ein Chamäleon, was ihm zusätzlich Aufschluss gebe über das Schicksal der Hilfesuchenden.

Ich fand den Preis übertrieben. Er ließ jedoch gar nicht erst mit sich diskutieren. Coulibaly und Keita, der Chauffeur, drängten mich: „Du wirst es nicht bereuen, er ist sehr stark, er ist in ganz Mali berühmt, Direktoren und Minister gehen bei ihm ein und aus und lassen ein Vermögen bei ihm zurück ...“

Es brauchte einige Überwindung, aber ich sagte deutlich und entschieden, dass ich nicht bereit sei, den Preis zu zahlen und ihm einen guten Tag wünsche. Dann erhob ich mich, und die andern folgten mir hinaus. Ich erwartete, sie würden mich mit Vorwürfen überschütten. Aber ganz im Gegenteil.

Sie sagten, geradezu fröhlich: „Du hast völlig Recht gehabt. Er ist ein Betrüger. Das mit den vielen Besuchern war ein fauler Trick. Ganz offensichtlich hat er die Schlange gar nicht mehr. Sie ist weggegangen, weil er zu viel Geld verlangte. Er vergaß, dass die Leute wegen der Schlange kamen, und nicht wegen ihm. Jetzt kommt niemand mehr, die Kraft hat ihn verlassen. Sogar 20 000 wäre zu viel gewesen.“

Aber offensichtlich hatten sie doch nicht den Mut gehabt, ihrer Missbilligung in seiner Gegenwart Ausdruck zu geben.

Wir fuhren weiter zu Bala Balu, dem Féticheur und Schmied, der abgeschieden am Rand von Nossombougou lebte mit seiner Familie. Mamadou Konaré, der Wahrsager, der uns in Gessebougou die Kauris geworfen hatte, führte uns zu ihm. Er hinkte. Es hieß, die Geister hätten ihm das angetan, weil er sein Haus bei ihrer Quelle baute und dann niemandem mehr erlaubte, dort Wasser zu schöpfen. Er selber erzählte, dass er sich zweimal hintereinander das Bein gebrochen habe und später noch auf den Rücken gefallen sei. Aber das eine schließt ja das andere nicht aus.

Aufgrund der vielen Geschenke, Opfer und Honorare war meine Geldbörse rapid geschrumpft. Ich sagte also Coulibaly, dass wir dieses Mal bloß etwas diskutieren würden, ohne Konsultation, die ja – so viel hatte ich inzwischen verstanden – immer Opfer nach sich zog. Aber ehe ich mich versah, lag schon der erste Orakelwurf der Kauris im Sand. Ich habe diese Begebenheit schon im Kapitel zur Übertragung geschildert: wie sich die Konsultation nicht abwenden ließ, wie Bala Balu in den Kauris Coulibaly sah, der den Abend meiner Ankunft in Abengourou im Revier verbracht hatte und fast ins Gefängnis gekommen wäre, wie wir die erforderliche Ziege nicht opferten und uns schmählich davonschlichen.

Mamadou Konaré hatte offenbar meinen Ärger über die Feigheit Coulibalys bemerkt, der mir in gewisser Hinsicht sowohl bei Mussa Diarra wie bei Bala Balu in den Rücken gefallen war, und mich drängte, gegen meinen Willen zu zahlen.

Auf jeden Fall kam er plötzlich, als ich abends missmutig mit den andern im Maquis saß, und sagte, er wolle uns zum Marabout Ibrahim Ba führen, einem alten Peul aus Djenné.

Zu mir sagte er: „Du musst nichts bezahlen. Es geht mir darum, die Ehre Malis zu retten.“

Wir gelangten zu einem Steinhaus; in einem kahlen, weißgestrichenen Zimmer saß ein Mann in einem abgetragenen, weißen Bubu, mit einem weißen Bart und fast blind beim Schein einer Petrollampe auf seiner Matte. Wir zogen die Schuhe aus und setzten uns daneben. Als Muslim arbeitete Ibrahim Ba mit der Gebetskette und mit einem Stapel alter Blätter voller rätselhafter Sprüche und Zeichnungen.

Es war Coulibaly, der als Erster in die Kette sprach. Er wünschte sich – was er mir später mitteilte – Geld für seine Familie und dass sein Geist ihn schütze.

Ba sagte ihm, nachdem er sehr lange in seinen vergilbten Papieren geblättert und sie sich ganz nahe an seine Augen gehalten hatte:

„Du musst Hose, Hemd und Schuhe drei Tage lang tragen und sie am vierten Tag einem Bettler geben. Du musst 600 Kauris in eine Kasse oder kleine Truhe legen, und diese auf einem Gestell in deinem Zimmer deponieren. Dann reibst du dir jeweils die Hände damit.

Rückenschmerzen. Operation.“

Coulibaly hatte drei Wochen zuvor mit seinem Motorrad an der Grenze zu Ghana einen Unfall gehabt. Er hatte sich die Kopfhaut nähen lassen müssen.

„Du hast eine hellhäutige Frau mit einem Sohn.“

Die eine seiner beiden Frauen, Sita, die Mutter von Daud, ist relativ hell; er nennt sie manchmal auch „la claire“.

„Das Geld bleibt nicht bei dir. Vielleicht später.“

Zu mir sagte er Folgendes:

„Jemand möchte dir schaden. Er ist mager, größer als du. Er hat rote Augen und wohnt östlich von dir. Es ist einer deiner Mitarbeiter. Er ist unruhig und krank. Die Leute haben mehr Vertrauen in dich als in ihn. Er wird deinen Platz nicht einnehmen können. Du wirst sogar bald einen neuen, besseren Vertrag bekommen.“

Ich konnte nichts damit anfangen. Aber trotzdem gibt es natürlich immer Personen, die dem entworfenen Phantombild mehr oder weniger entsprechen. Man könnte sich vorstellen, dass ich einer solchen Person von nun an mit Misstrauen begegnen würde, was bei ihr ebenfalls zu negativen Gefühlen Anlass gäbe. Nach und nach würde sich so die Voraussage des Marabouts von selbst „bewahrheiten“.72

Er fragte: „Bist du Christ?“

„Ja.“

„Dann musst du jemandem (aber keinem Blinden) ein rotes Opfer darbringen. Rohes Fleisch, einen roten Hahn, ein rotes Kleidungsstück oder 26 rote Kolas.

Du wirst eine dünne Frau heiraten. Du kannst ihr die Heirat vorschlagen, und sie wird sofort akzeptieren. Diese Frau ist ein Einzelkind oder hat zumindest nur wenige Geschwister. Elle est une chanceuse. Am Anfang deiner Arbeit gibt es ein handicap. Aber das rote Opfer wird es beheben. Mittwoch ist dein Glückstag.“73

Dann machte er eine Konsultation für Mohamed Keita, unsern Chauffeur. Damit seine Aussagen Sinn machen, muss ich zuerst einiges von Keitas Lebensgeschichte und seinen Problemen, so weit er zu uns davon sprach, wiedergeben.

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