Kitabı oku: «99 Namen Gottes»
David Steindl-Rast
99 Namen Gottes
Betrachtungen
Mit Kalligraphien von Shams Anwari-Alhosseyni
Inhalt
Das Wort „Gott“…
1 ar-Raḥmān der ERBARMER
2 ar-Raḥīm der BARMHERZIGE
3 al-Malik der KÖNIG
4 al-Quddūs der HEILIGE, der Vollkommene, der Reine
5 as-Salām der FRIEDE, die Quelle des Friedens
6 al-Mu’min der VERLÄSSLICHE, der Wahrer der Sicherheit
7 al-Muḥaymin der BESCHÜTZER und Behüter
8 al-cAzīz der ALLMÄCHTIGE, der Ehrwürdige
9 al-Ǧabbār der KRAFTVOLLE
10 al-Mutakabbir der ERHABENE, der Vornehme, der Stolze
11 al-Ḫāliq der SCHÖPFER
12 al-Bāri’ der Schaffende, der URSPRUNG
13 al-Muṣawwir der FORMENDE, der jedem Ding seine Form Gebende
14 al-Ġaffār der VERGEBENDE
15 al-Qahhār der Alles-Bezwinger, die OBERHAND
16 al-Wahhāb der Geber und Verleiher, der SICH ENTÄUSSERNDE
17 ar-Razzāq der VERSORGER
18 al-Fattāḥ der ÖFFNENDE
19 al-cAlīm der Allwissende, der ALLES ERKENNENDE
20 al-Qābiḍ der VERWEIGERNDE, der Gaben nach Seinem Ermessen zurückhält
21 al-Bāsiṭ der GEWÄHRENDE, der Gaben ausreichend und großzügig gewährt
22 al-Ḫāfiḍ der DEMUT SCHENKT, der Erniedriger der Hochmütigen und der zu Unrecht Stolzen
23 ar-Rāfic der Erhörer der Demütigen und Bescheidenen, der ERHEBER
24 al-Mucizz der wirkliche Ehre verleiht, der EHRENDE
25 al-Muḏill der EHRE ENTZIEHENDE, der Demütiger der Unterdrücker von Mitmenschen
26 as-Samīc der HÖRENDE
27 al-Baṣīr der SEHENDE
28 al-Ḥakam der RICHTER
29 al-cAdl der GERECHTE
30 al-Laṭīf der FEINFÜHLIGE, der Gütige, der das Feinste in allen Dimensionen erfasst
31 al-Ḫabīr der EINSICHTSVOLLE, der um die Regungen des Herzens Wissende
32 al-Ḥalīm der NACHSICHTIGE, der Mitfühlende
33 al-cAẓīm der ERHABENE, der Großartige
34 al-Ġafūr der IMMER WIEDER VERZEIHENDE
35 aš-Šakūr der DANKBARE
36 al-cAlīy der HÖCHSTE
37 al-Kabīr der GROSSE
38 al-Ḥafīẓ der BEWAHRER, der die Taten seiner Diener bis zum Jüngsten Tag erhält
39 al-Muqīt der ERNÄHRENDE
40 al-Ḥasīb der BERECHNENDE
41 al-Ǧalīl der MAJESTÄTISCHE
42 al-Karīm der GROSSZÜGIGE, der Großmütige
43 ar-Raqīb der WACHSAME
44 al-Muǧīb der ERHÖRER DER GEBETE
45 al-Wāsic der ALLES UMFASSENDE, der Weite
46 al-Ḥakīm der WEISE
47 al-Wadūd der LIEBEVOLLE, der alles mit seiner Liebe Umfassende
48 al-Maǧīd der GLORREICHE
49 al-Bāciṯ der AUFERWECKER der Toten, der die Menschen am Jüngsten Tag wieder zum Leben erwecken wird
50 aš-Šahīd der ZEUGE
51 al-Ḥaqq der WAHRE
52 al-Wakīl der VERTRAUENSWÜRDIGE, der Helfer und Bewacher
53 al-Qawīy der STARKE
54 al-Matīn der FESTE, der DAUERHAFTE, der einzig wirklich Starke
55 al-Walīy der Schutz, der Freund, der BESCHÜTZER
56 al-Ḥamīd der PREISWÜRDIGE, dem aller Dank gehört
57 al-Muḥṣī der ALLES AUFZEICHNENDE
58 al-Mubdi' der ALLES BEGINNENDE
59 al-Mucīd der WIEDERHOLENDE, der alles wieder zum Leben Erweckende
60 al-Muḥyī der LEBENSPENDENDE
61 al-Mumīt der TÖTENDE, in dessen Hand der Tod ist
62 al-Ḥayy der LEBENDIGE
63 al-Qayyūm der EWIGE
64 al-Wāǧid der DASEIN GEBENDE
65 al-Māǧid der RUHMVOLLE
66 al-Wāḥid der EINE
67 al-'Aḥad der EINZIGE
68 aṣ-Ṣamad der GRUNDLOSE GRUND ALLEN SEINS
69 al-Qādir die VORSEHUNG
70 al-Muqtadir der ALLES BESTIMMENDE
71 al-Muqaddim der VORWÄRTSBRINGER
72 al-Mu'aḫḫir der AUFSCHIEBENDE
73 al-'Awwal der ERSTE OHNE BEGINN
74 al-'Aḫir der LETZTE OHNE ENDE
75 aẓ-Ẓāhir der OFFENBARE, auf den alles, was es gibt, klar hinweist
76 al-Bāṭin der VERBORGENE, den niemand wirklich begreifen kann
77 al-Wālī der HERRSCHENDE
78 al-Mutacālī der REINE
79 al-Barr der GUTE
80 at-Tawwāb der FREISPRECHENDE, der die Reue seiner Diener Annehmende
81 al-Muntaqim der GERECHTE VERGELTER
82 al-cAfw der Vergeber der Sünden, der VERZEIHER
83 ar-Ra'ūf der MITLEIDIGE
84 mālik al-Mulk der Inhaber der königlichen Souveränität und Macht, der MACHTHABER
85 ḏū ′l-ǧalāl wa-′l- 'ikrām der EHRWÜRDIGE, dem Majestät und Ehre gebühren
86 al-Muqsiṭ der UNPARTEIISCH RICHTENDE
87 al-Ǧāmic der VERSAMMELNDE, der alle Menschen am Jüngsten Tag versammeln wird
88 al-Ġanī der REICHE, der niemanden braucht
89 al-Muġnī der VERLEIHER DER REICHTÜMER
90 al-Mānic der ZURÜCKWEISENDE, der Hindernde
91 aḍ-Ḍārr der SCHADEN ZUFÜGENDE
92 an-Nāfic der VORTEIL GEBENDE
93 an-Nūr das LICHT
94 al-Hādī der LEITUNG GEBENDE
95 al-Badīc der SCHÖPFER DES NEUEN
96 al-Bāqī der EWIG BLEIBENDE
97 al-Wāriṯ der EINZIGE ERBE, denn außer Ihm ist nichts beständig
98 ar-Rašīd der FÜHRUNG GEBENDE
99 aṣ-Ṣabūr der GEDULDIGE
ER lässt sich schauen in den Schriftzeichen
Register
Das Wort „Gott“…
… stammt aus der folgenschwersten Entdeckung der Menschheitsgeschichte: Es ist ein vorgeschichtliches Artefakt, das heute noch glüht vom Feuer, in dem es geschmiedet wurde in der Esse mystischer Erfahrung. Was unseren urältesten Vorfahren da auf der Schwelle zur Menschwerdung aufleuchtete, war die Einsicht, dass wir zu dem unergründlichen Geheimnis des Lebens – des Alls, der Wirklichkeit – in persönlicher Beziehung stehen, dass wir es anrufen können, weil es uns anruft. Die Bedeutung von „anrufen“ kennzeichnet die Sprachwurzel des Wortes „Gott“. Es ist kein Name, sondern weist hin auf unsere Beziehung zum Namenlosen; es ist keine Bezeichnung für irgendein Wesen, sondern weist hin auf den Ur-Sprung aller Wesen aus dem Nicht-Sein ins Sein, es ist also ein Wort, dessen gewaltige Aufgabe es ist, hinzuweisen auf das Geheimnis.
„Geheimnis“ in diesem absoluten Sinn ist kein vager Begriff, sondern bedeutet jene tiefste Wirklichkeit, die wir niemals begreifen, wohl aber verstehen können, wenn wir uns von ihr ergreifen lassen. Wir alle kennen den Unterschied zwischen begreifen und verstehen aus unserer Erfahrung mit Musik: Ihr Wesen lässt sich nicht begrifflich erfassen, nicht intellektuell begreifen, und doch können wir es verstehen, im Augenblick, in dem die Musik uns ergreift. Ergriffenheit erlaubt uns ein Verständnis, ein Drinstehen, das weit hinausgeht über jenes Begreifen, das an die Dinge von außen herangeht. Was wir so an Musik erleben, gilt auch vom Geheimnis. Gerade durch Ergriffenheit von Musik kann uns oft das Große Geheimnis ergreifen, aber auch durch jede andere ergreifende Erfahrung, da es ja Grund und Urgrund für alles ist, was wir erfahren.
Ergriffenheit macht sprachlos. Unter dem hochgewölbten Sternenhimmel verstummen wir. In ihrer ganzen Größe erscheint uns die freie Natur überwältigend. Anders ist es, wenn wir durch Fenster auf sie hinausschauen. Da wirkt sie vertraut und überschaubar. Durch Gottesnamen betrachten wir das übermächtige Geheimnis wie durch Fenster, sonst würde es uns verstummen lassen. Menschliche Fassungskraft bestimmt die Form dieser Fenster und begrenzt ihre Größe. Keines von ihnen kann alles zeigen, keines zeigt genau das gleiche Bild. Schon aus diesem Grunde ist es reizvoll, Gottesnamen anderer religiöser Traditionen kennenzulernen. Heute kommt noch ein weit gewichtigerer Grund dazu: Allzu oft wird Teilansicht gegen Teilansicht ausgespielt, ein Name gegen den anderen – bis zum gegenseitigen Blutvergießen.
Für Christen könnte die ehrfürchtige Begegnung mit den Namen Gottes im Islam von großer Bedeutung sein. Schon allein sich mit ihnen zu befassen, kann Bereitschaft zur Verständigung bedeuten. Und was könnte heute notwendiger sein als Verständigungsbereitschaft? Unser aller Überleben könnte davon abhängen. Darum habe ich mich in eine traditionelle Liste der 99 Namen Allahs vertieft und mir zu einem Namen nach dem anderen Gedanken gemacht, aus denen dann dieses Buch entstanden ist. Ich hoffe, dass meine Betrachtungen Leser zu eigenständigem Betrachten ermutigen werden. Bilder als auch Worte wollen hier zum Betrachten anregen. Die kalligraphischen Darstellungen der einzelnen Namen bieten Gelegenheit, sich schweigend in ihre Gestalt zu versenken und so dem schweigenden Geheimnis näher zu kommen, als Worte es können.
Dankbarkeit für dieses Buch erfüllt mich jetzt, da ich es in Händen halte. Mein Freund Shams Anwari-Alhosseyni hat es durch seine meisterhaften Kalligraphien wertvoller gemacht, als ich vorhersehen konnte. Wer mit Herz und Verstand meinen Betrachtungen folgt, kann jetzt auch mit den Augen die schweigende Botschaft der Schriftzeichen betrachten. So ist es nun in zweifachem Sinn ein Betrachtungsbuch geworden. Freude am Betrachten ermöglicht hier nicht zuletzt die ansprechende Gestaltung dieses Buches. Dafür danke ich allen Mitarbeitern im Tyrolia-Verlag, besonders dem Graphiker, Herrn Martin Caldonazzi, sowie meinem Lektor und Freund, Mag. Klaus Gasperi, der sich zusätzlich zu seinen hilfreichen Vorschlägen bezüglich des Textes auch um das Schriftbild jeder einzelnen Seite verdient gemacht hat. Mein Dank für wertvolle Hinweise geht auch an Prof. Maria M. Jaoudi-Smith, Prof. Brigitte Kwizda-Gredler, Prof. Reinhard Nesper mit Heidimaria Stauber, Dr. Hortense Reintjens-Anwari und Alberto Rizzo mit Lizzie Testa. Rat und Ermutigung dieser getreuen Freunde hat mich bei der Arbeit ein ganzes Jahrzehnt lang immer wieder unterstützt.
Gewidmet sei dieses Betrachtungsbuch den Menschen jedweder religiösen Überzeugung, die es wagen, durch die Tore der vielen unterschiedlichen Gottesnamen einzutreten in das eine namenlose Geheimnis, das uns eint.
Bruder David Steindl-Rast OSB
auf der Hazienda „La Güelta de Areco“ bei Azcuenaga in der Pampa, Argentinien, im März 2019
1 | ar-Raḥmānder ERBARMER |
„Alles ist Gnade“, sagt Augustinus: Alles ist uns geschenkt. Aus dieser Einsicht entspringt eine Quelle freudiger Dankbarkeit und dankbarer Freude. Jedoch wirklich einzusehen, dass alles, wirklich alles, was es gibt, Geschenk ist, setzt voraus, dass wir freudig anerkennen: Aus eigener Kraft habe ich nichts. Wie Brachland, das darauf warten muss, gepflügt, geeggt und besät zu werden, wie ein Acker, der völlig abhängig von Regen und Sonnenschein ist, so bin ich von Geburt an auf Andere angewiesen und auf Lebensumstände, über die ich keine Kontrolle habe. Ja, dass es mich überhaupt gibt, ist ein reines Geschenk. Es kann mir zur unerschöpflichen Freudenquelle werden, solange ich es mir immer wieder in Erinnerung rufe. Darum mahnt uns Matthias Claudius „täglich zu singen“:
Ich danke Gott und freue mich
wie’s Kind zur Weihnachtsgabe,
dass ich bin, bin! Und dass ich dich,
schön menschlich Antlitz, habe.
Aus der Erwägung, wie arm ich von mir selbst aus bin, erwächst so die Freude, dass der ERBARMER die Armut derer, die ihre Armut anerkennen, mit überströmendem Reichtum füllt. Diese Einsicht macht uns dann auch bereit, ja begierig, aus der Fülle des uns Geschenkten weiterzuschenken. Sooft wir Gott ERBARMER nennen und uns dessen bewusst sind, dass alles Gnade und Erbarmen ist, wächst in uns das Verlangen, uns selbst Anderer zu erbarmen und an allen, die Erbarmen brauchen, barmherzig zu handeln.
Was ist mir von all dem mir Geschenkten am wertvollsten? Was kann ich heute davon weiterschenken? Ist nicht meine Lebensfreude das größte Geschenk, das ich allen machen kann, die mir begegnen?
2 | ar-Raḥīmder BARMHERZIGE |
Wer Gott diesen zweiten Namen gibt, fügt dem ersten eigentlich nichts hinzu, sondern wendet ihn nur ganz bewusst auf die eigene Gottesbeziehung an: Gott als der Erbarmer ist mir gegenüber ganz persönlich der BARMHERZIGE. Gott schaut mich an wie eine Mutter ihr Kind anschaut. Sie sieht neben dem Guten auch ganz klar das Noch-nicht-Gute und erbarmt sich. Das heißt, ihr Mutterherz fühlt den Schmerz, den das Kind sich selber zufügt, solange es dem Leben etwas verweigert. Denn „gut“ heißt ja „lebensbejahend“ und nur, was sich (noch) der harmonischen Entfaltung des Lebens widersetzt, darf „böse“ genannt werden.
Das Herz der Mutter fühlt also den Schmerz, der dem Kinde selbst vielleicht noch kaum bewusst ist, und leidet. Nur Mütter kennen diese Art von Mitleid. Es ist wie eine andere Art von Geburtswehen. Wie die ersten Wehen dem Kind einst das Leben schenkten, so will dieses Erbarmen dem Menschen jetzt Lebensfülle schenken. Es strahlt aus den Augen der Mutter als ermutigendes Leuchten, ein Leuchten, das mehr Mut macht, als bloße Worte der Ermutigung es könnten.
So geht es auch mit dem Mutterblick Gottes: Er beschönigt nicht, verurteilt aber auch nicht. Er ermutigt mich und schafft Raum, in den hinein ich wachsen kann: Raum, in dem sich alles Noch-nicht-Gute voll zum Guten entfalten kann. Allein der BARMHERZIGE bringt es zustande, dass mein Herz so aufblühen kann.
Sollte es mir nicht möglich sein, heute selber alles Noch-nicht-Gute mit Mutteraugen anzuschauen? Wenn mir das gelingt, erlebe ich oft ein überraschendes Grünen und Blühen all dessen, worauf mein Blick das Licht der Barmherzigkeit strahlen lässt. Ganz neue, schöpferische Lösungen zeigen sich. Willst nicht auch du versuchen, im „Bösen“ das Noch-nicht-Gute zu sehen?
3 | al-Malikder KÖNIG |
Gott KÖNIG zu nennen, das ist in zweifacher Hinsicht gefährlich. Einerseits könnte es nahelegen, Gott Eigenschaften zuzuschreiben, die weltliche Könige oft kennzeichnen. Das wäre ein grober Irrtum. Könige brüsten sich, doch Gott wirkt in Verborgenheit. Könige unterdrücken, Gott ermächtigt. Könige erzwingen Gehorsam, Gott aber schenkt Freiheit.
Der Königstitel ist Sinnbild der höchsten Autorität in dem Machtsystem, dessen Grundsätze unsere Welt zu zerstören drohen. Aus diesem zweiten Grund ist es noch gefährlicher, Gott den Namen KÖNIG zu geben. Wenn wir das gedankenlos tun, dann werden wir allzu leicht abgestumpft für den Widerspruch, der zwischen zwei Machtsystemen besteht, dem königlichen und dem göttlichen. Der Widerspruch zwischen diesen beiden Machtsystemen ist jedoch absolut.
Das Machtsystem, aus dem der Gottesname KÖNIG stammt, kennen wir in unserer Zeit nur allzu gut aus täglicher Erfahrung, wo immer wir auch leben mögen auf dieser Welt. Es ist die Machtpyramide unserer Gesellschaft, aufgebaut aus unzähligen kleineren Machtpyramiden der gleichen Art. Sie alle sind gekennzeichnet durch Gewalttätigkeit, Rivalität, Unterdrückung und Ausbeutung. Wer immer an der Spitze steht, der gilt als König.
Woher aber kennen wir im Unterschied dazu göttliche Machtausübung? Wir erahnen sie aus der Ordnung des Universums und dem Wirken des Großen Geheimnisses, das wir Gott nennen, in der Natur. Dort finden wir statt einer Machtpyramide ein Netzwerk von Netzwerken, statt Gewalttätigkeit ein Zusammenspiel zum Wohl des Ganzen. Auch was uns auf den ersten Blick als grausamer Wettstreit erscheinen mag, fügt sich dem Ganzen ein und trägt bei zu harmonischer Ausgewogenheit. Statt Rivalität und Unterdrückung finden wir gegenseitiges Geben und Nehmen und statt Ausbeutung Teilen. Im Universum ist Gott KÖNIG, im Sinne einer ordnenden Macht, die alles durchwaltet. Den Unterschied zwischen diesen beiden Formen von Macht dürfen wir aber keinesfalls verwischen.
Entweder ist Gott KÖNIG oder die Machthaber dieser Welt sind es. Wer Gott KÖNIG nennt – und sich dementsprechend verhält –, der fordert das bestehende Machtsystem radikal heraus und spricht den Machthabern letztlich ihre Macht ab. Mancherorts kann dich das dein Leben kosten, fast überall gefährdet diese Haltung zumindest das Ansehen in der Gesellschaft. Gott KÖNIG zu nennen, das verlangt Mut: den Mut zu einer ganz neuen Weltordnung.
Ist Gott mein KÖNIG oder ist die höchste Autorität für mich letztlich doch mein Chef und das herrschende Machtsystem?
4 | al-Quddūsder HEILIGE, der Vollkommene, der Reine |
Bei Gipfelerlebnissen, etwa beim Miterleben der Geburt eines Kindes, bei einer einzigartigen Konzertaufführung, an einem herrlichen Tag im Hochgebirge oder unter dem hochgewölbten Himmel einer sternklaren Nacht, da kann uns Menschen das Gefühl einer Ehrfurcht gebietenden Gegenwart zugleich faszinieren und erschaudern lassen. Wir können dann das geheimnisvolle Du, das uns bei dieser Begegnung entgegenwartet, den HEILIGEN nennen.
Wenn uns etwas zugleich fasziniert und erschaudern macht, dann nennen wir es heilig. Dem kleinen Kind am Strand muss das Meer so erscheinen, wenn es vor Freude kreischend aufs Wasser zuläuft, gleich aber wieder flieht, wenn eine Welle ihm entgegenschäumt. Als Erwachsene können wir Ähnliches fühlen, wenn ein heiliger Anblick, etwa die Silhouette der Cheopspyramide am nächtlichen Himmel, uns hinreißt, uns aber zugleich ein Gefühl wie Angst einjagt durch ihre Erhabenheit.
Der innere Adel eines Menschen kann geradezu daran gemessen werden, wie nachhaltig Heiligkeit sein Herz berührt. Die Begeisterung einer Begegnung mit Erhabenem kann in uns eine Art Sehnsucht auslösen: Wir wollen selber so edel werden und so unverfälscht leben. Dieses Streben nach reiner Echtheit kann der Beginn heiligen (also heilen) Lebens werden. Was heil und heilig verbindet, ist der Begriff von echter, ungebrochener Ganzheit.
Der HEILIGE ist zugleich der Heilende, der Barmherzige des vorhergehenden Gottesnamens. Heiligkeit und Barmherzigkeit gehören zusammen. Das dürfen wir nie vergessen. In der Begegnung mit dem HEILIGEN wird mir nicht nur meine eigene Unvollkommenheit bewusst, sondern vor allem die Gnade, dass der Vollkommene, der Reine, sich mir – ja mir, so wie ich bin, – zuwendet und mich heiligt. Diese Barmherzigkeit weiterzuschenken an alle, denen ich begegne, das ist wahre Reinheit, wahre Heiligkeit, wahre Ehrung des HEILIGEN. So wie reine Fensterscheiben das Sonnenlicht ungetrübt durchströmen lassen, kann ich die Barmherzigkeit des HEILIGEN durch mich hindurchströmen lassen.
Welche Gelegenheit bietet sich mir heute, den HEILIGEN zu ehren, indem ich Barmherzigkeit rein durch mich durchscheinen lasse? Ja, diese ehrende Aufgabe ist mir zugedacht. Auf was oder auf wen könnte ich also heute durch mein Barmherzig-Sein die heilenden Strahlen des HEILIGEN zuströmen lassen?
5 | as-Salāmder FRIEDE, die Quelle des Friedens |
Was ist denn eigentlich „Friede“? Ist es nicht, wie die abendländische Philosophie des Mittelalters diesen Begriff verstand, „tranquillitas ordinis“, Stille, die aus Ordnung entspringt? Freilich dürfen wir da nicht an Friedhofsstille denken und nicht an ein schulmeisterliches „Ordnung muss sein!“ FRIEDE ähnelt mehr der dynamischen Stille einer ruhig brennenden Kerzenflamme und wurzelt in jener allumfassenden Ordnung, deren Ordnungsprinzip die Liebe ist: Liebe als gelebtes „Ja“ zur gegenseitigen Zugehörigkeit aller mit allen.
Friede, so verstanden, bezeichnet weit mehr als eine geschichtliche Periode ohne Krieg. Wahrer FRIEDE bedeutet die harmonische Entfaltung der ganzen Fülle des Daseins. So wie in der Musik das Können eines Komponisten dissonante und konsonante Akkorde zu einer höheren Harmonie verbindet, so überbrückt und versöhnt der göttliche FRIEDE alle Widersprüche. Selbst Zwist und Eintracht dienen gemeinsam einem höheren Ganzen. Aus dieser Sicht können wir Gott den FRIEDEN nennen.
Und wir können diesen Frieden nicht nur in geruhsamen Zeiten erleben, sondern gerade auch dann, wenn im persönlichen wie im öffentlichen Leben „Blitz aus Blitz sich reißt“, wie Joseph von Eichendorff singt:
Schlag mit den flamm’gen Flügeln!
Wenn Blitz aus Blitz sich reißt:
steht wie in Rossesbügeln
so ritterlich mein Geist.
Waldesrauschen, Wetterblicken
macht recht die Seele los,
da grüßt sie mit Entzücken,
was wahrhaft, ernst und groß.
Es schiffen die Gedanken
fern wie auf weitem Meer,
wie auch die Wogen schwanken:
die Segel schwellen mehr.
Herr Gott, es wacht Dein Wille,
ob Tag und Lust verwehn,
mein Herz wird mir so stille
und wird nicht untergehn.
Wenn ich fühle, „mein Herz wird mir so stille“, dann habe ich meinen persönlichen Bootssteg gefunden fürs Hineinsegeln in den FRIEDEN Gottes. Mögen auch die Wogen dann schwanken, die Segel schwellen: Wo kann ich in meinem Alltag solche Bootsstege finden? Sie sind leicht zu übersehen und doch ist es so wertvoll, wenn wir sie entdecken.