Kitabı oku: «Seewölfe Paket 13», sayfa 10
6.
Wie der Seewolf vorausberechnet hatte, lief die „Isabella“ gegen Mitternacht eine kleine Bucht an der südlichen Küste von Rhodos an.
Der Sturm hatte etwas nachgelassen. Der Regen fiel nur noch schauerweise, und seltener grollte der Donner und zuckten die Blitze. Donner und Blitz erfolgten auch nicht mehr gleichzeitig, sondern nacheinander, woraus zu schließen war, daß sich die Gewitterfront nach Nordwesten entfernte.
Draußen auf dem Meer türmten sich die Wellen etwas weniger hoch, und hier, in der Bucht, verringerte sich der Seegang derart, daß Hasard daran hätte denken können, die Verschalkungen der Luken und Niedergänge zu lösen und die Manntaue zu entfernen.
Doch vorläufig beließ er es bei ihrem derzeitigen Zustand. Die Sturmsegel wurden aufgegeit, der Anker rauschte an seiner Trosse aus und ging auf Grund.
Hasard versammelte seine Männer auf dem Hauptdeck und sagte: „Wir hätten in der Hoffnung, daß das Wetter sich weiterhin bessert, auch weitersegeln können. Aber wir brauchen einen neuen Bugspriet und müssen aus diesem Grund einen Baum fällen. Außerdem nutzen wir die Gelegenheit und frischen unsere Proviantbestände ein wenig auf, da wir schon mal hier sind.“
„Ja“, sagte Ben Brighton. „Und die Männer können sich ein wenig ausruhen oder sich die Füße vertreten.“
Dan O’Flynn blickte zu den Inselbergen, die wuchtig hinter dem Ufer der Bucht aufstiegen. „Eigentlich müßte es hier auf Rhodos doch ein bißchen Wild geben, oder? Wie wäre es, wenn wir noch vor dem Morgengrauen losziehen? Das ist die beste Stunde für die Rebhuhn-, Fasanen- und Hasenjagd.“
„Einverstanden“, sagte der Seewolf. „Ich teile jetzt die Deckswachen neu ein und bestimme, wer alles an Land gehen wird. Wer sich noch ein paar Stunden aufs Ohr legen will, soll sich ruhig melden.“
„Ach was, so müde sind wir doch gar nicht“, sagte Carberry. „Sir, mal eine Frage. Ist die Insel bewohnt?“
„Es soll hier ein paar Fischer- und Bauerndörfer geben“, erwiderte der Seewolf.
„Und die Bewohner sind Griechen, nicht wahr?“ erkundigte sich Blacky.
„Ob sie griechischer oder byzantinischer Abstammung sind, ist mir nicht bekannt.“
„Das spielt ja auch keine Rolle“, meinte Smoky. „Die Hauptsache ist, daß sie friedfertige Leute sind und nicht versuchen, uns zu vertreiben, falls wir mit ihnen zusammentreffen. He, Ed, du müßtest eigentlich doch bestens Bescheid wissen.“
„Ich? Warum ausgerechnet ich?“
„Nun, wenn mich nicht alles täuscht, hast du vor ein paar Wochen auf Mallorca eine ausführliche Unterredung mit einer netten Lady aus Griechenland gehabt. Oder?“
„Was, zum Teufel, hat denn das mit Rhodos zu tun?“ fragte der Profos mit drohendem Unterton in der Stimme.
Smoky spielte auf die Abschiedsfeier an, die es auf Mallorca gegeben hatte, als die Seewölfe den aus Abu Al-Hassans Harem befreiten Frauen einen kleinen Einmaster zur Weiterreise nach Südfrankreich verschafft hatten. Nie hätten sich die „Ladys“ von den Männern der „Isabella“ getrennt, ohne sich auf gebührende Weise bei ihnen zu bedanken. So war es zu einem allgemeinen Techtelmechtel gekommen, bei dem auch Carberry nicht leer ausgegangen war, weil Irene, die Griechin, eine leidenschaftliche Begeisterung für ihn entwickelt hatte.
„Ihr habt euch doch sicher über Land und Leute unterhalten“, fuhr Smoky zur allgemeinen Erheiterung der anderen Männer fort. „Über Irenes Heimat, meine ich. Ob die Menschen hier angriffslustig wie die Türken oder friedliebend und aufnahmebereit wie die Italiener sind.“
„Das weiß ich nicht“, brummte der Narbenmann unfreundlich. „Keine Ahnung, wie es sich damit verhält.“
„Ja, Himmel, über was habt ihr beiden denn bloß gesprochen?“ rief Smoky aus.
Carberry sah ihn zornig an. „Das geht dich einen feuchten Schlick an, du Stint! Frage ich dich etwa auch über deine Weibergeschichten aus, was, wie?“
„Nein“, sagte nun der Seewolf. „Und deshalb solltest du auch nicht so aufdringlich fragen, Smoky. Schon mal was von Diskretion gehört?“ Er gab sich Mühe, ernst zu bleiben, konnte sich aber selbst ein feines Lächeln kaum verkneifen.
„Ja, Sir.“
„Dann halte dich daran.“
„Aye, Sir.“
„Was zur Hölle ist Diskretion?“ wollte Carberry von Blacky wissen, der dicht neben ihm stand.
Blacky grinste. „Ich erklär’s dir später, Ed. Das ist keine einfache Angelegenheit. Vielleicht sollte ich dir eine Zeichnung anfertigen.“
„Paß auf“, sagte der Profos mit grollender Stimme. „Ich merke schon, daß du mich auch auf den Arm nehmen willst, aber ich lasse mich von euch Rübenschweinen nicht verschaukeln. Paß auf, daß du nicht gegen eine Schott läufst, aus Versehen, meine ich.“
„Nein, Sir!“ Blacky riß sich zusammen, um nicht mehr zu sagen. Es war gefährlich, mit dem Feuer zu spielen, das Edwin Carberry hieß.
Hasard räusperte sich und lenkte dadurch die Aufmerksamkeit der Männer wieder auf sich. „Ich rechne fest damit, daß die Menschen von Rhodos gastfreundlich sind. Wir werden sie respektieren und auf keinen Fall etwas tun, das sie ärgerlich stimmen könnte. Wenn sie zum Beispiel nicht wollen, daß wir jagen, dann unterlassen wir es.“
„Falls wir überhaupt jemandem begegnen“, meinte Old O’Flynn.
„Ja“, sagte sein Sohn. „Von hier aus betrachtet, sieht die Insel öde und verlassen aus.“
„Aber man kann sich täuschen“, gab Big Old Shane zu bedenken. „Oft trügt der Schein. Stimmt’s, Donegal?“
„Habe ich euch das nicht immer vorgebetet?“ gab der Alte mit verdrossener Miene zurück. „Tu jetzt nicht so, als sei das auf deinem Mist gewachsen, Shane.“
„Schluß der Debatte!“ sagte der Seewolf. „Wir gehen mit einem starken Trupp an Land und nehmen genügend Waffen mit, um gegen alle eventuellen Überraschungen gerüstet zu sein.“
„Soll ich auch ein paar Höllenflaschen mitnehmen?“ fragte Ferris Tucker.
„Ja, natürlich.“
„Eben“, sagte Al Conroy, der Stückmeister und Waffenexperte der „Isabella“. „Man weiß nie, zu was man sie gebrauchen kann.“ Er blickte zu Hasard, dann zu Ferris. „Es hat sich noch nie als Fehler erwiesen, ein paar davon in die Taschen zu stekken, oder?“
„Ich hoffe, sie nicht einsetzen zu müssen“, sagte der Seewolf. „Wir geben hier nur eine kurze Gastrolle, dann verschwinden wir wieder.“
Selims Piraten hatten die Häuser von Pigadia geplündert und tatsächlich in den Hohlräumen unter den Estraden die Ketten und anderen Goldschmuck gefunden, die die Aussteuer der verheirateten Frauen darstellten.
Selim ließ sich die Kostbarkeiten bringen und aushändigen. Er war sorgsam darauf bedacht, jede Geste seiner Männer zu überwachen. Niemand sollte wagen, sich heimlich schon etwas von der Beute in die Tasche zu stecken, das Verteilen oblag ausschließlich ihm.
Er hatte sein Quartier in Lagios’ und Iris’ Haus bezogen, einem der größten und schönsten Bauten des Ortes. Hier häufte er nun das geraubte Gut auf dem Fußboden, schätzte überschlagsmäßig dessen Wert und stellte grinsend fest, daß er mit sich zufrieden sein konnte.
Er ließ Jella, Dobran, Ali und Firuz zu sich rufen und wies auf das Gold, das sich zu ihren Füßen häufte.
„Es hat sich gelohnt“, sagte er. „Wir haben einen wirklich guten Fang gemacht. Wer hätte das gedacht?“
„Keiner“, entgegnete Dobran, ein hagerer Mann mit einem riesigen Turban auf dem Kopf. „Wir sollten auch die anderen Inseldörfer aufsuchen und überfallen.“
„Das ist sicher“, sagte Selim. „Wohin habt ihr die gefangenen Mädchen gebracht?“
„In das Haus gegenüber“, antwortete Jella. „Ich habe sie zusammentreiben lassen, sie werden von zwei Männern bewacht. Sie schlottern vor Angst, aber ich habe ihnen gesagt, daß sie vorläufig nichts von unseren Leuten zu befürchten haben.“ Sie lachte leise.
„Wie viele sind es?“
„Achtzehn. Ich habe sie genau gezählt.“
„Wir werden sie als Sklavinnen verkaufen, zusammen mit den anderen, die Osman und unser Suchtrupp sicherlich doch wieder einfangen werden.“
„Osman ist noch nicht wieder zurück“, sagte Dobran.
„Man muß ihm Zeit lassen. In ein, zwei Stunden ist er bestimmt wieder da und bringt einen ganzen Schwarm von Weibern und Kindern. Auch die Kinder werden wir verkaufen – nach Zypern, wo es genügend Abnehmer für Ware dieser Art gibt.“
„Ich frage mich nur, wo die jüngeren Männer des Dorfes sind“, sagte Ali. „Es kann hier doch nicht nur Greise, Weiber und Kinder geben.“
Jella entgegnete darauf: „Eins der Mädchen hat mir auf meine Fragen hin erzählt, daß sie am Nachmittag zum Fischfang ausgelaufen seien, mit ihren Booten. Das Wetter erschien ihnen vielversprechend, doch sie sind vom Sturm überrascht worden.“
„Und wahrscheinlich alle ertrunken!“ rief Firuz lachend.
„Wenn nicht, bereiten wir ihnen hier einen angenehmen Empfang, sobald sie zurückkehren“, sagte Selim. „Vergessen wir nicht, überall Wachen aufzustellen.“
Weder Jella, er und die anderen ahnten, daß das Mädchen gelogen hatte, um die Männer von Pigadia vor einem Überfall der Seeräuber in den Olivenhainen zu schützen. Ihrer Geistesgegenwart sollte es zu verdanken sein, daß Lagios, Iris, Melania und all den anderen im weiteren Verlauf der Nacht tatsächlich nichts zustieß.
Selim wandte sich um und verließ Lagios’ Haus, um zu den Mädchen hinüberzugehen und sie zu begutachten.
Es hatte aufgehört zu regnen. Das Heulen und Pfeifen des Sturmwindes legte sich allmählich. Selim blieb bei den toten alten Männern stehen und sagte zu seinem Kumpan: „Später werfen wir sie in die Schlucht. Später, wenn Osman und die anderen zurück sind.“
Er sah auch Antos verkrümmt auf dem Pflaster der Gasse liegen und grinste voll Hohn und Verachtung.
Plötzlich kehrte der glatzköpfige Osman mit der Meute zurück, die Selim seinem Kommando anvertraut hatte. Er blieb schwer atmend vor seinem Anführer stehen und meldete: „Nichts zu machen, Selim. Wir haben keinen von den Flüchtlingen mehr finden können. Sie sind wie vom Erdboden verschwunden.“
„Das gibt es doch nicht“, sagte Selim unwirsch. „Sie können sich nicht in Luft aufgelöst haben. Ihr habt nicht gründlich genug gesucht.“
„Wir haben alles abgekämmt“, verteidigte sich Osman. Er deutete mit dem Finger auf Antos. „Vielleicht kann der uns noch verraten, in welchen Schlupfwinkel sie sich zurückgezogen haben. Vermutlich gibt es irgendwo Höhlen, die man im Dunkeln nicht sieht.“
Selim warf wieder einen Blick auf Antos. „Der? Der wird uns nichts mehr sagen. Er ist tot.“
„Fragen wir mal die Mädchen“, schlug Jella vor. „Wir bringen sie schon zum Sprechen, verlaßt euch drauf. Ich brauche nur eine von ihnen mit meinem Messer zu kitzeln, dann …“
„Einen Augenblick“, unterbrach Osman sie. „Selim, wir haben etwas anderes, vielleicht Wichtigeres entdeckt. Nur eine Meile weiter im Westen gibt es noch eine kleine Bucht. Dort liegt ein Schiff vor Anker.“
„Ein Schiff?“ Selim hob die Augenbrauen. „Das werden doch wohl nicht die Männer des Dorfes sein?“
Osman schüttelte den Kopf. „Bestimmt nicht. Wir haben uns ziemlich dicht anpirschen können und im Zucken der Blitze gesehen, daß es sich um ein europäisches Schiff handelt. Eine Dreimast-Galeone. So einen großen Segler können die Insulaner nicht besitzen, ich glaube, sie wüßten gar nicht damit umzugehen.“
„Ist es etwa ein Spanier?“ fragte Selim mit wachsendem Interesse.
„Möglich ist es. Vielleicht auch ein Genuese oder Venezianer.“
„Er hat bestimmt Beute für uns an Bord“, sagte Selim. „Beim Scheitan, diese Insel Rhodos wird immer interessanter für uns. Ehe wir sie verlassen, sind die Bäuche der ‚Grinta‘ und der Ghanja so voll, daß sie sich kaum noch voranbewegen können.“
„Wir könnten einen Boten zu unseren Schiffen schicken“, meinte Dobran. „Bei dem nachlassenden Seegang können sie das Südufer runden und die Galeone in ihrer Ankerbucht überfallen.“
„Nicht so hastig“, sagte Selim. „Osman, habt ihr die Stückpforten der Galeone zählen können?“
„Sie scheint zwanzig Geschütze zu haben, vielleicht auch noch mehr.“
„Ein ernstzunehmender Gegner also.“ Selim rieb sich nachdenklich den Schnauzbart. „Wir sollten lieber versuchen, einen Teil der Besatzung an Land zu locken.“
„Aber wie?“ fragte Dobran.
„Ich weiß es“, sagte Jella. „Ich kann es Selims Zügen ablesen, was er plant.“
Selim warf ihr einen seltsamen Blick zu. „Du scheinst überhaupt gut in meinen Gedanken lesen zu können, Jella. Nun gut, ich weiß eine List. Jella, du gehst mit Ali zur Bucht hinunter, und ihr holt zehn von unseren Frauen an Land. Ich habe eine feine Aufgabe für sie. Wir werden diesen Spanier – oder wer immer er auch sein mag – in eine tödliche Falle locken.“
Die Männer, Frauen und Kinder des Dorfes hatten die Olivenhaine erreicht. Jetzt zogen sie sich in die flachen Steinbauten zurück, die sich in einer langen Reihe an einen niedrigen Hang duckten, entfachten die Glut in den Öfen, die sie bei ihrem Aufbruch zurückgelassen hatten, zu Feuern, an denen sie sich wärmten, und weckten die Männer, die sich auf ihren Schlafplätzen niedergelassen hatten, um die Nacht hier zu verbringen.
So wurde berichtet und beratschlagt, und die Frauen beruhigten ihre Kinder, während die Männer den Piraten bittere Rache schworen.
„Wenn ihre Schiffe in der Bucht ankern“, sagte einer von Lagios’ Freunden, „brauchen wir doch nur zu unseren in den Grotten versteckten Booten zu schleichen, sie ins Wasser zu schieben und die Schiffe anzugreifen.“
„Womit?“ fragte Lagios. „Mit den wenigen Flinten, den Messern und den Knüppeln, die wir haben? Sie schießen uns mit ihren Geschützen in Fetzen.“
„Aber das Pulver ist naß, das Zündkraut nicht zu gebrauchen …“
„Jetzt nicht mehr“, widersprach Lagios, der nach und nach zum Wortführer der Gruppe geworden war. „Es regnet nicht mehr, und das Pulver trocknet schnell. Nein, wir müssen uns etwas anderes einfallen lassen.“
„Es ist unsere vordringliche Aufgabe, ins Dorf zu gehen und die jungen Frauen und Mädchen zu befreien“, sagte ein stämmiger Mann mit breitem, herbem Gesicht, der bei dem Kampf im Dorf seinen Vater verloren hatte, wie er durch Melania erfahren hatte. „Es muß uns gelingen, diese gemeine Bande irgendwie abzulenken, ihr in den Rücken zu fallen und sie zu vertreiben. Wir müssen es schaffen! Wenn wir ein paar Wachen zum Schutz unserer Frauen und Kinder hier zurücklassen, können wir immer noch einen Trupp von vierzig oder noch mehr Männern in Bewegung setzen. Das müßte doch genügen.“
Lagios sprang plötzlich auf. „Du hast recht! Und mir ist eben eingefallen, wie wir es schaffen können. Hört zu.“
Er beugte sich zu ihnen und sprach schnell und eindringlich auf sie ein. Sofort waren die Männer Feuer und Flamme, sie brannten darauf, ausrücken und losschlagen zu können.
7.
Die Seewölfe gingen an Land, rechtzeitig genug, um bei Anbruch des neuen Tages auf den Kuppen der Inselberge sein und mit der Jagd auf das Bodenwild beginnen zu können. Sie stiegen aus der Jolle, die sie zum Übersetzen benutzt hatten, und zogen sie mit vereinten Kräften auf das schmale Stück Strand, das an dieser Stelle die Bucht säumte: Hasard, Ferris Tucker, der Profos, Dan O’Flynn, Big Old Shane, Blacky, Luke Morgan, Gary Andrews, der alte O’Flynn und die Zwillinge.
Etwas widerstrebend hatte der Seewolf auch seinen Söhnen gestattet, an dem Ausflug teilzunehmen. Einerseits wollte er sie nicht unnötig Gefahren aussetzen, andererseits aber sagte er sich, daß Rhodos wahrscheinlich keine Tücken und Fallen für sie bereithielt und sie längst auch groß genug waren, um an einem Unternehmen wie diesem teilzunehmen.
Im übrigen lockte die Aussicht, an der Jagd auf Fasanen, Rebhühner, Hasen, Wachteln und Schnepfen teilzunehmen, allzu sehr. Jetzt, Anfang des Monats Dezember, war es in diesen Breiten genau die richtige Zeit, auf die Pirsch zu gehen, und es war auch nicht ausgeschlossen, daß ihnen größere Tiere über den Weg liefen, Wildschweine oder Wildziegen beispielsweise.
Philip junior und Hasard junior hatten zu diesem Zweck Schrotflinten mitgenommen. Ferris Tucker, Shane, Blacky und Dan O’Flynn hingegen schleppten zusätzlich zu ihren Waffen Beile, Äxte und Sägen mit, um einen Baum zu fällen, der sich für die Herstellung eines neuen Bugspriets eignete.
Ferris hoffte darauf, eine Pinie zu finden. Pinienholz war hart und widerstandsfähig und pflegte auf See nicht zu faulen, in den Mittelmeerländern wurden sogar Schiffe daraus gebaut.
Sie stiegen in die Berge auf und wandten sich ein letztes Mal zur „Isabella“ um. Ruhig lag die Galeone jetzt vor Anker. So rasch der Sturm über sie hereingebrochen war, so schnell schien er jetzt auch wieder abzuflauen. Ein Phänomen, das den Männern nicht neu war – Stürme konnten Tage, manchmal aber auch nur Stunden dauern. Das Wetter war unberechenbar.
Ben Brighton hatte für die Zeit von Hasards Abwesenheit das Kommando an Bord der „Isabella“ übernommen. Für den Fall, daß irgend etwas geschah, hatte er von Hasard genaue Anweisungen erhalten. Mit den restlichen Männern, die an Bord blieben, vertrieb er sich die Wartezeit: Sie tauschten die Sturmsegel gegen das normale Zeug aus, lösten die Verschalkungen und bargen die Manntaue, die alle sorgfältig aufgeschossen und ins Kabelgatt zurückgebracht wurden.
Bald langten Hasard und seine Gruppe auf einer Anhöhe an, die über Baumbestand verfügte. Ferris lief an Hasard vorbei, hob den Kopf und nahm zwei hohe Schirmpinien in Augenschein, die sich – von den Winden geneigt – leicht nach Norden lehnten.
Er blieb stehen und klopfte mit der Hand an den Stamm der einen Pinie.
„Die hier ist richtig, Sir“, sagte er lachend. „Daraus bastle ich unserer Lady einen feinen Bugspriet und behalte noch Holz über.“
„Fangen wir gleich an“, sagte der Seewolf. „Wir fällen und zerlegen den Baum und tragen ihn Stück für Stück zur Bucht hinunter. Ed, Luke und Gary, packt ihr auch mit an, um so schneller sind wir mit der Arbeit fertig. Donegal, du könntest mit den Zwillingen die nähere Umgebung auskundschaften. Wenn ihr auf Wild stoßt, schießt ihr.“
„Aye, Sir“, brummte der Alte. Er sah die Zwillinge an und hob mahnend den Zeigefinger. „Aber aufgepaßt, ihr Flöhe. Ich habe mir nicht auf den Leib geschrieben, daß ich kein Fasan bin. Deshalb gebt acht, wohin ihr schießt. Ich versohle euch mit meinem Holzbein den Hintern, wenn ihr meinen Achtersteven trefft.“
Philip und Hasard lachten.
„Aber wir können doch schon gut genug mit Waffen umgehen“, sagte Philip junior.
„Das haben schon ganz andere Leute als ihr behauptet“, versetzte Old O’Flynn mit säuerlicher Miene. „Und was dann dabei passiert ist, erzählt man sich heute noch. Ich erinnere mich da an eine Geschichte …“
„Nun mal los“, sagte Carberry, der gerade an ihnen vorbeischritt, um sich von Ferris ein Beil geben zu lassen. „Dein Seemannsgarn kannst du immer noch zum besten geben, Donegal, aber wenn hier irgendwo auch nur ein halbverhungerter Hase sitzt, dann geht er euch wegen deines Geredes durch die Lappen.“
„So?“ Der Alte stieß ein grimmiges Schnauben aus. „Das werden wir dir gleich mal zeigen, du Angeber. Los, Jungs, auf geht’s. He, Ed, merk dir das eine. Ich habe in meiner Jugendzeit in Cornwall mehr wilde Eber, Hirsche und Rehböcke zur Strecke gebracht als du in deinem ganzen nichtsnutzigen Leben.“
„Auch Elefanten?“ fragte der Profos. „Von denen soll es in den Wäldern Backbord von Falmouth ja geradezu wimmeln. Wenn du mal eine Weile still bist und lauschst, kannst du ihr Trampeln bis hierher hören.“
Die Zwillinge stießen sich an und lachten, setzten aber sofort wieder bierernste Mienen auf, als sich Old O’Flynn zu ihnen umwandte und hinter ihnen herstapfte. Sie wollten sich ihren Streifzug nicht dadurch verscherzen, daß sie den Alten wütend stimmten.
Hasard, Ferris, Shane und die anderen begannen, den ersten Keil aus dem Stamm der Pinie zu schlagen. Die harten, pochenden Geräusche begleiteten Old O’Flynn und die Jungen, als sie sich jetzt durch eine kleine Senke gehend dem nächsten Hang näherten.
„Sir“, sagte Hasard junior so leise wie möglich. „Dürfen wir auch auf Drosseln schießen, wenn welche auffliegen?“
„Natürlich nicht. Das sind doch Singvögel.“
„Oh, Verzeihung.“
„Kannst du überhaupt eine Drossel von einem Rebhuhn unterscheiden?“
„Ganz bestimmt“, raunte der Junge ihm zu und ahmte den zirpenden Ruf der Drossel nach.
„Na ja“, brummte der Alte. „Das ist wenigstens etwas.“ Plötzlich verengten sich seine Augen zu schmalen Schlitzen. „Wahrschau, ihr beiden, da vorn rührt sich was. Habt ihr eure verdammten Flinten überhaupt schon geladen?“
„Und ob“, flüsterte Philip junior, vom Jagdfieber gepackt.
„Dann geht mal ein paar Schritte vor. Schießt aber erst, wenn ich das Kommando dazu gebe.“
„Aye, Sir“, murmelten die Jungen ehrfürchtig.
Es regte sich wirklich etwas zwischen den Büschen am Hang, der vor ihnen aufragte. Was es wirklich war, konnten die drei in der Dunkelheit aber erst erkennen, als sie auf wenige Schritte heran waren. Old O’Flynn klappte vor lauter Verblüffung der Unterkiefer herunter.
„Runter mit den Kanonen“, sagte er. „Das sind keine Fasanenhennen, ihr blinden Aale. Das sind ja …“
„Frauen“, sagte Hasard junior und ließ die Schrotflinte sinken.
Vor ihnen traten drei, vier, fünf und immer mehr junge Frauen aus dem Dickicht. Sie waren eigentümlich kostümiert und trugen große Tonkrüge und noch andere Sachen, die sich gleich als Brotlaibe, Obst und Käse entpuppen sollten.
Die Frauen kicherten, gingen an Old O’Flynn und den Zwillingen vorbei und steuerten auf die Anhöhe zu, auf der Hasard und die anderen mit dem Fällen der Pinie beschäftigt waren.
„Also gibt’s hier doch Menschen“, sagte Philip junior. „Ja, ist denn das die Möglichkeit? Was wollen die bloß?“
Der Alte fuhr herum und eilte den Frauen nach.
„He, Augenblick, was soll das?“ rief er, zuerst auf englisch, dann auf spanisch. „Ihr könnt doch nicht einfach …“
Der Seewolf hörte sein Rufen, richtete sich auf und blickte zu den Frauen. Carberry, Shane, Ferris und die anderen hoben ebenfalls die Köpfe.
„Mein lieber Mann“, sagte der Profos. „Da brat mir doch einer einen Stint. Hat die Welt so was schon gesehen?“
„Aufpassen“, sagte Hasard. „Das könnte ein Trick sein. Haltet die Augen nach allen Seiten offen.“
Er hatte allen Grund, mißtrauisch zu sein. Schon einmal waren sie durch Mädchen hereingelegt worden, die ihnen begeistert zugewinkt und ihnen Geschenke gebracht hatten – an einem ganz anderen Platz der Welt, aber unter ähnlichen Bedingungen.
Die Frauen – es waren acht, wie Hasard jetzt zählen konnte – näherten sich ohne Zögern und deuteten Verbeugungen an, als sie sich nur noch wenige Schritte von den Männern entfernt befanden.
Sie setzten ihre Krüge auf dem Boden ab, nahmen kleine Becher zur Hand und begannen sie zu füllen.
„Ich wette eins zu tausend, daß das kein Wasser ist“, sagte Gary Andrews zu Luke Morgan.
„Ruhe“, sagte der Profos. „Maul zu und Augen offen halten, ihr Kanalratten.“
„Das tun wir doch“, raunte Gary Andrews. Und ob sie die Augen offen hielten! Sie taten ja nichts anderes, als diese allerliebsten, lächelnden, dunkelhäutigen Geschöpfe zu betrachten, die jetzt Brot und Käse anschnitten, die Becher verteilten und mit Weintrauben, Feigen und Orangen hantierten.
Jella, die Anführerin, vollführte einen kleinen Knicks vor Hasard und drückte ihm den Becher in die Hand.
„Trink, Fremder“, sagte sie mit aufmunterndem Lächeln. Sie sprach Spanisch mit hartem, etwas kehligem Akzent. „Und willkommen auf Rhodos. Unsere Männer haben euer Schiff gesehen und uns zu eurer Begrüßung hergeschickt.“
Sie trug die gleiche Kleidung wie die anderen auch – die Tracht der Frauen von Rhodos, Kavai genannt, einen blauen, langärmeligen Kittel, der ein weißes, hemdähnliches Gewand überdeckte, lange, in Stiefeln steckende Pumphosen, einen Gürtel, eine Schürze und ein Kopftuch. Diese Sachen hatten ihre Begleiterinnen und sie sich von den Mädchen „ausgeliehen“, die in Pigadia gefangengehalten wurden.
„Ist es üblich, Besucher der Insel so zu begrüßen?“ fragte der Seewolf.
„Ja. Es ist ein alter Brauch. Wein und Obst, Brot und Käse, das ist alles, was wir haben, aber wir geben es gern und laden euch in unsere Häuser ein.“
„Danke. Du sprichst gut Spanisch.“
„Bist du ein Spanier?“
„Engländer.“
„Dann sprichst du aber auch sehr gut ausländisch.“ Sie lachte verhalten. „Ausländisch ist wohl nicht richtig, oder? Verstehst du auch unsere Muttersprache?“ Sie sagte ein paar Worte, doch er schüttelte nur den Kopf.
„Was ist das?“ wollte er wissen. „Griechisch?“
„Nein. Die Sprache von Pigadia. Pigadia, so heißt unser Dorf. Jedes Dorf hat seinen eigenen – Dialekt. So sagt man doch, nicht wahr?“
„Ja.“
Sie lächelte ihm wieder zu. Hasard blickte zu den anderen und stellte fest, daß die Männer alle mit Wein und Brot bedient worden waren. Sie sahen ihn aber zweifelnd an und wußten nicht, ob sie die Geste annehmen sollten oder nicht. Verlegenheit entstand.
Old O’Flynn und die Zwillinge waren inzwischen auch zurückgekehrt und erhielten sofort ebenfalls jeder einen Becher Wein.
Hasard fragte sich, ob das Benehmen dieser Frauen im Grunde nicht doch sehr eigenartig war. Ihre schnelle Vertraulichkeit, ihr einladendes Lächeln – konnte denn das nicht falsch verstanden werden? Welcher Insulaner schickte schon so bereitwillig seine Frau in die Nacht hinaus, um Fremde zu empfangen, von denen keiner wissen konnte, wie sie diese Höflichkeit erwidern würden?
Es gab Hasards Meinung nach nur einen Mann auf dieser Erde, der es als seine Pflicht ansah, dem Gast auch gleich seine Frau mit anzubieten – der Eskimo. Nirgendwo anders schien es diesen Brauch zu geben, der einen ahnungslosen Besucher in größte Verlegenheit bringen konnte.
Und: Wirkten diese Inselfrauen nicht etwas zu orientalisch? Konnte hier nicht doch etwas faul sein?
„Hübsch“, sagte Dan O’Flynn. „Wirklich, sehr hübsch, diese kleinen Ladys. Gut gebaut, schwarzhaarig, dunkeläugig, eine wie die andere.“
„Das ist der Einfluß von Byzanz“, sagte Blacky. „Wir sind hier schon mehr im Orient als in Griechenland. Sir, was tun wir jetzt?“
Byzanz, ja, dachte der Seewolf, gut möglich, daß die früheren Einflüsse die Bevölkerung so geprägt haben. Nun gut.
„Wir dürfen ihre Gastfreundschaft nicht zurückweisen“, sagte er. „Das wäre mehr als unhöflich. Sie würden es als eine Beleidigung auffassen. Also – zum Wohl!“
Er hob seinen Becher, prostete den acht Frauen zu und kostete von dem Trunk, der sich als vorzüglicher Landwein erwies. Auch die anderen tranken, setzten die Becher wieder ab und nickten anerkennend.
„Ich habe gewonnen“, sagte Gary Andrews. „Mann, so ein guter Tropfen. Ob wir wohl noch mehr davon kriegen?“
„Du hast nicht gewonnen“, meinte Dan O’Flynn. „Du hast doch mit keinem gewettet.“
„Doch – mit mir selbst.“
„Mister Andrews“, sagte der Profos mit gespielter Freundlichkeit. „Du redest schon jetzt wirres Zeug. Du kriegst keinen Schluck mehr von dem Zeug, sonst bist du gleich besoffen, verstanden?“
„Aye, Sir“, brummte Gary. Was sollte er sonst antworten?
Die Gastfreundschaft der Frauen war wirklich entwaffnend. Kaum waren die Becher leer, schenkten sie sie wieder voll, trotz des sanften Widerstandes der Männer. Das Obst wurde verteilt. Es schmeckte so gut wie der Wein, das Brot und der Käse.
„So ein gutes Frühstück“, schwärmte Luke Morgan. „Aber eigentlich ist es ungerecht von uns, Ben und die anderen nicht daran teilhaben zu lassen.“
„Ja, du hast recht“, sagte der Seewolf. Er wandte sich an Jella. „Was meinst du, ob eure Männer wohl bereit wären, uns etwas von diesem Wein und diesem Brot zu verkaufen – und auch, von dem Obst und dem Käse?“
„Ganz gewiß. Wir gehen am besten gleich ins Dorf. Sie erwarten uns. Wir haben selten Gäste, und die Männer sind froh, einmal Neuigkeiten zu erfahren. Ihr habt doch sicher viel zu erzählen.“
„Das schon“, sagte Hasard. „Aber eigentlich hatten wir uns vorgenommen, erst diese Pinie zu fällen.“
Sie lachte wieder. „Das hat doch Zeit. Außerdem helfen unsere Männer euch gern dabei. Sie sind stark und können kräftig zupacken; wenn sie euch unterstützen, seid ihr in der Hälfte der Zeit fertig.“
„Aber das kann ich nicht annehmen.“
Sie wischte seinen Einwand mit einer flinken Geste fort. „Ach, Unsinn. Komm nur. Sag deinen Männern, daß sie uns folgen sollen. Ihr wolltet doch auch auf die Jagd gehen, nicht wahr? Unsere Männer kennen die besten Plätze, dort stoßt ihr ganz sicher auf Fasanen, Rebhühner und Wachteln.“
Was sie sagte, klang überzeugend.
„Männer“, sagte Hasard. „Wir gehen in dieses Dorf. Ich bin jetzt wirklich gespannt darauf, die Männer dieser Prachtmädchen kennenzulernen. Sie müssen ja wirklich von umwerfender Herzlichkeit und Menschlichkeit sein.“
„Das entspricht der Wesensart der Leute von Rhodos“, bemerkte der Profos und befand im stillen, daß er sich dieses Mal sehr gewählt ausgedrückt hatte.
Ferris Tucker drehte sich überrascht um. „So? Woher weißt du denn das?“
„Von Irene, der Griechin.“
„Dann habt ihr also doch über solche Dinge gesprochen?“
„Na und?“
„Das hättest du aber auch schon eher zugeben können“, sagte Ferris. „Und zwar, als Smoky dich danach fragte.“
Carberry schob sein wuchtiges Kinn noch ein Stückchen weiter vor. „Es geht Smoky und dich einen feuchten Sand an, was Irene und ich uns erzählt haben, schreib dir das hinter die Segel.“
Osman, Selims wichtigster Späher, hatte die Szene bei den Pinien aus einiger Entfernung beobachtet. Jetzt hatte er genug gesehen und kroch durch Gebüsch davon, bis er sich hinter einem Felsenbuckel befand und sicher sein konnte, von den Männern der Galeone nicht entdeckt zu werden.
Er eilte zum Dorf und meldete seinem Anführer, daß es Jella und den sieben anderen Frauen gelungen sei, die Fremden anzulocken.
Selim sandte Dobran, seinen Unterführer, zur „Grinta“ und der Ghanja. Dobran sollte an Bord gehen und den Angriff auf die Galeone selbst leiten. Die Schebecke und die Ghanja würden sich am Wind um Legerwall herumschleichen und dann in der kleineren Ankerbucht der Galeone über die an Bord zurückgebliebene Besatzung herfallen – ein Überraschungsangriff, bei welchem dem Opfer jeder Fluchtweg abgeschnitten war.