Kitabı oku: «Seewölfe Paket 13», sayfa 7
Ali nahm sie entgegen, hielt eins der zerbrechlichen Täßchen in der linken Hand und goß aus großer Höhe geschickt wie ein Zauberkünstler das kochende Wasser schwungvoll in das Täßchen. Dann tat er ein paar Tropfen Tamarindensaft dazu und in das andere ein paar Tropfen Rosenöl.
Der Sarazene nickte anerkennend über soviel Geschick. Dieser Händler hatte nicht einen einzigen Tropfen verschüttet. Wahrlich, ein sehr geschickter Mann.
Ali plauderte, stellte Fragen und horchte den Sarazenen geschickt aus. Aber er erfuhr nicht viel, denn der Kapitän war mißtrauisch und geizte mit den Worten.
Für Ali Rasul stand jedoch schon das Urteil fest. Der Sarazene hatte ihn betrogen, betrogen um die Sklaven und betrogen um das Gold, das er widerrechtlich und entgegen aller Geschäftspraktiken an sich genommen hatte.
Aber einen Ali Abdel Rasul betrog man nicht, auch wenn der Sarazene sich bisher immer korrekt verhalten hatte. Ali glaubte genügend und einwandfreie Beweise zu haben.
Die Pulverfässer wurden an Deck gestellt, scheinbar unabsichtlich an mehreren Stellen. Dann wurden die Lebensmittel nach oben gebracht, die der Sarazene verlangte.
Er begutachtete alles, meckerte hier und da herum und versuchte, den Preis zu drücken, was Ali mit beifälligem freundlichem Lächeln quittierte. Aber er blieb bei dem Preis.
„Du bist ein harter Knochen!“ fuhr er Ali an. „Deine Preise sind zu hoch. In der nächsten Stadt kriege ich das Zeug billiger.“
„Herr, ich muß auch meine Leute bezahlen, ich bin ein armer Mann, der eine große Familie ernährt. Ich kann euch eine Zugabe geben. Aber dann möchte ich euch an Bord meines Schiffes bitten, damit Ihr euch eine der Kostbarkeiten aussuchen könnt. In welcher Währung wollt ihr mich bezahlen?“
„In Piastern“, sagte der Kapitän.
Mit meinen eigenen Piastern, dachte Ali, die du Hundesohn mir aus dem Versteck geklaut hast. Er lächelte verbindlich und blickte auf die kleinen Krüge und Fässer, die jetzt an Deck standen.
Der Sarazene war neugierig auf die Zugabe, die der Händler ihm gewährte, und so zeigte er nach unten.
„Gehen wir, ich habe nicht viel Zeit. Mein Schiff muß wieder aufgeriggt werden. Was qualmt da so entsetzlich bei euch an Bord?“ wollte er wissen.
„Moshe wird Brotfladen backen, Herr. Er stellt sich dabei reichlich ungeschickt an. Eines Tages wird er das ganze Schiff in Brand setzen.“
Der Sarazene enterte ab. Er sah sich die Feluke an und war erstaunt, daß das kleine Händlerschiff über eine hölzerne Schleudervorrichtung verfügte, mit der man Brandtöpfe und Griechisches Feuer verschießen konnte.
Ali sah den Blick und lächelte.
„Wir werden oft ausgeplündert, Herr. Aber wir wissen uns unserer Haut zu wehren. Bitte, folgt mir!“
Kaum war der Sarazene an Bord, da beugten sich auch schon neugierige Köpfe über das Schanzkleid.
„Steht nicht rum, glotzt nicht!“ befahl der Kapitän. „Geht an eure Arbeit, ihr Hundesöhne.“
Die Köpfe fuhren zurück, und die Arbeit wurde emsig fortgesetzt.
Ali Abdel Rasul bat den Kapitän in seinen bescheidenen Raum, der mit kostbaren Teppichen ausgestattet war. Teure Öllampen hingen von der Decke, auf dem Boden lagen Wasserpfeifen, Tonkrüge und Gewänder, alles, was die Händler verkauften.
Zwei Mann aus Alis Besatzung lösten unauffällig die Leine, und gleich darauf trieb die Feluke leicht von der Schebecke ab. Zunächst bemerkte es niemand, doch dann fiel dem Sarazenen die leichte schlingernde Bewegung auf, und er stürzte an Deck.
Gehetzt sah er sich um, starrte Ali an und wollte etwas sagen, denn die Feluke hatte bereits Fahrt aufgenommen und glitt aus der Bucht.
Auf der Schebecke brüllten die Leute durcheinander und rangen die Hände, als das Händlerschiff weitersegelte.
„Was hat das zu bedeuten?“ fragte der Sarazene mit vor Wut verzerrtem Gesicht. „Willst du Hundesohn mir wohl eine Antwort geben, du räudiger Köter?“
Ali Abdel Rasul lächelte hintergründig. Der Sarazene sah sich plötzlich von sechs Männern eingekreist und wurde blaß.
„Wenn du einem giftigen Köter die Zähne ziehst“, sagte Rasul immer noch lächelnd, „dann kann er nicht mehr beißen. Stimmt das?“ fragte er mit sanfter Stimme.
Zitternd hob der Sarazene die Hände, als er den scharf geschliffenen Krummdolch an seiner Hüfte verspürte. Die Männer, die ihn umringten, starrten ihn mit finsteren Augen an.
„Ali – Ali – Abdel Rasul!“ stammelte der Sarazene, als ihm endlich dämmerte, was hier passiert war.
Der schlanke Mann sah ihn an und nickte.
„Ganz recht, Hundesohn. Du hast mich bestohlen, du hast mich getäuscht und betrogen. Du hast keinen einzigen Gefangenen, aber trotzdem hast du mein Geld genommen! Das hast du nun davon.“
„Ich habe nichts genommen!“ schrie der Kapitän angstvoll und hob abwehrend die Hände hoch, als der Dolch ihn drückte. „Und die Gefangenen sind im Verlies. Fünf Leute sind es.“
„Und jetzt belügst du mich auch noch, du räudiger Hund. Wir hätten das verrechnen können, aber du mußtest mich auch noch verhöhnen, indem du fünf Steine in das Versteck legtest. Du hast meine Ehre besudelt und mich der Lächerlichkeit preisgegeben. Du weißt, wie ich darauf reagiere.“
Der Sarazene schrie wie am Spieß, beteuerte lauthals seine Unschuld, aber dafür hatte Ali Rasul nicht mehr als ein verächtliches Lächeln übrig.
„Sieh dir jetzt an, wie es Verrätern geht!“ sagte er kalt.
Dann gab er seinen Männern einen Wink. Sie trugen einen runden Kessel an Deck, in dem es qualmte, zischte und brodelte. Vorsichtig legten sie ihn in den hölzernen Kopf der Schleuder. Dann trat ein Mann zurück und kappte das Tau mit dem die Schleuder gespannt war.
Voller Kraft schoß der Topf in die Höhe, der Luftzug ließ das Leuchtöl erglühen, und eine helle Flamme schoß hoch, als der Topf einen großen Bogen beschrieb und sich wie eine glühende Sonne über der Schebecke entlud.
Waberndes Feuer leckte nach allen Seiten, schaurige Schreie hallten von der Schebecke herüber, und dann stand sie schlagartig lichterloh in Flammen.
Etwas später detonierten die Pulverfässer unter bestialischer Geräuschentwicklung. Der Rest der Schebecke flog krachend auseinander, und alles verging in einem Glutball.
Der Sarazene stand mit leerem Blick da. Er hatte nur noch Angst, hündische Angst, und er sank heulend und jammernd auf die Knie und hob bittend die Hände.
„Es muß der Spanier gewesen sein, Herr“, winselte er. „Ich war es nicht, bei Allah, ich schwöre.“
„Du brauchst nicht mehr bei Allah zu schwören, Sarazene“, sagte Ali freundlich. „Einmal ein räudiger Hund, immer ein räudiger Hund, daran wird sich nichts ändern.“
Der Sarazene stieß einen dumpfen Schrei aus, als ihm der Dolch in die Rippen fuhr und sein Leben beendete.
Ali Abdel Rasul sah kalt auf ihn hinunter. Dann warf er einen Blick auf das Chaos in der Bucht und wandte sich ab.
„Werft ihn über Bord!“ befahl er.
Der tote Sarazene wurde über Bord geworfen und verschwand aufklatschend in der See. Er ging sofort unter und tauchte auch nicht mehr auf. Nur ein paar Blasen stiegen noch hoch.
„Weiter, immer an der Küste entlang!“ befahl Ali.
Er stand auf dem Achterdeck der Feluke und blickte ins Wasser.
„Vielleicht hat er doch die Wahrheit gesprochen“, murmelte er leise, „vielleicht treffen wir diesen Spanier, wenn es ihn überhaupt gibt.“
Doch dann schüttelte er den Kopf. Nein, nein, dachte er, es paßte alles viel zu gut zusammen. Der Sarazene hatte den Tod verdient.
Noch während der Kutscher und einige andere die historische Stätte besichtigten, rollte dumpfer Donner durch die Luft. Das donnernde Geräusch erklang zweifellos aus Westen, und es mußte von jener Stelle herrühren, wo die Schebecke lag.
Die Seewölfe legten das auf ihre Art aus, denn sie wußten es nicht anders.
„Die haben den Kahn in die Luft gejagt“, meinte Hasard. „Wahrscheinlich haben sie eingesehen, daß sich eine Reparatur nicht mehr lohnte.“
„Ganz recht, Sir“, pflichtete Ferris Tucker bei. „Ich an Ihrer Stelle hätte genauso gehandelt. Da gab es nicht mehr viel zu reparieren, das lohnte sich gar nicht, und das haben sie auch eingesehen.“
„Ist nicht schade darum“, meinte Dan. „Der Kerl wird vorerst keine Sklaven mehr verkaufen. Bis der ein neues Schiff hat, vergeht eine Weile.“
Gegen Mittag kehrte der Kutscher mit den anderen zurück, und die „Isabella“ ging wieder ankerauf und setzte die Segel.
Von achtern segelte eine kleine Feluke auf, ein Händlerschiff, wie es den Anschein erweckte. Aber niemand schenkte dem kleinen Kahn Beachtung, der in mehr als zwei Kabellängen vorbeisegelte.
Und niemand ahnte, daß sich auf der Feluke ein Mann befand, der ihnen noch sehr viel Ärger bereiten sollte und sehr nachdenklich durch ein Spektiv die „Isabella“ beobachtete.
Ali Abdel Rasul lächelte, während er den vermeintlichen Spanier musterte.
Das Schiff interessierte ihn, und womöglich hatte der Sarazene doch nicht gelogen.
Aber das würde die Zukunft erweisen, denn Ali Abdel Rasul hatte Zeit, sehr viel Zeit, und er war außerordentlich hartnäckig, wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte.
Immer noch lächelnd sah er, wie die ranke Galeone Fahrt aufnahm und Ostkurs steuerte.
Für ihn war die Angelegenheit noch lange nicht erledigt, für die Seewölfe vorerst schon …
1.
Antos, der Grieche, hatte seinen Lieblingsplatz auf dem Inselberg aufgesucht, von dem aus er Abend für Abend den Untergang der Sonne zu beobachten pflegte.
Umständlich ließ er sich auf seinem Stammplatz, einem flachen Felsen, nieder, stützte die Hände auf die Knie und blickte aufs Wasser hinaus, so fasziniert und erwartungsvoll wie immer, in etwa so, als würde dort draußen gleich Poseidon, der Gott der Meere, auftauchen, um ihm die seit langem ersehnte Botschaft zu übermitteln.
Mit wichtiger Miene griff Antos zur Lyra, seinem geliebten Instrument. Sie war nicht harfenähnlich konstruiert wie in anderen Ländern, sondern sah einer winzigen Laute ähnlich. Antos strich die drei Saiten mit dem glockenbehängten Bogen und spielte eine uralte Melodie, die es auf Rhodos schon vor der Zeit der Byzantiner gegeben haben sollte.
Es war eine Tavla, eine traurige Weise, deren dünner Klang sich schon an den Berghängen verlor und vom Wind nicht auf die See hinausgetragen wurde.
Poseidon, so dachte Antos mit Wehmut im Herzen, wird mir schon antworten.
Seit Jahren hoffte er nun auf diese Botschaft, die nicht eintraf, denn dort unten, auf dem Grund des tiefen Wassers, ruhten seine Frau und seine beiden Kinder, sein größter Schatz im Leben, den er für immer verloren hatte.
Wie viele Jahre der Tag des Unglücks nun schon zurücklag? Antos wußte es nicht, er hatte nicht mitgezählt. Was bedeuteten ihm schon Wochen, Monate, Jahre? Die Zeit war ein Spiel von Sonne und Mond, Helligkeit und Finsternis, ein beständiges Auf und Ab, das auf seine Gedankenwelt jedoch keinerlei Einfluß hatte.
Damals, als alles noch seine Richtigkeit gehabt hatte und die Welt für Antos in Ordnung gewesen war – damals hatte er sich als Fischer sein Brot verdient. Eines Tages hatte er dem Drängen seiner Frau und seiner beiden Söhne nachgegeben und sie mit hinausgenommen aufs Meer.
Doch zu spät hatte er das Heraufziehen des Sturmes bemerkt, zu spät hatte er die Rückkehr zur Bucht angetreten. Das Boot war gekentert, seine Familie ertrunken. Weder die Frau noch die Kinder, sechs und sieben Jahre alt, hatten schwimmen können.
Antos war im Wasser bewußtlos geworden, als die Bordwand des Bootes seinen Kopf traf, doch die Wellen spülten seinen Körper an den Strand, und er wurde von Männern des Dorfes Pigadia gefunden. Mit vereinten Anstrengungen erweckten sie ihn wieder zum Leben.
Die Götter schienen ein Wunder vollbracht zu haben, denn eigentlich hätte auch Antos ertrinken müssen. Doch ihm selbst wäre es lieber gewesen, wenn Poseidon auch ihn zu sich geholt hätte, in das Reich der blauen Dunkelheit und der Fischschwärme, des ewigen Schweigens und des Friedens.
Pigadia, sein Dorf, seine Heimat, hatte ihn wieder aufgenommen und behütet, aber Antos wurde von jenem Tag an ein anderer Mensch. Er wagte sich nicht mehr auf die See hinaus. Er taugte auch nicht zur Landarbeit, nicht einmal zum Pflükken der Oliven.
Nur selten sprach er, und wenn, dann sagte er merkwürdige Dinge.
Die Männer und die Frauen im Dorf sagten, er sei nicht mehr ganz richtig im Kopf seit jenem furchtbaren Tag. Aber Antos lächelte nur bescheiden in sich hinein, wenn er sie leise reden hörte und sah, wie sie sich untereinander anstießen und auf ihn deuteten.
Oh, er verstand jedes ihrer Worte und wußte genau, wie sie über ihn urteilten. Doch war ihm nicht daran gelegen, sich zu rechtfertigen, sich zu verteidigen, vor sie hinzutreten und lange Reden zu halten.
Unwichtig, dachte er, völlig unwichtig.
Nur die Botschaft galt, die Botschaft mußte erfolgen, von seiner Frau und seinen Söhnen, die ihn irgendwann zu sich riefen.
Antos strich heftiger mit dem Bogen über die Saiten der Lyra.
Mitleid? Nein, das Mitleid der Leute im Dorf wollte er nicht. Warum sollte man ihn auch bemitleiden? Er war doch froh, daß er bald Rhodos und Pigadia verlassen durfte, um in die Tiefen zu steigen. Nur darauf wartete er.
Bis es soweit war, aß, trank und schlief er, ohne recht zu bemerken, was er eigentlich tat. Er spielte manchmal mit den Kindern auf dem Dorfplatz und zeigte ihnen, wie man die Lyra strich.
Manchmal sagte er zu ihnen: „Ich bin schon tot. Ihr wißt es nur noch nicht.“ Dann riefen die Mütter die Kinder in die Häuser, um ihnen rasch ein Stück Brot mit Feigenmarmelade in die Hand zu drücken. Immer dann. Seltsam, dachte Antos.
Poseidon, so sagte er sich im stillen, wird seine Boten schicken. Schiffe werden auftauchen, schlanke Schiffe mit dreieckigen Segeln.
Hin und her bewegte er den Glokkenbogen, seine Finger bearbeiteten das Griffbrett. Schrill wurde der Klang der Lyra, und der stürmische Wind aus Südosten stimmte mit in das Lied ein.
Höher stiegen die Wellen der See, dunkelgrau wurde das Wasser, ehe die Sonne als Glutball hinter dem Horizont versank. Es würde einen Sturm geben, so wie damals, als das Fischerboot wie ein Spielzeug gekentert war.
Der Wind würde über Rhodos hinwegheulen, die Brecher gegen die Ufersteine donnern. Heute nacht schlossen sich die Frauen mit ihren Kindern in den kleinen Häusern von Pigadia ein und beteten zu den Göttern, daß nichts geschehen möge. So mancher Mann, der draußen in den Olivenhainen übernachtete, weil die Zeit der Ernte gekommen war, würde auf den schmalen Pfaden ins Dorf zurückkehren.
Es sollte eine unruhige Nacht werden, voll Angst und dumpfer Fragen, auf die es keine Antworten gab.
Antos brach die Melodie abrupt ab. Er erhob sich, ließ die Lyra und den Bogen sinken und blickte aus schmalen Augen nach Osten.
„Danke, großer Poseidon“, sagte er ergriffen. „Du hast mein Rufen erhört. Du schickst deine Boten, damit sie mich abholen und zu den Meinen bringen. Ich danke dir.“
Schiffe segelten heran – zwei schlanke Schiffe mit dreieckigen Segeln. Sie hielten direkt auf die Bucht unterhalb von Pigadia zu.
Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, hielt in der Kapitänskammer der „Isabella VIII.“ eine kurze Lagebesprechung mit Ben Brighton, seinem Ersten Offizier und Bootsmann, mit Ferris Tucker, seinem Schiffszimmermann, mit Big Old Shane, dem ehemaligen Schmied und Waffenmeister von Arwenack-Castle, mit Smoky, dem Decksältesten und den beiden O’Flynns ab.
Er deutete mit dem Finger auf die Karte, die er auf seinem Pult ausgebreitet hatte. Die Männer traten in dem schwankenden Schiffsraum näher und beugten sich etwas vor, um in dem Gewirr von Inseln zwischen Griechenland und der Türkei etwas Konkretes erkennen zu können.
Hasard wies auf eine von Norden nach Süden lang ausgestreckte Insel, die genau auf halber Strecke zwischen Kreta und Rhodos lag.
„Dies ist Karpathos“, erklärte er. „Nach meinen Berechnungen befinden wir uns rund zwanzig Meilen querab ihres südlichen Ufers, und zwar hier.“
Er bestimmte mit der Fingerkuppe einen Punkt, der südöstlich der Insel im Mittelmeer lag.
„Ich habe unsere Position auch überprüft“, sagte Dan O’Flynn. „Sie stimmt mit deiner Berechnung völlig überein.“
„Also, wir haben die Wahl. Entweder laufen wir Karpathos an, um dort vor dem drohenden Sturm Schutz zu suchen, oder aber wir segeln bis nach Rhodos weiter, um dort eine Bucht zu suchen.“
„Andere Inseln gibt es in unserer nächsten Umgebung nicht?“ fragte Shane.
„Das siehst du doch“, brummte der alte O’Flynn. „Die kleineren Inseln der Sporaden, Kykladen und Dodekanes liegen alle weiter nördlich.“
„Du weißt ja genau Bescheid, Donegal“, sagte Ferris Tucker. „Donnerwetter, das hätte ich gar nicht von dir erwartet.“
Der Alte warf ihm einen giftigen Blick zu. „Mister Tucker, irre ich mich – oder waren wir schon mal in dieser schönen Gegend?“
„Du irrst dich nicht. Aber wie lange liegt das nun schon zurück! Himmel, man vergißt doch so vieles wieder“, sagte Ferris grinsend.
„Ja, ja“, murmelte Old Donegal Daniel O’Flynn. „Und bei dir ist der Gedächtnisschwund schon weiter fortgeschritten als bei mir, wenn’s das ist, auf was du anspielst.“
„Aber, Donegal!“ stieß der rothaarige Schiffszimmermann in scheinbarer Entrüstung aus. „Wie kannst du denn so was von mir glauben?“
„Von euch Satansbraten ist alles mögliche zu erwarten“, sagte der Alte. „Aber bei mir im Gehirn funktioniert noch alles prächtig, und ich hab ein Gedächtnis wie die Bibel, merk dir das.“
„Du bist auch so alt wie die Bibel, Mann“, meinte Shane. „Und nun halt mal die Luft an, Ben will was sagen.“
„Karpathos wäre ein Umweg“, sagte Ben Brighton. „Wir müßten ein Stück nach Nordwesten zurücksegeln. Viel Zeit würde das bei diesem Wind nicht in Anspruch nehmen, aber ebenso schnell wären wir auch in Rhodos. Wir brauchen nur am Wind Kurs Nordosten zu steuern.“
„Und Rhodos würde bedeuten, wir wären schon wieder einen Schritt näher an unserem eigentlichen Ziel“, sagte der Seewolf. „Ich denke, wir schaffen es, die Insel zu erreichen, ehe der Sturm richtig losbricht.“
Smoky hatte einen Blick durch die Tür zur Heckgalerie ins Freie geworfen. Er rammte die Tür wieder zu, kehrte ans Pult zurück und sagte: „Die Schauer- und Gewitterwolken drängen sich zusammen. Der Wind nimmt an Stärke zu.“
„Hast du Wassersäcke an der Unterseite der Wolken sehen können?“ fragte Hasard.
„Nein, noch nicht.“
„Dann lassen Regen und Hagel wohl noch ein wenig auf sich warten. Mit den ersten Orkanböen ist erst nach Dunkelwerden zu rechnen.“ Der Seewolf sah die Männer der Reihe nach an. „Wir wagen es. Abwettern können wir den Sturm auf keinen Fall, die Wetterlage ist gerade um diese Jahreszeit unberechenbar. Aber Rhodos dürfte für uns als Zufluchtsort so gut wie sicher sein.“
Ferris Tucker blickte wieder auf die Karte, die fast den gesamten Teil des östlichen Mittelmeeres zeigte. „Und wie weit ist es von Rhodos bis nach Ägypten? Ach, verdammt, das ist ja noch ein langer Törn. Ob wir den wohl vor Jahresende noch schaffen?“
„Ich habe mir fest vorgenommen, zu Weihnachten am Nil zu sein“, entgegnete der Seewolf. „Und ich schwöre euch, daß ich meinen Zeitplan einhalte.“
„Das heißt, wir gehen so bald wie möglich wieder auf Südkurs?“ fragte Smoky.
„Ja. Sobald Wind und Wetter es wieder zulassen.“
„Weihnachten am Nil“, brummte der alte O’Flynn. „Also, so richtig geheuer ist mir das nicht, aber was sein muß, muß sein. Ob wir denn wohl wirklich Schätze finden – oder vielleicht nur Sand, nichts als Sand?“
Hasard lachte. „Donegal, wenn man dich so reden hört, kriegt man die richtige Vorfreude auf Ägypten. Du bist der geborene Optimist.“
„Ja, Sir. Und ich habe keine Lücke im Hirn.“
„Wie kannst du da so sicher sein?“ wollte Ferris Tucker wissen. „Ich finde, wir sollten das mal durch den Kutscher überprüfen lassen.“
„Wie denn?“ fragte der Alte verblüfft. „Das geht doch gar nicht.“
Sein Sohn wandte sich ihm mit ernster Miene zu. „Doch, Dad. Man braucht dazu nur ein Kalfateisen und einen großen Hammer.“
Old O’Flynn wollte der „Bande von Höllenbraten“, wie er die Männer zu nennen pflegte, gerade ein paar derbe Verwünschungen entgegenschleudern, da ertönte aus dem Großmars die Stimme Bills.
„Deck! Mastspitzen Steuerbord voraus! Ein Schiff mit drei Masten! Es segelt auf uns zu!“
„Sehen wir nach, was es mit dem Bruder auf sich hat“, sagte der Seewolf. Er rollte die Karte zusammen und verstaute sie in der Schublade des Pultes, dann verließ er die Kapitänskammer. Die anderen folgten ihm.
Antos kehrte in sein Dorf zurück, um sich auf das Bevorstehende vorzubereiten. Er wollte seine besten Kleider anlegen und seine Bartstoppeln abrasieren. Er wollte sich fein herausputzen für die Ankunft der Schiffe.
Pigadia lag versteckt im Hügelland der Insel Rhodos und war so an die Hänge gebaut worden, daß es von der See her nicht eingesehen werden konnte – eine Maßnahme zum Schutz der Bewohner vor Piraten. Man brauchte aber nur wenige Schritte von den Häusern in Richtung auf das Ufer zu tun, um zwischen Felsenvorsprüngen auf die Bucht schauen zu können, in deren Grotten wohlbehütet und vor fremden Blicken gesichert die Fischerboote lagen.
Pigadia hockte wie der Horst eines Seeadlers auf dem Berg, und nur zwei Pfade führten hinauf, der eine von der Bucht her, der andere aus dem Innern der Insel, um die Olivenhaine mit dem Dorf zu verbinden.
Die Häuser waren klein und ineinander verschachtelt. Sie standen übereinander, und bei den meisten bildete die Decke den Fußboden der darüberliegenden Behausung.
Antos schritt im ersterbenden Licht der Dämmerung durch die Gasse, die ihn zu seinem kleinen Haus brachte. Ein Haus mit nur einem Raum, das erbärmlichste Heim von ganz Pigadia, in dem man nur dahinvegetieren, aber nicht richtig leben konnte.
Antos war vergnügt und schlug im Voranschreiten wieder die Saiten seiner Lyra an.
Eine der Frauen reckte ihren Kopf zum Fenster hinaus. Es war Melania, eine Witwe mit drei Kindern, die ihren Mann im Sturm verloren hatte, wie Antos seine Familie hatte ertrinken sehen müssen. Sie hatte viel Verständnis für das Schicksal des armen Teufels, und oft gab sie ihm zu essen und zu trinken und lud ihn in ihr Haus ein. Dies hatte anfangs Anlaß zu allerlei Klatsch und Tratsch gegeben, doch inzwischen hatte man in Pigadia begriffen, daß Melania mit Antos wirklich nichts anderes im Sinn hatte, als ihm ein bißchen dabei zu helfen, sein bitteres Los zu ertragen.
„Antos!“ rief sie ihm zu. „Was tust du um diese Zeit noch draußen? Der Wind bläst dich fort! Komm herein oder geh in dein Haus!“
„Ich gehe nach Haus“, sagte Antos mit feierlicher Miene. „Ich ziehe mich fein an und wasche mich, denn es ist soweit.“
„Ich verstehe nicht, was du sagst!“ rief sie.
Er trat näher an ihr Haus und sprach etwas lauter, um das Jaulen und Pfeifen des Sturmwindes zu übertönen. Er wiederholte Wort für Wort, was er gesagt hatte.
Sie sah ihn halb verständnislos, halb zweifelnd an. „Schiffe? Ich glaube nicht, daß bei diesem Wetter noch jemand unterwegs ist. Und wer sollte auch schon nach Rhodos segeln? Es liegt schon viele Jahre zurück, daß wir in Pigadia Besuch gehabt haben.“
„Es sind zwei Schiffe. Sie steuern auf die Bucht zu.“
„Antos, bitte, komm herein.“
Er betrat das Haus, und sofort waren die drei Kinder, zwei Mädchen und ein Junge, um ihn herum, zupften an seinen Hosenbeinen und zerrten an seinen Armen.
„Antos!“ rief eins der Mädchen. „Spiel ein Lied für uns! Laß uns zusammen singen!“
Melania verscheuchte sie aus seiner Nähe, dann forderten sie ihn dazu auf, auf der zweistufigen Estrade Platz zu nehmen, die die ganze Länge der der Tür gegenüberliegenden Wand einnahm.
Antos setzte sich mit bedächtigen Bewegungen und bettete die Lyra und den Bogen auf seine Knie.
Im Steinofen flackerte ein munteres Feuer. Melania reichte dem großen Mann mit dem kantigen, verschlossenen Gesicht Gebäck und füllte einen Becher mit weißem Landwein.
„Trink und iß“, sagte sie. „Und wärm dich auf. Du bist ja ganz durchgefroren.“
„Ich kann nicht lange bleiben. Ich muß fort. Ich bin in Eile.“
„Was hast du vor?“ fragte sie ihn.
„Ich muß hinunter zur Bucht. Muß fertig sein, wenn sie vor Anker gehen. Sie werden nicht lange auf mich warten.“
Sie ließ sich neben ihm auf der obersten Stufe nieder und betrachtete ihn voll Sorge. Er biß in ein Stück Gebäck und nahm hastig einen Schluck Wein.
„Das kannst du doch nicht tun“, sagte sie eindringlich. „Du holst dir da unten den Tod. Sei doch vernünftig.“
Der kleine Junge war wieder näher herangetreten und blickte zu ihnen auf.
„Mutter“, sagte er leise. „Er ist doch schon tot. Er kann nicht mehr sterben.“
„Sei still.“
„Ja“, brummte Antos. „Ich bin tot. Mein neues Haus ist schon bereit. Poseidon hat es für mich und die Meinen erbaut.“
„Antos“, sagte die Frau, jetzt in fast flehendem Tonfall.
Er stellte den Becher weg, ließ den Teller mit dem restlichen Gebäck stehen und erhob sich erstaunlich schnell. „Ich habe keine Zeit zu verlieren. Muß gehen. Laßt mich fort.“ Er sprang von der Estrade, eilte durch den Raum und war im nächsten Augenblick durch die Tür verschwunden.
Die kleinen Mädchen stießen sich an und kicherten. Melania beugte sich zu dem Jungen hinunter und sagte: „Kanos, paß eine Weile auf deine Schwestern auf. Ich verlasse mich auf dich.“
„Du willst fort, Mutter?“
„Nur eben zu Iris hinüber, es dauert nicht lange.“
Er nickte und sah sie mit dem Ernst eines erwachsenen Mannes an. „Du brauchst unseretwegen keine Angst zu haben, Mutter, bestimmt nicht.“
Sie hauchte ihm einen Kuß auf die Stirn, dann verließ auch sie das Haus und eilte drei Türen weiter zu ihrer Freundin. Iris, die hübsche junge Frau mit den langen schwarzen Haaren, hatte erst vor wenigen Wochen den gutaussehenden Lagios geheiratet, der als einer der besten Fischer, Jäger und Bauern im Dorf bekannt war und auch einer der stärksten und mutigsten Männer war.
Iris war allein. Lagios war mit den anderen Männern hinaus in die Olivenhaine gezogen, wo es Häusergruppen zum Übernachten gab. Wegen der ziemlich großen Entfernung, die die Haine und Felder vom Dorf trennten, zogen es die Männer bei den Ernten vor, dort ihr Quartier aufzuschlagen.
Aufgeregt berichtete Melania, was Antos gesagt hatte. Iris lachte und legte ihr die Hand auf die Schulter. „Ach, Unsinn, es gibt keine fremden Schiffe, Melania. Du weißt doch, was er sich alles ausdenkt. Er will schon Poseidon höchstpersönlich gesehen haben.“
„Darum geht es mir nicht“, sagte Melania. „Ich fürchte, er tut sich selbst ein Unheil an. Er ist heute abend völlig aus dem Häuschen. Wir dürfen nicht zulassen, daß er ins Wasser geht und sich umbringt.“
„Das tut er nicht.“
„Bist du ganz sicher?“
Iris wurde ernst. „Er hat es die ganzen Jahre über nicht getan, warum sollte es ausgerechnet heute nacht passieren? Aber ich will dir etwas anderes vorschlagen. Beraten wir mit den anderen Frauen, was zu tun ist.“
Es verging nicht viel Zeit, und Iris hatte knapp ein Dutzend Frauen zu sich ins Haus geholt. Sie alle ließen sich auf der Estrade nieder, und noch einmal erzählte Melania, wie seltsam sich Antos benommen hätte. Nachdem sie geendet hatte, herrschte für kurze Zeit Schweigen, dann ergriff eine Greisin das Wort.
„Der Wetterumschwung hat ihm den letzten Rest Verstand geraubt“, sagte sie. „Er ist eine arme Kreatur, Melania, aber wer ihn jetzt zurückzuhalten versucht, der läuft Gefahr, von ihm angegriffen zu werden.“
„Du meinst, er könnte gewalttätig werden? Auch mir gegenüber?“
„Ja. Er ist unberechenbar.“
„Glaubst du denn auch, daß er Selbstmord begehen will?“
„Möglich ist es.“
„Aber – dann müssen wir doch handeln! Es ist unsere Pflicht!“
Die Alte schüttelte den Kopf. „Nein. Für ihn wird es eine Erlösung sein, das Ende seiner Qualen. Und du, Melania, darfst ihm nicht in den Weg treten. Denk an deine Kinder.“
Melania hob entsetzt die Hände. „Aber das ist unmenschlich!“
„Nein“, sagte die Greisin. „Antos sieht Dämonen und Gespenster, er zieht sie mit seinem Tun an. Er bringt noch Unheil über Pigadia, wenn es so weitergeht mit ihm. Laß ihn in Frieden sterben.“
„Niemals!“ stieß Melania hervor. Dann stand sie auf und eilte aus dem Haus.
Iris wollte ihr nachlaufen, doch die anderen Frauen hielten sie zurück.
Melania hastete durch die einsetzende Dunkelheit zu Antos’ Haus. Als sie dort eintraf, war er bereits verschwunden. In dem einzigen Raum des Gebäudes herrschte eine heillose Unordnung, er hatte seine alte, zerlumpte Kleidung abgeworfen und sich andere Sachen angezogen.
Sie rief nach ihm, suchte die Gassen nach ihm ab, doch die Dunkelheit schien ihn verschluckt zu haben. Melania blieb stehen. Sie spürte, wie ihr die Tränen heiß und brennend in die Augen stiegen. Sie ballte ihr kleinen, arbeitsgewohnten Hände zu Fäusten.
Antos lief über den schmalen, gewundenen Pfad zur Bucht hinunter.
Die Schiffe – zwei Zweimaster mit großen Lateinersegeln – schoben sich im schäumenden Wasser in die Bucht. Sie waren unterschiedlich groß, das eine fast hundert Tonnen, das andere nur knapp fünfzig. Männer und Frauen befanden sich an Bord, eine bunt durcheinandergewürfelte Meute abenteuerlich gekleideter, wilder Gestalten.
Der Anführer der Bande stand auf dem Vordeck des großen Schiffes und blickte aufmerksam zum Ufer der Bucht. Er war groß und breitschultrig, ein Hüne von sehniger, kräftiger Gestalt. In seinem Gesicht stachen die dunklen, durchdringend blickenden Augen hervor, der schmallippige Mund, der Verwegenheit und Gnadenlosigkeit ausdrückte, eine leicht gebogene Nase und der Schnauzbart, dessen Enden über die Mundwinkel hingen.
Sein Name war Selim.
Selim, der Seeräuber.