Kitabı oku: «Seewölfe Paket 33», sayfa 12
9.
Von allen diesen Vorgängen kriegten Hasard und seine Mannen nichts mit – bis auf die Tatsache, daß sich der sehr ehrenwerte Kommandant der „El León“ angesichts der drohenden Steuerbordbreitseite schleunigst in Deckung geworfen hatte, ebenso die anderen Señores auf dem Achterdeck.
Das hatte sehr lustig ausgesehen – und so gar nicht kriegerisch. Klar, die Arwenacks gingen auch in Deckung, wenn Vorsicht der bessere Teil der Tapferkeit war. Mit Vorsicht lebte man länger.
Aber daß spanische Offiziere die Planken küßten, hatten die Arwenacks noch nicht erlebt. Nein, die stolzen, blaublütigen Caballeros boten dem Feind die Brust dar, allerdings eine gepanzerte, und schauten ihm kühn ins Auge. Und so standen sie auch, wenn es blitzte und krachte und die Kugeln flogen. So war das bei der Armee und bei der Marine.
Irgendwann hatte Hasard einmal gesagt, Dummheit müsse bestraft werden. Das traf den Kern. Es war nichts weiter als töricht, sich als Zielscheibe anzubieten. Im Kampf Mann gegen Mann konnte noch genug Tapferkeit gezeigt werden, aber im Artillerieduell war das unangebracht. Da hatte man geradezu die Pflicht, zu überleben, um für das Nahgefecht und den Enterkampf bereit zu sein.
Weit voraus vor der „El León“ ließ Hasard in den Wind gehen, den „Spitzbusen“, einholen und wieder die Lateinerfock setzen. Im Gefecht mit den vielen möglichen Wende- und Halsemanövern war das neue Segel eher hinderlich. Will Thorne und Roger Brighton hatten dieses Wundersegel geschaffen, um der Schebecke auf Raumschotskursen und vor dem Wind mehr Schnelligkeit zu verleihen. Das war gelungen. Und damit hatten die Arwenacks wieder eine Geheimwaffe, die entscheidend sein konnte, wenn Schnelligkeit gefordert wurde – wie in diesem Fall bei der Jagd auf die „El León“.
Ohne das neue Segel – das ging Hasard durch den Kopf – hätten sie die Kriegskaravelle nicht mehr bei Tageslicht erreichen können. Und eine Suche bei Nacht barg immer Unwägbarkeiten. Der Capitán brauchte nur aus irgendeinem Grund den Kurs zu ändern, und schon wäre die Schebecke ins Leere gestoßen.
Daß sie die Kriegskaravelle stellen konnten, hatten sie einzig und allein dem „Spitzbusen“ zu verdanken – und damit Will Thorne und Roger Brighton, den beiden Experten für Segel und Rigg.
Die Schebecke war gefechtsklar – sie war es schon gewesen, als Hasard den Befehl gegeben hatte, die Flagge des Bundes der Korsaren zu setzen und die Kanonen auszurennen.
Bewußt hatte er auf den Vorteil verzichtet, der nicht gefechtsbereiten Kriegskaravelle beim Vorbeisegeln eine volle Breitseite zu verpassen, bei der die Fetzen geflogen wären. Ben Brighton hatte ihn schief, wenn nicht vorwurfsvoll angeschaut. Auch Fairneß war Dummheit, weil sie den Arwenacks Schaden bringen konnte. Aber Hasard konnte nicht aus seiner Haut.
Darum verfügte die Schebecke über zwei hervorragende Bogenschützen und das chinesische Raketenarsenal sowie die teuflischen Flaschenbomben. Alles war einsatzbereit.
Sie segelten westwärts gegen die untergehende Sonne, die grell blendete. Hasard dachte nicht daran, diesen Nachteil in Kauf zu nehmen. Er ließ Pete Ballie eine Parabel steuern – in Luv des Gegners und außerhalb der Schußentfernung.
So passierten sie die Kriegskaravelle, die stur auf Ostkurs blieb. Offenbar hoffte Capitán de Freitas, nach Cadiz durchbrechen zu können. Das war eine Vermutung Don Juans, der gesagt hatte, es gäbe für die Avisos eine Order der Admiralität, nur Aufklärung zu fahren und Gefechtsberührungen zu vermeiden. Meldungen über den Gegner seien wichtiger als das Risiko, in einem Gefecht beschädigt oder gar vernichtet zu werden. Immerhin waren jetzt die Kanonen auf der „El León“ ausgerannt.
In Luv des Kielwassers der Kriegskaravelle ließ Hasard halsen und ging wieder auf Verfolgerkurs. Auch jetzt stellte sich heraus, daß die Schebecke schneller als die „El León“ war.
Wäre Hasard auf der Kriegskaravelle gewesen, hätte er hören können, wie der Schnauzbart fluchte. Denn dessen anmaßende Vorstellung von der Schnelligkeit seines Schiffes erwies sich als Hirngespinst. Leider erlebte dies der Erste Offizier nicht mehr.
Dieser Capitán de Freitas wurde nervös. Viel zu früh ließ er aus den Heck-Drehbassen das Feuer auf den Verfolger eröffnen, vermutlich in der Hoffnung, ihn abzuschrecken. Auch das war ein Hirngespinst. Die „El Tigre“ blieb auf Kurs. Die Schüsse zauberten lediglich hübsche Fontänen weit vor ihr aus dem Wasser.
Und unaufhörlich schmolz die Entfernung zwischen den beiden Schiffen zusammen.
„Shane, Batuti!“ rief Hasard nach vorn, wo die beiden Bogenschützen standen. „Nehmt Pulverpfeile! Und dann auf die Kerle an den Heck-Drehbassen!“
Die beiden Riesen zeigten klar, und Sekunden später zischten ihre Pfeile von den Sehnen der Langbögen. Selten hatten sie so gute Bedingungen, denn Karavellenheck, Drehbassen und Geschützmannschaften hoben sich scharf gestochen im Schein der untergehenden Sonne ab. Ja, jetzt hatten die Arwenacks die Sonne im Rücken, und die Dons mußten die Augen zusammenkneifen.
Treffer auf Treffer!
Über die Geschützmannschaften an den Heck-Drehbassen brach die Hölle herein. Ein Pulverpfeil raste in die Hecklaterne und brachte sie zur Explosion. Glassplitter fetzten über das Achterdeck. Männer brachen brüllend zusammen oder taumelten über das Deck.
Da wurde nicht mehr zurückgeschossen, obwohl sich Capitán de Freitas wieder mal heiser brüllte. Aber jetzt konnte er nicht mit Rotwein seine Kehle ölen. Dafür warf er sich wieder hin, als über ihn weg flammende Pfeile zischten, in den Besan schlugen und dort hängenblieben. Das Segel fing Feuer.
Dann krachten zwei Drehbassen auf der „El Tigre“, und zwei Kugeln zertrümmerten die Ruderanlage der Kriegskaravelle. Sie geigte in den Wind, die Segel knatterten und schlugen, die Schoten tanzten wie wilde Schlangen durch die Luft.
Über die Decks, achtern, mittschiffs und vorn, taumelten merkwürdige Flaschen, aus denen sprühende Zündschnüre ragten. Und dann flogen die Flaschen mit grellem Getöse auseinander – einige noch in der Luft, die anderen, während sie über die Planken kullerten. Sie brachten Tod und Verderben, denn nach allen Seiten rasten Glassplitter, heiße Nägel und Metallfetzen. Die Seesoldaten und Decksleute fielen reihenweise.
„Feuer frei! Feuer frei!“ brüllte der Capitán.
Niemand kümmerte sich darum.
Es ging alles Schlag auf Schlag, und die Schläge waren von erbarmungsloser Härte.
Als die Kriegskaravelle in den Wind schoß, passierte die Schebecke auf fünfzig Yards Distanz ihr zerschossenes Heck, und Hasard gab den Feuerbefehl für die Steuerbordbreitseite.
Die Culverinen brüllten auf und schmetterten ihre Ladungen in das Heck der „El León“. Es wurde restlos zertrümmert. Holzfetzen wirbelten durch die Luft, Drehbassen kippten ins Wasser, der Besanmast mit dem brennenden Segel neigte sich und stürzte nach voraus krachend an Deck. Die Nock der Besangaffelrute streifte das Großsegel und fetzte es von oben nach unten auf.
Panik breitete sich aus.
Unter dem brennenden Besansegel waren Männer begraben, die sich wie die Wahnsinnigen zu befreien versuchten. Sie zerschlitzten mit Messern das Segeltuch, taumelten unter dem Wirrwarr hervor, einige hatten Feuer gefangen und stürzten sich über Bord.
Die Schebecke lief nach Osten ab, luvte an, setzte sich vor die Kriegskaravelle und wartete ab.
Das Achterschiff der „El León“ sackte tiefer. Von dem brennenden Besansegel her breitete sich Feuer aus und griff auf das Holz über. Niemand löschte. Immer mehr Männer sprangen über Bord. Die eine Hälfte der Sonne stand noch über der Kimm und verwandelte die See in rotes Feuer.
Capitán de Freitas sah sich wild und gehetzt um. Seine Augen flackerten, seine Lippen zuckten. Er sprang zum Achterdecksschott, hob es aus den Angeln, schleppte es zum Steuerbordschanzkleid, wuchtete es hinüber und kippte es außenbords.
Dann sprang er hinterher, sackte unter Wasser, tauchte wieder auf, schwamm zu dem Schott und wälzte sich hinauf.
In diesem Moment flog die Kriegskaravelle „El León“ mit einer grellen Stichflamme in die Luft.
Wer sich noch an Bord befunden hatte, überlebte die Explosion nicht, aber er hatte einen schnellen und jähen Tod. Und auch das war eine Gnade.
Über die feurige See donnerte ein Schlachtruf, wer ihn hörte, verstand ihn zwar, begriff aber nicht seine Bedeutung.
„Ar-we-nack!“ dröhnte es. „Ar-we-nack – Ar-we-nack!“
Die Schebecke glitt durch das Feuer der Sonne, hob sich scharf ab und verschwand nordwestwärts in der hereinbrechenden Dunkelheit.
Trümmer schwammen auf der See, zerspellte Holzfässer, zerborstene Spieren, Fetzen von Segeltuch, Tauwerkreste – und Tote, aber auch ein paar Verwundete, die sich irgendwo festkrallten und dennoch wußten, daß ihr Leben zerrann wie Sand in einem Stundenglas.
Capitán de Freitas lag wie betäubt auf seinem Schott – bäuchlings. Er hob erst den Kopf, als er spürte, daß eine Hand an seinem Floß zerrte – auf der rechten Seite in Höhe seiner Beine. Er drehte sich etwas und blickte dorthin.
Da schwamm einer und hielt sich am Floß fest. Er sah die Schultern und den Kopf des Mannes – und zuckte zusammen.
Es war der Teniente de Calheiro. Er hatte einen blutigen Schnitt über der Stirn.
„Hau ab, du Pisser!“ fauchte der Capitán. „Verschwinde!“
„Sie hatten noch mit mir sprechen wollen“, sagte der Teniente zwischen zusammengebissenen Zähnen. „Hier bin ich.“
„Ich sagte: verschwinde!“ knurrte der Capitán. „Hier gibt’s nichts mehr zu besprechen. Klar?“
„Sind Sie verletzt?“
„Was soll die Frage?“
„Wenn Sie nicht verletzt sind, wäre es anständig von Ihnen, mich auf das Floß zu lassen. Es hat genug Platz für zwei. Ich glaube, mein rechter Fußknöchel ist gebrochen.“
„Interessiert mich nicht!“
„Sie verweigern einem Verletzten die Hilfe?“
„Das interessiert mich einen Scheiß!“ brüllte der Capitán, und es hallte über das Wasser.
„Darf ich mich wenigstens an dem Floß festhalten?“
„Nein!“ brüllte der Capitán. „Das ist mein Floß! Such dir was anderes! Hier schwimmt genug rum, an dem du dich festhalten kannst!“
„Sie Mörder!“ schrie der Teniente. „Sie dreckiger, gemeiner Mörder! Sie wollen Offizier und Kommandant sein? Ein Nichts sind Sie! Ein feiger Versager, ein Säufer, der sein Schiff geopfert hat und sich jetzt davonstehlen will …“
„Halt’s Maul!“ heulte der Capitán und riß ein Messer aus dem Gürtel. „Oder ich stech dich ab wie eine Sau!“
Drei, vier Überlebende waren herangeschwommen, darunter ein stämmiger, breitschultriger Bootsmann. Sie hatten alles gehört, und die heilige Wut flammte in ihnen.
Sie verteilten sich um das Floß.
„Schau an!“ höhnte der Bootsmann. „Unser sauberer Kommandant! Ein feines Floß hat er sich unter den Nagel gerissen! Ich dachte immer, die Kapitäne hätten die Pflicht, mit ihrem Schiff unterzugehen – wegen der Ehre! Wo ist sie denn, diese Ehre? Und dem Teniente verweigern Sie die Hilfe, Sie Scheißkerl?“
„Verschwindet!“ brüllte der Capitán. „Das ist ein Befehl!“
„Hat kein Schiff mehr und will noch befehlen!“ rief der Bootsmann.
„Jetzt ist er Kommandant auf ’nem Floß!“ schrie ein anderer. „Und er meint, er könnte uns immer noch schikanieren, dieser versoffene Lumpenhund, der uns diese Scheiße hier eingebrockt hat!“
Sie schwammen auf das Floß zu.
Der Capitán hockte auf den Knien, drehte sich nach allen Seiten und hatte das Messer angehoben, bereit, die Klinge niedersausen zu lassen, sobald eine Hand nach dem Floß griff.
Es war eine erbärmliche Situation.
„Hindern Sie die Kerle daran, mein Floß anzufassen, Teniente!“ kreischte der Capitán. „Tun Sie Ihre Pflicht! Das sind Meuterer – dreckiges Gesindel, das zu gehorchen hat!“
„Leben Sie wohl, de Freitas“, sagte der Teniente ruhig. „Gott wird Sie richten.“
Auf dem Rücken liegend, paddelte er vom Floß weg. Sein rechtes Bein war gefühllos. Er spürte keine Schmerzen. Als er gegen eine Spiere stieß, klammerte er sich an ihr fest. Sein Kopf war ganz klar, so klar wie noch nie. Er wußte, daß er sterben würde. Und er nahm es hin. Er nahm es hin wie ein Mann.
Um das Floß entbrannte der Kampf, das heißt, um das Floß ging es nur indirekt. Ihr eigentliches Ziel war der Kommandant. Er sollte büßen. Von dem jungen Teniente hatten sie nicht viel gehalten – auch der hatte sich aufgebläht und den Befehlsgeber herausgekehrt. Aber in diesen letzten Stunden war er zu einem ganzen Kerl geworden.
Er hatte sogar den Kommandanten herausgefordert, nachdem von diesem der Erste Offizier hinterrücks erschossen worden war. Und jetzt hatte es dieser Kommandant sogar fertiggebracht, den verletzten Teniente vom Floß wegzujagen.
Der Capitán schlug mit dem Messer wie ein Wahnsinniger um sich. Dazu kreischte und heulte er.
Sie untertauchten das Floß und stemmten es an der einen Seite hoch. Mit einem irren Schrei verlor der Capitán den Halt und rutschte ins Wasser. Dabei verlor er das Messer.
Die vier Männer warfen sich über ihn und drückten ihn unter Wasser. Er zappelte und strampelte. Luftblasen blubberten nach oben. Dann wurden die Bewegungen langsamer und erstarben schließlich.
Sie hatten ihren Kommandanten ersäuft wie eine junge Katze.
Dann zogen sie das Floß zu dem Teniente, redeten nicht viel, sondern griffen einfach zu und packten ihn auf das Floß.
Sie sahen es alle. Sein rechter Fußknöchel war nicht gebrochen, sondern zerschmettert.
„Danke“, sagte der Teniente leise, „aber hier ist auch Platz für euch.“
„Och, wir schwimmen lieber, Teniente“, sagte der Bootsmann. „Uns genügt’s schon, wenn wir uns festhalten können.“
„Der Capitán ist ertrunken?“ fragte der Teniente.
„So nennt man das wohl“, brummelte der Bootsmann.
„Der Teufel hat ihn geholt“, sagte ein anderer.
„Haben Sie Schmerzen, Teniente?“ fragte der Bootsmann.
„Nein, überhaupt nicht. Ich fühle mich – so frei …“
Es war das letzte, was der Teniente in seinem Leben sagte. Sein Kopf fiel zur Seite. Es war vollbracht.
Der Bootsmann drückte ihm die Augen zu. Sanft ließen sie ihn ins Wasser gleiten, zogen sich auf das Floß und hockten sich hin.
Zwei Tage später wurden diese vier Männer von Fischern auf einer Schaluppe abgeborgen – als einzige Überlebende der Kriegskaravelle „El León“. Sie hatten vereinbart, nichts über ihr Schiff und die Ursache seines Untergangs verlauten zu lassen. Sie erzählten irgendeine Geschichte von einem morschen Frachter, der ihnen unter dem Hintern wegsoff.
Die Schaluppe segelte nach Huelva. Dort gingen die vier Männer von Bord, und ihre Spuren verloren sich.
Die Admiralität verbuchte die Kriegskaravelle „El León“ als vermißt, und schließlich wurde sie auf die Verlustliste gesetzt.
Mit Mann und Maus auf See geblieben …
ENDE

1.
Kapitän Miguel Pigatto, ein muffiger Querkopf mit stechendem Blick und unangenehmen Launen, verstand es, seinen Leuten derartige Gedanken auszutreiben, in dem er sie bis zum Umfallen schuften ließ. Mit jedem Tag kehrte er mehr den Schinder heraus, den die Crew allmählich zu hassen lernte.
Mario Morales, im Begriff, in den Wanten des Großmastes aufzuentern, spuckte wütend aus, als der Kapitän unter ihm wieder neue Befehle brüllte.
„Sklaventreiber“, murmelte er heiser und mit ausgedörrter Kehle. „Die Krätze wünsche ich dir an den Hals!“
Für die Dauer einiger Atemzüge verschwammen der Mast und die Taue vor seinen Augen. Instinktiv klammerte sich Mario an den Webeleinen fest, den dünnen, geteerten Tauen, mit denen die Wanten horizontal ausgewebt waren, so daß Stufen entstanden. Ihm brach der Schweiß aus allen Poren, im nächsten Moment begann er verkrampft zu zittern. In seinen Eingeweiden schienen Dolche zu bohren. Jeder dieser Anfälle war schlimmer als der vorangegangene, und die Abstände zwischen ihnen immer kürzer.
Morales atmete kurz und hastig, um das Prickeln zu vertreiben, das sich in seinem Brustkorb ausbreitete. Aber diesmal wollte es ihm nicht gelingen. Sein Kopf fiel nach hinten. Ein knackendes Geräusch im Nacken löste einen zweiten Schweißausbruch aus. Trotz seiner Benommenheit fühlte der Decksmann, daß seine feuchten Hände abglitten. Mit letzter Kraft warf er sich wieder nach vorn und hakte die Arme bis zu den Ellenbogen in die Webeleinen ein. Die Wanten waren steif durchgeholt und prellten ihn bretthart zurück.
Verzweifelt kämpfte er gegen die Übelkeit an. Alles um ihn herum war in einem wilden Reigen begriffen – Spieren und Taue, Segel und sogar die Decksplanken verschmolzen zu einem Wirbel von Sinneseindrücken, die er nicht mehr auseinanderzuhalten vermochte.
Dröhnend pochte das Blut durch seine Adern. Mario stieß einen halb erstickten Aufschrei aus und sackte in sich zusammen. Daß auf der Kuhl Männer aufmerksam wurden und zu ihm aufenterten, bemerkte er schon nicht mehr.
„Morales soll sich zusammennehmen!“ brüllte Kapitän Pigatto vom Achterdeck her. „Verdammt, tut denn neuerdings jeder, was er will?“
Jorge Zapata, ebenfalls Decksmann, turnte über das Besanstengestag heran. Er war als erster bei Morales und schaffte es gerade noch, ihn am Kragen zu packen. Augenblicke später erhielt er Unterstützung von den anderen.
„Vorsicht!“ sagte er warnend. „Mario ist ein schwerer Brocken.“
Das stimmte allerdings. Morales war ein Fleischkloß, nicht sehr groß, aber stämmig, mit einem Schmerbauch, der weit über den Gürtel hing, und aufgequollenem Gesicht. Während der letzten Monate hatte er sich zusehends zu seinem Nachteil verändert, war noch fetter geworden als früher, und unter seinen ungepflegt wirkenden Bartstoppeln zeichnete sich ein bläulichrot aufgeplatztes Adernetz ab. Die kleinen, unruhig blickenden Augen lagen tief in den Höhlen. Sie waren von dunklen Ringen gezeichnet.
Besinnungslos hing er wie ein nasser Sandsack in den Wanten. Endlich schlug jemand ein Tau an und verknotete das eine Ende in mehrfachen Schlägen unter Morales’ Achseln. Auf diese Weise fierten die Männer ihn ab wie eine sperrige Last.
Kapitän Pigatto hatte seinen Platz auf dem Achterdeck verlassen und stieg auf die Kuhl hinunter.
„Was ist mit ihm?“ fragte er.
Sein Tonfall ließ weniger Sorge um die Gesundheit seiner Leute erkennen als vielmehr um den raschen Fortgang der Arbeiten im stehenden Gut. Einige Pardunen – Hanftaue, die die Stengen seitwärts und schräg nach achtern abstagten – waren mürbe geworden und drohten beim nächsten Sturm zu brechen. Nur fragte die Crew sich, ob das angekokelte Tauwerk aus der Vorpiek, das Pigatto durchholen ließ, tatsächlich mehr Vertrauen in seine Haltbarkeit verdiente.
Die Männer zögerten mit der Antwort. Schließlich war nicht zu übersehen, daß Morales schlichtweg abgenippelt war. Jorge Zapata schlug dem Bewußtlosen mit der flachen Hand ins Gesicht.
„Seid ihr schwerhörig?“ rief der Kapitän wütend.
„Morales ist krank“, sagte endlich Juan Barbara, der Segelmacher.
„Krank?“ Pigatto schnaubte verächtlich. „Überfressen hat er sich. Der Kerl wird jeden Tag fetter, kein Wunder, daß er die Arbeit nicht verträgt.“
„Sie tun ihm unrecht, Capitán“, widersprach Zapata.
„Ich weiß, was ich sehe.“
„Kaum ein Tag vergeht, an dem sich Mario nicht erbricht.“
Der Kapitän vollführte eine unmißverständlich herrische Handbewegung. „Das soll er mir selber sagen. Na los, holt ihn aus seinen faulen Träumen zurück!“
Juan Barbara kippte eine Pütz voll Seewasser über dem Bewußtlosen aus und reichte den Eimer zur Verschanzung weiter, damit die Männer dort ihn nochmals füllten.
Der zweite Schwall brachte Morales endlich so weit, daß er sich stöhnend herumwälzte.
Er schlug die Augen auf, sein Blick fiel auf den Kapitän, und noch halb wirr im Kopf, fragte er: „Bin ich in der Hölle?“
Das hätte er besser nicht getan, Miguel Pigatto hörte schlagartig auf, die aus seiner Knubbelnase herauswachsenden schwarzen Haare auszureißen. Drohend zog er die Brauen zusammen.
„Ich werde dir einheizen, Bursche, dir Feuer unter dem Arsch anzünden, daß du dir wünschen wirst, wirklich in der Hölle zu sein. Ist das klar?“
Morales nickte schwer.
„Bist du krank?“ fragte Pigatto lauernd.
Der Decksmann stieß einige hilfreiche Hände zur Seite und stemmte sich hoch.
„Es geht schon wieder“, sagte er.
„Das ist keine Antwort auf meine Frage. Bist du krank, Decksmann Morales?“
Mario zögerte. Dann schüttelte er stumm den Kopf.
„Dann verstehe ich nicht, was du auf der Kuhl zu suchen hast. Dein Platz ist in den Großstengewanten.“
Morales preßte die Lippen zusammen. Eine aschgraue Blässe überzog sein Gesicht, auf der Stirn perlten dicke Schweißtropfen, dennoch ging er schwankend zum Schanzkleid und schwang sich in die Wanten.
„Ihr anderen steht gefälligst nicht herum wie die Ölgötzen!“ Der Kapitän klatschte auffordernd in die Hände. „Soll ich euch ebenfalls auf den Sprung helfen?“
… ausnahmsweise keine besonderen Vorkommnisse, schrieb Philip Hasard Killigrew ins Logbuch der Schebecke und beendete damit die Eintragung. Sorgfältig verschloß er das Tintenfaß und verstaute den Federkiel.
Vorübergehend lehnte er sich zurück, verschränkte die Hände und lauschte den vielfältigen Geräuschen von Deck, die sich mit dem gleichmäßigen Rauschen des Kielwassers vermischten.
Der Atlantik zeigte sich von seiner ruhigen Seite. Ein handiger Wind ließ die Schatzgaleonen und ihre drei Begleitschiffe mit guter Fahrt nahezu exakt auf Nordkurs segeln. Die Azoren lagen hinter ihnen. Die letzte Positionsbestimmung hatte ergeben, daß der 40. Breitengrad überschritten war. Momentan befand sich der Konvoi ungefähr auf der Höhe von Madrid.
Hasard warf einen kurzen Blick aus dem geöffneten Fenster seiner Kammer. Die „Nuestra Señora de lagrimas“ lief querab und keine vierhundert Yards entfernt unter vollen Segeln. Ihrer kostbaren Ladung wegen lag sie ebenso wie die anderen neun spanischen Galeonen tief im Wasser. Achteraus folgten die „Patricia“ und die „Fortuna“.
Ein Lächeln entstand auf den Zügen des Seewolfs. Er dachte daran, welche Gründe umlaufen würden, sobald seine Flotte die Themsemündung erreichte. Angesichts der alles übertreffenden Schätze mußte die königliche Lissy schier aus dem Häuschen geraten. Dagegen verblaßten die „Überraschungen“, die Francis Drake von seinen Reisen mitgebracht hatte.
Aber bis dahin war noch ein langer und gefahrvoller Weg. Die Begegnung mit der spanischen Kriegskaravelle „El León“ unter Capitán José de Freitas und zuvor der Zwischenfall mit der schwer armierten „Aguila“ hatten gezeigt, daß es trotz aller Vorkehrungen keine absolute Sicherheit gab. Ein winziger Zufall konnte alles in Frage stellen.
Zumindest war der Schwelbrand auf der „Respeto“ gelöscht. Die Qualmwolke hätte sicher noch weitere ungebetene Gäste angelockt. Daß der Konvoi abseits der üblichen Routen segelte, war also kein Freibrief.
„Masten an der Kimm!“
Der Ruf schreckte den Seewolf aus seinen Überlegungen auf. Er griff sich den Kieker und eilte hinaus auf das Oberdeck.
Dan O’Flynn, der Mann mit den schärfsten Augen der Crew, stand an Steuerbord und blickte starr nach Osten. Die portugiesische Küste lag jedoch viel zu weit entfernt, als daß auch nur ein Hauch von ihr zu ahnen gewesen wäre.
Dan hörte am Klang der Schritte, daß der Seewolf neben ihn trat. Ohne sein Spektiv abzusetzen, sagte er: „Ein Dreimaster, Sir, eine Karavelle. Sie segelt auf Parallelkurs.“
„Wie lange schon?“
„Wenn ich das wüßte …“ Dan O’Flynn seufzte leise.
Durchs Spektiv zeigte sich die Kimm in leichtem Dunst, die Trennlinie zwischen Ozean und Himmel wirkte milchig verschwommen. Zum Teil vermischten sich das Blaugrau des Atlantiks und das Grau tiefhängender Wolkenbänke.
Hasard suchte den Horizont ab, ohne fündig zu werden. Erst nach eigner Weile entdeckte er den fahlen Punkt in der endlosen Wasserwüste.
„Ja, es ist eine Karavelle“, wiederholte Dan O’Flynn.
Egal ob es sich um Spanier, Portugiesen oder sonstwen handelte, wer immer querab segelte, hatte den Konvoi wohl kaum gesichtet. Trotzdem ließ Hasard Ruder legen und den Galeonen einen entsprechenden Befehl signalisieren. Wenig später liefen alle Schiffe nach Nordnordwest.
„Die Karavelle fällt ab“, meldete Dan. „Sie wäre um einiges schneller als wir.“
Er sah die Masten noch als winzige Striche am Horizont, als kein anderer mehr etwas wahrnahm. Danach waren die spanischen Seeleute und die Korsaren wieder allein.
Die Webeleinen verwandelten sich unter seinen Händen in züngelnde Nattern, die sich hartnäckig seinem Griff zu entwinden trachteten. Der Schweiß brach Morales aus allen Poren. Außerdem wurden die Schmerzen in seinem rechten Oberbauch wieder stärker, als durchbohre jemand mit glühenden Messern die Eingeweide.
Er biß die Zähne zusammen, damit er nicht laut aufschrie.
Weiter! drängte alles in ihm. Laß dir die Schwäche nicht anmerken! Hinauf in den Mars und dann in die Stengewanten!
Er war nicht krank. Das ganz bestimmt nicht. An seinem Zustand war vor allem Kapitän Pigatto schuld, schließlich hatte er zugelassen, daß die Rumvorräte von Bord geschafft worden waren. Seither verschlimmerte sich Marios Befinden mit jedem Tag. Kein Wunder, solange es nur abgestandenes, schales Wasser zu saufen gab. Damit löschte kein Seemann auf Dauer seinen Durst.
Mario fragte sich jedoch zunehmend häufiger, warum nicht auch die anderen solche Wirkungen zeigten.
Weiter!
Der Capitán brachte kein Verständnis für derartige Mangelerscheinungen auf. Er war einer von denen, die Wasser wie Wein soffen und vermutlich wegen der in ihrem Magen nistenden Läuse oft aufgekratzt wirkten. Wie ein Furz, der die Därme blähte, aber den Ausgang nicht fand. Der Vergleich, der sich ihm aufdrängte, erheiterte den Decksmann. Ein gequältes Lachen drang über seine Lippen.
Er hatte den unteren Rand des Marses fast erreicht, als ihn eine neue Schmerzwelle in die Wanten warf. Im Nu war er klatschnaß geschwitzt.
Er hörte seltsame, abgehackte, schrille Laute, aber er begriff nicht, daß er selbst sie ausstieß. Ein krampfhaftes Würgen ging von seinem Magen aus und abscheulich bittere Galle stieg in ihm hoch.
Seine Hände verkrampften sich um die Leinen. Aus eigener Kraft war er weder fähig, die beiden Schritte zu tun, die ihn von der viereckigen Bodenöffnung des Großmarses trennten, noch wieder abzuentern.
Diesmal verlor er nicht die Besinnung. Scheinbar eine kleine Ewigkeit verging, bis endlich Männer neben ihm waren, um ihm auf die Kuhl zu helfen. Mario Morales zitterte wie Espenlaub.
„Schafft ihn unter Deck!“ bestimmte Tomas d’Alvarez, der Bootsmann der „Respeto“. „Gebt ihm zu trinken und eine Extraration Pökelfleisch.“
Morales hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Zapata und der Segelmacher stützten ihn und führten ihn den engen Niedergang hinunter. Bis er in seiner Koje lag, schien das Schiff in einen Orkan geraten zu sein, so sehr drehte sich alles um ihn her.
„Mir war noch nie so mies.“ Er stammelte kurzatmig. „Das ist wie Sterben …“
Jorge Zapata musterte ihn halb besorgt, halb ungläubig. Daß ausgerechnet der stämmige Mario so etwas behauptete, wollte ihm nicht in den Sinn.
Juan Barbara brachte eine Kruke voll Trinkwasser und ein großes Stück Pökelfleisch.
Morales trank hastig. Er verschüttete so viel dabei, daß wohl nur ein kleiner Teil wirklich durch seine Kehle lief. Anschließend rülpste er laut und biß von dem Pökelfleisch ab, auf dem er herumkaute, als sei es zäh wie Leder.
Die Röte, die ihm jäh ins Gesicht schoß, wirkte nicht weniger unnatürlich als die vorangegangene Blässe. Morales wollte etwas sagen – er schaffte es nicht, denn von einem krampfhaften Würgen geschüttelt, übergab er sich.
„Was hat er?“ fragte Barbara überrascht.
Jorge Zapata zuckte mit den Schultern. Als er sich Morales wieder zuwandte, erschrak er. Der Decksmann hatte sich erneut verfärbt. Ein unnatürliches Gelb überzog seine Haut und ließ die Wangenknochen kantig aus dem sonst aufgequollenen Gesicht hervorstehen.
„Sieht nach Fischvergiftung aus“, sagte Zapata.
„Unsinn.“ Der Segelmacher winkte heftig ab. „Wir haben seit Tagen keinen Fisch gegessen.“
„Mario ist krank, sieh ihn dir an. Hoffentlich ist das nicht der Ausbruch einer Seuche, die uns alle erwischt.“
Zapata wollte einen Schritt beiseite treten, aber völlig unerwartet schossen Morales’ Hände vor und die Finger verkrampften sich in Jorges Hemd und um seinen Gürtel. Der Kranke entwickelte ungeahnte Kräfte, er zog Zapata einfach zu sich herunter.
„Du mußt mir helfen!“ raunte er.
Im letzten Moment fing Jorge sich an der Koje ab, sonst wäre er neben Morales auf die Decken gefallen.
Ohne darauf zu achten, fuhr Mario drängend fort: „Ich brauche Rum, Jorge. Das Wasser widert mich an.“
„Wir haben nicht ein Fäßchen mehr an Bord.“
„Ich weiß.“ Morales unterbrach sich gequält und rang nach Luft. Fahrig wischte er sich den Schweiß von der Stirn. „Du mußt mir eben welchen besorgen.“
„Das ist unmöglich.“ Jorge Zapata wollte sich erheben, aber der Kranke ließ ihn nicht los.
„Tu mir den Gefallen“, verlangte Morales.
„Der Kapitän läßt mich auspeitschen, wenn er mich erwischt.“
Abgesehen davon, daß die gelbe Gesichtsfarbe blieb, ließ allein schon der Gedanke an den Rum den Kranken sichtlich wieder aufleben. Sein Blick wanderte zu Juan Barbara hinüber.
„Du wirst an Deck gebraucht, ich kriege hier schon alles klar.“
Obwohl der Segelmacher verstand, daß Morales ihn nur loshaben wollte, drehte er auf dem Absatz um und verschwand.
Mario versuchte ein Grinsen. Sein Gesicht verzerrte sich zur Fratze.
„Ein Fäßchen Rum“, sagte er noch einmal eindringlich. „Mehr verlange ich nicht von dir. Das ist bestimmt ein akzeptables Angebot.“
„Akzeptabel?“ Jorge Zapata verstand tatsächlich nicht, auf was der Kranke hinauswollte.