Kitabı oku: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 142»
Impressum
© 1976/2015 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-466-1
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de
Inhalt
Kapitel 1.
Kapitel 2.
Kapitel 3.
Kapitel 4.
Kapitel 5.
Kapitel 6.
1.
Kriegsgaleere Backbord achteraus!“ brüllte Bill, der Schiffsjunge der „Isabella VIII.“, vom Hauptmars hinunter aufs Achterdeck.
Philip Hasard Killigrew fuhr fluchend herum. Diese spanischen und portugiesischen Galeeren vermehrten sich wie die Karnickel, vor allem hier und heute. Hier – das war die große Reede von Cadiz, heute – das war der 29. April 1587 am späten Nachmittag.
Auf gut englisch gesagt war es ein gottverdammter Tag, und Philip Hasard Killigrew fragte sich allen Ernstes, welcher Teufel ihn geritten haben mochte, sich mit seinen Männern und der „Isabella“ für Sir Francis Drake zu schlagen, für jenen Mann, von dem er sich 1579 drüben in der Neuen Welt nach einer erbitterten Auseinandersetzung getrennt und ihm den Gehorsam aufgekündigt hatte.
Das war eine alte Geschichte, die mit Edwin Carberry, dem ehemaligen Profos von Drake, zusammenhing. An Carberry war ein Mordversuch unternommen worden, Hasard hatte eine Bestrafung des Täters verlangt, Drake hatte sie verweigert – weil der Täter ein Mann höheren und vornehmeren Standes als Carberry war. Es war dies eine Frage des Prinzips gewesen, sowohl für den damaligen Kapitän Francis Drake als auch für den seinerzeit noch sehr jungen Philip Hasard Killigrew, der bereits als Kapitän fuhr. Kapitän Drakes Prinzip beruhte auf der vermeintlich gottgewollten Ordnung, daß ein Mann adeliger Herkunft nicht wegen einer Missetat an einer Person des niederen Volkes belangt werden dürfe. Kapitän Killigrews Prinzip hingegen war genau das Gegenteil. Er vertrat den Standpunkt, daß vor Gott alle gleich seien und aus diesem Grunde eine Untat nicht mit zweierlei Elle gemessen werden könne. Mordversuch blieb Mordversuch, gleichgültig, ob ihn ein „Sir“ oder ein Kuhtreiber beging.
Prinzip gegen Prinzip – es hatte damals zum Bruch zwischen Francis Drake und Philip Hasard Killigrew geführt. Und, weiß Gott, der Mann, den man den „Seewolf“ nannte, war der moralische Sieger geblieben.
Erst jetzt waren sie sich wieder begegnet, diese beiden so unterschiedlichen Männer. Francis Drake war zum Admiral avanciert und Befehlshaber eines englischen Flottenverbandes, der seit dem Nachmittag dieses 29. April 1587 drauf und dran war, die spanische Hafenstadt Cadiz samt der hier versammelten Schiffe in Stücke zu schießen.
Nur – und das erregte Philip Hasard Killigrew bis zur Weißglut – war dieser Überfall auf Cadiz alles andere als ein sorgfältig geplantes Unternehmen. Nein, Sir, das war es nicht. Dieser Admiral Drake schlug wie wild und blindlings mit dem Knüppel drauf, statt planvoll und taktisch vorzugehen. Hatte dieser Korsar Ihrer Majestät der Königin von England nichts dazugelernt?
Vor knapp anderthalb Stunden erst hatte die „Isabella“, die sich am Vortag heimlich in einen Seitenarm der Bai von Cadiz geschlichen hatte, einen Angriff von sechs spanischen Kriegsgaleeren auf das Flaggschiff Admiral Drakes, die „Elizabeth Bonaventura“, mit Erfolg abgewehrt und damit wieder einmal dem sehr ehrenwerten Admiral aus der Patsche geholfen. Denn so ganz ungeschoren hätte die „Elizabeth Bonaventura“ den wütenden und fast selbstmörderischen Angriff der sechs Galeeren keineswegs überstanden, da sie nahezu deckungslos dem eigenen Verband vorausgesegelt war.
Aus Dummheit oder Tollkühnheit hatte Drake die Gefahr heraufbeschwören, von seinem Verband abgeschnitten und vom Rammsporn einer der sechs Galeeren aufgespießt zu werden.
Das hatte Hasard verhindert.
Die englischen Seeleute hatten der „Isabella“ zugejubelt. Der Admiral indessen war steinernen Gesichts mit seinem Flaggschiff an der „Isabella“ vorbeigerauscht und zur Zeit immer noch damit beschäftigt, volle Breitseiten auf Cadiz abzufeuern.
Und mit ihm um die Wette böllerten – mangels anderer Befehle – die drei anderen Galeonen der königlichen Lissy – die „Golden Lion“, die „Dreadnought“ und die „Rainbow“ sowie die drei schwerbestückten Galeonen der Londoner Kaufleute, deren Flaggschiff die „Merchant Royal“ war. Von den etwa neunzehn leichteren Kriegsschiffen von zweihundert bis hinunter zu fünfundzwanzig Tonnen gar nicht zu sprechen.
Das Durcheinander war perfekt.
Pulverqualm zog über die Reede, in der Hafenstadt begannen Brände aufzuflammen, und in das Krachen der Breitseiten mischten sich die Glocken der Kathedrale, der Kirche San José und der Kirche Santa Catalina, die Sturm läuteten.
Und kein englisches Schiff war detachiert, die riesige Reede nördlich und östlich von Cadiz abzusichern. Wie die Irren hämmerten sie ihre Breitseiten in die Stadt.
Ostwärts, Cadiz fast genau gegenüber, mündete der Rio San Pedro in die große Reede. Dort stand die „Isabella“ – abwartend und abseits der englischen Kanonaden auf Cadiz. Und aus dem San Pedro schob sich nunmehr wie eine Spinne mit unzähligen Beinen jene spanische Kriegsgaleere, die Bill gemeldet hatte.
Ohne Zweifel war sie giftig, diese Spinne. Auf jeder Bordseite zählte Hasard dreißig Riemen, also sechzig Riemen, die in gleichmäßigem Takt eintauchten, durchgezogen wurden, auftauchten und zurückruckten. An jedem Riemen saßen mindestens drei Männer, vermutlich Galeerensklaven, also einhundertachtzig Ruderer.
Hasard haßte Galeeren. Sie waren weder Fisch noch Fleisch. Zwei Pfahlmasten trug diese Galeere. Ihre beiden Lateinersegel waren aufgetucht. Ja, sie sah aus wie eine riesige Spinne, häßlich, böse, drohend.
Aber das war es nicht, was Hasards Widerwillen erregte. Nein, er dachte an die armen Kerle, die dort unsichtbar für ihn auf den Ruderduchten saßen, angekettet, unterernährt, von Peitschenhieben gezeichnet, dreckstarrend und in Lumpen gehüllt.
Es war dies die entwürdigendste Form menschlichen Daseins. Ihre Unfreiheit bedeutete, wehrlos zu sein. Daran konnte ein Mann zerbrechen. Ohnmächtig war er seinem Schicksal ausgeliefert. Nicht er entschied aus eigenem Willen und mit eigener Kraft über Leben und Tod, sondern der Kapitän, der die Galeere führte.
Nur Kapitäne mit einem Herzen aus Stein konnten solche Galeeren befehligen. Und ihre Zuchtmeister waren Henkersknechte.
Für einen kurzen Moment dachte Hasard an seinen Vater, den Malteser-Ritter Godefroy von Manteuffel, den er von einer Piraten-Galeere befreit hatte. Und er dachte gleichzeitig an die Männer seiner Stammcrew, die auf einer spanischen Galeere gefangengesetzt waren und die er gleichfalls – zusammen mit seinem ersten Offizier und Bootsmann Ben Brighton – hatte befreien können.
Nein, er hatte keinen Grund, überhaupt keinen, diesen verdammten Galeeren etwas abzugewinnen. Sie waren eine Schande für die Seefahrt insgesamt, aber auch für jene Länder, die sich ihrer bedienten.
Das war alles klar, und man konnte als ehrlicher Seemann und ritterlicher Korsar eigentlich nichts Besseres tun, als die See von diesen häßlichen Schiffsgebilden zu säubern.
Aber Philip Hasard Killigrew hatte Skrupel. Eine volle Breitseite auf die Galeere bedeutete das Todesurteil für einhundertachtzig Männer, von denen vermutlich der Großteil wegen läppischer Vergehen zum Galeerendienst verurteilt worden war. Vielleicht befanden sich auch englische Landsleute oder Niederländer oder Männer anderen Glaubens unter den Rudersklaven. Und gerade das war das Infame, das Unmenschliche.
Alles das schoß Hasard durch den Kopf, während er aus schmalen Augen die aufrückende Galeere beobachtete.
Ben Brighton, der neben ihm stand, räusperte sich.
„Sieht aus, als wollten die uns einen Achterstich mit ihrem Bugpiekser verpassen“, sagte er.
„Hm“, sagte Hasard unentschlossen, „kann sein, kann auch nicht sein.“ Aber dann lächelte er plötzlich. „Sie hat ihren Kurs geändert.“
„Du freust dich darüber?“
„Klar. Soll sich doch jemand anderes mit ihr herumprügeln.“
Ben Brighton schüttelte den Kopf. „Verstehe ich nicht.“
Hasard zeigte seine weißen Zähne. Wenn er das tat, sah er immer ziemlich wild aus.
„Verlängere mal die jetzige Kurslinie der Galeere, Ben“, sagte er. „Wo führt die hin?“
Ben Brightons Augen wanderten vom Bug der Galeere, die sich jetzt etwas achterlicher als querab an Steuerbord der „Isabella“ befand, weiter voraus und endete dort, wo die sieben schweren englischen Galeonen versammelt waren und ihren dröhnenden Eisenhagel auf die Stadt ausspuckten. Und dann blitzten seine grauen Augen auf, und ein breites Grinsen zog über sein Gesicht.
„Na?“ fragte Hasard.
„Sie geht auf das Flaggschiff unseres verehrten Admirals los“, sagte Ben Brighton.
„Genau.“ Hasard nickte grimmig. „Und ich schätze, keiner dieser verdammten Idioten – Sir Francis inbegriffen – merkt, was sich da auf sie zubewegt. Außerdem ist der Don, der die Galeere kommandiert, gerissen genug, den Pulverqualm als Dekkung auszunutzen. Er steuert Zickzack-Kurse, aber sein Generalkurs weist stur auf die ‚Elizabeth Bonaventura‘. Wenn ich richtig schätze, hat er die Absicht, seinen Rammsporn dem Flaggschiff mittschiffs zwischen die Planken zu jagen. Das gibt ein Loch, durch das du bequem eine Kuh in den Schiffsbauch spazieren lassen kannst.“
„Mein lieber Mann“, sagte Ben Brighton andächtig. „Ich gönn’s ihm, verdammt, ich gönn’s ihm, damit er endlich mal einen nassen Arsch kriegt!“
„Er“, das war der sehr ehrenwerte Admiral, auf den sie alle an Bord der „Isabella“ einen ziemlichen Piek hatten.
„Er ja“, sagte Hasard, „die anderen aber leider auch, und das geht mir nun doch gegen den Strich.“
Ben Brighton seufzte. „Weiß schon Bescheid, Sir. Wir müssen mal wieder Kindermädchen spielen und unseren lieben guten Francis davor bewahren, nasse Hosen zu kriegen.“ Und schon brüllte Ben Brighton zu Ed Carberry auf die Kuhl hinunter, die Segel aus dem Gei zu nehmen.
Pete Ballie, der am Ruder stand, erhielt von Hasard den Befehl, der Galeere zu folgen. Da der Wind von Südwesten wehte, konnte die „Isabella“ mit dichtgeholten Segeln den Galeerenkurs gut anlegen.
Auf der Kuhl begann Ed Carberry herumzutoben. Da sie alle auf ihren Manöver- oder Gefechtsstationen waren, hatten sie auch mitgekriegt, was sich jetzt anbahnte. Und sie wußten auch genau, warum ihr Kapitän nicht auf die Galeere geschossen hatte, als sie an der Steuerbordseite der „Isabella“ vorbeigezogen war – er hatte an die armen, wehrlosen Schweine auf den Ruderduchten gedacht und deshalb nicht den Feuerbefehl gegeben.
Da war keiner unter den Männern des Seewolfs, diese Entscheidung zu kritisieren. Im Gegenteil. Längst war auch den wildesten Draufgängern und Kämpfern innerhalb der Crew die Fairneß und ritterliche Kampfweise ihres Kapitäns in Fleisch und Blut übergegangen.
Darum war es auch ihnen ein Greuel, gegen Galeeren zu kämpfen – weil sich dieser Kampf zwangsläufig gegen die Wehrlosen richtete, die angekettet nicht die geringste Chance hatten, zu überleben, wenn ihre Galeere ihre letzte Reise in die Tiefe antrat.
Das empörte sie: einem Mann das Recht zu nehmen, kämpfend zu sterben, dem Tod die Zähne zu zeigen – und ihm vielleicht doch von der Schippe zu springen.
Und jetzt sah es so aus, als sollten ausgerechnet sie es sein, diese furchtbare, hassenswerte Henkerrolle zu spielen – weil der sehr ehrenwerte Sir Francis mit seinem Flaggschiff Gefahr lief, von einem Rammsporn aufgespießt zu werden.
„Ist das eine Scheiße“, knurrte der bullige, narbengesichtige Edwin Carberry erbittert. „Wären wir diesem Rübenschwein bloß nie begegnet!“
Jeder wußte, wen der Profos mit „Rübenschwein“ meinte – Sir Francis Drake. Und sie dachten an die Begegnung vor ein paar Tagen bei den Berlenga-Inseln, als sie der nicht Flagge zeigenden „Elizabeth Bonaventura“ den Bugspriet weggeschossen und sie anschließend auf die Sände gelockt hatten.
„Von mir aus könnte der verdammte Kahn heute noch dort schmoren“, sagte Matt Davies, der Mann mit der Hakenprothese am rechten Unterarm. „Und wir Blödmänner haben denen auch noch geholfen, ihren Kahn wieder flott zu kriegen.“
„Halt’s Maul, Mister Davies“, sagte Ed Carberry, und wenn er „Mister Davies“, statt „Affenarsch“ oder „Kombüsenwanze“ oder schlicht „du Hurensohn“ sagte, dann war es höchst gefährlich, den Profos weiter zu reizen.
Aber sie waren alle gereizt – wegen des sehr ehrenwerten Admirals, wegen der Galeere, überhaupt wegen der Tatsache, an einem Unternehmen beteiligt zu sein, bei dem sie bisher ständig den Part hatten spielen müssen, die Fehler des sehr ehrenwerten Admirals zu korrigieren.
Wie auch jetzt!
Und das stank ihnen. Es stank ihnen, daß da blindwütig auf die Stadt losgehämmert wurde, statt auf der Reede auf die Pirsch zu gehen und sich die fettesten Brocken herauszuholen. Da lagen nämlich einige dickbäuchige Handelsfahrer mit verdächtig tiefer Wasserlinie, die verriet, daß das Innenleben der Laderäume bestimmt nicht nur mit Luft ausgefüllt war, o nein, Sir. Wer ein Seewolf war, der hatte im Laufe der Jahre gelernt, wo eine Wasserlinie rund um das Schiff zu verlaufen hatte, wenn es volle Ladung führte.
Mit grimmiger Miene sahen die Seewölfe, wie einige dieser fetten Brocken bereits ankerauf gingen, um sich in Gegenden zu verholen, wo die Luft weniger eisenhaltig und nicht zu erwarten war, daß sich rauhe Gesellen mit wildem Gebrüll und Entermessern zwischen den Zähnen an Bord schwangen.
Inzwischen hatte die „Isabella“ Fahrt aufgenommen, lag über Steuerbordbug gut am Wind und rauschte hinter der Galeere her. Hasard spähte voraus und nickte zufrieden – die „Isabella“ holte merklich auf. Fast automatisch flog sein Blick über die Segel, um ihren Stand zu kontrollieren.
Und dann wurde sein Blick starr. Für einen Moment preßte er die Lippen zusammen. Als er dann etwas sagte, nahm er die Lippen kaum auseinander, und sein Blick war weiterhin auf den Fockmars gerichtet.
„Mister O’Flynn“, sagte er mit eisiger Schärfe, „hättest du vielleicht die Güte, mir zu erklären, was die beiden Jungens im Vormars zu suchen haben?“
Old Donegal Daniel O’Flynn zuckte zusammen. Er stand querab von Hasard am Backbordschanzkleid des Achterdecks, schaute jetzt auch zum Vormars und kriegte Stielaugen.
Über dem Rand der Segeltuchverkleidung vom Vormars waren zwei schwarzhaarige Schöpfe sichtbar – die Schöpfe von Hasard Killigrew Junior und von Philip Killigrew Junior, den Zwillingen des Seewolfs, sieben Jahre jung, frech und der Schrecken der gesamten „Isabella“-Crew.
„Daß mich doch der Schlag trifft“, murmelte Old O’Flynn verstört. „Heute morgen, als das Theater hier losging, hab ich sie achtern in der Kammer eingesperrt …“
„Jetzt hocken sie jedenfalls im Vormars“, knurrte Hasard wild. „Wir gehen ins Gefecht, und deine beiden Enkel genießen dort oben die schöne Aussicht.“
„Ha!“ sagte Old O’Flynn aufgebracht. „Meine beiden Enkel? Das sind deine Teufelsbraten …“ Er verstummte und zog den Kopf ein. Hasards Blick war mörderisch.
Aber dieser Blick blieb nicht so, denn in diesem Moment wuchs die kleine Gestalt von Hasard Junior hinter der Segeltuchverkleidung hoch – allerdings nur bis zur Brust – und dann die von Philip Junior. Und dann schwenkte Hasard Junior die Ärmchen und brüllte mit den paar Brocken Englisch, die er inzwischen gelernt hatte, zum Achterdeck hinunter, man möge doch verdammt noch mal abfallen, weil von der Galeere her die Drehbassen auf die „Isabella“ gerichtet würden.
„Pete!“ zischte Hasard. „Fall sofort ab!“ Mit einem Blick zur Galeere hatte er gesehen, daß dort tatsächlich die Drehbassen gerichtet wurden. Aber nicht nur die Drehbassen, auch die Relingsbüchsen hinter der Brustwehr der Steuerbordseite.
„Aye, aye, Sir, abfallen“, sagte Pete Ballie mit stoischer Ruhe und legte Ruder.
Die „Isabella“ schwenkte nach Steuerbord. Da sie bereits fast querab achterlich von der Galeere gesegelt war, begann sie jetzt, dem Gegner die schmale Silhouette zu zeigen und das Heck zuzudrehen.
„Schickt die Schoten!“ drang Carberrys grollendes Organ über die Kuhl.
„Frage Feuer frei, Sir?“ Das war Al Conroy, der Stückmeister der „Isabella“. Er stand an der achteren Backbord-Drehbasse. „Ich könnte der verdammten Galeere einen Schuß ins Ruder verpassen.“
„Feuer frei, Al“, sagte Hasard mit zusammengebissenen Zähnen.
Sekunden später krachte Al Conroys Schuß, Eisen schlug mit unerhörter Wucht in das Heck der Galeere, und Holztrümmer wirbelten in die Luft. Es war ein Meisterschuß. Al Conroy mußte den Ruderschaft getroffen haben, denn das Galeerenruderblatt sprang plötzlich wie ein Korken aus dem Wasser, blieb schief in der unteren Halterung hängen, tanzte wild auf und ab und gab der Galeere einen Drall nach Backbord.
Das genau war der Moment, als auf der Galeere die Drehbassen und Relingsbüchsen ihre Ladungen ausspuckten. Im Wasser auf der Backbord- und Steuerbordseite der „Isabella“ stiegen Fontänen hoch und fielen wieder zusammen. Ein Stück Eisen raste durch die Heckgalerie und schlug mit einem klatschenden Laut in den Besanmast.
Old O’Flynn starrte es andächtig an. Das Ding war gezackt wie ein Sägeblatt. Hasard ignorierte das Ding.
„Feiner Schuß, Al“, lobte er Al Conroy. Und: „Pete, anluven, zurück auf den alten Kurs am Wind!“
„Aye, aye, anluven, alter Kurs“, sagte Pete Ballie.
„Holt dicht die Schoten!“ röhrte Ed Carberry. „Holt dicht, ihr müden Säkke!“
Und dann stemmte er die Fäuste in die Hüften, starrte zum Vormars hoch und brüllte: „In drei Sekunden seid ihr kleinen Rübenschweinchen hier unten auf der Kuhl, oder der alte Profos holt euch, und dann gibt’s ein Tänzchen mit dem Tauende, daß ihr meint, die Englein jubilieren zu hören!“
Alle Männer der „Isabella“ schauten zum Vormars hoch. Auf ihren Gesichtern lag ein verstecktes Grinsen, das aber auch Anerkennung ausdrückte. So jung die beiden Söhnchen des Seewolfs waren, sie mauserten sich bereits und griffen aktiv in das Kampfgeschehen ein – als Gefechtsbeobachter. Wie die Lausekerle es allerdings geschafft, hatten, ungesehen und unbemerkt in den Vormars zu entern, das war ihnen völlig schleierhaft.
Hasard Junior und Philip Junior reckten sich über die Segeltuchverkleidung und grinsten zu Carberry hinunter.
„Ha?“ rief Hasard Junior und hielt die linke Hand gewölbt hinter das linke Ohr, um anzudeuten, daß er schwerhörig sei. „Viel Krach hier oben, nix verstehen von altes Profos!“
„Na wartet, ihr Hosentrompeter“, sagte Ed Carberry grimmig und setzte sich in Bewegung. Und Matt Davies fuhr er an: „Grins’ nicht so dämlich, du triefäugiger Beachcomber!“
Aber Matt Davies grinste weiter und mit ihm die anderen Seewölfe. Sie kannten ja ihren Profos. Von Gefechtsbereitschaft konnte allerdings im Moment nicht groß die Rede sein, aber das war zu verkraften, weil man auf der Galeere zur Zeit vollauf damit beschäftigt war, das zerschossene Ruder mit Axthieben vom Heck zu lösen.
Ed Carberry enterte indessen an den Fockluvwanten hoch, um zum Vormars zu gelangen. Als er ihn erreichte, fuhren die beiden „Hosentrompeter“ wie kleine Kastenteufelchen hoch, schwangen sich auf die Vorstengewanten der Luvseite, flitzten kichernd nach oben, sausten am Vorstengestag hinunter zum Bugspriet, kasperten freihändig über das Rundholz zur Back und verschwanden wie der Blitz im Vorkastell.
Das Gelächter an Bord der „Isabella“ übertönte den rollenden Kanonendonner.
Hasard selbst wußte nicht, ob er lachen oder fluchen sollte.
Ed Carberrys narbiges Gesicht mit dem wüsten Rammkinn war hochrot, seine Miene war gallebitter, als er abenterte. Aber dann mußte er selbst grinsen, es blieb ihm nichts anderes übrig.
Die beiden kleinen Kerlchen waren zu fix für ihn. An Deck hätte er sie erwischt, aber in der Takelage waren sie ihm überlegen. Da turnten sie mit einer Behendigkeit und Sicherheit herum, als seien sie Affen wie der Bordschimpanse Arwenack. Und das Wort Angst schienen sie auch nicht zu kennen.
An diesem Punkt seiner Überlegungen wurde Carberrys Gedankenkette unterbrochen – von einem orgelnden Mißton. Instinktiv zog er den massigen Schädel ein. Auch die grinsenden Gesichter der Seewölfe versteinerten — und sie waren kampferfahren genug, sich platt an Deck zu werfen. Vorsicht war bei ihnen der bessere Teil der Tapferkeit – dank Hasards Schulung. Darum lebten sie auch noch und hatten dem Sensenmann immer wieder ein Schnippchen geschlagen.
Aber die Ursache des orgelnden Mißtons erreichte nicht auf dem Deck der „Isabella“ ihr Ziel. Sie lag höher. Sie fegte – auf ihrer Endstrekke mit einem heulenden Ton, der durch Mark und Bein ging nahezu vierkant in die Segeltuchverkleidung des Vormarses.
Dort zerfetzte sie Segeltuch samt der hölzernen Rundumverkleidung, zerspellte den Marsunterboden, schlang sich um den Fockmast – im Schußdrall –, kerbte ihn mit glühenden Rillen und sauste am Mast entlang nach unten.
Ed Carberry stand eine Fußbreite neben dem Ding und stierte es verbissen an.
Das Ding war eine von diesen verdammten Kettenkugeln, die man einsetzte, um die Takelage eines feindlichen Schiffes zu zerstören.
Welches Schiff diese Kettenkugel auf die „Isabella“ abgefeuert hatte, war auch später nicht mehr feststellbar. Carberry meinte zwei Tage danach, irgendein totaler Vollidiot von Artillerist auf dem Flaggschiff des sehr ehrenwerten Admirals Drake hätte diesen Fehlschuß getan. Aber das war nicht beweisbar.
Jedenfalls – ob Zufallstreffer oder nicht – diese Kettenkugel hätte Hasard Junior und Philip Junior etwa in Höhe der Oberschenkel getroffen und an dieser Stelle amputiert.
Und weil Ed Carberry in den Vormars gestiegen war, um die beiden „Hosentrompeter“ von dort an Deck zu holen, waren Hasard und Philip diesem fürchterlichen Schicksal entgangen.
Ursache und Wirkung – das war es.
„Mein Gott“, sagte Matt Davies und starrte abwechselnd von der Kettenkugel zu Ed Carberry und hinauf zum Vormars und wieder zur Kettenkugel.
Dieses fürchterliche Geschoß schmauchte noch, und niemand hätte gewagt, es anzufassen. Es bestand aus mehreren Kettengliedern, an deren Enden zwei eiserne Kugeln von der Größe einer Kokosnuß hingen. Wenn diese beiden durch die Kette verbundenen Kugeln um sich selbst wirbelnd auf die Reise geschickt wurden, dann rissen sie nieder und zerstörten, was auf ihrer Bahn lag, bis sich ihre von einer Pulverexplosion getriebene Kraft verbraucht hatte.
Die Schenkelknochen von zwei siebenjährigen Jungen hätten dieser wirbelnden Kraft kaum etwas von ihrer Wucht genommen.
Und wenn Matt Davies „mein Gott“ sagte, dann drückte er damit aus, was alle Seewölfe dachten.
Nur etwa drei Minuten später im Ablauf der Geschehnisse – und es hätte nicht nur die Zwillinge, sondern auch Edwin Carberry erwischt, der die beiden Jungs aus dem Vormars hatte holen wollen. Dem Profos hätte die Kettenkugel vermutlich das breite Kreuz gebrochen.
Keiner der Seewölfe verspürte Lust, diesen Gedanken zu Ende zu spinnen. Da konnte es einem kalt werden. Kalt? Es konnte einem kalt und warm werden. Nein, nicht warm – heiß, glühend heiß, kochend heiß.
Wer auch immer seine Hand über die „Isabella“ und ihre Männer samt der beiden kleinen Seewölfe hielt – er hatte aufgepaßt und nicht zugelassen, daß Furchtbares passierte. Aber einmal würde er vielleicht nicht aufpassen. Und wen würde es dann treffen? Und traf es jemanden, wäre es dann vermeidbar gewesen?
Auf dem Achterdeck fuhr Hasard zu Old Donegal Daniel O’Flynn herum — es waren kaum Sekunden vergangen, seit die Kettenkugel den Vormars zerschlagen hatte und dann auf die Decksplanken gefallen war.
„Mister O’Flynn“, sagte er eisig, und dieses Mal wählte er die förmliche Anrede, „wenn Sie sich überfordert fühlen, zwei Jungen unter Verschluß zu halten, dann wäre ich Ihnen sehr verbunden, Sie würden mir das mitteilen, bevor ein Unglück passiert. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt, Mister O’Flynn?“
„Das haben Sie, Mister Killigrew, Sir“, knurrte der Alte zurück. „Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß mir das, was da eben passiert ist, als Großvater dieser beiden Lümmel genauso unter die Haut geht wie Ihnen als Vater. Und als diese beiden Lümmel ihre Mutter und Sie Ihre Frau verloren, Mister Killigrew, Sir, da verlor ich meine Tochter, wenn ich sehr höflich daran erinnern darf. Meinen Sie nur ja nicht, Ihr Schmerz über den Verlust sei tiefer als meiner gewesen. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Ich fühle mich keineswegs überfordert. Und dieses Mal pfeife ich auf Ihre väterliche Order, Ihren Söhnen Schonzeit zu gewähren. Dieses Mal hat’s gescheppert. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt, Mister Killigrew, Sir?“
Die Seewölfe, die mitgehört hatten, waren starr. So scharf und förmlich hatte noch keiner von ihnen Old Donegal Daniel O’Flynn erlebt. Da bahnte sich wohl ein handfester Familienkrach an – zu einem Zeitpunkt, da die „Isabella“ bereits im Gefecht stand. Und die Sache war verdammt zweischneidig.
Fühlte sich Philip Hasard Killigrew als Vater angesprochen und zurechtgewiesen oder hatte Old O’ Flynn es gewagt, dem Kapitän der „Isabella“ Paroli zu bieten?
Das konnte nicht gutgehen. Aber sie irrten sich.
Philip Hasard Killigrew sagte mit zusammengepreßten Zähnen: „Sehr gut, Donegal! Auf was wartest du noch? Laß es scheppern, aber so, daß sie’s auch spüren. Absolution wird nicht mehr erteilt.“
„Aye, aye, Sir“, sagte der alte O’ Flynn und setzte sich mit seinen Krükken in Marsch.
„Donegal“, sagte Hasard hinter ihm. Der Alte stoppte und blickte über die Schulter zurück. „Ich würde es selbst tun“, fuhr Hasard fort, „aber ich kann jetzt nicht das Achterdeck verlassen.“
„Geht klar.“ Old O’Flynn nickte und humpelte zum Niedergang. Eine halbe Minute später verschwand er im Vordeck – bewaffnet mit einem Tauende.
„Hm“, murmelte Donegal Daniel O’Flynn Junior, genannt Dan, „bei mir pflegte er für diesen Zweck sein Holzbein einzusetzen, aber ich schätze, das Tauende ist wirksamer.“
Das waren die richtigen Worte zur rechten Zeit. Ein verstohlenes Grinsen glättete die verkniffenen Mienen der Seewölfe. Insgeheim hatten sie ihrem alten Donegal zugestimmt. Die Schonzeit für die beiden Lümmel war vorbei. Die Kerlchen waren aus der Achterdeckskammer ausgebüxt, um während eines Gefechts vom Vormars aus Abenteuer zu erleben, und das hätte ihr Leben kosten können – ihr Leben und das jenes Mannes, dem sie es eigentlich zu verdanken hatten, daß sie der Kettenkugel entgangen waren.
Und niemand mochte daran denken, was wäre, wenn es Edwin Carberry, den Profos der „Isabella“, nicht mehr gäbe. Nein, das durfte einfach nicht sein – eine „Isabella“ ohne den grimmigen, eisenharten, fluchenden Mann mit dem goldenen Herzen war nicht mehr vorstellbar. In diesen Minuten spürten sie es ganz intensiv, was Carberry für sie bedeutete.
Hasard war davon nicht ausgenommen – darum ja auch hatte er den alten Donegal so angeraunzt und im Grunde genommen tief verletzt.
Die wuchtige Riesengestalt Old Shanes schob sich neben Hasard. Nur für ihn hörbar sagte er: „Es ist alles in Ordnung und gut so, aber denke darüber nach, ob du deine beiden Söhne in eine Kammer einsperren darfst wie Jagdhunde in einen Zwinger, wenn zur Jagd geblasen wird.“
Hasard schaute den ehemaligen Schmied und Waffenmeister der Feste Arwenack überrascht an. „Wie meinst du das, Shane?“
„Ich meine, daß wir uns hüten sollten, ihren Ausflug in den Vormars als Ungehorsam anzulegen“, erwiderte Old Shane ernst. „Du kannst sie nicht an die Kette legen. Daß du es nicht kannst, beweist ihr Ausbrechen aus der Achterdeckskammer. Aber es beweist noch etwas anderes. Daß sie nämlich nicht bereit sind, Untätigkeit hinzunehmen, wenn alles, um sie herum in Aktion ist. Sie sind eben keine Duckmäuser. Sie müssen nur lernen, sich einzuordnen, aber das erreichst du bestimmt nicht, indem du sie einsperrst …“
Bills Ruf aus dem Hauptmars unterbrach ihn.
„Galeere steuert wieder auf das Flaggschiff zu!“
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