Kitabı oku: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 538»

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Impressum

© 1976/2019 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-946-8

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Davis J. Harbord

Im Banne des Magiers

Er „behext“ seine Opfer – und verkauft sie dann …

Es war der Kutscher, der bei der Sichtung Sokotras – der Insel östlich querab des Golfes von Aden – aus dem Gedächtnis jene Sätze zitierte, die Marco Polo darüber niedergeschrieben hatte:

„Alle Leute, sowohl Männer als auch Frauen, gehen beinahe nackend umher; sie haben nur eine karge Bedeckung vorne und hinten. Ihre Religion ist das Christentum, und sie sind auch ordentlich getauft und unterstehen der Führung eines Erzbischofs, der nicht dem Papst von Rom, sondern einem Patriarchen unterworfen ist, der in Bagdad residiert. Die Bewohner von Sokotra beschäftigen sich mehr mit Zauberei und Hexerei als irgendwelche anderen Leute, obwohl ihnen ihr Erzbischof dieses verbietet und er sie für die Sünde exkommuniziert. Doch das kümmert sie wenig …“

An dieser Stelle brach der Kutscher ab, denn er hatte den warnenden Blick Philip Hasard Killigrews aufgefangen. Doch da war es bereits zu spät.

Hätte der Kutscher eine Bombe gezündet, wäre die Wirkung kaum anders gewesen …

Die Hauptpersonen des Romans:

Achmed al-Salah – Ein arabischer Magier und Gaukler, der nebenbei einen einträglichen Handel betreibt, nur einen sehr miesen.

Der Kutscher – Zitiert als vielbelesener Mann Marco Polo und setzt damit einige Dinge in Bewegung, die er nicht beabsichtigte.

Old Donegal – Erlaubt sich ein haarsträubendes Abenteuer, um Marco Polo zu widerlegen.

Smoky – Der Decksälteste der Arwenacks gerät an den Magier und landet in einem Kellergewölbe.

Paddy Rogers – Auch er findet sich bei dem Magier ein und schaut hingerissen zu, wie dieser unter seinem Turban eine Taube ausbrütet.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

Philip Hasard Killigrew seufzte verhalten, legte die Hände auf den Rücken und marschierte von der Achterdecksbalustrade zum Heckschanzkleid – gewissermaßen seiner Crew den Rücken zukehrend.

Ben Brighton grinste in sich hinein. Er kannte die Taktik seines Kapitäns. Der spielte zunächst einmal den Unbeteiligten und zog sich zurück. Er räumte das Feld, denn er wußte genau, daß die Kerle jetzt zur Sache kamen und das große Palaver beginnen würde.

Klarer Fall, da waren zwei Stichworte vom Kutscher geäußert worden, nämlich die „karge Bedeckung“ von Männlein und Weiblein auf Sokotra und ihre Beschäftigung „mit Zauberei und Hexerei“. Beide Stichworte lösten auf der Kuhl so etwas wie einen Tumult aus. Die Kerle wollten Genaueres wissen und bestürmten den Kutscher mit ihren Fragen.

Der Kutscher hatte sich ohrfeigen können. Erst als er Hasards warnenden Blick bemerkt hatte, war ihm bewußt geworden, daß er besser geschwiegen hätte. Aber hinterher ist man ja immer kluger, dachte er erbittert.

Carberrys dröhnendes Organ übertönte mühelos alle anderen Stimmen. Und es war wieder einmal bezeichnend für den Profos, daß er das erste Stichwort aufs Korn nahm.

„Was sagst du da, Kutscherlein?“ röhrte er. „Die Weiblein gehen nackicht? Echt nackicht?“

Der Kutscher knirschte mit den Zähnen. „Du hast nicht genau zugehört, Mister Carberry – ich sagte: ‚beinahe‘, und Marco Polo sprach von einer ‚kargen Bedeckung vorne und hinten‘. Ich verstehe nicht, warum du deshalb aus dem Häuschen gerätst und hier wie ein Stier herumbrüllst. Es dürfte für uns wirklich nichts Neues sein, auf mehr oder weniger bekleidete Eingeborene zu stoßen. Die sind eben nicht so prüde wie wir. Aber du brauchst nur etwas von ‚nackicht‘ zu hören, da steht dir bereits der Schweiß auf der Stirn.“

„Ist ja auch ’n heißes Thema“, sagte Carberry grinsend und schielte zu Mac Pellew. „Hab ich recht, Mackilein?“

Der zweite Koch und Feldscher an Bord der „Santa Barbara“ nickte und brummelte: „Hast du, Ed, hast du, fragt sich nur, ob das hübsche Weiberchen sind und sich’s lohnt, mal hinzuschauen. Kann doch sein, daß sie an der Nase einen Ring hängen haben, nicht?“

Der Profos überlegte und verkündete dann, daß ihn ein Ring an der Nase nicht stören würde, wollte aber vom Kutscher wissen, ob Macs Vermutung richtig sei.

„Das entzieht sich meiner Kenntnis“, sagte der Kutscher unwirsch. „Im übrigen weise ich darauf hin, daß ich etwas zitiert habe, was von Marco Polo vor hundert Jahren niedergeschrieben wurde. Was also vor hundert Jahren mal war, muß heute nicht noch so sein. Vielleicht sind die Frauen heute alle verschleiert. Wir hocken ja auch nicht mehr als Affen auf den Bäumen.“

„Ich ganz bestimmt nicht“, sagte der Profos wütend und zugleich darüber enttäuscht, daß der Kutscher das, was er selbst zitiert hatte, schon wieder in Frage stellte oder gar ins Gegenteil verkehrte. „Wenn das so ist, hättest du uns das ja gar nicht erst vorzuquasseln brauchen. Ich nenne das eine bewußte Irreführung und verwahre mich ganz entschieden, daß wir hier von dir veralbert werden.“

Zustimmendes Gemurmel klang auf, was Carberry ermunterte, dem Kutscher zu empfehlen, sich „seinen Marco Polo“ an den Hut zu stecken.

Indessen fragte Old Donegal mit glitzernden Augen: „Dann stimmt es also auch nicht, daß sich die Sokotraner mit Zauberei und Hexerei beschäftigen, eh?“

Jetzt wurde auch der Kutscher rappelig, und er fuhr Old Donegal an: „Mein Gott, woher soll ich das wissen? Ich sagte doch, daß ich aus einem Werk zitierte, das vor hundert Jahren geschrieben wurde. Ich bin kein Hellseher, das überlasse ich dir, verdammt noch mal!“

„Darum möchte ich auch gebeten haben“, erklärte Old Donegal mit der Überlegenheit dessen, der tagtäglichen Umgang mit Klopf- und Poltergeistern pflegt und die Flöhe husten hört. „Es gehört sich nicht, mit der Geisterwelt Schabernack zu treiben, vor allem, wenn man darüber nicht Bescheid weiß. Schon von Zauberei und Hexerei zu reden, beschwört Unheil herauf …“

„Tust du ja auch!“ unterbrach ihn der Kutscher wütend.

„Ich bin damit ja auch vertraut“, entgegnete Old Donegal von oben herab. „Dir empfehle ich, bei deinen Suppen- und Salbentöpfen zu bleiben, aber hier nicht herumzufaseln, was dieser – äh – Mackosolo angeblich aufgeschrieben hat.“

„Mar – co Po – lo“, verbesserte der Kutscher wild, „ein Kaufmann aus Venedig, der das Land des großen Chan bereist und darüber ein Buch geschrieben hat.“

„Aha!“ sagte Old Donegal zufrieden. „Also ein venezianisches Schlitzohr und noch dazu Kaufmann! Da haben wir’s! So was schreibt ein Buch! Und was steht drin? Nur dummes Zeug, denn dieser Solo-Dingsda ist gar nicht in China gewesen. Der wollte sich nur aufspielen!“

Dem Kutscher verschlug’s schier die Sprache. Aber er faßte sich schnell, und er setzte nur ein einziges Wort ein.

Er fauchte: „Idiot!“ Und Sekunden später knallte er das Kombüsenschott hinter sich zu. Der Krach war derart laut, daß Sir John, der auf der Großrah gedöst hatte, vor Schreck hochhüpfte und wilde Flüche kreischte.

Als er verstummte, tauchte Philip Hasard Killigrew an der Achterdecksbalustrade auf und sagte so ganz nebenbei: „Marco Polo hat fast ein Vierteljahrhundert in Asien verbracht, das ist völlig unstrittig, und was er über seine Erlebnisse berichtet hat, gehört historisch und geographisch zum Besten, was jemals über die Länder des Ostens geschrieben wurde. Er war kein Schlitzohr, aber ein sehr kluger Mann und scharfer Beobachter.“

Der Kapitän lächelte freundlich auf die Kuhl hinunter, nickte ein paar Male und nahm wieder seinen Marsch zum Heck und zurück auf, also nicht quer übers Achterdeck, wie er es sonst tat. Ben Brighton schloß daraus, daß Philip Hasard Killigrew seinen Mannen Zeit zum Palavern – oder zum Nachdenken – geben wollte.

Richtig! Sie palaverten!

„Da stehst du ganz schön im Hemd, Old Donegal!“ dröhnte der Profos. „Gewissermaßen ohne Hose, mein Alter! Der Kapitän hat jedenfalls bestätigt, daß der Marco Polo ein gutes Buch geschrieben hat und in China gewesen ist, sogar über zwei Jahrzehnte lang. Und wie lange warst du mit der ‚Empress‘ in der Ecke?“

„Länger!“ donnerte Old Donegal. „Bestimmt drei Jahrzehnte!“

„Ah!“ tönte der Profos. „Und zwischendurch bist du immer mal schnell zurück nach Falmouth gesegelt, um dem nächsten O’Flynnchen aus den Windeln zu helfen …“

Der Kapitän tauchte wieder an der Balustrade auf und sagte mit seiner ganzen Freundlichkeit: „Das finde ich sehr geschmacklos, Mister Carberry!“

Old Donegal grinste schadenfroh, weil Carberry rote Ohren bekam, aber das verging ihm gleich wieder, als ihn ein kühler Blick des Kapitäns streifte.

Dann verschwand der Kapitän erneut nach achtern, und Old Donegal äußerte ein: „Ähem!“

Indessen war es Smoky, der den Faden wieder aufgriff. Er sagte etwas unruhig: „Dann stimmt also, was der Kutscher über Sokotra zitiert hat?“

Prompt reagierte der Profos, der nach wie vor das erste Stichwort im Zitat des Kutschers anpeilte – die „karge Bedeckung“.

Er sagte ziemlich ruppig: „Schlag dir das aus dem Kopf, Mister Smoky! Du bist mit deiner Gunnhild verehelicht, und wenn auf der Insel nackichte Weiberchen herumlaufen, zieh ich dir einen Sack über den Kopf, damit dir die Augen nicht aus dem Kopf fallen!“

„Man wird ja mal fragen können“, nörgelte Smoky. „Und mir steht bestimmt kein Schweiß auf der Stirn, wenn ich höre, daß die Ladys nackicht seien. Außerdem hast du mit dem Thema angefangen, nicht ich, woraus klar hervorgeht, wer hier so erpicht darauf ist, was Nackichtes zu sehen.“

„Ich doch nicht!“ sagte der Profos entrüstet. „Ich interessiere mich lediglich für die Sitten und Gebräuche von Inselbewohnern – schließlich ist England auch eine Insel, und da liegt es nahe, daß man als geistig reger Mensch Vergleiche anstellt.“

„Ha-ha!“ sagte Smoky höhnisch. „Hast du auch vor, darüber Bücher zu schreiben? Da solltest du vorher noch üben, damit man deine Schrift lesen kann. Und der Kutscher sollte dir zeigen, wo beim Federkiel oben und unten ist. Du kannst ja deinem Don Philipp ein paar Schwanzfedern ausreißen, um dir schon einen Vorrat anzulegen!“

Don Philipp, ein stolzer Hahn, war der Herrscher über das Hühnervolk an Bord der „Santa Barbara“. Hahn und Hennen waren die besonderen Augäpfel Mac Pellews und Carberrys, mitnichten jedoch von Old Donegal und Smoky.

Und darum donnerte jetzt Carberry: „Laß ja Don Philipp aus dem Spiel, Mister Smoky! Dem werden weder Schwanzfedern noch sonstwas rausgerissen. Eher reiß ich dir was aus. Und was meine Schreibkünste betrifft, kannst du ganz beruhigt sein. Ich habe jedenfalls Schreiben gelernt – schon als Bübchen. Und ich bringe es dir gern bei, obwohl man sagt, daß Kerle in deinem Alter bereits zu dusselig seien, das noch zu kapieren.“

„Stimmt!“ bestätigte Mac Pellew. „Was Klein-Smoky nicht lernt, lernt Groß-Smoky nie und nimmer.“

„Gentlemen!“ Der Kapitän stand wieder an der Balustrade. „Darf ich daran erinnern, daß wir die Insel Sokotra ansteuern? Wir können natürlich vorbeisegeln und gleich Kurs auf den Golf von Oman nehmen. Andererseits bietet der Haupthafen von Sokotra – das ist Tamarida an der Nordküste der Insel – die Möglichkeit, unsere Vorräte zu ergänzen und einen Landgang zu unternehmen. Aber das muß nicht sein, ganz und gar nicht. Nur solltet ihr euch entscheiden, was ihr wollt.“

„Wir sind alle für Landgang, Sir!“ rief der Profos. Er drehte sich zu den Mannen um. „Oder ist etwa einer dagegen?“

Old Donegal ließ wieder einen Spruch vom Stapel: „Meide Zauberer und Hexenmeister, sonst geht bald dein Schiff koppheister!“

Carberry warf ihm einen vernichtenden Blick zu und meldete seinem Kapitän: „Old Donegal ist dagegen, Sir, alle anderen sind dafür. Da die Mehrheit entscheidet, ist er überstimmt.“

„Ich bin nicht dagegen!“ rief Old Donegal. „Ich habe nur gewarnt! Außerdem ist es meine Pflicht, den Hexenmeistern auf den Zahn zu fühlen. Denn es sind die Scharlatane und Spiegelfechter, die Goldmacher und Schlangenbeschwörer, die entlarvt werden müssen, weil sie mit arglistigen Täuschungen das Volk verdummen!“

Kein Zweifel, Old Donegal, der sich als echter „Hinter-die-Kimm-Späher“ fühlte, war wild entschlossen, gegen die falsche „Konkurrenz“ zu Felde zu ziehen. Daß er die Arwenacks häufig genug selbst für dumm verkaufte, überging er großzügig.

Der Profos grinste und rief: „Alle sind dafür, Sir! Keine Gegenstimme mehr! Es sei denn, unser Freund Paddy hat noch nicht mitgekriegt, daß wir über was abgestimmt haben.“

„Doch, doch“, versicherte Paddy Rogers hastig, „ich bin auch dafür, daß die Weiberchen wegen der Hitze unverschleiert sind und sich nur karg bedecken. Das ist auch viel gesünder …“

Der Heiterkeitssturm erlöste den guten Paddy, sich weiter äußern zu müssen. Er freute sich mit, weil sich die anderen freuten, und er wäre keineswegs beleidigt gewesen, wenn ihn jemand einen Langsam-Denker genannt hätte. Sein Freund, Jack Finnegan, hatte ihm einmal gesagt, daß derjenige, der langsam gehe, auch ans Ziel gelange. Und mit dem Denken war das nicht anders. Wer langsam dachte, der dachte viel gründlicher als jene, die für jeden Topf immer sofort einen Deckel zur Hand hatten.

Als wieder Ruhe einkehrte, peilte Philip Hasard Killigrew seinen Profos an und sagte: „Einer hat nicht mit abgestimmt, Ed, nämlich der Kutscher. Aber die Mehrheit hat ja bereits entschieden. Außerdem war er es, der mir vorschlug, unsere Vorräte auf Sokotra zu ergänzen. Also gut, wir laufen Tamarida an, und wer Lust hat, kann sich an Land die Füße vertreten – oder die Sitten und Gebräuche der Inselbewohner studieren, um als geistig reger Mensch Vergleiche anzustellen.“ Hasard räusperte sich, und das gleiche tat der Profos.

Und Hasard fuhr fort: „Ich möchte hier nur ganz allgemein feststellen, daß eine Prügelei in einer Kneipe und das Auseinandernehmen derselben keineswegs identisch sind mit dem Studium der Sitten und Gebräuche von Insulanern. Letzteres ist sehr empfehlenswert, ersteres hingegen ist strikt zu vermeiden. Nicht wahr, Profos?“

„Aye, aye, Sir, sehr wohl“, verkündete Carberry mit der Biederkeit des frommen Pilgers. „Ich werde jedes einzelne dieser Rübenschweine scharfen Auges bewachen und zur Friedlichkeit ermahnen, wenn es anfangen sollte, herumzustänkern.“

„Das freut mich“, sagte Hasard, „denn ich möchte vermeiden, daß wir mit einer Crew durchs Arabische Meer segeln, die blind ist.“

„Blind, Sir?“ fragte der Profos. „Wie das?“

„Ganz einfach“, erwiderte Hasard, „wem die Klüsen dichtgeschlagen wurden, der sieht nichts mehr, nicht wahr?“

„Ah, Sir!“ rief der Profos. „Jetzt verstehe ich! Ja, da hast du recht. Eine blinde Crew können wir uns nicht leisten. Rechnest du mit arabischen Halsabschneidern?“

„Allerdings – und denen möchte ich nicht blind begegnen.“ Hasard nickte nachdenklich. „Schon deshalb solltet ihr auch in Tamarida aufpassen. Über den Hafen läuft der Ost-West-Handel und umgekehrt. Er bildet eine Art Knotenpunkt zwischen Indien und dem Mittelmeer. Auf dieser Strecke werden Handelsgüter verschifft, und da versammeln sich auch bekanntermaßen jene Freunde, denen der Begriff von Dein und Mein kein sonderlicher Unterschied bedeutet, wenn man das Mein mit dem Dein anreichern kann. Also: offene Augen in Tamarida, damit wir auch im Arabischen Meer noch sehen können.“

„Alles klar, Sir“, sagte der Profos. „Es wird keine dichtgeschlagenen Klüsen geben.“

Dein Wort in Gottes Ohr, dachte Hasard.

Es gab auch keine blauen Augen, aber der Wurm saß woanders, doch den konnten weder Hasard noch der Profos voraussehen – auch Old Donegal Daniel O’Flynn nicht, der sonst so scharfäugig hinter die Kimm schaute.

Am Nachmittag dieses Tages im Februar 1597 vertäute die „Santa Barbara“ an einer Pier im Hafen von Tamarida. Sie war nicht die einzige Galeone. Da lagen an den anderen Piers noch vier Handelssegler, die aus Spanien oder Portugal stammen mochten. Doch das Hafenbild bestimmten Baggalas, Sambuken, Bums, Zaruken und Ghanjas – lateinergetakelte Segler mit zwei oder drei Masten, sehr schlank im Rumpf und dennoch seetüchtig. Auch ein paar Schebecken lagen im Hafen.

Verblüffend für Hasard und seine Mannen: Da rückte kein Hafenkommandant oder sein Stellvertreter mit einer Abteilung schwerbewaffneter Uniformträger an, um kundzutun, was hier Gesetzes sei. Nichts davon. Da waren nur vier Kaftanträger, welche die Leinen wahrnahmen, sogar richtig über Poller belegten und sich wieder trollten, nachdem ihnen Carberry ein paar Silbermünzen in die Hand gedrückt hatte.

Allerdings: „Nackichte Weiberchen“ waren weit und breit nicht zu entdecken, nicht ein einziges, was Carberry mit Groll erfüllte und vermuten ließ, daß Marco Polo schlicht gelogen hatte. Oder er war wirklich nicht hiergewesen. Oder hundert Jahre hatten bewirkt, daß Adam und Eva anderen Sinnes geworden waren und ihre „karge Bedeckung“ aufgegeben hatten.

Da trugen allenfalls schwarzhäutige Männer, die aus Afrika stammen mußten, so etwas Ähnliches wie Lendenschurze. Aber die anderen? Die waren umhüllt: Araber, Inder, Ägypter, Griechen, Sudanesen, Juden, Jemeniten, Syrer, Perser …

Auch der Kutscher geriet durcheinander und gab es auf, dieses Völker-Wirrwarr noch beim Namen zu nennen.

Da hatte sich seit Marco Polo eben doch Entscheidendes verändert. Und nichts wies darauf hin, wo denn wohl die Sokotraner geblieben waren, wie sie aussahen, was sie an Kleidung allenfalls trugen – „vorne und hinten“, wie Marco Polo geschrieben hatte.

Nichts davon – dafür um so mehr eine erdrückende Vielfalt der unterschiedlichsten Menschen.

Old Donegal fühlte sich bestätigt. Also hatte Marco Polo gelogen! Hatte er das nicht gesagt? Ha! Hier wurde seine Aussage bestätigt – keine nackten Weiber, keine Hexer und Zauberer, allenfalls miese Scharlatane, denen er es schon zeigen würde.

Und den Kutscher, diesen Klugscheißer, der seine Weisheiten aus alten Schwarten bezog, den hatte er widerlegt.

Wer war denn jetzt der Idiot?

„Na?“ fragte Old Donegal süffisant den Kutscher und schwenkte den rechten Arm aus, um die Weite des Hafens anzudeuten. „Lauter nackichte Männlein und Weiblein, eh? Alles voll mit solchen Leutchen, wie ich sehe! Oder irre ich? Vielleicht sehe ich den Wald vor lauter Bäumen nicht, hä?“

„Daß du nur das siehst, was du sehen willst, ist ein alter Hut“, sagte der Kutscher trocken. „Und daß Marco Polo etwas beschrieb, was er vor hundert Jahren sah, interessiert dich einen Scheiß. Hauptsache, du hast recht.“

„Hab ich ja auch, wie zu bemerken ist.“ Old Donegal grinste infam. „Nichts Barbusiges auf weiter Flur, nur verhüllte Kerle und ein paar lendengeschürzte Schwarze, die hier als Lastenträger arbeiten. Dein Venezianer war ein Spinner – und wer seine Weisheiten aus Büchern bezieht, ist es auch.“

„Ach ja? Hast du mal die Bibel gelesen?“

„Ich? Natürlich, die kenne ich in- und auswendig.“

„Ein. Buch mit vielen Weisheiten, nicht wahr?“ fragte der Kutscher freundlich.

„So ist es, mit sehr vielen Weisheiten“, bestätigte Old Donegal.

„Nun denn“, sagte der Kutscher, „wenn in der Bibel sehr viele Weisheiten stehen, und du sie in- und auswendig kennst, dann bist du ein Oberspinner, denn eben hattest du erklärt, wer seine Weisheiten aus Büchern beziehe, sei ein Spinner! Kannst du mir noch folgen, mein Guter?“

Da hatte der Kutscher den „Guten“ prächtig geleimt. Doch der polterte: „Du bist ein verdammter Wortverdreher, Mister Kutscher! Und es ist infam, die Bibel mit dem Quark zu vergleichen, den dieser Polo-Dingsbums verzapft hat. Der hat überhaupt nicht gewußt, wovon er schreibt. Aus den Fingern gesogen, hat er sich das, ein Betrüger, der sich wichtig tun wollte. Aber auf so was fallen ja auch nur Spinner herein, die sich dann auch noch für weise halten und laut herumstrunzen, als hätten sie die Weisheit mit Löffeln gefressen.“

„Ja-ja, schon gut, Mister O’Flynn“, sagte der Kutscher. „Du weißt offenbar alles besser, und da ist es zwecklos, mit dir zu diskutieren. Du hörst auch gar nicht zu, hast deine vorgefaßte Meinung und willst unbedingt Recht haben. In Ordnung, es gibt hier keine spärlich bekleideten Leute – bis auf die Schwarzen –, und von Zauberei oder Hexerei ist auch nichts zu sehen – bis auf den Magier dort hinten bei den Ladebäumen zwischen Schuppen und Häusern!“

Und damit ließ der Kutscher Old Donegal stehen, um mit Mac Pellew an Land die Verkaufsstände zu besichtigen und Proviant einzukaufen.

Old Donegal bewaffnete sich mit einem Spektiv, stieg auf die Back und spähte zu dem Kerl, den der Kutscher als Magier bezeichnet hatte. Woher der das wohl wissen wollte! Ha!

Old Donegal stierte durch den Kieker – und fluchte. Stand ihm doch da so ein Kaftanträger in der Peilung! Old Donegal trat nach links, den Kieker am Auge. Jetzt? Nein, da hockte ein anderer Kaftanaffe. Noch weiter nach links. Und etwas vor. Vielleicht sollte er aufs Schanzkleid steigen.

Er stieg aber nicht. Er fiel. Und zwar durch die Pforte, die auf die Galion führte. Er rasselte mit Getöse den Niedergang hinunter, landete auf der Gräting, stauchte sich den linken Ellbogen und sah Sterne, weil er mit der Stirn aufs Grätingsholz schlug.

Himmelarschundmöwenspucke!

„Old Donegal ist auf die Galion hinuntergestürzt!“ brüllte einer – es war Luke Morgan.

Schritte polterten über Deck.

Old Donegal rappelte sich auf zum Sitz und betrachtete den Kieker. Der war verbogen. Sah aus wie ’ne Banane. Er linste hindurch. Natürlich! Kaputt das Mistding.

In der Pforte tauchte Carberry auf, ziemlich besorgt. Old Donegal konnte sich sonst was gebrochen haben. Der brachte die unmöglichsten Sachen fertig. Carberry war auf alles gefaßt, nur auf das nicht!

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