Kitabı oku: «Bis ich dich endlich lieben darf»
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-96140-006-5
© 2017 der deutschsprachigen Ausgabe by Joh. Brendow & Sohn Verlag GmbH, Moers
First published under the title “Just a kiss”.
© 2016 by Denise Hunter
Published by arrangement with Thomas Nelson, a division of HarperCollins Christian Publishing Inc.
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Antje Balters
Einbandgestaltung: Brendow Verlag, Moers
Titelfoto: fotolia tatyana_k
Satz: Brendow Web & Print, Moers
E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2017
INHALT
Cover
Titel
Impressum
KAPITEL 1
KAPITEL 2
KAPITEL 3
KAPITEL 4
KAPITEL 5
KAPITEL 6
KAPITEL 7
KAPITEL 8
KAPITEL 9
KAPITEL 10
KAPITEL 11
KAPITEL 12
KAPITEL 13
KAPITEL 14
KAPITEL 15
KAPITEL 16
KAPITEL 17
KAPITEL 18
KAPITEL 19
KAPITEL 20
KAPITEL 21
KAPITEL 22
KAPITEL 23
KAPITEL 24
KAPITEL 25
KAPITEL 26
KAPITEL 27
KAPITEL 28
KAPITEL 29
KAPITEL 30
KAPITEL 31
KAPITEL 32
KAPITEL 33
KAPITEL 34
KAPITEL 35
KAPITEL 36
KAPITEL 37
KAPITEL 38
KAPITEL 39
KAPITEL 40
KAPITEL 41
KAPITEL 42
KAPITEL 43
KAPITEL 44
KAPITEL 45
KAPITEL 46
DANKSAGUNGEN
KAPITEL 1
Paige Warren schaute auf die Uhr und versuchte zum x-ten Mal, an Miss Trudys Kopf mit dem silbergrauen Haar vorbeizuschauen, um etwas sehen zu können. Rileys Flieger war gelandet, und der stetige Strom von Passagieren, der sich in Richtung Gepäckabholung des Flughafens von Bangor bewegte, ließ langsam nach.
Rileys Brüder Beau und Zac Callahan, die sich mit ihrem pechschwarzen Haar sehr ähnlich sahen, standen nur wenige Schritte entfernt. Beide hatten die muskulösen Arme vor der Brust verschränkt, standen in ausladender Haltung und mit starrer Miene da und suchten die Menge fremder Gesichter nach demjenigen ab, den sie erwarteten.
„Müsste er nicht eigentlich schon längst da sein?“, fragte Paige und spielte mit dem Ring, den sie als Anhänger an ihrer Halskette trug.
„Mach dir mal keine Sorgen“, sagte Miss Trudy. „Der kommt schon noch.“
Sie sollte sich keine Sorgen machen? Im Grunde hatte sie seit dem mitternächtlichen Anruf vor drei Wochen nichts anderes mehr getan. Beaus Nachricht hatte sie dermaßen in Aufruhr versetzt, dass ihr heftiges Herzklopfen seitdem nicht wieder nachgelassen hatte.
Miss Trudy griff nach Paiges Hand, um sie zu beruhigen, und erst da merkte sie, dass sie die ganze Zeit den Ring an ihrer Kette hektisch hin und her schob.
„Du machst mich ganz verrückt mit dem Gefummel“, sagte Miss Trudy.
„Ich kann wirklich nichts dafür. Ich bin erst beruhigt, wenn ich sehe, dass es ihm gut geht.“
„Er kommt nach Hause“, sagte Tante Trudy darauf nur. „Alles wird gut.“
„Ja, klar … aber …“
„Jetzt mal mal nicht den Teufel an die Wand. Beau hat gesagt, dass er gut drauf war, als er mit ihm gesprochen hat, und wir können Gott ja dankbar sein, dass er überhaupt wieder nach Hause kommt.“
„Ich weiß. Du hast ja recht.“
Wer hätte denn vor fünfzehn Monaten – als Riley nach Afghanistan zum Einsatz ausgeflogen worden war – gedacht, dass er schon im Juni wieder nach Hause kommen würde? Und dann noch so? Seit dem Anruf hatte es so viel zu entscheiden und zu organisieren gegeben, und den Löwenanteil der Aufgaben hatte Paige übernommen. Es hatte sie beruhigt, wenigstens etwas zu tun zu haben.
Riley war ein starker Mann – schon immer gewesen –, aber sie konnte sich nicht vorstellen, dass es überhaupt jemanden gab, der mit so etwas leicht fertigwurde. Es kamen große Veränderungen auf sie zu, aber sie war fest entschlossen, für ihren besten Freund da zu sein, so wie auch er in jeder Schwierigkeit und Krise für sie da gewesen war, seit sie vierzehn war – besonders nach dem Tod ihres Vaters. Riley hatte ihr nächtelang einfach nur zugehört, wenn sie versucht hatte, ihren unverarbeiteten Zorn zu entwirren.
„Wo bleibt er denn nur?“, fragte Beau jetzt und schlenderte noch einmal ein Stück von ihnen weg, Zac dahinter, der alle anderen weit überragte.
„Ihr macht mich alle ganz nervös mit eurem Gezappel und Herumtigern“, sagte Miss Trudy.
Da legte Beau seiner Tante den Arm um die Schultern und verkündete: „Es sind alle draußen. Jetzt müsste er eigentlich kommen.“
„Vielleicht hat er den Flug ja gar nicht geschafft“, sagte Paige. Bei diesem Gedanken sackte ihr der Magen bis in die Kniekehlen. Die Warterei der vergangenen Wochen war für sie alle eine echte Tortur gewesen. Eigentlich hatte Beau nach Deutschland fliegen wollen, um bei seinem Bruder zu sein und ihm beizustehen, doch davon hatte Riley nichts wissen wollen.
„Er wird schon kommen“, sagte Zac jetzt und fuhr sich mit der Hand über seinen kurz gestutzten Bart. Mit Lucy neben sich sah er fast ein bisschen deplatziert aus. Die beiden waren seit ihrer Hochzeit im vergangenen Herbst praktisch an der Hüfte zusammengewachsen.
Zwischen dem frischgebackenen Ehepaar Zac und Lucy und den Verlobten Beau und Eden fühlte sich Paige in letzter Zeit oft ein bisschen wie das fünfte Rad am Wagen, und auch deshalb freute sie sich darauf, Riley wieder zu Hause zu haben. Seit er weg war, hatte sich eigentlich nichts mehr richtig angefühlt. Sie hatte zwar Freundinnen, aber niemanden, der sie so gut kannte und verstand wie Riley.
Vielleicht ist es ja auch zuerst noch eine Weile ziemlich ungewohnt, ermahnte sie sich. Sie durfte auf keinen Fall erwarten, dass der alte Riley um die Ecke kam. Sie hatte ein bisschen recherchiert, und trotz all des Positiven, das Beau über die Stimmung seines Bruders zu berichten gehabt hatte, rechnete sie auch mit Schwierigkeiten, und deshalb musste jetzt einmal sie die Starke sein.
Riley Callahan schenkte der attraktiven Brünetten, die den leeren Rollstuhl die Fluggastbrücke zu ihm hinunterschob, sein charmantestes Lächeln. Sie war groß und schlank, etwa in seinem Alter, und nach der langen Zeit unter Männern war der Anblick eines weiblichen Wesens immer noch eine echte Wohltat. Als die Mitarbeiterin des Bodenpersonals am Ende der Fluggastbrücke ankam, wo er im Bordrollstuhl wartete, sagte sie:
„Mr. Callahan? Ich bin hier, um Ihnen zu helfen.“ Ihr professioneller Tonfall passte zu ihrer emotionslosen Miene.
Ihr geschäftsmäßiges Lächeln sorgte dafür, dass seine Mundwinkel nach unten gingen.
Jetzt komm mal runter, du Spinner. Mädchen flirten nicht mit Jungs im Rollstuhl.
Noch einen Monat zuvor hätte die Frau mit Sicherheit ganz anders auf ihn reagiert, hätte vielleicht sogar mit ihm geflirtet und versucht, ihm ihre Telefonnummer zuzustecken. Doch damit war es jetzt vorbei. Alles war anders. Die Menschen sahen immer zuerst seinen Rollstuhl und dann erst ihn. Und dieser er, den sie sahen, war derselbe, den er sah, wenn er in den Spiegel schaute.
Die Frau schob den leeren Rollstuhl neben seinen und stellte die Bremse fest. „Brauchen Sie Hilfe beim Umsteigen?“
„Nein, das schaffe ich allein“, erklärte er, holte dann einmal tief Luft und stieg unbeholfen und umständlich in den anderen Rollstuhl um. Dabei spannten sich seine Armmuskeln unter seinem Gewicht an, und die Aktion bereitete ihm solche Schmerzen, dass er die Zähne zusammenbeißen musste, bis er richtig saß.
Bei dem Umsteigemanöver fiel dann auch noch seine Reisetasche auf den Boden – ein passendes Bild für seine Würde. Aber während Riley die Tasche wieder aufheben konnte, gestaltete sich das mit seiner Würde schwieriger.
„Sitzen Sie bequem, Sir?“
„Ja, danke.“
Er hatte in der vergangenen Nacht nur zwei Stunden geschlafen, sein Bein tat höllisch weh, er wurde wie ein Krüppel einfach in einen Rollstuhl verfrachtet, und das dann auch noch ausgerechnet von einer Frau wie dieser.
Das alles kam ihm völlig verrückt und falsch vor.
Die Betreuerin löste jetzt die Bremsen seines Rollstuhls und schob ihn die Fluggastbrücke hinauf.
Wenigstens war er endlich aus dem Flieger heraus. Der Weg in dem Bordrollstuhl zur Toilette war so demütigend gewesen. Zwischendurch hatten sich immer wieder Mitpassagiere für seinen Dienst fürs Vaterland bei ihm bedankt und für das Opfer, das er dafür gebracht hatte, aber er wäre jedes Mal am liebsten unter seinen Sitz gekrochen.
Als sie beim Gate ankamen, strich ihm die kühle Zugluft der Klimaanlage über die Haut. Er war wieder daheim – zurück in Maine –, und nur wenige Meter entfernt wartete seine Familie auf ihn. Seine Brüder, seine Tante und Paige. Schon seit Monaten hatte er Sehnsucht nach ihnen, ganz besonders nach Paige.
Aber nicht so.
Ihm war eng um die Brust, und er atmete so schwer, als hätte er gerade einen Marathon absolviert, auch wenn das in nächster Zeit eher unwahrscheinlich war. Er konnte froh sein, wenn er irgendwann wieder humpeln konnte, und selbst das war höchstwahrscheinlich erst nach monatelanger schmerzhafter Physiotherapie möglich. Sein Blick ging hinunter auf seine Beine.
Auf sein Bein.
Das rechte Hosenbein lag schlaff an der Stelle, wo eigentlich sein Knie hätte sein müssen, und das Bein endete in einem grotesken Stumpf, der abwechselnd wehtat und juckte. Die vergangenen drei Wochen waren ein einziger Albtraum gewesen. Erst die Operation und dann die schmerzhafte Genesung. Nicht zu vergessen die Albträume. Psychisch war er ständig am Ende, und düstere Gedanken zogen ihn immer weiter in den Schatten.
Schon das Heimkommen war für ihn eine echte Herausforderung. Er wollte nicht, dass sie ihn so sahen. Wer hätte denn bei seiner Abreise gedacht, dass er nur als halber Mann wieder zurückkehren würde?
Er hielt sich jetzt an den metallenen Armlehnen des Rollstuhls fest, schluckte gegen den Kloß in seinem Hals an, und im Nacken und auf der Stirn brach ihm der Schweiß aus. Seine düsteren Gedanken drohten ihn zu überwältigen, und er kämpfte mit allem, was er hatte, dagegen an.
Improvisieren. Anpassen. Überwinden.
Fünfzehn Monate lang waren ihm diese Worte eingebläut worden und hatten ihm auch tatsächlich geholfen, wirklich schlimme Situationen zu überstehen, doch in diesem Moment halfen sie ihm kaum.
Komm schon, Mann, Kopf hoch. So kannst du ihnen nicht gegenübertreten.
Seine Brüder hatten sich so lange Sorgen um ihn gemacht, und das nur, weil er so blöd gewesen war, sich gleich nach dem Tod ihres Vaters freiwillig zur Army zu melden. Gleich nachdem …
Nein. Daran durfte er jetzt nicht denken. Es genügte zu sagen, dass er aus den falschen Motiven gegangen war, aber das ging niemanden außer ihn etwas an. Seine Familie hatte seinetwegen schon genug durchgemacht.
Der Rollstuhl holperte über eine kleine Erhöhung, sodass sein Bein angestoßen wurde und er vor Schmerz zusammenzuckte. Seine eine Hand lag auf der Hosentasche, in der das Foto von ihr steckte, und sein Herz pochte heftig, als er sich bewusst machte, dass er sie jetzt gleich sehen würde – und nicht nur ein Foto oder ihr Bild über Skype. Es kam ihm vor wie eine Ewigkeit, dass er ihr in die meerblauen Augen geschaut, dem femininen Singsang ihrer Stimme gelauscht und ihren süßen, blumigen Duft gerochen hatte.
Unter anderen Umständen hätte er das Wiedersehen mit ihr kaum erwarten können. Er wäre auf seinen zwei Beinen auf sie zumarschiert und hätte ihr wie geplant die Wahrheit gesagt. Aber dann hatte eine Bombe alles verändert. Alles, was er jetzt noch plante, drehte sich darum, zu überlegen, wie er Abstand zu seiner Familie halten konnte, ohne ihre Gefühle zu verletzen.
KAPITEL 2
„Ist das Ihre Familie?“, fragte die Frau, die Rileys Rollstuhl schob.
Sein Blick ging zum Eingang der Gepäckabholung, wo sie alle in einer Traube beieinanderstanden. Er straffte die Schultern, hob eine Hand, verzog den Mund zu einem breiten Lächeln und achtete darauf, dass seine Augen wenigstens so aussahen, als würden sie mitlachen.
Beau winkte zurück, während sein anderer Arm um Tante Trudys Schultern gelegt war. Zac, der wie ein langer Schatten hinter ihnen aufragte, grinste ebenfalls. Als Rileys Blick dann weiterging zu Paige, blieb ihm die Luft weg.
Sie war ja noch schöner, als er sie in Erinnerung hatte. Ihr seidiges Haar war blonder und länger als damals, und er hatte ganz vergessen, wie die leichten Rundungen ihre sportliche Figur weicher machten. Der Anblick ihrer sonnengebräunten Beine löste Gedanken bei ihm aus, die er eigentlich nicht hätte haben sollen.
Sie hielt sich die Hände vor den Mund, und ihr kamen die Tränen, während er näher gerollt kam, und als er nur noch eine Armeslänge entfernt war, machte sie einen Satz auf ihn zu und ging auf die Knie. Dann schlang sie ihm die Arme um den Hals und vergrub ihr Gesicht an seiner Schulter.
Er hielt sie ganz fest, schloss die Augen, und einen Moment lang gab es nur sie beide – wie in alten Zeiten. Seelenverwandte. Callahan und Warren. Wie hatte er sie vermisst! Ganz tief atmete er einmal ihren Duft ein, den Duft von Blumen, Sonnenschein und Zuhause. Er vergrub seine Nase in ihrem Haar und erinnerte sich an jede Nacht, die er auf seiner Pritsche gelegen, ihr Bild betrachtet und diesen Augenblick herbeigesehnt hatte.
Ein erstickter Laut kam aus seiner Kehle, den er aber überspielte, indem er herzhaft lachte. Dann legte er noch etwas mehr Kraft in seine Stimme und sagte: „Hey, ist ja alles gut. Was soll denn das, Warren? Du weinst doch nicht etwa, oder?“
Daraufhin richtete sich Paige wieder auf, gab ihm einen festen Klaps auf die Schulter, wischte sich verstohlen die Augen und sagte: „Mann, ich habe dich vermisst. Hast du Schmerzen? Soll ich dir deine Medikamente herausholen?“
Na super … noch mehr Wirbel um ihn. „Nicht nötig. Ich habe schon im Flieger was bekommen. Alles in Ordnung. Absolut fantastisch.“
Jetzt mischte sich Beau ins Geschehen ein und drängte Paige ein bisschen beiseite. Er packte Rileys Hand mit dem Bruder-Griff und sagte: „Gut, dass du wieder da bist, Bruderherz. Wir haben uns schreckliche Sorgen um dich gemacht.“
„Ja, ich bin auch froh, wieder hier zu sein.“
Zac strich mit der einen Hand über Rileys Bürstenhaarschnitt und bemerkte: „Hey, man kann dir ja gar nicht mehr richtig durchs Haar zausen. Das macht gar keinen Spaß.“
„Hallo, Zac“, sagte Riley und lächelte zu seinem Bruder hinauf. „Schön, deine hässliche Visage wiederzusehen. Also, ich muss schon sagen, von hier unten siehst du praktisch aus wie ein Riese.“
„Ein Grund mehr für dich, möglichst schnell wieder auf die Beine zu kommen“, entgegnete Zac darauf.
„Hallo …?“, begrüßte ihn jetzt Tante Trudy aus dem Hintergrund. „Ich weiß ja, dass ich nur die alte Tante bin, aber bin ich vielleicht auch mal an der Reihe?“
Riley lächelte in ihre Richtung und streckte ihr seinen Arm entgegen. „Na, dann komm doch mal her, Tantchen.“
Sie zwängte sich zwischen Beau und Paige und umarmte ihn. Sie roch nach Zitronen und Stärke, und ihre schmalen Schultern und dünnen Arme fühlten sich zerbrechlich an. Doch das täuschte. Wenn es darauf ankam, konnte sie mit nur einem Blick eine ganze Armee aufhalten.
„Du liebe Güte, du bist ja breiter als der Stuhl. Haben jetzt auch deine Muskeln noch Muskeln bekommen?“
„Ja, so in etwa“, sagte er, als sie sich wieder von ihm gelöst hatte.
„Wie war denn dein Flug?“, erkundigte sich jetzt Beau. „Konntest du ein bisschen schlafen?“
Riley schaute verstohlen zu Paige hinüber, die sich noch einmal die Augenwinkel wischte, und antwortete dann: „Ja, ein bisschen.“ Dann schaute er wieder zu Tante Trudy und sagte: „Also, was ich jetzt wirklich gebrauchen könnte, wäre ein großes Stück von deinem berühmten Braten. Und zwar je eher, desto besser.“
„Na, da hast du aber Glück“, erklärte sie. „Es steht nämlich tatsächlich schon ein Topf mit einem großen Braten in Paiges Wohnung bereit.“
„Dazu Maisbrot, Kartoffelbrei und Paiges Pekannusskuchen“, fügte Zac noch hinzu.
Riley hielt sich den Bauch. „Oh Mann, ihr bringt mich ja um. Ich kann gar nicht sagen, was am schlimmsten war – die Fertiggerichte beim Einsatz, das Krankenhausessen oder der Fraß im Flieger.“
„Muss noch Gepäck abgeholt werden, das du eingecheckt hattest?“, fragte Tante Trudy jetzt, trat hinter seinen Rollstuhl und löste die Bremsen.
„Nur mein Rollstuhl. Diesen hier muss ich zurückgeben.“ Dann klatschte er ein Mal in die Hände und erklärte: „Okay. Dann lasst uns mal aufbrechen. Ich kann es kaum erwarten, nach Hause zu kommen, etwas Gutes zu essen und dann in meinem eigenen Bett zu schlafen.“ Sein Zuhause war ein Zimmer im hinteren Teil von Zacs Restaurant, das er gemietet hatte – nicht groß, aber seins.
Zac und Beau erstarrten beide ganz kurz und tauschten vielsagende Blicke, Paige trat von einem Bein aufs andere, und Tante Trudy kramte in ihrer Handtasche herum, als suchte sie etwas – sodass er plötzlich ein mulmiges Gefühl im Bauch hatte. „Was ist denn? Gibt es irgendetwas, das ich wissen sollte?“
„Äh, also …“, Zac konnte ihm nicht in die Augen sehen, als er erklärte: „Also dein altes Zimmer gibt es leider nicht mehr. Ich habe im Winter die Küche vergrößert, und eigentlich hatten Lucy und ich vor, dir dafür das Gästezimmer oben zu überlassen, wenn du wieder nach Hause kommst, aber …“ Er sprach nicht weiter, sondern schaute auf Rileys Bein.
Klar, mit nur einem Bein ging das nicht. Er hätte es mithilfe der Krücken vielleicht geschafft, die Treppe hinaufzukommen, aber jede Bewegung war mühsam und tat weh. Und das Allerletzte, was er gebrauchen konnte, war ein Sturz, der ihn wieder zurückwarf.
Sein Magen fühlte sich in diesem Moment an wie ein Ballon, aus dem alle Luft entwich. So viel dann also zu seinem Bedürfnis nach ein bisschen Privatsphäre im eigenen Zimmer. „Na, dann werde ich ja wahrscheinlich auf der Farm untergebracht, oder? Das ist doch völlig in Ordnung“, sagte er, so locker er konnte.
Tante Trudy hatte sich vor einiger Zeit das Bein gebrochen, und daraufhin war das ehemalige Esszimmer für besondere Anlässe zu einem Schlafzimmer umgestaltet worden. Er versuchte, sich seine Sorge darüber nicht anmerken zu lassen, dass Tante Trudy sieben Tage die Woche rund um die Uhr um ihn herumwuseln würde, aber da setzte Zac bereits an: „Äh, also …“ Er rieb sich den Nacken in sichtlichem Unbehagen und fuhr fort: „Auf der Farm wird zurzeit renoviert.“ Dabei schaute er Riley auf eine Art an, dass bei ihm alle Alarmglocken losgingen.
„Wir haben gerade angefangen“, sagte Beau. „Das war Tante Trudys Hochzeitsgeschenk für Eden und mich, und deshalb herrscht momentan im gesamten Erdgeschoss das pure Chaos.“
„Und es dauert noch mindestens einen Monat, bis alles fertig ist“, erklärte Tante Trudy.
„Aber mach dir keine Sorgen“, mischte sich jetzt Paige ein und tätschelte ihm die Schulter. „Ich habe ihnen von Anfang an gesagt, dass ich dich gern bei mir aufnehmen würde. Ich habe doch das hübsche große Schlafzimmer im Erdgeschoss. Das ist perfekt für dich. Die alten Türen sind schön breit, und deine Brüder haben schon eine Rampe mit Handläufen aufgebaut.“
Um ihn her verschwamm alles, und seine Gedanken wirbelten wild durcheinander. Er sollte bei Paige wohnen? Sein Blick ging zu Zac, der ihm eine Art telepathischer Entschuldigung schickte, und dann wieder zurück zu Paige, der die Worte auf den Lippen erstarben … wahrscheinlich wegen seiner Miene.
Sie sah ihn irritiert an und fragte: „Ist … ist das nicht in Ordnung? Möchtest du lieber woanders wohnen?“ In der Tiefe ihrer blauen Augen blitzte ganz kurz etwas Verletztes auf – aber nur ganz kurz –, bevor sie ihn mit einem Lächeln bedachte, das er ihr aber nicht abnahm. Dazu kannte er sie einfach schon zu lange.
Verdammt, jetzt saß er in der Klemme. Er zwang sich, ebenfalls zu lächeln, und sagte: „Ja. Ich meine, nein. Das ist toll. Echt fantastisch. Aber ich kann dich doch unmöglich aus deinem eigenen Schlafzimmer vertreiben. Wenn ich bei dir unterkomme, dann schlafe ich natürlich auf dem Sofa.“
Da richtete Paige sich etwas auf und entgegnete: „Das kommt gar nicht infrage. Außerdem habe ich meine Sachen schon nach oben geräumt.“
Sein Blick ging daraufhin noch einmal kurz zu Zac, bevor er wieder Paige anschaute, immer noch lächelnd, was gar nicht so einfach war mit dem völlig verkrampften Kiefer. „Du bist ein echter Kumpel, Warren. Hey, wieso geht ihr nicht schon mal los und holt den Wagen, und Zac hilft mir, meinen Rollstuhl zu holen und umzusteigen? Wir treffen uns dann gleich draußen am Ausgang.“
Zac trat hinter ihn, schob Tante Trudy beiseite und bemerkte: „Je früher wir zu Hause sind, desto früher bekommen wir was von dem leckeren Braten.“
„Ja, genau das habe ich auch gerade gedacht“, erklärte Riley.
Die anderen gingen also Richtung Ausgang, und Zac setzte den Rollstuhl Richtung Gepäckabholung in Bewegung. Mit zitternden Fingern rieb sich Riley über den Mund und versuchte den Sturm zu beschwichtigen, der sich in seinem Inneren zusammenbraute. Wie sollte er es schaffen, die nächsten Wochen – wie viele es auch immer werden mochten – so eng mit Paige zusammen zu überstehen?
Aber hatte er denn eine Wahl? Es war ja nicht so, dass er jede Menge Erspartes auf der Bank gehabt hätte, um sich selbst eine Wohnung oder ein Haus mieten zu können. Und selbst wenn, wäre er ja gar nicht in der Lage, sich selbst zu versorgen – so gern er das auch geleugnet hätte.
Schon allein der Gedanke, dass sie den ganzen Tag um ihn herumwuselte, ihm beim Anziehen half und bei anderen Dingen, bei denen er Hilfe brauchte …
Willst du mich jetzt etwa hier umbringen, Gott? Kannst du mir nicht wenigstens ein ganz klein wenig Würde lassen? Ist das wirklich zu viel verlangt?
So viel also zu seinen Plänen, für genügend Abstand zu seinen Lieben zu sorgen. Er würde auf 55 Quadratmetern im Erdgeschoss eines Bungalows festsitzen, und zwar ausgerechnet zusammen mit Paige.
Und das war alles Zacs Schuld. Riley klammerte sich jetzt so intensiv an den metallenen Armlehnen des Rollstuhls fest, dass es wehtat und er Mühe hatte, die Fassung zu wahren, während er seiner Familie beim Verlassen der Ankunftshalle nachschaute. Dann wandte er sich an Zac und fragte: „Was um Himmels willen habt ihr euch dabei gedacht, mich bei Paige unterzubringen? Ist dir eigentlich klar, was du da angerichtet hast?“
„Jetzt aber mal langsam“, sagte Zac und blieb vor dem Kofferkarussell stehen. „Erstens war das eine Gemeinschaftsentscheidung, also ist es nicht …“
„Aber du bist der Einzige, der es weiß. Ich habe gedacht, dass du mir Rückendeckung gibst, Mann.“
„So viele Möglichkeiten gab es ja nicht, Riley“, verteidigte sich Zac.
„Aber jede andere wäre besser gewesen als diese!“
„Jetzt beruhige dich doch erstmal. Ich hab’s ja kapiert.“ Zac stellte die Bremse des Rollstuhls fest und fuhr fort: „Aber vielleicht könntest du das Ganze ja auch als Chance betrachten, oder?“
„Als Chance wozu? Dass Paige mir beim Wechseln der blutigen Verbände und beim Duschen hilft und mich wie einen verdammten Krüppel versorgt? Hast du an diese Art Chance gedacht? Ich war eigentlich ziemlich sicher, dass mein Stolz schon den Bach runter ist, aber wer weiß, vielleicht schaffen wir es ja, ihn noch ein bisschen weiter abwärtszutreiben.“
Zac, der jetzt ziemlich zerknirscht dreinschaute, nahm den zusammengefalteten Rollstuhl vom Gepäckkarussell und klappte ihn auseinander. „Du hast eine Menge durchgemacht, Riley, das habe ich ja kapiert, aber sie ist deine beste Freundin und möchte dir helfen. Es fühlt sich wirklich sehr viel besser an, dir ganz praktisch helfen zu können, als zu wissen, dass du Tausende von Kilometern entfernt bist, und völlig ohnmächtig zu sein. Vielleicht bringt euch das Ganze ja auch näher zusammen. Vielleicht ist das deine Chance.“
Riley stieß ein trockenes, freudloses Lachen aus. „Ja, klar. Ich bin genau das, was sie sich immer erträumt hat – ein Krüppel.“
Ganz kurz flackerte daraufhin etwas in Zacs Blick auf, und er sagte: „Aber du bist doch immer noch derselbe Mensch, Riley.“
Nicht annähernd. Nicht äußerlich und schon gar nicht innerlich. Er presste die Lippen kurz ganz fest aufeinander, bevor er es aussprach.
Nichts würde jemals wieder so sein, wie es gewesen war. Paige hatte nur das Beste verdient, und das war ganz sicher nicht er.
Zac musterte Riley jetzt mit leicht zusammengekniffenen Augen und fragte: „Was ist mit deinem breiten Grinsen passiert, Bruderherz?“
Daraufhin presste Riley die Kiefer nur noch fester aufeinander und drehte sich zu dem Gepäckband um, das quietschend seine Endloskreise zog. „Schieb den Stuhl bitte hier rüber“, sagte er nur.
„Wieso habe ich nur das Gefühl, dass es dir nicht halb so toll geht, wie du behauptest?“, fragte Zac jetzt.
Riley brauchte eine ganze Weile, bis er daraufhin seine Fassung zurückgewonnen hatte, und sagte: „Mir geht es gut. Ich wollte nur … ach, eigentlich hatte ich vor, ein bisschen mehr Abstand zu Paige zu bekommen. Und jetzt sitze ich ausgerechnet bei ihr fest.“ Er sah Zac mit versteinertem Blick an und fuhr fort: „Wenn ich versuche, aus der Nummer herauszukommen, dann werde ich ihr wehtun, oder sie merkt, dass etwas im Busch ist, und das wäre noch schlimmer.“
Der Argwohn wich langsam aus Zacs Blick, während er den Rollstuhl heranschob und die Bremse feststellte. „Aber das wäre doch auch kein Weltuntergang, oder?“, fragte er.
„Vergiss es“, antwortete Riley.
Er würde es einfach über sich ergehen lassen müssen, indem er sich bis zur Erschöpfung in seine Übungen und Therapien reinhängte, um möglichst schnell eine Prothese zu bekommen und wieder selbstständig leben zu können. Je früher er wieder allein zurechtkam, desto schneller könnte er wieder aus Paiges Leben – und aus Summer Harbor – verschwinden, und zwar endgültig.