Kitabı oku: «Ich weiß nur, dass ich dich liebe»

Yazı tipi:

DENISE HUNTER


Aus dem Amerikanischen

von Antje Balters


ISBN 978-3-86506-962-7

© 2017 der deutschsprachigen Ausgabe by Joh. Brendow & Sohn Verlag GmbH, Moers

First published under the title „The Goodbye Bride”.

© 2015 by Denise Hunter

Published by arrangement with Thomas Nelson, a division of HarperCollins Christian Publishing Inc.

Aus dem Amerikanischen übersetzt von Antje Balters

Einbandgestaltung: Brendow Verlag, Moers

Titelfoto: fotolia jackfrog

Satz: Brendow Web & Print, Moers

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2017

www.brendow-verlag.de


Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Eins

Zwei

Drei

Vier

Fünf

Sechs

Sieben

Acht

Neun

Zehn

Elf

Zwölf

Dreizehn

Vierzehn

Fünfzehn

Sechszehn

Siebzehn

Achtzehn

Neunzehn

Zwanzig

Einundzwanzig

Zweiundzwanzig

Dreiundzwanzig

Vierundzwanzig

Fünfundzwanzig

Sechsundzwanzig

Siebenundzwanzig

Achtundzwanzig

Neunundzwanzig

Dreissig

Einunddreissig

Zweiunddreissig

Dreiunddreissig

Vierunddreissig

Fünfunddreissig

Sechsunddreissig

Siebenunddreissig

Achtunddreissig

Neununddreissig

Vierzig

Einundvierzig

Zweiundvierzig

Epilog

Danksagungen


EINS

Lucy Lovett öffnete die Augen und spürte sofort den pochenden Schmerz in ihrem Hinterkopf. Sie stöhnte und fasste sich an die Stelle, an der sich unter ihrem braunen Haar deutlich tastbar eine Beule abhob.

Sie schloss die Augen wieder und nahm jetzt weitere Einzelheiten wahr. Sie lag mit einer Wange auf einer kalten, harten Fläche, ihre Körpermitte war irgendwie eingeschnürt wie von einem Korsett, und ihre Zehen fühlten sich eingezwängt an.

Irgendwo in der Ferne war das Quietschen von Gummisohlen auf Linoleum zu hören, dann ein dumpfes Geräusch, und kühle Luft zog über sie hinweg.

Jemand gab einen Schreckenslaut von sich: „Oh nein! Miss? Ist alles in Ordnung, Miss? Ach du liebe Güte!“

Lucy öffnete wieder die Augen und drehte sich auf den Rücken, sodass die Beule am Hinterkopf auf den harten Boden traf. „Aua!“

Ihr Blick schweifte erst über die Deckenverkleidung, die voller Wasserflecken war, und dann abwärts zum rundlichen Gesicht einer brünetten Frau mittleren Alters.

„Wie viele Finger zeige ich?“, fragte die Frau. Drei pummelige Finger versperrten Lucy den Blick.

„Was ist denn passiert?“, fragte sie.

„Ach, können Sie sich nicht mehr erinnern?“

Lucy schaute sich hektisch in dem Raum um. In ihrem Blickfeld befanden sich mehrere graue Toilettenkabinen, ein fleckiger Fußboden und zwei Keramikwaschbecken mit verrosteten Armaturen und Abflussrohren. Dann fiel ihr Blick auf ein gelbes Klappschild mit dem Warnhinweis: Vorsicht, Rutschgefahr.

Zur Veranschaulichung war noch ein stürzendes Strichmännchen darauf abgebildet.

„Ich bin hingefallen.“

Oder? Ja, so musste es gewesen sein. Wieso lag sie sonst mit einer Beule am Kopf auf dem nassen Boden? Als sie die Stelle an ihrem Kopf noch einmal betastete, zuckte sie wieder zusammen.

„Können Sie aufstehen? Ach, Sie haben sich den Kopf verletzt? Vielleicht sollten wir doch lieber einen Krankenwagen rufen.“

„Nein!“ Schon allein der Gedanke ans Krankenhaus sorgte dafür, dass sie sich rasch aufsetzte. „Hören Sie, ich bin nur …“ Sie senkte den Blick, schaute auf ihren Schoß und betrachtete das duftige weiße Kleid, das sie trug. Ihr Blick wanderte weiter zu der zarten Perlenstickerei an der Korsage und zu den bloßen Schultern. Ihre Gedanken gingen wild durcheinander auf der Suche nach Antworten, aber es kam nichts dabei heraus als jede Menge durcheinandergewürfelter Puzzleteile.

„Sagen Sie mir doch, mit wem Sie da sind, dann sage ich Bescheid, dass etwas passiert ist“, bot die Frau an.

„Ich – ich bin allein.“ Oder? Wieso konnte sie sich nicht erinnern?

„Dann rufen wir jemanden an. Vielleicht Ihren Bräutigam? Aber als Erstes hole ich Ihnen jetzt etwas zum Kühlen für Ihren Kopf, und dann sagen wir ihm Bescheid. Er ist sicher schon sehr in Sorge.“

Die Frau huschte zur Tür hinaus, während Lucy versuchte, die Fakten zusammenzusetzen, die ihr durch ihren dröhnenden Kopf gingen. Es konnte unmöglich ihre Hochzeit sein. Das ergab keinen Sinn, denn bis dahin war es doch noch über einen Monat. Vielleicht war sie ja bei einem Anprobetermin für ihr Brautkleid. Aber wieso konnte sie sich an absolut gar nichts erinnern? Weder daran, wie sie in das Brautkleid hineingekommen war, noch, wie sie hingefallen war?

Denk nach, Lucy. Denk nach.

Das Letzte, was sie wusste, war, dass sie am Abend zuvor mit Zac zusammen im Restaurant aufgeräumt und die Stühle hochgestellt hatte. Danach hatte er sie zu Fuß zu ihrer Wohnung gebracht. Der kühle Wind hatte ihm sein ziemlich langes schwarzes Haar zerzaust, er hatte ihr seine Jacke um die Schultern gelegt, und sie hatten geredet, bis sie vor ihrer Haustür angekommen waren. Dort hatte sie im Schein der Außenlampe in sein hübsches Gesicht geschaut – in seine ungestümen grauen Augen – und ein ganz klein wenig Angst verspürt. Die quälende Sorge, dass irgendetwas furchtbar schiefgehen könnte und sie den einen Menschen verlöre, den sie brauchte wie die Luft zum Atmen.

Vor dem Eingang zur Toilette waren jetzt Schritte zu hören und holten sie in die Gegenwart zurück. Es ging ihr gut. Sie musste nur aufstehen und Zac finden. Er würde ihr helfen, das alles hier zu verstehen.

Lucy zog die Knie an den Körper heran, rutschte mit dem Rücken zur weißgefliesten Wand und schob sich daran hoch, bis sie saß. Ihr Blick fiel auf die weißen Satinschuhe, in denen sich ihre Zehen so eingezwängt anfühlten. Es waren hochhackige Slingpumps mit Peeptoes und winzigen Schleifen, die sie ein paar Wochen zuvor bei einem Online-Schuhversand so bewundert hatte, die sie sich aber absolut nicht hatte leisten können. Deshalb hatte sie sie auch nicht bestellt, sondern ein süßes (wenn nicht sogar entzückendes) Paar in einer Boutique in Summer Harbor gekauft.

Noch einmal schaute sie auf die Schuhe, aber es waren tatsächlich die teuren Designerschuhe.

In dem Moment wurde die Tür aufgestoßen, und die rundliche Frau, die sie gefunden hatte, tauchte mit einem Eisbeutel auf. Sie half Lucy auf, die sich den Eisbeutel auf die Beule an ihrem Kopf legte, in dem anscheinend ein Presslufthammer am Werk war – jedenfalls fühlte es sich so an. Der Schmerz war so heftig, dass sie nur unscharf sehen konnte und blinzeln musste.

„Kommen Sie, Schätzchen, setzen Sie sich erst mal auf einen Stuhl. Ich glaube, Sie sollten lieber Ihren Kopf röntgen lassen – nur zur Sicherheit. Sie kommen mir nämlich ein bisschen benebelt und durcheinander vor“, sagte die Frau.

„Aber es geht mir wirklich gut. Ich muss meinen Verlobten anrufen.“

„Natürlich müssen Sie das! Bei meinem Handy ist der Akku leer, aber die Geschäftsführerin leiht Ihnen bestimmt ihres. Ich glaube, sie hat schreckliche Angst, dass Sie sie verklagen.“

Die Damentoilette, in der sie gestürzt war, gehörte zu einem klassischen amerikanischen Diner, das mit seinen roten Kunstledersitzbänken und dem schwarz-weiß gefliesten Boden geradewegs aus den 1950er Jahren zu kommen schien. Doch ihr kam nichts bekannt vor, und sie hatte keine Ahnung, wo sie war. Es roch jedenfalls köstlich, und erst jetzt merkte Lucy, wie hungrig sie war.

Sie schaute durch das große Panoramafenster des Lokals nach draußen, wo die Sonne in der Ferne auf dem Meer glitzerte, aber die Geschäfte auf der anderen Straßenseite kamen ihr ebenfalls nicht bekannt vor. Ob das hier eine Ecke von Summer Harbor war, in der sie bisher noch nie gewesen war? Doch eigentlich konnte das nicht sein, denn der Ort war so klein, dass sie eigentlich schon alles davon kannte.

Die rundliche Frau holte jetzt ein Handy von der Dame, die mit sorgenvoll gerunzelter Stirn hinter dem Tresen stand, und gab es ihr.

„Sie rufen jetzt erst mal Ihren Verlobten an. Ich bin gleich wieder da“, sagte sie und verschwand dann auf der Toilette.

„Da steht doch extra ein Schild“, sagte die Frau hinter dem Tresen zu Lucy und sah sie wütend an. „Gleich an der Tür. Ist doch gar nicht zu übersehen.“

Als Lucy daraufhin nickte, pochte es noch heftiger in ihrem Kopf, und ihr Atem ging schnell und flach. Sie saß jetzt in einem Raum voller Menschen, konnte sich aber nicht erinnern, sich jemals so allein gefühlt zu haben. Außer einem Mal. Aber das war schon sehr lange her. Lange vor Zac.

Er ist nur einen Anruf entfernt.

Lucy wählte seine Handynummer und versuchte, die verärgerte Geschäftsführerin und die neugierigen Blicke der anderen Gäste zu ignorieren. Wahrscheinlich kam es nicht jeden Tag vor, dass eine Braut in das Lokal kam.

Zac ist sicher schon sehr beunruhigt meinetwegen, dachte sie, als sie es am anderen Ende der Leitung klingeln hörte. Sie hoffte, dass er nicht schon in der Kirche auf sie wartete. Sie schaute auf die Uhr an der Wand. Nein, dazu war es noch zu früh. Die Trauung sollte erst um 16.30 Uhr beginnen.

Mein Hochzeitstag. Was ist in den letzten Monaten passiert?

Aber sie schob diese Frage beiseite. Sie brauchte Zac jetzt mehr denn je und wählte die Nummer des Roadhouse.


Zac Callahan legte die weiße Kugel in die richtige Position, holte mit dem Queue aus und traf sie präzise. Sie rollte über den grünen Filz und berührte die blaue Kugel, die daraufhin in dem Eckloch versank.

Die umstehenden Gäste applaudierten und jubelten laut. Wenn es um eine Wette ging, fieberten die Zuschauer immer besonders stark mit.

„Das war doch reines Glück“, sagte Beau abfällig.

Zac richtete sich zu seiner vollen Größe von 1,95 Metern auf und widersprach: „Das hatte mit Glück absolut nichts zu tun, großer Bruder.“

„Wie auch immer“, entgegnete der und verschaffte sich mit seinen beinah schwarzen Augen und gerunzelter Stirn einen Überblick über die neuen Positionen der Kugeln auf dem Tisch.

Zac machte es ihm wirklich schwer. Der Rest seines Feierabends stand auf dem Spiel, und Zac verlangte ihm wirklich alles ab. Marci, eine der Kellnerinnen, hatte sich krankgemeldet, und es wurde langsam voll im Lokal, sodass Zac unbedingt Hilfe brauchte.

„Ich kann es gar nicht erwarten, dich in einer Schürze zu sehen“, sagte er zu Beau.

„Das wird nicht passieren“, entgegnete der. Sein schwarzes Haar hing ihm ins Gesicht, als er stieß, doch die Kugel verfehlte das Loch.

Beaus Verlobte Eden tröstete ihn mit einem Tätscheln und sagte dann tonlos in Zacs Richtung: „Ich kann es auch kaum erwarten.“

„Zac, Telefon für dich!“, rief da seine Serviceleitung.

Er legte sein Queue hin, zeigte auf Beau und sagte: „Aber nicht schummeln.“

Beau machte ein unschuldiges Wer-ich?-Gesicht, während Zac schon auf dem Weg zum Tresen war. Das Restaurant war wegen des Spiels der Red Sox, das im Fernsehen übertragen wurde, gut gefüllt. Die Menge johlte gerade bei einem entscheidenden Run.

Zac blieb kurz stehen, um hinzuschauen, und ging dann weiter. Er gab Sheriff Colton im Vorbeigehen einen Klaps auf die Schulter und mied bewusst die Nische, in der Morgan LeBlanc mit einer Freundin saß. Er hatte sich ein paarmal mit Morgan getroffen, und demnächst stand wieder ein Date an. Obwohl er sich wirklich Mühe gab, ihre Treffen aufregend zu finden, gelang es ihm irgendwie nicht.

Jetzt schob er sich hinter den Tresen, nahm den Hörer in die Hand und sagte: „Ja, hier ist Zac.“

„Zac, Gott sei Dank“, hörte er aus der Leitung.

Er spürte einen Adrenalinstoß, sodass es ihn am ganzen Körper kribbelte und seine Schultern sich verspannten. Seit sieben Monaten hatte er die Stimme nicht mehr gehört, den niedlichen Südstaatenakzent, bei dem er normalerweise Herzklopfen bekam, der jetzt aber dafür sorgte, dass ihm beinah das Herz stehenblieb.

„Es ist gerade etwas passiert. Ich … bin gestürzt, und ich weiß nicht so genau, wo ich hier bin. Kannst du mich bitte holen kommen?“

Er rieb sich die Stirn, und seine Gedanken gingen wild durcheinander.

„Wie bitte?“, fragte er völlig entgeistert.

„Ich möchte nicht zu spät kommen, aber ich bin nass geworden, und mein Haar …“

„Zu spät für was denn?“, fragte er nach.

„Das ist nicht lustig, Zac Callahan“, antwortete sie und schien den Tränen nah.

„Mein Kopf tut so weh, und ich … kannst du mich bitte hier abholen?“

„Lucy, was redest du denn da? Wieso rufst du mich an?“

Es folgte eine lange Pause, und dann fragte sie: „Willst du mich auf den Arm nehmen?“

Er erinnerte sich an den Tag vor sieben Monaten, an dem er von einer Wochenendtour zurückgekommen war, als wäre es gestern gewesen. All die unbeantworteten Anrufe, die vielen Male, die er an ihre Tür geklopft und keine Antwort bekommen hatte. Wie er voller Sorge ihren Vermieter angerufen und erfahren hatte, dass die Wohnung leer und Lucy weg war.

Er merkte, wie seine Finger den Hörer fester packten. „Ruf jemand anders an, Lucy. Das ist nicht mehr mein Problem“, sagte er schroff.

Er hörte sie erschrocken nach Luft schnappen, dann fragte sie mit bebender Stimme: „Wieso bist du so gemein zu mir?“

Ja, wieso war er …? Er nahm den Hörer vom Ohr weg, schaute ihn kurz finster an, nahm ihn dann wieder ans Ohr und erklärte: „Du bist es, die gegangen ist, Lucy. Wenn du irgendwo hin musst, nimm ein Taxi.“ Er wollte gerade auflegen, da sagte sie: „Warte bitte, Zac. Das kannst du mir doch nicht antun. Ich bin auf den Kopf gefallen, habe eine dicke Beule und schlimme Kopfschmerzen, und ich brauche Hilfe. Ich brauche dich.“

Es zog schmerzhaft in seinem Bauch. Wie oft hatte er sich in den vergangenen Monaten danach gesehnt, diese Worte aus ihrem Mund zu hören. Sie klang … irgendwie verwirrt und so verloren. Und außerdem hatte sie doch niemanden – keine eigene Familie.

Und du bist ein Riesentrottel, Callahan.

„Bitte! Ich habe keine Ahnung, wo ich bin oder was passiert ist. Du musst mir helfen!“

Er lehnte sich mit dem Rücken an die Bar und antwortete: „Geh ins Krankenhaus, Lucy. Du brauchst ein …“

„Ins Krankenhaus gehe ich auf gar keinen Fall!“, sagte sie panisch.

Zac strich sich mit der Hand über sein stacheliges Kinn, und ihm fiel wieder ein, dass sie ja diese Krankenhausphobie hatte. Hier am Telefon würde er sie niemals dazu überreden können, eine Notaufnahme im Krankenhaus aufzusuchen. Nicht einmal, als sie sich eine Sehne im Fuß gerissen hatte, war sie dazu bereit gewesen. Ein Freund von ihm, der in der Notaufnahme arbeitete, hatte sie schließlich zu Hause behandelt.

Wenn sie wirklich eine Kopfverletzung hatte, konnte das schlimme Auswirkungen haben, bis hin zu einer Hirnblutung.

Er stieß einen tiefen Seufzer aus und wusste, dass er genervt und hartherzig klang.

„Wo bist du denn?“, fragte er und dachte gleichzeitig, was für ein Trottel er doch war.

„Ich … ich weiß es gar nicht. Bleib bitte dran und leg nicht auf.“

Dann hörte er ein schlurfendes Geräusch am anderen Ende der Leitung und versuchte, trotz der Geräuschkulisse im Roadhouse etwas zu verstehen.

Er hörte, wie eine Frauenstimme eine Adresse herunterrasselte.

„Moment“, hörte er Lucy mit gedämpfter Stimme sagen. „In Summer Harbor?“

„Nein Schätzchen, in Portland.“

„Portland …?“, fragte Lucy erstaunt nach. „Portland, Oregon?“

„Was? Nein, Maine. Portland, Maine.“

Oh Gott – Zac drückte sich die Finger in die Augenhöhlen.

„Lucy“, sagte er und hörte wieder das schlurfende Geräusch. „Lucy.“

„Ich bin noch dran, Zac. Ich bin in …“

„Ich hab’s gehört“, sagte er leicht entnervt. Eigentlich hätte er nicht einmal einen Gedanken daran verschwenden sollen, denn sie war einfach aus seinem Leben verschwunden, und er war endlich darüber hinweg.

Ja, klar bist du das. Deswegen eilst du ihr jetzt auch auf der Stelle zu Hilfe.

Er hatte schon immer eine Schwäche für Lucy gehabt. Schon seit sie das erste Mal ins Roadhouse gekommen war, hatte sie ihn völlig in der Hand. Bis sie ihm mit ihren schicken spitzen Schuhen über sein Herz gelatscht war.

„Ich hoffe für dich, dass das kein Trick ist, Lucy“, warnte er sie.

„Wieso sollte ich so etwas tun?“, fragte sie, und in ihrer Stimme schwang eine Mischung aus Empörung und Verletztheit mit.

Er schnaubte. War er denn jemals aus ihr schlau geworden?

„Bitte, Zac. Ich weiß wirklich nicht weiter.“

Seine Entschlossenheit schwand, als er ihre tränenerstickte Stimme hörte. Verdammt noch mal. Er würde es sich niemals verzeihen, wenn ihr etwas zustieße. Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und sagte dann: „Bleib, wo du bist. Ich bin in ein paar Stunden bei dir.“


ZWEI

Lucy schaute hinaus auf den Hafen, in dem reges Treiben herrschte. Ihr Hintern war schon ganz taub vom langen Sitzen auf der Holzbank, die sie seit dem Anruf bei Zac nicht mehr verlassen hatte. Nach dem Ende des Telefonats hatte sie es eilig gehabt, der finster dreinblickenden Inhaberin, neugierigen Gästen des Lokals und dem Geruch aus der Küche, von dem ihr richtig übel geworden war, zu entkommen. Sie hatte den Rock ihres langen Kleides hochgerafft, die Straße überquert und war erleichtert gewesen, als sie ein wenig abseits eine Bank entdeckt hatte, wo sie für sich war und in Ruhe nachdenken konnte. Dazu hatte sie mittlerweile stundenlang Zeit gehabt – jedenfalls kam es ihr so vor – und war dabei zu einem beunruhigenden Ergebnis gekommen. Sie konnte sich an mindestens einen Monat ihres Lebens nicht erinnern, denn sie hatte keine Ahnung, wieso sie in Portland war und Zac in Summer Harbor, und außerdem musste sie sich der Tatsache stellen, dass ihr Kopf offenbar nicht einwandfrei funktionierte.

Ihr war ein bisschen schwindelig, und sie sah leicht verschwommen, sosehr sie auch versuchte, durch Blinzeln etwas daran zu ändern. Wenn sie aufs Wasser schaute, das in der Sonne glitzerte, fühlte es sich an, als würde ihr jemand mit einem spitzen Gegenstand in die Augen pieksen. Deshalb machte sie sie lieber zu und konzentrierte sich auf ihren Atem.

Die Kopfschmerzen und der Schwindel waren schon ziemlich heftig, aber noch viel schlimmer war die Angst, die ihr den Magen umdrehte. Was war nur mit ihr los? Ob die Erinnerung an die vergangenen paar Monate für immer weg war? War sie ernsthaft verletzt? Wie lange würde dieser benebelte Zustand wohl noch anhalten? Und was, wenn es so blieb?

Sie beobachtete, wie ein Hummerboot anlegte und die Fischer Feierabend machten. Wie spät es wohl sein mochte? Wieso brauchte Zac so lange? Was, wenn er gar nicht kam?

Lächerlich. Natürlich würde er kommen. Er liebte sie doch.

Sie dachte noch einmal an das Telefonat; daran, wie seine Stimme geklungen hatte, an seinen typischen Maine-Akzent, bei dem aus er-Endungen lange As wurden. Humma statt Hummer.

Sie runzelte die Stirn, während die Erinnerung an das Telefonat ihr noch nachging, aber das Gespräch war schon jetzt nur noch verschwommen da. Er hatte mürrisch und abweisend geklungen, aber sie konnte sich nicht mehr ganz genau erinnern, was er gesagt hatte.

Was, wenn sie eine Hirnverletzung hatte? Sie würde sich in einem Krankenhaus untersuchen lassen müssen, das war ihr klar, aber schon allein bei der Vorstellung bekam sie Panik. Plötzlich war sie wieder acht Jahre alt und saß allein am Krankenhausbett ihrer Mutter. Ein Apparat, der den Herzschlag aufzeichnete, piepste leise in regelmäßigen Abständen.

Bis das Piepsen plötzlich aufgehört hatte.

Bei dieser Erinnerung pochte Lucys Herz auch jetzt noch heftig, und ihre Kopfschmerzen wurden noch schlimmer. Krankenhäuser fühlten sich nach Tod an, aber trotzdem würde sie eines aufsuchen müssen.

Du stirbst nicht, Lucy. Was ist denn eigentlich los mit dir?

Sie hatte weder die Zeit, noch war sie in der Verfassung, diese Frage jetzt zu beantworten. Und wie kam es, dass sie sich an etwas erinnern konnte, das sechzehn Jahre zurücklag, aber nicht daran, wie sie das Brautkleid angezogen hatte, das sie trug?

„Lucy?“, hörte sie jetzt eine Stimme.

Sie drehte sich in die Richtung, aus der Zacs tiefe, volle Stimme kam, und als sie das vertraute markante maskuline Gesicht mit dem kantigen Kinn sah, ging ihr das Herz auf. Sie kannte jede Linie darin, obwohl ihr der Dreitagebart irgendwie fremd vorkam. Irritiert runzelte sie die Stirn. Auch sein schwarzes Haar, von dem ihm eine dicke Locke in die Stirn fiel, hatte sie anders in Erinnerung.

Zitternd vor Verwirrung, sprang sie auf und ging einen Schritt auf ihn zu, weil sie sich nach der Sicherheit und Geborgenheit seiner Arme sehnte, doch plötzlich schien alles um sie her zu kippen, und sie stolperte seitwärts auf den Gehsteig.

Zac kam ihr zu Hilfe, hielt sie am Ellbogen fest und sagte: „Was machst du denn?“

Sie zuckte zusammen, weil er so schroff klang, und hielt sich noch stärker an seinem Unterarm fest. Sie blinzelte wieder, um den Schwindel zu vertreiben, schaute ihm in seine grauen Augen und wünschte, sie könnte schärfer sehen. Er wirkte irgendwie so steif und klang kalt und distanziert – so ganz anders als ihr Zac.

„Zac … ich bin so froh, dass du da bist. Bringst du mich nach Hause? Bitte!“

„Jetzt setz dich erst mal hin“, sagte er und schob sie zurück, bis sie wieder die Bank erreicht hatte. Sobald sie saß, ließ er sie los und trat ein paar Schritte von ihr weg.

Sie schaute an ihrem Kleid hinunter und packte mit einer Hand den duftigen Stoff. Ihre Hochzeit war jedenfalls ruiniert. Und das nach all der Mühe, die sie sich gemacht hatten.

Plötzlich wurde ihr die Kehle eng, und ihr kamen die Tränen. „Du solltest mich eigentlich noch gar nicht sehen“, sagte sie mit erstickter Stimme.

Er hätte sie doch erst sehen sollen, wenn sie im Mittelgang der Kirche zum Altar schritt, wo er mit Staunen im Blick auf sie wartete. Darauf hatte jede Braut ein Recht. Sie hatte sich sogar gewünscht, dass am Altar das Licht richtig hell eingestellt würde, damit sie seinen Gesichtsausdruck auch wirklich gut sehen konnte.

Als sie jetzt daran dachte, runzelte sie wieder die Stirn. Die Kirche, in der die Trauung stattfinden sollte, war doch in Summer Harbor – und sie war in Portland. Das war alles so verwirrend. Sie massierte sich die Schläfen und sagte nach einer Weile: „Ich bin wohl ein bisschen durcheinander.“

„Wo hast du dir denn den Kopf gestoßen?“, fragte er.

„Auf der Damentoilette“, antwortete sie und deutete hinter sich. „In dem Lokal dort. Der Fußboden war nass, und ich bin wahrscheinlich … ausgerutscht.“

„Ich meine, wo am Kopf du dich gestoßen hast“, erklärte er.

„Ach so. Hier“, antwortete sie, nahm seine Hand und legte sie vorsichtig auf die Beule.

„Na, da hast du dir ja ein ganz schönes Ding eingefangen. Warst du bewusstlos?“, fragte er mit zusammengepressten Lippen.

„I … ich weiß es gar nicht. Ich glaube schon. Vielleicht?“ Nicht einmal daran konnte sie sich erinnern!

Er zog seine Hand wieder weg, und sofort vermisste sie die beruhigende Berührung. Wieso wollte er sie nicht anfassen? Wieso hielt er sie nicht einfach fest? Sie brauchte Trost, merkte er das denn nicht?

„Lucy … du bist bewusstlos gewesen, dir ist immer noch schwindelig, und du hast Erinnerungslücken. Du musst das abklären lassen.“

„Bitte nicht …“, flehte sie ihn an, und ihr kamen wieder die Tränen.

„Es muss sein. Ich komme auch mit“, sagte er.

Aber wo war die Wärme in seiner Stimme geblieben? Wo seine zärtlichen Berührungen?

„Und was ist mit der Hochzeit?“, fragte sie. „Wir müssen doch den Leuten zu Hause Bescheid sagen. Ich kann gar nicht fassen, dass mir so etwas passiert.“ Ihr Atem ging jetzt in kurzen, heftigen, schnellen Stößen.

„Beruhige dich doch, Lucy. Du musst langsamer atmen, sonst hyperventilierst du und fällst wieder in Ohnmacht. Glaubst du, dass du es bis zu meinem Wagen schaffst?“

Sie wollte in kein Krankenhaus!

Bitte, Gott, tu mir das doch nicht an!

Sie wollte einfach nur nach Hause ins Bett und sich die Decke über den Kopf ziehen, wollte von Zac ins Bett gebracht werden, so, wie er es manchmal tat, wenn sie völlig geschafft war. Und in diesem Moment war sie wirklich völlig geschafft.

„Kannst du gehen, Lucy?“, fragte er jetzt und klang dabei so ungehalten und genervt, dass es sich für sie anfühlte, als stieße er ihr einen Dolch in die Brust.

„Ich will aber in kein Krankenhaus“, wiederholte sie noch einmal und konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme dabei bebte.

„Doch“, entgegnete er. „Es muss sein, und ich bringe dich jetzt dorthin.“

Sie wiegte sich vor und zurück, wie, um sich selbst zu beruhigen, aber es funktionierte nicht. Sie wusste ja, dass er recht hatte. Irgendetwas stimmte nicht mit ihr. Wenn Zac bei ihr blieb, würde sie es schon schaffen … oder?

„Bringst du mich danach nach Hause?“, fragte sie zaghaft.

„Ja“, versprach er.

Sie versuchte die Erinnerungen an damals auszuschalten, aber sie kamen trotzdem wieder hoch. Der Geruch nach Desinfektionsmitteln, das Piepsen der Überwachungsgeräte, der kalte, sterile Boden – und ihre Mama, oder das, was noch von ihr übrig war, still und blass in dem Bett.

„Könntest du nicht jemanden herholen, um mich zu untersuchen?“, versuchte sie es noch einmal und sah ihn hoffnungsvoll an. „Den netten Rettungssanitäter von vorhin vielleicht.“

„Wir sind in Portland, Lucy. Ich kenne hier niemanden.“

„Ach ja …“

„Und genau das ist auch der Grund, weshalb du dich untersuchen lassen musst. Du weißt ja noch nicht einmal, wo du bist, um Himmels willen.“

Sein Ton war so barsch, dass sie wieder zusammenzuckte und ihr die Tränen kamen. Er klang verärgert, so als interessierte es ihn kein bisschen, was mit ihr los war, dass sie vielleicht eine Hirnblutung hatte und jeden Moment tot umfallen konnte!

Er stand auf und sagte: „Es muss sein, Lucy. Also komm, lass uns fahren.“ Und dann hob er sie mitsamt ihrem bauschigen Brautkleid hoch, zwar behutsam, aber kein bisschen liebevoll, sondern irgendwie steif und mechanisch. Sie legte eine Hand auf seine Schulter und schloss die Augen. Vielleicht war dieser Albtraum ja vorüber, wenn sie wieder aufwachte.