Kitabı oku: «Eine übliche Fahndung mit unüblichen Begleiterscheinungen»

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Denise Remisberger

Eine übliche Fahndung mit unüblichen Begleiterscheinungen

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Inhaltsverzeichnis

Titel

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Impressum neobooks

1

Rudolf Herzig, Hauptkommissar beim Kanton, stand, als Rocker verkleidet, an der Tramhaltestelle und starrte unverdrossen eine Frau an, die gerade aus ihrer Wohnungstüre marschiert war.

Seine Marlon-Brando-Mütze keck ins Gesicht gezogen, setzte er sich geschmeidig in Bewegung, um der verdächtigen Person unauffällig zu folgen.

Er musste seinen Schritt beschleunigen, um mit ihr mithalten zu können, die Fransen seiner dunkelbraunen Lederjacke hinter sich hart am Wind, den kohlrabenschwarzen Vollbart schon etwas zerzaust.

Er setzte sich die verspiegelte blaue Sonnenbrille auf, obwohl es nieselte, um seine Kontaktlinsen vor hereinfliegenden Partikeln zu schützen.

Er fiel auf.

Eva, mit wiesengrünen Strähnen in ihrem braunen Haar, die sich wie kleine Schlangen in der Bise ringelten, beschleunigte ihren Schritt noch etwas mehr, da ihr ein sonderbarer Typ zu folgen schien, der ihr irgendwie bekannt vorkam.

Seine konzentrierte Energie, welche er voll auf sie gerichtet hielt, liess sie beinahe direkt in einen Blumenkübel voller knallroter Weihnachtssterne, der am Rande des Trottoirs riesenhaft thronte, hineinlaufen.

Sie sprang in ein Tram, das eine Sekunde später die Türen verriegelte und abfuhr, und konnte dadurch den seltsamen Freak abhängen.

Rudolf Herzig, Freak und Hauptkommissar, genau in dieser Reihenfolge, griff sofort zum VHF-Funkgerät, ein vorläufig noch, im Jahre 2006, analoges, und teilte dem Neuzugang, Balthasar Bube, mit, in welches Tram sich die zu beschattende Person geflüchtet hatte und dass er jetzt übernehmen müsse.

Balthasar Bube war schon am Morgen nervös aus dem Bett gefallen und drohte demnächst in Hysterie zu verfallen. Er durfte zum ersten Mal alleine beschatten, wenigstens ein Stück weit.

Er rannte also in vollem Galopp zur von Rudolf Herzig erwähnten Tramlinie, der Nummer vier, erreichte sie drei Haltestellen weiter weg von der Traminsel, auf der die Zielperson zugestiegen war, und sprang nun selber ins stoppende Fahrzeug.

Er sah die grünen Haare, steuerte darauf zu, sah die gespannte Hundeleine aus durchsichtigem, ausrollbarem Nylon nicht, fiel in voller Länge darüber, landete auf dem Boden des schmalen Mittelgangs und liess Funkgerät, Handschellen und Dienstausweis vor Evas Füsse schlittern.

Absolut niemand sprach, während er sich zitternd erhob, seine Sachen einsammelte und Eva dabei nicht aus den Augen liess.

Ein siebzigjähriger Alkoholiker brach plötzlich in schallendes Gelächter aus, drückte seinen rechten, sonst schwankenden Zeigefinger kerzengerade in Evas Wollmantel und krächzte: «Der beschattet dich.» Dann verliess er das Tram.

Eva fixierte den vorher Gefallenen schockiert, bis sie eine Station weiter hinauseilte.

Er eilte hinterher.

Die Leute im Tram atmeten auf.

2

Herbert Langmer strich sich mit seinen grossen Händen mehrmals über die Augen und äusserte sich in der kantonspolizeilichen Morgenversammlung: «Ich kann doch nicht meine eigene Bekannte beschatten!»

Rudolf Herzig, schwer abzubringen von einer einmal gefassten Meinung, ging in die Defensive: «Sie kennt halt diesen Gras-Drögeler, und die Möglichkeit besteht, dass sie auch zu dieser Szene gehört.»

Herbert Langmer beugte sich vor, sodass seine langen silbernen Haare über die Schultern nach vorn fielen, und keifte: «Sie ist aber nun mal vierundzwanzig Stunden am Tag nüchtern.»

«Das weisst du?», stichelte Konrad Küng süffisant lächelnd. Seine Haare waren hauptsächlich auf Nimmerwiedersehen verschwunden.

«Falls es dir noch nicht aufgefallen sein sollte, sehen die Personen, welche Drogen nehmen, lange Zeit nach dem Konsum noch arg krank aus.»

Rudolf Herzig rief sich wieder ins Gedächtnis der Anwesenden: «Wir müssen sie mitbeschatten, da kommen wir nicht drum herum. Du musst dich halt gut verstecken, Herbert, damit sie dich nicht sieht.»

«Ganz im Gegenteil, ich werde es ihr sagen, sonst vertraut sie mir nie mehr.»

«Das geht doch nicht!», ereiferte sich Rudolf Herzig und rutschte auf seinem Stuhl hin und her, während er sein hexenschussgeplagtes Kreuz durchstreckte.

«Dann beschatte ich Eva eben nicht. Es gibt ja noch genug andere.»

«Also gut, vorerst nimmst du diesen Karian Schweng nur dann ins Visier, wenn er ohne Eva Bausch unterwegs ist. Sobald sie auftaucht, übernimmt jemand anderes.»

Die Versammlung wurde lärmig aufgelöst, Stuhlbeine zogen Schlieren über den frisch geputzten Boden, es wurde ausgiebig gegähnt und jemand streckte sich, bis die Gelenke bedenklich laut knackten.

Rudolf Herzig zog sich in sein Büro zurück und zog das Foto der «Grünen Eva», wie er sie bei sich nannte, aus einer Akte hervor und betrachtete es stirnrunzelnd. Irgendetwas zog ihn zu ihr hin. Er hoffte nur, dass dies etwas Dienstliches war. Er seufzte und stand auf, bevor er sich noch in emotional gefärbten Fantasien verlor.

3

Eva, ganz in lila gekleidet, sass im Zug nach Bern, um eine Lesung einiger ihrer neuesten Gedichte zu halten.

Als sie in der Buchhandlung, in welcher die Veranstaltung stattfinden würde, eintraf, sassen dort bereits zwei gute Bekannte von früher, die sie eingeladen hatte, Kunibert und Fiorella.

Nach ausgiebiger Begrüssung setzte sich Eva vors Publikum und trug vor. Die unbändigen Lachsalven an den lustigen Stellen und die mitfühlenden Seufzer bei den traurigen Passagen zeigten ihr, wie schön es war, andere wachhalten zu können.

Eine gute halbe Stunde später brachen die drei Wiedervereinten auf, Bern zu besichtigen.

Eva hatte extra den Fotoapparat mitgenommen, um all die malerischen Türme aufs Papier zu bannen. Sie konzentrierte sich auf die Bauten und nicht auf die Menschen, welche sich davor tummelten oder ihrer Arbeit nachgingen.

Nachdem der Film durch war, setzten sie sich in ein Café voller Wasserpfeifen, und Kunibert machte sich sofort über eine von ihnen her. Fiorella und Eva begnügten sich damit, die Vanille-Qualmwolken aus einer kurzen Distanz einzuatmen.

Als Eva gerade einen Schluck türkisches Bier die Kehle herunterrieseln liess, spuckte sie die Flüssigkeit beinahe wieder aus, denn sie schaute direkt in die aufmerksamen braunen Augen von Balthasar Bube, der diesmal nicht mit seinem Dienstausweis um sich warf, sondern ganz unbeweglich neben einer dunkelblonden, um etwa zehn Jahre älteren und auch erfahreneren Frau sass, welche ihm geistesgegenwärtig einen Kuss auf den Mund drückte, doch die Ablenkung funktionierte keinesfalls, denn Eva würde jemanden, der so tapsig süss war wie Balthasar Bube, nie mehr wieder vergessen können.

Darum schloss sie logisch, dass die Frau auch von der Polizei sein musste, und da in der Schweiz ein ausgesprochener «Kantönligeist» herrschte, arbeitete sie ziemlich sicher bei der Berner Kantonspolizei, denn die würden die Zürcher Kapo nicht einfach so alleine in ihrem Gebiet herumkücheln lassen.

Die Bernerin tigerte dauernd an Evas Tisch vorbei, um eventuelle staatsgefährdende Wortfetzen mitzubekommen, doch die drei redeten nur über Bücher, und die Zeiten der öffentlichen Bücherverbrennungen waren in Mitteleuropa doch eher vorbei.

Gegen Abend entschlossen sich Fiorella, Eva und Kunibert, im «Vatter» essen zu gehen, wo sie köstlichst bewirtet wurden, ganz im Gegensatz zum armen Balthasar Bube, der, mit einer anderen Bernerin als derjenigen vom Nachmittag, am Nebentisch sass und innerhalb von zwei vollen Stunden nur einen einzigen Kaffee aus dem kargen Berner Budget spendiert bekam.

Dafür nahm sich die diesmal um mindestens fünfzehn Jahre ältere Polizistin seiner brachliegenden Libido an, indem sie ihm, nicht nur zur Tarnung, so lange die Innenseite seines linken Armes streichelte, bis er ganz violett im Gesicht geworden war.

Kunibert war drauf und dran, Balthasar Bube einen zweiten Kaffee zu bezahlen. Leid tat er allen drei.

4

Herbert sass zuhause und reparierte den Saum einer seiner sexy Jeans mit einer für seine Hände viel zu winzigen Nähnadel und stach sich in den Finger, als es an seiner Türe Sturm läutete.

Der Herr Drogenfahnder machte sich, den blutenden Finger im Mund, auf, nachzuschauen, wer geläutet hatte, und eventuell zu öffnen.

Eva stand, breitbeinig und mit vor der Brust verschränkten Armen, vor Herberts Türe und liess nichts Gutes ahnen!

«Eva! Hallo. Komm rein. Geht ‘s dir gut?», fragte er zweifelnd.

«Herbert! Rudolf gab doch vor ein paar Monaten dieses Fest bei sich zuhause, und du hattest mich mitgeschleppt. Jetzt verfolgt mich Rudolf ganz offensichtlich. Und dann noch die Auftritte von Balthasar Bube mit und ohne Begleitung. Was soll das?»

«Bist du sicher?», kam es haspelig.

«Ob ich sicher bin?», schrie Eva und zerrte die gerade eben entwickelten Berner Fotos aus der Tasche. Sie legte alle auf dem mit Handarbeit übersäten Wohnzimmertisch aus und drückte demonstrativ ihre beiden Zeigefinger auf zwei davon.

«Links sehe ich Rudolf im Profil, und rechts erschaue ich Balthasar frontal. Was siehst du?»

«Äh … ich sehe dasselbe. O.K. Es ist so. Eigentlich darf ich es dir gar nicht sagen, doch ich tue es trotzdem. Du kennst doch diesen Karian Schweng mit den riesigen blonden Locken. Na ja, und der muss beschattet werden, weil er dabei beobachtet wurde, wie er eine grössere Menge Gras von einem bereits einmal wegen Drogenhandels im Gefängnis Gewesenen abgeholt hatte.»

«Zirka eine Wäschekorbladung voll und wahnsinnig stinkend?»

«In etwa, ja.»

«Davon wird er das ganze Jahr über rauchen. Ich dachte, Eigenkonsum von Süchtigen wird nicht bestraft?»

«Es wird eher ignoriert, doch wir wissen nicht, ob er das alles wirklich selber konsumieren wird. Darum müssen wir ihn beobachten.»

«Ach so. Da sehe ich keine Gefahr», winkte sie ab. «Und alle, die ihn kennen, werden auch unter die Lupe genommen? Da habt ihr aber viel zu tun.»

«Du triffst dich eben regelmässig mit ihm. Rudolf argwöhnt, dass du am möglichen Grasverkauf eventuell beteiligt sein könntest.»

«Neigt Rudolf vielleicht zu Fantastereien?»

«Er spricht schon ein bisschen speziell von dir.»

«Speziell?»

«Mit so einem leidenschaftlichen Unterton in der Stimme.»

«Oh.»

Auf diese Neuigkeit hin bekam Eva ein Hoegaarden mit Zitrone zu trinken, und Herbert legte die CD «The First Book of Songs and Ayers» von John Dowland auf, um sie zu beruhigen.

5

An einem eiskalten Mittwoch kurz vor Mitternacht eilten Eva und Herbert über die mit einer dicken Schicht Schnee bedeckten Tramschienen am Limmatplatz, um ins X-Tra tanzen zu gehen.

Dort angekommen, gaben sie die mit weissen Graupelflocken übersäten Mäntel ab, begaben sich an die Bar, die sich im Discoraum selber befand, hinauf in den ersten Stock und bestellten für Eva ein Bier und für Herbert einen Cuba Libre.

Sie unterhielten sich in einer die Musik übertönenden Lautstärke, und als ein uraltes Stück der «Sisters of Mercy» gespielt wurde, wagten sie das erste Tänzchen.

«Wieso bewegst du dich so verspannt?», wollte Eva von Herbert wissen.

«Das darf ich doch nicht sagen. Und bitte, schau dich nicht dauernd so auffällig um.»

Eva überkam ein plötzliches Grinsen und sie legte gleich mehr Betonung in ihre Beckenbewegung.

Herbert verdrehte die Augen und konzentrierte sich dann auf einen imaginären Punkt auf einer Säule, an welcher er prompt Salomon Tromb lehnend entdeckte, der ihn schon das ganze Lied über schmunzelnd beobachtet hatte, die langen dunklen Fransen als Seitenscheitel in der Stirn, die Arme vor der Brust gekreuzt, die dunkelbraune Lederjacke offen.

Da Herbert angefangen hatte zu starren, musste sich Eva einfach umdrehen und fing das Lächeln von Salomon Tromb, dessen intensiver Blick immer noch auf die beiden gerichtet war, auf und schrie Herbert ins Ohr: «Wie heisst der mit den mystischen Augen, der uns anschaut?»

«Der heisst Salomon; den Nachnamen darf ich dir nicht verraten.»

«O.K.»

Eva wollte eine Runde durch das Lokal drehen, um zu sehen, ob sie eventuell auf Bekannte stiess.

«Ich bleibe an der Bar», teilte ihr Herbert mit, denn er hatte Angst, mit seinem Verhalten noch das ganze Amt zu verraten.

So machte sich Eva alleine auf, graste zuerst die rechte Seite beim Mischpult ab, fand niemanden, wechselte dann auf die linke Seite zu den kleinen runden Tischen und Stühlen und traf auch dort auf keine zu begrüssenden Personen.

Dafür aber auf einen um fünfundvierzig Grad an ihr vorbeiignorierenden Rudolf Herzig, der ein theaterreif unschuldiges Gesicht zog.

Eva stellte sich in seine Blickrichtung, ganz verschränkte Arme, böser Blick und ungeduldig wippender Fuss.

Er verzog den Mund unter dem schwarzen Vollbart zu einem angedeuteten Hüsteln, stand auf und eilte ausser Sichtweite.

Eva ging zurück zu Herbert und meinte locker: «Ich habe Rudolf gesehen.»

«Ja, ja, gehen wir wieder tanzen?»

«Ja.»

Auf der Tanzfläche verausgabten sie sich richtig: Eva, weil sie an die Polizei dachte, Herbert, weil er nicht an die Polizei dachte.

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