Kitabı oku: «Freuden der Jugend», sayfa 3

Yazı tipi:

II

Der Wagen bog von der Straße ab und fuhr zwischen zwei hohen Steinsäulen hindurch. Orvil schaute an den Säulen hoch und sah, daß sie von römischen Helmen und allerhand Trophäen gekrönt wurden, die jeweils rings um ein reichverziertes Wappenschild angeordnet waren. Hier ragte ein abgebrochener Speer heraus; dort hing traurig ein welker Lorbeerkranz nieder.

Neben dem Tor stand ein kleines Pförtnerhaus. Es wurde fast erdrückt von einer gewaltigen Masse alter Rhododendren. Die ganze Einfahrt wurde überwuchert und verdunkelt von diesen dichten Büschen.

Das hübsche altmodische Häuschen trug in großen schwarzen Lettern die Jahreszahl ›1846‹. Darüber prangte ein Relief, das die Adelskrone eines Herzogs darstellte, zwei Siegel und ein Wappen. Offenbar hatte man damals ganz sichergehen wollen, daß jeder sofort sah, was für einen hohen Rang der Besitzer des Anwesens bekleidete.

Während der letzten neunzig Jahre war die Einfahrt immer enger geworden, je mehr die Rhododendren in die Breite wuchsen. Die großen Limousinen, die hier jetzt ein und aus fuhren, kamen nur noch mit Mühe durch. Der frische rote Schotterbelag gab der Einfahrt einen vulgären teuren Anstrich. Durch den Tunnel aus dunklen Blättern filterte ein grünes Dämmerlicht herein.

Als der Wagen aus dem Blättertunnel kam, breitete sich eine weite Rasenfläche aus, und Orvil war vom Anblick des herrschaftlichen Hauses angenehm überrascht. Es war ein imposantes hellrotes Backsteingebäude aus dem späten 18. Jahrhundert. Die Schiebefenster, mehrfach in kleine Quadrate unterteilt, waren im Erdgeschoß mindestens vierzehn Fuß hoch. In den oberen Stockwerken wurden die Fenster zunehmend niedriger, und die Dachfenster waren nur noch längliche Schlitze.

Der Herzog, der in der frühen viktorianischen Zeit das Pförtnerhaus hatte bauen lassen, war offensichtlich auch verantwortlich für die massive porte-cochère, die nun den eleganten Eingang des Hauptgebäudes überdachte. Der neue Anbau mit dem Ballsaal ging im rechten Winkel von der einen Seite des alten Gebäudes ab. Er war aus sehr hellen rötlich-grauen Backsteinen gebaut, und seine kleinen bleigefaßten Flügelfenster ließen die hohen Fenster des alten Hauses noch schöner erscheinen. Prächtige alte Zedern standen vor dem Haus in einer unregelmäßigen Anordnung, die deutlich machte, daß einige im Laufe der langen Jahre abgestorben waren.

Als die Limousine vor dem Eingang hielt, kam der Hotelportier die Stufen herunter und hielt einen Zettel in der Hand.

»Verzeihung, Sir – sind Sie Mr. Pym?«, fragte er.

Mr. Pym nahm den Zettel und überflog ihn. Es war eine Mitteilung von Charles, der ihm ausrichtete, er sei am Tag zuvor angekommen, habe sie aber nicht angetroffen und sei deshalb mit einem Freund zum Flugplatz gefahren, um sich einige Flugstunden geben zu lassen. Sie würden zum Abendessen zurück sein.

Orvil spürte, wie sich alles in ihm zusammenzog. Seine Handflächen wurden feucht, und sein linkes Augenlid begann zu flattern. Er fürchtete sich vor der Begegnung mit seinem ältesten Bruder.

Charles brachte es immer fertig, ihm das Gefühl zu geben, er sei ein dummer kleiner Junge, verweichlicht, minderwertig, feige und ungeschickt. Charles überhäufte ihn gelegentlich mit liebevoller Aufmerksamkeit – wenn er früh am Morgen zu ihm ins Zimmer kam, oder wenn sie am Abend allein mit dem Auto unterwegs waren – doch am Tag, in Gegenwart von anderen, gab er sich immer hochmütig und verletzend. Und seine Wutausbrüche waren zum Fürchten. Ohne ersichtlichen Grund konnte er plötzlich einen Schwall von häßlichen Worten über ihn ergießen, so daß sich Orvil noch Tage danach ganz klein und geknickt vorkam. Dieses unberechenbare Temperament war das Schrecklichste an ihm. Orvil hatte sich noch nicht daran gewöhnt, daß man im Umgang mit anderen ein Gefühl von Unsicherheit ertragen mußte, auch wenn es schwerfiel. Wenn Charles loslegte, bekam er einfach weiche Knie. Es war ein schauderhaftes Gefühl, und so heftig er sich auch dagegen wehrte – er wurde es nicht los.

Er war nie für längere Zeit mit Charles zusammen gewesen. Wegen des Altersunterschieds von sechs Jahren hatten sie nie dieselbe Schule besucht. Orvil dankte Gott dafür, und er flehte inständig, daß Charles an diesem Abend nicht zum Essen erscheinen möge. Er dachte an einen Flugzeugabsturz, doch schon im nächsten Augenblick überkam ihn die Angst, daß sein Gebet womöglich erhört würde. ›Nein!‹, schickte er hastig ein erneutes Stoßgebet zum Himmel. ›Ich nehme es zurück, ich nehme es zurück!‹

Mr. Pym war im Gegensatz zur Orvil sehr erfreut, daß sein ältester Sohn bereits im Hotel abgestiegen war. Insgeheim hatte er Charles am liebsten, und dessen unbeherrschte Extratouren und Unzuverlässigkeit schienen ihm eher Vergnügen zu bereiten. Er war immer freudig erregt, wenn ihm von Geschäftsleuten aus Oxford und London Rechnungen zugeschickt wurden, die Charles nicht beglichen hatte.

Der Portier führte sie auf den glasüberdachten Innenhof, und dort wurden sie von einer jungen Frau in schwarzem Satinkleid und Ciro-Perlen empfangen, die voranging, um ihnen ihre Zimmer zu zeigen. Während Orvil ihr folgte, fiel ihm auf, daß die Perlen, wo sie im Nacken auf der weißen Haut scheuerten, einen trüben wächsernen Schmutzbelag hatten.

»Ich fürchte, das hier hat keinen besonderen Ausblick«, sagte sie, als sie die Tür zu einem geräumigen Zimmer in der zweiten Etage aufschloß. Zwei Betten standen darin, und Orvil war klar, daß das Zimmer für ihn und Ben gedacht war. Doch Ben würde erst in einigen Tagen vom Camp zurückkommen. Er ging ans Fenster und sah über einen kleinen Hof auf die Rückfront eines Seitenflügels. Unter sich sah er die Dächer einiger Vorbauten, von denen einer offenbar den Generator enthielt und ein anderer die Wäscherei.

Die junge Frau wandte sich jetzt an ihn und sagte in einem gekünstelt saloppen Tonfall: »Aber Jungs finden so etwas ja nicht so wichtig, oder?«

Mr. Pym mußte dies an seiner Stelle mit einem Lächeln und einem flüchtigen Kopfnicken quittieren, denn Orvil setzte eine mürrische Miene auf und wandte sich ab. Er haßte es, wenn Erwachsene dachten, sie wüßten seine Ansichten im voraus, nur weil er noch ein Junge war. Nach der Bemerkung der Frau haßte er nun geradezu den unschönen Ausblick aus dem Fenster. Er fand es beleidigend.

Sein Vater folgte der jungen Frau zu einem Zimmer im neuen Flügel, und Orvil blieb allein zurück. Er entschied sich für das Bett am Fenster, packte seinen Koffer aus und versteckte den gestohlenen Lippenstift unter dem Papier, mit dem das Nachtschränkchen ausgelegt war, in dem der unvermeidliche emaillierte pot-de-chambre stand. Er machte sich gelegentlich einen Spaß daraus, diesen pompösen Ausdruck zu verwenden, denn es erinnerte ihn an seine Kindheit, als er und ein Freund sich ein Spiel ausgedacht hatten, in dem sie so taten, als seien sie vornehme Damen auf einem Ball. Es begann immer damit, daß einer den anderen fragte: »Und was, wenn ich fragen darf, ist dieses exquisite Parfüm, das Sie heute abend benutzen, Herzogin?«

Der andere machte dann zunächst einige flatternde Bewegungen mit einem imaginären Fächer und zierte sich in gespielter Verlegenheit, ehe er antwortete: »Es ist Guerlains neues Pot-de-Chambre, meine liebe Gräfin. Darf man fragen, wie sich Ihr betörender Duft nennt?«

»Aber gewiß, Herzogin. Ich fühle mich geehrt, daß es Ihren Beifall findet. Es ist Chanels neuestes Vase-de-Nuit.«

Die Sprache war immer sehr formell, affektiert und gestelzt. Sie erfanden endlose Variationen und konnten sich ganze Nachmittage damit vergnügen.

Orvil liebte es, seine Mutter allerhand ausgefallene Dinge zu fragen, und dabei war ihm die Idee zu jenem Spiel gekommen. »Mami, was müßte ich sagen, wenn ich in Frankreich wäre und mitten in der Nacht aufwache und aufs Töpfchen muß?« hatte er gefragt. Als sie es ihm sagte, fiel ihm die Ähnlichkeit mit den Bezeichnungen der Parfüms auf, die seine Mutter benutzte. Um neue Namen für Parfüms zu bekommen, durchstöberte Orvil die Schränkchen im Badezimmer. ›Veet‹ und ›Odorono‹ waren für ihn seltene Kosmetika aus Fernost, und das erklärte, weshalb sie an besonders unzugänglichen Stellen aufbewahrt wurden. Und das Firmenetikett eines Badehandtuchs war für ihn gleichrangig mit denen der Couturiers Worth und Schiaparelli.

Natürlich konnte er von seiner Mutter nicht erwarten, daß sie ihm eine lange Liste von anzüglichen französischen Ausdrücken gab, die sich als imaginäre Bezeichnungen für Parfüms eigneten. Deshalb mußten er und sein Freund sich damit begnügen, ihre handgeschriebenen Menüs vergangener Dinner-Parties zu studieren. Dabei stießen sie auf so erregende Dinge wie ›Bisque d’écrevisses‹ und ›Baba à l’Impératrice‹. Das letztere schien Orvil besonders unanständig und kraß zu sein, denn er übersetzte es mit voller Überzeugung als ›Bobbles der Kaiserin‹ – und ›Bobbles‹ hatte sein erstes Kindermädchen als scherzhafte Bezeichnung für ›Brustwarzen‹ gebraucht …

Orvil drückte die Tür des Nachtschränkchens zu und verließ das Zimmer. Er tastete sich den schmalen Gang entlang und stieg dann die breite Treppe zum Teesalon hinunter. Dort sah er Gruppen von Gästen in Lehnstühlen, und sie hatten die außerordentlich traurigen Mienen von Leuten, die nichts mit sich anzufangen wissen, bis sie sich wieder zur nächsten Mahlzeit umziehen können. Er sah beiseite, während er zwischen ihnen hindurchging. Schon beim ersten Anblick ihrer gelangweilten düsteren Gesichter hatte sich eine melancholische Stimmung wie zähe Gelatine über ihn gelegt.

Er entschied sich für einen hellroten Sandweg, der sich in Serpentinen durch den Garten schlängelte. Die Strahlen der tiefstehenden Sonne schienen ihm ins Gesicht, und obwohl es noch Hochsommer war, lag bereits eine wehmütige Abschiedsstimmung in der Abendluft.

Als er aus dem dichten Gebüsch herauskam, gelangte er auf eine Terrasse mit einem Springbrunnen, dessen Wasser in ein großes rundes Becken fiel. Wunderschöne gelbrote Karpfen schwammen im Becken, und ihre Flossen und Schwänze blitzten da und dort im silbern sprudelnden Wasser. Er fragte sich, wie sie das ständige Plätschern des herabstürzenden Wassers aushielten. Ihn selbst machte es nach einer Weile schon ganz taub und benommen, so daß er an den Rand der Terrasse ging und sich an die Balustrade lehnte. Blumen rankten sich zwischen den gedrungenen Pfeilern der Balustrade hindurch, und ein Meer von Blüten ergoß sich über die grob behauenen Steine nach unten. Der Anblick erregte ihn und machte ihn nervös und ungeduldig. Er strengte seine Augen an und sah über das weite Tal, in dem sich der Fluß durch massige dichtbelaubte Bäume wand.

Orvil rannte die flachen Treppenstufen von der Terrasse herunter, bog um eine Ecke und fand sich in einer kleinen Schlucht, die man von oben nicht hatte einsehen können. An der einen Felswand klebte eine reizende Gartenlaube, und seitwärts gab es eine geheimnisvolle eisenbeschlagene Tür, durch die man offenbar in eine Höhle oder ein Gewölbe im Fels gelangte.

Die Gartenlaube stammte aus dem frühen 19. Jahrhundert. Die Scheiben der Spitzbogenfenster waren in Blutrot, Purpur und Orange mit Heiligen bemalt. Es gab eine kleine Veranda mit kunstvoll verzierten Säulen und einer gewölbten Stuckdecke, und das Dach war mit blaugrauen Schieferplatten gedeckt, die wie Schuppen von Fischen wirkten. Aus seiner Mitte ragte ein schiefer Schornstein wie aus Zuckerguß, und die Laube sah damit aus wie das reichverzierte Tintenfaß eines Riesen.

Orvil war ganz verzaubert von diesem Anblick. Dann gab es ihm einen Stich, als er daran dachte, daß ihm dies nie gehören würde. Hotelgäste würden auf ihren Spaziergängen die Laube immer begaffen, und die Besitzer des Hotels konnten sie jederzeit abreißen lassen, wenn ihnen danach war.

Er sah nach, ob er ins Innere gelangen könnte, doch die Tür war abgeschlossen, und die Fenster waren von innen verriegelt. Er versuchte, durch die Fenster hineinzusehen, aber das Glas war zu dick eingestaubt und außerdem zu stark bemalt. Er wußte, wenn er je hineinkommen wollte, würde er ein bißchen nachhelfen müssen. Die Fensterrahmen waren verzogen – man konnte also eine Messerklinge durch den Spalt schieben und die Verriegelung lösen. Ein kleines Federmesser würde allerdings nicht genügen. Er hatte es einmal damit versucht, und die Klinge war zugeschnappt und hatte ihn tief in die Finger geschnitten. Er beschloß, an einem der nächsten Abende wiederzukommen und ein Messer aus dem Hotel mitzunehmen.

Er ging jetzt zur Felswand hinüber, wo aus Ritzen und Vorsprüngen allerhand Gräser und Ranken herabhingen. Fast erwartete er, daß auch die schwere Tür verschlossen sein würde, doch als er den quietschenden Eisenring drehte, ging sie auf, und plötzlich roch es muffig nach feuchter Erde und Fledermauskot. Aus der Dunkelheit drang das unverkennbare Platschen von Wassertropfen. Es reizte ihn, daß er nichts sehen konnte, und fast gegen seinen Willen machte er einige Schritte hinein, bis seine ausgestreckten Hände einen schleimigen spitzen Gegenstand berührten. Nun bekam er es mit der Angst. Hastig rannte er hinaus und schlug die Tür hinter sich zu. Schaudernd dachte er an die Fledermäuse in diesem finsteren Gewölbe. Er stellte sich vor, wie sie über seinem Kopf da oben in der Dunkelheit gehangen hatten, wie ihr gräßlicher Kot ihm ins Haar gefallen wäre und als schmieriger Klecks an seiner Kopfhaut geklebt hätte. Er stellte sich ihren Pelz vor, in dem es von unaussprechlichen Insekten wimmelte.

Am anderen Ende der Schlucht führten flache Stufen weiter abwärts. Unter schattigen Eiben sah er winzige Grabsteine in gleichmäßigen Reihen hintereinander. Im ersten Augenblick dachte er an eine große Kinderschar – vielleicht waren sie alle im zarten Alter gestorben und lagen nun hier begraben? Er stellte sich vor, daß sie an einer unheilbaren Krankheit gelitten hatten. Er sah, wie sie die Augen verdrehten, wie ihre Köpfe schlaff zur Seite rollten, wie ihnen der Speichel aus dem Mund rann. Doch als er näher kam, wunderte er sich über die seltsamen Namen, die auf den Grabsteinen standen: ›Tansy‹, ›Pat-a-Cake‹, ›Ricochet‹, ›Snigger‹ – was für Kinder sollten das gewesen sein? Nein, jetzt wurde es ihm klar: Es waren die Namen von Schoßtieren.

Er sah sich die Inschriften an. ›Zum Gedenken an FIDDLE, einen herzensguten Mops. 19. März 1814.‹ ›Hier ruht PUCE, meine liebe Katze. Ermordet am 5. Juni 1831.‹

Plötzlich schaute er hoch und sah, daß die Sonne unterging. Er wußte, daß er zu spät zum Abendessen kommen und sich nicht mehr würde umziehen können. Seine Angst vor dem Zusammentreffen mit Charles und die interessanten Dinge, die ihm begegnet waren, hatten ihn länger als eine Stunde hier draußen festgehalten. Eilig verließ er den kleinen Tierfriedhof und rannte quer über den Rasen zurück zum Hotel.

In einem der Waschräume im Erdgeschoß stellte er sich vor den Spiegel, hielt die Hände unters Wasser und strich sich damit die Haare glatt, doch schon im nächsten Augenblick bereute er es: Seine ungebärdigen Locken ringelten sich jetzt wie häßliche nasse Rattenschwänze.

Er ging den breiten weißgetäfelten Flur entlang und kam zur Glastür des Speisesaals. Von drinnen hörte er gedämpftes Stimmengewirr und das Klappern von Tellern und Besteck. ›Werde ich sie in dieser großen Menge überhaupt finden?‹, dachte er. Er spähte durch das dicke facettierte Glas, bis er endlich den runden grauhaarigen Kopf seines Vaters entdeckte. Ein Kellner stieß dicht neben ihm die Schwingtür auf, und Orvil stolperte hinter ihm hinein. Schamröte schoß ihm ins Gesicht, und seine Handflächen wurden wieder klamm und feucht.

›Ich werde keinem die Hand geben, ich werde keine Hände schütteln‹, schwor er sich. Er setzte sich an den Tisch, ein verklemmtes Lächeln auf seinem hochroten Gesicht, und wagte nicht hochzuschauen. Umständlich faltete er seine Serviette auseinander, breitete sie über seine Schenkel, stopfte sie auf beiden Seiten darunter, strich mit den Fingern über das eingewebte Muster.

Endlich hob er die Augen, und sein Blick fiel auf den Freund seines Bruders, dessen Gesichtshaut von feinen Zickzacknarben durchzogen war. Es war ein angenehmes Gesicht, blaß wie Hafergrütze, mit schimmernden Augenbrauen. Umso irritierender war das seltsame Geflecht der knochenbleichen oder tintenstiftblauen Linien, die es durchzogen. Der Bursche machte jedoch einen freundlichen Eindruck, sehr männlich und gleichzeitig jungenhaft plump.

Sie waren gerade mit dem Essen fertig. Mr. Pym sah zu ihm herüber und fragte: »Wo bist du gewesen, Mikrobe? Warum kommst du so spät?« Doch ehe Orvil antworten konnte, schaltete sich Charles schon ungeduldig ein und stellte ihm seinen Freund vor. »Ted Wilkie.«

Ted sagte in einem weichen amerikanischen Akzent: »Freut mich, dich kennenzulernen«, und Charles fuhr fort in seinem Bericht, in dem er durch Orvils Erscheinen unterbrochen worden war: wie Ted vor sechs Monaten eine Bruchlandung gebaut hatte und aus dem Cockpit geschleudert worden war und nach dem Aufprall noch ein ganzes Stück rutschte und sich dabei das Gesicht aufschürfte. Damit waren nun für Orvil die Narben erklärt. Im Geiste sah er, wie sich die Maschine am Boden bäumte und Ted in hohem Bogen herausflog und auf dem Bauch rutschte und winzige Steinchen ihm das Gesicht zerschnitten.

»Hatten Sie eine schlimme Zeit? Hat es sehr weh getan?«, fragte er unwillkürlich. Ted setzte ein Lächeln auf, das überlegen wirken sollte, aber nur gutmütig war.

»Ach, es ging. Ich war einen Augenblick bewußtlos. Als ich wieder zu mir kam, hatten sie mich schon prima zugepflastert. Die Knochen waren alle noch heil.«

Ein Kellner beugte sich neben Ted herunter und fragte: »Nehmen Sie die Nachspeise, Sir?«

»Nein, nur einen Kaffee«, sagte Ted.

Der Kellner gab sich betont überrascht. »Aber wollen Sie den nicht im Salon trinken, wie es Brauch ist, Sir?«

Es ärgerte Orvil, daß der Kellner sich anmaßte, Ted über die Tischsitten zu belehren und wie einen Tölpel aussehen zu lassen.

Die anderen standen jetzt auf, und Orvil blieb allein mit seinem Essen zurück. Als er anschließend zu ihnen hinausging, tranken sie alle Brandy aus großen Gläsern. Charles hatte die Nase in seinem Glas und schnaubte wie ein Pferd. »Ah, herrlich!«, sagte er. Wieder einmal bewunderte Orvil die seidig glänzenden Haarsträhnen, die schwungvoll hinter seine Ohren zurückgestrichen waren, die gesunde rötlich-braune Farbe der Wangen, die kleinen hellen Augen und die elegante Nase. Aber er wußte, daß er Schweißfüße hatte. Daran versuchte er immer zu denken, wenn er sich in Gegenwart von Charles minderwertig fühlte.

Unter dem Vorwand, die lange Fahrt von Salisbury habe ihn ermüdet, zog er sich bei der nächsten Gelegenheit auf sein Zimmer zurück.

Am nächsten Morgen erwachte er mit leichten Kopfschmerzen. Er sah auf das Tablett, das man ihm hereingestellt hatte. Neben der bauchigen Teekanne stand ein winziges Töpfchen voll Milch. Er hatte schon oft gehört, daß Milch angeblich sehr gesund sein sollte. Also trank er sie auf einen Zug aus und schleckte dann mit der Zunge im Mund herum, um den leicht tierischen Nachgeschmack loszuwerden. Plötzlich rebellierte sein Magen, und die Milch kam ihm geronnen und schleimig wieder hoch. Das überraschte ihn, aber alles in allem war er von diesem Ergebnis seines Experiments mehr angetan als alarmiert. Immerhin war es interessant genug, um ihn von seinen Kopfschmerzen abzulenken.

Er stand auf, nahm ein Bad, zog sich rasch an und ging hinunter zum Frühstück. Sein Vater und Charles waren noch nicht da. Er aß sein Rührei und zwei Hörnchen, und unbewußt beeilte er sich damit, um wegzukommen, ehe die beiden anderen erschienen. Als er aufsprang und das Hotel verließ, waren sie immer noch nicht zu sehen. Er hatte es nicht so geplant, aber nun war er doch ganz zufrieden, daß er den Tag für sich allein hatte, um die Gegend zu erkunden.

Er ließ die Gartenterrassen hinter sich und ging durch die Felder hinunter zum Fluß. Dort gab es keinen Pfad mehr, und er mußte sich durch Hecken zwängen und über Gatter steigen, bis er endlich den Treidelpfad am Ufer erreichte. Die Äste der Bäume hingen tief auf das Wasser herunter und spendeten einen dämmrigen grünen Schatten. Das Wasser war khakifarben, und auf der Oberfläche huschten Wasserläufer und andere Insekten hin und her. Wo Sonnenstrahlen durch die Bäume drangen, bildeten sie runde glitzernde Reflexe wie zitternde Quallen. Orvil legte sich ins Gras und sah dem Spiel versonnen zu.

Nach einer Weile hörte er entfernten Gesang. Die Stimmen kamen langsam näher, und jetzt erkannte er die Melodie: Es war der Shanty ›Rio Grande‹. Erwartungsvoll stützte er sich auf, doch jederzeit darauf gefaßt, sich nach hinten ins Gebüsch zu verkriechen, falls die Sänger nicht geheuer aussahen.

Plötzlich kam ein scharlachrotes Kanu um die Flußbiegung. Es wurde gepaddelt von einem jungen Mann und zwei Boys, die etwa in Orvils Alter waren. Sie waren braungebrannt und trugen kurze Khaki-Hosen. Alle drei sangen aus voller Kehle, und zwischen den Strophen schrien sie einander scherzhafte Verwünschungen zu. Einer der beiden Boys bespritzte den Mann mit Wasser, und der Mann revanchierte sich, indem er ihm mit seinem nassen Paddel einen Schlag versetzte. Der Junge schrie empört und sprang auf, so daß das Kanu beinahe kenterte, und die anderen beiden schimpften wütend auf ihn ein.

Orvil sah, daß der Junge einen ledernen Pfadfindergürtel trug, an dem ein Fahrtenmesser mit Horngriff baumelte. Auch die dünnen Khaki-Shorts der beiden anderen wurden von solchen schweren Gürteln gehalten. In den Strahlen der Sonne schimmerten die nassen Schenkel des Mannes plötzlich wie Seide, und für einen Augenblick wirkten sie wie die sehnigen Hinterflanken eines sprungbereiten Raubtiers.

Das Trio bemerkte Orvil nicht.

Orvil duckte sich ins Gebüsch und sah ihnen gebannt nach, bis sie um die nächste Biegung verschwanden.

Unschlüssig saß er da und überlegte, was er als nächstes tun sollte. Er sehnte sich nach einem Leben, wie es der Mann und die beiden Boys im Kanu hatten – ein fast wunschlos glückliches Leben, wie er sich vorstellte. Ein heißes Gefühl von Bitterkeit quoll in ihm hoch, als ihm bewußt wurde, daß es ein solches Leben nie für ihn geben würde. Er würde immer in Hotels oder bei Verwandten leben müssen, oder in einer Schule, eingesperrt wie ein Verbrecher im Gefängnis. Es war ein entwürdigendes Leben, und es erfüllte ihn mit Grauen und Abscheu.

Seine unbändige Sehnsucht nach Freiheit brachte ihn auf die Beine. Er rannte den Pfad entlang, in der Hoffnung, flußabwärts eine Bootsvermietung zu finden und sich auch so ein Kanu zu besorgen. Er rannte eine ziemliche Strecke und war fast außer Atem, als er endlich eine Steinbrücke erreichte, neben der ein Kiosk und ein Bootshaus standen. Das Tor des Bootshauses war offen, und die Spitzen der Boote ragten heraus wie stumpfe Nasen von Haifischen.

Orvil ging zum Kiosk. Auf dem breiten Fensterbrett standen bunte Flaschen mit Kirsch- und Zitronenlimonade. Angelgerät und leuchtend rote Dreiecks-Badehosen hingen an Haken von der Decke. Der Besitzer bückte sich gerade und suchte etwas unter dem Tresen. Orvil hörte sein gepreßtes Atmen. Der Mann trug eine durchgeschwitzte Weste, die über seinem breiten Rücken spannte. Die Mittelnaht war gerade aufgeplatzt, und der Riß vergrößerte sich zusehends.

Als Orvil sich nach einem Boot erkundigte, richtete sich der Mann auf und grunzte: »Einen Shilling die Stunde.«

»Und wieviel kostet so eine?«, entfuhr es Orvil, und er zeigte auf die roten Badehosen. Sie erschienen ihm in diesem Augenblick wie ein unwiderstehliches Symbol für Freiheit und Abenteuer. Er mußte unbedingt eine haben.

»Achtzehn Pence«, sagte der Mann. Wortlos hielt ihm Orvil das Geld hin. Der Mann reichte ihm eines der roten Dreiecke heraus, und auf seinem Gesicht erschien ein Ausdruck verständnisloser Überraschung, als er sah, wie begierig Orvil danach griff. Orvil konnte es kaum erwarten, in seinem Boot zu sitzen und von allem, was an menschliche Zivilisation erinnerte, weit weg zu sein.

Der Mann ging mit Orvil zu einem Kanu und legte ihm ein lächerliches Kissen mit einem Muster aus Moosrosen auf den Sitz. Orvil schob es ungeduldig herunter und setzte sich auf das blanke Holz. Er begann, in Richtung Flußmitte zu paddeln.

»Sieh zu, daß das Paddel nicht entzweigeht«, rief ihm der Mann nach.

Bald erreichte er stromaufwärts die Stelle, wo er durch die Hecken auf den Treidelpfad herausgekommen war. Seine Erregung stieg. Am liebsten hätte er sich nackt ausgezogen – er haßte das Gefühl der Kleider auf seiner Haut und sehnte sich nach den heißen Strahlen der Sonne auf seinem Rücken und den Beinen.

›Wenn ich doch nur ganz allein in einem Zelt am Fluß leben könnte!‹ dachte er. ›Ich könnte mich von der Jagd ernähren und würde harte Muskeln bekommen und eine braungebrannte Haut. Ich könnte Pilze suchen und Beeren und Wurzeln. Vielleicht könnte ich sogar versuchen, Gras zu essen.‹

In Gedanken an dieses herrliche Leben paddelte er weiter und kam schließlich an eine Biegung, wo das Ufer eine kleine flache Bucht bildete. Hier ging er an Land. Unter den Bäumen schlüpfte er aus seiner Jacke, hakte sich den Gürtel auf, zog das Hemd hoch und ließ sich die Hose auf die Knöchel rutschen. Er stellte sich vor, daß jemand vorbeikommen und ihn so sehen würde – Kopf und Arme im Hemd verheddert, die Hose unten um die Knöchel herum, der Rest des Körpers splitternackt. Hastig zog er sich das Hemd über den Kopf.

Als er die Badehose hochzog und der Stoff sich unten zwischen seinen Schenkeln straffte, schluckte er und zitterte und wurde steif. So stand er eine ganze Weile auf dem nassen Sand und klemmte fröstelnd und erregt die Hände unter die Achselhöhlen.

Dann ging er langsam in das dunkle Wasser und legte sich flach hinein. Im kalten Wasser klang seine Erregung rasch ab, doch es war nicht unangenehm. Ruhig und zufrieden trieb er im seichten Wasser. Er spürte die heiße Sonne auf seinem Gesicht und den Stellen von Brust und Oberarmen, die noch über Wasser waren. Sein übriger Körper prickelte vor Kälte.

›Ich bin wie eins von diesen Baked Alaskas‹, sagte er sich und dachte an die leckeren Eiskremkugeln mit heißer Schokolade darüber.

Erst als er tropfnaß wieder ans Ufer zu seinen Kleidern kam, wurde ihm bewußt, daß er kein Handtuch hatte. Er trocknete sich die glitzernden Wassertropfen mit den Hemdzipfeln und seinem Taschentuch ab, dann legte er sich in die Sonne und breitete das nasse Hemd neben sich aus. Bald begann er zu schwitzen. Er mochte den dampfenden Geruch, der von seinem Körper aufstieg. Er strich sich mit den Fingern durchs Schamhaar und lag eine Weile in wohliger Zufriedenheit da. Er sah, wie die Gräser und seine schweißglänzende Haut in den grellen Strahlen der Sonne weiß und silbrig schimmerten.

›Silberne Grashalme und silbern glänzende Haut‹, sang er leise vor sich hin. In solchen Augenblicken kam ihm immer etwas Poetisches in den Sinn. Meistens fürchtete er sich, es aufzuschreiben, denn was im ersten Augenblick eine geradezu magische Schönheit auszustrahlen schien, wirkte später nur noch langweilig und dumm.

›Grüne Adern und roter Saft …‹ Er dachte an das karmesinrote Blut in seinen Adern und das grüne Leben, das sich in den Zweigen und Blättern der Bäume ausbreitete.

Das Gedicht begann seinen Reiz zu verlieren. Nein, wirklich, es war kein gutes Gedicht. Es war blödsinniges Gestammel. Orvil sprang auf, zog das noch feuchte Hemd an, streifte sich die nasse Badehose herunter und warf sie ins Gras. Sie hatte jetzt eine dunkle blutrote Farbe, und die Falten klebten zusammen. Er stieg wieder in sein Kanu und legte die Badehose zum Trocknen auf den Boden.

Während er weiter stromaufwärts paddelte, wurden die Bäume zu beiden Seiten dichter, und ihre Äste hingen weit über das Wasser herein. Bald lag ein grünes Dämmerlicht über dem Fluß, und die Sonnenstrahlen kamen nur noch an wenigen Stellen durch.

Er fuhr unter einer alten Eisenbahnbrücke hindurch, deren Steinquader von einem braungrünen Schleim überzogen waren. Aus der Mitte des Brückenbogens fielen große Tropfen herunter, und ihr Aufprall kam als dumpfes hohles Echo von den Steinwänden zurück. Ein Stück weiter bemerkte er eine kleine Holzhütte, in einiger Entfernung vom Ufer und halb von Bäumen verdeckt. Durch das dichte Laub konnte er flüchtig zwei braungebrannte Gestalten erkennen, die geschäftig hin und her eilten. Er paddelte auf eine freie Stelle am Ufer zu und zog dort das Kanu auf den Sand. Dann arbeitete er sich kriechend durch das hohe Gras bis in die Nähe der Hütte vor.

Der Mann aus dem scharlachroten Kanu saß in majestätischer Haltung an einem kleinen Lagerfeuer und rührte in einer Aluminiumpfanne. Seitlich von ihm stand ein Klapptisch, und die beiden Boys waren damit beschäftigt, Teller und Gläser und Besteck aus der Hütte zu holen und den Tisch zu decken.

»Wo bleibt das Brot, ihr Lahmärsche?«, sagte der Mann mit gespielter Strenge. Orvil hätte in diesem Augenblick alles in der Welt darum gegeben, wenn er hätte aufspringen und das Brot holen können, um dann an diesem Picknick teilzunehmen.

Die beiden Boys kamen mit dem Brot und zwei Campingstühlen aus der Hütte und setzten sich an den Tisch. Der Mann stand mit der Aluminiumpfanne auf und goß dicken rötlichen Kakao in Henkeltassen. Dann holte er gebackene Kartoffeln und einen rotbraunen irdenen Topf aus der bläulichen Asche des Lagerfeuers. Im Topf waren Würste, Eier, Schinken, Sardinen, Tomaten und Pilze. Aus den erregten Worten der beiden Boys konnte Orvil entnehmen, daß sie die Pilze an diesem Morgen gefunden hatten. Jetzt suchten sie danach, während der Mann mit einem Löffel den Eintopf auf die Teller schöpfte. Aus dem köstlichen Allerlei war eine dicke Masse geworden, und die Pilze waren schwer darin zu entdecken.

Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.

₺624,78

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Hacim:
210 s. 1 illüstrasyon
ISBN:
9783803142979
Tercüman:
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:
Metin
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок
Metin
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок
Metin
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок