Kitabı oku: «Herta Tiemann-Gaastra (1917 – 1983)», sayfa 2

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DIE FAMILIE

Der Name „Tiemann“ kommt in den verschiedensten Schreibweisen vorwiegend im Norddeutschen Raum vor (Thiemann, Timann, oder auch nur mit einem „n“). Ein „Tie“ bezeichnete in einer Ortschaft einen Platz, der auch zu Versammlungszwecken diente. Vermutlich besteht auch eine sprachliche Nähe zum germanischen „Ting“ als Beratungsort. Der Tiemann wird vermutlich am Tie gewohnt haben oder war verpflichtet den Platz für die Allgemeinheit in Ordnung zu halten.

Die Tiemanns scheinen keine große Rolle gespielt zu haben. Wikipedia nennt zwar eine größere Zahl erwähnenswerter Namensträger, aber keine herausragenden Persönlichkeiten. In Bielefeld gab es einen Kommerzienrat Tiemann, der bei der Industrialisierung der Stadt eine Rolle gespielt hat. Seine Villa befand sich an der Niedernstraße, gegenüber der heutigen Handwerkskammer. Das stattliche Haus wurde abgerissen als die Kunsthalle erbaut wurde. Vermutlich weil es die Sichtachse auf den Bau von Philip Johnson beeinträchtige. Der Kommerzienrat ist nicht mit der hier behandelten Familie verwandt.

Auffallend ist, dass die Reihe der bedeutenden Namensträger erst im 19. Jahrhundert beginnt. In der vorangegangenen Zeit scheinen keine nennenswerten Taten vollbracht worden zu sein.

Die Herkunft liegt im Dunkel. Als ein Vetter meiner Mutter für die Anstellung als Lehrer einen Ahnenpass benötigte um drei Generationen Reinrassigkeit nachzuweisen, wies die Herkunft auf Schildesche hin. Andere Aufzeichnungen nennen Quelle Nr.1 als Herkunft. Quelle gehörte zum Kirchspiel Brackwede und deren Kirchenbücher befinden sich in einem schwer lesbaren Zustand und machten mir Nachforschungen nicht möglich. Ich schließe nicht aus, dass es sich bei dem Schriftstück aus Schildesche um ein Gefälligkeitsgutachten handelt. Das wurde häufig praktiziert, weil die Pfarrer wenig Lust verspürten die alten Bücher zu wälzen, und sie eine Abneigung gegen das Naziregime hatten. Die Zugehörigkeit zur Bekennenden Kirche im Ravensberger Land war besonders hoch.

Quelle Nr. 1 bezeichnete den Hof Meyer zu Olderdissen. Die Nummerierung erfolgte nach der Größe des Landbesitzes. Ein Blick auf die Flurkarte bestätigt die Berechtigung in Quelle die Nummer 1 zu sein. Mittelpunkt war der jetzige Tierpark mit dem Ausflugslokal als Meierhof. Die Grenze zur Stadt Bielefeld verlief entlang der „Sieben Hügel“ umfasste die Ochsenheide, das Gebiet des Bauernhausmuseums und das Johannistal. Der Kahle Berg war die andere Begrenzung. Der Johannisberg war städtischer Besitz.

Meine Urgroßmutter entstammte der Familie des Meierhofes Olderdissen, auch wenn sie in den Unterlagen nicht so genannt wurde. Das lag daran, dass die Bezeichnung „Meier zu“ nur dem Inhaber des Meierhofes zustand. Dadurch wird die Erstellung eines Stammbaumes erschwert. Die Geschichte des Meierhofes zu Olderdissen ist noch nicht geschrieben worden. Kompliziert werden die Familiengeschichten noch durch eine Besonderheit im ländlichen westfälischen Erbrecht. Der jüngste Sohn erbte den Hof und musste seine älteren Geschwister auszahlen. Dadurch war sichergestellt, dass die Altbauern lange auf dem Hof bleiben konnten, um dann aufs Altenteil (in Ravensberg „Leibzucht“ genannt) zu ziehen. Meine Urgroßmutter hatte nur zwei Schwestern und keine Brüder. Die Linie starb somit im Mannesstamm aus. Die älteste Schwester heiratete einen Meyer zu Senden, der Meyer zu Olderdissen genannt wurde. Durch eine Todesanzeige aus dem Jahre 1946 ist bekannt, dass ein „Meier zu Senden, genannt Meyer zu Olderdissen“ in Bielefeld verstorben ist. Das dürfte deren Sohn sein. Die andere Schwester heiratete standesgemäß einen Großbauern im Fürstentum Schaumburg-Lippe.

Die jüngere Tochter meiner Urgroßmutter heiratete einen Mann der als Stahlarbeiter in Dortmund arbeitete. Diese Dame hieß Fredericke und muss das Leben wohl sehr leicht genommen haben. Meiner Mutter wurde vorgeworfen sie hätte den gleichen Charakter wie ihre Tante. Einen Arbeiter aus dem Ruhrgebiet zu heiraten war absolut unmöglich. Der Vorwurf der wirtschaftlichen Unsicherheit wurde von ihr mit dem Satz „kriegen wir nichts, haben wir nichts, dann gehen wir umso leichter“ abgetan. Es gab unzählige Anekdoten über sie. So ist eine Nachbarin zu ihr gelaufen und hat gerufen „kommen Sie schnell, Ihr Mann prügelt sich in der Kneipe“. Sie soll von ihrer Handarbeit nicht aufgesehen und geantwortet: haben: „Na und? Wenn er genug hat wird er schon nachhause kommen.“ Das könnte durchaus zum Charakter meiner Mutter passen. Zu der Familie in Dortmund hat Kontakt bestanden und die Tochter hat meine Großmutter auch noch in Bielefeld besucht. Aber es wurde Distanz gewahrt, weil sie in der Nazizeit Aufseherin in einem Frauengefängnis war. Über Einzelheiten wurde nicht gesprochen.

Es gibt nur ein Familienfoto, von dem nicht bekannt ist wann und zu welchem Anlass es aufgenommen wurde. Vermutlich zum 65. Geburtstag der Mutter. Die Aufnahme sagt viel über die Familie aus.

In der Mitte sitzt Frau Tiemann in Ravensberger Witwentracht, umgeben von ihrer Kinderschar. Mein Großvater steht oben rechts, er war das jüngste Kind. Der Altersunterschied zu den Geschwistern war sehr groß. Meine Mutter hat das sehr bedauert, denn dadurch hatte sie Vettern, die im Alter ihres Vaters waren. Mein Großvater war erst vier Jahre alt, als sein Vater verstarb.

Auf dem Bild ist zu sehen, dass alle sehr gut gekleidet sind und einen bürgerlichen Eindruck machen. Die Familie gehörte nicht zur Gruppe der Heuerlinge oder Kötter. Außer meinem Großvater haben es auch alle es einem gewissen Wohlstand gebracht. Er war auch der einzige der es nicht zu eigenem Grundbesitz gebracht hat, sondern nur zu einem Schrebergarten. Und auch der war kein Eigentum, sondern gepachtet.

Mutter Tiemann war eine geborene Olderdissen (korrekt Meier zu Olderdissen) und muss nach dem Tode ihrer Eltern einen erheblichen Erbteil bekommen haben. Das Haus in dem sie wohnte liegt auf der Ochsenheide hinter dem Bauernhausmuseum und gehört nicht zu dem Museumskomplex, Es war das einzige Haus auf dem Areal, auch wenn es heute so aussieht als sei es der Kotten zum Haupthaus. Aber dafür ist das Haus zu groß geraten, es sieht eher wie ein kleines Gehöft aus. Es ist sicherlich als Leibzucht, also Altenteiler für den Altmeyer errichtet worden. Der Balken über der Toreinfahrt nennt zwar Meyer zu Olderdissen als Erbauer aber hat keinen Hinweis auf einen Ruhesitz. Das der reichste Bauer von Quelle auch im Alter standesgemäß wohnen will ist nachzuvollziehen.

An der Ehe meiner Urgroßmutter haftete ein Makel. Während die ältere und jüngere Schwester standesgemäß heirateten ging sie (vermutlich) eine Liebesheirat ein und verband sich zum Schrecken der Familie mit einem Schäfer, der wochenlang mit seinem Schäferkarren durch die Lande zog. Im Standesregister wird er als Heuerling, also Tagelöhner, bezeichnet. Vermutlich stand er im Dienste des Meierhofes. Aber die Ehe war mit acht wohlgeratenen Kindern gesegnet, aus denen allesamt etwas geworden ist. Die älteste Tochter war Geschäftsfrau und führte in Bielefeld ein Kurzwarengeschäft. Die mittlere zog nach Dortmund, darüber habe ich schon berichtet. Über ihre Ehe ist außer zahlreichen Anekdoten nichts Nachteiliges bekannt. Die jüngste Tochter Friedericke blieb bis zum Ableben bei der Mutter und heiratete einen Tischlermeister. Sie war der gute Geist der Familie und hielt sie zusammen. In ihrem Haus versammelte sie die Familie und mein Großvater hat bis zu seiner Hochzeit mit 32 Jahren bei Ihr gewohnt. Das war nicht „Pension Mama“, sondern „Pension Schwester“. Mein Großvater und meine Mutter hatten zu Rickchen, wie sie im Familienkreis genannt wurde ein inniges Verhältnis.


Es gibt ein Indiz, dass ein gewisser Wohlstand und entsprechende Verbindungen bestanden haben. Mein Großvater bekam 1891 von seinem Paten zur Konfirmation eine vergoldete Taschenuhr, mit Uhrkette und einem mit kleinem Rubin verziertem Behälter für ein Foto. Es existiert keine Fotografie meines Großvaters, auf dem die Uhrkette nicht zu sehen ist. Die Uhr muss seinerzeit ein Vermögen gekostet haben. Selbst für das achte Kind eines einfachen Landarbeiters fand sich ein solventer Taufpate.


Die Taschenuhr meines Großvaters, die auf jedem Foto, das es von ihm gibt zu sehen ist. Die Uhr war bis 1968 voll Funktionsfähig.

DIE ELTERN

Der Vater


Johann Hermann Tiemann wurde am 26. November 1877 als jüngster Sohn der Eheleute Johann Heinrich Tiemann und Johann Friedericke geb. Olderdissen in Quelle Nr.1 geboren.

Sein Vater verstarb als er vier Jahre alt war. An ihn hatte er keine Erinnerung, vermutlich auch weil der Vater die meiste Zeit des Jahres mit seinem Schäferkarren unterwegs war. Nach Aussagen meiner Mutter hat er sich nie negativ über sein Elternhaus geäußert. Er war der Benjamin und wurde vermutlich von Mutter und Geschwistern verwöhnt. Das zeigt sich auch an einer Entscheidung der Brüder als die Einschulung des kleinen Hermann anstand. Als Einwohner von Quelle hätte er in Brackwede zur Schule gehen müssen. Von der Ochsenheide aus war es ein weiter Schulweg, den alle Brüder gegangen sind. Dem jüngsten sollte das erspart bleiben und er sollte in Bielefeld eingeschult werden, weil es bis dorthin nur die Hälfte des Weges nach Brackwede war. Auswärtige Schüler mussten allerdings Schulgeld bezahlen. Ich glaube nicht, dass das Familieneinkommen dadurch geschmälert wurde. Mein Großvater hat immer ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es seine Brüder waren die diese Entscheidung getroffen haben. Es gab da keinen Neid nach dem Motto „wir mussten weit laufen, dann kann der Kleine das auch“.


Das Geburtshaus, die Leibzucht (Altenteil) zum Meierhof

Über die Kinder- und Jugendzeit des Hermann Tiemann ist nichts bekannt und es gibt auch keine Fotografien von ihm. Auch hat er seinen Kindern nicht erzählt ob er ein guter oder schlechter Schüler war. Nach der Volksschulzeit scheint er sofort eine Lehre bei den Ankerwerken angetreten zu haben. In der Firma ist er bis zu seinem letzten Tag im Arbeitsleben beschäftigt gewesen und war nie arbeitslos.

Einzige längere Unterbrechung war der große über Monate dauernde Metallarbeiterstreik. Er wurde gebeten nach der Pensionierung 1942 noch weiter zu arbeiten, was er aus politischen Gründen strikt abgelehnt hat. Als SPD-Mitglied und überzeugter Gewerkschaftler wollte er dem Nazi-Regime nicht einen Tag länger als nötig dienen.

Gesicherte Informationen liegen erst vor, als er sich für meine Großmutter entschieden hat. Vermutlich lag es daran, dass in der Zeit wo er bei seiner Schwester gewohnt hat wenig bekannt wurde. Laut überlieferung meiner Großmutter musste Schwester Rickchen sich häufiger mit erbosten Vätern auseinander setzen deren Töchtern ihr Bruder wohl gewisse Hoffnungen gemacht hatte. Meine Großmutter umschrieb das mit den Worten: „da hat er eine nach Hause gebracht.“ Er war mit der Tochter eines Wäschefabrikanten verlobt, die kurz vor der Hochzeit an Tbc verstarb. Mit deren Eltern hat er noch dauernden Kontakt gehabt und als er heiratete bekam der verhinderte Schwiegersohn die Mitgift seiner Verlobten. Darauf werde ich später noch einmal zurückkommen. Von der Braut gab es eine Fotografie, die aber vermutlich von meinem Vater nach dem Tode meiner Mutter entsorgt wurde.

Mit 32 Jahren hat mein Großvater endlich geheiratet. Er war sehr penibel, besonders was äußerlichkeiten betraf. Wenn ein Knopf fehlte oder die Bluse nicht gut gebügelt war, kam die Dame nicht in die nähere Wahl. Was gar nicht ging waren ungepflegte Schuhe und abgetretene Hacken. Später hatte er im Keller eine kleine Schuhmacherwerkstatt in der die Fußbekleidung der ganzen Familie instandgehalten wurde.

Mit der Hochzeit veränderte sich beider Leben und über meinen Großvater gäbe es eine Menge zu berichten. Die Umstände des Kennenlernens werde ich im Kapitel der Mutter erzählen. Es wurde eine Wohnung in der ölmühlenstraße bezogen, ein Arbeiterviertel im Osten der Stadt. Über die Beschaffenheit der Wohnung ist nichts bekannt, aber es war nicht die Gegend die meinem Großvater behagte. Über ihn wurde gesagt, er müsse immer den Berg im Rücken haben. Vermutliche eine Eigenschaft, die er seiner Tochter weitervererbte. Das junge Paar, noch ohne Nachwuchs, bekam dann eine Wohnung in einem Haus unterhalb des Botanischen Garten. Das war genau die Gegen in der mein Großvater glücklich gewesen, wäre, wenn da nicht die Besitzerinnen gewesen wären. Das waren zwei ältliche Fräuleins die seine Frau drangsalierten, besonders als sie schwanger war. Es gibt zwei Versionen. Einer zufolge soll es das Mutterglück gewesen sein, nach der anderen Eifersucht auf den attraktiven Mann. Es soll wohl zu einer lautstarken, wenn nicht sogar handgreiflichen Auseinandersetzung gekommen sein. So ließ mein Großvater seine Frau nicht behandeln und es wurde schnellsten eine neue Wohnung gesucht.

Die fand sich in dem Haus Wertherstraße 93, in dem Herta Fredericke Henriette Tiemann am 27. Mai 1917 geboren wurde. Am 18. Februar 1983 setzte sie 350 Meter von ihrem Geburtshaus entfernt ihrem Leben ein Ende.

Mein Großvater war das, was man „bodenständig“ nennt. Er ist in seinem Leben kaum verreist. Abgesehen von den Aufenthalten in Bad Salzuflen. Belegt ist eine Tagesfahrt an das Steinhuder Meer und zwei Wochen mit KdF nach Bad Neuenahr. Seine größte und abenteuerlichste Reise war seine Fahrt nach Leeuwarden um seine Tochter zu besuchen. Die Mühe und Strapazen nahm er auf sich, um sich zu überzeugen, dass sie wirklich gut untergebracht war. Davon war er danach überzeugt, aber nicht, dass sie dort auch glücklich war, denn das war sie nicht.


Die Reise war mit vielen Hindernissen und Auflagen verbunden, von denen wir uns heute im fast schrankenlosem Europa keine Vorstellung mehr machen können. Die Reise fand 1949 statt, als die Bundesrepublik Deutschland noch nicht existierte. Der Reisepass musste bei den britischen Militärbehörden beantragt werden. Wenn die Ausreise bewilligt war musste in den Niederlanden eine Einreise beantragt werden. Dazu mussten meine Eltern Sicherheitsleistungen bereitstellen. Das hieß Geld für seinen eventuellen Rücktransport. Falls er sich unhöflich gegenüber Niederländern benommen hätte, oder sich nazi-freundlich geäußert hätte wäre er umgehend und auf kürzestem Wege über die Grenze befördert worden. Da bestand bei meinem Großvater keine Gefahr. Aber er musste sich täglich auf dem Polizeirevier melden. Er war nur eine Woche bei uns, aber er wurde best möglichst verwöhnt. Nur das Bier schmeckte ihm nicht. Dafür wurde der Ausgleich mit einer guten Zigarre geschaffen, die er täglich von meinem Vater bekam. Mein Vater hatte auch einen älteren entfernten Verwandten aufgetrieben, der als junger Zimmermann in Deutschland auf der Walz gewesen war. Mit ihm unternahm er eine Schiffsreise auf den Friesischen Meeren. Da erlebte er auch zum ersten Mal in seinem Leben einen Sonnenuntergang am Horizont. In Bielefeld, der Stadt die es nicht gibt, hat man keinen Horizont oder Weitblick.


Die Eltern in ihrem Garten, ca. 1930

Der kurze Aufenthalt war dem Gesundheitszustand seiner Frau geschuldet. Bei dem Gedanken einer langen Bahnfahrt, einem fremden Land und einer anderen Sprache bekam sie eine Herzattacke, ein Leiden, was sie häufiger anzusetzen wusste. Aber mein Großvater musste sich davon überzeugen, dass seine Tochter gut versorgt war und fuhr dann eben allein.

Das Lebenselixier meines Großvaters war sein Kleingarten, der Gegenpol zur Fabrikarbeit. Der befand sich nahe bei der Wohnung, gegenüber dem Bürgerpark. Er hatte ein geräumiges Gartenhaus errichtet, in dem er im Sommer auch übernachtete um vor der Arbeit die Pflanzen soweit nötig zu wässern.

Aber der Garten diente wohl mehr seiner Seele als der Versorgung der Familie mit Obst und Gemüse. Es gab Kirschbäume, rote und schwarze Johannisbeeren, Stachel-, Erd- und Himbeeren. Ferner wurden Kartoffeln, Bohnen, Erbsen, Tomaten, Zwiebeln, Möhren Kürbis und alle Sorten Kohl angebaut. Sowie alle Sorten Küchenkräuter und Minze für den winterlichen Pfefferminztee. Meine Mutter konnte dem Garten wenig abgewinnen. Das lag nicht nur an der laufenden Arbeit, sondern auch die Verwertung der Ernte. Es wurde jede Menge eingekocht, gepökelt und Gelee hergestellt. Da war ihre Mitarbeit gefordert. Der Garten musste aufgegeben werden, als die Häuser gegenüber dem Park gebaut wurden. Als Ersatz gab es ein kleineres Stück Land Ecke Stapenhorst-/Bossestraße, wo später das Gymnasium errichtet wurde. Dieser Garten wurde noch einige Jahre nach dem Tode meines Großvaters von meiner Großmutter unter großen Mühen bewirtschaftet. Sie tat es nicht aus besonderem Interesse, sondern aus Sentimentalität.

Die Ansprüche der Familie waren gering, für Kultur wurde wenig bzw. gar nichts ausgegeben. Ein einziger Kinobesuch ist seiner Tochter zuliebe bezeugt. Daran fand er keinen Gefallen. Einziger Luxus war das Abonnement einer Tageszeitung, die SPD-nahe „Volkswacht“. Nach dem Kriege in „Freie Presse“ umbenannt. Die Zeitung wurde von vorne bis hinten gelesen und fand danach in gleichmäßige Rechtecke geschnitten Verwendung als Toilettenpapier. Später war der „Volksempfänger“ für den Konsum von Kultur und Information zuständig. Die karge Freizeit, die der Garten übrig ließ diente dem Besuch der Geschwister. Eigener Besuch wurde kaum empfangen, weil die Wohnräume einfach zu klein waren. Die Geschwister verfügten alle über eigene Häuser.

Mein Großvater war ein sehr geselliger Mensch der überall gerne gesehen wurde, aber das Gesellschaftsleben spielte sich vorwiegend im Dunstkreis der SPD und der Gewerkschaft ab. Das, was vom Wochenlohn übrig blieb wurde für Kleidung – und da nur das Beste – und die Schulbildung des Sohnes ausgegeben.

Gesundheitlich war es nicht besonders gut um ihn bestellt. Er litt unter allen Arten von Erkältungskrankheiten, und wenn ihn ein Bazillus erwischt hatte, dann litt er richtig stark. Soldat im 1. Weltkrieg zu sein ersparten ihm Krampfadern. Mit Mitte fünfzig ließ sein Augenlicht nach und er musste sich in der Universitätsklinik Münster einer Staroperation unterziehen. Sie war damals noch schwierig und mit langem Krankenhausaufenthalt verbunden. Mein Großvater war nicht sehr groß und hatte einen kleinen, schmalen Kopf. Die benötigte Brille war ein dünnrandiges „Kassengestell“ mit strak gewölbten Gläsern, die ihm das Aussehen eines glupschäugigen Frosches gaben.

Mit der Machtübernahme der Nazis 1933 ging er vermutlich in die innere Emigration. Obwohl langjähriges SPD- und Gewerkschaftsmitglied hat er in den Organisationen nie nach einem Amt gestrebt und auch keines übernommen. Aber die Verdrängung seines Freundes Carl Severing aus dem Ministeramt und Repressalien und Verhaftungen kommunistischer Freunde und Kollegen beeinflussten seine Wahrnehmung der politischen Veränderung im Land. Über seine Haltung wegen der Ausgrenzung der Juden, oder noch schlimmeren, ist nichts bekannt. Einmal hat er Widerstand geleistet. An dem Tag, als die jüdischen Geschäfte boykottiert wurden sagte er seiner Frau als er nach Hause kam: „Pauline zieh Kleid und Mantel an wir gehen jetzt bei Heine einen Gasherd kaufen“. Das war sicherlich eine schon länger geplante Investition aber jetzt eine Provokation. Die Firma Adolf Heine war ein jüdisches Haushaltswarengeschäft, das auch öfen verkaufte. Vor dem Laden postierte Braunhemden wollten meine Großeltern handgreiflich am Betreten des Geschäftes hindern. Da fuhr er aus der Haut und wurde laut. Seine Frau ließ sich zurückdrängen. In der Tür drehte er sich um und rief ihr zu: „Pauline komm her, du musst an dem Herd arbeiten, dann musst du ihn auch aussuchen“. Pauline gehorchte, denn wenn Vater etwas sagte dann war es richtig und wurde nicht in Frage gestellt. Diese Geschichte kenne ich nicht aus Erzählungen meiner Großeltern, sondern aus der Nachbarschaft. Das Auftreten dieses sonst so unauffälligen Mannes muss wohl Eindruck gemacht haben.

Der zwei Häuser weiter wohnende Blockwart war der erste Blockwart, der von den Engländern aus der Haft entlassen wurde. Für ihn hatte mein Großvater bei seinem Freund Severing, der von den Engländern als interimistischer Bürgermeister erfolgreich interveniert. Dafür gab es aber auch einen Grund, den ich im Kapitel über meine Großmutter schildern werde.

Der Ex-Blockwart schrieb meiner Großmutter einen umfangreichen Kondolenzbrief, in dem er die Haltung des Verstorbenen besonders hervorhob, nannte ihn ein moralisches Vorbild und streute indirekt Asche auf sein eigens Haupt.

Mein Großvater schloss sich geselligen Treffen nicht aus. Im Alter waren das hauptsächlich Beerdigungen. Von denen kam er jedes Mal mit einem anderen Zylinder nach Hause, aber nie mit einem passenden, dem eigenen schon gar nicht. Wenn er dann mit ondulierten Gang zu Hause ankam verkündete er meiner Großmutter: „Paula, meine Kollegen haben mir versprochen, dass sie mein Fell ordentlich versaufen wollen!“ Für meine pietistische Großmutter war das ein Schreckensszenario. Ob die Kollegen ihr Versprechen eingelöst haben ist nicht bekannt, aber die Beerdigung verlief mit einem krampfhaft unterdrückten Lachen.

Ein Schwager des Sohnes war Angestellter in Bethel und führte ein entsprechend geprägtes Leben. Er war klein und verwachsen. Da mein Großvater aus der Kirche ausgetreten war, fand keine Aussegnung statt, sondern es sprach ein Redner der Gewerkschaft. Die Rede soll wohl grauenhaft gewesen sein. Der Bethelmitarbeiter stieg auf den mit Tannengrün abgedeckten Sandhügel und fing mit einer pastoralen Rede an: „……und das Leben geht doch weiter……“ Seine Frau wollte ihn hindern und von dem Sandhügel ziehen. Dem widersetzte er sich, kam ins Rutschen und verschwand unter Gepolter in der Grube. Nur noch sein Kopf ragte heraus. Die Situation hatte wohl etwas von einem Kaspertheater, die gerettet wurde als der Personalleiter der Anker-Werke spontan eingriff und mit einem Goethezitat die Bestattung beendete. „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut – wenn das jemals auf einen Menschen zugetroffen hat, dann auf Hermann Tiemann.“ Jahrelang war die Beerdigung meines Großvaters Gesprächsthema im Kreise seine Kollegen.

Mein Großvater verstarb an Kehlkopfkrebs, der zu spät erkannt wurde. Die Halsschmerzen wurden mit Lutschbonbons behandelt, damit ging ein westfälischer Bauer nicht zum Arzt. Die Folgen waren ein langes, qualvolles Sterben.

Die Mutter

Pauline Kuhlemann wurde am 27. November 1884 in Wülferheide im Fürstentum Lippe als einziges Kind der Eheleute des Ziegeleiarbeiters Wilhelm Kuhlemann und seiner Ehefrau Henriette geb. Husemann geboren.


Über den leiblichen Vater ist nichts überliefert da er verstarb als Pauline noch kein Jahr alt war. Die Mutter heiratete nach kurzer Witwenschafft Herrn Hillebrenner, der sein Geld als Nachtwächter in Hoffmanns Stärkefabrik verdiente. Er brachte drei Söhne und eine Tochter mit in die Ehe. Dem Ehepaar wurden noch eine Tochter und ein Zwillingspärchen geboren. Die Stiefschwester verstarb als junges Mädchen an der Schwindsucht, die Zwillinge innerhalb einer Woche im Alter von fünf Jahren. Nur die Halbschwester meiner Großmutter überlebte ihre Eltern. Die Stiefbrüder meiner Großmutter waren etliche Jahre älter. Sie waren sehr sportlich und gewannen bei den Sedansfesten alle Preise. Die aber nicht aus Geldpreisen, sondern aus Lebensmitteln bestanden, Würste, Schinken und Süßigkeiten. Die Brüder waren sehr stolz auf ihre kleine Schwester und bewachten sie wie einen Goldschatz, trugen ihre Schultasche und erteilten jedem, der sie auch nur schief ansah einen körperlichen Verweis. Das gute Verhältnis hielt bis zum Tod der Mutter/respektive Stiefmutter an. Dann kam es wegen Erbstreitigkeiten zum Bruch

Die Familie wohnte sehr beengt, bis der Vater im Suff ein stattliches Haus kaufte. Als Nachtwächter kann er kein hohes Einkommen gehabt haben. Eines Tages traf er am Tresen einen Bekannten, der ein Haus in der Mauerstraße geerbt hatte. Der Erbe hatte Mitleid mit Herrn Hillebrenner und bot ihm das Haus zu einem besonders günstigen Preis an. Der Handel wurde per Handschlag bekräftigt. Als er nach Hause kam und seiner Frau gestand er hätte ein Haus gekauft hielt die ihn für zu betrunken. Sicherlich war der Kauf auch entsprechend begossen worden, aber trotzdem konnte er sich noch daran erinnern, Im Gegensatz zu dem Verkäufer.

Der bezweifelte die Rechtmäßigkeit des Handels. Das Gericht wurde angerufen und der Richter gab dem Käufer Recht, weil genügend Zeugen vorhanden waren. Im Fürstentum Lippe waren solche Entscheidungen möglich, in Preußen sicherlich nicht.

Das Haus war ein großes Ackerbürgerhaus und vom Salzmarkt aus direkt zu sehen. Es verfügte über eine für Salzuflen untypische doppelläufige Treppe. Neben der Treppe befand sich ein großes Einfahrtstor zur Einfahrt landwirtschaftlicher Fahrzeuge. Auf der Straßenseite befanden sich Kellerräume und Stallungen. Auf der Rückseite des Hauses befand sich ein großer Garten mit einem separaten Waschhaus und Hühnerstall. Zum Grundbesitz gehörte auch eine außerhalb der Stadt gelegenen landwirtschaftlich genutzter Fläche. Das Haus wurde dem Nachbarn verkauft der es abreißen ließ um das Hotelrestaurant „Lippischer Hof“ zu vergrößern. Leider gibt es von dem Haus keine Fotografien, auch nicht im Stadtarchiv.

Über die Schulzeit meiner Großmutter ist nichts bekannt, aber sie scheint eine gute Schülerin gewesen zu sein. Eine weiterführende Schule kam für sie als Arbeiterkind nicht infrage. Nach der Schulzeit wurde sie in einen Haushalt gegeben um sich das für Frauen nötige hauswirtschaftliche Wissen anzueignen. Es wurde ein Apothekerhaushalt in Herford ausgesucht. Lohn gab es nicht, sondern nur Kost und Logis. Aber die Mutter bekam 10 Goldmark für ihre Tochter. Als der Mutter hinterbracht wurde, dass die Frau des Apothekers eine ziemliche Hexe sein sollte die ihre Angestellten sehr schlecht behandelte, fuhr sie nach Herford, befragte ihre Tochter, legte der verdutzen Frau die 10 Goldmark auf den Tisch und nahm Pauline wieder mit nach Hause.

Über welche Verbindungen Pauline empfohlen wurde ist nicht bekannt, jedenfalls wurde sie Kindermädchen bei einer wohlhabenden Kölner Familie. Es muss dort mehrere lippische Bedienstete gegeben haben, denn aus dieser Zeit hatte sie bis ins hohe Alter mehrere Freundinnen. Das bedeutendste Ereignis war eine Rheinreise, die sie in ihrer Funktion als Kindermädchen mit der Familie machte. Abgesehen von der KdF-Reise nach Andernach hat sie nur diese eine Reise gemacht. Die Mutter war eine streng pietistisch geprägte Calvinistin, die ihre Tochter nach Hause zurückbeorderte, wenn in Köln der Karneval ausbrach. Pauline sollte in keener Weise sittlichen Gefahren ausgesetzt werden. Als die Kinder das schulpflichtige Alter erreichten endete die Tätigkeit in Köln und es ging zurück nach Salzuflen, wo sie Arbeit in der Stärkefabrik fand. Dort gab es einen „Aufseher“, der die jungen Frauen die im Ackord die Produkte verpackten drangsalierte und wohl auch unflätig behandelte. Meine Großmutter hatte Verbindungen zu Familie Hoffmann, wiegelte ihre Kolleginnen auf und sagte sie sollten sich das nicht länger gefallen lassen, sie würde mit zwei anderen „aufs Schloss gehen“ und sich beschweren. Dort wurden sie angehört und ihnen auch zugehört. Der „Aufseher“ wurde gerügt und entlassen. Meine Großmutter bekam allenthalben Beifall für ihr couragiertes Verhalten. Aber es wurde ihr geraten sich einen anderen Arbeitsplatz zu suchen. Den fand sie in Bielefeld bei der Frau des Kommerzienrates Krahnefuß als Zofe. Sie hatte dort nichts anderes zu tun, als die Kleidung der Kommerzienrätin in Ordnung zu halten.

Meine Großmutter war alles andere als vergnügungssüchtig und wohl schon etwas depressiv veranlagt. Nach Möglichkeit vermied sie lustige oder belustigende Veranstaltungen. Aber sie ließ sich eines Sonntags von einer Kollegin dazu verleiten einen Tanztee in der „Schönen Aussicht“ zu besuchen. Es waren mehrere Freundinnen, die gemeinsam loszogen. In der Zeit war das angesagte Modegetränk „Berliner Weiße“ und die Mädels waren über die großen Pokale erschrocken. Sie ließen sich kleinere Gläser bringen und schütteten das Getränk in kleinere Portionen um. Eine Gruppe junger Männer interessierte sich für diese merkwürdigen Vögelchen. Meine Großmutter hatte gehört, dass es Männern nicht gut bekommen würde, wenn ihnen eine Priese Asche ins Bier getan würde. Das wollte sie dann bei dem jungen Mann, der ihr nicht unsympathisch war auf den Wahrheitsgehalt überprüfen. Es muss wohl etwas zu viel des Guten gewesen sein und dem Versuchsobjekt wurde kotz übel. Meine Großmutter machte sich die größten Vorwürfe und dachte er stirbt. Mein Großvater konnte nicht verstehen, warum es ihm so übel war. Aber er war noch so klar bei Sinnen, dass er beschloss die junge Dame nicht aus seinen Fängen zu lassen.

Beide sahen das als einen Wink des Schicksals an und beschlossen schnellstmöglich zu heiraten. Eine lange Verlobungszeit war nicht nötig, denn der Bräutigam musste genügend finanzielle Mittel besessen haben. Das kann ein Teil des elterlichen Erbes gewesen sein, aber auch die Mitgift der verstorbenen Verlobten. Jedenfalls wurde in dem teuersten Möbelgeschäft die komplette Wohnungseinrichtung gekauft, Küche, Schlafzimmer und Wohnzimmer. Bis auf das Wohnzimmer habe ich die Einrichtung gekannt, die erst 1973 nach dem Tode meiner Großmutter von der Müllabfuhr wegen der hohen Qualität unter großen Mühen zertrümmert wurde. Das Wohnzimmer verschwand, als ein Zimmer während des Krieges abgegeben werden musste.

Aber es fiel ein Schatten auf die Hochzeitsfeier, die Familie der Braut blieb der Trauung fern, weil der Bräutigam ein bekennender Sozi war. Obwohl mein Großvater aus der Kirche ausgetreten war, fand eine kirchliche Trauung in der Martinikirche statt. Am Tage nach der Hochzeit rollte ein Pferdefuhrwerk vor, beladen mit der Aussteuer meiner Großmutter und unzähligen Kisten mit gepökeltem Fleisch, geräuchertem Schinken, allen Sorten von Würsten und vielen Gläsern mit Eingemachtem. Auch vier größere irdene Fässchen mit Sauerkraut und Rotkohl. Diese Fässchen wurden solange meine Großmutter noch den Garten besaß für Sauerkraut und Schnippelbohnen aus eigener Ernte verwendet. Wenn der Segen der Familie auch fehlte, so musste das junge Paar in der ersten Zeit keinen Hunger leiden.

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22 aralık 2023
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