Kitabı oku: «Hygienearzt in zwei Gesellschaften»
Dietrich Loeff
Hygienearzt in zwei
Gesellschaften
Erlebnisse und Ergebnisse meines Lebens
radochla verlag
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Satz & Gestaltung: radochla verlag unter Verwendung von Entwürfen des Autors
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2013
ISBN 9783938555286
Inhaltsverzeichnis
Cover
Titel
Impressum
Vorwort
Erstes Buch - Sozialismusversuch
Kapitel 1 - Krieg, Nachkrieg und DDR
Vaters Familie - Die mütterliche Seite - Der Tod meines Vaters - Erste Erinnerungen - Von der Volksschule zur Oberschule - Mädchen im Klassenzimmer - Ein Direktor - Einige Mitschülerinnen und Mitschüler - Schülerleben und Politik - 17. Juni 1953 in Berlin - Nachwirkungen des 17. Juni - Abitur
Kapitel 2 - Ein ereignisreiches Medizinstudium
Einen Studienplatz bekommen - Eintritt ins Studentenleben - Die akademischen Lehrer, Anton Waldeyer - Rienäcker - Tembrock im Vorphysikum - Rapoport - Unruhe unter Studenten - Der Scharfrichter Physikum - Klinische Lehrer, Linser - Prokop - Dost - Gietzelt - Die Famuli sind da - Klose - Katholische Lebens- und Berufsauffassung - Vormilitärische Ausbildung für Ärzte? - Arbeitseinsätze - Genschmar - Eine ungewöhnliche Vorlesung - Erster Promotionsversuch - Ein Investiturball und seine schönen Folgen - Den Arbeitsort wählen - Staatsexamen
Kapitel 3 - Arzt in einer mecklenburgischen Kleinstadt
Demmin – eine kleine Stadtvorstellung - Arzt in Demmin - Dr. Schwabe - Eine besondere Erfahrung - Lehrerin in Demmin - Die vergessene Verlobungsfeier - Frisch verlobt - Ernstes Zwischenspiel: 13. August 1961 - Auf der chirurgischen Abteilung des Kreiskrankenhauses Demmin - Poliklinik Demmin - Ermahnung zur wirtschaftlichen Arzneiverordnung - Vater werden ist nicht schwer - Kredit und Nebentätigkeiten
Kapitel 4 - Facharzt für Hygiene
Die DDR braucht Hygieneärzte - Das Fach Hygiene - Ein Kreisarzt in Mecklenburg - Ein Bezirkshygieniker in Mecklenburg - Fortbildung zum Kreishygienearzt - Die Kreishygieneinspektion Demmin - Hygieneregeln durchsetzen – eine Daueraufgabe - Ernteeinsätze - Musterung und Erkennungsmarke - Trinkwasserversorgung auf mecklenburgisch - Eine Stellungnahme und mehrere Gegenfragen - Ehrenamtlicher Stadtrat - Eine Gemeindeschwester kann befehlen - Dissertation und Promotion - Lagerarzt bei Templin - Gesetze der DDR durchsetzen - Das dramatische Jahr 1968 - Zwischenfall an der sowjetisch-chinesischen Grenze - Ein unanständiger Auftrag - Abschied von Demmin
Kapitel 5 - Cottbus voller Widersprüche
Cottbus, Zentrum des Energiebezirkes - Start mit Hindernissen - Was gilt das Wort eines Kreisarztes? - Eine Kreishygieneinspektion in einer Bezirksstadt - Das Gesundheitswesen einer Bezirksstadt - Kreisärzte in Cottbus - Übertragbare Gelbsucht im Hotel Lausitz - Schutzimpfungen und Impfpflicht - Komplexer Wohnungs- und Gesellschaftsbau in Cottbus - Kindereinrichtungen - Nitratfreies Trinkwasser - Hygieneinspektion und Politik - Schulspeisungsaktiv
Kapitel 6 - Schatten und Licht
Chile – ein stilles Vietnam - Solidarität in der DDR - Masern in Cottbus - Das Vaterland ruft mich - Bagenz - Fachtagungen - Eine unbekannte Leberkrankheit - Arbeitsgruppe Hygiene und Recht - Essen und Trinken in der DDR - Kulturelles Leben - Urlaub für DDR-Bürger - Kopfläuse greifen wieder an - Speiseeis - Gaststättenkontrollen - Cottbuser Bier
Zweites Buch - Krisenzeichen
Kapitel 7 - Sparen, sparen, sparen
Wettrüsten - Zivilverteidigung - Rationalisieren oder nur sparen? - Politische Witze im realexistierenden Sozialismus
Kapitel 8 - Ein bedeutsamer Schritt
Mein schwerer Entschluss - Sozialistischer Wettbewerb - Gorbatschow - Die Hauptstadt der DDR wird 750 Jahre alt - Tschernobyl - Der „Sputnik“ wird „abbestellt“ - Umweltpolitik und Umweltsünden in der DDR - Konflikt mit der Vorsitzenden des Rates des Bezirkes - Noch ein Blick auf die Nationale Volksarmee der DDR - Parteiaustritte, Sturmzeichen
Drittes Buch - Wertewandel
Kapitel 9 - Gewissheiten bröckeln
Montagsdemo - Diskussionen in der Dienststelle - Großkundgebung auf dem Alexanderplatz und Fall der Mauer - Wir informieren uns selbst - Volkseigentum geht den Bach hinunter - Verwandlung eines Kampfhubschraubers - Mein schwerer Entschluss, der zweite - Ich werde Stadtverordneter - Demos vor dem Stadtparlament - Erlebte Toleranz - Erlebte Intoleranz - Ahnungslosigkeit - Hilfe
Kapitel 10 - Umbau des Gesundheitswesens
Verunsicherung und Wandel - Unsichere Arbeitsplätze - Übernehmen oder selbst bestimmen?
Viertes Buch - Neuaufbau
Kapitel 11 - Enthusiasmus und Enttäuschung
Wiedervereinigung oder nur Beitritt? - Eigentumsfragen und Schuldtitel - Neue Räume für die Hygieneinspektion - Der Verband der Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes - Hygieneinspektoren erhalten Berufsanerkennung - Sichere Rente - Noch eine gesetzliche Regelung wird verbessert - Die Geburt einer Universität - Kurz und gut: Bundesgartenschau - Trauer in der Familie - Beobachtungen im Alltag
Kapitel 12 - Bürokratie – oder der Sieg der Form über den Inhalt
Erste Kontakte mit neuen Bestimmungen - Die richtigen Formulare - Fördermittel - Der Leiter des Landesversorgungsamtes in Cottbus ist überrascht - Zeuge eines neuen Glücks
Kapitel 13 - Der Druck nimmt zu
Verkleinerung der Volkshochschule - Wieder muss gespart werden - Ein Maulkorb - Hilfe mit Schwierigkeiten - Personalabbau - Abgang mit erhobenem Haupt
Fünftes Buch - Ergebnisse
Kapitel 14 - Ein persönlich zufriedener Arbeitsloser
Was nun? - Essen und Trinken als Bundesbürger - Urlaub für Bundesbürger - Was haben wir hinter der Mauer verpasst? - Wirtschaftlicher Wettbewerb - Kulturelles Leben in Cottbus seit 1990 - Klassentreffen
Kapitel 15 - Mitwirken in der Politik
Meinungsbildung - Schlaglichter auf die Massenmedien - Demonstrationen
Kapitel 16 - Wie weiter?
Bilanzversuch - Was bleibt - Das süße Wort Freiheit - Eine andere Welt ist nötig - Warum ich Pazifist bin - Wohin geht die Welt? - Eine andere Welt ist möglich
Selbstversuch
Ich habe
an mir selbst
ausprobiert,
welche Möglichkeiten
es heute schon gibt,
ein neuer Mensch
zu sein.
Obwohl diese Wunden
nur langsam
vernarben,
bin ich nicht
ohne Hoffnung.
Nur
für den einzelnen
ist das einfach
zu viel.
Heinz Kahlau
Vorwort
Dies ist ein Bericht über meine Erfahrungen in zwei Gesellschaftssystemen; in der sowjetischen Besatzungszeit und der DDR einerseits und im neu vereinigten Deutschland andererseits. Damit möchte ich Verständnis wecken, Verständnis, dass man auch anders leben kann, als es in etlichen Zeitungen einseitig suggeriert wird, anders als eine Mehrheit gegenwärtig lebt und vielleicht auch leben will. Wir Bürgerinnen und Bürger der DDR versuchten, mit anderen und doch sehr menschlichen Zielen zu leben, der Öffentlichkeit nützlich und nur so egoistisch zu sein, wie es das eigene Dasein ausreichend sichert.
Beim Niederschreiben des Textes habe ich besonders an all jene gedacht, die das Leben in der DDR nur aus der Schule oder aus Berichten kennen. Die Schule kann ja nicht alles behandeln, und vermag kaum lebendige Vorstellungen zu vermitteln, selbst wenn sie gut ist. Auch jenen Leserinnen und Lesern(1) ist das Buch gewidmet, denen als Bürger der alten Bundesländer so krasse gesellschaftliche Veränderungen erspart blieben. Weil ich also nicht bei allen Lesern Detailkenntnisse voraussetzen kann, sind viele Erklärungen beigegeben.
Ich habe mehrere geschichtliche Augenblicke aus nächster Nähe miterlebt. Das war nicht immer ein ungetrübtes Vergnügen. Zwischen Elbe und Rhein blieb nach 1945 trotz aller entsetzlichen Kriegsfolgen der Grundaufbau der Gesellschaft erhalten, das Privateigentum spielte weiter seine bestimmende, geachtete Rolle und die Wertvorstellungen wurden wie eh und je vom Bildungsbürgertum geprägt. Der Gedanke, dass etwas im Leben anders sein könnte, als das Altbekannte, war nicht verwurzelt. Viele Benennungen, Gewohnheiten und Denkweisen aus der Vergangenheit existierten wie selbstverständlich weiter. Der Zweite Weltkrieg hatte nicht allen Bürgerinnen und Bürgern Anlass zu tiefem Nachdenken und Schlussfolgerungen gegeben.
Ganz anders in der sowjetischen Besatzungszone und der DDR. Ab 1945 vollzogen sich hier grundsätzliche gesellschaftliche Umbrüche in fast allen Lebensbereichen. Das war nur anfangs von der sowjetischen Besatzungsmacht direkt bewirkt. Mit den Jahren erlangten die neuen Verhältnisse eine gewisse Stabilität und wurden zeitweise von vielen Bürgern anerkannt und gefördert, von anderen zu ihrem persönlichen Vorteil genutzt.
Sensationen sind auf den folgenden Seiten nicht zu erwarten. Mir geht es um das alltägliche Leben und seine Verbindung zur großen Politik. Ich möchte erklären, wie wir gelebt, gearbeitet, uns gefreut und auch geärgert haben. Ich möchte an charakteristischen Vorgängen und Episoden zeigen, dass der größte Teil des Lebens eben nicht aus Jammern und Leiden wegen der Repressionen bestand, sondern aus Alltagsbegebenheiten, wenngleich diese – und besonders der Kalte Krieg – fast alle Lebensbereiche berührten.
Auch war ich in meiner DDR-Vergangenheit nie ein Widerstandskämpfer gegen den Sozialismus, selbst wenn der Leser diesen Eindruck gewinnen könnte, weil ich an mehreren Stellen darüber berichte, dass ich unzufrieden war, widersprochen oder mich nicht konform verhalten habe. Aber das habe ich meist als nötige Auseinandersetzungen, auch über den weiteren Weg der DDR betrachtet. Nur selten und zeitweise habe ich das Ende der DDR gewünscht. Fast nie habe ich westliche Rundfunk- und Fernsehsender eingeschaltet, obwohl ich das öfter hätte tun können – und vielleicht auch tun sollen. Gelegentlich habe ich auch meine Meinung zu politischen und anderen Fragen geändert. Das tue ich auch heute noch. Wer das nicht kann, ist wohl unbelehrbar. Mir scheint aber, es melden sich heute mehr angebliche Rebellen gegen die DDR-Führung zu Wort, als es tatsächlich damals gab. Vielleicht ist das bequem für das eigene Selbstverständnis sowie auch für die Karriere und sicher ist das Ende der DDR nicht das einzige historische Ereignis mit solchen Begleiterscheinungen. Übrigens schwankte die Zahl der kritischen DDR-Bürger erheblich, weil viele Menschen ehrlich nach der Wahrheit suchten.
Längst nicht über alle Ereignisse kann ich schriftliche oder sachliche Unterlagen beibringen. Persönliche Erinnerungen – der Historiker weiß es – haben für die Geschichtswissenschaft einen geringeren Beweiswert als Dokumente, die zeitnah zum Ereignis selbst entstanden und als Verträge oder Urkunden auch sorgfältig ausformuliert sind. Ein Tagebuch habe ich nie geführt. Und natürlich ist es weder möglich, noch sinnvoll, jede Einzelheit zu berichten. Wozu auch? Über Patienten, manche Privatangelegenheiten und über Einzelheiten der Dienstdurchführung ist Schweigen aus menschlicher Rücksicht geboten oder gesetzlich bis über das Dienstverhältnis hinaus vorgeschrieben. Auch nicht jeder Klarname kann hier stehen, sondern nur die echten Namen prominenter Persönlichkeiten und derjenigen, die ich nicht kritisieren muss. Andere Personen tragen veränderte Namen oder sind nur nach ihren Eigenschaften beschrieben. Soviel Persönlichkeitsschutz muss sein, schließlich bin ich nicht die Gauck-Birthler-Behörde. Mir geht es nicht um persönliche Schuldzuweisungen oder späte Rache an Widersachern. Nachtragende Mitmenschen gibt es mehr als zu viele und zur verbreiteten Unsitte, dass Verleumdete ihre Unschuld beweisen müssen, werde ich nicht beitragen.
Hygieniker haben ein breites Spektrum von Kontrollaufgaben. Dazu lernen sie von vielen Fachgebieten etwas. Sie können zwar beruflich weder für eine Gaststätte kochen, noch eine Schule leiten, noch Trinkwasser aufbereiten. Aber denjenigen, die diese Berufe ausüben, können sie mindestens erfolgreich dreinreden. So werde auch ich auf den folgenden Seiten hier und dort Halbwissen anzubieten haben. Die Leserin und der Leser mögen das verzeihen, vielleicht ist Halbwissen ja besser als Unwissenheit, wenn man sich der eigenen Grenzen stets bewusst ist.
Geschichte ist, wie alles in der Welt, gesetzmäßig voller Widersprüche. Widersprüche aber können Entwicklungen vorantreiben. Dazu muss man sie kennen und deshalb werden einige davon hier beschrieben.
Ich überlasse der Leserin und dem Leser das Urteil. Für Hinweise bin ich jederzeit dankbar. Wenn ihn meine Berichte und anschließenden Überlegungen interessieren oder gar fesseln sollten, wäre das gut und könnte ihn zu meinem Ziel begleiten:
scheinbare Gewissheiten überprüfen,
mehr in Alternativen denken,
mehr selbstlose Anteilnahme an öffentlichen Aufgaben,
mehr Solidarität.
Cottbus, im Juli 2009
Dr. med. Dietrich Loeff
1 Im weiteren Text ist zur Erleichterung der Lesbarkeit meist die männliche Sprachform verwendet, die weibliche Sprachform jedoch gleichwertig gemeint.
Erstes Buch
Sozialismusversuch
Unter jeder
Unter jeder
hoffnungsvollen Idee
sammeln sich
Märtyrer und Heilige,
Alleswisser
und Pragmaten,
kleine Gauner und
große Schurken,
Pflichtbesessene und
Pflichtvergessene,
Wahrsager,
Rechthaber,
Vorschreiter,
Mitläufer und
sehr viele Leute –
die einfach da wohnen.
Heinz Kahlau
„Wir Buchenwalder, Russen, Franzosen, Polen, Tschechen, Slowaken und Deutsche, Spanier, Italiener und Österreicher, Belgier und Holländer, Engländer, Luxemburger, Rumänen, Jugoslawen und Ungarn, kämpften gemeinsam gegen die SS, gegen die nazistischen Verbrecher, für unsere eigene Befreiung. Uns beseelte die Idee: Unsere Sache ist gerecht - Der Sieg muss unser sein!
Wir führten in vielen Sprachen den gleichen, harten, erbarmungslosen, opferreichen Kampf und dieser Kampf ist noch nicht zu Ende. Noch wehen Hitlerfahnen! Noch leben die Mörder unserer Kameraden! Noch laufen unsere sadistischen Peiniger frei herum! Wir schwören deshalb vor aller Welt auf diesem Appellplatz, an dieser Stätte des faschistischen Grauens:
Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht!
Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen schuldig.
Zum Zeichen Eurer Bereitschaft für diesen Kampf erhebt die Hand zum Schwur und sprecht mir nach:
WIR SCHWÖREN!“
Aus dem Schwur der befreiten KZ-Häftlinge von Buchenwald, 1945
Kapitel 1
Krieg, Nachkrieg und DDR
Vaters Familie
Meine väterlichen Vorfahren waren über mehrere Generationen Winzer im Moselgebiet. Sie stammen aus dem Dorfe Löf. Den kleinen Ort findet man nur in sehr guten Atlanten, aber natürlich im Internet. Er liegt reichliche 20 Kilometer von Koblenz die Mosel aufwärts. Löf ist heute mit einer anderen Gemeinde zusammengelegt. Unter dem Familiennamen Löf (in dieser Schreibweise) findet man zwei Telefonbucheinträge in der näheren Umgebung und einen im Ort Löf selbst. Ob es sich dabei um sehr entfernte Verwandte handelt, weiß ich nicht. Ich habe Mitte der neunziger Jahre auf der Durchfahrt in Löf einen recht kurzen Zwischenhalt einlegen und ein paar Flaschen des dortigen Weines mitnehmen können. Von einer Familie Löf war dort nichts bekannt.
Dann zogen Mitglieder der Familie Löf, oder nun schrieben sie sich wohl Loeff, nach Berlin und befassten sich mit technischen Aufgaben. Ein Urahn hat eine Kaffeemaschine und eine spezielle Petroleumlampe konstruiert und damit gutes Geld verdient. Davon gingen immerhin noch 65 000 Goldmark als Erbe an meinen Vater, der sie in der Inflation 1923 komplett verlor. Meine Großeltern väterlicherseits habe ich nicht mehr kennen gelernt.
Mein Vater, geboren 1876 und gestorben 1950, war bis 1945 Beamter, zuletzt meines Wissens Preisinspektor. Er hatte zwei Söhne aus erster Ehe, geboren am Beginn des 20. Jahrhunderts, die ich beide noch kennen lernte. Sie leben aber beide nicht mehr. Der jüngere dieser Söhne war mit einer Schriftstellerin, Friedel Loeff, verheiratet. Diese schrieb schon seit den dreißiger Jahren Kriminalromane, die ich als Junge alle gelesen habe, später auch andere Unterhaltungsliteratur. Sie konnte außerdem schlagkräftige Brieftexte für andere Mieter ihres Wohnhauses verfassen, wenn der Hauswirt auf normale Mängelanzeigen nicht reagierte. Zuletzt lebte sie in Frankfurt am Main. Nach 1970 ist unsere briefliche Verbindung zu ihr abgerissen, weil mehrere Briefe meiner Mutter, in denen deutliche Kritik an der Bundesrepublik enthalten war, sie nicht erreichten. Jetzt entnehme ich dem Internet, dass sie auch danach noch schriftstellerisch tätig gewesen sein muss, denn dort sind mehrere Buchtitel aufgeführt, von denen während unserer direkten und brieflichen Kontakte nie die Rede war.
Mein Vater war nach dem Krieg 1945 als Mitglied der Nazipartei natürlich entlassen und von der sowjetischen Militärbehörde in Berlin zu Enttrümmerungsarbeiten herangezogen worden. Das dauerte einige Monate und umfasste die Zeit, in der wir anderen Familienmitglieder ohnehin Berlin noch nicht wieder erreicht hatten, da wir, der Bombenangriffe wegen, innerhalb einer Evakuierungsaktion nach Deutsch-Nettkow ausgewichen waren. Mein Vater hat von diesen Arbeiten, die ihm mit damals immerhin 68 Jahren nicht ganz leicht gefallen sein können, nie über besondere Härten berichtet, die sich nicht aus den Notwendigkeiten der Enttrümmerung selbst ergaben. Natürlich war es Zwangsarbeit, aber getan werden musste sie ohnehin.
Die mütterliche Seite
Meine Mutter stammte von Bauernfamilien in Niederschlesien. Die Großmutter war aus Deutsch-Nettkow, ihre Eltern waren Mittelbauern. Das Dorf heißt heute Nietkowice und liegt ungefähr in der Mitte zwischen Krossen (Krosno Odrzańskie) und Grünberg (Zielona Gora), direkt an der Oder. Meine Großmutter starb im Winter 1945 an den Spätfolgen der Flucht mit ihren Strapazen. Mein Großvater mütterlicherseits stammte aus dem nahen Dorfe Beutnitz. (Bytnica). Seine Eltern waren ebenfalls Bauern, er aber schlug eine Beamtenlaufbahn ein. Da er 1937 gestorben ist, kannte ich ihn nicht.
Meine Mutter kam 1904 in Potsdam zur Welt, doch zogen meine Großeltern sehr bald mit ihr nach Berlin. Sie war sprachbegabt und eine gute Zeichnerin. Ein Hochschulstudium hätte sich angeboten, doch reichte das Beamtengehalt meines Großvaters nicht weit und die Ehefrauen von Beamten durften damals nicht arbeiten, weil das den Staat blamiert hätte, der seine Beamten schlecht bezahlte. Deshalb wurde nur dem jüngeren Bruder meiner Mutter, Walter, eine gediegene Ausbildung ermöglicht, der ein guter Techniker wurde und an den Anfängen der deutschen Fernsehindustrie in den dreißiger Jahren beteiligt war.
So wurde meine Mutter Schreibkraft, geübt in Stenografie und Schreibmaschinenarbeit. Durch ihre Umsicht arbeitete sie sich zur Sekretärin herauf und war bis 1933 im preußischen Innenministerium tätig. Als die Nazis an die Macht kamen, verlangten sie von ihr, aus der SPD auszutreten. Das lehnte sie ab. Daraufhin wurde sie ohne weitere Umstände aus dem Innenministerium in eine Krankenkasse versetzt. Das betreffende Schriftstück befindet sich noch in meinem Besitz. Der Empfang am neuen Arbeitsplatz war bemerkenswert: „Ach deswegen sind Sie nach hier umgesetzt worden? Na, dann werden wir gut zusammenarbeiten“, empfing sie ihr neuer Chef. Meine Mutter hat sich dann in die sehr andere Aufgabe rasch eingelebt, erforderliche Prüfungen gut gemeistert und ihre Tätigkeit auch nach dem Kriege und längerer Krankheit ab 1950 fortsetzen können.
Anderen Beschäftigten des preußischen Innenministeriums ging es schlechter. Ein hochkarätiger Jurist, den sie kannte, Robert Kempner, wurde, weil er Jude war und auch öffentlich gegen die Nazis anschrieb, entlassen und drangsaliert. Er emigrierte voller Zorn in die USA. Bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen war er Stellvertreter des Chefanklägers der USA, Robert H. Jackson und hat sich auch danach – wieder in Deutschland lebend – intensiv für die Bestrafung der Schuldigen und die Entschädigung der Opfer eingesetzt.