Kitabı oku: «Bayerische Hinterhand»
Dinesh Bauer
Bayerische Hinterhand
Kriminalroman
Zum Buch
Grenzgänger Streifenpolizist Sepp Sonnleitner wird Zeuge eines kaltblütigen Mordanschlags. Im Biergarten, beim Schafkopfen. Das schockt selbst einen abgebrühten Bauern-Bullen. Das Opfer war alles andere als ein Unschuldslamm: Erwin Ehgartner – Weiberheld, Patriot, Geschäftemacher. Mordmotive und Verdächtige gäbe es zur Genüge. Nachdem jedoch Ehgartners Tiroler „Geschäftsfreund“ gleichfalls eine Kugel abbekommt, ist er überzeugt, dass sie einer groß angelegten Verschwörung auf der Spur sind. Sonnleitners Ex-Partner Rabensteiner greift zu unorthodoxen Methoden. Bei einer nächtlichen Geisterbeschwörung weist ihnen sein Urahn, ein Kampfgefährte Andreas Hofers, den Weg – nach Tirol. Doch nicht nur das bayerische Dream-Team sucht nach Ehgartners Mörder. Kripo-Kommissar Reimers zieht alle Register der kriminalistischen Kunst, um die Hintergründe der Tat aufzuklären. Auch er landet in Tirol – und versucht unter der Regie einer österreichischen Staatsschützerin das fein gesponnene Tarnnetz der Verschwörer zu zerreißen.
Servus beinand! Das Bayerische liegt mir im Blut – meine Vorfahren stammen samt und sonders aus dem weiß-blauen Land zwischen Mangfall, Isar und Loisach. Warum ich Heimat-Krimis schreibe? Weil mich die Wilderer-Dramen, die alten Mythen und Sagen der bayerischen Berge schon als kleiner Bua fasziniert haben. Meine kriminellen „Fallstudien“ verstehe ich als Hommage an Land und Leute. Die raue und doch auch wieder sanfte Landschaft, das ureigene Savoir-vivre, das ist für mich Heimat. Wer seine Wurzeln und seine Geschichte kennt, erkennt sich selbst. Dahoam is eben Dahoam.
Impressum
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
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Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Teresa Storkenmaier
Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von: © SKatzenberger / shutterstock.com
ISBN 978-3-8392-6794-3
Zitat
»A Pfoad ohne Knopf, a Hois ohne Kropf,
a Kuah ohne Hei, a Hirsch ohne Gweih,
a Wurst ohne Haut, a Geselchts ohne Kraut,
a Brot ohne Speck, a Sau ohne Dreck,
grod des soi kummt ma fia, is a Boar ohne Bier.«
»Der Marschall Le Feber ließ unser Bataillon aufstellen und ein Karee vormieren und schimpft die ganze Deutsche Nation auf das Schmählichste. Als wenn wir es mit den Insurgenten hielten, kommt es heraus. Es ward den Infanteristen befohlen, einen Ring um den Bergisel zu bilden und als lebendige Zillscheibe auszuharren, wenn allenfalls die Bauern einen Sturm auf uns anlegen sollten, daß wir gleich voran stehen und die Kavalleri und die Artilleri und die übrigen schußfrei halten. Es wird eim ganz anders, wenn man hinsizen mus wie ein armer Sünder auf das Schaffot, der jeden Augenblik den Todesstreich erwartet.«
(Tagebuch des Josef Deifl,
Infanterist im bayerischen Heer anno 1809)
Handelnde Personen
JOSEF »SEPP« SONNLEITNER, urbayerischer »Schlawiner-Sheriff«
VERONIKA »VRONI« SONNLEITNER, seine Gattin, ist Kummer gewohnt
VITUS »VEITL« RABENSTEINER, Sonnleitners Spezl mit Tiroler Wurzeln
IRINA RABENSTEINER, seine Frau, engagiert sich in Schönhubers Patrioten-Bewegung
SILVESTER »FESL« GIETL, Sonnleitners Junior-Partner, macht auf ultracoole Trachten-Joppe
*
ARMIN REIMERS, Hauptkommissar bei der Kripo Rosenheim
MARIE-ROSE DUROC, Kommissarin, bayerische Bretonin mit Charme und Charakter
BARTHOLOMÄUS »BARTHL« PFÖDERL, Kommissar und Ur-Bayer, detektivische Spürnase mit laxer Dienstauffassung
MAGDALENA »LENI« HABERL, graue Eminenz der Kriminalinspektion
ROSWITHA STEINER, Oberleutnant im Landesamt für Verfassungsschutz in Innsbruck, fesche Anti-Terror-Maid
FRITZ ORTERER, Chef der kriminaltechnischen Abteilung
*
ERWIN EHGARTNER, Brauer, Weiberheld und bajuwarischer Patriot mit rechter Gesinnung
LYDIA SCHÖNHUBER, Chefin der Patrioten-Bewegung, Ehgartners Kampfgefährtin
ANDRÄ HINTEREGGER, Tiroler Bergbauer
GENOVEVA »VEVI« HINTEREGGER, geborene Rabensteiner, Lahner-Bäuerin, Großcousine von Vitus
ALFONS »FONSÄ« BICHLER, Geschäftsführer des Stern-Bräus und Ehgartners Erz-Feind
MARLENE BICHLER, seine »getreue« Gattin
*
SIEGFRIED »SIGGI« DÜRR, einstiger Kumpan und Mitstreiter Ehgartners, Ränkeschmied mit krimineller Energie
FICHTNER alias LUIS, Kampfgenosse Ehgartners, arbeitet insgeheim für die Ösi-Stasi
*
KASPAR BRANDNER, ein Mann für alle Fälle
HANS-CHRISTOPH VON WOLKENSTEIN, Chef eines Geheimbunds mit großen Plänen
GÖSSL, Geheimbündler mit schwarzem Humor
*
OSWALD RABENSTEINER, Ahnherr einer Tiroler-Bergbauernsippe, Adjutant Hofers
ANDREAS HOFER, Bauernführer und Tiroler Landeskommandant, wurde auf Napoleons Befehl exekutiert
KAJETAN SWETH, Hofers Hof-Schreiber
Schellen Sieben
Der krausbärtige Mann hockte im Herrgottswinkel der Gaststube. Um seinen fülligen, untersetzten Leib spannte sich die Montur der Tiroler Schützen. Ein Schlapphut saß schief auf seinem massigen Bauernschädel. Wie Schraubstöcke umklammerten seine klobigen Pranken ein sorgfältig gefälteltes Briefchen – langsam wie in Zeitlupe sanken seine Arme kraftlos herab. Das wettergegerbte Gesicht des Mannes war von Furchen und Spalten zerkerbt. So als ob er unter Kurzsichtigkeit litt, kniff der Bärtige die rotgeäderten Augen zusammen und musterte die Runde schweigsamer Männer, die sich um den Tisch geschart hatten. Tonlos murmelte er: »Der Herrgott hat uns verlassen! Ich aber lass enk ned im Stich, Mahnder!« Wie ein Mantra wiederholte er gebetsmühlenhaft diesen einen Satz: »Ich lass enk ned im Stich.« Mit den hingehauchten Worten bildeten sich kleine Kondenswölkchen in der Luft. In der holzvertäfelten Wirtsstube war es eisig. Der Kachelofen war erkaltet, die Glut unter der Asche lang schon erloschen. Es war eine klamme, beklemmende Kälte, die alles erstarren und das Gebein gefrieren ließ. Hofer saß da wie ein zu Tal gestürzter Fels, starr und reglos seine Miene. Sein Schreiber und Sekretär aber fror erbärmlich. Kajetan Sweth knetete fortwährend die steifen, wund geschriebenen Finger – er hätte daran denken sollen, ein paar Fäustlinge einzustecken. Hofer schien unfähig zu sein, einen klaren Gedanken zu fassen, geschweige denn den Befehl zum Aufbruch zu erteilen. Jemand aus Hofers Stab, der Stimme nach handelte es sich um Hofers Flügeladjutanten Oswald Rabensteiner, fuhr den Herbergsvater ruppig an: »Schupfen-Wirt, warum hast den Kachelofen nit anschüren lassen? Seint wir dir als Gäste nit mehr genehm? Hier herinnen isch es so saukalt, dass das Wasser in der Schüssel gefriert!« Der als Schupfen-Wirt titulierte Bauernschrank von einem Mann wurde bleich und blass um die Nasenspitze. Hofer wiegte bekümmert sein Haupt: »Lass gut sein, Oswald! Es gibt Gäste, die kommen zur Unzeit. Bin selber lang genug Wirt drüben im Passeier gewest …« Seine Worte stockten wie geronnene Milch. Endlich besann sich Hofer und ließ den Wirt wissen: »Gastgeb’ habt Dank und seid versichert, dass unser Bleiben hier ein baldiges End find’t!«
An der mit Zirbelholz vertäfelten Wand über den »gewesten« Landeskommandanten von Tirol hing ein im Reich des Kaisers von Österreich beliebtes Sujet: eine in Kupfer gestochene Allegorie auf das hochedle, allzeit siegreiche Haus Habsburg. Um das erlauchte Haupt des glatzköpfigen Kaisers waberte ein Glorienschein. Das Wappentier der Habsburger, der schwarze Adler, breitete seine Schwingen, begierig, seine Beute mit Haut und Haar zu verschlingen. Kaiser Franz der Erste dieses Namens war indes weit weg. Seine Majestät saß an seinem Schreibtisch im Schönbrunner Schloss und verschwendete kein Briefpapier mehr auf die Rebellen im fernen Tirol. Hofers wackere Streitschar war für ihn nur eine Handvoll Bauern auf dem Schachbrett der großen Politik. Bauern, die man zur Not opferte. Der Kaiser Österreichs war gezwungen, einen Pakt mit dem Kaiser der Franzosen zu schließen, dem Gebot der Stunde gehorchend. Ein Bündnis mit dem übermächtigen Großmogul der Grande Nation würde das Haus Habsburg aus seiner misslichen militärischen Lage befreien und neuen Spielraum für einige gekonnte diplomatische Winkelzüge verschaffen. Was zählten da die Treueschwüre einiger ungehobelter Hinterwäldler? Der Herr zu Schönbrunn war Realist, die Bergbauern und Bettelmänner hatten mit hohem Einsatz gespielt – und verloren. Rien ne va plus.
Hofer blickte von seinem leeren Schnapsglas auf: »Der große Schnitter hat reiche Ernte eingefahren. Der bayerische Kronprinz Ludwig paradiert in Innsbruck. Der große Wolf, er hat obsiegt!« Der Mann mit dem Prophetenbart starrte trübsinnig vor sich hin. Hofer schien um Jahre gealtert, ein gedemütigter und gebrochener Mann. Sein Kaiser, wenn nicht Gott im Himmel selbst, hatte ihn verlassen. Einer der Hauptleute rief mit vor Bitternis bebender Stimme: »Wir haben eine Schlacht, aber nicht unsere Courage, unseren Glauben verloren! Wir gehen in die Berge und führen den Kampf im Untergrund fort!«
In defätistischer, schwermütiger Niedergeschlagenheit schüttelte Hofer sein Haupt. Seine sehnigen, schwieligen Hände lagen vor ihm, so als ob er nichts mehr mit ihnen anzufangen wüsste. »Dreimal ist unser Herr Jesus unterm Kreuz gefallen, dreimal haben wir den Feind aus unserem Landl verjagt. Ein viertes Mal mag’s ned gehen, doch ich werd’ enk ned verlassen!«, begehrte Hofer gegen die Macht des Schicksals auf.
Ein Raunen ging durch Hofers Hofstaat: »Recht so, Vater Hofer!«, »Dreinschlagen sag ich, Andrä!«, »Setzt ein Sendschreiben auf!«
Sweth blickte sich mit erstaunten Augen um, die gespitzte Feder in der Linken griffbereit. »Wir alle, die wir hier stehen, halten dem Heiligen Land Tirol die Treue, aber selbst der Kaiser hat unsere Sache verraten und verkauft«, gab der Anführer der Pustertaler Schützen zu bedenken: »Es isch verspielt, Kommandant. Unsere Männer sind auf der Flucht, es ischt kein Halten mehr!«
»Die bayerischen Truppen stehen schon in Igls und Patsch. Wir müssen fort von hier«, merkte ein anderer, ein hünenhafter Hufschmied, besorgt an.
Hofer stemmte sich von der Sitzbank hoch und setzte sich kerzengerade hin, dann erst orderte er bei der Schankmaid eine Runde Schnaps: »Sei so guad, Madl, und bring uns noch einen Kerschgeist. Am besten lascht die Flasche gleich bei uns am Tisch, gell!« Das Gesicht der hübschen Maid glühte vor Aufregung, ihre Bäckchen leuchteten so feuerrot wie eine frisch erblühte Pfingstrose. Sie versuchte sich an einem höfischen Knicks, was der Bauerndirn indes gründlich misslang: »Sehr wohl, stets zu Euren Diensten, Herr Hofer, ich mein, Herr Kommandant.« Eiligst huschte das fesche Weibsstück davon, um eine neue Bouteille des von einem Nachbarn des Schupfenwirts selbst gebrannten Kirschgeists aus der Speisekammer zu holen. Hofer hielt den Blick gesenkt, fuhr sich durch den dichten, krausen Bart: »Früher bin i der David, der Makkabäer gewest, und jetzt? Ach Himmel, was soll nun aus unserem armen, gebeutelten Landl werden?« Wie um einen feierlichen Schwur vor Gott und der Welt abzulegen, hob Hofer seine Rechte zur Brust. »Kajetan, Feder, Tinte und Papier. Es isch Zeit!« Der Schreiber Kajetan Sweth beeilte sich, der Order seines Chefs nachzukommen. »An eure Durchlaucht den Kronprinzen von Bayern. Es hat der Allmächtige so eingerichtet, dass uns heutigen Tages das Kriegsglück hat verlassen müssen.« Die frisch gespitzte Feder kratzte fahrig über das feine Kanzleipapier. Die umstehenden Männer tuschelten untereinander, klobige Lederstiefel scharrten auf den Dielenbrettern. »Ich bitt’ daher recht schön, dass eure Exzellenz in Erwägung ziehen mögen, die Feindseligkeiten von Stund’ an einzustellen. André Hofer, Feldkommandant et cetera. Du weißt schon, Sweth.« Die Feder des Schreibers flog über das Papier, um der blanken Botschaft ein paar gefällige Wendungen und Schnörkel abzuringen. Eine schwere, brütende Stille senkte sich über Hofer und seine Männer. Was würde aus Tirol, was würde aus ihnen und den Ihrigen werden. Ihrer aller Zukunft lag in Gottes Hand. Der himmlische Vater jedoch hüllte sich in Schweigen.
Hofer setzte seine krakelige Unterschrift unter das Gesuch, die Waffen fortan schweigen zu lassen. »Oswald, sei so gut«, er winkte seinen Adjutanten Rabensteiner heran und händigte ihm das Papier aus. »Schau zu, Oswald, dass du beim Kronprinzen in der Hofburg vorstellig wirst. Der König von Bayern soll doch so gnädig sein, uns die alten Freiheiten zu belassen. Und die Patres – ohne Glauben da geht’s ned! Einen Glauben braucht der Mensch …« Hofers Stimme erstarb.
Der Mann mit einer blutigen Schramme im Gesicht senkte seine Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern. »Wo werdet Ihr zu finden sein, Gevatter Hofer?«
»Geh nach Matrei, hinauf nach Maria Waldrast. Pater Maurus wird wissen, wo ich mich aufhalt’, Oswald!« Hofers Getreuer ließ das gefältelte Briefchen in die weiten Taschen seines fleckigen Mantels gleiten, salutierte kurz und eilte zur Remise, zu den Pferden. Der Schreiber Sweth wagte kaum zu atmen. In der Gaststube war es so still, dass man nur das Ticken der Wanduhr hörte: »Tick-tack, Tick-tack!« Sweth beschlich das beklemmende Gefühl, dass ihre Zeit abgelaufen war. Die bayerischen Truppen waren ihnen dicht auf den Fersen. Jeden Moment konnte der Wachtposten draußen Alarm schlagen. Doch statt eines grimmig dreinblickenden Landsturmmanns trat die Schankmaid in die Stube. Die Steingutflasche kam vor Hofer zum Stehen: »Vergelt’s Gott!« Ein schüchternes Lächeln ließ ihre Wangen aufs Neue aufflammen: »Zum Wohlsein, Vater Hofer! Wirst sehen, Tirol geht nit unter. Vor den batzlaugerten Boarenfacken und den froschmaulerten Katzelmachern fürcht sich ein Tiroler Madl ned.« Diesmal gelang ihr der Knicks bedeutend besser und im Gehen ließ sie eine Reihe schneeweißer Zähne aufblitzen. Hofer sah ihr mit wehmütigem Blick hinterher, füllte sein Glas und stürzte es wie ein Verdurstender hinunter. Bedächtig wischte er sich mit dem haarigen Handrücken über den Mund, dann sah er eindringlich von einem zum anderen. Sein vom Kerschgeist getrübter Blick schärfte sich, so als ob er im Stande wäre, in den Gesichtern zu lesen, ob sich ein Verräter, ein zweiter Judas unter ihnen befand: »Unser Brüder Herz, es blutet. Seid indes getrost – ich lass enk ned im Stich!« Der Anführer der aufständischen Tiroler erhob sich mit einer solch ruckartigen Bewegung, dass er heftig gegen den Tisch stieß. Eines der Schnapsgläser fiel herab und zerbarst klirrend. Das Geräusch riss Sweth aus seinen Gedanken. War dies ein böses Omen? In seinem Schädel dröhnten das Klirren der Klingen, das Singen der Schwerter, der Knall der Stutzen und Musketen. Hörte das jemals auf? Hatten sie den bitteren Kelch nicht schon bis zur Neige geleert? Tief im Inneren wusste der Schreiber, dass er, Hofer und all die anderen hier einer verlorenen Sache dienten.
Herz Sieben
Die »Linde« zu Grainbach war einer jener magischen Orte, um rituelle Schlachtfeste zu zelebrieren und den Ahnen zu opfern. Was für einen Japaner der Shinto-Schrein und der Sake, waren für einen Bayern das Fass und die Maß. In den Wirtsgärten beschworen die Adepten der überkommenen Bräuche und Traditionen nicht nur die Geister der guten, alten Zeit, sondern frönten auch rein weltlichen Vergnügungen. Diesseits und Jenseits gehörten hierzulande zusammen wie die Sau und der Speck, wie der Mensch und der Dreck. Das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Beim Wetter allerdings musste man im Oberland mit allem rechnen. Mit Schnee im August wie mit Föhnstürmen im Februar. Vorige Woche hatte ein heftiger Flockenwirbel das frische Grün glasiert. Raureif hatte Feld und Flur überzuckert. Endlich war die Eiszeit passé, der Frühling eingekehrt. Ein laues Lüftchen ließ die ersten Blätter in Bäumen und Büschen rascheln. Die Luft war von samtener Konsistenz, das Licht flauschig und flaumig. Kreidegriffel kratzten Zaubersprüche auf die Schiefertafeln: »Biergarten geöffnet«. Auf den Balkonen stapelten sich die Blumenkästen, bald würde darin das Scharlachrot der Geranien erblühen. Lichtgirlanden schlängelten sich wie Riesenschlangen von Ast zu Ast. Aus den Lautsprecherboxen jodelte alpenländische Folklore, Boarische oder Zwiefacher. Die ersten Starkbier-Striezi suchten sich ein Sonnenplätzchen. Die Haut fahl und fleckig, die Speckschicht stattlich. Der Winter hatte deutliche Schmauchspuren hinterlassen. Die kraftstrotzenden Naturburschen in den alten Heimatfilmen à la »Jäger von Fall« sahen anders aus. Da entsprach der Lindenwirt schon eher dem Archetyp des strammen Mannsbilds: breitschultrige, kräftige Statur, muskelbepackte Oberarme, dazu ein fein gezwirbelter Schnurrbart, der die kantigen Züge perfekt zur Geltung brachte. Wie es sich für einen urtümlichen Gamsbart-Gastronomen geziemte, war er in Loden und Leder gewandet. Mit Adleraugen kontrollierte er, ob vor Ort alles picobello war. Die Inspektion fiel zu seiner vollsten Zufriedenheit aus, sodass er am Rückweg seiner Stamm-Kellnerin Irmi gravitätisch zunickte: »Fesch bist beinand, zum Anbeißen!« Irmi hatte sich auch alle Mühe gegeben: die weiße Bluse, das grüne Dirndl, den rosafarbenen Rock mit Blümchenmuster aus dem hintersten Winkel des Bauernschranks gezerrt. Sogar ein gelbes Bändchen hatte sich Irmi in das zum Zopf gebundene Haar geflochten. Das Bier würde nur so aus den Zapfhähnen schießen, der Appetit auf Schweinshaxen und Zigeuner-Spießchen riesig, das Trinkgeld dementsprechend üppig sein. Noch hatte Irmi Zeit, um die Boazn-Bagage, die sich in ihren speckigen Garnituren um den Stammtisch geschart hatte, auf Touren zu bringen. Das mit animalischen Grunzlauten unterlegte Geknurre mochte bei einem des bayerischen Idioms unkundigen Beobachter den Eindruck erwecken, dass eine Horde Neandertaler die letzte Eiszeit unbeschadet überstanden hatte. Aus heiserer Kehle krächzte der Buchwieser Wigg: »I sog oiwei gegga an Misthaufen kannst ned ostinga!« Der zweite im Bier-Bunde, der Unterleitner Rudl, nuckelte an seinem Glas: »Es ist doch so: Gschlampert macht wampert, das ist ein Gesetz der Natur!« Angesichts dieser tiefgründigen Stammtisch-Weisheiten mochte Trachtenträger Nummer Drei, der Glaserer Gustl, nicht zurückstehen: »Wie beim berühmten Satz des Pythagoras, von nix kummt nix.« Der Vierte in der Zecher-Runde, ein vierschrötiges Mannsbild vom Format des Riesen Goliath, meckerte wie ein Ziegenbock: »Das ist eine Sentenz von Sokrates. Dich haben s’ auch mit Semmelbröseln aus’m Woid rausgelockt.« Unterleitner hatte unterdessen sein Glas geleert und kniff die Kellnerin ungeniert ins gut gepolsterte Hinterteil: »Ah, du Hirnbeiß! Das ist das Paradoxon des Diogenes! Sei so guad und bring mir noch ein Helles!« Irmi rüffelte den ungehobelten Lackel: »Nimm deine dreckerten Pratzen weg, alter Saubär!« Irmi schlug einen geschäftsmäßigen Ton an: »Noch was? Dann muas i ned zwoamoi roaffen!« Die Antwort kam wie aus einer Kehle: »Zwei Halbe Dunkle und ein Weißbier!« Der Riese mit dem Körperbau eines Gorillas, der Wachtveitl Hias, feixte vergnügt: »Dei Vater war a Bräuross ha, i moan bei dem broaden Oarsch?« Die Malz-Matz war nicht auf den Mund gefallen. Mit gekonntem Hüftschwung zeigte sie den Boaznbrüdern ihre rückwärtigen Reize: »Red du nur, du aufgestellter Mausdreck! Erbsen, Bohnen, Linsen – lassen des Oaschal grinsen!« Drei der Stammtischbrüder glucksten, als ob jemand einen zotigen Witz gerissen hätte. Der Wachtveitl Hias murrte griesgrämig in seinen Prinzregenten-Gedächtnisbart: »Weiber sterben is koa Verderben, Vieh verrecka, des ko schrecka!« Es war wie mit Yin und Yang, Tag und Nacht. Eine ewige Polarität, die die Funken fliegen ließ. Ein Scheitl allein im Kamin aber brannte schlecht.
An Tisch Nummer fünf ging es beileibe nicht so zünftig und fidel zu wie bei den Boaznbrüdern nebenan. Vier Männer saßen schweigend da, ihre Mienen so unergründlich wie die bayerische Seele. Verstohlene Blicke suchten in den Gesichtern ihrer Mitspieler zu lesen. Kryptische, wie von einer Codiermaschine verschlüsselte Sätze waren zu vernehmen: »Auf die Bumms!«, »Den pack i dant!«, »Mit der Oidn, bist gut ghoitn!«, »Hau a Pfund nei!« Das Schafkopf-Vokabular war nur jenen vertraut, die in die Mysterien von Ober und Unter eingeweiht waren. Schafkopf war kein Kinderspiel, nein! Hier wurde die hohe Kunst des Kartelns zelebriert. Jeder der vier suchte zu ergründen, wie es um das gegnerische Blatt bestellt war, welche Trümpfe der Vordermann in der Hinterhand hatte. Den Blauen, den »Alten« gar? War er farbfrei, in Schellen, in Eichel? Dem Habichtsblick eines erfahrenen Zockers entging nichts, kein Zucken im Mundwinkel, kein Zeichen des Zögerns und Zauderns. Es galt die Absichten des Gegners zu erahnen, im richtigen Moment einzustechen, um mit einem Stich möglichst viele »Augen« einzustreichen. Eine Sau zählte 11, der Zehner 10, der König 4, ein Ober 3, ein Unter 2 Augen. Die »Luschen«, also Neuner, Achter und Siebener waren »Nullen«. 120 Augen respektive Punkte waren im Spiel, mit 61 war der Sack zu. Und allein darum ging es.
Fair Play war am Kartentisch verpönt, da ging es derb und deftig zu. »So eine Sudsau, so eine verreckte!«, »Abgestochen hätte die Sau gehört!«, »Die Farbe musst du nachspielen, du Trottel!« Das Meckern, Schimpfen und Granteln gehörte einfach zum bayerischen Naturell. Sepp Sonnleitner war ein Parade-Bayer und ein ausgebuffter Kartenfuchser dazu. Schafkopf und Tarock waren für Sonnleitner das, was für Okkultisten und Nekromanten das Tarot war. Mit Argusaugen verfolgte er das Spielgeschehen. Sein Bordcomputer lief auf Hochtouren. Ein eingefleischter Kartler wusste stets, wie viele Punkte bereits vergeben waren. Sein Nebenmann stupste ihn unter dem Tisch an. Ein sicheres Zeichen, dass sein alter Spezl Vitus »Veitl« Rabensteiner ein mieses Blatt hatte. Bei ihm sah es indes nicht besser aus. Fortuna war ihm nicht gewogen. Er lugte zu Rabensteiner hinüber, der wie aus dem Landei gepellt war: kuhbraune Lederhose, blau-weiß kariertes Hemd, samtschwarzes Gilet mit rot paspelierten Taschen, fichtengrüner Trachtenhut mit Band und Kordel. Von der Statur her glich Rabensteiner einem Sumo-Schwergewichtler. Mit seinen Bären-Pranken, den muskulösen Oberarmen und dem Brustkorb eines Zugochsen flößte er jedem potenziellen Gegner Respekt ein. Zweifelsohne war Veitl ein beeindruckendes Exemplar der Gattung Homo Alpiniensis. Doch da war mehr Schein als Sein. Rabensteiner mochte den Macho-Macker geben, doch daheim hatte er nichts zu melden. Da hatte seine Gemahlin Irina, eine ebenso rassige wie streitlustige Wolgagermanin, die Hosen an. Zu allem Überfluss hatte Madame Rabensteiner beschlossen, ihren Gatten vorerst von Tisch und Bett zu verbannen. Veitl war »auf Bewährung« und logierte draußen im Gartenhäuschen. Die häusliche Situation war also suboptimal und der Druckkessel drohte zu platzen: »Was ist jetzt, Erwin? Wird das heut’ noch was oder scheißt dir in die Hosen?«
Ehgartner ließ solche Verbalinjurien nicht unkommentiert. »Geduld ist die Mutter vom Gulasch. Wir sind hier nicht beim Watten oder Grasobern. Das richtige Anspiel will wohlüberlegt sein.« Das hämische Grinsen schürte in Sonnleitner die Befürchtung, dass der niederträchtige Loden-Loder ein Bombenblatt hatte. Ehgartner war listig wie ein Fuchs, gerissen wie ein Waschbär und nachtragend wie ein Elefantenbulle. Mit seinem Stiernacken, den walzenförmigen Wadeln und dem grellrot glasierten Sauschädel sah er aus wie der Zwillingsbruder der bayerischen Polit-Ikone FJS. Sein vulkanisches Temperament und sein Jähzorn waren gefürchtet. Zumal er ohne Umschweife mit der Zielstrebigkeit eines Presslufthammers in den »Infight« ging.
Kartler Nummer vier riskierte eine dicke Lippe: »Ist dir der Erzengel erschienen oder hast grad dein Damaskuserlebnis? Ich hätt’ ein Spiel!«
Ehgartner mimte den jovialen, vor Selbstgefälligkeit strotzenden Großbauern. »Schaut schlecht für dich aus, mein Freund. Ich sitz vorn!« Sepp Sonnleitner scannte zum wiederholten Mal seine Karten, doch sie wurden nicht besser. Zwei Säue, der Herz Zehner, zwei Könige, drei windige Luschen. Trümpfe – Fehlanzeige. Obendrein war die Gras Sau blank, das sah nicht gut aus, gar nicht gut. Ohne das nötige Kartenglück war beim Schafkopf kein Sauschwänzchen zu gewinnen. Sonnleitner schickte ein Stoßgebet gen Himmel, dass sich der Herrgott seiner erbarmen möge und den Kelch an ihm vorübergehen ließ. »Wenn nix weiter geht, werfen wir zusammen.«
Doch die Rollen waren wie die Trümpfe klar verteilt. »Ich spiel – oder hast was dagegen, Erwin?« Der vierte Mann wurde langsam ärgerlich. Sepp ahnte Schlimmes. Wie es aussah, hatte der Bursche einen astreinen Wenz – bei dem nur die Unter Trumpf waren – auf der Hand.
Der Neue in der Runde war der hagere, habgierige Typ. Sein Raubvogelgesicht, der lauernde, tückische Blick verhieß Ärger. Das kehlige K, das rollende R deuteten darauf hin, dass der beutegierige Berg-Bajuware aus dem südlichen Nachbarland stammte. Sepp hielt nicht sonderlich viel von ihren »Stammesverwandten«. Hinterfotzige Hinterwäldler, deppengesichtiges Diebsgesindel. Und heute plusterten sich die Speckknödelfresser wie die Gockel am Misthaufen auf, nur weil sie dank Pickerl und Pulverpisten zu Geld gekommen waren. Wie ein typischer Vertreter der alpinen Zipfelklatscher-Zunft sah der Großkotz allerdings nicht aus. Handgenähte Lederlatschen, haselnussbraune Flieger-Jacke mit Pelzkragen, moosgrüne Cargohose im Casual-Look. Fehlte nur noch die verspiegelte Ray Ban. Sonnleitner suchte sein Heil im Small Talk: »Wo bist denn her, aus Innsbruck oder von Kitz drüben?«
Die coole Cargohose grinste nur herablassend: »Willst mir eine Ansichtskarte schicken, oder was?«
Ehgartner kicherte wie ein Ziegenbock: »Hofergasse 1 A, haha!«
»Nix für ungut, Salute!« Der unverschämte Kerl, den Ehgartner als »guten Geschäftsfreund und aufrechten Patrioten« gebauchpinselt hatte, erhob das Glas zu einem Toast: »Auf uns, ein einig Volk und Vaterland!«
Ehgartner strahlte über beide Schlitzohren: »So ist es recht, Fichtner! Wir halten zusammen wie Pech und Schwefel! Wir sind von einem Schlag, schlagen mit geballter Kraft zu. Wir jagen dieses ganze Gesindel zum Teufel und holen uns unser Land zurück.« Wie die bilaterale »Kooperation« zwischen Bayern und Tirolern im Detail aussehen würde, darüber schwieg sich Ehgartner geflissentlich aus. Rabensteiner war wie erwartet – schließlich stammte die Sippschaft seines Vaters aus einem dieser finsteren Bergtäler – sofort Feuer und Flamme: »Bayern und Tirol, dass isch lei oans! Das ist unsere Heimat, die gehört uns allein. Ned den Negerwaschln.« Veitl spuckte gerne große Töne, zumal er zu Hause nichts zu gacksen hatte. Sonnleitner war kein Freund solch zweifelhafter Stammtischparolen. Er war bekennender Bayer und stolz darauf. Deswegen musste er mit seiner Weltanschauung nicht hausieren gehen. Extremismus, in jeglicher Form, war der falsche Weg. Und führte nur zu Hass und Unfrieden. Dass er sich mit ketzerischen oder gar rassistischen Äußerungen zurückhielt, hatte rein pragmatische Gründe: Er war Polizeibeamter, da war es allemal gescheiter, unter dem Radarschirm zu bleiben. Auch wenn er nicht im Dienst, sondern auf der Verliererstraße war.
Ehgartner gab sich einen Ruck. »Herz sticht! Heute ist Zahltag.«
Sonnleitner zischte: »Geh verreck, so ein Dreck.« Hilfeheischend schielte er zu Rabensteiner hinüber. Ihre Blicke kreuzten sich – ein Solo würde ins Geld gehen. Sepp Sonnleitner und Vitus Rabensteiner waren ein eingespieltes Tandem. Seit den Tagen, als sie auf getunten MZ Mopeds zum Grand-Prix-Rennen in Imola gedüst waren – in Nietenjacken, mit zwei Biertrageln und wenig mehr im Gepäck. Sepp und Vitus waren aus demselben Holz gedrechselt. Bayerische Eiche. Sture Dickschädel, die sich in die Haare kriegten und wieder aussöhnten. Aus ähnlich robustem Erbmaterial, doch nach Charakter und Physiognomie durchaus verschieden. Rabensteiner war etwas kräftiger, grobknochiger. In seiner Sturm-und-Drang-Zeit hatte er sich zum Kraftpaket hochgehantelt. Anfang 30 war er jedoch vom Barras-Beau zum Bundesgrenzschutz-Beamten mutiert und hatte gehörig Hüftspeck angesetzt. Bei Sepp hatte es nie zum Muskelmonster gereicht. Er taugte weder zum Athleten noch zum Asketen. Schon als Säugling hatte er mit wahrer Wonne an der Mutterbrust genuckelt. Später dann, im zarten Alter von fünf oder sechs Jahren, hatte der »Sepperl« die kulinarischen Schätze der heimischen Schmankerlküche entdeckt. Die Oma hatte ihren »Enkerl« mit Rindsrouladen, Kalbsnierenbraten, Rahmgeschnetzeltem, Strudel und Striezel verwöhnt. Von da an war es um ihn geschehen. Kalorienarme Grünkost seitdem vom Speiseplan gestrichen: Kaiserschmarren mit Weinbeerl, Krautnocken, marinierte Schweinshaxenscheibchen, Schmorbraten in Dunkelbiersoße. Die »kalorienarme« Kochkunst war ein Garant dafür, dass man nicht zum Knochengerüst abmagerte. In jungen Jahren war er durchaus ein fescher, wenn auch etwas untersetzter Bursch gewesen, vor dem kein Gipfel, keine Gämse sicher war. Erst nach der Heirat mit Vroni war er wie ein Germknödel auseinandergegangen. Liebe ging bekanntlich durch Magen und Gedärm. Ein Prozess, der langsam, quasi organisch vonstattengegangen war. Wie die Eichen im Wald hatte er Jahr um Jahr an Masse und Volumen zugelegt. Vor allem um die Leibesmitte. Bis sämtliche Hosennähte zu platzen drohten. Dieser Umstand hatte Veronika Sonnleitner dazu bewogen, den »gwamperten Uhu« rigoros auf Diät zu setzen. Wellfleisch, Wammerl & Co. wurden ersatzlos gestrichen. Die Fastenzeit hatte den gewünschten Effekt erbracht. Die Waage zeigte zehn Kilo weniger an als noch vor einem Jahr. Er war ganz »spitzig« im Gesicht, wie er fand, aber seine altgediente Lederhose passte wieder wie angegossen.