Kitabı oku: «Rettungskreuzer Ikarus 11 - 20: Verschollen im Nexoversum (und 9 weitere Romane)», sayfa 15

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Captain Sentenza zog die Brauen zusammen und aktivierte entschlossen die Bordkommunikation.

»Weenderveen, Anande, DiMersi – wenn Sie nichts Unaufschiebbares zu tun haben, kommen Sie in fünf Minuten auf die Brücke.« Er bekam von allen dreien innerhalb von Sekunden eine Rückmeldung – keiner hatte dringende Aufgaben. Thorpa warf dem Captain von seinem Platz aus einen fragenden Blick zu und raschelte leicht mit den Zweigen – das Geräusch wurde lauter, als Sonja DiMersi kaum eine Minute später wie ein Sturmwind in der Zentrale erschien. Sie setzte sich beherrscht in ihren Sessel und musterte Sentenza, bis die anderen beiden ebenfalls erschienen waren und die Crew somit vollzählig war.

Der Captain erhob sich und räusperte sich leise. »Ich habe eine sehr wichtige Mitteilung zu machen, die die ganze Crew betrifft und die schon lange überfällig war.«

»Heiraten!« Der begeisterte Zwischenruf des Pentakka riss den Captain aus seiner Ansprache. »Sie und der Chief werden heiraten, nicht wahr? Ich habe darüber gelesen!« Thorpa schwenkte die Äste wie ein Kind, das sich im Unterricht meldet. »Sie sind seit geraumer Zeit Gefährten und haben die ersten Stadien der Partnerschaft hinter sich gebracht: Annäherung, Sympathiebekundungen, körperliche Vereinigung und jetzt …«

»Thorpa!« Die Stimme von Sonja DiMersi klang eisig. Der Pentakka verstummte sofort. Anscheinend hatte er sich doch geirrt …

»Wenn ich sage, ›die ganze Crew‹, so könnten Sie sicherlich einwenden, dass Trooid zurzeit nicht hier ist. Er braucht jedoch nicht dabei zu sein, denn er weiß schon seit einiger Zeit Bescheid.«

Der Blick, den Sonja ihm zuwarf, hätte Plaststahl zerschneiden können. »Bescheid worüber?«

»Über die Modifikationen, die ich eigenmächtig und ohne wissenschaftliche Grundlage an der Ikarus vorgenommen habe. Ja, mehr noch: Die ganze Sache wird Ihnen als unlogisch, höchst risikoreich und gefährlich erscheinen. Jeder dieser Vorwürfe wird zutreffen. Doch der Erfolg spricht für mich, denn ohne die Veränderungen an dem Computersystem der Ikarus wären wir spätestens seit dem Treffen mit der Rettungskapsel der Zuflucht vernichtet – wieder eine Ikarus mehr auf der Sollseite, und diesmal inklusive der ganzen Besatzung.«

»Und was genau ist diese … Modifikation? Sie betrifft die Steuerung, oder nicht? Trooid hätte die Flugmanöver damals nicht ausführen können.« Weenderveen blieb gelassen. Verbesserte Technik machte ihn neugierig, nicht besorgt.

»Auch. Deswegen musste ich Trooid schon früh einweihen – er hat die Veränderungen als Pilot eher bemerkt.«

»Und jetzt, da auch wir anderen es beim besten Willen nicht mehr übersehen konnten, werden wir ebenfalls informiert«, schnappte Sonja DiMersi. Als sie erfahren hatte, dass es ohne ihr Wissen Veränderungen am Schiff gegeben hatte, war sie fast explodiert vor Zorn. Seit dem Zwischenfall auf der Oremi vor ihrer Zeit beim Raumcorps ging ihr die Sicherheit der Ikarus über alles. Von ihr, so fürchtete Sentenza, würde er am allerwenigsten Verständnis erwarten können, auch wenn er es sich am meisten gewünscht hätte.

»Ja«, nahm der Captain den Vorwurf schlicht an. »Die ganze Sache war ein Experiment und zudem höchst illegal. Ich wollte im Falle eines Fehlschlages der einzige Verantwortliche sein – keine Mitwisser, keine Mitleidenden.«

»Captain, ich schätze Ihre Fertigkeiten, aber Sie sind kein Techniker und kein Softwarespezialist. Wie konnten Sie den Computer der Ikarus verändern?«

Sentenza atmete tief ein, ehe er die ruhige Frage Anandes beantwortete. »Indem ich einen Teil der intelligenten Materie, die wir in dem fremden Raumschiff auf dem Fraktalplaneten gefunden haben, über die Babelkammer eingeschleust habe.«

Stille herrschte nach dieser Aussage. Sentenza wappnete sich gegen das, was nun kommen mochte.

»Die Substanz, die uns töten wollte?«, fragte Sonja DiMersi gefährlich leise. »Die die Kontrolle über die Ikarus I übernahm und dafür sorgen wollte, dass wir alle auf dem Planeten umkommen? Die dir, Roderick, unerträgliche Schmerzen zugefügt hat?«

Er nickte nur. Das alles entsprach der Wahrheit. Aber ehe der Chief weitersprechen konnte, ergriff Sentenza das Wort.

»Es ist gleichzeitig die Materie, die das fremde Raumschiff zu einer höchst effektiven Waffe gemacht hat, zu einer künstlichen Intelligenz, die jedem anderen mir bekannten Prinzip eines Bordcomputers weit überlegen ist: schnell, anpassungsfähig, effektiv, mehr als jedes noch so ausgefeilte Programm, manchmal auch besser als wir oder sogar Trooid.«

»Haben Sie die Substanz vorher irgendwie überprüfen können?«, warf Weenderveen ein.

Sentenza verneinte. »Wer hätte das machen sollen? Und wäre uns die Materie jemals wieder zur Verfügung gestellt worden, damit wir einen Rettungskreuzer damit bestücken? Es war nur eine kleine Menge, vielleicht nicht reproduzierbar. Das Raumcorps hätte sie für ein Kriegsschiff verwendet, nicht für uns. Und ich will und werde kein Schiff mehr verlieren, wenn es irgendetwas gibt, womit ich das verhindern kann.«

»Großartig!« Sonja DiMersi sprang von ihrem Platz auf. »Dann hättest du dieses Zeug besser gar nicht erst eingesetzt! Schnell und effektiv, ja, eine Waffe, ja! Aber wer weiß, vielleicht gegen uns? Wenn es deinem neuen Supercomputer einfällt, uns alle in eine Sonne zu fliegen, weil er sich an alte Feindschaften erinnert, was dann? Kannst du ihn dann aufhalten?« Sie trat vor und funkelte Sentenza frostig an. »Nein, ich wette, das kannst du nicht. Du hast uns alle diesem Dreck ausgeliefert, auf Gedeih oder Verderb, ohne die Konsequenzen auch nur annähernd zu kennen! Was sollte das sein? Russisches Roulette mit einer Alienwaffe? Und weil es uns noch nicht den Kopf weggeblasen hat, soll das jetzt ein Erfolg sein?«

Die anderen Mitglieder der Crew blieben reglos, während der Chief ihren Zorn hinausschrie. »Das Raumcorps hätte diesen Mist definitiv nicht in ein Kriegsschiff eingesetzt, Roderick! Und weißt du, warum? Weil es zu gefährlich, zu unberechenbar gewesen wäre! Sie hätten es untersucht und weggeschlossen, und das wäre schlau gewesen. Aber nein, du weißt es ja besser als alle Wissenschaftler, Techniker und der Rest der Welt. Du hast dieses Schiff – mein Schiff! – damit infiziert wie mit einer Krankheit, einfach aus einer Laune heraus. Und das, ob Captain oder nicht, das werde ich dir nicht verzeihen.«

Sie strich sich das weiße Haar zurück und schien etwas in sich zusammenzufallen. Ihre Stimme war leiser, als sie weitersprach.

»Ich kann die Verantwortung für die Ikarus nicht mehr übernehmen, denn ich weiß nicht, wie weit ich noch Einfluss habe. Heute ist es die Steuerung, morgen vielleicht der Antrieb oder die Lebenserhaltung, wer weiß? Die Ikarus II war ein gutes Schiff, das beste überhaupt. Ich habe keine Ahnung, was sie jetzt noch ist …«

Sonja DiMersi wandte sich ab, stürmte an den anderen vorbei und aus der Zentrale. Es war Anande, der sich als Erster räusperte.

»Captain, sie hat recht. Aber das wissen Sie genauso gut und wussten es vermutlich auch vorher.«

Roderick Sentenza sah seinen Bordarzt an und fragte sich, was jetzt als Nächstes kommen würde. Der schmale, dunkelhaarige Mann zeigte keine lesbaren Emotionen.

»Wäre die Ikarus ein lebender Patient, wäre so ein Verhalten vergleichbar mit der Verabreichung eines ungetesteten Medikaments oder Aufputschmittels – unverantwortlich. Trotzdem verstehe ich die Motivation dahinter und bin zufrieden mit den Auswirkungen – ansonsten würde keiner von uns mehr hier sitzen.«

»Die Zeit wird zeigen, wie weit die Veränderungen gehen«, stimmte Weenderveen zu. »Bisher hat sich die KI uns gegenüber nicht feindlich gezeigt, im Gegenteil. Und vielleicht werden wir in Zukunft noch mehr Hilfe brauchen können. Ich hätte mir aber gewünscht, Sie hätten uns früher informiert, Captain.«

»Ich weiß. Es gab, wie immer bei solchen Dingen, nie den richtigen Moment dafür, zumal ich sicher war, dass die Reaktionen nicht positiv sein konnten.« Sentenza fühlte einen heftigen Stich im Herzen, als er an Sonjas Ausbruch dachte. War damit jetzt alles vorbei? Ihre Liebe, die sie gerade erst zusammen entdeckten, und ihre gute Zusammenarbeit in diesem Team? »Wir alle arbeiten jetzt schon seit geraumer Zeit mit der KI, ohne es zu wissen – von Trooid und mir abgesehen. Ich denke nicht, dass es mit dem Wissen komplizierter werden sollte, unsere Aufgaben zu erfüllen.«

»Auf jeden Fall spannender«, vermutete Weenderveen. Der Robotiker fand die Idee eines Raumschiffs mit einer eigenen Intelligenz sicherlich noch weitaus faszinierender als jeder andere an Bord.

»Anande?«

»Bisher betrifft es meinen Bereich kaum.« Der Arzt zuckte die Schultern. »Wenn es so weit kommen sollte, kann ich mehr dazu sagen.«

»Thorpa?«

»Die Auswirkungen sind gravierend, Langzeitschäden sind ganz sicher zu erwarten«, antwortete der Pentakka ernst.

»Woher wollen Sie das wissen, Thorpa?«, schaltete sich Weenderveen ein. »Sie haben von Computersystemen doch gar keine Ahnung.«

»Dessen bin ich mir auch voll bewusst. Davon spreche ich auch gar nicht. Ich meinte das Vertrauensverhältnis innerhalb der Besatzung.«

Da niemand zu diesem Punkt etwas zu sagen hatte, wurde die nüchterne Einschätzung des Pentakka zu einem Schlusswort in dieser ungewöhnlichen Zusammenkunft.


Der Einsatz auf Schluttnick Prime war, wortwörtlich, eine ätzende Angelegenheit. Die Giftgaswolke, die sich über das Land gelegt hatte wie ein grünlicher Nebel, hatte Angst und Schrecken über die Bevölkerung gebracht und somit, neben den Verätzungen von Haut und Atemwegen, auch zu ziellosen Fluchten geführt, in deren Verlauf weitere Schluttnicks verletzt worden waren. Großfamilien mit wahlweise mehr als zehn Männern oder Frauen und zahlreichen Kindern eilten hinter einer schwergewichtigen Führungsperson her, um einen der überfüllten Züge zu erreichen und aus der Stadt zu kommen. Die gleichen Gruppen hetzten zum Teil schon Stunden später in die andere Richtung zurück, solange ihre Atemmasken noch hielten, weil die Luft auf dem Land genauso verseucht und gefährlich war. Dazwischen bewegten sich Schluttnicks, die verzweifelt versuchten, die Ordnung wiederherzustellen – meist mit einem Hinweis darauf, dass Panik schlecht war für den Profit, was aber niemanden mehr so richtig zu beeindrucken schien. In dem Chaos Hilfe zu leisten, war fast unmöglich.

Gleich nach ihrem Eintreffen wurden sie von Vertretern der Schluttnickregierung begrüßt, die ihnen wortgewaltig jegliche notwendige Unterstützung zusagten – wobei sie notwendig auf eine Weise betonten, dass die Mitglieder der Ikarus-Crew vielsagende Blicke tauschten. Zum Glück fiel die Bitte von Doktor Anande, die durch das Giftgas verletzten Leute persönlich zu untersuchen, in diesen unabdingbaren Bereich. Die Regierungsvertreter schickten noch am gleichen Tag jemanden vorbei, der ihnen die medizinischen Einrichtungen der Stadt zeigen sollte.

Es war ein junger Mann in einem mit auffälligen roten Mustern verzierten Schutzanzug. Er stellte sich als Lupptek vor und begegnete dem Captain mit vollendeter, kaum erträglicher Höflichkeit, ehe Anande es schaffte, den Schluttnick an den Sinn seines Hierseins zu erinnern und aus der Schleuse in Richtung Stadt zu bugsieren – der Arzt der Ikarus wirkte neben seinem massigen Begleiter zierlich wie nie zuvor. Thorpa, der unbedingt einen ersten Eindruck von der Schluttnickgesellschaft bekommen wollte, bestand darauf, mit ihnen zu kommen. Seine kugelförmige Schutzblase erregte auf den Straßen der Hauptstadt mehr als nur ein bisschen Aufsehen.

Schließlich betraten sie ein Gebäude von enormen Ausmaßen und es dauerte einen kurzen Moment, bis Doktor Anande begriff, dass sie ihr Ziel anscheinend erreicht hatten. Zumindest legte der junge Schluttnick seinen Schutzanzug ab und lächelte auffordernd. Thorpa öffnete ebenfalls seine Schutzkugel und sah sich interessiert um.

»Wir sind da«, bestätigte der Unpässlichkeitsversorgeranwärter Lupptek – hinter dem seltsamen Titel verbarg sich wohl etwas wie ein Arzt im Praktikum. Da Lupptek aus einer einflussreichen Familie kam, besaß er trotz seines geringen Alters bereits einen Respekt einflößenden Körperumfang. Seine Herkunft, das hatte er ihnen stolz berichtet, ließ ihn die normale Ausbildung auch sehr viel schneller durchlaufen, als das bei einem weniger privilegierten Schluttnick der Fall gewesen wäre – es war einfach nicht angemessen, ihn so viel Zeit unnütz mit Lernen verschwenden zu lassen, wenn er doch mit seinem Namen ruckzuck eine Praxis eröffnen konnte. Die Weisheit hinter dieser Regelung blieb Anande verborgen – er hoffte nur im Stillen, dass, sollte er je die medizinische Betreuung eines Schluttnickarztes brauchen, er demnach an einen aus der untersten aller Schichten geraten würde.

»Sie wollten uns in das nächste große Krankenhaus führen«, erklärte Anande geduldig. Einen Moment lang flackerte Unsicherheit in Luppteks Blick, ehe er antwortete. »Aber … wir sind im Krankenhaus.«

»DAS ist ein Krankenhaus?« entfuhr es Thorpa – und Jovian Anande konnte ihm nur zustimmen. Er hatte viele medizinische Einrichtungen gesehen, aber keine war weniger zweckmäßig gewesen als diese.

Sie standen in einem Flur, dessen Wände mit opulenten Malereien zweifelhafter Ästhetik bedeckt waren. Dicke samtene Vorhänge wogten wie ein erstarrtes Meer aus Purpurrot und Lindgrün über jede Ecke und bildeten üppige Stolperfallen auf dem mit flauschigem Teppich ausgelegten Boden. In der Mitte des Flures war eine flache Laufschiene zu sehen, vermutlich für die Gleitsessel, die zur festen Einrichtung aller nobleren Schluttnickhäuser gehörten. Kleine Tische mit allerlei Nippes darauf belagerten die letzten freien Stellen – auf jedem von ihnen standen zudem kleine Tabletts mit verschiedenen Alkoholika in grotesk verzierten Karaffen, eine große Schachtel Pralinen und andere Knabbereien. Von dem Flur gingen große Holztüren ab – Nein, verbesserte sich Anande in Gedanken, Tore, denn sie waren breit genug, um auch dem üppigsten Schluttnick Zugang zu gewähren. Gerade öffnete Lupptek eines von ihnen durch den Fingertipp auf eine Sensorplatte – der junge Möchtegernarzt machte einen leicht beleidigten Eindruck.

»Aber natürlich ist das hier ein Krankenhaus! Es ist das teuerste und somit selbstverständlich das beste in der ganzen Hauptstadt. Wir haben nicht nur jeden erdenklichen Luxus, sondern auch das beste Essen überhaupt … und vor allem die allerneusten Gerätschaften. Das Feinste vom Feinsten. Es ist eine Ehre, hier krank sein zu dürfen!«

»Zweifellos«, stimmte Anande trocken zu und folgt Lupptek in den nächsten Raum. In die allgegenwärtige geschmacklose Ausstattung war eine große Apparatur eingefügt worden, die zumindest einigermaßen technisch wirkte. Lupptek wieselte mit einer für seine Körpermasse erstaunlichen Gewandtheit zu dem Gerät hinüber und legte ehrfürchtig eine Hand auf das mattschwarze Metall, an dem eine grüne Lampe träge blinkte.

»Dies hier zum Beispiel ist ein Artef… äh, ein medizinisches Wunderwerk von elementarer Wichtigkeit.« Er warf sich in die Brust und seine Stimme bekam fast etwas pastorales. »Es ist ein Meteorismendelokator zur Behandlung akuter Flatulationen.«

»Ein … äh, was?« ließ sich Thorpa vernehmen, kleinlaut angesichts der anscheinenden Tragweite der ihm präsentierten Technik.

»Wenn ich das richtig verstanden habe, handelt es sich um ein Gerät zum Ablassen von Verdauungsgasen bei Blähungen«, übersetzte Anande ungerührt und wandte sich dann wieder an Lupptek.

»Das ist alles sehr … beeindruckend, junger Mann, hilft uns aber nicht weiter. Ich bin gekommen, um mir die Verletzten anzusehen. Es muss in dieser Stadt Hunderte von Schluttnicks geben, die durch die Gaswolke schwere Verätzungen davongetragen haben, und ich sehe hier keinen einzigen von ihnen.«

»Nein, natürlich nicht! Dieses Krankenhaus ist viel zu exklusiv für den normalen Bürger«, stimmte Lupptek lachend zu und machte eine abwehrende Handbewegung. Dann stockte er, als er erkannte, dass Anande seine Amüsiertheit nicht teilte. »Sie meinen … Sie wollen wirklich …«

Der eisige Blick des Mediziners von der Ikarus war Antwort genug und Lupptek schluckte.

»Aber dann müssen wir in die Krankenverwaltungshallen«, wandte er zaghaft ein und knautschte seine reich verzierte Arztrobe.

»Endlich verstehen wir uns.« Anande machte eine einladende Geste in Richtung des Flures und Lupptek schlich – wenn das überhaupt möglich war – noch langsamer voraus als bisher.

Die Krankenverwaltungshallen waren eine ganze andere Welt als die von dem jungen Schluttnick so stolz vorgeführte Luxuseinrichtung.

In jedem der großen Liegesäle standen mindestens dreißig Betten auf – nach den hiesigen Verhältnissen – sehr engem Raum. Die Krankenverwalter in den schmucklosen Kitteln quetschten sich zwischen den jammernden Schluttnicks hindurch, andauernd behindert von stoischen Besuchern, die alle Schlutterware-Dosen bei sich trugen.

»Die Angehörigen der Kranken sind hier für deren Versorgung natürlich selber zuständig«, erklärte Lupptek mit leidenschaftsloser Stimme, während er sie durch die Säle führte und sehr darauf bedacht war, mit nichts und niemandem in Berührung zu kommen. Dieser Wunsch nach Distanz schien von den Krankenverwaltern erwidert zu werden, denn sie wichen dem Unpässlichkeitsversorgeranwärter geschickt aus – gleichzeitig schafften sie es unauffällig, den Weg des jungen Mannes zu einem Hindernisparcours zu machen. Dem geschulten Auge des Pentakka entging nicht, wie beiläufig sie Rollwagen voller Bettpfannen, Säcke mit schmutziger Wäsche und ähnliche Annehmlichkeiten schon weit voraus so postierten, dass Lupptek sich naserümpfend an ihnen vorbeischieben musste.

»Die Angehörigen versorgen die Patienten mit Lebensmitteln? Es gibt hier keine Krankenhausküche?«, hakte Doktor Anande nach, als sie endlich wieder nebeneinander gehen konnten.

»Mit Lebensmitteln und mit Medikamenten«, erwiderte Lupptek und strich sich imaginären Schmutz von der Robe.

»Aber das hier ist doch ein Krankenhaus!«, platzte Thorpa heraus. »Sollte es da nicht eine medizinische Versorgung geben?«

»Selbstverständlich! Alle Patienten werden jeden Tag untersucht, bekommen eine Diagnose und eine Liste der nötigen Medizin. Zudem dürfen sie die Behandlungsmaschinen benutzen.«

»Ist das da drüben ein Arzt?«, wollte Thorpa wissen und zeigte auf einen sehr dicken Schluttnick, der zwischen den Betten hindurchging. Er sprach eingehend mit jedem Kranken und auch mit den Besuchern.

»Nein, das ist der Bettgebühreneintreiber, er macht auch seine tägliche Runde. Die Patienten entrichten eine Gebühr für ihren Bettenplatz, ebenso für die Versorgung durch die Krankenverwalter, durch den Arzt, für die Benutzung der Einrichtungen und für zusätzliche Annehmlichkeiten wie frische Luft oder eine Bettpfanne.«

»Und wenn sie kein Geld mehr haben?«

Lupptek zuckte ungerührt mit den Schultern. »Dann haben sie auch keinen Platz mehr. Das Krankenhaussystem ist ein wirtschaftlicher Betrieb wie alle anderen Einrichtungen auch und muss demnach Profite erbringen. Armut ist keine Tugend, mein junger Freund.« Lupptek schaffte es, von oben auf den Pentakka herunterzublicken, und produzierte ein mildes, verständnisvolles Lächeln. Als er weitersprach, klang seine Stimme, als spräche er zu einem dümmlichen Kind. »Was würde denn aus unserer prosperierenden Gesellschaft werden, wenn wir die belohnen würden, die nicht durch harte Arbeit und fleißiges Verdienen an dem allgemeinen Wohlstand mitwirken wollen, hm? Erfolg ist keine Glückssache, sondern das Ergebnis von Bemühungen, Hingabe, Beziehungen und … äh … Höflichkeit gegenüber den richtigen Personen.«

»Oder Geburtsrecht«, warf Anande ein, während er in den nächsten Saal weiterging. Lupptek entging der Sarkasmus des Arztes vollkommen.

»Oder Geburtsrecht, natürlich. ›Wer hat, der hat und kriegt noch mehr‹, sagt eine alte Weisheit. Oder auch: ›Wer nicht dabei sein will, ist eben raus.‹ Oder auch: …«

»›Was genug ist, ist genug‹«, unterbrach ihn Anande. »Das ist ein altes irdisches Sprichwort. Ich glaube, wir haben uns jetzt um wichtigere Dinge als Gesellschaftsphilosophie zu kümmern.« Er deutete auf das nächste Krankenbett. In ihm lag eine ältere Schluttnickfrau, die grüne Haut im Gesicht war bedeckt mit dicken Blasen. Sie wimmerte leise vor sich hin und ein Krankenverwalter mit tiefen Augenringen stand etwas hilflos mit einer fast leeren Tube Salbe neben ihr.

Während sie zusahen, platzte eine der Blasen auf und eine rötliche Flüssigkeit sickerte hervor. Anande sah, wie Lupptek deutlich blasser wurde, und für einen Moment umspielte ein feines, keineswegs freundliches Lächeln seine schmalen Lippen.

»Also dann, Kollege Lupptek, wollen wir diese Sache mal untersuchen. Es ist mir eine Ehre, mit einem so hoch angesehenen Experten der Schluttnickmedizin Hand in Hand zu arbeiten – und wir haben noch viel vor uns.«

Der Unpässlichkeitsversorgeranwärter hob den Kopf und blickte quer durch den Saal – und drei Dutzend blasenübersäte Schluttnicks schauten erwartungsvoll zurück. Sein leises Stöhnen ging im allgegenwärtigen Jammern der Verletzten unter.


Die ersten zwei Tage nach ihrer Ankunft kam die Crew der Ikarus kaum dazu, die Schutzanzüge auch nur einen Moment lang abzulegen – Doktor Anande ausgenommen, der die meiste Zeit in den abgeschirmten Räumen eines Schluttnickkrankenhauses verbrachte. Alle Bemühungen von Captain Sentenza und seinen Leuten, etwas wie eine Katastrophenorganisation auf die Beine zu stellen und die Situation zumindest in der Hauptstadt zu ordnen, waren jedoch immer wieder zum Scheitern verurteilt, da sowohl die Regierung als auch die Bevölkerung einen erstaunlichen Mangel an Kooperationsbereitschaft zeigten. Sentenza vermochte nicht zu sagen, ob sie nicht mit der Rettungscrew zusammenarbeiten konnten oder wollten – er wusste nur, dass es ihn die letzten Nerven kostete.

Erst als die Armee der Schluttnicks auf den Plan trat, wurde es besser. Bis zu diesem Moment hatte Sentenza nicht einmal gewusst, dass das Händlervolk überhaupt Militär besaß, doch die Truppen erwiesen sich als sehr effektiv. Sie hielten die Bevölkerung in ihren Häusern, halfen bei der Organisation von Verletztentransporten und brachten angeforderte Hilfsgüter. Sie versorgten die aufgeregten Leute mit Informationen und scheuten sich auch nicht, selbst hochrangige Personen mit knappen Worten von der Straße zu schicken. Keiner der Crew hatte Zeit, sich mit den Tiefen der Schluttnickgesellschaft und ihrer Hierarchie zu beschäftigen, doch war allgemein bekannt, dass nur ein fetter Schluttnick ein erfolgreicher war. Die Soldaten waren allerdings fast so schlank wie etwas untersetzte Menschen, ihre humanoiden Formen im Gegensatz zu vielen Würdenträgern klar erkennbar. Trotzdem hatten sie Autorität und für beides war Sentenza dankbar – er lernte es schnell zu hassen, wenn er seinem Gesprächspartner nicht in die Augen sehen konnte, weil er sie in all den Fettwülsten nicht einmal fand! Der Kommandant der Armee, Truppendirektor Drolik genannt, wurde ein willkommener Anblick und eine große Hilfe.

Anande hatte ohne Zweifel die meiste Arbeit. Er stellte rasch fest, dass die medizinische Forschung der Schluttnicks nicht wirklich beeindruckend war. Meistens benutzten sie sonderbare Maschinenartefakte, die es gerade in den großen Krankenhäusern in erstaunlicher Zahl gab. Sie halfen dabei, Gliedmaßen zu regenerieren, Krankheitserreger zu vernichten oder Knochenbrüche zu heilen – auffallend viele waren dazu da, Gelenkdefekte auszugleichen oder Erkrankungen des komplizierten schluttnickschen Verdauungssystems zu lindern, was Anande naturgemäß nicht wirklich überraschte. Über die Herkunft dieser hilfreichen Maschinen war nichts zu erfahren, nur freundliche Worte, die zum Inhalt hatten, dass sich der Doktor doch bitte weniger um solche Dinge als vielmehr um die Verletzten kümmern sollte. Diese Maschinen waren von einem sehr hohen technischen Niveau, das deutlich über dem allgemeinen Entwicklungsstand der Schluttnicks lag. Es waren jedoch ausschließlich kurative Anlagen, es schien so gut wie keine medizinischen Forschungseinrichtungen zu geben.

Mit der technologisch bedeutend weiter entwickelten Laborausrüstung der Ikarus entwickelte Anande zusammen mit zwei einheimischen Wissenschaftlern schließlich eine hochwirksame Substanz, die als Creme oder Inhalat die Verätzungen durch das Giftgas schnell heilen konnte. Zum Glück fand sich eine der sonderbaren Maschinen, die sofort große Mengen der benötigten Medikamente herstellen konnte.

Alles Weitere war Routinearbeit im großen Stil: Die Patienten mit schweren Schäden an den Atemorganen wurden in Inhalationssäle gebracht, unzählige andere kamen in große Becken mit einem Balsam für die Verätzungen. Quadratmeilen von Schluttnickhaut wurden mit den neuen Cremes eingerieben und danach wusste Doktor Anande sicherlich besser über die üppige Körperstruktur der meisten Schluttnicks Bescheid, als er es sich je gewünscht hätte – keiner wagte es wirklich, ihn nach Details zu fragen.

Der Brand in der Chemiefabrik, der die ganze Katastrophe ausgelöst hatte, konnte von den Spezialisten des Raumcorps schnell eingedämmt werden – es gelang sogar, einen Stoff zu finden, der die ätzenden Gase in der Luft neutralisierte. Sobald dieser durch zahlreiche Luftgleiter des Raumcorps und der Schluttnickarmee in der Atmosphäre verteilt worden war, endete die unmittelbare Gefahr für die Bevölkerung. Was erst wie ein planetares Unglück von enormer Tragweite erschienen, hatte sich durch Technik, Forschung und den Einsatz unermüdlicher Hilfstruppen innerhalb von nicht einmal zwei Wochen fast komplett bereinigen lassen, mit sehr wenigen Verlusten. Und diese waren weniger auf die Verätzungen durch die Giftgase zurückzuführen als vielmehr auf die Hysterie der zumeist übergewichtigen Schluttnicks. Wenn die Leute der Ikarus je Beispiele dafür gebraucht hätten, warum körperliche Ertüchtigung ein wichtiger Bestandteil ihrer Arbeit war, dann hatten sie hier mehr als genug gefunden.

Sentenza näherte sich dem kleinen Basislager, das die Ikarus-Crew in einem öffentlichen Gebäude der Hauptstadt eingerichtet hatte, und lächelte. Noch etwas anderes hatte sich in dieser Zeit zumindest teilweise bereinigt. Nachdem er und Sonja in der ersten Woche wie zwei gleich geladene Teilchen umeinander herumgekreist waren, unfähig zu irgendeiner Annäherung und nur mit dem durch die Arbeit unvermeidlichen Kontakt, war es schließlich zu einem heftigen Streit gekommen. Fast zwei Stunden lang hatten sie sich an Bord des Rettungskreuzers angebrüllt, dann wieder heiß diskutiert und ihre Motivationen und Gefühle auseinandergenommen. Selbst der stoische Anande und der gelassene Weenderveen hatten schließlich ihre Sachen gepackt und die Flucht ergriffen – Thorpa unter den Arm geklemmt, der gerne geblieben wäre. Seit diesem Gewitter war es zwischen ihnen deutlich besser geworden und Sentenza hatte die berechtigte Hoffnung, dass die Risse in ihrer Beziehung nun heilen konnten.

Er sah Sonja vor der breiten Tür des Basislagers stehen, winkte ihr kurz und ging dann direkt auf sie zu.

Der Chief war nicht allein. Neben ihr stand eine Frau, die nach Schluttnickbegriffen füllig genannt werden mochte, die aber menschliche Maßstäbe sprengte – Sonja wirkte neben ihr wie ein Spargel. Der Captain erkannte in ihr die Indoktrinationsassistentin Huklei, die sie bei der Kommunikation mit der Bevölkerung unterstützt hatte. Erst vor zwei Tagen hatten sie herausgefunden, dass der seltsame Titel Hukleis nichts anderes bedeutete als Lehrerin – und sich über die Ehrlichkeit der Schluttnicks bei ihren Bezeichnungen gewundert. Roderick sah, wie Huklei dem Chief eine kleine Schachtel zusteckte und irgendetwas zu flüstern schien. Dann wandte sich die Schluttnickfrau grinsend um und ging davon, bevor Sentenza nahe genug war für einen Gruß.

»Habe ich sie irgendwie gekränkt?«, fragte er verwundert.

Sonja schien angestrengt zu schlucken, bevor sie antwortete. »Nein, bestimmt nicht. Huklei war nur gar nicht offiziell hier und hat bloß eben etwas … vorbeigebracht. Sie hatte es eilig.«

Irrte er sich, oder röteten sich die Wangen seines Chiefs auf verdächtige Weise? »Und was mag eine Schluttnickfrau mit einer anderen austauschen? Anti-Diät-Mittel?«, frotzelte er freundlich und wurde damit belohnt, dass die Farbe auf Sonjas Wangen sich vertiefte.

»Wie kommst du denn darauf?«, entgegnete sie allzu gelassen und schob die Schachtel dabei unauffällig in eine Beintasche des Overalls.

Mit einem plötzlichen Grinsen griff Sentenza nach Sonja DiMersi, umarmte sie und gab ihr einen leidenschaftlichen Kuss. Der Chief quetschte einen protestierenden Laut hervor, drehte den Kopf zur Seite und wehrte sich, doch dann seufzte sie hörbar und erwiderte den Kuss ebenso hingebungsvoll. Als Roderick sich von ihr löste, war es an ihm, tief auszuatmen.

»Deine Küsse sind immer sehr süß, meine Schöne, aber diesmal …« Er spürte dem Geschmack in seinem Mund nach und fand keinen Vergleich. »War es das, was Huklei dir gegeben hat?«

Sonja strahlte, als sie die Schachtel aus der Tasche zog, sie aufklappte und Sentenza unter die Nase hielt. Ein unerhört verlockender Duft breitete sich aus. Zwei der kleinen Mulden in der Packung waren bereits leer. »Ja. Eine Schachtel Pralinen als Dank für die gute Zusammenarbeit. Roderick, sie sind traumhaft! Besser als alles, was ich jemals gegessen habe! Sie sind …« Sonja schien zu merken, dass sie ins Schwärmen geriet, und unterbrach sich. »Wenn die Schluttnicks diese Pralinen anstelle der Schlutterware verkaufen würden, könnten sie zum reichsten Volk der Galaxis werden.«

»Aber sie tun es nicht?« Vorsichtig hob Sentenza eine der verzierten, wie Schokolade aussehenden Kugeln heraus und schnupperte daran – sofort lief ihm das Wasser im Munde zusammen.

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