Kitabı oku: «10 SHERLOCK HOLMES – Die neuen Fälle Box 4», sayfa 6

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»Sonst sahen Sie niemanden?«, versicherte sich Holmes.

»Nein!« Der Kutscher schluckte. »Er muss gestolpert und in das Messer gefallen sein«, wisperte er. »Welch seltsames Schicksal!«

»In der Tat!«, sagte Moore. Er hielt seine schluchzende Frau im Arm. Seinem Blick war zu entnehmen, dass auch er an Singletons Worte dachte.

Holmes wandte sich ab. »Sie sollten die Polizei informieren!«, sagte er zu Moore. »Der Fall nimmt überaus ernste Züge an.«

Wir begleiteten Mrs Moore zum Haus. Sie brauchte Ruhe und die sollte sie auch bekommen. Ich verabreichte ihr etwas zur Beruhigung und versprach, hin und wieder nach ihr zu sehen, ehe sie sich in ihr Zimmer zurückzog.

»Und nun?«, fragte ich meinen Freund, nachdem wir unter uns waren.

»Der Fall ist verworren«, gab Holmes zu. »Ich denke, ich werde heute auswärts essen. Mal sehen, ob ich Ihr Versäumnis nachholen kann. Mister Moore wird sicherlich noch jemanden haben, der eine Kutsche steuern kann!«

*

An jenem Abend sah ich Holmes nicht mehr. Er kam, wie er mir am nächsten Morgen berichtete, erst spät zurück.

Bei dieser Gelegenheit konnte ich ihm auch von den Ereignissen nach seiner Abfahrt berichten.

Die Polizei hatte sich der Leiche des unglücklichen Burschen angenommen und sich auch die Umstände unserer Verwicklungen in diesen Fall haarklein darlegen lassen. Natürlich glaubte auch der ermittelnde Inspector nicht an Geister, ging jedoch davon aus, dass Peter einem Unfall erlegen sei; die Indizien sprächen dafür. Da ich als Arzt nichts anderes hatte sagen können, sah er die Sache vorerst als erledigt an, würde aber ein wachsames Auge auf die Entwicklungen halten.

Holmes zeigte sich mit dem Ergebnis recht zufrieden, ehe er seinerseits berichtete, einige sehr interessante Informationen erhalten zu haben. Er glaube nun zu wissen, woher der Spuk rühre. Nun müsse man ihn nur noch beenden!

Nach dem Frühstück teilten wir uns auf. Während ich zu den Stallungen ging, blieb Holmes in der Nähe des Hauses.

Doch wir mussten bis zum Nachmittag warten, ehe die weiße Dame letztlich in Erscheinung trat. Holmes und ich unternahmen einen Verdauungsspaziergang im Garten, als Mrs Moore plötzlich auf das besagte Fenster deutete. Sie war bleich, ihre Hände zitterten und es war, als würde sich ein Schrei in ihrer Kehle sammeln, ohne aber über ihre Lippen zu entweichen.

Sofort schauten wir empor und sahen eine hell leuchtende Frau, die jedoch nicht aus dem Fenster blickte, sondern sich erstaunt umsah.

»Jetzt haben wir sie!«, rief Holmes und lief los.

Ich folgte ihm, ebenso Mrs Moore.

»Sie haben sie auch gesehen, ja?«, rief die Hausherrin. »Ich bilde es mir nicht ein?«

»Oh nein, wir haben sie gesehen«, bestätigte Holmes. »Und sie sah etwas, das sie verwirrte. Ich denke, das Spiel ist aus!«

Wir erreichten den Dachboden. Holmes stieß die Tür auf, und da – an einer offenen Klappe stand eine uns unbekannte Frau in grün fluoreszierendem Kleid, Gesicht, Arme und Hände mit Theaterschminke geweißt. Sie starrte uns an, einen Ausdruck unergründlichen Zorns und Verzweiflung in den Zügen.

»Mrs Singleton, wohin des Weges?«, rief Holmes zu meinem Erstaunen. »Kommen Sie, kommen Sie nur her. Ihr Mann ist noch dort drinnen?«

Unter Fluchen hörten wir einen Mann zur Klappe kommen und hervortreten. Er starrte uns finster an, die Lippen zu einem boshaften Grinsen verzogen. »So, haben Sie uns doch erwischt!« Er blickte auf den Boden und sah das Mehl. »Clever. Sehr clever!«

»Was in aller Welt …«, rief Moore aus, der hinzugekommen war. »Singleton, Sie? Was hat das zu bedeuten?«

»Oh, ich denke, ich weiß es«, sagte Holmes. »Aber ich möchte der weißen Dame die Chance geben, den Sachverhalt aufzuklären. Nun?«

Beide Singletons schüttelten den Kopf.

»Sehen Sie, Mister und Mrs Singleton arbeiteten für den Vorbesitzer dieses Hauses einen Großteil ihres Lebens. Sie erhofften sich, am Ende für ihre Treue belohnt zu werden, schließlich gab es keine Erben. Aber kurz vor dem Tode des Barons stellte Mister Singleton fest, dass sie beide leer ausgehen würden. Ist es nicht so?«

Der ehemalige Butler nickte. »Woher wissen Sie das?«, fragte er dann mit unterdrücktem Zorn.

»Miss Wilson, ebenfalls eine ehemalige Bedienstete, war so freundlich, mir von einem Streit zu berichten, den sie belauscht hatte. Demnach konfrontierten Sie Ihren Dienstherrn mit Ihrem Zorn, aber dieser sagte, Ihnen stünde nichts zu, da Sie gut entlohnt worden seien.«

»Ja! Da stand dieser alte Mistkerl und sagte, der Lohn sei ausreichend für unsere Dienste. Sein Vermögen würde der Gemeinde zugutekommen. Pah!« Singleton spuckte aus.

»Also schmiedeten Sie einen Plan, um sich schadlos zu halten. Sie schafften Wertgegenstände beiseite. Hier etwas und da etwas. Versteckten es so gut, dass es niemand fand. Nach dem Tode Ihres Dienstherrn könnten Sie es ja einfach beiseiteschaffen. Und Sie begannen, die weiße Dame in Erscheinung treten zu lassen. Miss Wilson berichtete, dass sie kurz nach besagtem Streit das erste Mal erschien – stets jedoch nur dem Baron, den dies sehr mitnahm!«

Singleton kicherte. »So ist es. War ein ziemlich abergläubischer Mensch, der Baron. Geister, Dämonen … Meine Frau merkte an, dass dies ein böses Omen sei. Schon andere seien gestorben, nachdem sie die weiße Lady sahen …«

»Und dann töteten Sie den Baron!«, sagte Holmes kalt.

Beide Singletons schwiegen.

»War es Gift? Oder erdrosselten Sie ihn im Schlaf?«, hakte Holmes nach, erhielt aber keine Auskunft.

»Nun, wir werden dazu noch kommen …« Holmes tat, als müsse er nachdenken. »Ah ja, Ihr Plan. Sie dachten, nach dem Tode des Barons hätten Sie Zeit, die gestohlenen Wertsachen abzuholen. Aber Sie hatten Pech – der Testamentsvollstrecker verschloss das Haus, gleich, nachdem die Leiche abgeholt worden war. Er nahm Ihnen sogar die Schlüssel ab, wie ich hörte. Sie durften nur ihre Sachen mitnehmen, sonst nichts. Zu allem Überfluss entschied sich Mister Moore nach dem Kauf des Hauses dagegen, Sie einzustellen. Was also tun? Sie beschlossen, die weiße Lady erneut einzusetzen. Ich denke, Sie wollten die Moores aus dem Haus treiben, nicht wahr? Wenn auch nur für ein paar Tage, das hätte Ihnen gereicht!«

»Wir wollten sie so richtig in Panik versetzen. Wir wollten sie davonjagen, um in Ruhe unsere Sachen holen zu können. Wir kennen zwar einen geheimen Zugang zum Haus und auch den Geheimgang, der von der Scheune hierher führt. Aber auf diese Weise konnten wir die Sachen nicht rausbringen, die Gänge sind einfach zu eng. Obwohl wir es mehr als einmal versuchten …«

Singleton schüttelte den Kopf. »Wir hätten nur einen Tag gebraucht. Nur einen einzigen Tag! Aber es sollte nicht sein! Nachdem wir vor die Tür gesetzt worden waren, zog ein Verwalter ein und brachte das Haus auf Vordermann. Es war, als habe sich das Schicksal gegen uns verschworen!«

»Aber die Moores gingen nicht!«

»Nein. Sie holten Sie!«

»Und so beschlossen Sie, Peter zu töten«, sagte Holmes. »Nach der Warnung im Golden Goose ließen Sie Taten folgen.

Singleton grinste. »Wir haben niemanden getötet! Beweisen Sie uns das Gegenteil!«

Holmes schaute beide an. »Wir werden sehen, was das Gericht dazu sagt. Hier sind wir jedenfalls fertig!«

So endete das Rätsel der weißen Dame.

Einige Wochen später ließ uns Mrs Moore einen Artikel zukommen, ausgeschnitten aus einer Zeitung von Leicaster. Man hatte die Singletons vor Gericht gestellt, ihnen aber keinen Mord nachweisen können. Jedoch verurteilte man sie zu je zehn Jahren wegen des Diebstahls und auch, weil sie den Tod des Burschen verursacht hatten, als dieser vor Schreck über den Anblick des Geistes tödlich stürzte.

So war der Gerechtigkeit zumindest etwas Genüge getan worden, und die Moores lebten glücklich in ihrem Haus auf dem Lande!

E N D E

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DAS GEISTERWRACK

Box 4 – Fall 35

Die Hitze entwickelte sich schier unerträglich!

Die Luft in unserer Wohnung in der Baker Street stand förmlich. Das Atmen wurde beschwerlich. Das führte zu dem Entschluss, dem Moloch London zu entfliehen. Holmes, ich und Mrs. Hudson bezogen für einige Wochen ein kleines Haus an der Küste von Wales.

Es bedurfte einiger Überredungskunst, Sherlock Holmes zu überzeugen. Da er jedoch bei seinem letzten Fall bis an die äußerste Grenze seiner körperlichen und geistigen Verfassung geraten war, ordnete ich als sein Arzt den Wechsel zur Seeluft an.

Zu dem Fall selbst vergatterte mein Freund Holmes mich später zum Stillschweigen. Holmes wies auf den ausdrücklichen Wunsch der Königin hin.

Doch jetzt ist eine genügend lange Zeit verflossen, sodass ich berichten darf.

Nun, an einem sehr schwülen Augustabend – ein Gewitter kündigte sich in der Ferne an – stand ich auf der Terrasse des gemieteten Landhäuschens und sog die salzige Meerbrise in die Lungen.

Mrs. Hudson kümmerte sich um unser leibliches Wohl und Sherlock Holmes saß an einem Tisch im Erker des Esszimmers und las in Shakespeares Hamlet.

Zwar hatte ich mich etwas gewundert, da mein Freund normalerweise für Literatur nichts übrig hatte, wenn diese nicht in einem Fall förderlich war oder er sich ihr, um den Geist einfach mal freizumachen, annahm. Nicht, dass er ein Kulturbanause sein mochte, nein, er liebte die Oper und die Konzerte. Aber Literatur lesen – nur so einfach mal zwischendurch zur Erbauung… das war selten.

Aus ärztlicher Sicht begrüßte ich diese Abschaltphase natürlich sehr. Hatte sich Holmes in einen Fall verbissen, so kannte er kaum Schlaf oder Entspannung, bis die Sache zu seiner Zufriedenheit gelöst wurde.

Hätte ich geahnt, dass meine zur Gesundheit meines Freundes beitragenden Pläne furchtbar durchkreuzt werden könnten – ich hätte als Domizil Grönland vorgeschlagen.

Der kleine Ort, der etwas abseits unseres Hauses gelegen war, hieß Seashells Rocks und ließ sich nur mit Mühe auf der Landkarte finden. Er lag über einer Bucht zwischen Cardigan Bay und Bristol Channel.

Weitläufig gesehen.

Ein ehemaliges Schmuggler- und Piratennest um 1775. Von den königlichen Fregatten gefürchtet wegen seiner Riffs und Untiefen.

Das ideale Versteck für zwielichtiges Gesindel.

Selbst der Landweg erwies sich als mühselig.

Heute war Seashells Rocks eine gemütliche Gemeinde, in der jeder jeden kannte. Wobei einige stolz darauf waren, von irgendeinem Seeräuber abzustammen.

Der Donner rollte aus der Ferne vom Meer her auf die Küste zu und das Wasser selbst bedeckte sich zusehends mit Schaumkronen. Die Sonne hatte sich vor einer Stunde hinter den Horizont verabschiedet.

Die ersten Blitze zuckten über dem Wasser. Ich hatte mir eine Zigarre angezündet und spürte auch für mich die Entspannung. Für meine Praxis hatte ich einen Kollegen gewinnen können.

Die Dunkelheit schritt rasch vor. Ich wollte mich bereits dem Haus zuwenden, als eine Kaskade von zackigen Blitzen das Meer wohl gut fünfzehn Sekunden wie zur Mittagszeit aufstrahlen ließ.

Was ich sah, ließ mich stutzen. In den aufgewühlten Wogen schien sich ein Schiff den Weg zu bahnen.

Aber was für eines!

Eine Fregatte mit zerrissenen Segeln, teils kaputten Takelagenbefestigungen, wedelnden Trossen…

Unwillkürlich schluckte ich. Solch ein Schiff gehörte in die Zeit um 1700 oder noch früher.

Das Bild erlosch und Finsternis lag wieder über der nun kochenden See.

Da!

Ein erneuter Blitz!

Aber ich sah kein Schiff mehr.

War ich einer Halluzination aufgesessen?

Wieder ein Blitz. Diesmal greller.

Doch keine Spur eines Schiffes.

Kopfschüttelnd betrat ich unser Wohnzimmer. Dort goss ich mir einen ordentlichen Brandy ein. Holmes schaute auf, sagte aber nichts.

Irgendwann schlug er eine Partie Schach vor.

Allerdings befand ich mich nicht ganz bei der Sache – Holmes gewann.

Gegen zehn Uhr ging ich zu Bett.

*

Der nächste Morgen brachte herrliches Wetter. Das Meer lag ruhig.

Mrs. Hudson hatte den Frühstückstisch auf der Terrasse gedeckt.

Wir hatten ein wunderbares Panorama über die Steilküste zum Meer. Auch ein Stück des Strandes sah man rechts hinter einer Felsgruppe hervorlugen.

Beim Blick über das nun wieder ruhige Wasser zogen sich meine Augen zusammen. Das Bild des Schiffes im Aufzucken der Blitze zeichnete sich in meinem Gedächtnis ab. Wirklich nur eine Irritation?

»Was hast du, alter Kampfgefährte?«, riss mich die Stimme meines Freundes aus den Gedanken. Ich schüttelte mich etwas und bemerkte: »Ach… nichts von Bedeutung.«

Mrs. Hudson brachte uns alsbald eine neue Tasse Kaffee. Tee war Holmes ein Gräuel. Auch mir schmeckte das Getränk des europäischen Festlandes besser. Mochten einige Landsleute ruhig die Nase über uns rümpfen.

»Beim Bäcker heute Morgen hörte ich, dass in der Früh ein junger Fischer ertrunken an den Strand geschwemmt worden ist«, bemerkte unsere treu sorgende Hauswirtin.

»Ach«, entfuhr es mir.

Sie nickte. »Er soll ganz merkwürdig ausgesehen haben. Fast schwarz verfärbt am ganzen Körper.«

Nun horchte mein Freund Holmes auf. »So? Was sagen die Leute dazu?«

Mrs. Hudson zuckte die Achseln. »Sie reden komisches Zeug! Von einem Fluch und einem Geisterschiff, das sich alle paar Jahre zeigt. Jedes Mal soll ein großes Unglück über den Ort gekommen sein.« Sie winkte ab. »Was so an Gerüchten ausgegraben wird.«

Unwillkürlich dachte ich wieder an das Schiff in der Nacht. Sherlock Holmes saß plötzlich steif in seinem Sessel, die Gabel auf halbem Wege zum Mund.

»Holmes!«, rief ich aus. »Du glaubst doch nicht solchen Unsinn?!«

Die Augen meines Freundes richteten sich auf mich. »Du hast das Schiff doch gesehen, Watson.«

Ich zuckte zusammen. »Wie kommst…«

Der Blick meines Freundes und Hausgenossen war ernst. »Mir war gestern Abend sofort klar, dass du etwas beobachtet hattest, mit dem du nicht recht fertig wurdest. Eben, als Mrs. Hudson das Geisterschiff erwähnte, zucktest du sehr wahrnehmbar zusammen. Da zählte ich eins und eins zusammen. Du hattest das Schiff gesehen, bist aber nicht sicher, einer Täuschung erlegen zu sein.«

Ich konnte dem nur lahm zustimmen.

Holmes wandte sich an Mrs. Hudson. »Konnte jemand eine Vermutung darüber aussprechen, weshalb der Körper des Toten verfärbt ist?«

»Ach, Mr. Holmes, da spukt bei den Menschen der Fluch des Seeräubers Bayore in den Köpfen herum. Nachdem er vom Richtplatz durch übernatürliche Kräfte fliehen konnte, habe er einen Brief mit einem Fluch hinterlassen. Alle Nachkommen der Richter, Ankläger und Häscher würden eines grauenhaften Todes sterben.«

Ich lehnte mich zurück. »Diese Geschichten gibt es überall«, murrte ich.

Holmes aß nun ruhig weiter. Kauend bemerkte er: »Bleibt immerhin der Tote und deine Beobachtung, Doktor.«

Mrs. Hudson verschwand im Haus und wir frühstückten schweigend. Als Holmes seine Nachfrühstückspfeife stopfte und anbrannte, schaute er sinnend auf das Meer. Diesen Blick kannte ich.

»Holmes, du bist hier zur Erholung!«, rief ich energisch aus. »Als dein Arzt…«

Mein Freund winkte herrisch ab. »Schluss, Doktor! Du weißt, dass ich Gehirnnahrung brauche. Es gibt Aspekte hier, die mich neugierig machen.« Er stand auf. »Kommst du mit zu einem Spaziergang in den Ort?«

Ergeben erhob ich mich gleichfalls.

Mir war klar, dass ich bald einen mich zum Wahnsinn treibenden Hausgenossen um mich haben würde, käme ich seinem Wunsche nicht nach.

Unser Spaziergang führte über eine Wiese, dann in ein idyllisches Wäldchen und wir folgten dem Weg zu der kleinen Steinbrücke. Von dort gelangte man in einer recht flachen Serpentine zum Ort.

Es war Markt.

Alsbald bemerkten wir, dass der Tod des Fischers allgemeiner Gesprächsstoff war. Gleichfalls fiel auf, dass sich Unruhe – ich möchte sagen – auch Furcht aus den Gesprächen heraushören ließ.

Am Marktbrunnen trafen wir auf Mrs. Halle Lory. Ihr gehörte der Gasthof an der Hauptstraße. Halle Lory wies eine besondere Apartheid aus. Um die Vierzig, groß und schlank, ein langes, leicht altmodisch zu nennendes Kleid, welches ihr aber gut stand – und barfuß. Das lange braune Haar offen im leichten Wind wehend, so stand sie vor uns.

»Schon so früh unterwegs, meine Herren?«, fragte sie mit einer Stimme, dessen leicht rauchiges Timbre mir bis in die Seele reichte. Ja – ich gebe zu, diese Frau brachte in mir etwas zum Klingen. Zumal ich seit über zwei Jahren leider Witwer war.

Mein Freund Holmes schaute über die Markstände. Eher beiläufig merkte er an: »Wir hörten etwas von einem Unglücksfall, Mrs. Lory.«

Täuschte ich mich, oder zuckte Mrs. Lory etwas zusammen? Doch dann ruhten ihre Augen auf Holmes. »Ja… Mike Dean ist ertrunken. Ein junger Fischer.« Sie seufzte. »Trotz Warnungen ist er bei dem Gewitter in der Nacht aufs Meer gefahren.«

Sie fuhr sich mit der rechten Hand über die Augen. Sogleich fiel mir im Sonnenlicht der glitzernde Diamantring auf. Er wirkte edel, jedoch altertümlich gearbeitet. »Mike hinterlässt eine Frau und ein fünfjähriges Kind.«

»Schrecklich!«, entfuhr es mir.

Sherlock Holmes blickte auf die vom Brunnenwasser nassen Steinfliesen. »Man sagt, der Körper des Toten sei… wie soll ich sagen… merkwürdig verfärbt gewesen.«

Mrs. Lorys Augen kniffen sich etwas zusammen. »So… das weiß ich nicht. Ich habe den Toten nicht gesehen.« Sie wandte sich um und ergriff ihre Tasche. »Ich muss auch los. Bis später, die Herren.«

Wir sahen ihr nach, wie sie rasch die vier Stufen vom Marktplatz auf die Mainstreet zu eilte.

Ich zuckte die Achseln. »Deine Frage schien sie unangenehm berührt zu haben«, brummte ich.

»Ja, Watson«, kam es leise von meinem Freund. »Nur warum?«

Er machte Anstalten zu gehen.

»Wohin?«, fragte ich.

»Es wird ja wohl hier einen Leichenbestatter geben.«

Zehn Minuten später standen wir in dem kleinen Ladenlokal von Mr. Jason Strousers. Wie von alters her üblich in kleinen Ortschaften, lag das Haus am Ende der Straße. Man brauchte zwar einen Bestatter, aber die meisten Leute befanden seine direkte Nähe als unangenehm.

»Ja, der tote Mr. Dean ist hier. Zur Aufbahrung«, gab der Mann auf Holmes’ Frage Auskunft.

»Ich möchte ihn sehen.«

Der Bestatter wehrte ab. »Da muss ich erst die Familie fragen, Sir.«

Aber Holmes ließ sich nicht beirren. »Ist es Ihnen lieber, wenn Scotland Yard sich die Leiche ansieht?« Seine Stimme klang hart.

Eingeschüchtert zeigte Mr. Strousers uns den Toten.

Mir stockte der Atem. »Du meine Güte!«, entfuhr es mir.

Auch Holmes wirkte erstarrt.

Beinahe pechschwarz lag der Tote auf dem weißen Tuch des Tisches. Der Bestatter trat von einem Bein auf das andere. »Es ist merkwürdig… ja… aber… es sollte niemand sehen.«

Holmes’ Augen schienen Pfeile zu schießen. »Weshalb, Mr. Strousers? Kennen Sie die Ursache?« Metallisch klang die Stimme meines Freundes.

Der Bestatter wehrte ab. »Nein, Sir. Aber es ist der alte Fluch.«

Mein Freund hob eine Augenbraue. Der Bestatter wand sich unter dem Blick. »Die alte Legende von Captain Bayore. Er hat vor seiner Hinrichtung, der er mithilfe des Satans entkam, alle verflucht. Einer der Vorfahren von Mike Dean war der Richter damals. Alle paar Jahre taucht das Schiff des Captains in einer stürmischen Gewitternacht auf. Dann stirbt jemand.«

»So?«, machte Holmes nur. »Wann ist es das letzte Mal gewesen?«

»Vor… fünf Jahren, Sir.«

»Aha! Sah der Tote auch so aus?«

Strousers räusperte sich. »Nicht sofort.«

Ich trat näher heran. »Was meinen Sie damit, Sir?«

Der Bestatter war inzwischen noch blasser geworden, als er es ohnehin schon war.

»Die Schwärzung trat erst nach ein paar Tagen auf. Es wurde offenkundig, als man in der Kapelle den Sarg noch einmal öffnete, damit die Familie Abschied nehmen konnte.«

Sherlock Holmes blickte auf den Toten. »Ist das Opfer damals auch ein Nachfahre eines der am Urteil beteiligten Personen gewesen?«

»Ja, ein Nachkomme des Henkers.«

Holmes beugte sich über die Leiche. Dann zog er sein Vergrößerungsglas hervor. Die Untersuchung dauerte wohl fünfzehn Minuten. Mir fiel auf, dass sich das Augenmerk meines Freundes auf Augen, Finger- und Zehennägel konzentrierte. Endlich richtete er sich auf und verabschiedete sich.

Wieder auf der Straße stellte ich fest, dass uns einige Leute mit verhohlener Scheu beobachteten.

Wortlos steuerte mein Freund das Wirtshaus an. Mrs. Lory kam auf uns zu. Auch hier lief sie, wie übrigens die meisten Menschen dieses Küstenortes, barfuß.

Wir suchten uns einen Tisch in einer Ecke, von dem aus wir durch ein Fenster die Straße gut einsehen konnten. Mrs. Lory brachte uns Bier. Nachdem sie sich entfernt hatte, wollte ich wissen: »Was hältst du davon, Holmes?«

»Das Ganze erinnert mich an einen Fall. Er ist innerlich verbrannt.«

»Was meinst du?«

Holmes schwieg nachdenklich. Mir fiel nicht ein, auf was er anspielte.

Ich lehnte mich etwas zurück. »Denkst du an einen Blitzschlag?«

Mein Freund schüttelte den Kopf. »Nein, nein! Ich sagte ›innerlich verbrannt‹.«

Ich war irritiert.

Holmes bemerkte: »Wir müssen wissen, wo das Unglück geschah.«

»Vielleicht doch der Fluch?«

Mein Freund lachte. »Sicher! Wie der Fluch der Baskervilles. Red keinen Unsinn, Doktor!«

Eine Stunde später standen wir unten am Strand.

Schleifspuren zeigten uns, wo jemand ein Boot am frühen Morgen oder noch in der Nacht ins Wasser geschoben hatte.

»Deans Boot?«, fragte ich.

»Vermutlich«, kam es von Holmes. Er sah sich um. »Sonst läge hier ein Fischerboot. Um es einfach wegzutragen, dazu sind die Spuren zu schwer. Es war ein schweres Boot. Es kann nur Dean gehört haben.«

»Demnach müssten irgendwo Wrackteile an Land gespült werden, wenn er verunglückt ist. Oder glaubst du, er sei einfach ins Wasser gefallen und ertrunken?«

Holmes kicherte. »Wohl kaum. Außerdem gäbe es keinen Grund für die körperliche Verfärbung. Lass uns sehen, wie die Strömungsverhältnisse sind.«

Der Wind blies nun aus der entgegengesetzten Richtung als am Vorabend. Wir wandten uns also in die entsprechende Richtung. Tatsächlich entdeckten wir zwischen zwei scharfen Felsen eine schmale, zersplitterte Planke. Holmes begutachtete diese genau.

»Sieh dir diese Fasern an, Watson. Da hat etwas mit brachialer Gewalt eingeschlagen.«

Der Blick meines Freundes glitt über die nun harmlose Meeresoberfläche. Tief sog er die Luft ein. Endlich meinte er: »Wir sollten heute Abend das Wirtshaus aufsuchen.«

*

Der Tag verging in Ruhe.

Gegen sieben Uhr trafen wir im Wirtshaus ein.

»Oh, Mr. Holmes… Doktor… schön, dass Sie mich beehren«, rief Mrs. Lory und lächelte.

»Nun«, meinte Holmes, »ein gemütlicher Abend in Ihren Räumen ist sicher nicht falsch.«

Wir klinkten uns an der Theke ein. Dort hielten sich noch etwa zehn Männer des Ortes auf. Mrs. Lory wieselte mit dem Tablett durch die Schar der Gäste, gekleidet, wie wir sie auf dem Markt gesehen hatten.

»Die schönsten Beine der Grafschaft«, nuschelte jemand in mein Ohr. Ich wandte mich seitlich und blickte in das verschmitzte Gesicht eines alten Fischers. Ich lachte und nickte. Mein Nachbar fuhr leise fort: »Sie stammt aus einer alten Piratenfamilie.«

»So…?«, dehnte ich.

»Einige sagen sogar von…«, er kam etwas näher, »…Bayore.«

Ich stellte mich arglos. »Den Namen habe ich schon einmal gehört«, merkte ich zögernd an.

Der Alte kicherte. »Der Fluch… Diese Idioten hier glauben an den Fluch.«

»Ein Fluch? Aber Sie glauben nicht daran?«

Er schüttelte den Kopf. »Humbug.«

Ich runzelte die Stirn. »Aber es soll doch schon öfter etwas passiert sein, sagte man mir.«

Der Fischer nahm sein Glas hoch und trank. Dann meinte er nach einem Rülpser: »Mike Dean wohnte gar nicht mehr hier. Weshalb also soll er in der Nacht von hier aufs Meer gefahren sein?«

Es war wie ein Seitenhieb. Ich zuckte zusammen. Was sagte der Alte da?

»Ich verstehe nicht…«, kam es von mir. »Man spricht doch über ihn…«

Da sah ich den Alten eben noch durch die Menge zur Tür verschwinden.

Sherlock Holmes, der in der Zwischenzeit etwas abseits gestanden hatte und die Menschen beobachtete, schaute zu mir herüber. Ihm schien wohl meine etwas hilflose Gestik aufgefallen zu sein. Er kam zu mir herüber und ich flüsterte ihm das Gehörte zu.

Sherlock Holmes nickte. »Ähnliches habe ich vermutet. Komm, Watson, wir müssen uns etwas ansehen.«

Wir zahlten und verließen die Gaststube.

Auf der Straße deutete mein Freund wortlos nach links. Nach zehn Minuten Fußweg bog er in einen Schotterweg ab. Zu meiner Überraschung standen wir plötzlich auf einem Friedhof.

»Teufel Holmes! Was sollen wir hier? Der Friedhof scheint seit langer Zeit nicht mehr aufgesucht worden zu sein. Sieh nur das Gestrüpp und Unkraut.«

Mein Freund sagte nichts, sondern führte mich einen kleinen Hang aufwärts. Von hier konnte man die kleine Bucht und auch den Ort übersehen.

»Vor langer Zeit«, begann er, »suchten Piraten und Schmuggler hier Zuflucht.«

»Das weiß ich«, entgegnete ich.

Holmes sog die würzige Seeluft ein. »Es gibt noch zahlreiche Höhlen hier um die Bucht.«

Ich verdrehte die Augen. Schließlich war mir auch das bekannt. Ich sagte es etwas unwirsch.

»Es ist sehr abgelegen.«

»Holmes… was soll das?! Auch das ist mir bekannt!«

Holmes lachte leise. »Befasse dich mit Seeräuberei. Shakespeare nennt die Seeräuber die Anwälte des geschändeten Volkes.«

»Also Holmes, was soll das denn?«

»Dir wird der richtige Gedanke kommen, mein guter Doktor.«

Damit verließ er den Hügel und ließ mich ratlos stehen.

Vor Mitternacht entlud sich wieder ein gewaltiges Gewitter.

Wir saßen bei einem späten Abendessen. Mein Blick ging zum großen Fenster, vor dem die Blitze zuckten und der Regen in fetten Bahnen herablief.

»Ich denke nicht, dass du heute das Schiff sehen wirst«, merkte Holmes leise an.

Leicht irritiert sah ich auf.

Es zeigte sich immer noch sehr warm, aber der Regen brachte angenehme Abkühlung. Im Verlauf der nächsten halben Stunde entwickelte sich ein wahres Unwetter. Wir mussten die Terrassentür schließen. Durch den dichten Vorhang der Sintflut erkannte ich verschwommen das aufgewühlte, ja schon kochende Meer. Wehe dem Seemann, der jetzt noch draußen sein mochte!

Wir zogen uns nach dem Essen noch mit Kaffee und Brandy in die Kaminecke zurück. Nun erst kam ich dazu, einen Blick in die Spätausgabe der Grafschaftszeitung zu werfen.

»Von dem Unfall steht nichts hier«, sagte ich verwundert.

Holmes kommentierte das nicht. Dies führte zu meiner Frage: »Wirst du dich in die Untersuchung einschalten?«

Mein Freund stopfte seine Pfeife und schüttelte dann den Kopf. »Nein. Ich wüsste nicht, wozu.«

»Das beruhigt mich«, kam es erleichtert aus meinem Mund. »Du musst dich mal ausruhen.«

Allerdings sollten wir rascher in das Geschehen hineinrutschen, als wir dachten.

*

Wir hatten eben das Frühstück beendet.

Ich goss sowohl mir als auch Holmes eine dritte Tasse Kaffee ein, als wir eine vertraute Stimme im Flur vernahmen.

Sherlock Holmes und ich schauten uns an. Nur Sekunden später stand Inspektor Lestrade vor uns.

»Was tun Sie denn hier?«, entfuhr es mir lauter als geplant.

Der Mann von Scotland Yard lächelte verlegen. »Ich bitte um Entschuldigung, Dr. Watson. Hallo, Mr. Holmes… ja… ich erfuhr von Cartwright Ihren Aufenthaltsort. Ihr kleiner Bote… Sie wissen schon.«

»Ja, ja«, kam es von meinem Freund. »Aber was führt Sie hierher?«

»Ein Mord. In Tendly Folk.«

Ich musste lachen. »Tendly Folk? Was ist das für ein Name?«

»Ein winziges Küstennest. Nur vier Meilen von hier. Tendly hieß ein Seeräuber um 1699«, dozierte Holmes.

Lestrade zuckte die Achseln. »Wie auch immer… Jedenfalls hat es den Pfarrer und den Bürgermeister erwischt.«

Holmes schob dem Inspektor einen Stuhl heran. »Setzen Sie sich, trinken Sie einen Kaffee mit uns und berichten Sie dann. Wer hat Sie benachrichtigt und wann ist es geschehen? Wenn ich die Melde- und Reisezeit addiere, komme ich auf zwei Tage.«

Der Inspektor nahm dankend den Kaffee von mir. Dann hielt ich ihm mein Zigarrenetui hin. Freudig nahm er eine Sumatra. Holmes stopfte sich eine Pfeife und blickte durch das Fenster in den trüben Tag. Bald würde es wieder regnen. In der Nacht hatte es sich merklich abgekühlt und Mrs. Hudson kam nicht umhin, den Kamin anzuheizen.

Der Wohnraum gab nun Geborgenheit.

»Die Sache ist so, Mr. Holmes«, begann der Inspektor, »Mrs. Mannor, das ist die Küsterfrau von Tendly Folk, wollte vorgestern wie gewohnt den Morgenputz machen. Das war gegen neun Uhr. Da sah sie den Bürgermeister und den Pfarrer einträchtig nebeneinander auf der ersten Kirchenbank sitzen. Sie grüßte, wunderte sich aber, dass sie keine Antwort erhielt. Sie ging zu den beiden hinüber und…« Lestrade holte tief Luft. »Sie fand beide auffällig starr vor. Ihre Kleidung wirkte wie angebrannt und ihre Körper waren pechschwarz.«

Ich erschauerte.

Mein Freund blickte den Inspektor interessiert an. »Haben Sie die Leichen schon begutachtet?«

Der Angesprochene verneinte. »Ein Constable bewacht die Kirche. Ich gab per Kabel den Auftrag an die Polizeistelle von Seacourt. Das ist der nächstgrößere Ort. Tendly Folk und auch Seashells Rocks besitzen keine Station. Ich dachte mir, dass Sie vielleicht…«

»Holmes!«, rief ich. »Du bist hier, um…«

Mein Freund wirkte herrisch ab. »Watson, es wird Zeit, dass mein Geist wieder Arbeit bekommt. Nur Shakespeare treibt mich in den Abgrund. Seelisch gesehen.«

Da half aller Protest nichts. Mrs. Hudson musste uns eine Kutsche besorgen und bald befanden wir uns auf dem Weg.

Tendly Folk bestand aus lediglich fünfzehn Häusern. Darunter ein Laden, eine Kneipe und dann die Kirche.

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